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Kritik der reinen Vernunft von Immanuel Kant, Professor in ...

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<strong>Kritik</strong><br />

<strong>der</strong><br />

<strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong><br />

<strong>von</strong><br />

<strong>Immanuel</strong> <strong>Kant</strong>,<br />

<strong>Professor</strong> <strong>in</strong> Königsberg.<br />

1781<br />

turnip's edition<br />

© Joachim Rübe<br />

- Arbeitsdokument “kdrv1781“ v2.0.wolfen.120620 -<br />

1


Zueignung<br />

Sr. Exzellenz,<br />

dem Königl. Staatsm<strong>in</strong>ister<br />

Freiherrn <strong>von</strong> Zedlitz.<br />

Gnädiger Herr!<br />

Den Wachstum <strong>der</strong> Wissenschaften an se<strong>in</strong>em Teile beför<strong>der</strong>n, heißt, an Ew. Exzellenz<br />

eigenem Interesse arbeiten; denn dieses ist mit jenen, nicht bloß durch den erhabenen<br />

Posten e<strong>in</strong>es Beschützers, son<strong>der</strong>n durch das viel vertrautere Verhältnis e<strong>in</strong>es Liebhabers<br />

und erleuchteten Kenners <strong>in</strong>nigst verbunden. Deswegen bediene ich mich auch des<br />

e<strong>in</strong>igen Mittels, das gewissermaßen <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Vermögen ist, me<strong>in</strong>e Dankbarkeit für das<br />

gnädige Zutrauen zu bezeigen, womit Ew. Exzellenz mich beehren, als könnte ich zu<br />

dieser Absicht etwas beitragen.<br />

Wen das spekulative Leben vergnügt, dem ist, unter mäßigen Wünschen, <strong>der</strong> Beifall e<strong>in</strong>es<br />

aufgeklärten, gültigen Richters e<strong>in</strong>e kräftige Aufmunterung zu Bemühungen, <strong>der</strong>en Nutzen<br />

groß, obzwar entfernt ist, und daher <strong>von</strong> geme<strong>in</strong>en Augen gänzlich verkannt wird.<br />

E<strong>in</strong>em Solchen und Dessen gnädigem Augenmerke widme ich nun diese Schrift und,<br />

Se<strong>in</strong>em Schutze, alle übrige Angelegenheit me<strong>in</strong>er literarischen Bestimmung und b<strong>in</strong> mit<br />

<strong>der</strong> tiefsten Verehrung<br />

Ew. Exzellenz<br />

Königsberg<br />

den 29. März 1781<br />

untertäniggehorsamster<br />

Diener<br />

<strong>Immanuel</strong> <strong>Kant</strong>.<br />

2


Vorrede<br />

Die menschliche <strong>Vernunft</strong> hat das beson<strong>der</strong>e Schicksal <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gattung ihrer<br />

Erkenntnisse: daß sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann, denn sie<br />

s<strong>in</strong>d ihr durch die Natur <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong> selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht<br />

beantworten kann; denn sie übersteigen alles Vermögen <strong>der</strong> menschlichen <strong>Vernunft</strong>.<br />

In diese Verlegenheit gerät sie ohne ihre Schuld. Sie fängt <strong>von</strong> Grundsätzen an, <strong>der</strong>en<br />

Gebrauch im Laufe <strong>der</strong> Erfahrung unvermeidlich und zugleich durch diese h<strong>in</strong>reichend<br />

bewährt ist. Mit diesen steigt sie (wie es auch ihre Natur mit sich br<strong>in</strong>gt) immer höher, zu<br />

entfernteren Bed<strong>in</strong>gungen. Da sie aber gewahr wird, daß auf diese Art ihr Geschäft<br />

je<strong>der</strong>zeit unvollendet bleiben müsse, weil die Fragen niemals aufhören, so sieht sie sich<br />

genötigt, zu Grundsätzen ihre Zuflucht zu nehmen, die allen möglichen<br />

Erfahrungsgebrauch überschreiten und gleichwohl so unverdächtig sche<strong>in</strong>en, daß auch<br />

die geme<strong>in</strong>e Menschenvernunft damit im E<strong>in</strong>verständnisse steht. Dadurch aber stürzt sie<br />

sich <strong>in</strong> Dunkelheit und Wi<strong>der</strong>sprüche, aus welchen sie zwar abnehmen kann, daß<br />

irgendwo verborgene Irrtümer zugrunde liegen müssen, die sie aber nicht entdecken kann,<br />

weil die Grundsätze, <strong>der</strong>en sie sich bedient, da sie über die Grenze aller Erfahrung<br />

h<strong>in</strong>ausgehen, ke<strong>in</strong>en Probierste<strong>in</strong> <strong>der</strong> Erfahrung mehr anerkennen. Der Kampfplatz dieser<br />

endlosen Streitigkeiten heißt nun Metaphysik.<br />

Es war e<strong>in</strong>e Zeit, <strong>in</strong> welcher sie die König<strong>in</strong> aller Wissenschaften genannt wurde und,<br />

wenn man den Willen für die Tat nimmt, so verdiente sie, wegen <strong>der</strong> vorzüglichen<br />

Wichtigkeit ihres Gegenstandes, allerd<strong>in</strong>gs diesen Ehrennamen. Jetzt br<strong>in</strong>gt es <strong>der</strong><br />

Modeton des Zeitalters so mit sich, ihr alle Verachtung zu beweisen und die Matrone klagt,<br />

verstoßen und verlassen, wie Hecuba: modo maxima rerum, tot generis natisque potens -<br />

nunc trahor exul, <strong>in</strong>ops - Ovid. Metam. 1<br />

Anfänglich war ihre Herrschaft, unter <strong>der</strong> Verwaltung <strong>der</strong> Dogmatiker, despotisch. Alle<strong>in</strong>,<br />

weil die Gesetzgebung noch die Spur <strong>der</strong> alten Barbarei an sich hatte, so artete sie durch<br />

<strong>in</strong>nere Kriege nach und nach <strong>in</strong> völlige Anarchie aus und die Skeptiker, e<strong>in</strong>e Art Nomaden,<br />

die allen beständigen Anbau des Bodens verabscheuen, zertrennten <strong>von</strong> Zeit zu Zeit die<br />

bürgerliche Vere<strong>in</strong>igung. Da ihrer aber zum Glück nur wenige waren, so konnten sie nicht<br />

h<strong>in</strong><strong>der</strong>n, daß jene sie nicht immer aufs neue, obgleich nach ke<strong>in</strong>em unter sich<br />

e<strong>in</strong>stimmigen Plane, wie<strong>der</strong> anzubauen versuchten. In neueren Zeiten schien es zwar<br />

e<strong>in</strong>mal, als sollte allen diesen Streitigkeiten durch e<strong>in</strong>e gewisse Physiologie des<br />

menschlichen Verstandes (<strong>von</strong> dem berühmten Locke) e<strong>in</strong> Ende gemacht und die<br />

Rechtmäßigkeit jener Ansprüche völlig entschieden werden; es fand sich aber, daß,<br />

obgleich die Geburt jener vorgegebenen König<strong>in</strong> aus dem Pöbel <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>en Erfahrung<br />

abgeleitet wurde und dadurch ihre Anmaßung mit Recht hätte verdächtig werden müssen,<br />

dennoch, weil diese Genealogie ihr <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat fälschlich angedichtet war, sie ihre<br />

Ansprüche noch immer behauptete, wodurch alles wie<strong>der</strong>um <strong>in</strong> den veralteten<br />

wurmstichigen Dogmatismus und daraus <strong>in</strong> die Ger<strong>in</strong>gschätzung verfiel, daraus man die<br />

Wissenschaft hatte ziehen wollen. Jetzt, nachdem alle Wege (wie man sich überredet)<br />

vergeblich versucht s<strong>in</strong>d, herrscht Überdruß und gänzlicher Indifferentismus, die Mutter<br />

des Chaos und <strong>der</strong> Nacht, <strong>in</strong> Wissenschaften, aber doch zugleich <strong>der</strong> Ursprung,<br />

wenigstens das Vorspiel e<strong>in</strong>er nahen Umschaffung und Aufklärung <strong>der</strong>selben, wenn sie<br />

durch übel angebrachten Fleiß dunkel, verwirrt und unbrauchbar geworden.<br />

Es ist nämlich umsonst, Gleichgültigkeit <strong>in</strong> Ansehung solcher Nachforschungen erkünsteln<br />

zu wollen, <strong>der</strong>en Gegenstand <strong>der</strong> menschlichen Natur nicht gleichgültig se<strong>in</strong> kann. Auch<br />

fallen jene vorgebliche Indifferentisten, so sehr sie sich auch durch die Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

Schulsprache <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en populären Ton unkenntlich zu machen gedenken, wofern sie nur<br />

3


überall etwas denken, <strong>in</strong> metaphysische Behauptungen unvermeidlich zurück, gegen die<br />

sie doch so viel Verachtung vorgaben. Indessen ist diese Gleichgültigkeit, die sich mitten<br />

<strong>in</strong> dem Flor aller Wissenschaften ereignet und gerade diejenige trifft, auf <strong>der</strong>en<br />

Kenntnisse, wenn <strong>der</strong>gleichen zu haben wären, man unter allen am wenigsten Verzicht tun<br />

würde, doch e<strong>in</strong> Phänomen, das Aufmerksamkeit und Nachs<strong>in</strong>nen verdient. Sie ist<br />

offenbar die Wirkung nicht des Leichts<strong>in</strong>ns, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> gereiften Urteilskraft [ 1] des<br />

Zeitalters, welches sich nicht länger durch Sche<strong>in</strong>wissen h<strong>in</strong>halten läßt und e<strong>in</strong>e<br />

Auffor<strong>der</strong>ung an die <strong>Vernunft</strong>, das beschwerlichste aller ihrer Geschäfte, nämlich das <strong>der</strong><br />

Selbsterkenntnis aufs neue zu übernehmen und e<strong>in</strong>en Gerichtshof e<strong>in</strong>zusetzen, <strong>der</strong> sie bei<br />

ihren gerechten Ansprüchen sichere, dagegen aber alle grundlose Anmaßungen, nicht<br />

durch Machtsprüche, son<strong>der</strong>n nach ihren ewigen und unwandelbaren Gesetzen,<br />

abfertigen könne und dieser ist ke<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er als die <strong>Kritik</strong> <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong> selbst.<br />

Ich verstehe aber hierunter nicht e<strong>in</strong>e <strong>Kritik</strong> <strong>der</strong> Bücher und Systeme, son<strong>der</strong>n die des<br />

<strong>Vernunft</strong>vermögens überhaupt, <strong>in</strong> Ansehung aller Erkenntnisse, zu denen es, unabhängig<br />

<strong>von</strong> aller Erfahrung, streben mag, mith<strong>in</strong> die Entscheidung <strong>der</strong> Möglichkeit o<strong>der</strong><br />

Unmöglichkeit e<strong>in</strong>er Metaphysik überhaupt und die Bestimmung sowohl <strong>der</strong> Quellen, als<br />

des Umfanges und <strong>der</strong> Grenzen <strong>der</strong>selben, alles aber aus Pr<strong>in</strong>zipien.<br />

Diesen Weg, den e<strong>in</strong>zigen, <strong>der</strong> übrig gelassen war, b<strong>in</strong> ich nun e<strong>in</strong>geschlagen und<br />

schmeichle mir, auf demselben die Abstellung aller Irrungen angetroffen zu haben, die<br />

bisher die <strong>Vernunft</strong> im erfahrungsfreien Gebrauche mit sich selbst entzweit hatten. Ich b<strong>in</strong><br />

ihren Fragen nicht dadurch etwa ausgewichen, daß ich mich mit dem Unvermögen <strong>der</strong><br />

menschlichen <strong>Vernunft</strong> entschuldigte; son<strong>der</strong>n ich habe sie nach Pr<strong>in</strong>zipien vollständig<br />

spezifiziert und, nachdem ich den Punkt des Mißverstandes <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong> mit ihr selbst<br />

entdeckt hatte, sie zu ihrer völligen Befriedigung aufgelöst. Zwar ist die Beantwortung<br />

jener Fragen gar nicht so ausgefallen, als dogmatisch schwärmende Wißbegierde<br />

erwarten mochte; denn die könnte nicht an<strong>der</strong>s als durch Zauberkünste, darauf ich mich<br />

nicht verstehe, befriedigt werden. Alle<strong>in</strong>, das war auch wohl nicht die Absicht <strong>der</strong><br />

Naturbestimmung unserer <strong>Vernunft</strong>; und die Pflicht <strong>der</strong> Philosophie war: das Blendwerk,<br />

das aus Mißdeutung entsprang, aufzuheben, sollte auch noch soviel gepriesener und<br />

beliebter Wahn dabei zu Nichte gehen. In dieser Beschäftigung habe ich Ausführlichkeit<br />

me<strong>in</strong> großes Augenmerk se<strong>in</strong> lassen und ich erkühne mich zu sagen, daß nicht e<strong>in</strong>e<br />

e<strong>in</strong>zige metaphysische Aufgabe se<strong>in</strong> müsse, die hier nicht aufgelöst, o<strong>der</strong> zu <strong>der</strong>en<br />

Auflösung nicht wenigstens <strong>der</strong> Schlüssel dargereicht worden. In <strong>der</strong> Tat ist auch re<strong>in</strong>e<br />

<strong>Vernunft</strong> e<strong>in</strong>e so vollkommene E<strong>in</strong>heit: daß, wenn das Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong>selben auch nur zu e<strong>in</strong>er<br />

e<strong>in</strong>zigen aller <strong>der</strong> Fragen, die ihr durch ihre eigene Natur aufgegeben s<strong>in</strong>d, unzureichend<br />

wäre, man dieses immerh<strong>in</strong> nur wegwerfen könnte, weil es alsdann auch ke<strong>in</strong>er <strong>der</strong><br />

übrigen mit völliger Zuverlässigkeit gewachsen se<strong>in</strong> würde.<br />

Ich glaube, <strong>in</strong>dem ich dieses sage, <strong>in</strong> dem Gesichte des Lesers e<strong>in</strong>en mit Verachtung<br />

vermischten Unwillen über, dem Ansche<strong>in</strong>e nach, so ruhmredige und unbescheidene<br />

Ansprüche wahrzunehmen, und gleichwohl s<strong>in</strong>d sie ohne Vergleichung gemäßigter, als<br />

die, e<strong>in</strong>es jeden Verfassers des geme<strong>in</strong>sten Programms, <strong>der</strong> dar<strong>in</strong> etwa die e<strong>in</strong>fache Natur<br />

<strong>der</strong> Seele, o<strong>der</strong> die Notwendigkeit e<strong>in</strong>es ersten Weltanfanges zu beweisen vorgibt. Denn<br />

dieser macht sich anheischig, die menschliche Erkenntnis über alle Grenzen möglicher<br />

Erfahrung h<strong>in</strong>aus zu erweitern, wo<strong>von</strong> ich demütig gestehe: daß dieses me<strong>in</strong> Vermögen<br />

gänzlich übersteige, an dessen Statt ich es lediglich mit <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong> selbst und ihrem<br />

<strong>re<strong>in</strong>en</strong> Denken zu tun habe, nach <strong>der</strong>en ausführlicher Kenntnis ich nicht weit um mich<br />

suchen darf, weil ich sie <strong>in</strong> mir selbst antreffe und wo<strong>von</strong> mir auch schon die geme<strong>in</strong>e<br />

Logik e<strong>in</strong> Beispiel gibt, daß sich alle ihre e<strong>in</strong>fachen Handlungen völlig und systematisch<br />

aufzählen lassen; nur daß hier die Frage aufgeworfen wird, wieviel ich mit <strong>der</strong>selben,<br />

wenn mir aller Stoff und Beistand <strong>der</strong> Erfahrung genommen wird, etwa auszurichten hoffen<br />

4


dürfe. So viel <strong>von</strong> <strong>der</strong> Vollständigkeit <strong>in</strong> Erreichung e<strong>in</strong>es jeden, und <strong>der</strong> Ausführlichkeit <strong>in</strong><br />

Erreichung aller Zwecke zusammen, die nicht e<strong>in</strong> beliebiger Vorsatz, son<strong>der</strong>n die Natur<br />

<strong>der</strong> Erkenntnis selbst uns aufgibt, als <strong>der</strong> Materie unserer kritischen Untersuchung.<br />

Noch s<strong>in</strong>d Gewißheit und Deutlichkeit zwei Stücke, die die Form <strong>der</strong>selben betreffen, als<br />

wesentliche For<strong>der</strong>ungen anzusehen, die man an den Verfasser, <strong>der</strong> sich an e<strong>in</strong>e so<br />

schlüpfrige Unternehmung wagt, mit Recht tun kann.<br />

Was nun die Gewißheit betrifft, so habe ich mir selbst das Urteil gesprochen: daß es <strong>in</strong><br />

dieser Art <strong>von</strong> Betrachtungen auf ke<strong>in</strong>e Weise erlaubt sei, zu me<strong>in</strong>en und daß alles, was<br />

dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Hypothese nur ähnlich sieht, verbotene Ware sei, die auch nicht für den<br />

ger<strong>in</strong>gsten Preis feilstehen darf, son<strong>der</strong>n, sobald sie entdeckt wird, beschlagen werden<br />

muß. Denn das kündigt e<strong>in</strong>e jede Erkenntnis, die a priori feststehen soll, selbst an: daß sie<br />

für schlechth<strong>in</strong> notwendig gehalten werden will, und e<strong>in</strong>e Bestimmung aller <strong>re<strong>in</strong>en</strong><br />

Erkenntnisse a priori noch viel mehr, die das Richtmaß, mith<strong>in</strong> selbst das Beispiel aller<br />

apodiktischen (philosophischen) Gewißheit se<strong>in</strong> soll. Ob ich nun das, wozu ich mich<br />

anheischig mache, <strong>in</strong> diesem Stücke geleistet habe, das bleibt gänzlich dem Urteile des<br />

Lesers anheim gestellt, weil es dem Verfasser nur geziemt, Gründe vorzulegen, nicht aber<br />

über die Wirkung <strong>der</strong>selben bei se<strong>in</strong>en Richtern zu urteilen. Damit aber nicht etwas<br />

unschuldigerweise an <strong>der</strong> Schwächung <strong>der</strong>selben Ursache sei, so mag es ihm wohl<br />

erlaubt se<strong>in</strong>, diejenigen Stellen, die zu e<strong>in</strong>igem Mißtrauen Anlaß geben könnten, ob sie<br />

gleich nur den Nebenzweck angehen, selbst anzumerken, um den E<strong>in</strong>fluß, den auch nur<br />

die m<strong>in</strong>deste Bedenklichkeit des Lesers <strong>in</strong> diesem Punkte auf se<strong>in</strong> Urteil, <strong>in</strong> Ansehung des<br />

Hauptzwecks, haben möchte, beizeiten abzuhalten.<br />

Ich kenne ke<strong>in</strong>e Untersuchungen, die zur Ergründung des Vermögens, welches wir<br />

Verstand nennen, und zugleich zur Bestimmung <strong>der</strong> Regeln und Grenzen se<strong>in</strong>es<br />

Gebrauchs, wichtiger wären, als die, welche ich <strong>in</strong> dem zweiten Hauptstücke <strong>der</strong><br />

transszendentalen Analytik, unter dem Titel <strong>der</strong> Deduktion <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandesbegriffe,<br />

angestellt habe; auch haben sie mir die meiste, aber, wie ich hoffe, nicht unvergoltene<br />

Mühe gekostet. Diese Betrachtung, die etwas tief angelegt ist, hat aber zwei Seiten. Die<br />

e<strong>in</strong>e bezieht sich auf die Gegenstände des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes und soll die objektive<br />

Gültigkeit se<strong>in</strong>er Begriffe a priori dartun und begreiflich machen; eben darum ist sie auch<br />

wesentlich zu me<strong>in</strong>en Zwecken gehörig. Die an<strong>der</strong>e geht darauf aus, den <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstand<br />

selbst, nach se<strong>in</strong>er Möglichkeit und den Erkenntniskräften, auf denen er selbst beruht,<br />

mith<strong>in</strong> ihn <strong>in</strong> subjektiver Beziehung zu betrachten und, obgleich diese Erörterung <strong>in</strong><br />

Ansehung me<strong>in</strong>es Hauptzwecks <strong>von</strong> großer Wichtigkeit ist, so gehört sie doch nicht<br />

wesentlich zu demselben; weil die Hauptfrage immer bleibt, was und wieviel kann<br />

Verstand und <strong>Vernunft</strong>, frei <strong>von</strong> aller Erfahrung, erkennen und nicht, wie ist das Vermögen<br />

zu denken selbst möglich? Da das letztere gleichsam e<strong>in</strong>e Aufsuchung <strong>der</strong> Ursache zu<br />

e<strong>in</strong>er gegebenen Wirkung ist, und <strong>in</strong>sofern etwas e<strong>in</strong>er Hypothese Ähnliches an sich hat<br />

(ob es gleich, wie ich bei an<strong>der</strong>er Gelegenheit zeigen werde, sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat nicht so<br />

verhält), so sche<strong>in</strong>t es, als sei hier <strong>der</strong> Fall, da ich mir die Erlaubnis nehme, zu me<strong>in</strong>en,<br />

und dem Leser also auch freistehen müsse, an<strong>der</strong>s zu me<strong>in</strong>en. In Betracht dessen muß<br />

ich dem Leser mit <strong>der</strong> Er<strong>in</strong>nerung zuvorkommen: daß, im Fall me<strong>in</strong>e subjektive Deduktion<br />

nicht die ganze Überzeugung, die ich erwarte, bei ihm gewirkt hätte, doch die objektive,<br />

um die es mir hier vornehmlich zu tun ist, ihre ganze Stärke bekomme, wozu allenfalls<br />

dasjenige, was Seite 92 bis 93 2 gesagt wird, alle<strong>in</strong> h<strong>in</strong>reichend, se<strong>in</strong> kann.<br />

Was endlich die Deutlichkeit betrifft, so hat <strong>der</strong> Leser e<strong>in</strong> Recht, zuerst die diskursive<br />

(logische) Deutlichkeit, durch Begriffe, dann aber auch e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tuitive (ästhetische)<br />

Deutlichkeit, durch Anschauungen, d.i. Beispiele o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Erläuterungen, <strong>in</strong> concreto<br />

zu for<strong>der</strong>n. Für die erste habe ich h<strong>in</strong>reichend gesorgt. Das betraf das Wesen me<strong>in</strong>es<br />

Vorhabens, war aber auch die zufällige Ursache, daß ich <strong>der</strong> zweiten, obzwar nicht so<br />

5


strengen, aber doch billigen For<strong>der</strong>ung nicht habe Genüge leisten können. Ich b<strong>in</strong> fast<br />

beständig im Fortgange me<strong>in</strong>er Arbeit unschlüssig gewesen, wie ich es hiermit halten<br />

sollte. Beispiele und Erläuterungen schienen mir immer nötig und flossen daher auch<br />

wirklich im ersten Entwurfe an ihren Stellen gehörig e<strong>in</strong>. Ich sah aber die Größe me<strong>in</strong>er<br />

Aufgabe und die Menge <strong>der</strong> Gegenstände, womit ich es zu tun haben würde, gar bald e<strong>in</strong><br />

und, da ich gewahr ward, daß diese ganz alle<strong>in</strong>, im trockenen, bloß scholastischen<br />

Vortrage, das Werk schon genug ausdehnen würden, so fand ich es unratsam, es durch<br />

Beispiele und Erläuterungen, die nur <strong>in</strong> populärer Absicht notwendig s<strong>in</strong>d, noch mehr<br />

anzuschwellen, zumal diese Arbeit ke<strong>in</strong>eswegs dem populären Gebrauche angemessen<br />

werden könnte und die eigentlichen Kenner <strong>der</strong> Wissenschaft diese Erleichterung nicht so<br />

nötig haben, ob sie zwar je<strong>der</strong>zeit angenehm ist, hier aber sogar etwas Zweckwidriges<br />

nach sich ziehen konnte. Abt Terrasson sagt zwar: wenn man die Größe e<strong>in</strong>es Buchs nicht<br />

nach <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong> Blätter, son<strong>der</strong>n nach <strong>der</strong> Zeit mißt, die man nötig hat, es zu verstehen,<br />

so könne man <strong>von</strong> manchem Buche sagen: daß es viel kürzer se<strong>in</strong> würde, wenn es nicht<br />

so kurz wäre. An<strong>der</strong>erseits aber, wenn man auf die Faßlichkeit e<strong>in</strong>es weitläufigen,<br />

dennoch aber <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Pr<strong>in</strong>zip zusammenhängenden Ganzen spekulativer Erkenntnis<br />

se<strong>in</strong>e Absicht richtet, könnte man mit ebenso gutem Rechte sagen: manches Buch wäre<br />

viel deutlicher geworden, wenn es nicht so gar deutlich hätte werden sollen. Denn die<br />

Hilfsmittel <strong>der</strong> Deutlichkeit helfen zwar <strong>in</strong> Teilen, zerstreuen aber öfters im Ganzen, <strong>in</strong>dem<br />

sie den Leser nicht schnell genug zur Überschauung des Ganzen gelangen lassen und<br />

durch alle ihre hellen Farben gleichwohl die Artikulation, o<strong>der</strong> den Glie<strong>der</strong>bau des Systems<br />

verkleben und unkenntlich machen, auf den es doch, um über die E<strong>in</strong>heit und Tüchtigkeit<br />

desselben urteilen zu können, am meisten ankommt.<br />

Es kann, wie mich dünkt, dem Leser zu nicht ger<strong>in</strong>ger Anlockung dienen, se<strong>in</strong>e Bemühung<br />

mit <strong>der</strong> des Verfassers zu vere<strong>in</strong>igen, wenn er die Aussicht hat, e<strong>in</strong> großes und wichtiges<br />

Werk, nach dem vorgelegten Entwurfe, ganz und doch dauerhaft zu vollführen. Nun ist<br />

Metaphysik, nach den Begriffen, die wir hier da<strong>von</strong> geben werden, die e<strong>in</strong>zige aller<br />

Wissenschaften, die sich e<strong>in</strong>e solche Vollendung, und zwar <strong>in</strong> kurzer Zeit, und mit nur<br />

weniger, aber vere<strong>in</strong>igter Bemühung versprechen darf, so daß nichts für die<br />

Nachkommenschaft übrig bleibt, als <strong>in</strong> <strong>der</strong> didaktischen Manier alles nach ihren Absichten<br />

e<strong>in</strong>zurichten, ohne darum den Inhalt im m<strong>in</strong>desten vermehren zu können. Denn es ist<br />

nichts als das Inventarium aller unserer Besitze durch re<strong>in</strong>e <strong>Vernunft</strong>, systematisch<br />

geordnet. Es kann uns hier nichts entgehen, weil, was <strong>Vernunft</strong> gänzlich aus sich selbst<br />

hervorbr<strong>in</strong>gt, sich nicht verstecken kann, son<strong>der</strong>n selbst durch <strong>Vernunft</strong> ans Licht gebracht<br />

wird, sobald man nur das geme<strong>in</strong>schaftliche Pr<strong>in</strong>zip desselben entdeckt hat. Die<br />

vollkommene E<strong>in</strong>heit dieser Art Erkenntnisse, und zwar aus lauter <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Begriffen, ohne<br />

daß irgend etwas <strong>von</strong> Erfahrung, o<strong>der</strong> auch nur beson<strong>der</strong>e Anschauung, die zur<br />

bestimmten Erfahrung leiten sollte, auf sie e<strong>in</strong>igen E<strong>in</strong>fluß haben kann, sie zu erweitern<br />

und zu vermehren, machen diese unbed<strong>in</strong>gte Vollständigkeit nicht alle<strong>in</strong> tunlich, son<strong>der</strong>n<br />

auch notwendig. Tecum habita et noris, quam sit tibi curta supellex 3 . Persius.<br />

E<strong>in</strong> solches System <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> (spekulativen) <strong>Vernunft</strong> hoffe ich unter dem Titel:<br />

Metaphysik <strong>der</strong> Natur, selbst zu liefern, welches, bei noch nicht <strong>der</strong> Hälfte <strong>der</strong><br />

Weitläufigkeit, dennoch ungleich reicheren Inhalt haben soll, als hier die <strong>Kritik</strong>, die<br />

zuvör<strong>der</strong>st die Qellen und Bed<strong>in</strong>gungen ihrer Möglichkeit darlegen mußte, und e<strong>in</strong>en ganz<br />

verwachsenen Boden zu re<strong>in</strong>igen und zu ebenen nötig hatte. Hier erwarte ich an me<strong>in</strong>em<br />

Leser die Geduld und Unparteilichkeit e<strong>in</strong>es Richters, dort aber die Willfährigkeit und den<br />

Beistand e<strong>in</strong>es Mithelfers; denn, so vollständig auch alle Pr<strong>in</strong>zipien zu dem System <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Kritik</strong> vorgetragen s<strong>in</strong>d, so gehört zur Ausführlichkeit des Systems selbst doch noch, daß<br />

es auch an ke<strong>in</strong>en abgeleiteten Begriffen mangele, die man a priori nicht <strong>in</strong> Überschlag<br />

br<strong>in</strong>gen kann, son<strong>der</strong>n die nach und nach aufgesucht werden müssen, imgleichen, da dort<br />

6


die ganze Synthesis <strong>der</strong> Begriffe erschöpft wurde, so wird überdem hier gefor<strong>der</strong>t, daß<br />

eben dasselbe auch <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong> Analysis geschehe, welches alles leicht und mehr<br />

Unterhaltung als Arbeit ist.<br />

Ich habe nur noch e<strong>in</strong>iges <strong>in</strong> Ansehung des Drucks anzumerken. Da <strong>der</strong> Anfang desselben<br />

etwas verspätet war, so konnte ich nur etwa die Hälfte <strong>der</strong> Aushängebogen zu sehen<br />

bekommen, <strong>in</strong> denen ich zwar e<strong>in</strong>ige, den S<strong>in</strong>n aber nicht verwirrende, Druckfehler<br />

antreffe, außer demjenigen, <strong>der</strong> S. 379, Zeile 4 4 <strong>von</strong> unten vorkommt, da spezifisch<br />

anstatt skeptisch gelesen werden muß. Die Ant<strong>in</strong>omie <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong>, <strong>von</strong> Seite 425<br />

bis 461 5 , ist so, nach Art e<strong>in</strong>er Tafel, angestellt, daß alles, was zur Thesis gehört, auf <strong>der</strong><br />

l<strong>in</strong>ken, was aber zur Antithesis gehört, auf <strong>der</strong> rechten Seite immer fortläuft, welches ich<br />

darum so anordnete, damit Satz und Gegensatz desto leichter mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verglichen<br />

werden könnte.<br />

7


<strong>Kritik</strong> <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong> - 1781 -<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

______________________________________________________<br />

Zueignung......................................................................................................................2<br />

Vorrede...........................................................................................................................3<br />

E<strong>in</strong>leitung.......................................................................................................................9<br />

Erster Teil: Die transzendentale Ästhetik....................................................................15<br />

1. Abschnitt: Von dem Raume.................................................................................16<br />

2. Abschnitt: Von <strong>der</strong> Zeit........................................................................................19<br />

Zweiter Teil: Die transzendentale Logik.....................................................................26<br />

Erste Abteilung: Die transzendentale Analytik........................................................32<br />

Erstes Buch: Die Analytik <strong>der</strong> Begriffe...............................................................32<br />

1. Hauptstück: Von dem Leitfaden <strong>der</strong> Entdeckung aller <strong>re<strong>in</strong>en</strong><br />

Verstandesbegriffe...........................................................................................33<br />

1. Abschnitt: Von dem logischen Verstandesgebrauche überhaupt.............33<br />

2. Abschnitt: Von <strong>der</strong> logischen Funktion des Verstandes <strong>in</strong> Urteilen.........34<br />

3. Abschnitt: Von den <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandesbegriffen o<strong>der</strong> Kategorien............37<br />

2. Hauptstück: Von <strong>der</strong> Deduktion <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandesbegriffe..................40<br />

1. Abschnitt: Von den Pr<strong>in</strong>zipien e<strong>in</strong>er transzendentalen Deduktion<br />

überhaupt.....................................................................................................40<br />

2. Abschnitt: Von den Gründen a priori zur Möglichkeit <strong>der</strong> Erfahrung.....44<br />

3. Abschnitt: Von dem Verhältnisse des Verstandes zu Gegenständen<br />

überhaupt und <strong>der</strong> Möglichkeit diese a priori zu erkennen.........................51<br />

Zweites Buch: Die Analytik <strong>der</strong> Grundsätze.......................................................56<br />

1. Hauptstück: Von dem Schematismus <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandesbegriffe..........58<br />

2. Hauptstück: System aller Grundsätze des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes......................62<br />

1. Abschnitt: Von dem obersten Grundsatze aller analytischen Urteile......62<br />

2. Abschnitt: Von dem obersten Grundsatze aller synthetischen Urteile.....64<br />

3. Abschnitt: Systematische Vorstellung aller synthetischen Grundsätze...65<br />

3. Hauptstück: Von dem Grunde <strong>der</strong> Unterscheidung aller Gegenstände<br />

überhaupt <strong>in</strong> Phaenomena und Noumena........................................................93<br />

Zweite Abteilung: Die transzendentale Dialektik..................................................114<br />

Erstes Buch: Von den Begriffen <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong>........................................120<br />

1. Abschnitt: Von den Ideen überhaupt......................................................120<br />

2. Abschnitt: Von den transzendentalen Ideen...........................................123<br />

3. Abschnitt: System <strong>der</strong> transzendentalen Ideen......................................128<br />

Zweites Buch: Von den dialektischen Schlüssen <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong>...............130<br />

Anmerkungen............................................................................................................156<br />

Quellenangaben.........................................................................................................161<br />

H<strong>in</strong>weis 6)<br />

8


E<strong>in</strong>leitung<br />

I. Idee <strong>der</strong> Transzendental-Philosophie<br />

Erfahrung ist ohne Zweifel das erste Produkt, welches unser Verstand hervorbr<strong>in</strong>gt, <strong>in</strong>dem<br />

er den rohen Stoff s<strong>in</strong>nlicher Empf<strong>in</strong>dungen bearbeitet. Sie ist eben dadurch die erste<br />

Belehrung und im Fortgange so unerschöpflich an neuem Unterricht, daß das<br />

zusammengekettete Leben aller künftigen Zeugungen an neuen Kenntnissen, die auf<br />

diesem Boden gesammelt werden können, niemals Mangel haben wird. Gleichwohl ist sie<br />

bei weitem nicht das e<strong>in</strong>zige Feld, dar<strong>in</strong> sich unser Verstand e<strong>in</strong>schränken läßt. Sie sagt<br />

uns zwar, was da sei, aber nicht, daß es notwendigerweise, so und nicht an<strong>der</strong>s, se<strong>in</strong><br />

müsse. Eben darum gibt sie uns auch ke<strong>in</strong>e wahre Allgeme<strong>in</strong>heit, und die <strong>Vernunft</strong>, welche<br />

nach dieser Art <strong>von</strong> Erkenntnissen so begierig ist, wird durch sie mehr gereizt, als<br />

befriedigt. Solche allgeme<strong>in</strong>e Erkenntnisse nun, die zugleich den Charakter <strong>der</strong> <strong>in</strong>nern<br />

Notwendigkeit haben, müssen, <strong>von</strong> <strong>der</strong> Erfahrung unabhängig, vor sich selbst klar und<br />

gewiß se<strong>in</strong>; man nennt sie daher Erkenntnisse a priori: da im Gegenteil das, was lediglich<br />

<strong>von</strong> <strong>der</strong> Erfahrung erborgt ist, wie man sich ausdrückt, nur a posteriori, o<strong>der</strong> empirisch<br />

erkannt wird.<br />

Nun zeigt es sich, welches überaus merkwürdig ist, daß selbst unter unsere Erfahrungen<br />

sich Erkenntnisse mengen, die ihren Ursprung a priori haben müssen und die vielleicht nur<br />

dazu dienen, um unsern Vorstellungen <strong>der</strong> S<strong>in</strong>ne Zusammenhang zu verschaffen. Denn<br />

wenn man aus den ersteren auch alles wegschafft, was den S<strong>in</strong>nen angehört, so bleiben<br />

dennoch gewisse ursprüngliche Begriffe und aus ihnen erzeugte Urteile übrig, die gänzlich<br />

a priori, unabhängig <strong>von</strong> <strong>der</strong> Erfahrung entstanden se<strong>in</strong> müssen, weil sie machen, daß<br />

man <strong>von</strong> den Gegenständen, die den S<strong>in</strong>nen ersche<strong>in</strong>en, mehr sagen kann, wenigstens<br />

es sagen zu können glaubt, als bloße Erfahrung lehren würde, und daß Behauptungen<br />

wahre Allgeme<strong>in</strong>heit und strenge Notwendigkeit enthalten, <strong>der</strong>gleichen die bloß empirische<br />

Erkenntnis nicht liefern kann.<br />

Was aber noch weit mehr sagen will ist dieses, daß gewisse Erkenntnisse sogar das Feld<br />

aller möglichen Erfahrungen verlassen, und durch Begriffe, denen überall ke<strong>in</strong><br />

entsprechen<strong>der</strong> Gegenstand <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erfahrung gegeben werden kann, den Umfang unserer<br />

Urteile über alle Grenzen <strong>der</strong>selben zu erweitern den Ansche<strong>in</strong> haben.<br />

Und gerade <strong>in</strong> diesen letzteren Erkenntnissen, welche über die S<strong>in</strong>nenwelt h<strong>in</strong>ausgehen,<br />

wo Erfahrung gar ke<strong>in</strong>en Leitfaden noch Berichtigung geben kann, liegen die<br />

Nachforschungen unserer <strong>Vernunft</strong>, die wir <strong>der</strong> Wichtigkeit nach für weit vorzüglicher, und<br />

ihre Endabsicht für viel erhabener halten, als alles, was <strong>der</strong> Verstand im Felde <strong>der</strong><br />

Ersche<strong>in</strong>ungen lernen kann, wobei wir, sogar auf die Gefahr zu irren, eher alles wagen, als<br />

daß wir so angelegene Untersuchungen aus irgende<strong>in</strong>em Grunde <strong>der</strong> Bedenklichkeit, o<strong>der</strong><br />

aus Ger<strong>in</strong>gschätzung und Gleichgültigkeit aufgeben sollten.<br />

Nun sche<strong>in</strong>t es zwar natürlich, daß, sobald man den Boden <strong>der</strong> Erfahrung verlassen hat,<br />

man doch nicht mit Erkenntnissen, die man besitzt, ohne zu wissen woher, und auf den<br />

Kredit <strong>der</strong> Grundsätze, <strong>der</strong>en Ursprung man nicht kennt, sofort e<strong>in</strong> Gebäude errichten<br />

werde, ohne <strong>der</strong> Grundlegung desselben durch sorgfältige Untersuchungen vorher<br />

versichert zu se<strong>in</strong>, daß man also die Frage vorlängst werde aufgeworfen haben, wie denn<br />

<strong>der</strong> Verstand zu allen diesen Erkenntnissen a priori kommen könne, und welchen Umfang,<br />

Gültigkeit und Wert sie haben mögen. In <strong>der</strong> Tat ist auch nichts natürlicher, wenn man<br />

unter diesem Wort das versteht, was billiger- und vernünftigerweise geschehen sollte;<br />

versteht man aber darunter das, was gewöhnlichermaßen geschieht, so ist h<strong>in</strong>wie<strong>der</strong>um<br />

nichts natürlicher und begreiflicher, als daß diese Untersuchung lange Zeit unterbleiben<br />

9


mußte. Denn e<strong>in</strong> Teil dieser Erkenntnisse, die mathematischen, ist im alten Besitze <strong>der</strong><br />

Zuverlässigkeit, und gibt dadurch e<strong>in</strong>e günstige Erwartung auch für an<strong>der</strong>e, ob diese<br />

gleich <strong>von</strong> ganz verschiedener Natur se<strong>in</strong> mögen. Überdem, wenn man über den Kreis <strong>der</strong><br />

Erfahrung h<strong>in</strong>aus ist, so ist man sicher, durch Erfahrung nicht wi<strong>der</strong>sprochen zu werden.<br />

Der Reiz, se<strong>in</strong>e Erkenntnisse zu erweitern, ist so groß, daß man nur durch e<strong>in</strong>en klaren<br />

Wi<strong>der</strong>spruch, auf den man stößt, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Fortschritte aufgehalten werden kann. Dieser<br />

aber kann vermieden werden, wenn man se<strong>in</strong>e Erdichtungen behutsam macht, ohne daß<br />

sie deswegen weniger Erdichtungen bleiben. Die Mathematik gibt uns e<strong>in</strong> glänzendes<br />

Beispiel, wie weit wir es unabhängig <strong>von</strong> <strong>der</strong> Erfahrung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erkenntnis a priori br<strong>in</strong>gen<br />

können. Nun beschäftigt sie sich zwar mit Gegenständen und Erkenntnissen, bloß so weit<br />

als sich solche <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anschauung darstellen lassen. Aber dieser Umstand wird leicht<br />

übersehen, weil gedachte Anschauung selbst a priori gegeben werden kann, mith<strong>in</strong> <strong>von</strong><br />

e<strong>in</strong>em bloßen <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Begriff kaum unterschieden wird. Durch e<strong>in</strong>en solchen Beweis <strong>von</strong><br />

<strong>der</strong> Macht <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong> aufgemuntert, sieht <strong>der</strong> Trieb zur Erweiterung ke<strong>in</strong>e Grenzen. Die<br />

leichte Taube, <strong>in</strong>dem sie im freien Fluge die Luft teilt, <strong>der</strong>en Wi<strong>der</strong>stand sie fühlt, könnte<br />

die Vorstellung fassen, daß es ihr im luftleeren Raum noch viel besser gel<strong>in</strong>gen werde.<br />

Ebenso verließ Plato die S<strong>in</strong>nenwelt, weil sie dem Verstande so vielfältige H<strong>in</strong><strong>der</strong>nisse<br />

legt, und wagte sich jenseit <strong>der</strong>selben auf den Flügeln <strong>der</strong> Ideen, <strong>in</strong> den leeren Raum des<br />

<strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes. Er bemerkte nicht, daß er durch se<strong>in</strong>e Bemühungen ke<strong>in</strong>en Weg<br />

gewönne, denn er hatte ke<strong>in</strong>en Wi<strong>der</strong>halt, gleichsam zur Unterlage, worauf er sich steifen,<br />

und woran er se<strong>in</strong>e Kräfte anwenden konnte, um den Verstand <strong>von</strong> <strong>der</strong> Stelle zu br<strong>in</strong>gen.<br />

Es ist aber e<strong>in</strong> gewöhnliches Schicksal <strong>der</strong> menschlichen <strong>Vernunft</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Spekulation, ihr<br />

Gebäude so früh wie möglich fertigzumachen, und h<strong>in</strong>tennach allererst zu untersuchen, ob<br />

auch <strong>der</strong> Grund dazu gut gelegt sei. Alsdann aber werden allerlei Beschönigungen<br />

herbeigesucht, um uns wegen dessen Tüchtigkeit zu trösten, o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e solche späte und<br />

gefährliche Prüfung abzuweisen. Was uns aber während dem Bauen <strong>von</strong> aller Besorgnis<br />

und Verdacht freihält, und mit sche<strong>in</strong>barer Gründlichkeit schmeichelt, ist dieses. E<strong>in</strong> großer<br />

Teil, und vielleicht <strong>der</strong> größte, <strong>von</strong> dem Geschäfte unserer <strong>Vernunft</strong> besteht <strong>in</strong><br />

Zerglie<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Begriffe, die wir schon <strong>von</strong> Gegenständen haben. Dieses liefert uns<br />

e<strong>in</strong>e Menge <strong>von</strong> Erkenntnissen, die, ob sie gleich nichts weiter als Aufklärungen o<strong>der</strong><br />

Erläuterungen desjenigen s<strong>in</strong>d, was <strong>in</strong> unsern Begriffen (wiewohl noch auf verworrene Art)<br />

schon gedacht worden, doch wenigstens <strong>der</strong> Form nach neuen E<strong>in</strong>sichten gleich<br />

geschätzt werden, wiewohl sie <strong>der</strong> Materie o<strong>der</strong> dem Inhalte nach die Begriffe, die wir<br />

haben, nicht erweitern, son<strong>der</strong>n nur ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong> setzen. Da dieses Verfahren nun e<strong>in</strong>e<br />

wirkliche Erkenntnis a priori gibt, die e<strong>in</strong>en sichern und nützlichen Fortgang hat, so<br />

erschleicht die <strong>Vernunft</strong>, ohne es selbst zu merken, unter dieser Vorspiegelung<br />

Behauptungen <strong>von</strong> ganz an<strong>der</strong>er Art, wo die <strong>Vernunft</strong> zu gegebenen Begriffen a priori<br />

ganz fremde h<strong>in</strong>zutut, ohne daß man weiß, wie sie dazu gelange, und ohne sich diese<br />

Frage auch nur <strong>in</strong> die Gedanken kommen zu lassen. Ich will daher gleich anfangs <strong>von</strong><br />

dem Unterschiede dieser zweifachen Erkenntnisart handeln.<br />

Von dem Unterschiede analytischer und synthetischer Urteile<br />

In allen Urteilen, wor<strong>in</strong>nen das Verhältnis e<strong>in</strong>es Subjekts zum Prädikat gedacht wird (wenn<br />

ich nur die bejahenden erwäge: denn auf die verne<strong>in</strong>enden ist die Anwendung leicht) ist<br />

dieses Verhältnis auf zweierlei Art möglich. Entwe<strong>der</strong> das Prädikat B gehört zum Subjekt A<br />

als etwas, was <strong>in</strong> diesem Begriffe A (versteckterweise) enthalten ist; o<strong>der</strong> B liegt ganz<br />

außer dem Begriff A, ob es zwar mit demselben <strong>in</strong> Verknüpfung steht. Im ersten Fall nenne<br />

ich das Urteil analytisch, im an<strong>der</strong>n synthetisch. Analytische Urteile (die bejahenden) s<strong>in</strong>d<br />

also diejenigen, <strong>in</strong> welchen die Verknüpfung des Prädikats mit dem Subjekt durch Identität,<br />

10


diejenigen aber, <strong>in</strong> denen diese Verknüpfung ohne Identität gedacht wird, sollen<br />

synthetische Urteile heißen. Die ersteren könnte man auch Erläuterungs-, die an<strong>der</strong>en<br />

Erweiterungs-Urteile heißen, weil jene durch das Prädikat nichts zum Begriff des Subjekts<br />

h<strong>in</strong>zutun, son<strong>der</strong>n diesen nur durch Zerglie<strong>der</strong>ung <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Teilbegriffe zerfällen, die <strong>in</strong><br />

selbigem schon (obschon verworren), gedacht waren: dah<strong>in</strong>gegen die letzteren zu dem<br />

Begriffe des Subjekts e<strong>in</strong> Prädikat h<strong>in</strong>zutun, welches <strong>in</strong> jenem gar nicht gedacht war und<br />

durch ke<strong>in</strong>e Zerglie<strong>der</strong>ung desselben hätte können herausgezogen werden, z.B. wenn ich<br />

sage: alle Körper s<strong>in</strong>d ausgedehnt, so ist dies e<strong>in</strong> analytisch Urteil. Denn ich darf nicht aus<br />

dem Begriffe, den ich mit dem Wort Körper verb<strong>in</strong>de, h<strong>in</strong>ausgehen, um die Ausdehnung<br />

als mit demselben verknüpft zu f<strong>in</strong>den, son<strong>der</strong>n jenen Begriff nur zerglie<strong>der</strong>n, d.i. des<br />

Mannigfaltigen, welches ich je<strong>der</strong>zeit <strong>in</strong> ihm denke, nur bewußt werden, um dieses<br />

Prädikat dar<strong>in</strong> anzutreffen; es ist also e<strong>in</strong> analytisches Urteil. Dagegen, wenn ich sage: alle<br />

Körper s<strong>in</strong>d schwer, so ist das Prädikat etwas ganz an<strong>der</strong>es, als das, was ich <strong>in</strong> dem<br />

bloßen Begriff e<strong>in</strong>es Körpers überhaupt denke. Die H<strong>in</strong>zufügung e<strong>in</strong>es solchen Prädikats<br />

gibt also e<strong>in</strong> synthetisch Urteil.<br />

Nun ist hieraus klar:<br />

1. daß durch analytische Urteile unsere Erkenntnis gar nicht erweitert werde, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong><br />

Begriff, den ich schon habe, ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>gesetzt und mir selbst verständlich gemacht<br />

werde;<br />

2. daß bei synthetischen Urteilen ich außer dem Begriffe des Subjekts noch etwas<br />

an<strong>der</strong>es (X) haben müsse, worauf sich <strong>der</strong> Verstand stützt, um e<strong>in</strong> Prädikat, das <strong>in</strong> jenem<br />

Begriffe nicht liegt, doch als dazu gehörig zu erkennen.<br />

Bei empirischen o<strong>der</strong> Erfahrungsurteilen hat es hiermit gar ke<strong>in</strong>e Schwierigkeit. Denn<br />

dieses X ist die vollständige Erfahrung <strong>von</strong> dem Gegenstande, den ich durch e<strong>in</strong>en Begriff<br />

A denke, welcher nur e<strong>in</strong>en Teil dieser Erfahrung ausmacht. Denn ob ich schon <strong>in</strong> dem<br />

Begriff e<strong>in</strong>es Körpers überhaupt das Prädikat <strong>der</strong> Schwere gar nicht e<strong>in</strong>schließe, so<br />

bezeichnet er doch die vollständige Erfahrung durch e<strong>in</strong>en Teil <strong>der</strong>selben, zu welchem<br />

also ich noch an<strong>der</strong>e Teile eben <strong>der</strong>selben Erfahrung, als zu dem ersteren gehörig,<br />

h<strong>in</strong>zufügen kann. Ich kann den Begriff des Körpers vorher analytisch durch die Merkmale<br />

<strong>der</strong> Ausdehnung, <strong>der</strong> Undurchdr<strong>in</strong>glichkeit, <strong>der</strong> Gestalt usw., die alle <strong>in</strong> diesem Begriff<br />

gedacht werden, erkennen. Nun erweitere ich aber me<strong>in</strong>e Erkenntnis, und, <strong>in</strong>dem ich auf<br />

die Erfahrung zurücksehe, <strong>von</strong> welcher ich diesen Begriff des Körpers abgezogen hatte,<br />

so f<strong>in</strong>de ich mit obigen Merkmalen auch die Schwere je<strong>der</strong>zeit verknüpft. Es ist also die<br />

Erfahrung jenes X, was außer dem Begriffe A liegt, und worauf sich die Möglichkeit <strong>der</strong><br />

Synthesis des Prädikats <strong>der</strong> Schwere B mit dem Begriffe A gründet.<br />

Aber bei synthetischen Urteilen a priori fehlt dieses Hilfsmittel ganz und gar. Wenn ich<br />

außer dem Begriffe A h<strong>in</strong>ausgehen soll, um e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>n B, als damit verbunden zu<br />

erkennen, was ist das, worauf ich mich stütze und wodurch die Synthesis möglich wird, da<br />

ich hier den Vorteil nicht habe, mich im Felde <strong>der</strong> Erfahrung danach umzusehen? Man<br />

nehme den Satz: Alles, was geschieht, hat se<strong>in</strong>e Ursache. In dem Begriff <strong>von</strong> etwas, das<br />

geschieht, denke ich zwar e<strong>in</strong> Dase<strong>in</strong>, vor welchem e<strong>in</strong>e Zeit vorhergeht usw. und daraus<br />

lassen sich analytische Urteile ziehen. Aber <strong>der</strong> Begriff e<strong>in</strong>er Ursache zeigt etwas <strong>von</strong><br />

dem, was geschieht, Verschiedenes an, und ist <strong>in</strong> dieser letzteren Vorstellung gar nicht mit<br />

enthalten. Wie komme ich denn dazu, <strong>von</strong> dem, was überhaupt geschieht, etwas da<strong>von</strong><br />

ganz Verschiedenes zu sagen, und den Begriff <strong>der</strong> Ursache, obzwar <strong>in</strong> jenem nicht<br />

enthalten, dennoch, als dazu gehörig, zu erkennen? Was ist hier das X, worauf sich <strong>der</strong><br />

Verstand stützt, wenn er außer dem Begriff <strong>von</strong> A e<strong>in</strong> demselben fremdes Prädikat<br />

aufzuf<strong>in</strong>den glaubt, das gleichwohl damit verknüpft sei? Erfahrung kann es nicht se<strong>in</strong>, weil<br />

<strong>der</strong> angeführte Grundsatz nicht alle<strong>in</strong> mit größerer Allgeme<strong>in</strong>heit, als die Erfahrung<br />

verschaffen kann, son<strong>der</strong>n auch mit dem Ausdruck <strong>der</strong> Notwendigkeit, mith<strong>in</strong> gänzlich a<br />

11


priori und aus bloßen Begriffen diese zweite Vorstellung zu <strong>der</strong> ersteren h<strong>in</strong>zufügt. Nun<br />

beruht auf solchen synthetischen, d.i. Erweiterungs-Grundsätzen die ganze Endabsicht<br />

unserer spekulativen Erkenntnis a priori; denn die analytischen s<strong>in</strong>d zwar höchst wichtig<br />

und nötig, aber nur um zu <strong>der</strong>jenigen Deutlichkeit <strong>der</strong> Begriffe zu gelangen, die zu e<strong>in</strong>er<br />

sicheren und ausgebreiteten Synthesis, als zu e<strong>in</strong>em wirklich neuen Anbau erfor<strong>der</strong>lich ist.<br />

Es liegt also hier e<strong>in</strong> gewisses Geheimnis verborgen [ 2], dessen Aufschluß alle<strong>in</strong> den<br />

Fortschritt <strong>in</strong> dem grenzenlosen Felde <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandeserkenntnis sicher und<br />

zuverlässig machen kann: nämlich mit gehöriger Allgeme<strong>in</strong>heit den Grund <strong>der</strong> Möglichkeit<br />

synthetischer Urteile a priori aufzudecken, die Bed<strong>in</strong>gungen, die e<strong>in</strong>e jede Art <strong>der</strong>selben<br />

möglich machen, e<strong>in</strong>zusehen, und diese ganze Erkenntnis (die ihre eigene Gattung<br />

ausmacht) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em System nach ihren ursprünglichen Quellen, Abteilungen, Umfang und<br />

Grenzen, nicht durch e<strong>in</strong>en flüchtigen Umkreis zu bezeichnen, son<strong>der</strong>n vollständig und zu<br />

jedem Gebrauch h<strong>in</strong>reichend zu bestimmen. Soviel vorläufig <strong>von</strong> dem Eigentümlichen,<br />

was die synthetischen Urteile an sich haben.<br />

Aus diesem allen ergibt sich nun die Idee e<strong>in</strong>er beson<strong>der</strong>n Wissenschaft, die zur <strong>Kritik</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong> dienen könne. Es heißt aber jede Erkenntnis re<strong>in</strong>, die mit nichts<br />

Fremdartigem vermischt ist. Beson<strong>der</strong>s aber wird e<strong>in</strong>e Erkenntnis schlechth<strong>in</strong> re<strong>in</strong><br />

genannt, <strong>in</strong> die sich überhaupt ke<strong>in</strong>e Erfahrung o<strong>der</strong> Empf<strong>in</strong>dung e<strong>in</strong>mischt, welche mith<strong>in</strong><br />

völlig a priori möglich ist. Nun ist <strong>Vernunft</strong> das Vermögen, welches die Pr<strong>in</strong>zipien <strong>der</strong><br />

Erkenntnis a priori an die Hand gibt. Daher ist re<strong>in</strong>e <strong>Vernunft</strong> diejenige, welche die<br />

Pr<strong>in</strong>zipien etwas schlechth<strong>in</strong> a priori zu erkennen, enthält. E<strong>in</strong> Organon <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong><br />

<strong>Vernunft</strong> würde e<strong>in</strong> Inbegriff <strong>der</strong>jenigen Pr<strong>in</strong>zipien se<strong>in</strong>, nach denen alle <strong>re<strong>in</strong>en</strong><br />

Erkenntnisse a priori können erworben und wirklich zustande gebracht werden. Die<br />

ausführliche Anwendung e<strong>in</strong>es solchen Organon würde e<strong>in</strong> System <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong><br />

verschaffen. Da dieses aber sehr viel verlangt ist, und es noch dah<strong>in</strong> steht, ob auch<br />

überhaupt e<strong>in</strong>e solche Erweiterung unserer Erkenntnis, und <strong>in</strong> welchen Fällen sie möglich<br />

sei; so können wir e<strong>in</strong>e Wissenschaft <strong>der</strong> bloßen Beurteilung <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong>, ihrer<br />

Quellen und Grenzen, als die Propädeutik zum System <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong> ansehen. E<strong>in</strong>e<br />

solche würde nicht e<strong>in</strong>e Doktr<strong>in</strong>, son<strong>der</strong>n nur <strong>Kritik</strong> <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong> heißen müssen,<br />

und ihr Nutzen würde wirklich nur negativ se<strong>in</strong>, nicht zur Erweiterung, son<strong>der</strong>n nur zur<br />

Läuterung unserer <strong>Vernunft</strong> dienen, und sie <strong>von</strong> Irrtümern frei halten, welches schon sehr<br />

viel gewonnen ist. Ich nenne alle Erkenntnis transzendental, die sich nicht sowohl mit<br />

Gegenständen, son<strong>der</strong>n mit unseren Begriffen a priori <strong>von</strong> Gegenständen überhaupt<br />

beschäftigt. E<strong>in</strong> System solcher Begriffe würde Transzendental-Philosophie heißen. Diese<br />

ist aber wie<strong>der</strong>um für den Anfang zu viel. Denn weil e<strong>in</strong>e solche Wissenschaft sowohl die<br />

analytische Erkenntnis, als die synthetische a priori vollständig enthalten müßte, so ist sie,<br />

<strong>in</strong>sofern es unsere Absicht betrifft, <strong>von</strong> zu weitem Umfange, <strong>in</strong>dem wir die Analysis nur so<br />

weit treiben dürfen, als sie unentbehrlich nötig ist, um die Pr<strong>in</strong>zipien <strong>der</strong> Synthesis a priori,<br />

als warum es uns nur zu tun ist, <strong>in</strong> ihrem ganzen Umfange e<strong>in</strong>zusehen. Diese<br />

Untersuchung, die wir eigentlich nicht Doktr<strong>in</strong>, son<strong>der</strong>n nur transzendentale <strong>Kritik</strong> nennen<br />

können, weil sie nicht die Erweiterung <strong>der</strong> Erkenntnisse selbst, son<strong>der</strong>n nur die<br />

Berichtigung <strong>der</strong>selben zur Absicht hat und den Probierste<strong>in</strong> des Werts o<strong>der</strong> Unwerts aller<br />

Erkenntnisse a priori abgeben soll, ist das, womit wir uns jetzt beschäftigen. E<strong>in</strong>e solche<br />

<strong>Kritik</strong> ist demnach e<strong>in</strong>e Vorbereitung, wo möglich, zu e<strong>in</strong>em Organon, und, wenn dieses<br />

nicht gel<strong>in</strong>gen sollte, wenigstens zu e<strong>in</strong>em Kanon <strong>der</strong>selben, nach welchen allenfalls<br />

<strong>der</strong>e<strong>in</strong>st das vollständige System <strong>der</strong> Philosophie <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong>, es mag nun <strong>in</strong><br />

Erweiterung o<strong>der</strong> bloßer Begrenzung ihrer Erkenntnis bestehen, sowohl analytisch, als<br />

synthetisch dargestellt werden könnte. Denn daß dieses möglich sei, ja daß e<strong>in</strong> solches<br />

System <strong>von</strong> nicht gar großem Umfange se<strong>in</strong> könne, um zu hoffen, es ganz zu vollenden,<br />

12


läßt sich schon zum voraus daraus ermessen, daß hier nicht die Natur <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge, welche<br />

unerschöpflich ist, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Verstand, <strong>der</strong> über die Natur <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge urteilt, und auch<br />

dieser wie<strong>der</strong>um nur <strong>in</strong> Ansehung se<strong>in</strong>er Erkenntnis a priori den Gegenstand ausmacht,<br />

dessen Vorrat, weil wir ihn doch nicht auswärtig suchen dürfen, uns nicht verborgen<br />

bleiben kann, und allem Vermuten nach kle<strong>in</strong> genug ist, um vollständig aufgenommen,<br />

nach se<strong>in</strong>em Werte o<strong>der</strong> Unwerte beurteilt und unter richtige Schätzung gebracht zu<br />

werden.<br />

II. E<strong>in</strong>teilung <strong>der</strong> Transzendental-Philosophie<br />

Die Transzendental-Philosophie ist hier nur e<strong>in</strong>e Idee, wozu die <strong>Kritik</strong> <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong><br />

den ganzen Plan architektonisch, d.i. aus Pr<strong>in</strong>zipien entwerfen soll, mit völliger<br />

Gewährleistung <strong>der</strong> Vollständigkeit und Sicherheit aller Stücke, die dieses Gebäude<br />

ausmacht. Daß diese <strong>Kritik</strong> nicht schon selbst Transzendental-Philosophie heißt, beruht<br />

lediglich darauf, daß sie, um e<strong>in</strong> vollständiges System zu se<strong>in</strong>, auch e<strong>in</strong>e ausführliche<br />

Analysis <strong>der</strong> ganzen menschlichen Erkenntnis a priori enthalten müßte. Nun muß zwar<br />

unsere <strong>Kritik</strong> allerd<strong>in</strong>gs auch e<strong>in</strong>e vollständige Herzählung aller Stammbegriffe, welche die<br />

gedachte re<strong>in</strong>e Erkenntnis ausmachen, vor Augen legen. Alle<strong>in</strong> <strong>der</strong> ausführlichen Analysis<br />

dieser Begriffe selbst, wie auch <strong>der</strong> vollständigen Rezension <strong>der</strong> daraus abgeleiteten,<br />

enthält sie sich billig, teils weil diese Zerglie<strong>der</strong>ung nicht zweckmäßig wäre, <strong>in</strong>dem sie die<br />

Bedenklichkeit nicht hat, welche bei <strong>der</strong> Synthesis angetroffen wird, um <strong>der</strong>entwillen<br />

eigentlich die ganze <strong>Kritik</strong> da ist, teils, weil es <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit des Planes zuwi<strong>der</strong> wäre, sich<br />

mit <strong>der</strong> Verantwortung <strong>der</strong> Vollständigkeit e<strong>in</strong>er solchen Analysis und Ableitung zu<br />

befassen, <strong>der</strong>en man <strong>in</strong> Ansehung se<strong>in</strong>er Absicht doch überhoben se<strong>in</strong> konnte. Diese<br />

Vollständigkeit <strong>der</strong> Zerglie<strong>der</strong>ung sowohl als <strong>der</strong> Ableitung aus den künftig zu liefernden<br />

Begriffen a priori, ist <strong>in</strong>dessen leicht zu ergänzen, wenn sie nur allererst als ausführliche<br />

Pr<strong>in</strong>zipien <strong>der</strong> Synthesis da s<strong>in</strong>d, und ihnen <strong>in</strong> Ansehung dieser wesentlichen Absicht<br />

nichts ermangelt.<br />

Zur <strong>Kritik</strong> <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong> gehört demnach alles, was die Transzendental-Philosophie<br />

ausmacht, und sie ist die vollständige Idee <strong>der</strong> Transzendental-Philosophie, aber diese<br />

Wissenschaft noch nicht selbst, weil sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Analysis nur so weit geht, als es zur<br />

vollständigen Beurteilung <strong>der</strong> synthetischen Erkenntnis a priori erfor<strong>der</strong>lich ist.<br />

Das vornehmste Augenmerk bei <strong>der</strong> E<strong>in</strong>teilung e<strong>in</strong>er solchen Wissenschaft ist: daß gar<br />

ke<strong>in</strong>e Begriffe h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>kommen müssen, die irgend etwas Empirisches <strong>in</strong> sich enthalten,<br />

o<strong>der</strong> daß die Erkenntnis a priori völlig re<strong>in</strong> sei. Daher, obzwar die obersten Grundsätze <strong>der</strong><br />

Moralität, und die Grundbegriffe <strong>der</strong>selben, Erkenntnisse a priori s<strong>in</strong>d, so gehören sie doch<br />

nicht <strong>in</strong> die Transzendental-Philosophie, weil die Begriffe <strong>der</strong> Lust und Unlust, <strong>der</strong><br />

Begierden und Neigungen, <strong>der</strong> Willkür usw., die <strong>in</strong>sgesamt empirischen Ursprunges s<strong>in</strong>d,<br />

dabei vorausgesetzt werden müßten. Daher ist die Transzendental-Philosophie e<strong>in</strong>e<br />

Weltweisheit <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> bloß spekulativen <strong>Vernunft</strong>. Denn alles Praktische, sofern es<br />

Bewegungsgründe enthält, bezieht sich auf Gefühle, welche zu empirischen<br />

Erkenntnisquellen gehören.<br />

Wenn man nun die E<strong>in</strong>teilung dieser Wissenschaft aus dem allgeme<strong>in</strong>en Gesichtspunkte<br />

e<strong>in</strong>es Systems überhaupt anstellen will, so muß die, welche wir jetzt vortragen, erstlich<br />

e<strong>in</strong>e Elementar-Lehre, zweitens e<strong>in</strong>e Methoden-Lehre <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong> enthalten. Je<strong>der</strong><br />

dieser Hauptteile würde se<strong>in</strong>e Unterabteilung haben, <strong>der</strong>en Gründe sich gleichwohl hier<br />

noch nicht vortragen lassen. Nur so viel sche<strong>in</strong>t zur E<strong>in</strong>leitung o<strong>der</strong> Vorer<strong>in</strong>nerung nötig zu<br />

se<strong>in</strong>, daß es zwei Stämme <strong>der</strong> menschlichen Erkenntnis gebe, die vielleicht aus e<strong>in</strong>er<br />

geme<strong>in</strong>schaftlichen, aber uns unbekannten Wurzel entspr<strong>in</strong>gen, nämlich, S<strong>in</strong>nlichkeit und<br />

13


Verstand, durch <strong>der</strong>en ersteren uns Gegenstände gegeben, durch den zweiten aber<br />

gedacht werden. Sofern nun die S<strong>in</strong>nlichkeit Vorstellungen a priori enthalten sollte, welche<br />

die Bed<strong>in</strong>gungen ausmachen, unter <strong>der</strong> uns Gegenstände gegeben werden, so würde sie<br />

zur Transzendental-Philosophie gehören. Die transzendentale S<strong>in</strong>nenlehre würde zum<br />

ersten Teile <strong>der</strong> Elementarwissenschaft gehören müssen, weil die Bed<strong>in</strong>gungen, worunter<br />

alle<strong>in</strong> die Gegenstände <strong>der</strong> menschlichen Erkenntnis gegeben werden, denjenigen<br />

vorgehen, unter welchen selbige gedacht werden.<br />

14


Erster Teil: Die transzendentale Ästhetik<br />

Auf welche Art und durch welche Mittel sich auch immer e<strong>in</strong>e Erkenntnis auf Gegenstände<br />

beziehen mag, so ist doch diejenige, wodurch sie sich auf dieselbe unmittelbar bezieht,<br />

und worauf alles Denken als Mittel abzweckt, die Anschauung. Diese f<strong>in</strong>det aber nur statt,<br />

sofern uns <strong>der</strong> Gegenstand gegeben wird; dieses aber ist wie<strong>der</strong>um nur dadurch möglich,<br />

daß er das Gemüt auf gewisse Weise affiziere. Die Fähigkeit (Rezeptivität), Vorstellungen<br />

durch die Art, wie wir <strong>von</strong> Gegenständen affiziert werden, zu bekommen, heißt<br />

S<strong>in</strong>nlichkeit. Vermittels <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit also werden uns Gegenstände gegeben, und sie<br />

alle<strong>in</strong> liefert uns Anschauungen; durch den Verstand aber werden sie gedacht, und <strong>von</strong><br />

ihm entspr<strong>in</strong>gen Begriffe. Alles Denken aber muß sich, es sei geradezu (direkte) o<strong>der</strong> im<br />

Umschweife (<strong>in</strong>direkte) zuletzt auf Anschauungen, mith<strong>in</strong>, bei uns, auf S<strong>in</strong>nlichkeit<br />

beziehen, weil uns auf an<strong>der</strong>e Weise ke<strong>in</strong> Gegenstand gegeben werden kann.<br />

Die Wirkung e<strong>in</strong>es Gegenstandes auf die Vorstellungsfähigkeit, sofern wir <strong>von</strong> demselben<br />

affiziert werden, ist Empf<strong>in</strong>dung. Diejenige Anschauung, welche sich auf den Gegenstand<br />

durch Empf<strong>in</strong>dung bezieht, heißt empirisch. Der unbestimmte Gegenstand e<strong>in</strong>er<br />

empirischen Anschauung heißt Ersche<strong>in</strong>ung.<br />

In <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung nenne ich das, was <strong>der</strong> Empf<strong>in</strong>dung korrespondiert, die Materie<br />

<strong>der</strong>selben, dasjenige aber, welches macht, daß das Mannigfaltige <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung <strong>in</strong><br />

gewissen Verhältnissen geordnet, angeschaut wird, nenne ich die Form <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung.<br />

Da das, wor<strong>in</strong>nen sich die Empf<strong>in</strong>dungen alle<strong>in</strong> ordnen und <strong>in</strong> gewisse Form gestellt<br />

werden können, nicht selbst wie<strong>der</strong>um Empf<strong>in</strong>dung se<strong>in</strong> kann, so ist uns zwar die Materie<br />

aller Ersche<strong>in</strong>ung nur a posteriori gegeben, die Form <strong>der</strong>selben aber muß zu ihnen<br />

<strong>in</strong>sgesamt im Gemüte a priori bereitliegen und daher abgeson<strong>der</strong>t <strong>von</strong> aller Empf<strong>in</strong>dung<br />

können betrachtet werden.<br />

Ich nenne alle Vorstellungen re<strong>in</strong> (im transzendentalen Verstande), <strong>in</strong> denen nichts, was<br />

zur Empf<strong>in</strong>dung gehört, angetroffen wird. Demnach wird die re<strong>in</strong>e Form s<strong>in</strong>nlicher<br />

Anschauungen überhaupt im Gemüte a priori angetroffen werden, wor<strong>in</strong>nen alles<br />

Mannigfaltige <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen <strong>in</strong> gewissen Verhältnissen angeschaut wird. Diese re<strong>in</strong>e<br />

Form <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit wird auch selber re<strong>in</strong>e Anschauung heißen. So, wenn ich <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />

Vorstellung e<strong>in</strong>es Körpers das, was <strong>der</strong> Verstand da<strong>von</strong> denkt, als Substanz, Kraft,<br />

Teilbarkeit usw., imgleichen, was da<strong>von</strong> zur Empf<strong>in</strong>dung gehört, als Undurchdr<strong>in</strong>glichkeit,<br />

Härte, Farbe usw. abson<strong>der</strong>e, so bleibt mir aus dieser empirischen Anschauung noch<br />

etwas übrig, nämlich Ausdehnung und Gestalt. Diese gehören zur <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Anschauung, die<br />

a priori, auch ohne e<strong>in</strong>en wirklichen Gegenstand <strong>der</strong> S<strong>in</strong>ne o<strong>der</strong> Empf<strong>in</strong>dung als e<strong>in</strong>e<br />

bloße Form <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit im Gemüte stattf<strong>in</strong>det.<br />

E<strong>in</strong>e Wissenschaft <strong>von</strong> allen Pr<strong>in</strong>zipien <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit a priori nenne ich die<br />

transzendentale Ästhetik [ 3]. Es muß also e<strong>in</strong>e solche Wissenschaft geben, die den<br />

ersten Teil <strong>der</strong> transzendentalen Elementarlehre ausmacht, im Gegensatz mit <strong>der</strong>jenigen,<br />

welche die Pr<strong>in</strong>zipien des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Denkens enthält, und transzendentale Logik genannt<br />

wird.<br />

In <strong>der</strong> transzendentalen Ästhetik also werden wir zuerst die S<strong>in</strong>nlichkeit isolieren, dadurch,<br />

daß wir alles abson<strong>der</strong>n, was <strong>der</strong> Verstand durch se<strong>in</strong>e Begriffe dabei denkt, damit nichts<br />

als empirische Anschauung übrig bleibe. Zweitens werden wir <strong>von</strong> dieser noch alles, was<br />

zur Empf<strong>in</strong>dung gehört, abtrennen, damit nichts als re<strong>in</strong>e Anschauung und die bloße Form<br />

<strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen übrig bleibe, welches das e<strong>in</strong>zige ist, das die S<strong>in</strong>nlichkeit a priori liefern<br />

kann. Bei dieser Untersuchung wird sich f<strong>in</strong>den, daß es zwei re<strong>in</strong>e Formen s<strong>in</strong>nlicher<br />

Anschauung, als Pr<strong>in</strong>zipien <strong>der</strong> Erkenntnis a priori gebe, nämlich Raum und Zeit, mit<br />

<strong>der</strong>en Erwägung wir uns jetzt beschäftigen werden.<br />

15


1. Abschnitt: Von dem Raume<br />

Vermittels des äußeren S<strong>in</strong>nes (e<strong>in</strong>er Eigenschaft unseres Gemüts), stellen wir uns<br />

Gegenstände als außer uns und diese <strong>in</strong>sgesamt im Raume vor. Dar<strong>in</strong>nen ist ihre Gestalt,<br />

Größe und Verhältnis gegene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> bestimmt, o<strong>der</strong> bestimmbar. Der <strong>in</strong>nere S<strong>in</strong>n,<br />

vermittels dessen das Gemüt sich selbst, o<strong>der</strong> se<strong>in</strong>en <strong>in</strong>neren Zustand anschaut, gibt zwar<br />

ke<strong>in</strong>e Anschauung <strong>von</strong> <strong>der</strong> Seele selbst, als e<strong>in</strong>em Objekt; alle<strong>in</strong> es ist doch e<strong>in</strong>e<br />

bestimmte Form, unter <strong>der</strong> die Anschauung ihres <strong>in</strong>neren Zustandes alle<strong>in</strong> möglich ist, so,<br />

daß alles, was zu den <strong>in</strong>neren Bestimmungen gehört, <strong>in</strong> Verhältnissen <strong>der</strong> Zeit vorgestellt<br />

wird. Äußerlich kann die Zeit nicht angeschaut werden, so wenig wie <strong>der</strong> Raum, als etwas<br />

<strong>in</strong> uns. Was s<strong>in</strong>d nun Raum und Zeit? S<strong>in</strong>d es wirkliche Wesen? S<strong>in</strong>d es zwar nur<br />

Bestimmungen o<strong>der</strong> auch Verhältnisse <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge, aber doch solche, welche ihnen auch an<br />

sich zukommen würden, wenn sie auch nicht angeschaut würden, o<strong>der</strong> s<strong>in</strong>d sie solche, die<br />

nur an <strong>der</strong> Form <strong>der</strong> Anschauung alle<strong>in</strong> haften und mith<strong>in</strong> an <strong>der</strong> subjektiven<br />

Beschaffenheit unseres Gemüts, ohne welche diese Prädikate gar ke<strong>in</strong>em D<strong>in</strong>ge beigelegt<br />

werden können? Um uns hierüber zu belehren, wollen wir zuerst den Raum betrachten.<br />

1. Der Raum ist ke<strong>in</strong> empirischer Begriff, <strong>der</strong> <strong>von</strong> äußeren Erfahrungen abgezogen<br />

worden. Denn damit gewisse Empf<strong>in</strong>dungen auf etwas außer mir bezogen werden (d.i. auf<br />

etwas <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en Orte des Raumes, als dar<strong>in</strong>nen ich mich bef<strong>in</strong>de), imgleichen<br />

damit ich sie als außere<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, mith<strong>in</strong> nicht bloß verschieden, son<strong>der</strong>n als <strong>in</strong><br />

verschiedenen Orten vorstellen könne, dazu muß die Vorstellung des Raumes schon<br />

zugrunde liegen. Demnach kann die Vorstellung des Raumes nicht aus den Verhältnissen<br />

<strong>der</strong> äußeren Ersche<strong>in</strong>ung durch Erfahrung erborgt se<strong>in</strong>, son<strong>der</strong>n diese äußere Erfahrung<br />

ist selbst nur durch gedachte Vorstellung allererst möglich.<br />

2. Der Raum ist e<strong>in</strong>e notwendige Vorstellung a priori, die allen äußeren Anschauungen<br />

zugrunde liegt. Man kann sich niemals e<strong>in</strong>e Vorstellung da<strong>von</strong> machen, daß ke<strong>in</strong> Raum<br />

sei, ob man sich gleich ganz wohl denken kann, daß ke<strong>in</strong>e Gegenstände dar<strong>in</strong> angetroffen<br />

werden. Er wird also als die Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen, und nicht als<br />

e<strong>in</strong>e <strong>von</strong> ihnen abhängende Bestimmung angesehen, und ist e<strong>in</strong>e Vorstellung a priori, die<br />

notwendigerweise äußeren Ersche<strong>in</strong>ungen zugrunde liegt.<br />

3. Auf diese Notwendigkeit a priori gründet sich die apodiktische Gewißheit aller<br />

geometrischen Grundsätze und die Möglichkeit ihrer Konstruktionen a priori. Wäre nämlich<br />

diese Vorstellung des Raumes e<strong>in</strong> a posteriori erworbener Begriff, <strong>der</strong> aus <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en<br />

äußeren Erfahrung geschöpft wäre, so würden die ersten Grundsätze <strong>der</strong> mathematischen<br />

Bestimmung nichts als Wahrnehmungen se<strong>in</strong>. Sie hätten also alle Zufälligkeit <strong>der</strong><br />

Wahrnehmung, und es wäre eben nicht notwendig, daß zwischen zwei Punkten nur e<strong>in</strong>e<br />

gerade L<strong>in</strong>ie sei, son<strong>der</strong>n die Erfahrung würde es so je<strong>der</strong>zeit lehren. Was <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />

Erfahrung entlehnt ist, hat auch nur komparative Allgeme<strong>in</strong>heit, nämlich durch Induktion.<br />

Man würde also nur sagen können, so viel zur Zeit noch bemerkt worden, ist ke<strong>in</strong> Raum<br />

gefunden worden, <strong>der</strong> mehr als drei Abmessungen hätte.<br />

4. Der Raum ist ke<strong>in</strong> diskursiver o<strong>der</strong>, wie man sagt, allgeme<strong>in</strong>er Begriff <strong>von</strong> Verhältnissen<br />

<strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge überhaupt, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e Anschauung. Denn erstlich kann man sich nur<br />

e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>igen Raum vorstellen, und wenn man <strong>von</strong> vielen Räumen redet, so versteht man<br />

darunter nur Teile e<strong>in</strong>es und desselben alle<strong>in</strong>igen Raumes. Diese Teile können auch nicht<br />

vor dem e<strong>in</strong>igen allbefassenden Raume gleichsam als dessen Bestandteile (daraus se<strong>in</strong>e<br />

16


Zusammensetzung möglich sei) vorhergehen, son<strong>der</strong>n nur <strong>in</strong> ihm gedacht werden. Er ist<br />

wesentlich e<strong>in</strong>ig, das Mannigfaltige <strong>in</strong> ihm, mith<strong>in</strong> auch <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>e Begriff <strong>von</strong> Räumen<br />

überhaupt beruht lediglich auf E<strong>in</strong>schränkungen. Hieraus folgt, daß <strong>in</strong> Ansehung se<strong>in</strong>er<br />

e<strong>in</strong>e Anschauung a priori (die nicht empirisch ist), allen Begriffen <strong>von</strong> denselben zugrunde<br />

liege. So werden auch alle geometrischen Grundsätze, z.E. daß <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Triangel zwei<br />

Seiten zusammen größer s<strong>in</strong>d, als die dritte, niemals aus allgeme<strong>in</strong>en Begriffen <strong>von</strong> L<strong>in</strong>ie<br />

und Triangel, son<strong>der</strong>n aus <strong>der</strong> Anschauung und zwar a priori mit apodiktischer Gewißheit<br />

abgeleitet.<br />

5. Der Raum wird als e<strong>in</strong>e unendliche Größe gegeben vorgestellt. E<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>er Begriff<br />

vom Raum (<strong>der</strong> sowohl <strong>in</strong> dem Fuße, als e<strong>in</strong>er Elle geme<strong>in</strong> ist) kann <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong><br />

Größe nichts bestimmen. Wäre es nicht die Grenzenlosigkeit im Fortgange <strong>der</strong><br />

Anschauung, so würde ke<strong>in</strong> Begriff <strong>von</strong> Verhältnissen e<strong>in</strong> Pr<strong>in</strong>zipium <strong>der</strong> Unendlichkeit<br />

<strong>der</strong>selben bei sich führen.<br />

Schlüsse aus obigen Begriffen<br />

a) Der Raum stellt gar ke<strong>in</strong>e Eigenschaft irgend e<strong>in</strong>iger D<strong>in</strong>ge an sich, o<strong>der</strong> sie <strong>in</strong> ihrem<br />

Verhältnis aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong> vor, d.i. ke<strong>in</strong>e Bestimmung <strong>der</strong>selben, die an Gegenständen selbst<br />

haftete, und welche bliebe, wenn man auch <strong>von</strong> allen subjektiven Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong><br />

Anschauung abstrahierte. Denn we<strong>der</strong> absolute, noch relative Bestimmungen können vor<br />

dem Dase<strong>in</strong> <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge, welchen sie zukommen, mith<strong>in</strong> nicht a priori angeschaut werden.<br />

b) Der Raum ist nichts an<strong>der</strong>es, als nur die Form aller Ersche<strong>in</strong>ungen äußerer S<strong>in</strong>ne, d.i.<br />

die subjektive Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit, unter <strong>der</strong> alle<strong>in</strong> uns äußere Anschauung<br />

möglich ist. Weil nun die Rezeptivität des Subjekts, <strong>von</strong> Gegenständen affiziert zu werden,<br />

notwendigerweise vor allen Anschauungen dieser Objekte vorhergeht, so läßt sich<br />

verstehen, wie die Form aller Ersche<strong>in</strong>ungen vor allen wirklichen Wahrnehmungen, mith<strong>in</strong><br />

a priori im Gemüte gegeben se<strong>in</strong> könne, und wie sie als e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e Anschauung, <strong>in</strong> <strong>der</strong> alle<br />

Gegenstände bestimmt werden müssen, Pr<strong>in</strong>zipien <strong>der</strong> Verhältnisse <strong>der</strong>selben vor aller<br />

Erfahrung enthalten könne.<br />

Wir können demnach nur aus dem Standpunkte e<strong>in</strong>es Menschen vom Raum, <strong>von</strong><br />

ausgedehnten Wesen usw. reden. Gehen wir <strong>von</strong> <strong>der</strong> subjektiven Bed<strong>in</strong>gung ab, unter<br />

welcher wir alle<strong>in</strong> äußere Anschauung bekommen können, so wie wir nämlich <strong>von</strong> den<br />

Gegenständen affiziert werden mögen, so bedeutet die Vorstellung vom Raume gar nichts.<br />

Dieses Prädikat wird den D<strong>in</strong>gen nur <strong>in</strong>sofern beigelegt, als sie uns ersche<strong>in</strong>en, d.i.<br />

Gegenstände <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit s<strong>in</strong>d. Die beständige Form dieser Rezeptivität, welche wir<br />

S<strong>in</strong>nlichkeit nennen, ist e<strong>in</strong>e notwendige Bed<strong>in</strong>gung aller Verhältnisse, dar<strong>in</strong>nen<br />

Gegenstände als außer uns angeschaut werden, und, wenn man <strong>von</strong> diesen<br />

Gegenständen abstrahiert, e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e Anschauung, welche den Namen Raum führt. Weil<br />

wir die beson<strong>der</strong>en Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit nicht zu Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Möglichkeit<br />

<strong>der</strong> Sachen, son<strong>der</strong>n nur ihrer Ersche<strong>in</strong>ungen machen können, so können wir wohl sagen,<br />

daß <strong>der</strong> Raum alle D<strong>in</strong>ge befasse, die uns äußerlich ersche<strong>in</strong>en mögen, aber nicht alle<br />

D<strong>in</strong>ge an sich selbst, sie mögen nun angeschaut werden o<strong>der</strong> nicht, o<strong>der</strong> auch <strong>von</strong><br />

welchem Subjekt man wolle. Denn wir können <strong>von</strong> den Anschauungen an<strong>der</strong>er denkenden<br />

Wesen gar nicht urteilen, ob sie an die nämlichen Bed<strong>in</strong>gungen gebunden seien, welche<br />

unsere Anschauung e<strong>in</strong>schränken und für uns allgeme<strong>in</strong> gültig s<strong>in</strong>d. Wenn wir die<br />

E<strong>in</strong>schränkung e<strong>in</strong>es Urteils zum Begriff des Subjekts h<strong>in</strong>zufügen, so gilt das Urteil<br />

alsdann unbed<strong>in</strong>gt. Der Satz: Alle D<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> im Raum, gilt nur unter <strong>der</strong><br />

17


E<strong>in</strong>schränkung, wenn diese D<strong>in</strong>ge als Gegenstände unserer s<strong>in</strong>nlichen Anschauung<br />

genommen werden. Füge ich hier die Bed<strong>in</strong>gung zum Begriffe, und sage: Alle D<strong>in</strong>ge, als<br />

äußere Ersche<strong>in</strong>ungen, s<strong>in</strong>d nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> im Raum, so gilt diese Regel allgeme<strong>in</strong> und<br />

ohne E<strong>in</strong>schränkung. Unsere Erörterungen lehren demnach die Realität (d.i. die objektive<br />

Gültigkeit) des Raumes <strong>in</strong> Ansehung alles dessen, was äußerlich als Gegenstand uns<br />

vorkommen kann, aber zugleich die Idealität des Raumes <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge, wenn<br />

sie durch die <strong>Vernunft</strong> an sich selbst erwogen werden, d.i. ohne Rücksicht auf die<br />

Beschaffenheit unserer S<strong>in</strong>nlichkeit zu nehmen. Wir behaupten also die empirische<br />

Realität des Raumes (<strong>in</strong> Ansehung aller möglichen äußeren Erfahrung), obzwar zugleich<br />

die transzendentale Idealität desselben, d.i. daß er nichts sei, sobald wir die Bed<strong>in</strong>gung<br />

<strong>der</strong> Möglichkeit aller Erfahrung weglassen, und ihn als etwas, was den D<strong>in</strong>gen an sich<br />

selbst zugrunde liegt, annehmen.<br />

Es gibt aber auch außer dem Raum ke<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e subjektive und auf etwas Äußeres<br />

bezogene Vorstellung, die a priori objektiv heißen könnte. Daher diese subjektive<br />

Bed<strong>in</strong>gung aller äußeren Ersche<strong>in</strong>ungen mit ke<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en kann verglichen werden. Der<br />

Wohlgeschmack e<strong>in</strong>es We<strong>in</strong>es gehört nicht zu den objektiven Bestimmungen des We<strong>in</strong>es,<br />

mith<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es Objektes sogar als Ersche<strong>in</strong>ung betrachtet, son<strong>der</strong>n zu <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en<br />

Beschaffenheit des S<strong>in</strong>nes an dem Subjekte, was ihn genießt. Die Farben s<strong>in</strong>d nicht<br />

Beschaffenheiten <strong>der</strong> Körper, <strong>der</strong>en Anschauung sie anhängen, son<strong>der</strong>n auch nur<br />

Modifikationen des S<strong>in</strong>nes des Gesichts, welches vom Lichte auf gewisse Weise affiziert<br />

wird. Dagegen gehört <strong>der</strong> Raum, als Bed<strong>in</strong>gung äußerer Objekte, notwendigerweise zur<br />

Ersche<strong>in</strong>ung o<strong>der</strong> Anschauung <strong>der</strong>selben. Geschmack und Farben s<strong>in</strong>d gar nicht<br />

notwendige Bed<strong>in</strong>gungen, unter welchen die Gegenstände alle<strong>in</strong> für uns Objekte <strong>der</strong><br />

S<strong>in</strong>ne werden können. Sie s<strong>in</strong>d nur als zufällig beigefügte Wirkungen <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>n<br />

Organisation mit <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung verbunden. Daher s<strong>in</strong>d sie auch ke<strong>in</strong>e Vorstellungen a<br />

priori, son<strong>der</strong>n auf Empf<strong>in</strong>dung, <strong>der</strong> Wohlgeschmack aber sogar auf Gefühl (<strong>der</strong> Lust und<br />

Unlust) als e<strong>in</strong>er Wirkung <strong>der</strong> Empf<strong>in</strong>dung gegründet. Auch kann niemand a priori we<strong>der</strong><br />

e<strong>in</strong>e Vorstellung e<strong>in</strong>er Farbe, noch irgende<strong>in</strong>es Geschmacks haben: <strong>der</strong> Raum aber betrifft<br />

nur die re<strong>in</strong>e Form <strong>der</strong> Anschauung, schließt also gar ke<strong>in</strong>e Empf<strong>in</strong>dung (nichts<br />

Empirisches) <strong>in</strong> sich, und alle Arten und Bestimmungen des Raumes können und müssen<br />

sogar a priori vorgestellt werden können, wenn Begriffe <strong>der</strong> Gestalten sowohl, als<br />

Verhältnisse entstehen sollen. Durch denselben ist es alle<strong>in</strong> möglich, daß D<strong>in</strong>ge für uns<br />

äußere Gegenstände s<strong>in</strong>d.<br />

Die Absicht dieser Anmerkung geht nur dah<strong>in</strong>, zu verhüten: daß man die behauptete<br />

Idealität des Raumes nicht durch bei weitem unzulängliche Beispiele zu erläutern sich<br />

e<strong>in</strong>fallen lasse, da nämlich etwa Farben, Geschmack usw. mit Recht nicht als<br />

Beschaffenheiten <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge, son<strong>der</strong>n bloß als Verän<strong>der</strong>ungen unseres Subjekts, die sogar<br />

bei verschiedenen Menschen verschieden se<strong>in</strong> können, betrachtet werden. Denn <strong>in</strong><br />

diesem Falle gilt das, was ursprünglich selbst nur Ersche<strong>in</strong>ung ist, z.B. e<strong>in</strong>e Rose, im<br />

empirischen Verstande für e<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g an sich selbst, welches doch jedem Auge <strong>in</strong> Ansehung<br />

<strong>der</strong> Farbe an<strong>der</strong>s ersche<strong>in</strong>en kann. Dagegen ist <strong>der</strong> transzendentale Begriff <strong>der</strong><br />

Ersche<strong>in</strong>ungen im Raume e<strong>in</strong>e kritische Er<strong>in</strong>nerung, daß überhaupt nichts, was im Raume<br />

angeschaut wird, e<strong>in</strong>e Sache an sich, noch daß <strong>der</strong> Raum e<strong>in</strong>e Form <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge sei, die<br />

ihnen etwa an sich selbst eigen wäre, son<strong>der</strong>n daß uns die Gegenstände an sich gar nicht<br />

bekannt s<strong>in</strong>d, und, was wir äußere Gegenstände nennen, nichts an<strong>der</strong>es als bloße<br />

Vorstellungen unserer S<strong>in</strong>nlichkeit s<strong>in</strong>d, <strong>der</strong>en Form <strong>der</strong> Raum ist, <strong>der</strong>en wahres<br />

Korrelatum aber, d.i. das D<strong>in</strong>g an sich selbst, dadurch gar nicht erkannt wird, noch erkannt<br />

werden kann, nach welchem aber auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erfahrung niemals gefragt wird.<br />

18


2. Abschnitt: Von <strong>der</strong> Zeit<br />

1. Die Zeit ist ke<strong>in</strong> empirischer Begriff, <strong>der</strong> irgend <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er Erfahrung abgezogen worden.<br />

Denn das Zugleichse<strong>in</strong> o<strong>der</strong> Aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong>folgen würde selbst nicht <strong>in</strong> die Wahrnehmung<br />

kommen, wenn die Vorstellung <strong>der</strong> Zeit nicht a priori zugrunde läge. Nur unter <strong>der</strong>en<br />

Voraussetzung kann man sich vorstellen: daß e<strong>in</strong>iges zu e<strong>in</strong>er und <strong>der</strong>selben Zeit<br />

(zugleich) o<strong>der</strong> <strong>in</strong> verschiedenen Zeiten (nache<strong>in</strong>an<strong>der</strong>) sei.<br />

2. Die Zeit ist e<strong>in</strong>e notwendige Vorstellung, die allen Anschauungen zugrunde liegt. Man<br />

kann <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen überhaupt die Zeit selbst nicht aufheben, ob man<br />

zwar ganz wohl die Ersche<strong>in</strong>ungen aus <strong>der</strong> Zeit wegnehmen kann. Die Zeit ist also a priori<br />

gegeben. In ihr alle<strong>in</strong> ist alle Wirklichkeit <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen möglich. Diese können<br />

<strong>in</strong>sgesamt wegfallen, aber sie selbst (als die allgeme<strong>in</strong>e Bed<strong>in</strong>gung ihrer Möglichkeit) kann<br />

nicht aufgehoben werden.<br />

3. Auf diese Notwendigkeit a priori gründet sich auch die Möglichkeit apodiktischer<br />

Grundsätze <strong>von</strong> den Verhältnissen <strong>der</strong> Zeit, o<strong>der</strong> Axiome <strong>von</strong> <strong>der</strong> Zeit überhaupt. Sie hat<br />

nur e<strong>in</strong>e Dimension: verschiedene Zeiten s<strong>in</strong>d nicht zugleich, son<strong>der</strong>n nache<strong>in</strong>an<strong>der</strong> (so<br />

wie verschiedene Räume nicht nache<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n zugleich s<strong>in</strong>d). Diese Grundsätze<br />

können aus <strong>der</strong> Erfahrung nicht gezogen werden, denn diese würde we<strong>der</strong> strenge<br />

Allgeme<strong>in</strong>heit, noch apodiktische Gewißheit geben. Wir würden nur sagen können: so lehrt<br />

es die geme<strong>in</strong>e Wahrnehmung; nicht aber: so muß es sich verhalten. Diese Grundsätze<br />

gelten als Regeln, unter denen überhaupt Erfahrungen möglich s<strong>in</strong>d und belehren uns vor<br />

<strong>der</strong>selben und nicht durch dieselbe.<br />

4. Die Zeit ist ke<strong>in</strong> diskursiver, o<strong>der</strong>, wie man ihn nennt, allgeme<strong>in</strong>er Begriff, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e<br />

re<strong>in</strong>e Form <strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlichen Anschauung. Verschiedene Zeiten s<strong>in</strong>d nur Teile eben <strong>der</strong>selben<br />

Zeit. Die Vorstellung, die nur durch e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>zigen Gegenstand gegeben werden kann, ist<br />

aber Anschauung. Auch würde sich <strong>der</strong> Satz, daß verschiedene Zeiten nicht zugleich se<strong>in</strong><br />

können, aus e<strong>in</strong>em allgeme<strong>in</strong>en Begriff nicht herleiten lassen. Der Satz ist synthetisch und<br />

kann aus Begriffen alle<strong>in</strong> nicht entspr<strong>in</strong>gen. Er ist also <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anschauung und Vorstellung<br />

<strong>der</strong> Zeit unmittelbar enthalten.<br />

5. Die Unendlichkeit <strong>der</strong> Zeit bedeutet nichts weiter, als daß alle bestimmte Größe <strong>der</strong> Zeit<br />

nur durch E<strong>in</strong>schränkungen e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>igen zugrunde liegenden Zeit möglich sei. Daher muß<br />

die ursprüngliche Vorstellung Zeit als une<strong>in</strong>geschränkt gegeben se<strong>in</strong>. Wo<strong>von</strong> aber die Teile<br />

selbst und jede Größe e<strong>in</strong>es Gegenstandes nur durch E<strong>in</strong>schränkung bestimmt vorgestellt<br />

werden können, da muß die ganze Vorstellung nicht durch Begriffe gegeben se<strong>in</strong> (denn da<br />

gehen die Teilvorstellungen vorher), son<strong>der</strong>n es muß ihre unmittelbare Anschauung<br />

zugrunde liegen.<br />

Schlüsse aus diesen Begriffen<br />

a) Die Zeit ist nicht etwas, was für sich selbst bestünde, o<strong>der</strong> den D<strong>in</strong>gen als objektive<br />

Bestimmung anh<strong>in</strong>ge, mith<strong>in</strong> übrig bliebe, wenn man <strong>von</strong> allen subjektiven Bed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>der</strong> Anschauung <strong>der</strong>selben abstrahiert: denn im ersten Fall würde sie etwas se<strong>in</strong>, was<br />

ohne wirklichen Gegenstand dennoch wirklich wäre. Was aber das zweite betrifft, so<br />

könnte sie als e<strong>in</strong>e den D<strong>in</strong>gen selbst anhängende Bestimmung o<strong>der</strong> Ordnung nicht vor<br />

den Gegenständen, als ihre Bed<strong>in</strong>gung vorhergehen, und a priori durch synthetische<br />

19


Sätze erkannt und angeschaut werden. Dieses letztere f<strong>in</strong>det dagegen sehr wohl statt,<br />

wenn die Zeit nichts als die subjektive Bed<strong>in</strong>gung ist, unter <strong>der</strong> alle Anschauungen <strong>in</strong> uns<br />

stattf<strong>in</strong>den können. Denn da kann diese Form <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren Anschauung vor den<br />

Gegenständen, mith<strong>in</strong> a priori, vorgestellt werden.<br />

b) Die Zeit ist nichts an<strong>der</strong>es, als die Form des <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>nes, d.i. des Anschauens<br />

unserer selbst und unseres <strong>in</strong>neren Zustandes. Denn die Zeit kann ke<strong>in</strong>e Bestimmung<br />

äußerer Ersche<strong>in</strong>ungen se<strong>in</strong>; sie gehört we<strong>der</strong> zu e<strong>in</strong>er Gestalt o<strong>der</strong> Lage usw., dagegen<br />

bestimmt sie das Verhältnis <strong>der</strong> Vorstellungen <strong>in</strong> unserem <strong>in</strong>neren Zustande. Und, eben<br />

weil diese <strong>in</strong>nere Anschauung ke<strong>in</strong>e Gestalt gibt, suchen wir auch diesen Mangel durch<br />

Analogien zu ersetzen, und stellen die Zeitfolge durch e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>s Unendliche fortgehende<br />

L<strong>in</strong>ie vor, <strong>in</strong> welcher das Mannigfaltige e<strong>in</strong>e Reihe ausmacht, die nur <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er Dimension<br />

ist, und schließen aus den Eigenschaften dieser L<strong>in</strong>ie auf alle Eigenschaften <strong>der</strong> Zeit,<br />

außer dem e<strong>in</strong>igen, daß die Teile <strong>der</strong> ersteren zugleich, die <strong>der</strong> letzteren aber je<strong>der</strong>zeit<br />

nache<strong>in</strong>an<strong>der</strong> s<strong>in</strong>d. Hieraus erhellt auch, daß die Vorstellung <strong>der</strong> Zeit selbst Anschauung<br />

sei, weil alle ihre Verhältnisse sich an e<strong>in</strong>er äußeren Anschauung ausdrücken lassen.<br />

c) Die Zeit ist die formale Bed<strong>in</strong>gung a priori aller Ersche<strong>in</strong>ungen überhaupt. Der Raum,<br />

als die re<strong>in</strong>e Form aller äußeren Anschauung ist als Bed<strong>in</strong>gung a priori bloß auf äußere<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen e<strong>in</strong>geschränkt. Dagegen weil alle Vorstellungen, sie mögen nun äußere<br />

D<strong>in</strong>ge zum Gegenstande haben, o<strong>der</strong> nicht, doch an sich selbst, als Bestimmungen des<br />

Gemüts, zum <strong>in</strong>neren Zustande gehören: dieser <strong>in</strong>nere Zustand aber, unter <strong>der</strong> formalen<br />

Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren Anschauung, mith<strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit gehört, so ist die Zeit e<strong>in</strong>e Bed<strong>in</strong>gung<br />

a priori <strong>von</strong> aller Ersche<strong>in</strong>ung überhaupt und zwar die unmittelbare Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren<br />

(unserer Seele) und eben dadurch mittelbar auch <strong>der</strong> äußeren Ersche<strong>in</strong>ungen. Wenn ich a<br />

priori sagen kann: alle äußeren Ersche<strong>in</strong>ungen s<strong>in</strong>d im Raume und nach den<br />

Verhältnissen des Raumes a priori bestimmt, so kann ich aus dem Pr<strong>in</strong>zip des <strong>in</strong>neren<br />

S<strong>in</strong>nes ganz allgeme<strong>in</strong> sagen: alle Ersche<strong>in</strong>ungen überhaupt, d.i. alle Gegenstände <strong>der</strong><br />

S<strong>in</strong>ne, s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit und stehen notwendigerweise <strong>in</strong> Verhältnissen <strong>der</strong> Zeit.<br />

Wenn wir <strong>von</strong> unserer Art, uns selbst <strong>in</strong>nerlich anzuschauen und vermittels dieser<br />

Anschauung auch alle äußeren Anschauungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vorstellungskraft zu befassen,<br />

abstrahieren, und mith<strong>in</strong> die Gegenstände nehmen, so wie sie an sich selbst se<strong>in</strong> mögen,<br />

so ist die Zeit nichts. Sie ist nur <strong>von</strong> objektiver Gültigkeit <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen,<br />

weil dieses schon D<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d, die wir als Gegenstände unserer S<strong>in</strong>ne annehmen; aber sie<br />

ist nicht mehr objektiv, wenn man <strong>von</strong> <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit unserer Anschauung, mith<strong>in</strong><br />

<strong>der</strong>jenigen Vorstellungsart, welche uns eigentümlich ist, abstrahiert und <strong>von</strong> D<strong>in</strong>gen<br />

überhaupt redet. Die Zeit ist also lediglich e<strong>in</strong>e subjektive Bed<strong>in</strong>gung unserer<br />

(menschlichen) Anschauung (welche je<strong>der</strong>zeit s<strong>in</strong>nlich ist, d.i. sofern wir <strong>von</strong><br />

Gegenständen affiziert werden) und an sich, außer dem Subjekte, nichts.<br />

Nichtsdestoweniger ist sie <strong>in</strong> Ansehung aller Ersche<strong>in</strong>ungen, mith<strong>in</strong> auch aller D<strong>in</strong>ge, die<br />

uns <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erfahrung vorkommen können, notwendigerweise objektiv. Wir können nicht<br />

sagen: alle D<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit, weil bei dem Begriff <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge überhaupt <strong>von</strong> aller Art<br />

<strong>der</strong> Anschauung <strong>der</strong>selben abstrahiert wird, diese aber die eigentliche Bed<strong>in</strong>gung ist, unter<br />

<strong>der</strong> die Zeit <strong>in</strong> die Vorstellung <strong>der</strong> Gegenstände gehört. Wird nun die Bed<strong>in</strong>gung zum<br />

Begriffe h<strong>in</strong>zugefügt, und es heißt: alle D<strong>in</strong>ge, als Ersche<strong>in</strong>ungen (Gegenstände <strong>der</strong><br />

s<strong>in</strong>nlichen Anschauung) s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit, so hat <strong>der</strong> Grundsatz se<strong>in</strong>e gute objektive<br />

Richtigkeit und Allgeme<strong>in</strong>heit a priori.<br />

Unsere Behauptungen lehren demnach empirische Realität <strong>der</strong> Zeit, d.i. objektive<br />

Gültigkeit <strong>in</strong> Ansehung aller Gegenstände, die jemals unseren S<strong>in</strong>nen gegeben werden<br />

20


mögen. Und da unsere Anschauung je<strong>der</strong>zeit s<strong>in</strong>nlich ist, so kann uns <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erfahrung<br />

niemals e<strong>in</strong> Gegenstand gegeben werden, <strong>der</strong> nicht unter die Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> Zeit gehörte.<br />

Dagegen bestreiten wir <strong>der</strong> Zeit allen Anspruch auf absolute Realität, da sie nämlich, auch<br />

ohne auf die Form unserer s<strong>in</strong>nlichen Anschauung Rücksicht zu nehmen, schlechth<strong>in</strong> den<br />

D<strong>in</strong>gen als Bed<strong>in</strong>gung o<strong>der</strong> Eigenschaft anh<strong>in</strong>ge. Solche Eigenschaften, die den D<strong>in</strong>gen<br />

an sich zukommen, können uns durch die S<strong>in</strong>ne auch niemals gegeben werden. Hier<strong>in</strong><br />

besteht also die transzendentale Idealität <strong>der</strong> Zeit, nach welcher sie, wenn man <strong>von</strong> den<br />

subjektiven Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlichen Anschauung abstrahiert, gar nichts ist, und den<br />

Gegenständen an sich selbst (ohne ihr Verhältnis auf unsere Anschauung) we<strong>der</strong><br />

subsistierend noch <strong>in</strong>härierend beigezählt werden kann. Doch ist diese Idealität,<br />

ebensowenig wie die des Raumes, mit den Subreptionen <strong>der</strong> Empf<strong>in</strong>dungen <strong>in</strong><br />

Vergleichung zu stellen, weil man doch dabei <strong>von</strong> <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung selbst, <strong>der</strong> diese<br />

Prädikate <strong>in</strong>härieren, voraussetzt, daß sie objektive Realität habe, die hier gänzlich<br />

wegfällt, außer, sofern sie bloß empirisch ist, d.i. den Gegenstand selbst bloß als<br />

Ersche<strong>in</strong>ung ansieht: wo<strong>von</strong> die obige Anmerkung des ersteren Abschnitts nachzusehen<br />

ist.<br />

Erläuterung<br />

Wi<strong>der</strong> diese Theorie, welche <strong>der</strong> Zeit empirische Realität zugesteht, aber die absolute und<br />

transzendentale bestreitet, habe ich <strong>von</strong> e<strong>in</strong>sehenden Männern e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>wurf so<br />

e<strong>in</strong>stimmig vernommen, daß ich daraus abnehme, er müsse sich natürlicherweise bei<br />

jedem Leser, dem diese Betrachtungen ungewohnt s<strong>in</strong>d, vorf<strong>in</strong>den. Er lautet so:<br />

Verän<strong>der</strong>ungen s<strong>in</strong>d wirklich (dies beweist <strong>der</strong> Wechsel unserer eigenen Vorstellungen,<br />

wenn man gleich alle äußeren Ersche<strong>in</strong>ungen, samt <strong>der</strong>en Verän<strong>der</strong>ungen leugnen<br />

wollte). Nun s<strong>in</strong>d Verän<strong>der</strong>ungen nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit möglich, folglich ist die Zeit etwas<br />

Wirkliches. Die Beantwortung hat ke<strong>in</strong>e Schwierigkeit. Ich gebe das ganze Argument zu.<br />

Die Zeit ist allerd<strong>in</strong>gs etwas Wirkliches, nämlich die wirkliche Form <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren<br />

Anschauung. Sie hat also subjektive Realität <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren Erfahrung, d.i. ich<br />

habe wirklich die Vorstellung <strong>von</strong> <strong>der</strong> Zeit und me<strong>in</strong>er Bestimmungen <strong>in</strong> ihr. Sie ist also<br />

wirklich nicht als Objekt, son<strong>der</strong>n als die Vorstellungsart me<strong>in</strong>er selbst als Objekts<br />

anzusehen. Wenn aber ich selbst, o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> an<strong>der</strong> Wesen mich, ohne diese Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong><br />

S<strong>in</strong>nlichkeit, anschauen könnte, so würden eben dieselben Bestimmungen, die wir uns<br />

jetzt als Verän<strong>der</strong>ungen vorstellen, e<strong>in</strong>e Erkenntnis geben, <strong>in</strong> welcher die Vorstellung <strong>der</strong><br />

Zeit, mith<strong>in</strong> auch <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung, gar nicht vorkäme. Es bleibt also ihre empirische<br />

Realität als Bed<strong>in</strong>gung aller unserer Erfahrungen. Nur die absolute Realität kann ihr nach<br />

dem oben Angeführten nicht zugestanden werden. Sie ist nichts, als die Form unserer<br />

<strong>in</strong>neren Anschauung [ 4]. Wenn man <strong>von</strong> ihr die beson<strong>der</strong>e Bed<strong>in</strong>gung unserer S<strong>in</strong>nlichkeit<br />

wegnimmt, so verschw<strong>in</strong>det auch <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Zeit, und sie hängt nicht an den<br />

Gegenständen selbst, son<strong>der</strong>n bloß am Subjekte, welches sie anschaut.<br />

Die Ursache aber, weswegen dieser E<strong>in</strong>wurf so e<strong>in</strong>stimmig gemacht wird, und zwar <strong>von</strong><br />

denen, die gleichwohl gegen die Lehre <strong>von</strong> <strong>der</strong> Idealität des Raumes nichts<br />

E<strong>in</strong>leuchtendes e<strong>in</strong>zuwenden wissen, ist diese. Die absolute Realität des Raumes hofften<br />

sie nicht apodiktisch dartun zu können, weil ihnen <strong>der</strong> Idealismus entgegensteht, nach<br />

welchem die Wirklichkeit äußerer Gegenstände ke<strong>in</strong>es strengen Beweises fähig ist,<br />

dagegen die des Gegenstandes unserer <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>ne (me<strong>in</strong>er selbst und me<strong>in</strong>es<br />

Zustandes) unmittelbar durchs Bewußtse<strong>in</strong> klar ist. Jene konnten e<strong>in</strong> bloßer Sche<strong>in</strong> se<strong>in</strong>,<br />

dieser aber ist, ihrer Me<strong>in</strong>ung nach, unleugbar etwas Wirkliches. Sie bedachten aber nicht,<br />

daß beide, ohne daß man ihre Wirklichkeit als Vorstellungen bestreiten darf, gleichwohl<br />

nur zur Ersche<strong>in</strong>ung gehören, welche je<strong>der</strong>zeit zwei Seiten hat, die e<strong>in</strong>e, da das Objekt an<br />

21


sich selbst betrachtet wird (unangesehen <strong>der</strong> Art, dasselbe anzuschauen, dessen<br />

Beschaffenheit aber eben darum je<strong>der</strong>zeit problematisch bleibt), die an<strong>der</strong>e, da auf die<br />

Form <strong>der</strong> Anschauung dieses Gegenstandes gesehen wird, welche nicht <strong>in</strong> dem<br />

Gegenstande an sich selbst, son<strong>der</strong>n im Subjekte, dem <strong>der</strong>selbe ersche<strong>in</strong>t, gesucht<br />

werden muß, gleichwohl aber <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung dieses Gegenstandes wirklich und<br />

notwendig zukommt.<br />

Zeit und Raum s<strong>in</strong>d demnach zwei Erkenntnisquellen, aus denen a priori verschiedene<br />

synthetische Erkenntnisse geschöpft werden können, wie vornehmlich die re<strong>in</strong>e<br />

Mathematik <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong> Erkenntnisse vom Raume und dessen Verhältnissen e<strong>in</strong><br />

glänzendes Beispiel gibt. Sie s<strong>in</strong>d nämlich beide zusammengenommen re<strong>in</strong>e Formen aller<br />

s<strong>in</strong>nlichen Anschauung, und machen dadurch synthetische Sätze a priori möglich. Aber<br />

diese Erkenntnisquellen a priori bestimmen sich eben dadurch (daß sie bloß Bed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit s<strong>in</strong>d) ihre Grenzen, nämlich, daß sie bloß auf Gegenstände gehen, sofern<br />

sie als Ersche<strong>in</strong>ungen betrachtet werden, nicht aber D<strong>in</strong>ge an sich selbst darstellen. Jene<br />

alle<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d das Feld ihrer Gültigkeit, woraus, wenn man h<strong>in</strong>ausgeht, weiter ke<strong>in</strong> objektiver<br />

Gebrauch <strong>der</strong>selben stattf<strong>in</strong>det. Diese Realität des Raumes und <strong>der</strong> Zeit läßt übrigens die<br />

Sicherheit <strong>der</strong> Erfahrungserkenntnis unangetastet: denn wir s<strong>in</strong>d <strong>der</strong>selben ebenso gewiß,<br />

ob diese Formen den D<strong>in</strong>gen an sich selbst, o<strong>der</strong> nur unserer Anschauung dieser D<strong>in</strong>ge<br />

notwendigerweise anhängen. Dagegen die, so die absolute Realität des Raumes und <strong>der</strong><br />

Zeit behaupten, sie mögen sie nun als subsistierend, o<strong>der</strong> nur <strong>in</strong>härierend annehmen, mit<br />

den Pr<strong>in</strong>zipien <strong>der</strong> Erfahrung selbst une<strong>in</strong>ig se<strong>in</strong> müssen. Denn, entschließen sie sich zum<br />

ersteren (welches geme<strong>in</strong>iglich die Partei <strong>der</strong> mathematischen Naturforscher ist), so<br />

müssen sie zwei ewige und unendliche für sich bestehende Und<strong>in</strong>ge (Raum und Zeit)<br />

annehmen, welche da s<strong>in</strong>d (ohne daß doch etwas Wirkliches ist), nur um alles Wirkliche <strong>in</strong><br />

sich zu befassen. Nehmen sie die zweite Partei (<strong>von</strong> <strong>der</strong> e<strong>in</strong>ige metaphysische Naturlehrer<br />

s<strong>in</strong>d), und Raum und Zeit gelten ihnen als <strong>von</strong> <strong>der</strong> Erfahrung abstrahierte, obzwar <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Abson<strong>der</strong>ung verworren vorgestellte Verhältnisse <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen (neben- o<strong>der</strong><br />

nache<strong>in</strong>an<strong>der</strong>), so müssen sie den mathematischen Lehren a priori <strong>in</strong> Ansehung wirklicher<br />

D<strong>in</strong>ge (z.E. im Raume) ihre Gültigkeit, wenigstens die apodiktische Gewißheit bestreiten,<br />

<strong>in</strong>dem diese a posteriori gar nicht stattf<strong>in</strong>det, und die Begriffe a priori <strong>von</strong> Raum und Zeit<br />

dieser Me<strong>in</strong>ung nach, nur Geschöpfe <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft s<strong>in</strong>d, <strong>der</strong>en Quell wirklich <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Erfahrung gesucht werden muß, aus <strong>der</strong>en abstrahierten Verhältnissen die E<strong>in</strong>bildung<br />

etwas gemacht hat, was zwar das Allgeme<strong>in</strong>e <strong>der</strong>selben enthält, aber ohne die<br />

Restriktionen, welche die Natur mit denselben verknüpft hat, nicht stattf<strong>in</strong>den kann. Die<br />

ersteren gew<strong>in</strong>nen so viel, daß sie für die mathematischen Behauptungen sich das Feld<br />

<strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen freimachen; dagegen verwirren sie sich sehr durch eben diese<br />

Bed<strong>in</strong>gungen, wenn <strong>der</strong> Verstand über dieses Feld h<strong>in</strong>ausgehen will. Die zweiten<br />

gew<strong>in</strong>nen zwar <strong>in</strong> Ansehung des letzteren, nämlich, daß die Vorstellungen <strong>von</strong> Raum und<br />

Zeit ihnen nicht <strong>in</strong> den Weg kommen, wenn sie <strong>von</strong> Gegenständen nicht als<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen, son<strong>der</strong>n bloß im Verhältnis auf den Verstand urteilen wollen; können aber<br />

we<strong>der</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Möglichkeit mathematischer Erkenntnisse a priori (<strong>in</strong>dem ihnen e<strong>in</strong>e wahre<br />

und objektiv gültige Anschauung a priori fehlt) Grund angeben, noch die Erfahrungssätze<br />

mit jenen Behauptungen <strong>in</strong> notwendige E<strong>in</strong>stimmung br<strong>in</strong>gen. In unserer Theorie, <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />

wahren Beschaffenheit dieser zwei ursprünglichen Formen <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit, ist beiden<br />

Schwierigkeiten abgeholfen.<br />

Daß schließlich die transzendentale Ästhetik nicht mehr, als diese zwei Elemente, nämlich<br />

Raum und Zeit, enthalten könne, ist daraus klar, weil alle an<strong>der</strong>en zur S<strong>in</strong>nlichkeit<br />

gehörigen Begriffe, selbst <strong>der</strong> <strong>der</strong> Bewegung, welcher beide Stücke vere<strong>in</strong>igt, etwas<br />

Empirisches voraussetzen. Denn diese setzt die Wahrnehmung <strong>von</strong> etwas Beweglichem<br />

voraus. Im Raum, an sich selbst betrachtet, ist aber nichts Bewegliches: daher das<br />

22


Bewegliche etwas se<strong>in</strong> muß, was im Raume nur durch Erfahrung gefunden wird, mith<strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />

empirisches Datum. Ebenso kann die transzendentale Ästhetik nicht den Begriff <strong>der</strong><br />

Verän<strong>der</strong>ung unter ihre Data a priori zählen: denn die Zeit selbst verän<strong>der</strong>t sich nicht,<br />

son<strong>der</strong>n etwas, das <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit ist. Also wird dazu die Wahrnehmung <strong>von</strong> irgende<strong>in</strong>em<br />

Dase<strong>in</strong>, und <strong>der</strong> Sukzession se<strong>in</strong>er Bestimmungen, mith<strong>in</strong> Erfahrung erfor<strong>der</strong>t.<br />

Allgeme<strong>in</strong>e Anmerkungen zur transzendentalen Ästhetik<br />

Zuerst wird es nötig se<strong>in</strong>, uns so deutlich, als möglich, zu erklären, was <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong><br />

Grundbeschaffenheit <strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlichen Erkenntnis überhaupt unsere Me<strong>in</strong>ung sei, um aller<br />

Mißdeutung <strong>der</strong>selben vorzubeugen.<br />

Wir haben also sagen wollen: daß alle unsere Anschauung nichts als die Vorstellung <strong>von</strong><br />

Ersche<strong>in</strong>ung sei: daß die D<strong>in</strong>ge, die wir anschauen, nicht das an sich selbst s<strong>in</strong>d, wofür wir<br />

sie anschauen, noch ihre Verhältnisse so an sich selbst beschaffen s<strong>in</strong>d, als sie uns<br />

ersche<strong>in</strong>en, und daß, wenn wir unser Subjekt o<strong>der</strong> auch nur die subjektive Beschaffenheit<br />

<strong>der</strong> S<strong>in</strong>ne überhaupt aufheben, alle die Beschaffenheit, alle Verhältnisse <strong>der</strong> Objekte im<br />

Raum und Zeit, ja selbst Raum und Zeit verschw<strong>in</strong>den würden, und als Ersche<strong>in</strong>ungen<br />

nicht an sich selbst, son<strong>der</strong>n nur <strong>in</strong> uns existieren können. Was es für e<strong>in</strong>e Bewandtnis mit<br />

den Gegenständen an sich und abgeson<strong>der</strong>t <strong>von</strong> aller dieser Rezeptivität unserer<br />

S<strong>in</strong>nlichkeit haben möge, bleibt uns gänzlich unbekannt. Wir kennen nichts, als unsere Art<br />

sie wahrzunehmen, die uns eigentümlich ist, die auch nicht notwendig jedem Wesen,<br />

obzwar jedem Menschen, zukommen muß. Mit dieser haben wir es lediglich zu tun. Raum<br />

und Zeit s<strong>in</strong>d die <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Formen <strong>der</strong>selben, Empf<strong>in</strong>dung überhaupt die Materie. Jene<br />

können wir alle<strong>in</strong> a priori, d.i. vor aller wirklichen Wahrnehmung erkennen, und sie heißt<br />

darum re<strong>in</strong>e Anschauung; diese aber ist das <strong>in</strong> unserem Erkenntnis, was da macht, daß<br />

sie Erkenntnis a posteriori, d.i. empirische Anschauung heißt. Jene hängen unserer<br />

S<strong>in</strong>nlichkeit schlechth<strong>in</strong> notwendig an, welcher Art auch unsere Empf<strong>in</strong>dungen se<strong>in</strong><br />

mögen; diese können sehr verschieden se<strong>in</strong>. Wenn wir diese unsere Anschauung auch<br />

zum höchsten Grade <strong>der</strong> Deutlichkeit br<strong>in</strong>gen könnten, so würden wir dadurch <strong>der</strong><br />

Beschaffenheit <strong>der</strong> Gegenstände an sich selbst nicht näher kommen. Denn wir würden auf<br />

allen Fall doch nur unsere Art <strong>der</strong> Anschauung, d.i. unsere S<strong>in</strong>nlichkeit vollständig<br />

erkennen, und diese immer nur unter den, dem Subjekt ursprünglich anhängenden<br />

Bed<strong>in</strong>gungen, <strong>von</strong> Raum und Zeit; was die Gegenstände an sich selbst se<strong>in</strong> mögen,<br />

würde uns durch die aufgeklärteste Erkenntnis <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung <strong>der</strong>selben, die uns alle<strong>in</strong><br />

gegeben ist, doch niemals bekannt werden.<br />

Daß daher unsere ganze S<strong>in</strong>nlichkeit nichts als die verworrene Vorstellung <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge sei,<br />

welche lediglich das enthält, was ihnen an sich selbst zukommt, aber nur unter e<strong>in</strong>er<br />

Zusammenhäufung <strong>von</strong> Merkmalen und Teilvorstellungen, die wir nicht mit Bewußtse<strong>in</strong><br />

ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong> setzen, ist e<strong>in</strong>e Verfälschung des Begriffs <strong>von</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit und <strong>von</strong><br />

Ersche<strong>in</strong>ung, welche die ganze Lehre <strong>der</strong>selben unnütz und leer macht. Der Unterschied<br />

e<strong>in</strong>er undeutlichen <strong>von</strong> <strong>der</strong> deutlichen Vorstellung ist bloß logisch, und betrifft nicht den<br />

Inhalt. Ohne Zweifel enthält <strong>der</strong> Begriff <strong>von</strong> Recht, dessen sich <strong>der</strong> gesunde Verstand<br />

bedient, eben dasselbe, was die subtilste Spekulation aus ihm entwickeln kann, nur daß<br />

im geme<strong>in</strong>en und praktischen Gebrauche man sich dieser mannigfaltigen Vorstellungen <strong>in</strong><br />

diesen Gedanken nicht bewußt ist. Darum kann man nicht sagen, daß <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>e Begriff<br />

s<strong>in</strong>nlich sei, und e<strong>in</strong>e bloße Ersche<strong>in</strong>ung enthalte, denn das Recht kann gar nicht<br />

ersche<strong>in</strong>en, son<strong>der</strong>n se<strong>in</strong> Begriff liegt im Verstande, und stellt e<strong>in</strong>e Beschaffenheit (die<br />

moralische) <strong>der</strong> Handlungen vor, die ihnen an sich selbst zukommt. Dagegen enthält die<br />

Vorstellung e<strong>in</strong>es Körpers <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anschauung gar nichts, was e<strong>in</strong>em Gegenstande an sich<br />

23


selbst zukommen könnte, son<strong>der</strong>n bloß die Ersche<strong>in</strong>ung <strong>von</strong> Etwas, und die Art, wie wir<br />

dadurch affiziert werden, und diese Rezeptivität unserer Erkenntnisfähigkeit heißt<br />

S<strong>in</strong>nlichkeit, und bleibt <strong>von</strong> <strong>der</strong> Erkenntnis des Gegenstandes an sich selbst, ob man jene<br />

(die Ersche<strong>in</strong>ung) gleich bis auf den Grund durchschauen möchte, dennoch himmelweit<br />

unterschieden.<br />

Die Leibniz-Wolffische Philosophie hat daher allen Untersuchungen über die Natur und<br />

den Ursprung unserer Erkenntnisse e<strong>in</strong>en ganz unrechten Gesichtspunkt angewiesen,<br />

<strong>in</strong>dem sie den Unterschied <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit vom Intellektuellen bloß als logisch<br />

betrachtete, da er offenbar transzendental ist, und nicht bloß die Form <strong>der</strong> Deutlichkeit<br />

o<strong>der</strong> Undeutlichkeit, son<strong>der</strong>n den Ursprung und den Inhalt <strong>der</strong>selben betrifft, so daß wir<br />

durch die erstere die Beschaffenheit <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge an sich selbst nicht bloß undeutlich,<br />

son<strong>der</strong>n gar nicht erkennen, und, sobald wir unsere subjektive Beschaffenheit<br />

wegnehmen, das vorgestellte Objekt mit den Eigenschaften, die ihm die s<strong>in</strong>nliche<br />

Anschauung beilegte, überall nirgend anzutreffen ist, noch angetroffen werden kann,<br />

<strong>in</strong>dem eben diese subjektive Beschaffenheit die Form desselben, als Ersche<strong>in</strong>ung<br />

bestimmt.<br />

Wir unterscheiden sonst wohl unter Ersche<strong>in</strong>ungen das, was <strong>der</strong> Anschauung <strong>der</strong>selben<br />

wesentlich anhängt und für jeden menschlichen S<strong>in</strong>n überhaupt gilt, <strong>von</strong> demjenigen, was<br />

<strong>der</strong>selben nur zufälligerweise zukommt, <strong>in</strong>dem es nicht auf die Beziehung <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit<br />

überhaupt, son<strong>der</strong>n nur auf e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e Stellung o<strong>der</strong> Organisation dieses o<strong>der</strong> jenes<br />

S<strong>in</strong>nes gültig ist. Und da nennt man die erstere Erkenntnis e<strong>in</strong>e solche, die den<br />

Gegenstand an sich selbst vorstellt, die zweite aber nur die Ersche<strong>in</strong>ung desselben.<br />

Dieser Unterschied ist aber nur empirisch. Bleibt man dabei stehen (wie es geme<strong>in</strong>iglich<br />

geschieht), und sieht jene empirische Anschauung nicht wie<strong>der</strong>um (wie es geschehen<br />

sollte) als bloße Ersche<strong>in</strong>ung an, so daß dar<strong>in</strong> gar nichts, was irgende<strong>in</strong>e Sache an sich<br />

selbst ang<strong>in</strong>ge, anzutreffen ist, so ist unser transzendentaler Unterschied verloren, und wir<br />

glauben alsdann doch, D<strong>in</strong>ge an sich zu erkennen, ob wir es gleich überall (<strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

S<strong>in</strong>nenwelt) selbst bis zu <strong>der</strong> tiefsten Erforschung ihrer Gegenstände mit nichts als<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen zu tun haben. So werden wir zwar den Regenbogen e<strong>in</strong>e bloße<br />

Ersche<strong>in</strong>ung bei e<strong>in</strong>em Sonnregen nennen, diesen Regen aber die Sache an sich selbst,<br />

welches auch richtig ist, sofern wir den letzteren Begriff nur physisch verstehen, als das,<br />

was <strong>in</strong> <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Erfahrung unter allen verschiedenen Lagen zu den S<strong>in</strong>nen, doch <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Anschauung so und nicht an<strong>der</strong>s bestimmt ist. Nehmen wir aber dieses Empirische<br />

überhaupt, und fragen, ohne uns an die E<strong>in</strong>stimmung desselben mit jedem<br />

Menschens<strong>in</strong>ne zu kehren, ob auch dieses e<strong>in</strong>en Gegenstand an sich selbst (nicht die<br />

Regentropfen, denn die s<strong>in</strong>d dann schon, als Ersche<strong>in</strong>ungen, empirische Objekte)<br />

vorstelle, so ist die Frage <strong>von</strong> <strong>der</strong> Beziehung <strong>der</strong> Vorstellung auf den Gegenstand<br />

transzendental, und nicht alle<strong>in</strong> diese Tropfen s<strong>in</strong>d bloße Ersche<strong>in</strong>ungen, son<strong>der</strong>n selbst<br />

ihre runde Gestalt, ja sogar <strong>der</strong> Raum, <strong>in</strong> welchem sie fallen, s<strong>in</strong>d nichts an sich selbst,<br />

son<strong>der</strong>n bloße Modifikationen, o<strong>der</strong> Grundlagen unserer s<strong>in</strong>nlichen Anschauung, das<br />

transzendentale Objekt aber bleibt uns unbekannt.<br />

Die zweite wichtige Angelegenheit unserer transzendentalen Ästhetik ist, daß sie nicht<br />

bloß als sche<strong>in</strong>bare Hypothese e<strong>in</strong>ige Gunst erwerbe, son<strong>der</strong>n so gewiß und ungezweifelt<br />

sei, als jemals <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er Theorie gefor<strong>der</strong>t werden kann, die zum Organon dienen soll. Um<br />

diese Gewißheit völlig e<strong>in</strong>leuchtend zu machen, wollen wir irgende<strong>in</strong>en Fall wählen, woran<br />

dessen Gültigkeit augensche<strong>in</strong>lich werden kann.<br />

Setzet demnach, Raum und Zeit seien an sich selbst objektiv und Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong><br />

Möglichkeit <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge an sich selbst, so zeigt sich erstlich: daß <strong>von</strong> beiden a priori<br />

apodiktische und synthetische Sätze <strong>in</strong> großer Zahl vornehmlich vom Raum vorkommen,<br />

24


welchen wir darum vorzüglich hier zum Beispiel untersuchen wollen. Da die Sätze <strong>der</strong><br />

Geometrie synthetisch a priori und mit apodiktischer Gewißheit erkannt werden, so frage<br />

ich: woher nehmt ihr <strong>der</strong>gleichen Sätze, und worauf stützt sich unser Verstand, um zu<br />

<strong>der</strong>gleichen schlechth<strong>in</strong> notwendigen und allgeme<strong>in</strong> gültigen Wahrheiten zu gelangen? Es<br />

ist ke<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er Weg, als durch Begriffe o<strong>der</strong> durch Anschauungen; beides aber, als<br />

solche, die entwe<strong>der</strong> a priori o<strong>der</strong> a posteriori gegeben s<strong>in</strong>d. Die letzteren, nämlich<br />

empirische Begriffe, imgleichen das, worauf sie sich gründen, die empirische Anschauung,<br />

können ke<strong>in</strong>en synthetischen Satz geben, als nur e<strong>in</strong>en solchen, <strong>der</strong> auch bloß empirisch,<br />

d.i. e<strong>in</strong> Erfahrungssatz ist, mith<strong>in</strong> niemals Notwendigkeit und absolute Allgeme<strong>in</strong>heit<br />

enthalten kann, <strong>der</strong>gleichen doch das Charakteristische aller Sätze <strong>der</strong> Geometrie ist. Was<br />

aber das erstere und e<strong>in</strong>zige Mittel se<strong>in</strong> würde, nämlich durch bloße Begriffe o<strong>der</strong> durch<br />

Anschauungen a priori zu <strong>der</strong>gleichen Erkenntnissen zu gelangen, so ist klar, daß aus<br />

bloßen Begriffen gar ke<strong>in</strong>e synthetische Erkenntnis, son<strong>der</strong>n lediglich analytische erlangt<br />

werden kann. Nehmt nur den Satz: daß durch zwei gerade L<strong>in</strong>ien sich gar ke<strong>in</strong> Raum<br />

e<strong>in</strong>schließen lasse, mith<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>e Figur möglich sei, und versucht ihn aus dem Begriff <strong>von</strong><br />

geraden L<strong>in</strong>ien und <strong>der</strong> Zahl zwei abzuleiten; o<strong>der</strong> auch, daß aus drei geraden L<strong>in</strong>ien e<strong>in</strong>e<br />

Figur möglich sei, und versucht es ebenso bloß aus diesen Begriffen. Alle eure Bemühung<br />

ist vergeblich, und ihr seht euch genötigt, zur Anschauung eure Zuflucht zu nehmen, wie<br />

es die Geometrie auch je<strong>der</strong>zeit tut. Ihr gebt euch also e<strong>in</strong>en Gegenstand <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Anschauung; <strong>von</strong> welcher Art aber ist diese, ist es e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e Anschauung a priori o<strong>der</strong><br />

e<strong>in</strong>e empirische? Wäre das letzte, so könnte niemals e<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong> gültiger, noch weniger<br />

e<strong>in</strong> apodiktischer Satz daraus werden: denn Erfahrung kann <strong>der</strong>gleichen niemals liefern.<br />

Ihr müßt also euren Gegenstand a priori <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anschauung geben, und auf diesen euren<br />

synthetischen Satz gründen. Läge nun <strong>in</strong> euch nicht e<strong>in</strong> Vermögen, a priori anzuschauen,<br />

wäre diese subjektive Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> Form nach nicht zugleich die allgeme<strong>in</strong>e Bed<strong>in</strong>gung<br />

a priori, unter <strong>der</strong> alle<strong>in</strong> das Objekt dieser (äußeren) Anschauung selbst möglich ist; wäre<br />

<strong>der</strong> Gegenstand (<strong>der</strong> Triangel) etwas an sich selbst ohne Beziehung auf euer Subjekt, wie<br />

könntet ihr sagen, daß, was <strong>in</strong> euren subjektiven Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>en Triangel zu<br />

konstruieren notwendig liegt, auch dem Triangel an sich selbst notwendig zukommen<br />

müsse; denn ihr könntet doch zu euren Begriffen (<strong>von</strong> drei L<strong>in</strong>ien) nichts Neues (die Figur)<br />

h<strong>in</strong>zufügen, welches darum notwendig an dem Gegenstande angetroffen werden müßte,<br />

da dieser vor eurer Erkenntnis und nicht durch dieselbe gegeben ist. Wäre also nicht <strong>der</strong><br />

Raum (und so auch die Zeit) e<strong>in</strong>e bloße Form eurer Anschauung, welche Bed<strong>in</strong>gungen a<br />

priori enthält, unter denen alle<strong>in</strong> D<strong>in</strong>ge für euch äußere Gegenstände se<strong>in</strong> können, die<br />

ohne diese subjektiven Bed<strong>in</strong>gungen an sich nichts s<strong>in</strong>d, so könntet ihr a priori ganz und<br />

gar nichts über äußere Objekte synthetisch ausmachen. Es ist also ungezweifelt gewiß,<br />

und nicht bloß möglich, o<strong>der</strong> auch wahrsche<strong>in</strong>lich, daß Raum und Zeit, als die<br />

notwendigen Bed<strong>in</strong>gungen aller (äußeren und <strong>in</strong>neren) Erfahrung, bloß subjektive<br />

Bed<strong>in</strong>gungen aller unserer Anschauung s<strong>in</strong>d, im Verhältnis auf welche daher alle<br />

Gegenstände bloße Ersche<strong>in</strong>ungen und nicht für sich <strong>in</strong> dieser Art gegebene D<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d,<br />

<strong>von</strong> denen sich auch um deswillen, was die Form <strong>der</strong>selben betrifft, vieles a priori sagen<br />

läßt, niemals aber das m<strong>in</strong>deste <strong>von</strong> dem D<strong>in</strong>ge an sich selbst, das diesen Ersche<strong>in</strong>ungen<br />

zugrunde liegen mag.<br />

25


Zweiter Teil: Die transzendentale Logik<br />

E<strong>in</strong>leitung: Idee e<strong>in</strong>er transzendentalen Logik<br />

I. Von <strong>der</strong> Logik überhaupt<br />

Unsere Erkenntnis entspr<strong>in</strong>gt aus zwei Grundquellen des Gemüts, <strong>der</strong>en die erste ist, die<br />

Vorstellungen zu empfangen (die Rezeptivität <strong>der</strong> E<strong>in</strong>drücke), die zweite, das Vermögen,<br />

durch diese Vorstellungen e<strong>in</strong>en Gegenstand zu erkennen (Spontaneität <strong>der</strong> Begriffe);<br />

durch die erstere wird uns e<strong>in</strong> Gegenstand gegeben, durch die zweite wird dieser im<br />

Verhältnis auf jene Vorstellung (als bloße Bestimmung des Gemüts) gedacht. Anschauung<br />

und Begriffe machen also die Elemente aller unserer Erkenntnis aus, so daß we<strong>der</strong><br />

Begriffe, ohne ihnen auf e<strong>in</strong>ige Art korrespondierende Anschauung, noch Anschauung<br />

ohne Begriffe, e<strong>in</strong> Erkenntnis abgeben kann. Beide s<strong>in</strong>d entwe<strong>der</strong> re<strong>in</strong>, o<strong>der</strong> empirisch.<br />

Empirisch, wenn Empf<strong>in</strong>dung (die die wirkliche Gegenwart des Gegenstandes<br />

voraussetzt) dar<strong>in</strong>nen enthalten ist: re<strong>in</strong> aber, wenn <strong>der</strong> Vorstellung ke<strong>in</strong>e Empf<strong>in</strong>dung<br />

beigemischt ist. Man kann die letztere die Materie <strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlichen Erkenntnis nennen.<br />

Daher enthält re<strong>in</strong>e Anschauung lediglich die Form, unter welcher etwas angeschaut wird,<br />

und re<strong>in</strong>er Begriff alle<strong>in</strong> die Form des Denkens e<strong>in</strong>es Gegenstandes überhaupt. Nur alle<strong>in</strong><br />

re<strong>in</strong>e Anschauungen o<strong>der</strong> Begriffe s<strong>in</strong>d a priori möglich, empirische nur a posteriori.<br />

Wollen wir die Rezeptivität unseres Gemüts, Vorstellungen zu empfangen, sofern es auf<br />

irgende<strong>in</strong>e Weise affiziert wird, S<strong>in</strong>nlichkeit nennen, so ist dagegen das Vermögen,<br />

Vorstellungen selbst hervorzubr<strong>in</strong>gen, o<strong>der</strong> die Spontaneität des Erkenntnisses, <strong>der</strong><br />

Verstand. Unsere Natur br<strong>in</strong>gt es so mit sich, daß die Anschauung niemals an<strong>der</strong>s als<br />

s<strong>in</strong>nlich se<strong>in</strong> kann, d.i. nur die Art enthält, wie wir <strong>von</strong> Gegenständen affiziert werden.<br />

Dagegen ist das Vermögen, den Gegenstand s<strong>in</strong>nlicher Anschauung zu denken, <strong>der</strong><br />

Verstand. Ke<strong>in</strong>e dieser Eigenschaften ist <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en vorzuziehen. Ohne S<strong>in</strong>nlichkeit<br />

würde uns ke<strong>in</strong> Gegenstand gegeben und ohne Verstand ke<strong>in</strong>er gedacht werden.<br />

Gedanken ohne Inhalt s<strong>in</strong>d leer, Anschauungen ohne Begriffe s<strong>in</strong>d bl<strong>in</strong>d. Daher ist es<br />

ebenso notwendig, se<strong>in</strong>e Begriffe s<strong>in</strong>nlich zu machen (d.i. ihnen den Gegenstand <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Anschauung beizufügen), als se<strong>in</strong>e Anschauungen sich verständlich zu machen (d.i. sie<br />

unter Begriffe zu br<strong>in</strong>gen). Beide Vermögen, o<strong>der</strong> Fähigkeiten, können auch ihre<br />

Funktionen nicht vertauschen. Der Verstand vermag nichts anzuschauen, und die S<strong>in</strong>ne<br />

nichts zu denken. Nur daraus, daß sie sich vere<strong>in</strong>igen, kann Erkenntnis entspr<strong>in</strong>gen.<br />

Deswegen darf man aber doch nicht ihren Anteil vermischen, son<strong>der</strong>n man hat große<br />

Ursache, jedes <strong>von</strong> dem an<strong>der</strong>n sorgfältig abzuson<strong>der</strong>n, und zu unterscheiden. Daher<br />

unterscheiden wir die Wissenschaft <strong>der</strong> Regeln <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit überhaupt, d.i. Ästhetik,<br />

<strong>von</strong> <strong>der</strong> Wissenschaft <strong>der</strong> Verstandesregeln überhaupt, d.i. <strong>der</strong> Logik.<br />

Die Logik kann nun wie<strong>der</strong>um <strong>in</strong> zwiefacher Absicht unternommen werden, entwe<strong>der</strong> als<br />

Logik des allgeme<strong>in</strong>en, o<strong>der</strong> des beson<strong>der</strong>en Verstandesgebrauchs. Die erste enthält die<br />

schlechth<strong>in</strong> notwendigen Regeln des Denkens, ohne welche gar ke<strong>in</strong> Gebrauch des<br />

Verstandes stattf<strong>in</strong>det, und geht also auf diesen, unangesehen <strong>der</strong> Verschiedenheit <strong>der</strong><br />

Gegenstände, auf welche er gerichtet se<strong>in</strong> mag. Die Logik des beson<strong>der</strong>en<br />

Verstandesgebrauchs enthält die Regeln, über e<strong>in</strong>e gewisse Art <strong>von</strong> Gegenständen richtig<br />

zu denken. Jene kann man die Elementarlogik nennen, diese aber das Organon dieser<br />

o<strong>der</strong> jener Wissenschaft. Die letztere wird mehrenteils <strong>in</strong> den Schulen als Propädeutik <strong>der</strong><br />

Wissenschaften vorangeschickt, ob sie zwar, nach dem Gange <strong>der</strong> menschlichen<br />

<strong>Vernunft</strong>, das Späteste ist wozu sie allererst gelangt, wenn die Wissenschaft schon lange<br />

fertig ist, und nur die letzte Hand zu ihrer Berichtigung und Vollkommenheit bedarf. Denn<br />

26


man muß die Gegenstände schon <strong>in</strong> ziemlich hohem Grade kennen, wenn man die Regel<br />

angeben will, wie sich e<strong>in</strong>e Wissenschaft <strong>von</strong> ihnen zustande br<strong>in</strong>gen lasse.<br />

Die allgeme<strong>in</strong>e Logik ist nun entwe<strong>der</strong> die re<strong>in</strong>e, o<strong>der</strong> die angewandte Logik. In <strong>der</strong><br />

ersteren abstrahieren wir <strong>von</strong> allen empirischen Bed<strong>in</strong>gungen, unter denen unser Verstand<br />

ausgeübt wird, z.B. vom E<strong>in</strong>fluß <strong>der</strong> S<strong>in</strong>ne, vom Spiele <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildung, den Gesetzen des<br />

Gedächtnisses, <strong>der</strong> Macht <strong>der</strong> Gewohnheit, <strong>der</strong> Neigung usw., mith<strong>in</strong> auch den Quellen<br />

<strong>der</strong> Vorurteile, ja gar überhaupt <strong>von</strong> allen Ursachen, daraus uns gewisse Erkenntnisse<br />

entspr<strong>in</strong>gen o<strong>der</strong> unterschoben werden mögen, weil sie bloß den Verstand unter gewissen<br />

Umständen se<strong>in</strong>er Anwendung betreffen, und, um diese zu kennen, Erfahrung erfor<strong>der</strong>t<br />

wird. E<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e, aber re<strong>in</strong>e Logik hat es also mit lauter Pr<strong>in</strong>zipien a priori zu tun und<br />

ist e<strong>in</strong> Kanon des Verstandes und <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong>, aber nur <strong>in</strong> Ansehung des Formalen ihres<br />

Gebrauchs, <strong>der</strong> Inhalt mag se<strong>in</strong>, welcher er wolle (empirisch o<strong>der</strong> transzendental). E<strong>in</strong>e<br />

allgeme<strong>in</strong>e Logik heißt aber alsdann angewandt, wenn sie auf die Regeln des Gebrauchs<br />

des Verstandes unter den subjektiven empirischen Bed<strong>in</strong>gungen, die uns die Psychologie<br />

lehrt, gerichtet ist. Sie hat also empirische Pr<strong>in</strong>zipien, ob sie zwar <strong>in</strong>sofern allgeme<strong>in</strong> ist,<br />

daß sie auf den Verstandesgebrauch ohne Unterschied <strong>der</strong> Gegenstände geht. Um<br />

deswillen ist sie auch we<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Kanon des Verstandes überhaupt, noch e<strong>in</strong> Organon<br />

beson<strong>der</strong>er Wissenschaften, son<strong>der</strong>n lediglich e<strong>in</strong> Kathartikon des geme<strong>in</strong>en Verstandes.<br />

In <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Logik muß also <strong>der</strong> Teil, <strong>der</strong> die re<strong>in</strong>e <strong>Vernunft</strong>lehre ausmachen soll,<br />

<strong>von</strong> demjenigen gänzlich abgeson<strong>der</strong>t werden, welcher die angewandte (obzwar noch<br />

immer allgeme<strong>in</strong>e) Logik ausmacht. Der erstere ist eigentlich nur alle<strong>in</strong> Wissenschaft,<br />

obzwar kurz und trocken, und wie es die schulgerechte Darstellung e<strong>in</strong>er Elementarlehre<br />

des Verstandes erfor<strong>der</strong>t. In dieser müssen also die Logiker je<strong>der</strong>zeit zwei Regeln vor<br />

Augen haben.<br />

1. Als allgeme<strong>in</strong>e Logik abstrahiert sie <strong>von</strong> allem Inhalt <strong>der</strong> Verstandeserkenntnis und <strong>der</strong><br />

Verschiedenheit ihrer Gegenstände, und hat mit nichts als <strong>der</strong> bloßen Form des Denkens<br />

zu tun.<br />

2. Als re<strong>in</strong>e Logik hat sie ke<strong>in</strong>e empirischen Pr<strong>in</strong>zipien, mith<strong>in</strong> schöpft sie nichts (wie man<br />

sich bisweilen überredet hat) aus <strong>der</strong> Psychologie, die also auf den Kanon des Verstandes<br />

gar ke<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluß hat. Sie ist e<strong>in</strong>e demonstrierte Doktr<strong>in</strong>, und alles muß <strong>in</strong> ihr völlig a<br />

priori gewiß se<strong>in</strong>.<br />

Was ich die angewandte Logik nenne (wi<strong>der</strong> die geme<strong>in</strong>e Bedeutung dieses Wortes, nach<br />

<strong>der</strong> sie gewisse Exerzitien, dazu die re<strong>in</strong>e Logik die Regel gibt, enthalten soll), so ist sie<br />

e<strong>in</strong>e Vorstellung des Verstandes und <strong>der</strong> Regeln se<strong>in</strong>es notwendigen Gebrauchs <strong>in</strong><br />

concreto, nämlich unter den zufälligen Bed<strong>in</strong>gungen des Subjekts, die diesen Gebrauch<br />

h<strong>in</strong><strong>der</strong>n o<strong>der</strong> beför<strong>der</strong>n können, und die <strong>in</strong>sgesamt nur empirisch gegeben werden. Sie<br />

handelt <strong>von</strong> <strong>der</strong> Aufmerksamkeit, <strong>der</strong>en H<strong>in</strong><strong>der</strong>nis und Folgen, dem Ursprunge des<br />

Irrtums, dem Zustande des Zweifels, des Skrupels, <strong>der</strong> Überzeugung usw. und zu ihr<br />

verhält sich die allgeme<strong>in</strong>e und re<strong>in</strong>e Logik wie die re<strong>in</strong>e Moral, welche bloß die<br />

notwendigen sittlichen Gesetze e<strong>in</strong>es freien Willens überhaupt enthält, zu <strong>der</strong> eigentlichen<br />

Tugendlehre, welche diese Gesetze unter den H<strong>in</strong><strong>der</strong>nissen <strong>der</strong> Gefühle, Neigungen und<br />

Leidenschaften, denen die Menschen mehr o<strong>der</strong> weniger unterworfen s<strong>in</strong>d, erwägt, und<br />

welche niemals e<strong>in</strong>e wahre und demonstrierte Wissenschaft abgeben kann, weil sie<br />

ebensowohl als jene angewandte Logik empirische und psychologische Pr<strong>in</strong>zipien bedarf.<br />

27


II. Von <strong>der</strong> transzendentalen Logik<br />

Die allgeme<strong>in</strong>e Logik abstrahiert, wie wir gewiesen, <strong>von</strong> allem Inhalt <strong>der</strong> Erkenntnis, d.i.<br />

<strong>von</strong> aller Beziehung <strong>der</strong>selben auf das Objekt und betrachtet nur die logische Form im<br />

Verhältnisse <strong>der</strong> Erkenntnisse aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, d.i. die Form des Denkens überhaupt. Weil es<br />

nun aber sowohl re<strong>in</strong>e, als empirische Anschauungen gibt (wie die transzendentale<br />

Ästhetik dartut), so könnte auch wohl e<strong>in</strong> Unterschied zwischen re<strong>in</strong>em und empirischem<br />

Denken <strong>der</strong> Gegenstände angetroffen werden. In diesem Falle würde es e<strong>in</strong>e Logik<br />

geben, <strong>in</strong> <strong>der</strong> man nicht <strong>von</strong> allem Inhalt <strong>der</strong> Erkenntnis abstrahierte; denn diejenige,<br />

welche bloß die Regeln des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Denkens e<strong>in</strong>es Gegenstandes enthielte, würde alle<br />

diejenigen Erkenntnisse ausschließen, welche <strong>von</strong> empirischem Inhalte wären. Sie würde<br />

auch auf den Ursprung unserer Erkenntnisse <strong>von</strong> Gegenständen gehen, sofern er nicht<br />

den Gegenständen zugeschrieben werden kann; dah<strong>in</strong>gegen die allgeme<strong>in</strong>e Logik mit<br />

diesem Ursprunge <strong>der</strong> Erkenntnis nichts zu tun hat, son<strong>der</strong>n die Vorstellungen, sie mögen<br />

uranfänglich a priori <strong>in</strong> uns selbst, o<strong>der</strong> nur empirisch gegeben se<strong>in</strong>, bloß nach den<br />

Gesetzen betrachtet, nach welchen <strong>der</strong> Verstand sie im Verhältnis gegene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> braucht,<br />

wenn er denkt und also nur <strong>von</strong> <strong>der</strong> Verstandesform handelt, die den Vorstellungen<br />

verschafft werden kann, woher sie auch sonst entsprungen se<strong>in</strong> mögen.<br />

Und hier mache ich e<strong>in</strong>e Anmerkung, die ihren E<strong>in</strong>fluß auf alle nachfolgenden<br />

Betrachtungen erstreckt, und die man wohl vor Augen haben muß, nämlich: daß nicht e<strong>in</strong>e<br />

jede Erkenntnis a priori, son<strong>der</strong>n nur die, dadurch wir erkennen, daß und wie gewisse<br />

Vorstellungen (Anschauungen o<strong>der</strong> Begriffe) lediglich a priori angewandt werden, o<strong>der</strong><br />

möglich s<strong>in</strong>d, transzendental (d.i. die Möglichkeit <strong>der</strong> Erkenntnis o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gebrauch<br />

<strong>der</strong>selben a priori) heißen müsse. Daher ist we<strong>der</strong> <strong>der</strong> Raum, noch irgende<strong>in</strong>e<br />

geometrische Bestimmung desselben a priori e<strong>in</strong>e transzendentale Vorstellung, son<strong>der</strong>n<br />

nur die Erkenntnis, daß diese Vorstellungen gar nicht empirischen Ursprungs s<strong>in</strong>d, und die<br />

Möglichkeit, wie sie sich gleichwohl a priori auf Gegenstände <strong>der</strong> Erfahrung beziehen<br />

könne, kann transzendental heißen. Imgleichen würde <strong>der</strong> Gebrauch des Raumes <strong>von</strong><br />

Gegenständen überhaupt auch transzendental se<strong>in</strong>: aber ist er lediglich auf Gegenstände<br />

<strong>der</strong> S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>geschränkt, so heißt er empirisch. Der Unterschied des transzendentalen<br />

und empirischen gehört also nur zur <strong>Kritik</strong> <strong>der</strong> Erkenntnisse, und betrifft nicht die<br />

Beziehung <strong>der</strong>selben auf ihren Gegenstand.<br />

In <strong>der</strong> Erwartung also, daß es vielleicht Begriffe geben könne, die sich a priori auf<br />

Gegenstände beziehen mögen, nicht als re<strong>in</strong>e o<strong>der</strong> s<strong>in</strong>nliche Anschauungen, son<strong>der</strong>n bloß<br />

als Handlungen des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Denkens, die mith<strong>in</strong> Begriffe, aber we<strong>der</strong> empirischen noch<br />

ästhetischen Ursprungs s<strong>in</strong>d, so machen wir uns zum voraus die Idee <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Wissenschaft des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes und <strong>Vernunft</strong>erkenntnisses, dadurch wir<br />

Gegenstände völlig a priori denken. E<strong>in</strong>e solche Wissenschaft, welche den Ursprung, den<br />

Umfang und die objektive Gültigkeit solcher Erkenntnisse bestimmte, würde<br />

transzendentale Logik heißen müssen, weil sie es bloß mit den Gesetzen des Verstandes<br />

und <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong> zu tun hat, aber lediglich, sofern sie auf Gegenstände a priori bezogen<br />

wird, und nicht, wie die allgeme<strong>in</strong>e Logik, auf die empirischen sowohl, als <strong>re<strong>in</strong>en</strong><br />

<strong>Vernunft</strong>erkenntnisse ohne Unterschied.<br />

28


III. Von <strong>der</strong> E<strong>in</strong>teilung <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Logik <strong>in</strong> Analytik und Dialektik<br />

Die alte und berühmte Frage, womit man die Logiker <strong>in</strong> die Enge zu treiben verme<strong>in</strong>te, und<br />

sie dah<strong>in</strong> zu br<strong>in</strong>gen suchte, daß sie sich entwe<strong>der</strong> auf e<strong>in</strong>er elenden Diallele mußten<br />

betreffen lassen, o<strong>der</strong> ihre Unwissenheit, mith<strong>in</strong> die Eitelkeit ihrer ganzen Kunst bekennen<br />

sollten, ist diese: Was ist Wahrheit? Die Namenerklärung <strong>der</strong> Wahrheit, daß sie nämlich<br />

die Übere<strong>in</strong>stimmung <strong>der</strong> Erkenntnis mit ihrem Gegenstande sei, wird hier geschenkt und<br />

vorausgesetzt; man verlangt aber zu wissen, welches das allgeme<strong>in</strong>e und sichere<br />

Kriterium <strong>der</strong> Wahrheit e<strong>in</strong>er jeden Erkenntnis sei.<br />

Es ist schon e<strong>in</strong> großer und nötiger Beweis <strong>der</strong> Klugheit o<strong>der</strong> E<strong>in</strong>sicht, zu wissen, was<br />

man vernünftigerweise fragen solle. Denn wenn die Frage an sich ungereimt ist, und<br />

unnötige Antworten verlangt, so hat sie, außer <strong>der</strong> Beschämung dessen, <strong>der</strong> sie aufwirft,<br />

bisweilen noch den Nachteil, den unbehutsamen Anhörer <strong>der</strong>selben zu ungereimten<br />

Antworten zu verleiten, und den belachenswerten Anblick zu geben, daß e<strong>in</strong>er (wie die<br />

Alten sagten) den Bock melkt, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e e<strong>in</strong> Sieb unterhält.<br />

Wenn Wahrheit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung e<strong>in</strong>er Erkenntnis mit ihrem Gegenstande besteht,<br />

so muß dadurch dieser Gegenstand <strong>von</strong> an<strong>der</strong>en unterschieden werden; denn e<strong>in</strong>e<br />

Erkenntnis ist falsch, wenn sie mit dem Gegenstande, worauf sie bezogen wird, nicht<br />

übere<strong>in</strong>stimmt, ob sie gleich etwas enthält, was wohl <strong>von</strong> an<strong>der</strong>en Gegenständen gelten<br />

könnte. Nun würde e<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>es Kriterium <strong>der</strong> Wahrheit dasjenige se<strong>in</strong>, welches <strong>von</strong><br />

allen Erkenntnissen, ohne Unterschied ihrer Gegenstände, gültig wäre. Es ist aber klar,<br />

daß, da man bei demselben <strong>von</strong> allem Inhalt <strong>der</strong> Erkenntnis (Beziehung auf ihr Objekt)<br />

abstrahiert, und Wahrheit gerade diesen Inhalt angeht, es ganz unmöglich und ungereimt<br />

sei, nach e<strong>in</strong>em Merkmale <strong>der</strong> Wahrheit dieses Inhalts <strong>der</strong> Erkenntnisse zu fragen, und<br />

daß also e<strong>in</strong> h<strong>in</strong>reichendes, und doch zugleich allgeme<strong>in</strong>es Kennzeichen <strong>der</strong> Wahrheit<br />

unmöglich angegeben werden könne. Da wir oben schon den Inhalt e<strong>in</strong>er Erkenntnis die<br />

Materie <strong>der</strong>selben genannt haben, so wird man sagen müssen: <strong>von</strong> <strong>der</strong> Wahrheit <strong>der</strong><br />

Erkenntnis <strong>der</strong> Materie nach läßt sich ke<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>es Kennzeichen verlangen, weil es <strong>in</strong><br />

sich selbst wi<strong>der</strong>sprechend ist.<br />

Was aber das Erkenntnis <strong>der</strong> bloßen Form nach (mit Beiseitesetzung alles Inhalts) betrifft,<br />

so ist ebenso klar: daß e<strong>in</strong>e Logik, sofern sie die allgeme<strong>in</strong>en und notwendigen Regeln<br />

des Verstandes vorträgt, eben <strong>in</strong> diesen Regeln Kriterien <strong>der</strong> Wahrheit darlegen müsse.<br />

Denn, was diesen wi<strong>der</strong>spricht, ist falsch, weil <strong>der</strong> Verstand dabei se<strong>in</strong>en allgeme<strong>in</strong>en<br />

Regeln des Denkens, mith<strong>in</strong> sich selbst wi<strong>der</strong>streitet. Diese Kriterien aber betreffen nur die<br />

Form <strong>der</strong> Wahrheit, d.i. des Denkens überhaupt und s<strong>in</strong>d sofern ganz richtig, aber nicht<br />

h<strong>in</strong>reichend. Denn obgleich e<strong>in</strong>e Erkenntnis <strong>der</strong> logischen Form völlig gemäß se<strong>in</strong> möchte,<br />

d.i. sich selbst nicht wi<strong>der</strong>spräche, so kann sie doch noch immer dem Gegenstande<br />

wi<strong>der</strong>sprechen. Also ist das bloß logische Kriterium <strong>der</strong> Wahrheit, nämlich die<br />

Übere<strong>in</strong>stimmung e<strong>in</strong>er Erkenntnis mit den allgeme<strong>in</strong>en und formalen Gesetzen des<br />

Verstandes und <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong> zwar die conditio s<strong>in</strong>e qua non, mith<strong>in</strong> die negative<br />

Bed<strong>in</strong>gung aller Wahrheit: weiter aber kann die Logik nicht gehen, und den Irrtum, <strong>der</strong><br />

nicht die Form, son<strong>der</strong>n den Inhalt trifft, kann die Logik durch ke<strong>in</strong>en Probierste<strong>in</strong><br />

entdecken.<br />

Die allgeme<strong>in</strong>e Logik löst nun das ganze formale Geschäft des Verstandes und <strong>der</strong><br />

<strong>Vernunft</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Elemente auf und stellt sie als Pr<strong>in</strong>zipien aller logischen Beurteilung<br />

unserer Erkenntnis dar. Dieser Teil <strong>der</strong> Logik kann daher Analytik heißen und ist eben<br />

darum <strong>der</strong> wenigstens negative Probierste<strong>in</strong> <strong>der</strong> Wahrheit, <strong>in</strong>dem man zuvör<strong>der</strong>st alle<br />

Erkenntnis, ihrer Form nach, an diesen Regeln prüfen und schätzen muß, ehe man sie<br />

selbst ihrem Inhalt nach untersucht, um auszumachen, ob sie <strong>in</strong> Ansehung des<br />

Gegenstandes positive Wahrheit enthalten. Weil aber die bloße Form des Erkenntnisses,<br />

29


so sehr sie auch mit logischen Gesetzen übere<strong>in</strong>stimmen mag, noch lange nicht h<strong>in</strong>reicht,<br />

materielle (objektive) Wahrheit dem Erkenntnisse darum auszumachen, so kann sich<br />

niemand bloß mit <strong>der</strong> Logik wagen, über Gegenstände zu urteilen, und irgend etwas zu<br />

behaupten, ohne <strong>von</strong> ihnen vorher gegründete Erkundigung außer <strong>der</strong> Logik e<strong>in</strong>gezogen<br />

zu haben, um hernach bloß die Benutzung und die Verknüpfung <strong>der</strong>selben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

zusammenhängenden Ganzen nach logischen Gesetzen zu versuchen, noch besser aber,<br />

sie lediglich danach zu prüfen. Gleichwohl liegt so etwas Verleitendes <strong>in</strong> dem Besitze e<strong>in</strong>er<br />

so sche<strong>in</strong>baren Kunst, allen unseren Erkenntnissen die Form des Verstandes zu geben,<br />

ob man gleich <strong>in</strong> Ansehung des Inhalts <strong>der</strong>selben noch sehr leer und arm se<strong>in</strong> mag, daß<br />

jene allgeme<strong>in</strong>e Logik, die bloß e<strong>in</strong> Kanon zur Beurteilung ist, gleichsam wie e<strong>in</strong> Organon<br />

zur wirklichen Hervorbr<strong>in</strong>gung wenigstens dem Blendwerk <strong>von</strong> objektiven Behauptungen<br />

gebraucht, und mith<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat dadurch gemißbraucht worden. Die allgeme<strong>in</strong>e Logik nun<br />

als verme<strong>in</strong>tes Organon heißt Dialektik.<br />

So verschieden auch die Bedeutung ist, <strong>in</strong> <strong>der</strong> die Alten dieser Benennung e<strong>in</strong>er<br />

Wissenschaft o<strong>der</strong> Kunst sich bedienten, so kann man doch aus dem wirklichen<br />

Gebrauche <strong>der</strong>selben sicher abnehmen, daß sie bei ihnen nichts an<strong>der</strong>es war, als die<br />

Logik des Sche<strong>in</strong>s. E<strong>in</strong>e sophistische Kunst, se<strong>in</strong>er Unwissenheit, ja auch se<strong>in</strong>en<br />

vorsätzlichen Blendwerken den Anstrich <strong>der</strong> Wahrheit zu geben, daß man die Methode <strong>der</strong><br />

Gründlichkeit, welche die Logik überhaupt vorschreibt, nachahmte, und ihre Topik zu<br />

Beschönigung jedes leeren Vorgebens benutzte. Nun kann man es als e<strong>in</strong>e sichere und<br />

brauchbare Warnung anmerken: daß die allgeme<strong>in</strong>e Logik, als Organon betrachtet,<br />

je<strong>der</strong>zeit e<strong>in</strong>e Logik des Sche<strong>in</strong>s, d.i. dialektisch sei. Denn da sie uns gar nichts über den<br />

Inhalt <strong>der</strong> Erkenntnis lehrt, son<strong>der</strong>n nur bloß die formalen Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong><br />

Übere<strong>in</strong>stimmung mit dem Verstande, welche übrigens <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong> Gegenstände<br />

gänzlich gleichgültig s<strong>in</strong>d; so muß die Zumutung, sich <strong>der</strong>selben als e<strong>in</strong>es Werkzeugs<br />

(Organon) zu gebrauchen, um se<strong>in</strong>e Kenntnisse, wenigstens dem Vorgeben nach,<br />

auszubreiten und zu erweitern, auf nichts als Geschwätzigkeit h<strong>in</strong>auslaufen, alles, was<br />

man will, mit e<strong>in</strong>igem Sche<strong>in</strong> zu behaupten, o<strong>der</strong> auch nach Belieben anzufechten.<br />

E<strong>in</strong>e solche Unterweisung ist <strong>der</strong> Würde <strong>der</strong> Philosophie auf ke<strong>in</strong>e Weise gemäß. Um<br />

deswillen hat man diese Benennung <strong>der</strong> Dialektik lieber als e<strong>in</strong>e <strong>Kritik</strong> des dialektischen<br />

Sche<strong>in</strong>s, <strong>der</strong> Logik beigezählt, und als e<strong>in</strong>e solche wollen wir sie auch hier verstanden<br />

wissen.<br />

30


IV. Von <strong>der</strong> E<strong>in</strong>teilung <strong>der</strong> transzendentalen Logik <strong>in</strong> die transzendentale Analytik und<br />

Dialektik<br />

In e<strong>in</strong>er transzendentalen Logik isolieren wir den Verstand (so wie oben <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

transzendentalen Ästhetik die S<strong>in</strong>nlichkeit), und heben bloß den Teil des Denkens aus<br />

unserem Erkenntnisse heraus, <strong>der</strong> lediglich se<strong>in</strong>en Ursprung <strong>in</strong> dem Verstande hat. Der<br />

Gebrauch dieser <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Erkenntnis aber beruht darauf, als ihrer Bed<strong>in</strong>gung: daß uns<br />

Gegenstände <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anschauung gegeben seien, worauf jene angewandt werden könne.<br />

Denn ohne Anschauung fehlt es aller unserer Erkenntnis an Objekten, und sie bleibt<br />

alsdann völlig leer. Der Teil <strong>der</strong> transzendentalen Logik also, <strong>der</strong> die Elemente <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong><br />

Verstandeserkenntnis vorträgt und die Pr<strong>in</strong>zipien, ohne welche überall ke<strong>in</strong> Gegenstand<br />

gedacht werden kann, ist die transzendentale Analytik, und zugleich e<strong>in</strong>e Logik <strong>der</strong><br />

Wahrheit. Denn ihr kann ke<strong>in</strong>e Erkenntnis wi<strong>der</strong>sprechen, ohne daß sie zugleich allen<br />

Inhalt verlöre, d.i. alle Beziehung auf irgende<strong>in</strong> Objekt, mith<strong>in</strong> alle Wahrheit. Weil es aber<br />

anlockend und verleitend ist, sich dieser <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandeserkenntnisse und Grundsätze<br />

alle<strong>in</strong> und selbst über die Grenzen <strong>der</strong> Erfahrung h<strong>in</strong>aus zu bedienen, welche doch e<strong>in</strong>zig<br />

und alle<strong>in</strong> uns die Materie (Objekte) an die Hand geben kann, worauf jene <strong>re<strong>in</strong>en</strong><br />

Verstandesbegriffe angewandt werden können: so gerät <strong>der</strong> Verstand <strong>in</strong> Gefahr, durch<br />

leere Vernünfteleien <strong>von</strong> den bloßen formalen Pr<strong>in</strong>zipien des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes e<strong>in</strong>en<br />

materialen Gebrauch zu machen und über Gegenstände ohne Unterschied zu urteilen, die<br />

uns doch nicht gegeben s<strong>in</strong>d, ja vielleicht auf ke<strong>in</strong>erlei Weise gegeben werden können. Da<br />

sie also eigentlich nur e<strong>in</strong> Kanon <strong>der</strong> Beurteilung des empirischen Gebrauchs se<strong>in</strong> sollte,<br />

so wird sie gemißbraucht, wenn man sie als das Organon e<strong>in</strong>es allgeme<strong>in</strong>en und<br />

unbeschränkten Gebrauchs gelten läßt, und sich mit dem <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstande alle<strong>in</strong> wagt,<br />

synthetisch über Gegenstände überhaupt zu urteilen, zu behaupten, und zu entscheiden.<br />

Also würde <strong>der</strong> Gebrauch des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes alsdann dialektisch se<strong>in</strong>.<br />

Der zweite Teil <strong>der</strong> transzendentalen Logik muß also e<strong>in</strong>e <strong>Kritik</strong> dieses dialektischen<br />

Sche<strong>in</strong>es se<strong>in</strong> und heißt transzendentale Dialektik, nicht als e<strong>in</strong>e Kunst, <strong>der</strong>gleichen<br />

Sche<strong>in</strong> dogmatisch zu erregen (e<strong>in</strong>e lei<strong>der</strong> sehr gangbare Kunst mannigfaltiger<br />

metaphysischer Gaukelwerke), son<strong>der</strong>n als e<strong>in</strong>e <strong>Kritik</strong> des Verstandes und <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong> <strong>in</strong><br />

Ansehung ihres hyperphysischen Gebrauchs, um den falschen Sche<strong>in</strong> ihrer grundlosen<br />

Anmaßungen aufzudecken, und ihre Ansprüche auf Erf<strong>in</strong>dung und Erweiterung, die sie<br />

bloß durch transzendentale Grundsätze zu erreichen verme<strong>in</strong>t, zur bloßen Beurteilung und<br />

Verwahrung des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes vor sophistischem Blendwerke herabzusetzen.<br />

31


Erste Abteilung: Die transzendentale Analytik<br />

Diese Analytik ist die Zerglie<strong>der</strong>ung unseres gesamten Erkenntnisses a priori <strong>in</strong> die<br />

Elemente <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandeserkenntnis. Es kommt hierbei auf folgende Stücke an:<br />

1) Daß die Begriffe re<strong>in</strong>e und nicht empirische Begriffe s<strong>in</strong>d.<br />

2) Daß sie nicht zur Anschauung und zur S<strong>in</strong>nlichkeit, son<strong>der</strong>n zum Denken und<br />

Verstande gehören.<br />

3) Daß sie Elementarbegriffe s<strong>in</strong>d und <strong>von</strong> den abgeleiteten, o<strong>der</strong> daraus<br />

zusammengesetzten, wohl unterschieden werden.<br />

4) Daß ihre Tafel vollständig sei, und sie das ganze Feld des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes<br />

gänzlich ausfüllen.<br />

Nun kann diese Vollständigkeit e<strong>in</strong>er Wissenschaft nicht auf den Überschlag, e<strong>in</strong>es bloß<br />

durch Versuche zustande gebrachten Aggregats, mit Zuverlässigkeit angenommen<br />

werden; daher ist sie nur vermittels e<strong>in</strong>er Idee des Ganzen <strong>der</strong> Verstandeserkenntnis a<br />

priori und die daraus bestimmte Abteilung <strong>der</strong> Begriffe, welche sie ausmachen, mith<strong>in</strong> nur<br />

durch ihren Zusammenhang <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em System möglich. Der re<strong>in</strong>e Verstand son<strong>der</strong>t sich<br />

nicht alle<strong>in</strong> <strong>von</strong> allem Empirischen, son<strong>der</strong>n sogar <strong>von</strong> aller S<strong>in</strong>nlichkeit völlig aus. Er ist<br />

also e<strong>in</strong>e für sich selbst beständige, sich selbst genugsame, und durch ke<strong>in</strong>e äußerlich<br />

h<strong>in</strong>zukommenden Zusätze zu vermehrende E<strong>in</strong>heit. Daher wird <strong>der</strong> Inbegriff se<strong>in</strong>er<br />

Erkenntnis e<strong>in</strong> unter e<strong>in</strong>er Idee zu befassendes und zu bestimmendes System<br />

ausmachen, dessen Vollständigkeit und Artikulation zugleich e<strong>in</strong>en Probierste<strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Richtigkeit und Echtheit aller h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>passenden Erkenntnisstücke abgeben kann. Es<br />

besteht aber dieser ganze Teil <strong>der</strong> transzendentalen Logik aus zwei Büchern, <strong>der</strong>en das<br />

e<strong>in</strong>e die Begriffe, das an<strong>der</strong>e die Grundsätze des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes enthält.<br />

Erstes Buch: Die Analytik <strong>der</strong> Begriffe<br />

Ich verstehe unter <strong>der</strong> Analytik <strong>der</strong> Begriffe nicht die Analysis <strong>der</strong>selben, o<strong>der</strong> das<br />

gewöhnliche Verfahren <strong>in</strong> philosophischen Untersuchungen, Begriffe, die sich darbieten,<br />

ihrem Inhalte nach zu zerglie<strong>der</strong>n und zur Deutlichkeit zu br<strong>in</strong>gen, son<strong>der</strong>n die noch wenig<br />

versuchte Zerglie<strong>der</strong>ung des Verstandesvermögens selbst, um die Möglichkeit <strong>der</strong> Begriffe<br />

a priori dadurch zu erforschen, daß wir sie im Verstande alle<strong>in</strong>, als ihrem Geburtsorte,<br />

aufsuchen und dessen <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Gebrauch überhaupt analysieren; denn dieses ist das<br />

eigentümliche Geschäft e<strong>in</strong>er Transzendental-Philosophie; das übrige ist die logische<br />

Behandlung <strong>der</strong> Begriffe <strong>in</strong> <strong>der</strong> Philosophie überhaupt. Wir werden also die <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Begriffe<br />

bis zu ihren ersten Keimen und Anlagen im menschlichen Verstande verfolgen, <strong>in</strong> denen<br />

sie vorbereitet liegen, bis sie endlich bei Gelegenheit <strong>der</strong> Erfahrung entwickelt und durch<br />

ebendenselben Verstand, <strong>von</strong> den ihnen anhängenden empirischen Bed<strong>in</strong>gungen befreit,<br />

<strong>in</strong> ihrer Lauterkeit dargestellt werden.<br />

32


1. Hauptstück: Von dem Leitfaden <strong>der</strong> Entdeckung aller <strong>re<strong>in</strong>en</strong><br />

Verstandesbegriffe<br />

Wenn man e<strong>in</strong> Erkenntnisvermögen <strong>in</strong>s Spiel setzt, so tun sich, nach den mancherlei<br />

Anlässen, verschiedene Begriffe hervor, die dieses Vermögen kennbar machen und sich <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em mehr o<strong>der</strong> weniger ausführlichen Aufsatz sammeln lassen, nachdem die<br />

Beobachtung <strong>der</strong>selben längere Zeit, o<strong>der</strong> mit größerer Scharfsichtigkeit angestellt<br />

worden. Wo diese Untersuchung werde vollendet se<strong>in</strong>, läßt sich, nach diesem gleichsam<br />

mechanischen Verfahren, niemals mit Sicherheit bestimmen. Auch entdecken sich die<br />

Begriffe, die man nur so bei Gelegenheit auff<strong>in</strong>det, <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Ordnung und systematischen<br />

E<strong>in</strong>heit, son<strong>der</strong>n werden zuletzt nur nach Ähnlichkeiten gepaart und nach <strong>der</strong> Größe ihres<br />

Inhalts, <strong>von</strong> den e<strong>in</strong>fachen an, zu den mehr zusammengesetzten, <strong>in</strong> Reihen gestellt, die<br />

nichts weniger als systematisch, obgleich auf gewisse Weise methodisch zustande<br />

gebracht werden.<br />

Die Transzendental-Philosophie hat den Vorteil, aber auch die Verb<strong>in</strong>dlichkeit, ihre Begriffe<br />

nach e<strong>in</strong>em Pr<strong>in</strong>zip aufzusuchen; weil sie aus dem Verstande, als absoluter E<strong>in</strong>heit, re<strong>in</strong><br />

und unvermischt entspr<strong>in</strong>gen und daher selbst nach e<strong>in</strong>em Begriffe o<strong>der</strong> Idee, unter sich<br />

zusammenhängen müssen. E<strong>in</strong> solcher Zusammenhang aber gibt e<strong>in</strong>e Regel an die<br />

Hand, nach welcher jedem <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandesbegriff se<strong>in</strong>e Stelle und allen <strong>in</strong>sgesamt ihre<br />

Vollständigkeit a priori bestimmt werden kann, welches alles sonst vom Belieben o<strong>der</strong> dem<br />

Zufall abhängen würde.<br />

1. Abschnitt: Von dem logischen Verstandesgebrauche überhaupt<br />

Der Verstand wurde oben bloß negativ erklärt: durch e<strong>in</strong> nichts<strong>in</strong>nliches<br />

Erkenntnisvermögen. Nun können wir, unabhängig <strong>von</strong> <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit, ke<strong>in</strong>er<br />

Anschauung teilhaftig werden. Also ist <strong>der</strong> Verstand ke<strong>in</strong> Vermögen <strong>der</strong> Anschauung. Es<br />

gibt aber, außer <strong>der</strong> Anschauung, ke<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Art zu erkennen, als durch Begriffe. Also<br />

ist die Erkenntnis e<strong>in</strong>es jeden, wenigstens des menschlichen, Verstandes, e<strong>in</strong>e Erkenntnis<br />

durch Begriffe, nicht <strong>in</strong>tuitiv, son<strong>der</strong>n diskursiv. Alle Anschauungen, als s<strong>in</strong>nlich, beruhen<br />

auf Affektionen, die Begriffe aber auf Funktionen. Ich verstehe aber unter Funktion die<br />

E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Handlung, verschiedene Vorstellungen unter e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>schaftlichen zu<br />

ordnen. Begriffe gründen sich also auf <strong>der</strong> Spontaneität des Denkens, wie s<strong>in</strong>nliche<br />

Anschauungen auf <strong>der</strong> Rezeptivität <strong>der</strong> E<strong>in</strong>drücke. Von diesen Begriffen kann nun <strong>der</strong><br />

Verstand ke<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en Gebrauch machen, als daß er dadurch urteilt. Da ke<strong>in</strong>e<br />

Vorstellung unmittelbar auf den Gegenstand geht, als bloß die Anschauung, so wird e<strong>in</strong><br />

Begriff niemals auf e<strong>in</strong>en Gegenstand unmittelbar, son<strong>der</strong>n auf irgende<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e<br />

Vorstellung <strong>von</strong> demselben (sie sei Anschauung o<strong>der</strong> selbst schon Begriff) bezogen. Das<br />

Urteil ist also die mittelbare Erkenntnis e<strong>in</strong>es Gegenstandes, mith<strong>in</strong> die Vorstellung e<strong>in</strong>er<br />

Vorstellung desselben. In jedem Urteil ist e<strong>in</strong> Begriff, <strong>der</strong> für viele gilt, und unter diesem<br />

Vielen auch e<strong>in</strong>e gegebene Vorstellung begreift, welche letztere denn auf den Gegenstand<br />

unmittelbar bezogen wird. So bezieht sich z.B. <strong>in</strong> dem Urteile: alle Körper s<strong>in</strong>d<br />

verän<strong>der</strong>lich, <strong>der</strong> Begriff des Teilbaren auf verschiedene an<strong>der</strong>e Begriffe; unter diesen aber<br />

wird er hier beson<strong>der</strong>s auf den Begriff des Körpers bezogen; dieser aber auf gewisse uns<br />

vorkommende Ersche<strong>in</strong>ungen. Also werden diese Gegenstände durch den Begriff <strong>der</strong><br />

Teilbarkeit mittelbar vorgestellt. Alle Urteile s<strong>in</strong>d demnach Funktionen <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit unter<br />

unseren Vorstellungen, da nämlich statt e<strong>in</strong>er unmittelbaren Vorstellung e<strong>in</strong>e höhere, die<br />

diese und mehrere unter sich begreift, zur Erkenntnis des Gegenstandes gebraucht, und<br />

viel mögliche Erkenntnisse dadurch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er zusammengezogen werden. Wir können aber<br />

33


alle Handlungen des Verstandes auf Urteile zurückführen, so daß <strong>der</strong> Verstand überhaupt<br />

als e<strong>in</strong> Vermögen zu urteilen vorgestellt werden kann. Denn er ist nach dem obigen e<strong>in</strong><br />

Vermögen zu denken. Denken ist das Erkenntnis durch Begriffe. Begriffe aber beziehen<br />

sich, als Prädikate möglicher Urteile, auf irgende<strong>in</strong>e Vorstellung <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em noch<br />

unbestimmten Gegenstande. So bedeutet <strong>der</strong> Begriff des Körpers etwas, z.B. Metall, was<br />

durch jenen Begriff erkannt werden kann. Er ist also nur dadurch Begriff, daß unter ihm<br />

an<strong>der</strong>e Vorstellungen enthalten s<strong>in</strong>d, vermittels <strong>der</strong>en er sich auf Gegenstände beziehen<br />

kann. Er ist also das Prädikat zu e<strong>in</strong>em möglichen Urteile, z.B. e<strong>in</strong> jedes Metall ist e<strong>in</strong><br />

Körper. Die Funktionen des Verstandes können also <strong>in</strong>sgesamt gefunden werden, wenn<br />

man die Funktionen <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit <strong>in</strong> den Urteilen vollständig darstellen kann. Daß dies aber<br />

sich ganz wohl bewerkstelligen lasse, wird <strong>der</strong> folgende Abschnitt vor Augen stellen.<br />

2. Abschnitt: Von <strong>der</strong> logischen Funktion des Verstandes <strong>in</strong> Urteilen<br />

Wenn wir <strong>von</strong> allem Inhalte e<strong>in</strong>es Urteils überhaupt abstrahieren und nur auf die bloße<br />

Verstandesform dar<strong>in</strong> achtgeben, so f<strong>in</strong>den wir, daß die Funktion des Denkens <strong>in</strong><br />

demselben unter vier Titel gebracht werden könne, <strong>der</strong>en je<strong>der</strong> drei Momente unter sich<br />

enthält. Sie können füglich <strong>in</strong> folgen<strong>der</strong> Tafel vorgestellt werden.<br />

1. Quantität <strong>der</strong> Urteile<br />

Allgeme<strong>in</strong>e<br />

Beson<strong>der</strong>e<br />

E<strong>in</strong>zelne<br />

2. Qualität 3. Relation<br />

Bejahende Kategorische<br />

Verne<strong>in</strong>ende Hypothetische<br />

Unendliche Disjunktive<br />

4. Modalität<br />

Problematische<br />

Assertorische<br />

Apodiktische<br />

Da diese E<strong>in</strong>teilung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen, obgleich nicht wesentlichen Stücken, <strong>von</strong> <strong>der</strong> gewohnten<br />

Technik <strong>der</strong> Logiker abzuweichen sche<strong>in</strong>t, so werden folgende Verwahrungen wi<strong>der</strong> den<br />

besorglichen Mißverstand nicht unnötig se<strong>in</strong>.<br />

1. Die Logiker sagen mit Recht, daß man beim Gebrauch <strong>der</strong> Urteile <strong>in</strong> <strong>Vernunft</strong>schlüssen<br />

die e<strong>in</strong>zelnen Urteile gleich den allgeme<strong>in</strong>en behandeln könne. Denn eben darum, weil sie<br />

gar ke<strong>in</strong>en Umfang haben, kann das Prädikat <strong>der</strong>selben nicht bloß auf e<strong>in</strong>iges dessen,<br />

was unter dem Begriff des Subjekts enthalten ist, gezogen, <strong>von</strong> e<strong>in</strong>igem aber<br />

ausgenommen werden. Es gilt also <strong>von</strong> jenem Begriffe ohne Ausnahme, gleich als wenn<br />

<strong>der</strong>selbe e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>gültiger Begriff wäre, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Umfang hätte, <strong>von</strong> dessen ganzer<br />

Bedeutung das Prädikat gelte. Vergleichen wir dagegen e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnes Urteil mit e<strong>in</strong>em<br />

geme<strong>in</strong>gültigen, bloß als Erkenntnis, <strong>der</strong> Größe nach, so verhält sie sich zu diesem wie<br />

E<strong>in</strong>heit zur Unendlichkeit, und ist also an sich selbst da<strong>von</strong> wesentlich unterschieden.<br />

Also, wenn ich e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnes Urteil (iudicium s<strong>in</strong>gulare) nicht bloß nach se<strong>in</strong>er <strong>in</strong>neren<br />

Gültigkeit, son<strong>der</strong>n auch, als Erkenntnis überhaupt, nach <strong>der</strong> Größe, die es <strong>in</strong><br />

Vergleichung mit an<strong>der</strong>en Erkenntnissen hat, schätze, so ist es allerd<strong>in</strong>gs <strong>von</strong><br />

34


geme<strong>in</strong>gültigen Urteilen (iudicia communia) unterschieden, und verdient <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

vollständigen Tafel <strong>der</strong> Momente des Denkens überhaupt (obzwar freilich nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> bloß<br />

auf den Gebrauch <strong>der</strong> Urteile untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> e<strong>in</strong>geschränkten Logik) e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e<br />

Stelle.<br />

2. Ebenso müssen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er transzendentalen Logik unendliche Urteile <strong>von</strong> bejahenden<br />

noch unterschieden werden, wenn sie gleich <strong>in</strong> <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Logik jenen mit Recht<br />

beigezählt s<strong>in</strong>d und ke<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>es Glied <strong>der</strong> E<strong>in</strong>teilung ausmachen. Diese nämlich<br />

abstrahiert <strong>von</strong> allem Inhalt des Prädikats (ob es gleich verne<strong>in</strong>end ist) und sieht nur<br />

darauf, ob dasselbe dem Subjekt beigelegt, o<strong>der</strong> ihm entgegengesetzt werde. Jene aber<br />

betrachtet das Urteil auch nach dem Werte o<strong>der</strong> Inhalt dieser logischen Bejahung<br />

vermittels e<strong>in</strong>es bloß verne<strong>in</strong>enden Prädikats, und was diese <strong>in</strong> Ansehung des gesamten<br />

Erkenntnisses für e<strong>in</strong>en Gew<strong>in</strong>n verschafft. Hätte ich <strong>von</strong> <strong>der</strong> Seele gesagt, sie ist nicht<br />

sterblich, so hätte ich durch e<strong>in</strong> verne<strong>in</strong>endes Urteil wenigstens e<strong>in</strong>en Irrtum abgehalten.<br />

Nun habe ich durch den Satz: die Seele ist nicht sterblich, zwar <strong>der</strong> logischen Form nach<br />

wirklich bejaht, <strong>in</strong>dem ich die Seele <strong>in</strong> den unbeschränkten Umfang <strong>der</strong> nichtsterbenden<br />

Wesen setze. Weil nun <strong>von</strong> dem ganzen Umfange möglicher Wesen das Sterbliche e<strong>in</strong>en<br />

Teil enthält, das Nichtsterbliche aber den an<strong>der</strong>en, so ist durch me<strong>in</strong>en Satz nichts<br />

an<strong>der</strong>es gesagt, als daß die Seele e<strong>in</strong>e <strong>von</strong> <strong>der</strong> unendlichen Menge D<strong>in</strong>ge sei, die<br />

übrigbleiben, wenn ich das Sterbliche <strong>in</strong>sgesamt wegnehme. Dadurch aber wird nur die<br />

unendliche Sphäre alles Möglichen <strong>in</strong>soweit beschränkt, daß das Sterbliche da<strong>von</strong><br />

abgetrennt und <strong>in</strong> dem übrigen Raum ihres Umfangs die Seele gesetzt wird. Dieser Raum<br />

bleibt aber bei dieser Ausnahme noch immer unendlich, und können noch mehrere Teile<br />

desselben weggenommen werden, ohne daß darum <strong>der</strong> Begriff <strong>von</strong> <strong>der</strong> Seele im<br />

m<strong>in</strong>desten wächst und bejahend bestimmt wird. Diese unendlichen Urteile also <strong>in</strong><br />

Ansehung des logischen Umfanges s<strong>in</strong>d wirklich bloß beschränkend <strong>in</strong> Ansehung des<br />

Inhalts <strong>der</strong> Erkenntnis überhaupt, und <strong>in</strong>sofern müssen sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> transzendentalen Tafel<br />

aller Momente des Denkens <strong>in</strong> den Urteilen nicht übergangen werden, weil die hierbei<br />

ausgeübte Funktion des Verstandes vielleicht <strong>in</strong> dem Felde se<strong>in</strong>er <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Erkenntnis a<br />

priori wichtig se<strong>in</strong> kann.<br />

3. Alle Verhältnisse des Denkens <strong>in</strong> Urteilen s<strong>in</strong>d die<br />

a) des Prädikats zum Subjekt,<br />

b) des Grundes zur Folge,<br />

c) <strong>der</strong> e<strong>in</strong>geteilten Erkenntnis und <strong>der</strong> gesammelten Glie<strong>der</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>teilung<br />

untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong>.<br />

In <strong>der</strong> ersteren Art <strong>der</strong> Urteile s<strong>in</strong>d nur zwei Begriffe, <strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten zwei Urteile, <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

dritten mehrere Urteile im Verhältnis gegene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> betrachtet.<br />

Der hypothetische Satz: wenn e<strong>in</strong>e vollkommene Gerechtigkeit da ist, so wird <strong>der</strong><br />

beharrlich Böse bestraft, enthält eigentlich das Verhältnis zweier Sätze: Es ist e<strong>in</strong>e<br />

vollkommene Gerechtigkeit da, und <strong>der</strong> beharrlich Böse wird bestraft. Ob beide dieser<br />

Sätze an sich wahr s<strong>in</strong>d, bleibt hier unausgemacht. Es ist nur die Konsequenz, die durch<br />

dieses Urteil gedacht wird. Endlich enthält das disjunktive Urteil e<strong>in</strong> Verhältnis zweier, o<strong>der</strong><br />

mehrerer Sätze gegene<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, aber nicht <strong>der</strong> Abfolge, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> logischen<br />

Entgegensetzung, sofern die Sphäre des e<strong>in</strong>en die des an<strong>der</strong>en ausschließt, aber doch<br />

zugleich <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>schaft, <strong>in</strong>sofern sie zusammen die Sphäre <strong>der</strong> eigentlichen Erkenntnis<br />

ausfüllen, also e<strong>in</strong> Verhältnis <strong>der</strong> Teile <strong>der</strong> Sphäre e<strong>in</strong>es Erkenntnisses, da die Sphäre<br />

e<strong>in</strong>es jeden Teils e<strong>in</strong> Ergänzungsstück <strong>der</strong> Sphäre des an<strong>der</strong>en zu dem ganzen Inbegriff<br />

<strong>der</strong> e<strong>in</strong>geteilten Erkenntnis ist, z.E. die Welt ist entwe<strong>der</strong> durch e<strong>in</strong>en bl<strong>in</strong>den Zufall da,<br />

o<strong>der</strong> durch <strong>in</strong>nere Notwendigkeit, o<strong>der</strong> durch e<strong>in</strong>e äußere Ursache. Je<strong>der</strong> dieser Sätze<br />

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nimmt e<strong>in</strong>en Teil <strong>der</strong> Sphäre des möglichen Erkenntnisses über das Dase<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Welt<br />

überhaupt e<strong>in</strong>, alle zusammen die ganze Sphäre. Das Erkenntnis aus e<strong>in</strong>er dieser<br />

Sphären wegnehmen, heißt, sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> übrigen setzen, und dagegen sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Sphäre setzen, heißt, sie aus den übrigen wegnehmen. Es ist also <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em disjunktiven<br />

Urteile e<strong>in</strong>e gewisse Geme<strong>in</strong>schaft <strong>der</strong> Erkenntnisse, die dar<strong>in</strong> besteht, daß sie sich<br />

wechselseitig e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> ausschließen, aber dadurch doch im Ganzen die wahre Erkenntnis<br />

bestimmen, <strong>in</strong>dem sie zusammengenommen den ganzen Inhalt e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zigen gegebenen<br />

Erkenntnis ausmachen. Und dieses ist es auch nur, was ich des Folgenden wegen hierbei<br />

anzumerken nötig f<strong>in</strong>de.<br />

4. Die Modalität <strong>der</strong> Urteile ist e<strong>in</strong>e ganz beson<strong>der</strong>e Funktion <strong>der</strong>selben, die das<br />

Unterscheidende an sich hat, daß sie nichts zum Inhalte des Urteils beiträgt (denn außer<br />

Größe, Qualität und Verhältnis ist nichts mehr, was den Inhalt e<strong>in</strong>es Urteils ausmachte),<br />

son<strong>der</strong>n nur den Wert <strong>der</strong> Kopula <strong>in</strong> Beziehung auf das Denken überhaupt angeht.<br />

Problematische Urteile s<strong>in</strong>d solche, wo man das Bejahen o<strong>der</strong> Verne<strong>in</strong>en als bloß möglich<br />

(beliebig) annimmt, assertorische, da es als wirklich (wahr) betrachtet wird; apodiktische,<br />

<strong>in</strong> denen man es als notwendig ansieht [ 5]. So s<strong>in</strong>d die beiden Urteile, <strong>der</strong>en Verhältnis<br />

das hypothetische Urteil ausmacht (antecedens und consequens), imgleichen <strong>in</strong> <strong>der</strong>en<br />

Wechselwirkung das disjunktive besteht (Glie<strong>der</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>teilung), <strong>in</strong>sgesamt nur<br />

problematisch. In dem obigen Beispiel wird <strong>der</strong> Satz: es ist e<strong>in</strong>e vollkommene<br />

Gerechtigkeit da, nicht assertorisch gesagt, son<strong>der</strong>n nur als e<strong>in</strong> beliebiges Urteil, wo<strong>von</strong> es<br />

möglich ist, daß jemand es annehme, gedacht, und nur die Konsequenz ist assertorisch.<br />

Daher können solche Urteile auch offenbar falsch se<strong>in</strong>, und doch, problematisch<br />

genommen, Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Erkenntnis <strong>der</strong> Wahrheit se<strong>in</strong>. So ist das Urteil: die Welt ist<br />

durch bl<strong>in</strong>den Zufall da, <strong>in</strong> dem disjunktiven Urteil nur <strong>von</strong> problematischer Bedeutung,<br />

nämlich daß jemand diesen Satz etwa auf e<strong>in</strong>en Augenblick annehmen möge, und dient<br />

doch (wie die Verzeichnung des falschen Weges unter <strong>der</strong> Zahl aller <strong>der</strong>er, die man<br />

nehmen kann), den wahren zu f<strong>in</strong>den. Der problematische Satz ist also <strong>der</strong>jenige, <strong>der</strong> nur<br />

logische Möglichkeit (die nicht objektiv ist) ausdrückt, d.i. e<strong>in</strong>e freie Wahl e<strong>in</strong>en solchen<br />

Satz gelten zu lassen, e<strong>in</strong>e bloß willkürliche Aufnehmung desselben <strong>in</strong> den Verstand. Der<br />

assertorische sagt <strong>von</strong> logischer Wirklichkeit o<strong>der</strong> Wahrheit, wie etwa <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

hypothetischen <strong>Vernunft</strong>schluß das Antecedens im Obersatze problematisch, im<br />

Untersatze assertorisch vorkommt, und zeigt an, daß <strong>der</strong> Satz mit dem Verstande nach<br />

dessen Gesetzen schon verbunden sei. Der apodiktische Satz denkt sich den<br />

assertorischen durch diese Gesetze des Verstandes selbst bestimmt, und daher a priori<br />

behauptend, und drückt auf solche Weise logische Notwendigkeit aus. Weil nun hier alles<br />

sich gradweise dem Verstande e<strong>in</strong>verleibt, so daß man zuvor etwas problematisch urteilt,<br />

darauf auch wohl es assertorisch als wahr annimmt, endlich als unzertrennlich mit dem<br />

Verstande verbunden, d.i. als notwendig und apodiktisch behauptet, so kann man diese<br />

drei Funktionen <strong>der</strong> Modalität auch so viel Momente des Denkens überhaupt nennen.<br />

36


3. Abschnitt: Von den <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandesbegriffen o<strong>der</strong> Kategorien<br />

Die allgeme<strong>in</strong>e Logik abstrahiert, wie mehrmalen schon gesagt worden, <strong>von</strong> allem Inhalt<br />

<strong>der</strong> Erkenntnis, und erwartet, daß ihr an<strong>der</strong>wärts, woher es auch sei, Vorstellungen<br />

gegeben werden, um diese zuerst <strong>in</strong> Begriffe zu verwandeln, welches analytisch zugeht.<br />

Dagegen hat die transzendentale Logik e<strong>in</strong> Mannigfaltiges <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit a priori vor sich<br />

liegen, welches die transzendentale Ästhetik ihr darbietet, um zu den <strong>re<strong>in</strong>en</strong><br />

Verstandesbegriffen e<strong>in</strong>en Stoff zu geben, ohne den sie ohne allen Inhalt, mith<strong>in</strong> völlig leer<br />

se<strong>in</strong> würde. Raum und Zeit enthalten nun e<strong>in</strong> Mannigfaltiges <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Anschauung a<br />

priori, gehören aber gleichwohl zu den Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Rezeptivität unseres Gemüts,<br />

unter denen es alle<strong>in</strong> Vorstellungen <strong>von</strong> Gegenständen empfangen kann, die mith<strong>in</strong> auch<br />

den Begriff <strong>der</strong>selben je<strong>der</strong>zeit affizieren müssen. Alle<strong>in</strong> die Spontaneität unseres<br />

Denkens erfor<strong>der</strong>t es, daß dieses Mannigfaltige zuerst auf gewisse Weise durchgegangen,<br />

aufgenommen, und verbunden werde, um daraus e<strong>in</strong>e Erkenntnis zu machen. Diese<br />

Handlung nenne ich Synthesis.<br />

Ich verstehe aber unter Synthesis <strong>in</strong> <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>sten Bedeutung die Handlung,<br />

verschiedene Vorstellungen zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong> h<strong>in</strong>zuzutun und ihre Mannigfaltigkeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Erkenntnis zu begreifen. E<strong>in</strong>e solche Synthesis ist re<strong>in</strong>, wenn das Mannigfaltige nicht<br />

empirisch, son<strong>der</strong>n a priori gegeben ist (wie das im Raum und <strong>der</strong> Zeit). Vor aller Analysis<br />

unserer Vorstellungen müssen diese zuvor gegeben se<strong>in</strong>, und es können ke<strong>in</strong>e Begriffe<br />

dem Inhalte nach analytisch entspr<strong>in</strong>gen. Die Synthesis e<strong>in</strong>es Mannigfaltigen aber (es sei<br />

empirisch o<strong>der</strong> a priori gegeben) br<strong>in</strong>gt zuerst e<strong>in</strong>e Erkenntnis hervor, die zwar anfänglich<br />

noch roh und verworren se<strong>in</strong> kann und also <strong>der</strong> Analysis bedarf; alle<strong>in</strong> die Synthesis ist<br />

doch dasjenige, was eigentlich die Elemente zu Erkenntnissen sammelt und zu e<strong>in</strong>em<br />

gewissen Inhalte vere<strong>in</strong>igt; sie ist also das erste, worauf wir acht zu geben haben, wenn<br />

wir über den ersten Ursprung unserer Erkenntnis urteilen wollen.<br />

Die Synthesis überhaupt ist, wie wir künftig sehen werden, die bloße Wirkung <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>bildungskraft, e<strong>in</strong>er bl<strong>in</strong>den, obgleich unentbehrlichen Funktion <strong>der</strong> Seele, ohne die wir<br />

überall gar ke<strong>in</strong>e Erkenntnis haben würden, <strong>der</strong> wir uns aber selten nur e<strong>in</strong>mal bewußt<br />

s<strong>in</strong>d. Alle<strong>in</strong> diese Synthesis auf Begriffe zu br<strong>in</strong>gen, das ist e<strong>in</strong>e Funktion, die dem<br />

Verstande zukommt, und wodurch er uns allererst die Erkenntnis <strong>in</strong> eigentlicher<br />

Bedeutung verschafft.<br />

Die re<strong>in</strong>e Synthesis, allgeme<strong>in</strong> vorgestellt, gibt nun den <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandesbegriff. Ich<br />

verstehe aber unter dieser Synthesis diejenige, welche auf e<strong>in</strong>em Grunde <strong>der</strong><br />

synthetischen E<strong>in</strong>heit a priori beruht: so ist unser Zählen (vornehmlich ist es <strong>in</strong> größeren<br />

Zahlen merklicher) e<strong>in</strong>e Synthesis nach Begriffen, weil sie nach e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>schaftlichen<br />

Grunde <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit geschieht (z.E. <strong>der</strong> Dekadik). Unter diesem Begriffe wird also die<br />

E<strong>in</strong>heit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Synthesis des Mannigfaltigen notwendig.<br />

Analytisch werden verschiedene Vorstellungen unter e<strong>in</strong>en Begriff gebracht (e<strong>in</strong> Geschäft,<br />

wo<strong>von</strong> die allgeme<strong>in</strong>e Logik handelt). Aber nicht die Vorstellungen, son<strong>der</strong>n die re<strong>in</strong>e<br />

Synthesis <strong>der</strong> Vorstellungen auf Begriffe zu br<strong>in</strong>gen, lehrt die transzendentale Logik. Das<br />

erste, was uns zum Behuf <strong>der</strong> Erkenntnis aller Gegenstände a priori gegeben se<strong>in</strong> muß, ist<br />

das Mannigfaltige <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Anschauung; die Synthesis dieses Mannigfaltigen durch die<br />

E<strong>in</strong>bildungskraft ist das zweite, gibt aber noch ke<strong>in</strong>e Erkenntnis. Die Begriffe, welche<br />

dieser <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Synthesis E<strong>in</strong>heit geben und lediglich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vorstellung dieser notwendigen<br />

synthetischen E<strong>in</strong>heit bestehen, tun das dritte zum Erkenntnisse e<strong>in</strong>es vorkommenden<br />

Gegenstandes und beruhen auf dem Verstande.<br />

Dieselbe Funktion, welche den verschiedenen Vorstellungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Urteile E<strong>in</strong>heit gibt,<br />

die gibt auch <strong>der</strong> bloßen Synthesis verschiedene Vorstellungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Anschauung<br />

E<strong>in</strong>heit, welche, allgeme<strong>in</strong> ausgedrückt, <strong>der</strong> re<strong>in</strong>e Verstandesbegriff heißt. Derselbe<br />

37


Verstand also, und zwar durch eben dieselben Handlungen, wodurch er <strong>in</strong> Begriffen<br />

vermittels <strong>der</strong> analytischen E<strong>in</strong>heit die logische Form e<strong>in</strong>es Urteils zustande brachte, br<strong>in</strong>gt<br />

auch, vermittels <strong>der</strong> synthetischen E<strong>in</strong>heit des Mannigfaltigen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anschauung<br />

überhaupt, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Vorstellungen e<strong>in</strong>en transzendentalen Inhalt, weswegen sie re<strong>in</strong>e<br />

Verstandesbegriffe heißen, die a priori auf Objekte gehen, welches die allgeme<strong>in</strong>e Logik<br />

nicht leisten kann.<br />

Auf solche Weise entspr<strong>in</strong>gen gerade so viel re<strong>in</strong>e Verstandesbegriffe, welche a priori auf<br />

Gegenstände <strong>der</strong> Anschauung überhaupt gehen, als es <strong>in</strong> <strong>der</strong> vorigen Tafel logische<br />

Funktionen <strong>in</strong> allen möglichen Urteilen gab: denn <strong>der</strong> Verstand ist durch gedachte<br />

Funktionen völlig erschöpft, und se<strong>in</strong> Vermögen dadurch gänzlich ausgemessen. Wir<br />

wollen diese Begriffe nach dem Aristoteles Kategorien nennen, <strong>in</strong>dem unsere Absicht<br />

uranfänglich mit <strong>der</strong> se<strong>in</strong>igen zwar e<strong>in</strong>erlei ist, ob sie sich gleich da<strong>von</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ausführung<br />

gar sehr entfernt.<br />

Tafel <strong>der</strong> Kategorien<br />

1. Der Quantität:<br />

E<strong>in</strong>heit<br />

Vielheit<br />

Allheit<br />

2. Der Qualität: 3. Der Relation:<br />

Realität<br />

Inhärenz und Subsistenz<br />

(substantia et accidens)<br />

Negation Kausalität und Dependenz<br />

(Ursache und Wirkung)<br />

Limitation Geme<strong>in</strong>schaft (Wechselwirkung<br />

zwischen dem Handelnden und<br />

Leidenden)<br />

4. Der Modalität:<br />

Möglichkeit - Unmöglichkeit<br />

Dase<strong>in</strong> - Nichtse<strong>in</strong><br />

Notwendigkeit - Zufälligkeit<br />

Dieses ist nun die Verzeichnung aller <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Begriffe <strong>der</strong> Synthesis, die <strong>der</strong> Verstand a<br />

priori <strong>in</strong> sich enthält, und um <strong>der</strong>entwillen er auch nur e<strong>in</strong> re<strong>in</strong>er Verstand ist; <strong>in</strong>dem er<br />

durch sie alle<strong>in</strong> etwas bei dem Mannigfaltigen <strong>der</strong> Anschauung verstehen, d.i. e<strong>in</strong> Objekt<br />

<strong>der</strong>selben denken kann. Diese E<strong>in</strong>teilung ist systematisch aus e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>schaftlichen<br />

Pr<strong>in</strong>zip, nämlich dem Vermögen zu urteilen (welches ebensoviel ist, als das Vermögen zu<br />

denken) erzeugt, und nicht rhapsodistisch, aus e<strong>in</strong>er auf gut Glück unternommenen<br />

Aufsuchung re<strong>in</strong>er Begriffe entstanden, <strong>der</strong>en Vollzähligkeit man niemals gewiß se<strong>in</strong> kann,<br />

da sie nur durch Induktion geschlossen wird, ohne zu gedenken, daß man noch auf die<br />

letztere Art niemals e<strong>in</strong>sieht, warum denn gerade diese und nicht an<strong>der</strong>e Begriffe dem<br />

<strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstande beiwohnen. Es war e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es scharfs<strong>in</strong>nigen Mannes würdiger Anschlag<br />

des Aristoteles, diese Grundbegriffe aufzusuchen. Da er aber ke<strong>in</strong> Pr<strong>in</strong>zipium hatte, so<br />

raffte er sie auf, wie sie ihm aufstießen, und trieb <strong>der</strong>en zuerst zehn auf, die er Kategorien<br />

(Prädikamente) nannte. In <strong>der</strong> Folge glaubte er noch ihrer fünf aufgefunden zu haben, die<br />

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er unter dem Namen <strong>der</strong> Postprädikamente h<strong>in</strong>zufügte. Alle<strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Tafel blieb noch immer<br />

mangelhaft. Außerdem f<strong>in</strong>den sich auch e<strong>in</strong>ige modi <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit darunter<br />

(quando, ubi, situs, imgleichen prius, simul), auch e<strong>in</strong> empirischer (motus), die <strong>in</strong> dieses<br />

Stammregister des Verstandes gar nicht gehören, o<strong>der</strong> es s<strong>in</strong>d auch die abgeleiteten<br />

Begriffe mit unter die Urbegriffe gezählt (actio, passio), und an e<strong>in</strong>igen <strong>der</strong> letzteren fehlt<br />

es gänzlich.<br />

Um <strong>der</strong> letzteren willen ist also noch zu bemerken: daß die Kategorien, als die wahren<br />

Stammbegriffe des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes, auch ihre ebenso <strong>re<strong>in</strong>en</strong> abgeleiteten Begriffe<br />

haben, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em vollständigen System <strong>der</strong> Transzendental-Philosophie ke<strong>in</strong>eswegs<br />

übergangen werden können, mit <strong>der</strong>en bloßer Erwähnung aber ich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em bloß<br />

kritischen Versuch zufrieden se<strong>in</strong> kann.<br />

Es sei mir erlaubt, diese <strong>re<strong>in</strong>en</strong>, aber abgeleiteten Verstandesbegriffe die Prädikabilien des<br />

<strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes (im Gegensatz <strong>der</strong> Prädikamente) zu nennen. Wenn man die<br />

ursprünglichen und primitiven Begriffe hat, so lassen sich die abgeleiteten und subalternen<br />

leicht h<strong>in</strong>zufügen, und <strong>der</strong> Stammbaum des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes völlig ausmalen. Da es mir<br />

hier nicht um die Vollständigkeit des Systems, son<strong>der</strong>n nur <strong>der</strong> Pr<strong>in</strong>zipien zu e<strong>in</strong>em<br />

System zu tun ist, so erspare ich die Ergänzung auf e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Beschäftigung. Man kann<br />

aber diese Absicht ziemlich erreichen, wenn man die Ontologischen Lehrbücher zur Hand<br />

nimmt, und z.B. <strong>der</strong> Kategorie <strong>der</strong> Kausalität die Prädikabilien <strong>der</strong> Kraft, <strong>der</strong> Handlung, des<br />

Leidens, <strong>der</strong> <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>schaft die <strong>der</strong> Gegenwart, des Wi<strong>der</strong>standes, den Prädikamenten<br />

<strong>der</strong> Modalität die des Entstehens, Vergehens, <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung usw. unterordnet. Die<br />

Kategorien mit den modis <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit o<strong>der</strong> auch untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verbunden,<br />

geben e<strong>in</strong>e große Menge abgeleiteter Begriffe a priori, die zu bemerken und wo möglich,<br />

bis zur Vollständigkeit zu verzeichnen, e<strong>in</strong>e nützliche und nicht unangenehme, hier aber<br />

entbehrliche Bemühung se<strong>in</strong> würde.<br />

Der Def<strong>in</strong>itionen dieser Kategorien überhebe ich mich <strong>in</strong> dieser Abhandlung geflissentlich,<br />

ob ich gleich im Besitz <strong>der</strong>selben se<strong>in</strong> möchte. Ich werde diese Begriffe <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge bis<br />

auf den Grad zerglie<strong>der</strong>n, welcher <strong>in</strong> Beziehung auf die Methodenlehre, die ich bearbeite,<br />

h<strong>in</strong>reichend ist. In e<strong>in</strong>em System <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong> würde man sie mit Recht <strong>von</strong> mir<br />

for<strong>der</strong>n können: aber hier würden sie nur den Hauptpunkt <strong>der</strong> Untersuchung aus den<br />

Augen br<strong>in</strong>gen, <strong>in</strong>dem sie Zweifel und Angriffe erregten, die man, ohne <strong>der</strong> wesentlichen<br />

Absicht etwas zu entziehen, gar wohl auf e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Beschäftigung verweisen kann.<br />

Indessen leuchtet doch aus dem Wenigen, was ich hier<strong>von</strong> angeführt habe, deutlich<br />

hervor, daß e<strong>in</strong> vollständiges Wörterbuch mit allen dazu erfor<strong>der</strong>lichen Erklärungen nicht<br />

alle<strong>in</strong> möglich, son<strong>der</strong>n auch leicht sei, zustande zu br<strong>in</strong>gen. Die Fächer s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>mal da;<br />

es ist nur nötig, sie auszufüllen, und e<strong>in</strong>e systematische Topik, wie die gegenwärtige, läßt<br />

nicht leicht die Stelle verfehlen, dah<strong>in</strong> e<strong>in</strong> je<strong>der</strong> Begriff eigentümlich gehört, und zugleich<br />

diejenige leicht bemerken, die noch leer ist.<br />

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2. Hauptstück: Von <strong>der</strong> Deduktion <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandesbegriffe<br />

1. Abschnitt: Von den Pr<strong>in</strong>zipien e<strong>in</strong>er transzendentalen Deduktion überhaupt<br />

Die Rechtslehrer, wenn sie <strong>von</strong> Befugnissen und Anmaßungen reden, unterscheiden <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Rechtshandel die Frage über das, was Rechtens ist (quid iuris), <strong>von</strong> <strong>der</strong>, die die<br />

Tatsache angeht (quid facti), und <strong>in</strong>dem sie <strong>von</strong> beiden Beweis for<strong>der</strong>n, so nennen sie den<br />

ersteren, <strong>der</strong> die Befugnis o<strong>der</strong> auch den Rechtsanspruch dartun soll, die Deduktion. Wir<br />

bedienen uns e<strong>in</strong>er Menge empirischer Begriffe ohne jemandes Wi<strong>der</strong>rede und halten uns<br />

auch ohne Deduktion berechtigt, ihnen e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n und e<strong>in</strong>gebildete Bedeutung<br />

zuzueignen, weil wir je<strong>der</strong>zeit die Erfahrung bei Hand haben, ihre objektive Realität zu<br />

beweisen. Es gibt <strong>in</strong>dessen auch usurpierte Begriffe, wie etwa Glück, Schicksal, die zwar<br />

mit fast allgeme<strong>in</strong>er Nachsicht herumlaufen, aber doch bisweilen durch die Frage: quid<br />

iuris, <strong>in</strong> Anspruch genommen werden, da man alsdann, wegen <strong>der</strong> Deduktion <strong>der</strong>selben <strong>in</strong><br />

nicht ger<strong>in</strong>ge Verlegenheit gerät, <strong>in</strong>dem man ke<strong>in</strong>en deutlichen Rechtsgrund we<strong>der</strong> aus<br />

<strong>der</strong> Erfahrung, noch <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong> anführen kann, dadurch die Befugnis se<strong>in</strong>es Gebrauchs<br />

deutlich würde.<br />

Unter den mancherlei Begriffen aber, die das sehr vermischte Gewebe <strong>der</strong> menschlichen<br />

Erkenntnis ausmachen, gibt es e<strong>in</strong>ige, die auch zum <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Gebrauch a priori (völlig<br />

unabhängig <strong>von</strong> aller Erfahrung) bestimmt s<strong>in</strong>d, und diese ihre Befugnis bedarf je<strong>der</strong>zeit<br />

e<strong>in</strong>er Deduktion; weil zu <strong>der</strong> Rechtmäßigkeit e<strong>in</strong>es solchen Gebrauchs Beweise aus <strong>der</strong><br />

Erfahrung nicht h<strong>in</strong>reichend s<strong>in</strong>d, man aber doch wissen muß, wie diese Begriffe sich auf<br />

Objekte beziehen können, die sie doch aus ke<strong>in</strong>er Erfahrung hernehmen. Ich nenne daher<br />

die Erklärung <strong>der</strong> Art, wie sich Begriffe a priori auf Gegenstände beziehen, die<br />

transzendentale Deduktion <strong>der</strong>selben, und unterscheide sie <strong>von</strong> <strong>der</strong> empirischen<br />

Deduktion, welche die Art anzeigt, wie e<strong>in</strong> Begriff durch Erfahrung und Reflexion über<br />

dieselbe erworben worden, und daher nicht die Rechtmäßigkeit, son<strong>der</strong>n das Faktum<br />

betrifft, wodurch <strong>der</strong> Besitz entsprungen.<br />

Wir haben jetzt schon zweierlei Begriffe <strong>von</strong> ganz verschiedener Art, die doch dar<strong>in</strong><br />

mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> übere<strong>in</strong>kommen, daß sie bei<strong>der</strong>seits völlig a priori sich auf Gegenstände<br />

beziehen, nämlich die Begriffe des Raumes und <strong>der</strong> Zeit, als Formen <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit und<br />

die Kategorien, als Begriffe des Verstandes. Von ihnen e<strong>in</strong>e empirische Deduktion<br />

versuchen wollen, würde ganz vergebliche Arbeit se<strong>in</strong>; weil eben dar<strong>in</strong> das<br />

Unterscheidende ihrer Natur liegt, daß sie sich auf ihre Gegenstände beziehen, ohne<br />

etwas zu <strong>der</strong>en Vorstellung aus <strong>der</strong> Erfahrung entlehnt zu haben. Wenn also e<strong>in</strong>e<br />

Deduktion <strong>der</strong>selben nötig ist, so wird sie je<strong>der</strong>zeit transzendental se<strong>in</strong> müssen.<br />

Indessen kann man <strong>von</strong> diesen Begriffen, wie <strong>von</strong> allem Erkenntnis, wo nicht das<br />

Pr<strong>in</strong>zipium ihrer Möglichkeit, doch die Gelegenheitsursachen ihrer Erzeugung <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Erfahrung aufsuchen, wo alsdann die E<strong>in</strong>drücke <strong>der</strong> S<strong>in</strong>ne den ersten Anlaß geben, die<br />

ganze Erkenntniskraft <strong>in</strong> Ansehung ihrer zu eröffnen und Erfahrung zustande zu br<strong>in</strong>gen,<br />

die zwei sehr ungleichartige Elemente enthält, nämlich, e<strong>in</strong>e Materie zur Erkenntnis aus<br />

den S<strong>in</strong>nen, und e<strong>in</strong>e gewisse Form, sie zu ordnen, aus dem <strong>in</strong>neren Quell des <strong>re<strong>in</strong>en</strong><br />

Anschauens und Denkens, die, bei Gelegenheit <strong>der</strong> ersteren, zuerst <strong>in</strong> Ausübung gebracht<br />

werden und Begriffe hervorbr<strong>in</strong>gen. E<strong>in</strong> solches Nachspüren <strong>der</strong> ersten Bestrebungen<br />

unserer Erkenntniskraft, um <strong>von</strong> e<strong>in</strong>zelnen Wahrnehmungen zu allgeme<strong>in</strong>en Begriffen zu<br />

steigen, hat ohne Zweifel se<strong>in</strong>en großen Nutzen, und man hat es dem berühmten Locke<br />

zu verdanken, daß er dazu zuerst den Weg eröffnet hat. Alle<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Deduktion <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong><br />

Begriffe a priori kommt dadurch niemals zustande, denn sie liegt ganz und gar nicht auf<br />

diesem Wege, weil <strong>in</strong> Ansehung ihres künftigen Gebrauchs, <strong>der</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Erfahrung<br />

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gänzlich unabhängig se<strong>in</strong> soll, sie e<strong>in</strong>en ganz an<strong>der</strong>en Geburtsbrief, als den <strong>der</strong><br />

Abstammung <strong>von</strong> Erfahrungen, müssen aufzuzeigen haben. Diese versuchte<br />

physiologische Ableitung, die eigentlich gar nicht Deduktion heißen kann, weil sie e<strong>in</strong>e<br />

quaestio facti betrifft, will ich daher die Erklärung des Besitzes e<strong>in</strong>er <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Erkenntnis<br />

nennen. Es ist also klar, daß <strong>von</strong> dieser alle<strong>in</strong> es e<strong>in</strong>e transzendentale Deduktion und<br />

ke<strong>in</strong>eswegs e<strong>in</strong>e empirische geben könne und daß letztere <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong><br />

Begriffe a priori, nichts als eitle Versuche s<strong>in</strong>d, womit sich nur <strong>der</strong>jenige beschäftigen<br />

kann, welcher die ganz eigentümliche Natur dieser Erkenntnisse nicht begriffen hat.<br />

Ob nun aber gleich die e<strong>in</strong>zige Art e<strong>in</strong>er möglichen Deduktion <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Erkenntnis a<br />

priori, nämlich die auf dem transzendentalen Wege e<strong>in</strong>geräumt wird, so erhellt dadurch<br />

doch eben nicht, daß sie so unumgänglich notwendig sei. Wir haben oben die Begriffe des<br />

Raumes und <strong>der</strong> Zeit, vermittels e<strong>in</strong>er transzendentalen Deduktion zu ihren Quellen<br />

verfolgt, und ihre objektive Gültigkeit a priori erklärt und bestimmt. Gleichwohl geht die<br />

Geometrie ihren sicheren Schritt durch lauter Erkenntnisse a priori, ohne daß sie sich,<br />

wegen <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> und gesetzmäßigen Abkunft ihres Grundbegriffs vom Raume, <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />

Philosophie e<strong>in</strong>en Beglaubigungssche<strong>in</strong> erbitten darf. Alle<strong>in</strong> <strong>der</strong> Gebrauch dieses Begriffs<br />

geht <strong>in</strong> dieser Wissenschaft auch nur auf die äußere S<strong>in</strong>nenwelt, <strong>von</strong> welcher <strong>der</strong> Raum<br />

die re<strong>in</strong>e Form ihrer Anschauung ist, <strong>in</strong> welcher also alle geometrische Erkenntnis, weil sie<br />

sich auf Anschauung a priori gründet, unmittelbare Evidenz hat, und die Gegenstände<br />

durch die Erkenntnis selbst, a priori (<strong>der</strong> Form nach) <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anschauung, gegeben werden.<br />

Dagegen fängt mit den <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandesbegriffen die unumgängliche Bedürfnis an, nicht<br />

alle<strong>in</strong> <strong>von</strong> ihnen selbst, son<strong>der</strong>n auch vom Raum die transzendentale Deduktion zu<br />

suchen, weil, da sie <strong>von</strong> Gegenständen nicht durch Prädikate <strong>der</strong> Anschauung und <strong>der</strong><br />

S<strong>in</strong>nlichkeit, son<strong>der</strong>n des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Denkens a priori redet, sie sich auf Gegenstände ohne<br />

alle Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit allgeme<strong>in</strong> beziehen, und die, da sie nicht auf Erfahrung<br />

gegründet s<strong>in</strong>d, auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anschauung a priori ke<strong>in</strong> Objekt vorzeigen können, worauf sie<br />

vor aller Erfahrung ihre Synthesis gründeten und daher nicht alle<strong>in</strong> wegen <strong>der</strong> objektiven<br />

Gültigkeit und Schranken ihres Gebrauchs Verdacht erregen, son<strong>der</strong>n auch jenen Begriff<br />

des Raumes zweideutig machen, dadurch, daß sie ihn über die Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong><br />

s<strong>in</strong>nlichen Anschauung zu gebrauchen geneigt s<strong>in</strong>d, weshalb auch oben <strong>von</strong> ihm e<strong>in</strong>e<br />

transzendentale Deduktion <strong>von</strong>nöten war. So muß denn <strong>der</strong> Leser <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />

unumgänglichen Notwendigkeit e<strong>in</strong>er solchen transzendentalen Deduktion, ehe er e<strong>in</strong>en<br />

e<strong>in</strong>zigen Schritt im Felde <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong> getan hat, überzeugt werden; weil er sonst<br />

bl<strong>in</strong>d verfährt und, nachdem er mannigfaltig umhergeirrt hat, doch wie<strong>der</strong> zu <strong>der</strong><br />

Unwissenheit zurückkehren muß, <strong>von</strong> <strong>der</strong> er ausgegangen war. Er muß aber auch die<br />

unvermeidliche Schwierigkeit zum voraus deutlich e<strong>in</strong>sehen, damit er nicht über<br />

Dunkelheit klage, wo die Sache selbst tief e<strong>in</strong>gehüllt ist, o<strong>der</strong> über <strong>der</strong> Wegräumung <strong>der</strong><br />

H<strong>in</strong><strong>der</strong>nisse zu früh verdrossen werden, weil es darauf ankommt, entwe<strong>der</strong> alle Ansprüche<br />

zu E<strong>in</strong>sichten <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong>, als das beliebteste Feld, nämlich dasjenige über die<br />

Grenzen aller möglichen Erfahrung h<strong>in</strong>aus, völlig aufzugeben o<strong>der</strong> diese kritische<br />

Untersuchung zur Vollkommenheit zu br<strong>in</strong>gen.<br />

Wir haben oben an den Begriffen des Raumes und <strong>der</strong> Zeit mit leichter Mühe begreiflich<br />

machen können, wie diese als Erkenntnisse a priori sich gleichwohl auf Gegenstände<br />

notwendig beziehen müssen und e<strong>in</strong>e synthetische Erkenntnis <strong>der</strong>selben, unabhängig <strong>von</strong><br />

aller Erfahrung, möglich machten. Denn da nur vermittels solcher <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Formen <strong>der</strong><br />

S<strong>in</strong>nlichkeit uns e<strong>in</strong> Gegenstand ersche<strong>in</strong>en, d.i. e<strong>in</strong> Objekt <strong>der</strong> empirischen Anschauung<br />

se<strong>in</strong> kann, so s<strong>in</strong>d Raum und Zeit re<strong>in</strong>e Anschauungen, welche die Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong><br />

Möglichkeit <strong>der</strong> Gegenstände als Ersche<strong>in</strong>ungen a priori enthalten, und die Synthesis <strong>in</strong><br />

denselben hat objektive Gültigkeit.<br />

Die Kategorien des Verstandes dagegen stellen uns gar nicht die Bed<strong>in</strong>gungen vor, unter<br />

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denen Gegenstände <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anschauung gegeben werden; mith<strong>in</strong> können uns allerd<strong>in</strong>gs<br />

Gegenstände ersche<strong>in</strong>en, ohne daß sie sich notwendig auf Funktionen des Verstandes<br />

beziehen müssen, und dieser also die Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong>selben a priori enthielte. Daher<br />

zeigt sich hier e<strong>in</strong>e Schwierigkeit, die wir im Felde <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit nicht antrafen, wie<br />

nämlich subjektive Bed<strong>in</strong>gungen des Denkens sollten objektive Gültigkeit haben, d.i.<br />

Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Möglichkeit aller Erkenntnis <strong>der</strong> Gegenstände abgeben: denn ohne<br />

Funktionen des Verstandes können allerd<strong>in</strong>gs Ersche<strong>in</strong>ungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anschauung gegeben<br />

werden. Ich nehme z.B. den Begriff <strong>der</strong> Ursache, welcher e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e Art <strong>der</strong><br />

Synthesis bedeutet, da auf etwas A was ganz verschiedenes B nach e<strong>in</strong>er Regel gesetzt<br />

wird. Es ist a priori nicht klar, warum Ersche<strong>in</strong>ungen etwas <strong>der</strong>gleichen enthalten sollten<br />

(denn Erfahrungen kann man nicht zum Beweise anführen, weil die objektive Gültigkeit<br />

dieses Begriffs a priori muß dargetan werden können), und es ist daher a priori zweifelhaft,<br />

ob e<strong>in</strong> solcher Begriff nicht etwa gar leer sei und überall unter den Ersche<strong>in</strong>ungen ke<strong>in</strong>en<br />

Gegenstand antreffe. Denn daß Gegenstände <strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlichen Anschauung den im Gemüt a<br />

priori liegenden formalen Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit gemäß se<strong>in</strong> müssen, ist daraus<br />

klar, weil sie sonst nicht Gegenstände für uns se<strong>in</strong> würden; daß sie aber auch überdem<br />

den Bed<strong>in</strong>gungen, <strong>der</strong>en <strong>der</strong> Verstand zur synthetischen E<strong>in</strong>sicht des Denkens bedarf,<br />

gemäß se<strong>in</strong> müssen, da<strong>von</strong> ist die Schlußfolge nicht so leicht e<strong>in</strong>zusehen. Denn es<br />

könnten wohl allenfalls Ersche<strong>in</strong>ungen so beschaffen se<strong>in</strong>, daß <strong>der</strong> Verstand sie den<br />

Bed<strong>in</strong>gungen se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>heit gar nicht gemäß fände, und alles so <strong>in</strong> Verwirrung läge, daß<br />

z.B. <strong>in</strong> <strong>der</strong> Reihenfolge <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen sich nichts darböte, was e<strong>in</strong>e Regel <strong>der</strong><br />

Synthesis an die Hand gäbe und also dem Begriffe <strong>der</strong> Ursache und Wirkung entspräche,<br />

so daß dieser Begriff also ganz leer, nichtig und ohne Bedeutung wäre. Ersche<strong>in</strong>ungen<br />

würden nichtsdestoweniger unserer Anschauung Gegenstände darbieten, denn die<br />

Anschauung bedarf <strong>der</strong> Funktionen des Denkens auf ke<strong>in</strong>e Weise.<br />

Gedächte man sich <strong>von</strong> <strong>der</strong> Mühsamkeit dieser Untersuchungen dadurch loszuwickeln,<br />

daß man sagte: Die Erfahrung böte unablässig Beispiele e<strong>in</strong>er solchen Regelmäßigkeit<br />

<strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen dar, die genugsam Anlaß geben, den Begriff <strong>der</strong> Ursache da<strong>von</strong><br />

abzuson<strong>der</strong>n, und dadurch zugleich die objektive Gültigkeit e<strong>in</strong>es solchen Begriffs zu<br />

bewähren, so bemerkt man nicht, daß auf diese Weise <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Ursache gar nicht<br />

entspr<strong>in</strong>gen kann, son<strong>der</strong>n daß er entwe<strong>der</strong> völlig a priori im Verstande müsse gegründet<br />

se<strong>in</strong>, o<strong>der</strong> als e<strong>in</strong> bloßes Hirngesp<strong>in</strong>st gänzlich aufgegeben werden müsse. Denn dieser<br />

Begriff erfor<strong>der</strong>t durchaus, daß etwas A <strong>von</strong> <strong>der</strong> Art sei, daß e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es B daraus<br />

notwendig und nach e<strong>in</strong>er schlechth<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>en Regel folge. Ersche<strong>in</strong>ungen geben gar<br />

wohl Fälle an die Hand, aus denen e<strong>in</strong>e Regel möglich ist, nach <strong>der</strong> etwas<br />

gewöhnlichermaßen geschieht, aber niemals, daß <strong>der</strong> Erfolg notwendig sei: daher <strong>der</strong><br />

Synthesis <strong>der</strong> Ursache und Wirkung auch e<strong>in</strong>e Dignität anhängt, die man gar nicht<br />

empirisch ausdrücken kann, nämlich, daß die Wirkung nicht bloß zu <strong>der</strong> Ursache<br />

h<strong>in</strong>zukomme, son<strong>der</strong>n durch dieselbe gesetzt sei, und aus ihr erfolge. Die strenge<br />

Allgeme<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Regel ist auch gar ke<strong>in</strong>e Eigenschaft empirischer Regeln, die durch<br />

Induktion ke<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e als komparative Allgeme<strong>in</strong>heit, d.i. ausgebreitete Brauchbarkeit<br />

bekommen können. Nun würde sich aber <strong>der</strong> Gebrauch <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandesbegriffe<br />

gänzlich än<strong>der</strong>n, wenn man sie nur als empirische Produkte behandeln wollte.<br />

Übergang zur transzendentalen Deduktion <strong>der</strong> Kategorien<br />

Es s<strong>in</strong>d nur zwei Fälle möglich, unter denen synthetische Vorstellung und ihre<br />

Gegenstände zusammentreffen, sich aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong> notwendigerweise beziehen, und<br />

gleichsam e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> begegnen können. Entwe<strong>der</strong> wenn <strong>der</strong> Gegenstand die Vorstellung,<br />

o<strong>der</strong> diese den Gegenstand alle<strong>in</strong> möglich macht. Ist das erstere, so ist diese Beziehung<br />

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nur empirisch, und die Vorstellung ist niemals a priori möglich. Und dies ist <strong>der</strong> Fall mit<br />

Ersche<strong>in</strong>ung <strong>in</strong> Ansehung dessen, was an ihnen zur Empf<strong>in</strong>dung gehört. Ist aber das<br />

zweite, weil Vorstellung an sich selbst (denn <strong>von</strong> dessen Kausalität, vermittels des Willens,<br />

ist hier gar nicht die Rede) ihren Gegenstand dem Dase<strong>in</strong> nach nicht hervorbr<strong>in</strong>gt, so ist<br />

doch die Vorstellung <strong>in</strong> Ansehung des Gegenstandes alsdann a priori bestimmend, wenn<br />

durch sie alle<strong>in</strong> es möglich ist, etwas als e<strong>in</strong>en Gegenstand zu erkennen. Es s<strong>in</strong>d aber<br />

zwei Bed<strong>in</strong>gungen, unter denen alle<strong>in</strong> die Erkenntnis e<strong>in</strong>es Gegenstandes möglich ist,<br />

erstlich Anschauung, dadurch <strong>der</strong>selbe, aber nur als Ersche<strong>in</strong>ung gegeben wird; zweitens<br />

Begriff, dadurch e<strong>in</strong> Gegenstand gedacht wird, <strong>der</strong> dieser Anschauung entspricht. Es ist<br />

aber aus dem Obigen klar, daß die erste Bed<strong>in</strong>gung, nämlich die, unter <strong>der</strong> alle<strong>in</strong><br />

Gegenstände angeschaut werden können, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat den Objekten <strong>der</strong> Form nach a priori<br />

im Gemüt zugrunde liegen. Mit dieser formalen Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit stimmen also<br />

alle Ersche<strong>in</strong>ungen notwendig übere<strong>in</strong>, weil sie nur durch dieselbe ersche<strong>in</strong>en, d.i.<br />

empirisch angeschaut und gegeben werden können. Nun fragt es sich, ob nicht auch<br />

Begriffe a priori vorausgehen, als Bed<strong>in</strong>gungen, unter denen alle<strong>in</strong> etwas, wenngleich<br />

nicht angeschaut, dennoch als Gegenstand überhaupt gedacht wird; denn alsdann ist alle<br />

empirische Erkenntnis <strong>der</strong> Gegenstände solchen Begriffen notwendigerweise gemäß, weil<br />

ohne <strong>der</strong>en Voraussetzung nichts als Objekt <strong>der</strong> Erfahrung möglich ist. Nun enthält aber<br />

alle Erfahrung außer <strong>der</strong> Anschauung <strong>der</strong> S<strong>in</strong>ne, wodurch etwas gegeben wird, noch e<strong>in</strong>en<br />

Begriff <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Gegenstande, <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anschauung gegeben wird, o<strong>der</strong> ersche<strong>in</strong>t:<br />

demnach werden Begriffe <strong>von</strong> Gegenständen überhaupt, als Bed<strong>in</strong>gungen a priori aller<br />

Erfahrungserkenntnis zugrunde liegen: folglich wird die objektive Gültigkeit <strong>der</strong> Kategorien,<br />

als Begriffe a priori, darauf beruhen, daß durch sie alle<strong>in</strong> Erfahrung (<strong>der</strong> Form des<br />

Denkens nach) möglich sei. Denn alsdann beziehen sie sich notwendigerweise und a<br />

priori auf Gegenstände <strong>der</strong> Erfahrung, weil nur vermittels ihrer überhaupt irgende<strong>in</strong><br />

Gegenstand <strong>der</strong> Erfahrung gedacht werden kann.<br />

Die transzendentale Deduktion aller Begriffe a priori hat also e<strong>in</strong> Pr<strong>in</strong>zipium, worauf die<br />

ganze Nachforschung gerichtet werden muß, nämlich dieses: daß sie als Bed<strong>in</strong>gungen a<br />

priori <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> Erfahrungen erkannt werden müssen (es sei <strong>der</strong> Anschauung,<br />

die <strong>in</strong> ihr angetroffen wird, o<strong>der</strong> des Denkens). Begriffe, die den objektiven Grund <strong>der</strong><br />

Möglichkeit <strong>der</strong> Erfahrung abgeben, s<strong>in</strong>d eben darum notwendig. Die Entwicklung <strong>der</strong><br />

Erfahrung aber, wor<strong>in</strong> sie angetroffen werden, ist nicht ihre Deduktion (son<strong>der</strong>n<br />

Illustration), weil sie dabei doch nur zufällig se<strong>in</strong> würden. Ohne diese ursprüngliche<br />

Beziehung auf mögliche Erfahrung, <strong>in</strong> welcher alle Gegenstände <strong>der</strong> Erkenntnis<br />

vorkommen, würde die Beziehung <strong>der</strong>selben auf irgende<strong>in</strong> Objekt gar nicht begriffen<br />

werden können.<br />

Es s<strong>in</strong>d aber drei ursprüngliche Quellen (Fähigkeiten o<strong>der</strong> Vermögen <strong>der</strong> Seele), die die<br />

Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Möglichkeit aller Erfahrung enthalten und selbst aus ke<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en<br />

Vermögen des Gemüts abgeleitet werden können, nämlich S<strong>in</strong>n, E<strong>in</strong>bildungskraft und<br />

Apperzeption. Darauf gründet sich<br />

1) die Synopsis des Mannigfaltigen a priori durch den S<strong>in</strong>n;<br />

2) die Synthesis dieses Mannigfaltigen durch die E<strong>in</strong>bildungskraft; endlich<br />

3) die E<strong>in</strong>heit dieser Synthesis durch ursprüngliche Apperzeption.<br />

Alle diese Vermögen haben außer dem empirischen Gebrauch noch e<strong>in</strong>en<br />

transzendentalen, <strong>der</strong> lediglich auf die Form geht und a priori möglich ist. Von diesem<br />

haben wir <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong> S<strong>in</strong>ne oben im ersten Teile geredet, die zwei an<strong>der</strong>en aber<br />

wollen wir jetzt ihrer Natur nach e<strong>in</strong>zusehen trachten.<br />

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2. Abschnitt: Von den Gründen a priori zur Möglichkeit <strong>der</strong> Erfahrung<br />

Daß e<strong>in</strong> Begriff völlig a priori erzeugt werden und sich auf e<strong>in</strong>en Gegenstand beziehen<br />

solle, obgleich er we<strong>der</strong> selbst <strong>in</strong> den Begriff möglicher Erfahrung gehört, noch aus<br />

Elementen e<strong>in</strong>er möglichen Erfahrung besteht, ist gänzlich wi<strong>der</strong>sprechend und<br />

unmöglich. Denn er würde alsdann ke<strong>in</strong>en Inhalt haben, darum, weil ihm ke<strong>in</strong>e<br />

Anschauung korrespondierte, <strong>in</strong>dem Anschauungen überhaupt, wodurch uns<br />

Gegenstände gegeben werden können, das Feld o<strong>der</strong> den gesamten Gegenstand<br />

möglicher Erfahrung ausmachen. E<strong>in</strong> Begriff a priori, <strong>der</strong> sich nicht auf diese bezöge,<br />

würde nur die logische Form zu e<strong>in</strong>em Begriff, aber nicht <strong>der</strong> Begriff selbst se<strong>in</strong>, wodurch<br />

etwas gedacht würde.<br />

Wenn es also re<strong>in</strong>e Begriffe a priori gibt, so können diese zwar freilich nichts Empirisches<br />

enthalten: sie müssen aber gleichwohl lauter Bed<strong>in</strong>gungen a priori zu e<strong>in</strong>er möglichen<br />

Erfahrung se<strong>in</strong>, als worauf alle<strong>in</strong> ihre objektive Realität beruhen kann.<br />

Will man daher wissen, wie re<strong>in</strong>e Verstandesbegriffe möglich seien, so muß man<br />

untersuchen, welches die Bed<strong>in</strong>gungen a priori seien, worauf die Möglichkeit <strong>der</strong><br />

Erfahrung ankommt, und die ihr zugrunde liegen, wenn man gleich <strong>von</strong> allem Empirischen<br />

<strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen abstrahiert. E<strong>in</strong> Begriff, <strong>der</strong> diese formale und objektive Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong><br />

Erfahrung allgeme<strong>in</strong> und zureichend ausdrückt, würde e<strong>in</strong> re<strong>in</strong>er Verstandesbegriff heißen.<br />

Habe ich e<strong>in</strong>mal re<strong>in</strong>e Verstandesbegriffe, so kann ich auch wohl Gegenstände erdenken,<br />

die vielleicht unmöglich, vielleicht zwar an sich möglich, aber <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Erfahrung gegeben<br />

werden können, <strong>in</strong>dem <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verknüpfung jener Begriffe etwas weggelassen se<strong>in</strong> kann,<br />

was doch zur Bed<strong>in</strong>gung e<strong>in</strong>er möglichen Erfahrung notwendig gehört (Begriff e<strong>in</strong>es<br />

Geistes), o<strong>der</strong> etwa re<strong>in</strong>e Verstandesbegriffe weiter ausgedehnt werden, als Erfahrung<br />

fassen kann (Begriff <strong>von</strong> Gott). Die Elemente aber zu allen Erkenntnissen a priori, selbst<br />

zu willkürlichen und ungereimten Erdichtungen, können zwar nicht <strong>von</strong> <strong>der</strong> Erfahrung<br />

entlehnt se<strong>in</strong> (denn sonst wären sie nicht Erkenntnisse a priori); sie müssen aber je<strong>der</strong>zeit<br />

die <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Bed<strong>in</strong>gungen a priori e<strong>in</strong>er möglichen Erfahrung und e<strong>in</strong>es Gegenstandes<br />

<strong>der</strong>selben enthalten, denn sonst würde nicht alle<strong>in</strong> durch sie gar nichts gedacht werden,<br />

son<strong>der</strong>n sie selber würden ohne Data auch nicht e<strong>in</strong>mal im Denken entstehen können.<br />

Diese Begriffe nun, welche a priori das re<strong>in</strong>e Denken bei je<strong>der</strong> Erfahrung enthalten, f<strong>in</strong>den<br />

wir an den Kategorien, und es ist schon e<strong>in</strong>e h<strong>in</strong>reichende Deduktion <strong>der</strong>selben und<br />

Rechtfertigung ihrer objektiven Gültigkeit, wenn wir beweisen können, daß vermittels ihrer<br />

alle<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Gegenstand gedacht werden kann. Weil aber <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em solchen Gedanken mehr<br />

als das e<strong>in</strong>zige Vermögen zu denken, nämlich <strong>der</strong> Verstand beschäftigt ist, und dieser<br />

selbst als e<strong>in</strong> Erkenntnisvermögen, das sich auf Objekte beziehen soll, ebensowohl e<strong>in</strong>er<br />

Erläuterung wegen <strong>der</strong> Möglichkeit dieser Beziehung bedarf: so müssen wir die<br />

subjektiven Quellen, welche die Grundlage a priori zu <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> Erfahrung<br />

ausmachen, nicht nach ihrer empirischen, son<strong>der</strong>n transzendentalen Beschaffenheit zuvor<br />

erwägen.<br />

Wenn e<strong>in</strong>e jede e<strong>in</strong>zelne Vorstellung <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en ganz fremd, gleichsam isoliert und <strong>von</strong><br />

dieser getrennt wäre, so würde niemals so etwas, als Erkenntnis ist, entspr<strong>in</strong>gen, welche<br />

e<strong>in</strong> Ganzes verglichener und verknüpfter Vorstellungen ist. Wenn ich also dem S<strong>in</strong>ne<br />

deswegen, weil er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Anschauung Mannigfaltigkeit enthält, e<strong>in</strong>e Synopsis beilege,<br />

so korrespondiert dieser je<strong>der</strong>zeit e<strong>in</strong>e Synthesis und die Rezeptivität kann nur mit<br />

Spontaneität verbunden Erkenntnisse möglich machen. Diese ist nun <strong>der</strong> Grund e<strong>in</strong>er<br />

dreifachen Synthesis, die notwendigerweise <strong>in</strong> allem Erkenntnis vorkommt: nämlich, <strong>der</strong><br />

Apprehension <strong>der</strong> Vorstellungen als Modifikationen des Gemüts <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anschauung, <strong>der</strong><br />

Reproduktion <strong>der</strong>selben <strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildung und ihrer Rekognition im Begriffe. Diese geben<br />

nun e<strong>in</strong>e Leitung auf drei subjektive Erkenntnisquellen, welche selbst den Verstand und,<br />

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durch diesen, alle Erfahrung, als e<strong>in</strong> empirisches Produkt des Verstandes möglich<br />

machen.<br />

Vorläufige Er<strong>in</strong>nerung<br />

Die Deduktion <strong>der</strong> Kategorien ist mit so viel Schwierigkeiten verbunden, und nötigt, so tief<br />

<strong>in</strong> die ersten Gründe <strong>der</strong> Möglichkeit unserer Erkenntnis überhaupt e<strong>in</strong>zudr<strong>in</strong>gen, daß ich,<br />

um die Weitläufigkeit e<strong>in</strong>er vollständigen Theorie zu vermeiden, und dennoch, bei e<strong>in</strong>er so<br />

notwendigen Untersuchung, nichts zu versäumen, es ratsamer gefunden habe, durch<br />

folgende vier Nummern den Leser mehr vorzubereiten als zu unterrichten; und im<br />

nächstfolgenden dritten Abschnitte, die Erörterung dieser Elemente des Verstandes<br />

allererst systematisch vorzustellen. Um deswillen wird sich <strong>der</strong> Leser bis dah<strong>in</strong> durch die<br />

Dunkelheit nicht abwendig machen lassen, die auf e<strong>in</strong>em Wege, <strong>der</strong> noch ganz unbetreten<br />

ist, anfänglich unvermeidlich ist, sich aber, wie ich hoffe, <strong>in</strong> gedachtem Abschnitte zur<br />

vollständigen E<strong>in</strong>sicht aufklären soll.<br />

1. Von <strong>der</strong> Synthesis <strong>der</strong> Apprehension <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anschauung<br />

Unsere Vorstellungen mögen entspr<strong>in</strong>gen, woher sie wollen, ob sie durch den E<strong>in</strong>fluß<br />

äußerer D<strong>in</strong>ge o<strong>der</strong> durch <strong>in</strong>nere Ursachen gewirkt s<strong>in</strong>d, sie mögen a priori o<strong>der</strong> empirisch<br />

als Ersche<strong>in</strong>ungen entstanden se<strong>in</strong>; so gehören sie doch als Modifikationen des Gemüts<br />

zum <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>n, und als solche s<strong>in</strong>d alle unsere Erkenntnisse zuletzt doch <strong>der</strong> formalen<br />

Bed<strong>in</strong>gung des <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>nes, nämlich <strong>der</strong> Zeit unterworfen, als <strong>in</strong> welcher sie <strong>in</strong>sgesamt<br />

geordnet, verknüpft und <strong>in</strong> Verhältnisse gebracht werden müssen. Dieses ist e<strong>in</strong>e<br />

allgeme<strong>in</strong>e Anmerkung, die man bei dem Folgenden durchaus zugrunde legen muß.<br />

Jede Anschauung enthält e<strong>in</strong> Mannigfaltiges <strong>in</strong> sich, welches doch nicht als e<strong>in</strong> solches<br />

vorgestellt werden würde, wenn das Gemüt nicht die Zeit, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge <strong>der</strong> E<strong>in</strong>drücke<br />

aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong> unterschiede: denn als <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Augenblick enthalten, kann jede Vorstellung<br />

niemals etwas an<strong>der</strong>es, als absolute E<strong>in</strong>heit se<strong>in</strong>. Damit nun aus diesem Mannigfaltigen<br />

E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Anschauung werde (wie etwa <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vorstellung des Raumes), so ist erstens<br />

das Durchlaufen <strong>der</strong> Mannigfaltigkeit und dann die Zusammennehmung desselben<br />

notwendig, welche Handlung ich die Synthesis <strong>der</strong> Apprehension nenne, weil sie geradezu<br />

auf die Anschauung gerichtet ist, die zwar e<strong>in</strong> Mannigfaltiges darbietet, dieses aber als e<strong>in</strong><br />

solches und zwar <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Vorstellung enthalten, niemals ohne e<strong>in</strong>e dabei vorkommende<br />

Synthesis bewirken kann.<br />

Diese Synthesis <strong>der</strong> Apprehension muß nun auch a priori, d.i. <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong><br />

Vorstellungen, die nicht empirisch s<strong>in</strong>d, ausgeübt werden. Denn ohne sie würden wir<br />

we<strong>der</strong> die Vorstellungen des Raumes, noch <strong>der</strong> Zeit a priori haben können; da diese nur<br />

durch die Synthesis des Mannigfaltigen, welches die S<strong>in</strong>nlichkeit <strong>in</strong> ihrer ursprünglichen<br />

Rezeptivität darbietet, erzeugt werden können. Also haben wir e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e Synthesis <strong>der</strong><br />

Apprehension.<br />

2. Von <strong>der</strong> Synthesis <strong>der</strong> Reproduktion <strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildung<br />

Es ist zwar e<strong>in</strong> bloß empirisches Gesetz, nach welchem Vorstellungen, die sich oft gefolgt<br />

o<strong>der</strong> begleitet haben, sich mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> endlich vergesellschaften, und dadurch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Verknüpfung setzen, nach welcher, auch ohne die Gegenwart des Gegenstandes, e<strong>in</strong>e<br />

dieser Vorstellungen e<strong>in</strong>en Übergang des Gemüts zu <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en, nach e<strong>in</strong>er beständigen<br />

Regel, hervorbr<strong>in</strong>gt. Dieses Gesetz <strong>der</strong> Reproduktion setzt aber voraus: daß die<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen selbst wirklich e<strong>in</strong>er solchen Regel unterworfen seien, und daß <strong>in</strong> dem<br />

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Mannigfaltigen ihrer Vorstellungen e<strong>in</strong>e, gewissen Regeln gemäße, Begleitung o<strong>der</strong> Folge<br />

stattf<strong>in</strong>de; denn ohne das würde unsere empirische E<strong>in</strong>bildungskraft niemals etwas ihrem<br />

Vermögen Gemäßes zu tun bekommen, also, wie e<strong>in</strong> totes und uns selbst unbekanntes<br />

Vermögen im Innern des Gemüts verborgen bleiben. Würde <strong>der</strong> Z<strong>in</strong>nober bald rot, bald<br />

schwarz, bald leicht, bald schwer se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong> Mensch bald <strong>in</strong> diese, bald <strong>in</strong> jene tierische<br />

Gestalt verän<strong>der</strong>t werden, am längsten Tage bald das Land mit Früchten, bald mit Eis und<br />

Schnee bedeckt se<strong>in</strong>, so könnte me<strong>in</strong>e empirische E<strong>in</strong>bildungskraft nicht e<strong>in</strong>mal<br />

Gelegenheit bekommen, bei <strong>der</strong> Vorstellung <strong>der</strong> roten Farbe den schweren Z<strong>in</strong>nober <strong>in</strong> die<br />

Gedanken zu bekommen, o<strong>der</strong> würde e<strong>in</strong> gewisses Wort bald diesem, bald jenem D<strong>in</strong>ge<br />

beigelegt, o<strong>der</strong> auch eben dasselbe D<strong>in</strong>g bald so, bald an<strong>der</strong>s benannt, ohne daß hier<strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e gewisse Regel, <strong>der</strong> die Ersche<strong>in</strong>ungen schon <strong>von</strong> selbst unterworfen s<strong>in</strong>d, herrschte,<br />

so könnte ke<strong>in</strong>e empirische Synthesis <strong>der</strong> Reproduktion stattf<strong>in</strong>den.<br />

Es muß also etwas se<strong>in</strong>, was selbst diese Reproduktion <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen möglich<br />

macht, dadurch, daß es <strong>der</strong> Grund a priori e<strong>in</strong>er notwendigen synthetischen E<strong>in</strong>heit<br />

<strong>der</strong>selben ist. Hierauf aber kommt man bald, wenn man sich bes<strong>in</strong>nt, daß Ersche<strong>in</strong>ungen<br />

nicht D<strong>in</strong>ge an sich selbst, son<strong>der</strong>n das bloße Spiel unserer Vorstellungen s<strong>in</strong>d, die am<br />

Ende auf Bestimmungen des <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>nes auslaufen. Wenn wir nun dartun können, daß<br />

selbst unsere re<strong>in</strong>sten Anschauungen a priori ke<strong>in</strong>e Erkenntnis verschaffen, außer, sofern<br />

sie e<strong>in</strong>e solche Verb<strong>in</strong>dung des Mannigfaltigen enthalten, die e<strong>in</strong>e durchgängige Synthesis<br />

<strong>der</strong> Reproduktion möglich macht, so ist diese Synthesis <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft auch vor aller<br />

Erfahrung auf Pr<strong>in</strong>zipien a priori gegründet, und man muß e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e transzendentale<br />

Synthesis <strong>der</strong>selben annehmen, die selbst <strong>der</strong> Möglichkeit aller Erfahrung (als welche die<br />

Reproduzibilität <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen notwendig voraussetzt) zugrunde liegt. Nun ist<br />

offenbar, daß, wenn ich e<strong>in</strong>e L<strong>in</strong>ie <strong>in</strong> Gedanken ziehe, o<strong>der</strong> die Zeit <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Mittag zum<br />

an<strong>der</strong>n denken, o<strong>der</strong> auch nur e<strong>in</strong>e gewisse Zahl mir vorstellen will, ich erstlich notwendig<br />

e<strong>in</strong>e dieser mannigfaltigen Vorstellungen nach <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en <strong>in</strong> Gedanken fassen müsse.<br />

Würde ich aber die vorhergehende (die ersten Teile <strong>der</strong> L<strong>in</strong>ie, die vorhergehenden Teile<br />

<strong>der</strong> Zeit, o<strong>der</strong> die nache<strong>in</strong>an<strong>der</strong> vorgestellten E<strong>in</strong>heiten) immer aus den Gedanken<br />

verlieren, und sie nicht reproduzieren, <strong>in</strong>dem ich zu den folgenden fortgehe, so würde<br />

niemals e<strong>in</strong>e ganze Vorstellung, und ke<strong>in</strong>er aller vorgenannten Gedanken, ja gar nicht<br />

e<strong>in</strong>mal die re<strong>in</strong>sten und ersten Grundvorstellungen <strong>von</strong> Raum und Zeit entspr<strong>in</strong>gen<br />

können.<br />

Die Synthesis <strong>der</strong> Apprehension ist also mit <strong>der</strong> Synthesis <strong>der</strong> Reproduktion unzertrennlich<br />

verbunden. Und da jene den transzendentalen Grund <strong>der</strong> Möglichkeit aller Erkenntnisse<br />

überhaupt (nicht bloß <strong>der</strong> empirischen, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> a priori) ausmacht, so<br />

gehört die reproduktive Synthesis <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft zu den transzendentalen<br />

Handlungen des Gemüts und <strong>in</strong> Rücksicht auf dieselbe wollen wir dieses Vermögen auch<br />

das transzendentale Vermögen <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft nennen.<br />

3. Von <strong>der</strong> Synthesis <strong>der</strong> Rekognition im Begriffe<br />

Ohne Bewußtse<strong>in</strong>, daß das, was wir denken, eben dasselbe sei, was wir e<strong>in</strong>en Augenblick<br />

zuvor dachten, würde alle Reproduktion <strong>in</strong> <strong>der</strong> Reihe <strong>der</strong> Vorstellungen vergeblich se<strong>in</strong>.<br />

Denn es wäre e<strong>in</strong>e neue Vorstellung im jetzigen Zustande, die zu dem Aktus, wodurch sie<br />

nach und nach hat erzeugt werden sollen, gar nicht gehörte, und das Mannigfaltige<br />

<strong>der</strong>selben würde immer ke<strong>in</strong> Ganzes ausmachen, weil es <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit ermangelte, die ihm<br />

nur das Bewußtse<strong>in</strong> verschaffen kann. Vergesse ich im Zählen, daß die E<strong>in</strong>heiten, die mir<br />

jetzt vor S<strong>in</strong>nen schweben, nach und nach zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>von</strong> mir h<strong>in</strong>zugetan worden s<strong>in</strong>d, so<br />

würde ich die Erzeugung <strong>der</strong> Menge durch diese sukzessive H<strong>in</strong>zutuung <strong>von</strong> E<strong>in</strong>em zu<br />

E<strong>in</strong>em, mith<strong>in</strong> auch nicht die Zahl erkennen; denn dieser Begriff besteht lediglich <strong>in</strong> dem<br />

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Bewußtse<strong>in</strong> dieser E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Synthesis. Das Wort Begriff könnte uns schon <strong>von</strong> selbst zu<br />

dieser Bemerkung Anleitung geben. Denn dieses e<strong>in</strong>e Bewußtse<strong>in</strong> ist es, was das<br />

Mannigfaltige, nach und nach Angeschaute, und dann auch Reproduzierte, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Vorstellung vere<strong>in</strong>igt. Dieses Bewußtse<strong>in</strong> kann oft nur schwach se<strong>in</strong>, so daß wir es nur <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Wirkung, nicht aber <strong>in</strong> dem Aktus selbst, d.i. unmittelbar mit <strong>der</strong> Erzeugung <strong>der</strong><br />

Vorstellung verknüpfen: aber unerachtet dieser Unterschiede muß doch immer e<strong>in</strong><br />

Bewußtse<strong>in</strong> angetroffen werden, wenn ihm gleich die hervorstechende Klarheit mangelt,<br />

und ohne dasselbe s<strong>in</strong>d Begriffe, und mit ihnen Erkenntnis <strong>von</strong> Gegenständen ganz<br />

unmöglich.<br />

Und hier ist es denn notwendig, sich darüber verständlich zu machen, was man denn<br />

unter dem Ausdruck e<strong>in</strong>es Gegenstandes <strong>der</strong> Vorstellungen me<strong>in</strong>e. Wir haben oben<br />

gesagt, daß Ersche<strong>in</strong>ungen selbst nichts als s<strong>in</strong>nliche Vorstellungen s<strong>in</strong>d, die an sich, <strong>in</strong><br />

eben <strong>der</strong>selben Art, nicht als Gegenstände (außer <strong>der</strong> Vorstellungskraft) müssen<br />

angesehen werden. Was versteht man denn, wenn man <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> Erkenntnis<br />

korrespondierenden, mith<strong>in</strong> auch da<strong>von</strong> unterschiedenen Gegenstand redet? Es ist leicht<br />

e<strong>in</strong>zusehen, daß dieser Gegenstand nur als etwas überhaupt =X müsse gedacht werden,<br />

weil wir außer unserer Erkenntnis doch nichts haben, welches wir dieser Erkenntnis als<br />

korrespondierend gegenübersetzen könnten. Wir f<strong>in</strong>den aber, daß unser Gedanke <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />

Beziehung aller Erkenntnis auf ihren Gegenstand etwas <strong>von</strong> Notwendigkeit bei sich führe,<br />

da nämlich dieser als dasjenige angesehen wird, was dawi<strong>der</strong> ist, daß unsere<br />

Erkenntnisse nicht aufs Geratewohl, o<strong>der</strong> beliebig, son<strong>der</strong>n a priori auf gewisse Weise<br />

bestimmt s<strong>in</strong>d; weil, <strong>in</strong>dem sie sich auf e<strong>in</strong>en Gegenstand beziehen sollen, sie auch<br />

notwendigerweise <strong>in</strong> Beziehung auf diesen untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> übere<strong>in</strong>stimmen, d.i. diejenige<br />

E<strong>in</strong>heit haben müssen, welche den Begriff <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Gegenstande ausmacht.<br />

Es ist aber klar, daß, da wir es nur mit dem Mannigfaltigen unserer Vorstellungen zu tun<br />

haben, und jenes X, was ihnen korrespondiert (<strong>der</strong> Gegenstand), weil er etwas <strong>von</strong> allen<br />

unsern Vorstellungen Unterschiedenes se<strong>in</strong> soll, für uns nichts ist, die E<strong>in</strong>heit, welche <strong>der</strong><br />

Gegenstand notwendig macht, nichts an<strong>der</strong>es se<strong>in</strong> könne, als die formale E<strong>in</strong>heit des<br />

Bewußtse<strong>in</strong>s <strong>in</strong> <strong>der</strong> Synthesis des Mannigfaltigen <strong>der</strong> Vorstellungen. Alsdann sagen wir:<br />

wir erkennen den Gegenstand, wenn wir <strong>in</strong> dem Mannigfaltigen <strong>der</strong> Anschauung<br />

synthetische E<strong>in</strong>heit bewirkt haben. Diese ist aber unmöglich, wenn die Anschauung nicht<br />

durch e<strong>in</strong>e solche Funktion <strong>der</strong> Synthesis nach e<strong>in</strong>er Regel hat hervorgebracht werden<br />

können, welche die Reproduktion des Mannigfaltigen a priori notwendig und e<strong>in</strong>en Begriff,<br />

<strong>in</strong> welchem dieses sich vere<strong>in</strong>igt, möglich macht. So denken wir uns e<strong>in</strong>en Triangel als<br />

Gegenstand, <strong>in</strong>dem wir uns <strong>der</strong> Zusammensetzung <strong>von</strong> drei geraden L<strong>in</strong>ien nach e<strong>in</strong>er<br />

Regel bewußt s<strong>in</strong>d, nach welcher e<strong>in</strong>e solche Anschauung je<strong>der</strong>zeit dargestellt werden<br />

kann. Diese E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Regel bestimmt nun alles Mannigfaltige und schränkt es auf<br />

Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>, welche die E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Apperzeption möglich machen; und <strong>der</strong> Begriff<br />

dieser E<strong>in</strong>heit ist die Vorstellung vom Gegenstande =X, den ich durch die gedachten<br />

Prädikate e<strong>in</strong>es Triangels denke.<br />

Alles Erkenntnis erfor<strong>der</strong>t e<strong>in</strong>en Begriff, dieser mag nun so unvollkommen o<strong>der</strong> so dunkel<br />

se<strong>in</strong>, wie er wolle; dieser aber ist se<strong>in</strong>er Form nach je<strong>der</strong>zeit etwas Allgeme<strong>in</strong>es, und was<br />

zur Regel dient. So dient <strong>der</strong> Begriff vom Körper nach <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit des Mannigfaltigen,<br />

welches durch ihn gedacht wird, unserer Erkenntnis äußerer Ersche<strong>in</strong>ungen zur Regel.<br />

E<strong>in</strong>e Regel <strong>der</strong> Anschauungen kann er aber nur dadurch se<strong>in</strong>, daß er bei gegebenen<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen die notwendige Reproduktion des Mannigfaltigen <strong>der</strong>selben, mith<strong>in</strong> die<br />

synthetische E<strong>in</strong>heit <strong>in</strong> ihrem Bewußtse<strong>in</strong>, vorstellt. So macht <strong>der</strong> Begriff des Körpers bei<br />

<strong>der</strong> Wahrnehmung <strong>von</strong> etwas außer uns, die Vorstellung <strong>der</strong> Ausdehnung und mit ihr die<br />

<strong>der</strong> Undurchdr<strong>in</strong>glichkeit, <strong>der</strong> Gestalt usw. notwendig.<br />

Aller Notwendigkeit liegt je<strong>der</strong>zeit e<strong>in</strong>e transzendentale Bed<strong>in</strong>gung zugrunde. Also muß e<strong>in</strong><br />

47


transzendentaler Grund <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit des Bewußtse<strong>in</strong>s, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Synthesis des Mannigfaltigen<br />

aller unserer Anschauungen, mith<strong>in</strong> auch, <strong>der</strong> Begriffe <strong>der</strong> Objekte überhaupt, folglich<br />

auch aller Gegenstände <strong>der</strong> Erfahrung, angetroffen werden, ohne welchen es unmöglich<br />

wäre, zu unseren Anschauungen irgende<strong>in</strong>en Gegenstand zu denken: denn dieser ist<br />

nichts mehr als das etwas, da<strong>von</strong> <strong>der</strong> Begriff e<strong>in</strong>e solche Notwendigkeit <strong>der</strong> Synthesis<br />

ausdrückt.<br />

Diese ursprüngliche und transzendentale Bed<strong>in</strong>gung ist nun ke<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e, als die<br />

transzendentale Apperzeption. Das Bewußtse<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er selbst, nach den Bestimmungen<br />

unseres Zustandes, bei <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren Wahrnehmung ist bloß empirisch, je<strong>der</strong>zeit wandelbar,<br />

es kann ke<strong>in</strong> stehendes o<strong>der</strong> bleibendes Selbst <strong>in</strong> diesem Flusse <strong>in</strong>nerer Ersche<strong>in</strong>ungen<br />

geben und wird gewöhnlich <strong>der</strong> <strong>in</strong>nere S<strong>in</strong>n genannt, o<strong>der</strong> die empirische Apperzeption.<br />

Das was notwendig als numerisch identisch vorgestellt werden soll, kann nicht als e<strong>in</strong><br />

solches durch empirische Data gedacht werden. Es muß e<strong>in</strong>e Bed<strong>in</strong>gung se<strong>in</strong>, die vor aller<br />

Erfahrung vorhergeht und diese selbst möglich macht, welche e<strong>in</strong>e solche transzendentale<br />

Voraussetzung geltend machen soll.<br />

Nun können ke<strong>in</strong>e Erkenntnisse <strong>in</strong> uns stattf<strong>in</strong>den, ke<strong>in</strong>e Verknüpfung und E<strong>in</strong>heit<br />

<strong>der</strong>selben untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> ohne diejenige E<strong>in</strong>heit des Bewußtse<strong>in</strong>s, welche vor allen Datis<br />

<strong>der</strong> Anschauungen vorhergeht, und, worauf <strong>in</strong> Beziehung, alle Vorstellung <strong>von</strong><br />

Gegenständen alle<strong>in</strong> möglich ist. Dieses re<strong>in</strong>e ursprüngliche, unwandelbare Bewußtse<strong>in</strong><br />

will ich nun die transzendentale Apperzeption nennen. Daß sie diesen Namen verdiene,<br />

erhellt schon daraus: daß selbst die re<strong>in</strong>ste objektive E<strong>in</strong>heit, nämlich die <strong>der</strong> Begriffe a<br />

priori (Raum und Zeit) nur durch Beziehung <strong>der</strong> Anschauungen auf sie möglich s<strong>in</strong>d. Die<br />

numerische E<strong>in</strong>heit dieser Apperzeption liegt also a priori allen Begriffen ebensowohl<br />

zugrunde, als die Mannigfaltigkeit des Raumes und <strong>der</strong> Zeit den Anschauungen <strong>der</strong><br />

S<strong>in</strong>nlichkeit.<br />

Eben diese transzendentale E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Apperzeption macht aber aus allen möglichen<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen, die immer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Erfahrung beisammen se<strong>in</strong> können, e<strong>in</strong>en<br />

Zusammenhang aller dieser Vorstellungen nach Gesetzen. Denn diese E<strong>in</strong>heit des<br />

Bewußtse<strong>in</strong>s wäre unmöglich, wenn nicht das Gemüt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erkenntnis des Mannigfaltigen<br />

sich <strong>der</strong> Identität <strong>der</strong> Funktion bewußt werden könnte, wodurch sie dasselbe synthetisch <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Erkenntnis verb<strong>in</strong>det. Also ist das ursprüngliche und notwendige Bewußtse<strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Identität se<strong>in</strong>er selbst zugleich e<strong>in</strong> Bewußtse<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ebenso notwendigen E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong><br />

Synthesis aller Ersche<strong>in</strong>ungen nach Begriffen, d.i. nach Regeln, die sie nicht alle<strong>in</strong><br />

notwendig reproduzibel machen, son<strong>der</strong>n dadurch auch ihrer Anschauung e<strong>in</strong>en<br />

Gegenstand bestimmen, d.i. den Begriff <strong>von</strong> etwas, dar<strong>in</strong> sie notwendig<br />

zusammenhängen: denn das Gemüt könnte sich unmöglich die Identität se<strong>in</strong>er selbst <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Mannigfaltigkeit se<strong>in</strong>er Vorstellungen und zwar a priori denken, wenn es nicht die<br />

Identität se<strong>in</strong>er Handlung vor Augen hätte, welche alle Synthesis <strong>der</strong> Apprehension (die<br />

empirisch ist) e<strong>in</strong>er transzendentalen E<strong>in</strong>heit unterwirft und ihren Zusammenhang nach<br />

Regeln a priori zuerst möglich macht. Nunmehr werden wir auch unsere Begriffe <strong>von</strong><br />

e<strong>in</strong>em Gegenstande überhaupt richtiger bestimmen können. Alle Vorstellungen haben, als<br />

Vorstellungen, ihren Gegenstand, und können selbst wie<strong>der</strong>um Gegenstände an<strong>der</strong>er<br />

Vorstellungen se<strong>in</strong>. Ersche<strong>in</strong>ungen s<strong>in</strong>d die e<strong>in</strong>zigen Gegenstände, die uns unmittelbar<br />

gegeben werden können, und das, was sich dar<strong>in</strong> unmittelbar auf den Gegenstand<br />

bezieht, heißt Anschauung. Nun s<strong>in</strong>d aber diese Ersche<strong>in</strong>ungen nicht D<strong>in</strong>ge an sich selbst,<br />

son<strong>der</strong>n selbst nur Vorstellungen, die wie<strong>der</strong>um ihren Gegenstand haben, <strong>der</strong> also <strong>von</strong><br />

uns nicht mehr angeschaut werden kann, und daher <strong>der</strong> nichtempirische, d.i.<br />

transzendentale Gegenstand =X genannt werden mag.<br />

Der re<strong>in</strong>e Begriff <strong>von</strong> diesem transzendentalen Gegenstande (<strong>der</strong> wirklich bei allen unsern<br />

Erkenntnissen immer e<strong>in</strong>erlei =X ist) ist das, was allen unseren empirischen Begriffen<br />

48


überhaupt Beziehung auf e<strong>in</strong>en Gegenstand, d.i. objektive Realität verschaffen kann.<br />

Dieser Begriff kann nun gar ke<strong>in</strong>e bestimmte Anschauung enthalten und wird also nichts<br />

an<strong>der</strong>es als diejenige E<strong>in</strong>heit betreffen, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Mannigfaltigen <strong>der</strong> Erkenntnis<br />

angetroffen werden muß, sofern es <strong>in</strong> Beziehung auf e<strong>in</strong>en Gegenstand steht. Diese<br />

Beziehung aber ist nichts an<strong>der</strong>es, als die notwendige E<strong>in</strong>heit des Bewußtse<strong>in</strong>s, mith<strong>in</strong><br />

auch <strong>der</strong> Synthesis des Mannigfaltigen durch geme<strong>in</strong>schaftliche Funktion des Gemüts, es<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Vorstellung zu verb<strong>in</strong>den. Da nun diese E<strong>in</strong>heit als a priori notwendig angesehen<br />

werden muß (weil die Erkenntnis sonst ohne Gegenstand se<strong>in</strong> würde), so wird die<br />

Beziehung auf e<strong>in</strong>en transzendentalen Gegenstand, d.i. die objektive Realität unserer<br />

empirischen Erkenntnis, auf dem transzendentalen Gesetze beruhen, daß alle<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen, sofern uns dadurch Gegenstände gegeben werden sollen, unter Regeln a<br />

priori <strong>der</strong> synthetischen E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong>selben stehen müssen, nach welchen ihr Verhältnis <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> empirischen Anschauung alle<strong>in</strong> möglich ist, d.i. daß sie ebensowohl <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erfahrung<br />

unter Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> notwendigen E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Apperzeption, als <strong>in</strong> <strong>der</strong> bloßen<br />

Anschauung unter den formalen Bed<strong>in</strong>gungen des Raumes und <strong>der</strong> Zeit stehen müssen,<br />

ja daß durch jene jede Erkenntnis allererst möglich werde.<br />

4. Vorläufige Erklärung <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> Kategorien, als Erkenntnissen a priori<br />

Es ist nur e<strong>in</strong>e Erfahrung, <strong>in</strong> welcher alle Wahrnehmungen als im durchgängigen und<br />

gesetzmäßigen Zusammenhange vorgestellt werden; ebenso wie nur e<strong>in</strong> Raum und e<strong>in</strong>e<br />

Zeit ist, <strong>in</strong> welcher alle Formen <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung und alles Verhältnis des Se<strong>in</strong>s o<strong>der</strong><br />

Nichtse<strong>in</strong>s stattf<strong>in</strong>den. Wenn man <strong>von</strong> verschiedenen Erfahrungen spricht, so s<strong>in</strong>d es nur<br />

so viel Wahrnehmungen, sofern solche zu e<strong>in</strong>er und <strong>der</strong>selben allgeme<strong>in</strong>en Erfahrung<br />

gehören. Die durchgängige und synthetische E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Wahrnehmungen macht nämlich<br />

gerade die Form <strong>der</strong> Erfahrung aus, und sie ist nichts an<strong>der</strong>es, als die synthetische E<strong>in</strong>heit<br />

<strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen nach Begriffen.<br />

E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Synthesis nach empirischen Begriffen würde ganz zufällig se<strong>in</strong> und, gründeten<br />

diese sich nicht auf e<strong>in</strong>en transzendentalen Grund <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit, so würde es möglich se<strong>in</strong>,<br />

daß e<strong>in</strong> Gewühle <strong>von</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen unsere Seele anfüllte, ohne daß doch daraus jemals<br />

Erfahrung werden könnte. Alsdann fiele aber auch alle Beziehung <strong>der</strong> Erkenntnis auf<br />

Gegenstände weg, weil ihr die Verknüpfung nach allgeme<strong>in</strong>en und notwendigen Gesetzen<br />

mangelte, mith<strong>in</strong> würde sie zwar gedankenlose Anschauung, aber niemals Erkenntnis,<br />

also für uns soviel als gar nichts se<strong>in</strong>.<br />

Die Bed<strong>in</strong>gungen a priori e<strong>in</strong>er möglichen Erfahrung überhaupt s<strong>in</strong>d zugleich Bed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> Gegenstände <strong>der</strong> Erfahrung. Nun behaupte ich: die oben angeführten<br />

Kategorien s<strong>in</strong>d nichts an<strong>der</strong>es, als die Bed<strong>in</strong>gungen des Denkens <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er möglichen<br />

Erfahrung, so wie Raum und Zeit die Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Anschauung zu eben <strong>der</strong>selben<br />

enthalten. Also s<strong>in</strong>d jene auch Grundbegriffe, Objekte überhaupt zu den Ersche<strong>in</strong>ungen zu<br />

denken, und haben also a priori objektive Gültigkeit; welches dasjenige war, was wir<br />

eigentlich wissen wollten.<br />

Die Möglichkeit aber, ja sogar die Notwendigkeit dieser Kategorien beruht auf <strong>der</strong><br />

Beziehung, welche die gesamte S<strong>in</strong>nlichkeit, und mit ihr auch alle möglichen<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen, auf die ursprüngliche Apperzeption haben, <strong>in</strong> welcher alles notwendig den<br />

Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> durchgängigen E<strong>in</strong>heit des Selbstbewußtse<strong>in</strong>s gemäß se<strong>in</strong>, d.i. unter<br />

allgeme<strong>in</strong>en Funktionen <strong>der</strong> Synthesis stehen muß, nämlich <strong>der</strong> Synthesis nach Begriffen,<br />

als wor<strong>in</strong> die Apperzeption alle<strong>in</strong> ihre durchgängige und notwendige Identität a priori<br />

beweisen kann. So ist <strong>der</strong> Begriff e<strong>in</strong>er Ursache nichts an<strong>der</strong>es, als e<strong>in</strong>e Synthesis<br />

(dessen, was <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeitreihe folgt, mit an<strong>der</strong>en Ersche<strong>in</strong>ungen) nach Begriffen, und ohne<br />

<strong>der</strong>gleichen E<strong>in</strong>heit, die ihre Regel a priori hat, und die Ersche<strong>in</strong>ungen sich unterwirft,<br />

49


würde durchgängige und allgeme<strong>in</strong>e, mith<strong>in</strong> notwendige E<strong>in</strong>heit des Bewußtse<strong>in</strong>s, <strong>in</strong> dem<br />

Mannigfaltigen <strong>der</strong> Wahrnehmungen, nicht angetroffen werden. Diese würden aber<br />

alsdann auch zu ke<strong>in</strong>er Erfahrung gehören, folglich ohne Objekt, und nichts als e<strong>in</strong> bl<strong>in</strong>des<br />

Spiel <strong>der</strong> Vorstellungen, d.i. weniger als e<strong>in</strong> Traum se<strong>in</strong>.<br />

Alle Versuche, jene <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandesbegriffe <strong>von</strong> <strong>der</strong> Erfahrung abzuleiten und ihnen<br />

e<strong>in</strong>en bloß empirischen Ursprung zuzuschreiben, s<strong>in</strong>d also ganz eitel und vergeblich. Ich<br />

will da<strong>von</strong> nichts erwähnen, daß z.E. <strong>der</strong> Begriff e<strong>in</strong>er Ursache den Zug <strong>von</strong> Notwendigkeit<br />

bei sich führt, welche gar ke<strong>in</strong>e Erfahrung geben kann, die uns zwar lehrt, daß auf e<strong>in</strong>e<br />

Ersche<strong>in</strong>ung gewöhnlichermaßen etwas an<strong>der</strong>es folge, aber nicht, daß es notwendig<br />

darauf folgen müsse, noch daß a priori und ganz allgeme<strong>in</strong> daraus als e<strong>in</strong>er Bed<strong>in</strong>gung<br />

auf die Folge könne geschlossen werden. Aber jene empirische Regel <strong>der</strong> Assoziation, die<br />

man doch durchgängig annehmen muß, wenn man sagt, daß alles <strong>in</strong> <strong>der</strong> Reihenfolge <strong>der</strong><br />

Begebenheiten <strong>der</strong>maßen unter Regeln stehe, daß niemals etwas geschieht, vor welchem<br />

nicht etwas vorhergehe, darauf es je<strong>der</strong>zeit folge: dieses als e<strong>in</strong> Gesetz <strong>der</strong> Natur, worauf<br />

beruht es? frage ich, und wie ist selbst diese Assoziation möglich? Der Grund <strong>der</strong><br />

Möglichkeit <strong>der</strong> Assoziation des Mannigfaltigen, sofern es im Objekte liegt, heißt die<br />

Aff<strong>in</strong>ität des Mannigfaltigen. Ich frage also, wie macht ihr euch die durchgängige Aff<strong>in</strong>ität<br />

<strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen (dadurch sie unter beständigen Gesetzen stehen und darunter<br />

gehören müssen) begreiflich?<br />

Nach me<strong>in</strong>en Grundsätzen ist sie sehr wohl begreiflich. Alle möglichen Ersche<strong>in</strong>ungen<br />

gehören, als Vorstellungen, zu dem ganzen möglichen Selbstbewußtse<strong>in</strong>. Von diesem<br />

aber, als e<strong>in</strong>er transzendentalen Vorstellung, ist die numerische Identität unzertrennlich<br />

und a priori gewiß, weil nichts <strong>in</strong> das Erkenntnis kommen kann, ohne vermittels dieser<br />

ursprünglichen Apperzeption. Da nun diese Identität notwendig <strong>in</strong> <strong>der</strong> Synthesis alles<br />

Mannigfaltigen <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen, sofern sie empirische Erkenntnis werden soll,<br />

h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>kommen muß, so s<strong>in</strong>d die Ersche<strong>in</strong>ungen Bed<strong>in</strong>gungen a priori unterworfen,<br />

welchen ihre Synthesis (<strong>der</strong> Apprehension) durchgängig gemäß se<strong>in</strong> muß. Nun heißt aber<br />

die Vorstellung e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en Bed<strong>in</strong>gung, nach welcher e<strong>in</strong> gewisses Mannigfaltige<br />

(mith<strong>in</strong> auf e<strong>in</strong>erlei Art) gesetzt werden kann, e<strong>in</strong>e Regel, und wenn es so gesetzt werden<br />

muß, e<strong>in</strong> Gesetz. Also stehen alle Ersche<strong>in</strong>ungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er durchgängigen Verknüpfung<br />

nach notwendigen Gesetzen und mith<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er transzendentalen Aff<strong>in</strong>ität, woraus die<br />

empirische die bloße Folge ist.<br />

Daß die Natur sich nach unserem subjektiven Grunde <strong>der</strong> Apperzeption richten, ja gar<br />

da<strong>von</strong> <strong>in</strong> Ansehung ihrer Gesetzmäßigkeit abhängen solle, lautet wohl sehr wi<strong>der</strong>s<strong>in</strong>nig<br />

und befremdlich. Bedenkt man aber, daß diese Natur an sich nichts als e<strong>in</strong> Inbegriff <strong>von</strong><br />

Ersche<strong>in</strong>ungen, mith<strong>in</strong> ke<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g an sich, son<strong>der</strong>n bloß e<strong>in</strong>e Menge <strong>von</strong> Vorstellungen des<br />

Gemüts sei, so wird man sich nicht wun<strong>der</strong>n, sie bloß <strong>in</strong> dem Radikalvermögen aller<br />

unserer Erkenntnis, nämlich <strong>der</strong> transzendentalen Apperzeption, <strong>in</strong> <strong>der</strong>jenigen E<strong>in</strong>heit zu<br />

sehen, um <strong>der</strong>entwillen alle<strong>in</strong> sie Objekt aller möglichen Erfahrung, d.i. Natur heißen kann;<br />

und daß wir auch eben darum diese E<strong>in</strong>heit a priori, mith<strong>in</strong> auch als notwendig erkennen<br />

können, welches wir wohl müßten unterwegs lassen, wäre sie unabhängig <strong>von</strong> den ersten<br />

Quellen unseres Denkens an sich gegeben. Denn da wüßte ich nicht, wo wir die<br />

synthetischen Sätze e<strong>in</strong>er solchen allgeme<strong>in</strong>en Nature<strong>in</strong>heit hernehmen sollten, weil man<br />

sie auf solchen Fall <strong>von</strong> den Gegenständen <strong>der</strong> Natur selbst entlehnen müßte. Da dieses<br />

aber nur empirisch geschehen könnte, so würde daraus ke<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e, als bloß zufällige<br />

E<strong>in</strong>heit gezogen werden können, die aber bei weitem an den notwendigen<br />

Zusammenhang nicht reicht, den man me<strong>in</strong>t, wenn man Natur nennt.<br />

50


3. Abschnitt: Von dem Verhältnisse des Verstandes zu Gegenständen überhaupt und<br />

<strong>der</strong> Möglichkeit diese a priori zu erkennen<br />

Was wir im vorigen Abschnitte abgeson<strong>der</strong>t und e<strong>in</strong>zeln vortrugen, wollen wir jetzt<br />

vere<strong>in</strong>igt und im Zusammenhange vorstellen. Es s<strong>in</strong>d drei subjektive Erkenntnisquellen,<br />

worauf die Möglichkeit e<strong>in</strong>er Erfahrung überhaupt und Erkenntnis <strong>der</strong> Gegenstände<br />

<strong>der</strong>selben beruht: S<strong>in</strong>n, E<strong>in</strong>bildungskraft und Apperzeption; jede <strong>der</strong>selben kann als<br />

empirisch, nämlich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anwendung auf gegebene Ersche<strong>in</strong>ungen betrachtet werden,<br />

alle aber s<strong>in</strong>d auch Elemente o<strong>der</strong> Grundlagen a priori, welche selbst diesen empirischen<br />

Gebrauch möglich machen. Der S<strong>in</strong>n stellt die Ersche<strong>in</strong>ungen empirisch <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Wahrnehmung vor, die E<strong>in</strong>bildungskraft <strong>in</strong> <strong>der</strong> Assoziation (und Reproduktion), die<br />

Apperzeption <strong>in</strong> dem empirischen Bewußtse<strong>in</strong> <strong>der</strong> Identität dieser reproduktiven<br />

Vorstellungen mit den Ersche<strong>in</strong>ungen, dadurch sie gegeben waren, mith<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Rekognition.<br />

Es liegt aber <strong>der</strong> sämtlichen Wahrnehmung die re<strong>in</strong>e Anschauung (<strong>in</strong> Ansehung ihrer als<br />

Vorstellungen die Form <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren Anschauung, die Zeit), <strong>der</strong> Assoziation die re<strong>in</strong>e<br />

Synthesis <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft, und dem empirischen Bewußtse<strong>in</strong> die re<strong>in</strong>e Apperzeption,<br />

d.i. die durchgängige Identität se<strong>in</strong>er selbst bei allen möglichen Vorstellungen, a priori<br />

zugrunde.<br />

Wollen wir nun den <strong>in</strong>neren Grund dieser Verknüpfung <strong>der</strong> Vorstellungen bis auf<br />

denjenigen Punkt verfolgen, <strong>in</strong> welchem sie alle zusammenlaufen müssen, um dar<strong>in</strong><br />

allererst E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Erkenntnis zu e<strong>in</strong>er möglichen Erfahrung zu bekommen, so müssen<br />

wir <strong>von</strong> <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Apperzeption anfangen. Alle Anschauungen s<strong>in</strong>d für uns nichts und<br />

gehen uns nicht im m<strong>in</strong>desten etwas an, wenn sie nicht <strong>in</strong>s Bewußtse<strong>in</strong> aufgenommen<br />

werden können, sie mögen nun direkt o<strong>der</strong> <strong>in</strong>direkt darauf e<strong>in</strong>fließen, und nur durch dieses<br />

alle<strong>in</strong> ist Erkenntnis möglich. Wir s<strong>in</strong>d uns a priori <strong>der</strong> durchgängigen Identität unserer<br />

selbst <strong>in</strong> Ansehung aller Vorstellungen, die zu unserem Erkenntnis jemals gehören<br />

können, bewußt, als e<strong>in</strong>er notwendigen Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> Möglichkeit aller Vorstellungen<br />

(weil diese <strong>in</strong> mir doch nur dadurch etwas vorstellen, daß sie mit allem an<strong>der</strong>en zu e<strong>in</strong>em<br />

Bewußtse<strong>in</strong> gehören, mith<strong>in</strong> dar<strong>in</strong> wenigstens müssen verknüpft werden können). Dies<br />

Pr<strong>in</strong>zip steht a priori fest und kann das transzendentale Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit alles<br />

Mannigfaltigen unserer Vorstellungen (mith<strong>in</strong> auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anschauung) heißen. Nun ist die<br />

E<strong>in</strong>heit des Mannigfaltigen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Subjekt synthetisch; also gibt die re<strong>in</strong>e Apperzeption<br />

e<strong>in</strong> Pr<strong>in</strong>zipium <strong>der</strong> synthetischen E<strong>in</strong>heit des Mannigfaltigen <strong>in</strong> aller möglichen<br />

Anschauung an die Hand [ 6].<br />

Diese synthetische E<strong>in</strong>heit setzt aber e<strong>in</strong>e Synthesis voraus, o<strong>der</strong> schließt sie e<strong>in</strong>, und soll<br />

jene a priori notwendig se<strong>in</strong>, so muß letztere auch e<strong>in</strong>e Synthesis a priori se<strong>in</strong>. Also<br />

bezieht sich die transzendentale E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Apperzeption auf die re<strong>in</strong>e Synthesis <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>bildungskraft, als e<strong>in</strong>e Bed<strong>in</strong>gung a priori <strong>der</strong> Möglichkeit aller Zusammensetzung des<br />

Mannigfaltigen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Erkenntnis. Es kann aber nur die produktive Synthesis <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>bildungskraft a priori stattf<strong>in</strong>den; denn die reproduktive beruht auf Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong><br />

Erfahrung. Also ist das Pr<strong>in</strong>zipium <strong>der</strong> notwendigen E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> (produktiven)<br />

Synthesis <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft vor <strong>der</strong> Apperzeption <strong>der</strong> Grund <strong>der</strong> Möglichkeit aller<br />

Erkenntnis, beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> Erfahrung.<br />

Nun nennen wir die Synthesis des Mannigfaltigen <strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft transzendental,<br />

wenn ohne Unterschied <strong>der</strong> Anschauungen sie auf nichts, als bloß auf die Verb<strong>in</strong>dung des<br />

Mannigfaltigen a priori geht, und die E<strong>in</strong>heit dieser Synthesis heißt transzendental, wenn<br />

sie <strong>in</strong> Beziehung auf die ursprüngliche E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Apperzeption, als a priori notwendig<br />

vorgestellt wird. Da diese letztere nun <strong>der</strong> Möglichkeit aller Erkenntnisse zugrunde liegt, so<br />

ist die transzendentale E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Synthesis <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft die re<strong>in</strong>e Form aller<br />

51


möglichen Erkenntnis, durch welche mith<strong>in</strong> alle Gegenstände möglicher Erfahrung a priori<br />

vorgestellt werden müssen.<br />

Die E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Apperzeption <strong>in</strong> Beziehung auf die Synthesis <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft ist <strong>der</strong><br />

Verstand, und eben dieselbe E<strong>in</strong>heit, beziehungsweise auf die transzendentale Synthesis<br />

<strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft, <strong>der</strong> re<strong>in</strong>e Verstand. Also s<strong>in</strong>d im Verstande re<strong>in</strong>e Erkenntnisse a<br />

priori, welche die notwendige E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Synthesis <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft, <strong>in</strong><br />

Ansehung aller möglichen Ersche<strong>in</strong>ungen enthalten. Dieses s<strong>in</strong>d aber die Kategorien, d.i.<br />

re<strong>in</strong>e Verstandesbegriffe; folglich enthält die empirische Erkenntniskraft des Menschen<br />

notwendig e<strong>in</strong>en Verstand, <strong>der</strong> sich auf alle Gegenstände <strong>der</strong> S<strong>in</strong>ne, obgleich nur<br />

vermittels <strong>der</strong> Anschauung und <strong>der</strong> Synthesis <strong>der</strong>selben durch E<strong>in</strong>bildungskraft bezieht,<br />

unter welchen also alle Ersche<strong>in</strong>ungen, als Data zu e<strong>in</strong>er möglichen Erfahrung stehen. Da<br />

nun diese Beziehung <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen auf mögliche Erfahrung ebenfalls notwendig ist<br />

(weil wir ohne diese gar ke<strong>in</strong>e Erkenntnis durch sie bekommen würden, und sie uns mith<strong>in</strong><br />

gar nichts ang<strong>in</strong>gen), so folgt, daß <strong>der</strong> re<strong>in</strong>e Verstand, vermittels <strong>der</strong> Kategorien, e<strong>in</strong><br />

formales und synthetisches Pr<strong>in</strong>zipium aller Erfahrungen sei, und die Ersche<strong>in</strong>ungen e<strong>in</strong>e<br />

notwendige Beziehung auf den Verstand haben.<br />

Jetzt wollen wir den notwendigen Zusammenhang des Verstandes mit den Ersche<strong>in</strong>ungen<br />

vermittels <strong>der</strong> Kategorien dadurch vor Augen legen, daß wir <strong>von</strong> unten auf, nämlich dem<br />

Empirischen anfangen. Das Erste, was uns gegeben wird, ist Ersche<strong>in</strong>ung, welche, wenn<br />

sie mit Bewußtse<strong>in</strong> verbunden ist, Wahrnehmung heißt (ohne das Verhältnis zu e<strong>in</strong>em<br />

wenigstens möglichen Bewußtse<strong>in</strong>, würde Ersche<strong>in</strong>ung für uns niemals e<strong>in</strong> Gegenstand<br />

<strong>der</strong> Erkenntnis werden können, und also für uns nichts se<strong>in</strong>, und weil sie an sich selbst<br />

ke<strong>in</strong>e objektive Realität hat, und nur im Erkenntnisse existiert, überall nichts se<strong>in</strong>). Weil<br />

aber jede Ersche<strong>in</strong>ung e<strong>in</strong> Mannigfaltiges enthält, mith<strong>in</strong> verschiedene Wahrnehmungen<br />

im Gemüte an sich zerstreut und e<strong>in</strong>zeln angetroffen werden, so ist e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung<br />

<strong>der</strong>selben nötig, welche sie <strong>in</strong> dem S<strong>in</strong>ne selbst nicht haben können. Es ist also <strong>in</strong> uns e<strong>in</strong><br />

tätiges Vermögen <strong>der</strong> Synthesis dieses Mannigfaltigen, welches wir E<strong>in</strong>bildungskraft<br />

nennen, und <strong>der</strong>en unmittelbar an den Wahrnehmungen ausgeübte Handlung ich<br />

Apprehension nenne [ 7]. Die E<strong>in</strong>bildungskraft soll nämlich das Mannigfaltige <strong>der</strong><br />

Anschauung <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Bild br<strong>in</strong>gen; vorher muß sie also die E<strong>in</strong>drücke <strong>in</strong> ihre Tätigkeit<br />

aufnehmen, d.i. apprehendieren.<br />

Es ist aber klar, daß selbst diese Apprehension des Mannigfaltigen alle<strong>in</strong> noch ke<strong>in</strong> Bild<br />

und ke<strong>in</strong>en Zusammenhang <strong>der</strong> E<strong>in</strong>drücke hervorbr<strong>in</strong>gen würde, wenn nicht e<strong>in</strong><br />

subjektiver Grund da wäre, e<strong>in</strong>e Wahrnehmung, <strong>von</strong> welcher das Gemüt zu e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en<br />

übergegangen, zu den nachfolgenden herüberzurufen, und so ganze Reihen <strong>der</strong>selben<br />

darzustellen, d.i. e<strong>in</strong> reproduktives Vermögen <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft, welches denn auch nur<br />

empirisch ist.<br />

Weil aber, wenn Vorstellungen, sowie sie zusammengeraten, e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> ohne Unterschied<br />

reproduzierten, wie<strong>der</strong>um ke<strong>in</strong> bestimmter Zusammenhang <strong>der</strong>selben, son<strong>der</strong>n bloß<br />

regellose Haufen <strong>der</strong>selben, mith<strong>in</strong> gar ke<strong>in</strong> Erkenntnis entspr<strong>in</strong>gen würde; so muß die<br />

Reproduktion <strong>der</strong>selben e<strong>in</strong>e Regel haben, nach welcher e<strong>in</strong>e Vorstellung vielmehr mit<br />

dieser, als e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en <strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung tritt. Diesen subjektiven und<br />

empirischen Grund <strong>der</strong> Reproduktion nach Regeln nennt man die Assoziation <strong>der</strong><br />

Vorstellungen.<br />

Würde nun aber diese E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Assoziation nicht auch e<strong>in</strong>en objektiven Grund haben,<br />

so daß es unmöglich wäre, daß Ersche<strong>in</strong>ungen <strong>von</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft an<strong>der</strong>s<br />

apprehendiert würden, als unter <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gung e<strong>in</strong>er möglichen synthetischen E<strong>in</strong>heit<br />

dieser Apprehension, so würde es auch etwas ganz Zufälliges se<strong>in</strong>, daß sich<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Zusammenhang <strong>der</strong> menschlichen Erkenntnisse schickten. Denn<br />

ob wir gleich das Vermögen hätten, Wahrnehmungen zu assoziieren; so bliebe es doch an<br />

52


sich ganz unbestimmt und zufällig, ob sie auch assoziabel wären; und <strong>in</strong> dem Falle, daß<br />

sie es nicht wären, so würde e<strong>in</strong>e Menge Wahrnehmungen, und auch wohl e<strong>in</strong>e ganze<br />

S<strong>in</strong>nlichkeit möglich se<strong>in</strong>, <strong>in</strong> welcher viel empirisches Bewußtse<strong>in</strong> <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Gemüte<br />

anzutreffen wäre, aber getrennt, und ohne daß es zu e<strong>in</strong>em Bewußtse<strong>in</strong> me<strong>in</strong>er selbst<br />

gehörte, welches aber unmöglich ist. Denn nur dadurch, daß ich alle Wahrnehmungen zu<br />

e<strong>in</strong>em Bewußtse<strong>in</strong> (<strong>der</strong> ursprünglichen Apperzeption) zähle, kann ich bei allen<br />

Wahrnehmungen sagen: daß ich mir ihrer bewußt sei. Es muß also e<strong>in</strong> objektiver, d.i. vor<br />

allen empirischen Gesetzen <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft a priori e<strong>in</strong>zusehen<strong>der</strong> Grund se<strong>in</strong>,<br />

worauf die Möglichkeit, ja sogar die Notwendigkeit e<strong>in</strong>es durch alle Ersche<strong>in</strong>ungen sich<br />

erstreckenden Gesetzes beruht, sie nämlich durchgängig als solche Data <strong>der</strong> S<strong>in</strong>ne<br />

anzusehen, welche an sich assoziabel, und allgeme<strong>in</strong>en Regeln e<strong>in</strong>er durchgängigen<br />

Verknüpfung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Reproduktion unterworfen s<strong>in</strong>d. Diesen objektiven Grund aller<br />

Assoziation <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen nenne ich die Aff<strong>in</strong>ität <strong>der</strong>selben. Diesen können wir aber<br />

nirgends an<strong>der</strong>s, als <strong>in</strong> dem Grundsatze <strong>von</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Apperzeption, <strong>in</strong> Ansehung<br />

aller Erkenntnisse, die mir angehören sollen, antreffen. Nach diesem müssen durchaus<br />

alle Ersche<strong>in</strong>ungen so <strong>in</strong>s Gemüt kommen, o<strong>der</strong> apprehendiert werden, daß sie zur<br />

E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Apperzeption zusammenstimmen, welches, ohne synthetische E<strong>in</strong>heit <strong>in</strong> ihrer<br />

Verknüpfung, die mith<strong>in</strong> auch objektiv notwendig ist, unmöglich se<strong>in</strong> würde.<br />

Die objektive E<strong>in</strong>heit alles (empirischen) Bewußtse<strong>in</strong>s <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Bewußtse<strong>in</strong> (<strong>der</strong><br />

ursprünglichen Apperzeption) ist also die notwendige Bed<strong>in</strong>gung sogar aller möglichen<br />

Wahrnehmung, und die Aff<strong>in</strong>ität aller Ersche<strong>in</strong>ungen (nahe o<strong>der</strong> entfernte) ist e<strong>in</strong>e<br />

notwendige Folge e<strong>in</strong>er Synthesis <strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft, die a priori auf Regeln<br />

gegründet ist.<br />

Die E<strong>in</strong>bildungskraft ist also auch e<strong>in</strong> Vermögen e<strong>in</strong>er Synthesis a priori, weswegen wir ihr<br />

den Namen <strong>der</strong> produktiven E<strong>in</strong>bildungskraft geben; und sofern sie <strong>in</strong> Ansehung alles<br />

Mannigfaltigen <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung nichts weiter, als die notwendige E<strong>in</strong>heit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Synthesis<br />

<strong>der</strong>selben zu ihrer Absicht hat, kann diese die transzendentale Funktion <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>bildungskraft genannt werden. Es ist daher zwar befremdlich, alle<strong>in</strong> aus dem<br />

Bisherigen doch e<strong>in</strong>leuchtend, daß nur vermittels dieser transzendentalen Funktion <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>bildungskraft, sogar die Aff<strong>in</strong>ität <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen, mit ihr die Assoziation und durch<br />

diese endlich die Reproduktion nach Gesetzen, folglich die Erfahrung selbst möglich<br />

werde: weil ohne sie gar ke<strong>in</strong>e Begriffe <strong>von</strong> Gegenständen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Erfahrung<br />

zusammenfließen würden.<br />

Denn das stehende und bleibende Ich (<strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Apperzeption) macht das Korrelatum<br />

aller unserer Vorstellungen aus, sofern es bloß möglich ist, sich ihrer bewußt zu werden,<br />

und alles Bewußtse<strong>in</strong> gehört ebensowohl zu e<strong>in</strong>er allbefassenden <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Apperzeption,<br />

wie alle s<strong>in</strong>nliche Anschauung als Vorstellung zu e<strong>in</strong>er <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>in</strong>neren Anschauung,<br />

nämlich <strong>der</strong> Zeit. Diese Apperzeption ist es nun, welche zu <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft<br />

h<strong>in</strong>zukommen muß, um ihre Funktion <strong>in</strong>tellektuell zu machen. Denn an sich selbst ist die<br />

Synthesis <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft, obgleich a priori ausgeübt, dennoch je<strong>der</strong>zeit s<strong>in</strong>nlich, weil<br />

sie das Mannigfaltige nur so verb<strong>in</strong>det, wie es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anschauung ersche<strong>in</strong>t, z.B. die<br />

Gestalt e<strong>in</strong>es Triangels. Durch das Verhältnis des Mannigfaltigen aber zur E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong><br />

Apperzeption werden Begriffe, welche dem Verstande angehören, aber nur vermittels <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>bildungskraft <strong>in</strong> Beziehung auf die s<strong>in</strong>nliche Anschauung zustande kommen können.<br />

Wir haben also e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>bildungskraft als e<strong>in</strong> Grundvermögen <strong>der</strong> menschlichen<br />

Seele, das aller Erkenntnis a priori zugrunde liegt. Vermittels <strong>der</strong>en br<strong>in</strong>gen wir das<br />

Mannigfaltige <strong>der</strong> Anschauung e<strong>in</strong>erseits mit <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> notwendigen E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong><br />

<strong>re<strong>in</strong>en</strong> Apperzeption an<strong>der</strong>erseits <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung. Beide äußerste Enden, nämlich<br />

S<strong>in</strong>nlichkeit und Verstand, müssen vermittels dieser transzendentalen Funktion <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>bildungskraft notwendig zusammenhängen: weil jene sonst zwar Ersche<strong>in</strong>ungen, aber<br />

53


ke<strong>in</strong>e Gegenstände e<strong>in</strong>es empirischen Erkenntnisses, mith<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>e Erfahrung geben<br />

würden. Die wirkliche Erfahrung, welche aus <strong>der</strong> Apprehension, <strong>der</strong> Assoziation (<strong>der</strong><br />

Reproduktion), endlich <strong>der</strong> Rekognition <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen besteht, enthält <strong>in</strong> <strong>der</strong> letzteren<br />

und höchsten (<strong>der</strong> bloß empirischen Elemente <strong>der</strong> Erfahrung) Begriffe, welche die formale<br />

E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Erfahrung, und mit ihr alle objektive Gültigkeit (Wahrheit) <strong>der</strong> empirischen<br />

Erkenntnis möglich machen. Diese Gründe <strong>der</strong> Rekognition des Mannigfaltigen, sofern sie<br />

bloß die Form e<strong>in</strong>er Erfahrung überhaupt angehen, s<strong>in</strong>d nun jene Kategorien. Auf ihnen<br />

gründet sich also alle formale E<strong>in</strong>heit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Synthesis <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft, und vermittels<br />

dieser auch alles empirischen Gebrauchs <strong>der</strong>selben (<strong>in</strong> <strong>der</strong> Rekognition, Reproduktion,<br />

Assoziation, Apprehension) bis herunter zu den Ersche<strong>in</strong>ungen, weil diese, nur vermittels<br />

jener Elemente <strong>der</strong> Erkenntnis und überhaupt unserem Bewußtse<strong>in</strong>, mith<strong>in</strong> uns selbst<br />

angehören können.<br />

Die Ordnung und Regelmäßigkeit also an den Ersche<strong>in</strong>ungen, die wir Natur nennen,<br />

br<strong>in</strong>gen wir selbst h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, und würden sie auch nicht dar<strong>in</strong> f<strong>in</strong>den können, hätten wir sie<br />

nicht, o<strong>der</strong> die Natur unseres Gemüts ursprünglich h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gelegt. Denn diese Nature<strong>in</strong>heit<br />

soll e<strong>in</strong>e notwendige, d.i. a priori gewisse E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Verknüpfung <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen<br />

se<strong>in</strong>. Wie sollten wir aber wohl a priori e<strong>in</strong>e synthetische E<strong>in</strong>heit auf die Bahn br<strong>in</strong>gen<br />

können, wären nicht <strong>in</strong> den ursprünglichen Erkenntnisquellen unseres Gemüts subjektive<br />

Gründe solcher E<strong>in</strong>heit a priori enthalten, und wären diese subjektiven Bed<strong>in</strong>gungen nicht<br />

zugleich objektiv gültig, <strong>in</strong>dem sie die Gründe <strong>der</strong> Möglichkeit s<strong>in</strong>d, überhaupt e<strong>in</strong> Objekt <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Erfahrung zu erkennen.<br />

Wir haben den Verstand oben auf mancherlei Weise erklärt: durch e<strong>in</strong>e Spontaneität <strong>der</strong><br />

Erkenntnis (im Gegensatze <strong>der</strong> Rezeptivität <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit), durch e<strong>in</strong> Vermögen zu<br />

denken, o<strong>der</strong> auch e<strong>in</strong> Vermögen <strong>der</strong> Begriffe, o<strong>der</strong> auch <strong>der</strong> Urteile, welche Erklärungen,<br />

wenn man sie beim Lichten besieht, auf e<strong>in</strong>s h<strong>in</strong>auslaufen. Jetzt können wir ihn als das<br />

Vermögen <strong>der</strong> Regeln charakterisieren. Dieses Kennzeichen ist fruchtbarer und tritt dem<br />

Wesen desselben näher. S<strong>in</strong>nlichkeit gibt uns Formen (<strong>der</strong> Anschauung), <strong>der</strong> Verstand<br />

aber Regeln. Dieser ist je<strong>der</strong>zeit geschäftig, die Ersche<strong>in</strong>ungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Absicht<br />

durchzuspähen, um an ihnen irgende<strong>in</strong>e Regel aufzuf<strong>in</strong>den. Regeln, sofern sie objektiv<br />

s<strong>in</strong>d (mith<strong>in</strong> <strong>der</strong> Erkenntnis des Gegenstandes notwendig anhängen), heißen Gesetze. Ob<br />

wir gleich durch Erfahrung viel Gesetze lernen, so s<strong>in</strong>d diese doch nur beson<strong>der</strong>e<br />

Bestimmungen noch höherer Gesetze, unter denen die höchsten (unter welchen an<strong>der</strong>e<br />

alle stehen), a priori aus dem Verstande selbst herkommen, und nicht <strong>von</strong> <strong>der</strong> Erfahrung<br />

entlehnt s<strong>in</strong>d, son<strong>der</strong>n vielmehr den Ersche<strong>in</strong>ungen ihre Gesetzmäßigkeit verschaffen und<br />

eben dadurch Erfahrung möglich machen müssen. Es ist also <strong>der</strong> Verstand nicht bloß e<strong>in</strong><br />

Vermögen, durch Vergleichung <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen sich Regeln zu machen: er ist selbst<br />

die Gesetzgebung für die Natur, d.i. ohne Verstand würde es überall nicht Natur, d.i.<br />

synthetische E<strong>in</strong>heit des Mannigfaltigen <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen nach Regeln geben: denn<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen können, als solche, nicht außer uns stattf<strong>in</strong>den, son<strong>der</strong>n existieren nur <strong>in</strong><br />

unserer S<strong>in</strong>nlichkeit. Diese aber als Gegenstand <strong>der</strong> Erkenntnis <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Erfahrung, mit<br />

allem, was sie enthalten mag, ist nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Apperzeption möglich. Die E<strong>in</strong>heit<br />

<strong>der</strong> Apperzeption aber ist <strong>der</strong> transzendentale Grund <strong>der</strong> notwendigen Gesetzmäßigkeit<br />

aller Ersche<strong>in</strong>ungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Erfahrung. Eben dieselbe E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Apperzeption <strong>in</strong><br />

Ansehung e<strong>in</strong>es Mannigfaltigen <strong>von</strong> Vorstellungen (es nämlich aus e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zigen zu<br />

bestimmen) ist die Regel und das Vermögen dieser Regeln <strong>der</strong> Verstand. Alle<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen liegen also als mögliche Erfahrungen ebenso a priori im Verstande, und<br />

erhalten ihre formale Möglichkeit <strong>von</strong> ihm, wie sie als bloße Anschauungen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

S<strong>in</strong>nlichkeit liegen, und durch dieselbe <strong>der</strong> Form nach, alle<strong>in</strong> möglich s<strong>in</strong>d.<br />

So übertrieben, so wi<strong>der</strong>s<strong>in</strong>nig es also auch lautet, zu sagen: <strong>der</strong> Verstand ist selbst <strong>der</strong><br />

Quell <strong>der</strong> Gesetze <strong>der</strong> Natur, und mith<strong>in</strong> <strong>der</strong> formalen E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Natur, so richtig, und<br />

54


dem Gegenstande, nämlich <strong>der</strong> Erfahrung angemessen ist gleichwohl e<strong>in</strong>e solche<br />

Behauptung. Zwar können empirische Gesetze, als solche, ihren Ursprung ke<strong>in</strong>eswegs<br />

vom <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstande herleiten, so wenig als die unermeßliche Mannigfaltigkeit <strong>der</strong><br />

Ersche<strong>in</strong>ungen aus <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Form <strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlichen Anschauung h<strong>in</strong>länglich begriffen<br />

werden kann. Aber alle empirischen Gesetze s<strong>in</strong>d nur beson<strong>der</strong>e Bestimmungen <strong>der</strong><br />

<strong>re<strong>in</strong>en</strong> Gesetze des Verstandes, unter welchen und nach <strong>der</strong>en Norm jene allererst<br />

möglich s<strong>in</strong>d, und die Ersche<strong>in</strong>ungen e<strong>in</strong>e gesetzliche Form annehmen, sowie auch alle<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen, unerachtet <strong>der</strong> Verschiedenheit ihrer empirischen Form, dennoch je<strong>der</strong>zeit<br />

den Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Form <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit gemäß se<strong>in</strong> müssen.<br />

Der re<strong>in</strong>e Verstand ist also <strong>in</strong> den Kategorien das Gesetz <strong>der</strong> synthetischen E<strong>in</strong>heit aller<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen, und macht dadurch Erfahrung ihrer Form nach allererst und ursprünglich<br />

möglich. Mehr aber hatten wir <strong>in</strong> <strong>der</strong> transzendentalen Deduktion <strong>der</strong> Kategorien nicht zu<br />

leisten, als dieses Verhältnis des Verstandes zur S<strong>in</strong>nlichkeit, und vermittels <strong>der</strong>selben zu<br />

allen Gegenständen <strong>der</strong> Erfahrung, mith<strong>in</strong> die objektive Gültigkeit se<strong>in</strong>er <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Begriffe a<br />

priori begreiflich zu machen und dadurch ihren Ursprung und Wahrheit festzusetzen.<br />

Summarische Vorstellung <strong>der</strong> Richtigkeit und e<strong>in</strong>zigen Möglichkeit dieser Deduktion <strong>der</strong><br />

<strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandesbegriffe<br />

Wären die Gegenstände, womit unsere Erkenntnis zu tun hat, D<strong>in</strong>ge an sich selbst, so<br />

würden wir <strong>von</strong> diesen gar ke<strong>in</strong>e Begriffe a priori haben können. Denn woher sollten wir<br />

sie nehmen? Nehmen wir sie vom Objekt (ohne hier noch e<strong>in</strong>mal zu untersuchen, wie<br />

dieses uns bekannt werden könnte), so wären unsere Begriffe bloß empirisch und ke<strong>in</strong>e<br />

Begriffe a priori. Nehmen wir sie aus uns selbst, so kann das, was bloß <strong>in</strong> uns ist, die<br />

Beschaffenheit e<strong>in</strong>es <strong>von</strong> unseren Vorstellungen unterschiedenen Gegenstandes nicht<br />

bestimmen, d.i. e<strong>in</strong> Grund se<strong>in</strong>, warum es e<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g geben solle, dem so etwas, als wir <strong>in</strong><br />

Gedanken haben, zukomme, und nicht vielmehr alle diese Vorstellung leer sei. Dagegen,<br />

wenn wir es überall nur mit Ersche<strong>in</strong>ungen zu tun haben, so ist es nicht alle<strong>in</strong> möglich,<br />

son<strong>der</strong>n auch notwendig, daß gewisse Begriffe a priori vor <strong>der</strong> empirischen Erkenntnis <strong>der</strong><br />

Gegenstände vorhergehen. Denn als Ersche<strong>in</strong>ungen machen sie e<strong>in</strong>en Gegenstand aus,<br />

<strong>der</strong> bloß <strong>in</strong> uns ist, weil e<strong>in</strong>e bloße Modifikation unserer S<strong>in</strong>nlichkeit außer uns gar nicht<br />

angetroffen wird. Nun drückt selbst diese Vorstellung: daß alle diese Ersche<strong>in</strong>ungen,<br />

mith<strong>in</strong> alle Gegenstände, womit wir uns beschäftigen können, <strong>in</strong>sgesamt <strong>in</strong> mir, d.i.<br />

Bestimmungen me<strong>in</strong>es identischen Selbst s<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong>e durchgängige E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong>selben <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er und <strong>der</strong>selben Apperzeption als notwendig aus. In dieser E<strong>in</strong>heit des möglichen<br />

Bewußtse<strong>in</strong>s aber besteht auch die Form aller Erkenntnis <strong>der</strong> Gegenstände (wodurch das<br />

Mannigfaltige, als zu e<strong>in</strong>em Objekt gehörig, gedacht wird). Also geht die Art, wie das<br />

Mannigfaltige <strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlichen Vorstellung (Anschauung) zu e<strong>in</strong>em Bewußtse<strong>in</strong> gehört, vor<br />

aller Erkenntnis des Gegenstandes, als die <strong>in</strong>tellektuelle Form <strong>der</strong>selben, vorher, und<br />

macht selbst e<strong>in</strong>e formale Erkenntnis aller Gegenstände a priori überhaupt aus, sofern sie<br />

gedacht werden (Kategorien). Die Synthesis <strong>der</strong>selben durch die re<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>bildungskraft,<br />

die E<strong>in</strong>heit aller Vorstellungen <strong>in</strong> Beziehung auf die ursprüngliche Apperzeption, gehen<br />

aller empirischen Erkenntnis vor. Re<strong>in</strong>e Verstandesbegriffe s<strong>in</strong>d also nur darum a priori<br />

möglich, ja gar, <strong>in</strong> Beziehung auf Erfahrung, notwendig, weil unser Erkenntnis mit nichts,<br />

als Ersche<strong>in</strong>ungen zu tun hat, <strong>der</strong>en Möglichkeit <strong>in</strong> uns selbst liegt, <strong>der</strong>en Verknüpfung<br />

und E<strong>in</strong>heit (<strong>in</strong> <strong>der</strong> Vorstellung e<strong>in</strong>es Gegenstandes) bloß <strong>in</strong> uns angetroffen wird, mith<strong>in</strong><br />

vor aller Erfahrung vorhergehen, und diese <strong>der</strong> Form nach auch allererst möglich machen<br />

muß. Und aus diesem Grunde, dem e<strong>in</strong>zigmöglichen unter allen, ist dann auch unsere<br />

Deduktion <strong>der</strong> Kategorien geführt worden.<br />

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Zweites Buch: Die Analytik <strong>der</strong> Grundsätze<br />

Die allgeme<strong>in</strong>e Logik ist über e<strong>in</strong>em Grundrisse erbaut, <strong>der</strong> ganz genau mit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>teilung<br />

<strong>der</strong> oberen Erkenntnisvermögen zusammentrifft. Diese s<strong>in</strong>d: Verstand, Urteilskraft und<br />

<strong>Vernunft</strong>. Jene Doktr<strong>in</strong> handelt daher <strong>in</strong> ihrer Analytik <strong>von</strong> Begriffen, Urteilen und<br />

Schlüssen, gerade den Funktionen und <strong>der</strong> Ordnung jener Gemütskräfte gemäß, die man<br />

unter <strong>der</strong> weitläufigen Benennung des Verstandes überhaupt begreift.<br />

Da gedachte bloß formale Logik <strong>von</strong> allem Inhalte <strong>der</strong> Erkenntnis (ob sie re<strong>in</strong> o<strong>der</strong><br />

empirisch sei) abstrahiert und sich bloß mit <strong>der</strong> Form des Denkens (<strong>der</strong> diskursiven<br />

Erkenntnis) überhaupt beschäftigt: so kann sie <strong>in</strong> ihrem analytischen Teile auch den Kanon<br />

für die <strong>Vernunft</strong> mitbefassen, <strong>der</strong>en Form ihre sichere Vorschrift hat, die, ohne die<br />

beson<strong>der</strong>e Natur <strong>der</strong> dabei gebrauchten Erkenntnis <strong>in</strong> Betracht zu ziehen, a priori, durch<br />

bloße Zerglie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong>handlungen <strong>in</strong> ihre Momente e<strong>in</strong>gesehen werden kann.<br />

Die transzendentale Logik, da sie auf e<strong>in</strong>en bestimmten Inhalt, nämlich bloß <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong><br />

Erkenntnisse a priori, e<strong>in</strong>geschränkt ist, kann es ihr <strong>in</strong> dieser E<strong>in</strong>teilung nicht nachtun.<br />

Denn es zeigt sich: daß <strong>der</strong> transzendentale Gebrauch <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong> gar nicht objektiv<br />

gültig sei, mith<strong>in</strong> nicht zur Logik <strong>der</strong> Wahrheit, d.i. <strong>der</strong> Analytik gehöre, son<strong>der</strong>n, als e<strong>in</strong>e<br />

Logik des Sche<strong>in</strong>s, e<strong>in</strong>en beson<strong>der</strong>en Teil des scholastischen Lehrgebäudes, unter dem<br />

Namen <strong>der</strong> transzendentalen Dialektik, erfor<strong>der</strong>e.<br />

Verstand und Urteilskraft haben demnach ihren Kanon des objektiv gültigen, mith<strong>in</strong><br />

wahren Gebrauchs, <strong>in</strong> <strong>der</strong> transzendentalen Logik und gehören also <strong>in</strong> ihren analytischen<br />

Teil. Alle<strong>in</strong> <strong>Vernunft</strong> <strong>in</strong> ihren Versuchen, über Gegenstände a priori etwas auszumachen<br />

und das Erkenntnis über die Grenzen möglicher Erfahrung zu erweitern, ist ganz und gar<br />

dialektisch und ihre Sche<strong>in</strong>behauptungen schicken sich durchaus nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Kanon,<br />

<strong>der</strong>gleichen doch die Analytik enthalten soll.<br />

Die Analytik <strong>der</strong> Grundsätze wird demnach lediglich e<strong>in</strong> Kanon für die Urteilskraft se<strong>in</strong>, <strong>der</strong><br />

sie lehrt, die Verstandesbegriffe, welche die Bed<strong>in</strong>gung zu Regeln a priori enthalten, auf<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen anzuwenden. Aus dieser Ursache werde ich, <strong>in</strong>dem ich die eigentlichen<br />

Grundsätze des Verstandes zum Thema nehme, mich <strong>der</strong> Benennung e<strong>in</strong>er Doktr<strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Urteilskraft bedienen, wodurch dieses Geschäft genauer bezeichnet wird.<br />

E<strong>in</strong>leitung: Von <strong>der</strong> transzendentalen Urteilskraft überhaupt<br />

Wenn <strong>der</strong> Verstand überhaupt als das Vermögen <strong>der</strong> Regeln erklärt wird, so ist Urteilskraft<br />

das Vermögen, unter Regeln zu subsumieren, d.i. zu unterscheiden, ob etwas unter e<strong>in</strong>er<br />

gegebenen Regel (casus datae legis) stehe, o<strong>der</strong> nicht. Die allgeme<strong>in</strong>e Logik enthält gar<br />

ke<strong>in</strong>e Vorschriften für die Urteilskraft und kann sie auch nicht enthalten. Denn da sie <strong>von</strong><br />

allem Inhalte <strong>der</strong> Erkenntnis abstrahiert; so bleibt ihr nichts übrig, als das Geschäft, die<br />

bloße Form <strong>der</strong> Erkenntnis <strong>in</strong> Begriffen, Urteilen und Schlüssen analytisch<br />

ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>zusetzen und dadurch formale Regeln alles Verstandesgebrauchs zustande<br />

zu br<strong>in</strong>gen. Wollte sie nun allgeme<strong>in</strong> zeigen, wie man unter diese Regeln subsumieren, d.i.<br />

unterscheiden sollte, ob etwas darunter stehe o<strong>der</strong> nicht, so könnte dieses nicht an<strong>der</strong>s,<br />

als wie<strong>der</strong> durch e<strong>in</strong>e Regel geschehen. Diese aber erfor<strong>der</strong>t eben darum, weil sie e<strong>in</strong>e<br />

Regel ist, aufs neue e<strong>in</strong>e Unterweisung <strong>der</strong> Urteilskraft; und so zeigt sich, daß zwar <strong>der</strong><br />

Verstand e<strong>in</strong>er Belehrung und Ausrüstung durch Regeln fähig, Urteilskraft aber e<strong>in</strong><br />

beson<strong>der</strong>es Talent sei, welches gar nicht belehrt, son<strong>der</strong>n nur geübt se<strong>in</strong> will. Daher ist<br />

diese auch das Spezifische des sogenannten Mutterwitzes, dessen Mangel ke<strong>in</strong>e Schule<br />

ersetzen kann; weil, ob diese gleich e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>geschränkten Verstande Regeln vollauf, <strong>von</strong><br />

frem<strong>der</strong> E<strong>in</strong>sicht entlehnt, darreichen und gleichsam e<strong>in</strong>pfropfen kann; so muß doch das<br />

Vermögen, sich ihrer richtig zu bedienen, dem Lehrl<strong>in</strong>ge selbst angehören, und ke<strong>in</strong>e<br />

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Regel, die man ihm <strong>in</strong> dieser Absicht vorschreiben möchte, ist, <strong>in</strong> Ermangelung e<strong>in</strong>er<br />

solchen Naturgabe, vor Mißbrauch sicher [ 8]. E<strong>in</strong> Arzt daher, e<strong>in</strong> Richter, o<strong>der</strong> e<strong>in</strong><br />

Staatskundiger kann viel schöne pathologische, juristische o<strong>der</strong> politische Regeln im<br />

Kopfe haben, <strong>in</strong> dem Grade, daß er selbst dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong> gründlicher Lehrer werden kann, und<br />

wird dennoch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anwendung <strong>der</strong>selben leicht verstoßen, entwe<strong>der</strong>, weil es ihm an<br />

natürlicher Urteilskraft (obgleich nicht am Verstande) mangelt, und er zwar das Allgeme<strong>in</strong>e<br />

<strong>in</strong> abstracto e<strong>in</strong>sehen, aber ob e<strong>in</strong> Fall <strong>in</strong> concreto darunter gehöre, nicht unterscheiden<br />

kann, o<strong>der</strong> auch darum, weil er nicht genug durch Beispiele und wirkliche Geschäfte zu<br />

diesem Urteile abgerichtet worden. Dieses ist auch <strong>der</strong> e<strong>in</strong>ige und große Nutzen <strong>der</strong><br />

Beispiele: daß sie die Urteilskraft schärfen. Denn was die Richtigkeit und Präzision <strong>der</strong><br />

Verstandese<strong>in</strong>sicht betrifft, so tun sie <strong>der</strong>selben vielmehr geme<strong>in</strong>iglich e<strong>in</strong>igen Abbruch,<br />

weil sie nur selten die Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> Regel adäquat erfüllen (als casus <strong>in</strong> term<strong>in</strong>is) und<br />

überdem diejenige Anstrengung des Verstandes oftmals schwächen, Regeln im<br />

allgeme<strong>in</strong>en und unabhängig <strong>von</strong> den beson<strong>der</strong>en Umständen <strong>der</strong> Erfahrung, nach ihrer<br />

Zulänglichkeit, e<strong>in</strong>zusehen, und sie daher zuletzt mehr wie Formeln, als Grundsätze zu<br />

gebrauchen angewöhnen. So s<strong>in</strong>d Beispiele <strong>der</strong> Gängelwagen <strong>der</strong> Urteilskraft, welchen<br />

<strong>der</strong>jenige, dem es am natürlichen Talent desselben mangelt, niemals entbehren kann.<br />

Ob nun aber gleich die allgeme<strong>in</strong>e Logik <strong>der</strong> Urteilskraft ke<strong>in</strong>e Vorschriften geben kann, so<br />

ist es doch mit <strong>der</strong> transzendentalen ganz an<strong>der</strong>s bewandt, sogar daß es sche<strong>in</strong>t, die<br />

letztere habe es zu ihrem eigentlichen Geschäft, die Urteilskraft im Gebrauch des <strong>re<strong>in</strong>en</strong><br />

Verstandes, durch bestimmte Regeln zu berichtigen und zu sichern. Denn, um dem<br />

Verstande im Felde re<strong>in</strong>er Erkenntnisse a priori Erweiterung zu verschaffen, mith<strong>in</strong> als<br />

Doktr<strong>in</strong> sche<strong>in</strong>t Philosophie gar nicht nötig, o<strong>der</strong> vielmehr übel angebracht zu se<strong>in</strong>, weil<br />

man nach allen bisherigen Versuchen, damit doch wenig o<strong>der</strong> gar ke<strong>in</strong> Land gewonnen<br />

hat; son<strong>der</strong>n als <strong>Kritik</strong>, um die Fehltritte <strong>der</strong> Urteilskraft (lapsus iudicii) im Gebrauch <strong>der</strong><br />

wenigen <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandesbegriffe, die wir haben, zu verhüten, dazu (obgleich <strong>der</strong> Nutzen<br />

alsdann nur negativ ist) wird Philosophie mit ihrer ganzen Scharfs<strong>in</strong>nigkeit und<br />

Prüfungskunst aufgeboten.<br />

Es hat aber die Transzendental-Philosophie das Eigentümliche: daß sie außer <strong>der</strong> Regel<br />

(o<strong>der</strong> vielmehr <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Bed<strong>in</strong>gung zu Regeln), die <strong>in</strong> dem <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Begriffe des<br />

Verstandes gegeben wird, zugleich a priori den Fall anzeigen kann, worauf sie angewandt<br />

werden sollen. Die Ursache <strong>von</strong> dem Vorzuge, den sie <strong>in</strong> diesem Stücke vor allen an<strong>der</strong>en<br />

belehrenden Wissenschaften hat (außer <strong>der</strong> Mathematik), liegt eben dar<strong>in</strong>: daß sie <strong>von</strong><br />

Begriffen handelt, die sich auf ihre Gegenstände a priori beziehen sollen; mith<strong>in</strong> kann ihre<br />

objektive Gültigkeit nicht a posteriori dargetan werden; denn das würde jene Dignität<br />

<strong>der</strong>selben ganz unberührt lassen; son<strong>der</strong>n sie muß zugleich die Bed<strong>in</strong>gungen, unter<br />

welchen Gegenstände <strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung mit jenen Begriffen gegeben werden können,<br />

<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>en aber h<strong>in</strong>reichenden Kennzeichen darlegen, widrigenfalls sie ohne allen<br />

Inhalt, mith<strong>in</strong> bloße logische Formen und nicht re<strong>in</strong>e Verstandesbegriffe se<strong>in</strong> würden.<br />

Diese transzendentale Doktr<strong>in</strong> <strong>der</strong> Urteilskraft wird nun zwei Hauptstücke enthalten: das<br />

erste, welches <strong>von</strong> <strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlichen Bed<strong>in</strong>gung handelt, unter welcher re<strong>in</strong>e<br />

Verstandesbegriffe alle<strong>in</strong> gebraucht werden können, d.i. <strong>von</strong> dem Schematismus des<br />

<strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes; das zweite aber <strong>von</strong> denen synthetischen Urteilen, welche aus <strong>re<strong>in</strong>en</strong><br />

Verstandesbegriffen, unter diesen Bed<strong>in</strong>gungen a priori herfließen und allen übrigen<br />

Erkenntnissen a priori zugrunde liegen, d.i. <strong>von</strong> den Grundsätzen des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes.<br />

57


1. Hauptstück: Von dem Schematismus <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandesbegriffe<br />

In allen Subsumtionen e<strong>in</strong>es Gegenstandes unter e<strong>in</strong>en Begriff muß die Vorstellung des<br />

ersteren mit <strong>der</strong> letzteren gleichartig se<strong>in</strong>, d.i. <strong>der</strong> Begriff muß dasjenige enthalten, was <strong>in</strong><br />

dem darunter zu subsumierenden Gegenstande vorgestellt wird, denn das bedeutet eben<br />

<strong>der</strong> Ausdruck: e<strong>in</strong> Gegenstand sei unter e<strong>in</strong>em Begriffe enthalten. So hat <strong>der</strong> empirische<br />

Begriff e<strong>in</strong>es Tellers mit dem <strong>re<strong>in</strong>en</strong> geometrischen e<strong>in</strong>es Zirkels Gleichartigkeit, <strong>in</strong>dem die<br />

Rundung, die <strong>in</strong> dem ersteren gedacht wird, sich im letzteren anschauen läßt.<br />

Nun s<strong>in</strong>d aber re<strong>in</strong>e Verstandesbegriffe, <strong>in</strong> Vergleichung mit empirischen (ja überhaupt<br />

s<strong>in</strong>nlichen) Anschauungen, ganz ungleichartig und können niemals <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>er<br />

Anschauung angetroffen werden. Wie ist nun die Subsumtion <strong>der</strong> letzteren unter die erste,<br />

mith<strong>in</strong> die Anwendung <strong>der</strong> Kategorie auf Ersche<strong>in</strong>ungen möglich, da doch niemand sagen<br />

wird: diese, z.B. die Kausalität, könne auch durch S<strong>in</strong>ne angeschaut werden und sei <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Ersche<strong>in</strong>ung enthalten? Diese so natürliche und erhebliche Frage ist nun eigentlich die<br />

Ursache, welche e<strong>in</strong>e transzendentale Doktr<strong>in</strong> <strong>der</strong> Urteilskraft notwendig macht, um<br />

nämlich die Möglichkeit zu zeigen, wie re<strong>in</strong>e Verstandesbegriffe auf Ersche<strong>in</strong>ungen<br />

überhaupt angewandt werden können. In allen an<strong>der</strong>en Wissenschaften, wo die Begriffe,<br />

durch die <strong>der</strong> Gegenstand allgeme<strong>in</strong> gedacht wird, <strong>von</strong> denen, die diesen <strong>in</strong> concreto<br />

vorstellen, wie er gegeben wird, nicht so unterschieden und heterogen s<strong>in</strong>d, ist es unnötig,<br />

wegen <strong>der</strong> Anwendung des ersteren auf den letzten beson<strong>der</strong>e Erörterung zu geben.<br />

Nun ist klar, daß es e<strong>in</strong> Drittes geben müsse, was e<strong>in</strong>erseits mit <strong>der</strong> Kategorie,<br />

an<strong>der</strong>erseits mit <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung <strong>in</strong> Gleichartigkeit stehen muß, und die Anwendung <strong>der</strong><br />

ersteren auf die letzte möglich macht. Diese vermittelnde Vorstellung muß re<strong>in</strong> (ohne alles<br />

Empirische) und doch e<strong>in</strong>erseits <strong>in</strong>tellektuell, an<strong>der</strong>erseits s<strong>in</strong>nlich se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>e solche ist das<br />

transzendentale Schema.<br />

Der Verstandesbegriff enthält re<strong>in</strong>e synthetische E<strong>in</strong>heit des Mannigfaltigen überhaupt. Die<br />

Zeit, als die formale Bed<strong>in</strong>gung des Mannigfaltigen des <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>nes, mith<strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Verknüpfung aller Vorstellungen, enthält e<strong>in</strong> Mannigfaltiges a priori <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong><br />

Anschauung. Nun ist e<strong>in</strong>e transzendentale Zeitbestimmung mit <strong>der</strong> Kategorie (die die<br />

E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong>selben ausmacht) sofern gleichartig, als sie allgeme<strong>in</strong> ist und auf e<strong>in</strong>er Regel a<br />

priori beruht. Sie ist aber an<strong>der</strong>erseits mit <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung sofern gleichartig, als die Zeit<br />

<strong>in</strong> je<strong>der</strong> empirischen Vorstellung des Mannigfaltigen enthalten ist. Daher wird e<strong>in</strong>e<br />

Anwendung <strong>der</strong> Kategorie auf Ersche<strong>in</strong>ungen möglich se<strong>in</strong>, vermittels <strong>der</strong><br />

transzendentalen Zeitbestimmung, welche, als das Schema <strong>der</strong> Verstandesbegriffe, die<br />

Subsumtion <strong>der</strong> letzteren unter die erste vermittelt.<br />

Nach demjenigen, was <strong>in</strong> <strong>der</strong> Deduktion <strong>der</strong> Kategorien gezeigt worden, wird hoffentlich<br />

niemand im Zweifel stehen sich über die Frage zu entschließen: ob diese <strong>re<strong>in</strong>en</strong><br />

Verstandesbegriffe <strong>von</strong> bloß empirischem o<strong>der</strong> auch <strong>von</strong> transzendentalem Gebrauche<br />

s<strong>in</strong>d, d.i. ob sie lediglich, als Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>er möglichen Erfahrung sich a priori auf<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen beziehen, o<strong>der</strong> ob sie, als Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge<br />

überhaupt, auf Gegenstände an sich selbst (ohne e<strong>in</strong>ige Restriktion auf unsere<br />

S<strong>in</strong>nlichkeit) erstreckt werden können. Denn da haben wir gesehen, daß Begriffe ganz<br />

unmöglich s<strong>in</strong>d, noch irgend e<strong>in</strong>ige Bedeutung haben können, wo nicht entwe<strong>der</strong> ihnen<br />

selbst, o<strong>der</strong> wenigstens den Elementen, daraus sie bestehen, e<strong>in</strong> Gegenstand gegeben<br />

ist, mith<strong>in</strong> auf D<strong>in</strong>ge an sich (ohne Rücksicht, ob und wie sie uns gegeben werden mögen)<br />

gar nicht gehen können; daß ferner die e<strong>in</strong>zige Art, wie uns Gegenstände gegeben<br />

werden, die Modifikation unserer S<strong>in</strong>nlichkeit sei, endlich, daß re<strong>in</strong>e Begriffe a priori, außer<br />

<strong>der</strong> Funktion des Verstandes <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kategorie, noch formale Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit<br />

(namentlich des <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>nes) a priori enthalten müssen, welche die allgeme<strong>in</strong>e<br />

Bed<strong>in</strong>gung enthalten, unter <strong>der</strong> die Kategorie alle<strong>in</strong> auf irgende<strong>in</strong>en Gegenstand<br />

58


angewandt werden kann. Wir wollen diese formale und re<strong>in</strong>e Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit,<br />

auf welche <strong>der</strong> Verstandesbegriff <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Gebrauch restr<strong>in</strong>giert ist, das Schema dieses<br />

Verstandesbegriffs, und das Verfahren des Verstandes mit diesen Schematen den<br />

Schematismus des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes nennen.<br />

Das Schema ist an sich selbst je<strong>der</strong>zeit nur e<strong>in</strong> Produkt <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft; aber <strong>in</strong>dem<br />

die Synthesis <strong>der</strong> letzteren ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zelne Anschauung, son<strong>der</strong>n die E<strong>in</strong>heit <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Bestimmung <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit alle<strong>in</strong> zur Absicht hat, so ist das Schema doch vom Bilde zu<br />

unterscheiden. So, wenn ich fünf Punkte h<strong>in</strong>tere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> setze: ..... ist dieses e<strong>in</strong> Bild <strong>von</strong><br />

<strong>der</strong> Zahl Fünf. Dagegen, wenn ich e<strong>in</strong>e Zahl überhaupt nur denke, die nun Fünf o<strong>der</strong><br />

Hun<strong>der</strong>t se<strong>in</strong> kann, so ist dieses Denken mehr die Vorstellung e<strong>in</strong>er Methode, e<strong>in</strong>em<br />

gewissen Begriffe gemäß e<strong>in</strong>e Menge (z.E. Tausend) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Bilde vorzustellen, als<br />

dieses Bild selbst, welches ich im letzteren Falle schwerlich würde übersehen und mit dem<br />

Begriff vergleichen können. Diese Vorstellung nun <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em allgeme<strong>in</strong>en Verfahren <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>bildungskraft, e<strong>in</strong>em Begriff se<strong>in</strong> Bild zu verschaffen, nenne ich das Schema zu diesem<br />

Begriffe.<br />

In <strong>der</strong> Tat liegen unseren <strong>re<strong>in</strong>en</strong> s<strong>in</strong>nlichen Begriffen nicht Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gegenstände,<br />

son<strong>der</strong>n Schemate zugrunde. Dem Begriffe <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Triangel überhaupt würde gar ke<strong>in</strong><br />

Bild desselben jemals adäquat se<strong>in</strong>. Denn es würde die Allgeme<strong>in</strong>heit des Begriffs nicht<br />

erreichen, welche macht, daß dieser für alle, recht- o<strong>der</strong> schiefw<strong>in</strong>klige usw. gilt, son<strong>der</strong>n<br />

immer nur auf e<strong>in</strong>en Teil dieser Sphäre e<strong>in</strong>geschränkt se<strong>in</strong>. Das Schema des Triangels<br />

kann niemals an<strong>der</strong>swo als <strong>in</strong> Gedanken existieren und bedeutet e<strong>in</strong>e Regel <strong>der</strong> Synthesis<br />

<strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft, <strong>in</strong> Ansehung re<strong>in</strong>er Gestalten im Raume. Noch viel weniger erreicht<br />

e<strong>in</strong> Gegenstand <strong>der</strong> Erfahrung o<strong>der</strong> Bild desselben jemals den empirischen Begriff,<br />

son<strong>der</strong>n dieser bezieht sich je<strong>der</strong>zeit unmittelbar auf das Schema <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft, als<br />

e<strong>in</strong>e Regel <strong>der</strong> Bestimmung unserer Anschauung, gemäß e<strong>in</strong>em gewissen allgeme<strong>in</strong>en<br />

Begriffe. Der Begriff vom Hunde bedeutet e<strong>in</strong>e Regel, nach welcher me<strong>in</strong>e<br />

E<strong>in</strong>bildungskraft die Gestalt e<strong>in</strong>es vierfüßigen Tieres allgeme<strong>in</strong> verzeichnen kann, ohne<br />

auf irgende<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige beson<strong>der</strong>e Gestalt, die mir die Erfahrung darbietet, o<strong>der</strong> auch e<strong>in</strong><br />

jedes mögliche Bild, was ich <strong>in</strong> concreto darstellen kann, e<strong>in</strong>geschränkt zu se<strong>in</strong>. Dieser<br />

Schematismus unseres Verstandes, <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen und ihrer bloßen<br />

Form, ist e<strong>in</strong>e verborgene Kunst <strong>in</strong> den Tiefen <strong>der</strong> menschlichen Seele, <strong>der</strong>en wahre<br />

Handgriffe wir <strong>der</strong> Natur schwerlich jemals abraten, und sie unverdeckt vor Augen legen<br />

werden. So viel können wir nur sagen: das Bild ist e<strong>in</strong> Produkt des empirischen<br />

Vermögens <strong>der</strong> produktiven E<strong>in</strong>bildungskraft, das Schema s<strong>in</strong>nlicher Begriffe (als <strong>der</strong><br />

Figuren im Raume) e<strong>in</strong> Produkt und gleichsam e<strong>in</strong> Monogramm <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong><br />

E<strong>in</strong>bildungskraft a priori, wodurch und wonach die Bil<strong>der</strong> allererst möglich werden, die<br />

aber mit dem Begriffe nur immer vermittels des Schema, welches sie bezeichnen,<br />

verknüpft werden müssen, und an sich demselben nicht völlig kongruieren. Dagegen ist<br />

das Schema e<strong>in</strong>es <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandesbegriffs etwas, was <strong>in</strong> gar ke<strong>in</strong> Bild gebracht werden<br />

kann, son<strong>der</strong>n ist nur die re<strong>in</strong>e Synthesis, gemäß e<strong>in</strong>er Regel <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit nach Begriffen<br />

überhaupt, die die Kategorie ausdrückt, und ist e<strong>in</strong> transzendentales Produkt <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>bildungskraft, welches die Bestimmung des <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>nes überhaupt nach<br />

Bed<strong>in</strong>gungen se<strong>in</strong>er Form (<strong>der</strong> Zeit) <strong>in</strong> Ansehung aller Vorstellungen betrifft, sofern diese<br />

<strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Apperzeption gemäß a priori <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Begriff zusammenhängen sollten.<br />

Ohne uns nun bei e<strong>in</strong>er trockenen und langweiligen Zerglie<strong>der</strong>ung dessen, was zu<br />

transzendentalen Schematen re<strong>in</strong>er Verstandesbegriffe überhaupt erfor<strong>der</strong>t wird,<br />

aufzuhalten, wollen wir sie lieber nach <strong>der</strong> Ordnung <strong>der</strong> Kategorien und <strong>in</strong> Verknüpfung mit<br />

diesen darstellen.<br />

Das re<strong>in</strong>e Bild aller Größen (quantorum) vor dem äußeren S<strong>in</strong>ne, ist <strong>der</strong> Raum, aller<br />

Gegenstände <strong>der</strong> S<strong>in</strong>ne aber überhaupt, die Zeit. Das re<strong>in</strong>e Schema <strong>der</strong> Größe aber<br />

59


(quantitatis) als e<strong>in</strong>es Begriffs des Verstandes, ist die Zahl, welche e<strong>in</strong>e Vorstellung ist, die<br />

die sukzessive Addition <strong>von</strong> E<strong>in</strong>em zu E<strong>in</strong>em (gleichartigen) zusammenbefaßt. Also ist die<br />

Zahl nichts an<strong>der</strong>es, als die E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Synthesis des Mannigfaltigen e<strong>in</strong>er gleichartigen<br />

Anschauung überhaupt, dadurch daß ich die Zeit selbst <strong>in</strong> <strong>der</strong> Apprehension <strong>der</strong><br />

Anschauung erzeuge.<br />

Realität ist im <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandesbegriffe das, was e<strong>in</strong>er Empf<strong>in</strong>dung überhaupt<br />

korrespondiert; dasjenige also, dessen Begriff an sich selbst e<strong>in</strong> Se<strong>in</strong> (<strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit) anzeigt;<br />

Negation, dessen Begriff e<strong>in</strong> Nichtse<strong>in</strong> (<strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit) vorstellt. Die Entgegensetzung bei<strong>der</strong><br />

geschieht also <strong>in</strong> dem Unterschiede <strong>der</strong>selben Zeit, als e<strong>in</strong>er erfüllten, o<strong>der</strong> leeren Zeit. Da<br />

die Zeit nur die Form <strong>der</strong> Anschauung, mith<strong>in</strong> <strong>der</strong> Gegenstände, als Ersche<strong>in</strong>ungen ist, so<br />

ist das, was an diesen <strong>der</strong> Empf<strong>in</strong>dung entspricht, die transzendentale Materie aller<br />

Gegenstände, als D<strong>in</strong>ge an sich (die Sachheit, Realität). Nun hat jede Empf<strong>in</strong>dung e<strong>in</strong>en<br />

Grad o<strong>der</strong> Größe, wodurch sie dieselbe Zeit, d.i. den <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>n <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong>selben<br />

Vorstellung e<strong>in</strong>es Gegenstandes, mehr o<strong>der</strong> weniger erfüllen kann, bis sie <strong>in</strong> Nichts (=0<br />

=negatio) aufhört. Daher ist e<strong>in</strong> Verhältnis und Zusammenhang, o<strong>der</strong> vielmehr e<strong>in</strong><br />

Übergang <strong>von</strong> Realität zur Negation, welcher jede Realität, als e<strong>in</strong> Quantum vorstellig<br />

macht, und das Schema e<strong>in</strong>er Realität, als <strong>der</strong> Quantität <strong>von</strong> etwas, sofern es die Zeit<br />

erfüllt, ist eben diese kont<strong>in</strong>uierliche und gleichförmige Erzeugung <strong>der</strong>selben <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit,<br />

<strong>in</strong>dem man <strong>von</strong> <strong>der</strong> Empf<strong>in</strong>dung, die e<strong>in</strong>en gewissen Grad hat, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit bis zum<br />

Verschw<strong>in</strong>den <strong>der</strong>selben h<strong>in</strong>abgeht, o<strong>der</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Negation zu <strong>der</strong> Größe <strong>der</strong>selben<br />

allmählich aufsteigt.<br />

Das Schema <strong>der</strong> Substanz ist die Beharrlichkeit des Realen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit, d.i. die Vorstellung<br />

desselben, als e<strong>in</strong>es Substratum <strong>der</strong> empirischen Zeitbestimmung überhaupt, welches<br />

also bleibt, <strong>in</strong>dem alles an<strong>der</strong>e wechselt. (Die Zeit verläuft sich nicht, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> ihr<br />

verläuft sich das Dase<strong>in</strong> des Wandelbaren. Der Zeit also, die selbst unwandelbar und<br />

bleibend ist, korrespondiert <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung das Unwandelbare im Dase<strong>in</strong>, d.i. die<br />

Substanz, und bloß an ihr kann die Folge und das Zugleichse<strong>in</strong> <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen <strong>der</strong><br />

Zeit nach bestimmt werden.)<br />

Das Schema <strong>der</strong> Ursache und <strong>der</strong> Kausalität e<strong>in</strong>es D<strong>in</strong>ges überhaupt ist das Reale,<br />

worauf, wenn es nach Belieben gesetzt wird, je<strong>der</strong>zeit etwas an<strong>der</strong>es folgt. Es besteht<br />

also <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sukzession des Mannigfaltigen, <strong>in</strong>sofern sie e<strong>in</strong>er Regel unterworfen ist.<br />

Das Schema <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>schaft (Wechselwirkung), o<strong>der</strong> <strong>der</strong> wechselseitigen Kausalität <strong>der</strong><br />

Substanzen <strong>in</strong> Ansehung ihrer Akzidenzen ist das Zugleichse<strong>in</strong> <strong>der</strong> Bestimmungen <strong>der</strong><br />

e<strong>in</strong>en, mit denen <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en, nach e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en Regel.<br />

Das Schema <strong>der</strong> Möglichkeit ist die Zusammenstimmung <strong>der</strong> Synthesis verschiedener<br />

Vorstellungen mit den Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Zeit überhaupt (z.B. da das Entgegengesetzte <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em D<strong>in</strong>ge nicht zugleich, son<strong>der</strong>n nur nache<strong>in</strong>an<strong>der</strong> se<strong>in</strong> kann), also die Bestimmung<br />

<strong>der</strong> Vorstellung e<strong>in</strong>es D<strong>in</strong>ges zu irgende<strong>in</strong>er Zeit.<br />

Das Schema <strong>der</strong> Wirklichkeit ist das Dase<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er bestimmten Zeit.<br />

Das Schema <strong>der</strong> Notwendigkeit ist das Dase<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es Gegenstandes zu aller Zeit.<br />

Man sieht nun aus allem diesem, daß das Schema e<strong>in</strong>er jeden Kategorie, als das <strong>der</strong><br />

Größe, die Erzeugung (Synthesis) <strong>der</strong> Zeit selbst, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sukzessiven Apprehension e<strong>in</strong>es<br />

Gegenstandes, das Schema <strong>der</strong> Qualität die Synthesis <strong>der</strong> Empf<strong>in</strong>dung (Wahrnehmung)<br />

60


mit <strong>der</strong> Vorstellung <strong>der</strong> Zeit, o<strong>der</strong> die Erfüllung <strong>der</strong> Zeit, das <strong>der</strong> Relation das Verhältnis <strong>der</strong><br />

Wahrnehmungen untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zu aller Zeit (d.i. nach e<strong>in</strong>er Regel <strong>der</strong> Zeitbestimmung),<br />

endlich das Schema <strong>der</strong> Modalität und ihrer Kategorien, die Zeit selbst, als das Korrelatum<br />

<strong>der</strong> Bestimmung e<strong>in</strong>es Gegenstandes, ob und wie er zur Zeit gehöre, enthalte und<br />

vorstellig mache. Die Schemate s<strong>in</strong>d daher nichts als Zeitbestimmungen a priori nach<br />

Regeln, und diese gehen nach <strong>der</strong> Ordnung <strong>der</strong> Kategorien, auf die Zeitreihe, den<br />

Zeit<strong>in</strong>halt, die Zeitordnung, endlich den Zeit<strong>in</strong>begriff <strong>in</strong> Ansehung aller möglichen<br />

Gegenstände.<br />

Hieraus erhellt nun, daß <strong>der</strong> Schematismus des Verstandes durch die transzendentale<br />

Synthesis <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft auf nichts an<strong>der</strong>es, als die E<strong>in</strong>heit alles Mannigfaltigen <strong>der</strong><br />

Anschauung <strong>in</strong> dem <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>ne und so <strong>in</strong>direkt auf die E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Apperzeption, als<br />

Funktion, welche dem <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>n (e<strong>in</strong>er Rezeptivität) korrespondiert, h<strong>in</strong>auslaufe. Also<br />

s<strong>in</strong>d die Schemate <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandesbegriffe die wahren und e<strong>in</strong>zigen Bed<strong>in</strong>gungen,<br />

diesen e<strong>in</strong>e Beziehung auf Objekte, mith<strong>in</strong> Bedeutung zu verschaffen; und die Kategorien<br />

s<strong>in</strong>d daher am Ende <strong>von</strong> ke<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en, als e<strong>in</strong>em möglichen empirischen Gebrauche,<br />

<strong>in</strong>dem sie bloß dazu dienen, durch Gründe e<strong>in</strong>er a priori notwendigen E<strong>in</strong>heit (wegen <strong>der</strong><br />

notwendigen Vere<strong>in</strong>igung alles Bewußtse<strong>in</strong>s <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ursprünglichen Apperzeption)<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen allgeme<strong>in</strong>en Regeln <strong>der</strong> Synthesis zu unterwerfen und sie dadurch zur<br />

durchgängigen Verknüpfung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Erfahrung schicklich zu machen.<br />

In dem Ganzen aller möglichen Erfahrung liegen aber alle unsere Erkenntnisse, und <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

allgeme<strong>in</strong>en Beziehung auf dieselbe besteht die transzendentale Wahrheit, die vor aller<br />

empirischen vorhergeht und sie möglich macht.<br />

Es fällt aber doch auch <strong>in</strong> die Augen, daß, obgleich die Schemate <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit die<br />

Kategorien allererst realisieren, sie doch selbige gleichwohl auch restr<strong>in</strong>gieren, d.i. auf<br />

Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>schränken, die außer dem Verstande liegen (nämlich <strong>in</strong> <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit).<br />

Daher ist das Schema eigentlich nur das Phaenomenon, o<strong>der</strong> <strong>der</strong> s<strong>in</strong>nliche Begriff e<strong>in</strong>es<br />

Gegenstandes, <strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung mit <strong>der</strong> Kategorie (numerus est quantitas<br />

phaenomenon, sensatio realitas phaenomenon, constans et perdurabile rerum substantia<br />

phaenomenon - - aeternitas necessitas phaenomenon usw.). Wenn wir nun e<strong>in</strong>e<br />

restr<strong>in</strong>gierende Bed<strong>in</strong>gung weglassen, so amplifizieren wir, wie es sche<strong>in</strong>t, den vorher<br />

e<strong>in</strong>geschränkten Begriff; so sollten die Kategorien <strong>in</strong> ihrer <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Bedeutung, ohne alle<br />

Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit, <strong>von</strong> D<strong>in</strong>gen überhaupt gelten, wie sie s<strong>in</strong>d, anstatt, daß ihre<br />

Schemate sie nur vorstellen, wie sie ersche<strong>in</strong>en, jene also e<strong>in</strong>e <strong>von</strong> allen Schematen<br />

unabhängige und viel weiter erstreckte Bedeutung haben. In <strong>der</strong> Tat bleibt den <strong>re<strong>in</strong>en</strong><br />

Verstandesbegriffen allerd<strong>in</strong>gs, auch nach Abson<strong>der</strong>ung aller s<strong>in</strong>nlichen Bed<strong>in</strong>gung, e<strong>in</strong>e,<br />

aber nur logische Bedeutung <strong>der</strong> bloßen E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Vorstellungen, denen aber ke<strong>in</strong><br />

Gegenstand, mith<strong>in</strong> auch ke<strong>in</strong>e Bedeutung gegeben wird, die e<strong>in</strong>en Begriff vom Objekt<br />

abgeben könnte. So würde z.B. Substanz, wenn man die s<strong>in</strong>nliche Bestimmung <strong>der</strong><br />

Beharrlichkeit wegließe, nichts weiter als e<strong>in</strong> Etwas bedeuten, das als Subjekt (ohne e<strong>in</strong><br />

Prädikat <strong>von</strong> etwas an<strong>der</strong>em zu se<strong>in</strong>), gedacht werden kann. Aus dieser Vorstellung kann<br />

ich nun nichts machen, <strong>in</strong>dem sie mir gar nicht anzeigt, welche Bestimmungen das D<strong>in</strong>g<br />

hat, welches als e<strong>in</strong> solches erstes Subjekt gelten soll. Also s<strong>in</strong>d die Kategorien ohne<br />

Schemate, nur Funktionen des Verstandes zu Begriffen, stellen aber ke<strong>in</strong>en Gegenstand<br />

vor. Diese Bedeutung kommt ihnen <strong>von</strong> <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit, die den Verstand realisiert, <strong>in</strong>dem<br />

sie ihn zugleich restr<strong>in</strong>giert.<br />

61


2. Hauptstück: System aller Grundsätze des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes<br />

Wir haben <strong>in</strong> dem vorigen Hauptstücke die transzendentale Urteilskraft nur nach den<br />

allgeme<strong>in</strong>en Bed<strong>in</strong>gungen erwogen, unter denen sie alle<strong>in</strong> die <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandesbegriffe<br />

zu synthetischen Urteilen zu brauchen befugt ist. Jetzt ist unser Geschäft: die Urteile, die<br />

<strong>der</strong> Verstand unter dieser kritischen Vorsicht wirklich a priori zustande br<strong>in</strong>gt, <strong>in</strong><br />

systematischer Verb<strong>in</strong>dung darzustellen, wozu uns ohne Zweifel unsere Tafel <strong>der</strong><br />

Kategorien die natürliche und sichere Leitung geben muß. Denn diese s<strong>in</strong>d es eben, <strong>der</strong>en<br />

Beziehung auf mögliche Erfahrung alle re<strong>in</strong>e Verstandeserkenntnis a priori ausmachen<br />

muß, und <strong>der</strong>en Verhältnis zur S<strong>in</strong>nlichkeit überhaupt um deswillen alle transzendentalen<br />

Grundsätze des Verstandesgebrauchs vollständig und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em System darlegen wird.<br />

Grundsätze a priori führen diesen Namen nicht bloß deswegen, weil sie die Gründe<br />

an<strong>der</strong>er Urteile <strong>in</strong> sich enthalten, son<strong>der</strong>n auch weil sie selbst nicht <strong>in</strong> höheren und<br />

allgeme<strong>in</strong>eren Erkenntnissen gegründet s<strong>in</strong>d. Diese Eigenschaft überhebt sie doch nicht<br />

allemal e<strong>in</strong>es Beweises. Denn obgleich dieser nicht weiter objektiv geführt werden könnte,<br />

son<strong>der</strong>n vielmehr alle Erkenntnis se<strong>in</strong>es Objekts zugrunde liegt, so h<strong>in</strong><strong>der</strong>t dies doch nicht,<br />

daß nicht e<strong>in</strong> Beweis, aus den subjektiven Quellen <strong>der</strong> Möglichkeit e<strong>in</strong>er Erkenntnis des<br />

Gegenstandes überhaupt, zu schaffen möglich, ja auch nötig wäre, weil <strong>der</strong> Satz sonst<br />

gleichwohl den größten Verdacht e<strong>in</strong>er bloß erschlichenen Behauptung auf sich haben<br />

würde.<br />

Zweitens werden wir uns bloß auf diejenigen Grundsätze, die sich auf die Kategorien<br />

beziehen, e<strong>in</strong>schränken. Die Pr<strong>in</strong>zipien <strong>der</strong> transzendentalen Ästhetik, nach welchen<br />

Raum und Zeit die Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Möglichkeit aller D<strong>in</strong>ge als Ersche<strong>in</strong>ungen s<strong>in</strong>d,<br />

imgleichen die Restriktion dieser Grundsätze: daß sie nämlich nicht auf D<strong>in</strong>ge an sich<br />

selbst bezogen werden können, gehören also nicht <strong>in</strong> unser abgestochenes Feld <strong>der</strong><br />

Untersuchung. Ebenso machen die mathematischen Grundsätze ke<strong>in</strong>en Teil dieses<br />

Systems aus, weil sie nur aus <strong>der</strong> Anschauung, aber nicht aus dem <strong>re<strong>in</strong>en</strong><br />

Verstandesbegriffe gezogen s<strong>in</strong>d; doch wird die Möglichkeit <strong>der</strong>selben, weil sie gleichwohl<br />

synthetische Urteile a priori s<strong>in</strong>d, hier notwendig Platz f<strong>in</strong>den, zwar nicht, um ihre<br />

Richtigkeit und apodiktische Gewißheit zu beweisen, welches sie gar nicht nötig haben,<br />

son<strong>der</strong>n nur die Möglichkeit solcher evidenten Erkenntnisse a priori begreiflich zu machen<br />

und zu deduzieren.<br />

Wir werden aber auch <strong>von</strong> dem Grundsatze analytischer Urteile reden müssen, und dieses<br />

zwar im Gegensatz mit dem <strong>der</strong> synthetischen, als mit welchen wir uns eigentlich<br />

beschäftigen, weil eben diese Gegenstellung die Theorie <strong>der</strong> letzteren <strong>von</strong> allem<br />

Mißverstande befreit und sie <strong>in</strong> ihrer eigentümlichen Natur deutlich vor Augen legt.<br />

1. Abschnitt: Von dem obersten Grundsatze aller analytischen Urteile<br />

Von welchem Inhalt auch unsere Erkenntnis sei, und wie sie sich auf das Objekt beziehen<br />

mag, so ist doch die allgeme<strong>in</strong>e, obzwar nur negative Bed<strong>in</strong>gung aller unserer Urteile<br />

überhaupt, daß sie sich nicht selbst wi<strong>der</strong>sprechen; widrigenfalls diese Urteile an sich<br />

selbst (auch ohne Rücksicht aufs Objekt) nichts s<strong>in</strong>d. Wenn aber auch gleich <strong>in</strong> unserem<br />

Urteile ke<strong>in</strong> Wi<strong>der</strong>spruch ist, so kann es dem ungeachtet doch Begriffe so verb<strong>in</strong>den, wie<br />

es <strong>der</strong> Gegenstand nicht mit sich br<strong>in</strong>gt, o<strong>der</strong> auch, ohne daß uns irgende<strong>in</strong> Grund we<strong>der</strong><br />

a priori noch a posteriori gegeben ist, welcher e<strong>in</strong> solches Urteil berechtigte, und so kann<br />

e<strong>in</strong> Urteil bei allem dem, daß es <strong>von</strong> allem <strong>in</strong>neren Wi<strong>der</strong>spruche frei ist, doch entwe<strong>der</strong><br />

falsch o<strong>der</strong> grundlos se<strong>in</strong>.<br />

Der Satz nun: Ke<strong>in</strong>em D<strong>in</strong>ge kommt e<strong>in</strong> Prädikat zu, welches ihm wi<strong>der</strong>spricht, heißt <strong>der</strong><br />

62


Satz des Wi<strong>der</strong>spruchs, und ist e<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>es, obzwar bloß negatives Kriterium aller<br />

Wahrheit, gehört aber auch darum bloß <strong>in</strong> die Logik, weil er <strong>von</strong> Erkenntnissen, bloß als<br />

Erkenntnissen überhaupt, unangesehen ihres Inhalts gilt, und sagt: daß <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>spruch<br />

sie gänzlich vernichte und aufhebe.<br />

Man kann aber doch <strong>von</strong> demselben auch e<strong>in</strong>en positiven Gebrauch machen, d.i. nicht<br />

bloß, um Falschheit und Irrtum (sofern er auf dem Wi<strong>der</strong>spruch beruht) zu verbannen,<br />

son<strong>der</strong>n auch Wahrheit zu erkennen. Denn, wenn das Urteil analytisch ist, es mag nun<br />

verne<strong>in</strong>end o<strong>der</strong> bejahend se<strong>in</strong>, so muß dessen Wahrheit je<strong>der</strong>zeit nach dem Satze des<br />

Wi<strong>der</strong>spruchs h<strong>in</strong>reichend können erkannt werden. Denn <strong>von</strong> dem, was <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erkenntnis<br />

des Objekts schon als Begriff liegt und gedacht wird, wird das Wi<strong>der</strong>spiel je<strong>der</strong>zeit richtig<br />

verne<strong>in</strong>t, <strong>der</strong> Begriff selber aber notwendig <strong>von</strong> ihm bejaht werden müssen, darum, weil<br />

das Gegenteil desselben dem Objekte wi<strong>der</strong>sprechen würde.<br />

Daher müssen wir auch den Satz des Wi<strong>der</strong>spruchs, als das allgeme<strong>in</strong>e und völlig<br />

h<strong>in</strong>reichende Pr<strong>in</strong>zipium aller analytischen Erkenntnis gelten lassen; aber weiter geht auch<br />

se<strong>in</strong> Ansehen und Brauchbarkeit nicht, als e<strong>in</strong>es h<strong>in</strong>reichenden Kriterium <strong>der</strong> Wahrheit.<br />

Denn daß ihm gar ke<strong>in</strong>e Erkenntnis zuwi<strong>der</strong> se<strong>in</strong> könne, ohne sich selbst zu vernichten,<br />

das macht diesen Satz wohl zur conditio s<strong>in</strong>e qua non, aber nicht zum<br />

Bestimmungsgrunde <strong>der</strong> Wahrheit unserer Erkenntnis. Da wir es nun eigentlich nur mit<br />

dem synthetischen Teile unserer Erkenntnis zu tun haben, so werden wir zwar je<strong>der</strong>zeit<br />

bedacht se<strong>in</strong>, diesem unverletzlichen Grundsatz niemals zuwi<strong>der</strong>zuhandeln, <strong>von</strong> ihm aber,<br />

<strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong> Wahrheit <strong>von</strong> <strong>der</strong>gleichen Art <strong>der</strong> Erkenntnis, niemals e<strong>in</strong>igen Aufschluß<br />

gewärtigen können.<br />

Es ist aber doch e<strong>in</strong>e Formel dieses berühmten, obzwar <strong>von</strong> allem Inhalt entblößten und<br />

bloß formalen Grundsatzes, die e<strong>in</strong>e Synthesis enthält, welche aus Unvorsichtigkeit und<br />

ganz unnötigerweise <strong>in</strong> ihr gemischt worden. Sie heißt: es ist unmöglich, daß etwas<br />

zugleich sei und nicht sei. Außer dem, daß hier die apodiktische Gewißheit (durch das<br />

Wort unmöglich) überflüssigerweise angehängt worden, die sich doch <strong>von</strong> selbst aus dem<br />

Satz muß verstehen lassen, so ist <strong>der</strong> Satz durch die Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> Zeit affiziert und sagt<br />

gleichsam: E<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g =A, welches etwas =B ist, kann nicht zu gleicher Zeit non B se<strong>in</strong>; aber<br />

es kann gar wohl beides (B sowohl, als non B) nache<strong>in</strong>an<strong>der</strong> se<strong>in</strong>. Z.B. e<strong>in</strong> Mensch, <strong>der</strong><br />

jung ist, kann nicht zugleich alt se<strong>in</strong>; eben<strong>der</strong>selbe kann aber sehr wohl zu e<strong>in</strong>er Zeit jung,<br />

zur an<strong>der</strong>en nicht jung, d.i. alt se<strong>in</strong>. Nun muß <strong>der</strong> Satz des Wi<strong>der</strong>spruchs, als e<strong>in</strong> bloß<br />

logischer Grundsatz, se<strong>in</strong>e Aussprüche gar nicht auf die Zeitverhältnisse e<strong>in</strong>schränken,<br />

daher ist e<strong>in</strong>e solche Formel <strong>der</strong> Absicht desselben ganz zuwi<strong>der</strong>. Der Mißverstand kommt<br />

bloß daher: daß man e<strong>in</strong> Prädikat e<strong>in</strong>es D<strong>in</strong>ges zuvör<strong>der</strong>st <strong>von</strong> dem Begriff desselben<br />

abson<strong>der</strong>t und nachher se<strong>in</strong> Gegenteil mit diesem Prädikate verknüpft, welches niemals<br />

e<strong>in</strong>en Wi<strong>der</strong>spruch mit dem Subjekte, son<strong>der</strong>n nur mit dessen Prädikate, welches mit<br />

jenem synthetisch verbunden worden, abgibt und zwar nur dann, wenn das erste und<br />

zweite Prädikat zu gleicher Zeit gesetzt werden. Sage ich: e<strong>in</strong> Mensch, <strong>der</strong> ungelehrt ist,<br />

ist nicht gelehrt, so muß die Bed<strong>in</strong>gung: zugleich dabeistehen; denn <strong>der</strong>, so zu e<strong>in</strong>er Zeit<br />

ungelehrt ist, kann zu e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en gar wohl gelehrt se<strong>in</strong>. Sage ich aber: ke<strong>in</strong> ungelehrter<br />

Mensch ist gelehrt, so ist <strong>der</strong> Satz analytisch, weil das Merkmal (<strong>der</strong> Ungelehrtheit)<br />

nunmehr den Begriff des Subjekts mit ausmacht, und alsdann erhellt <strong>der</strong> verne<strong>in</strong>ende Satz<br />

unmittelbar aus dem Satze des Wi<strong>der</strong>spruchs, ohne daß die Bed<strong>in</strong>gung: zugleich,<br />

h<strong>in</strong>zukommen darf. Dieses ist denn auch die Ursache, weswegen ich oben die Formel<br />

desselben so verän<strong>der</strong>t habe, daß die Natur e<strong>in</strong>es analytischen Satzes dadurch deutlich<br />

ausgedrückt wird.<br />

63


2. Abschnitt: Von dem obersten Grundsatze aller synthetischen Urteile<br />

Die Erklärung <strong>der</strong> Möglichkeit synthetischer Urteile ist e<strong>in</strong>e Aufgabe, mit <strong>der</strong> die allgeme<strong>in</strong>e<br />

Logik gar nichts zu schaffen hat, die auch sogar ihren Namen nicht e<strong>in</strong>mal kennen darf.<br />

Sie ist aber <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er transzendentalen Logik das wichtigste Geschäft unter allen, und sogar<br />

das e<strong>in</strong>zige, wenn <strong>von</strong> <strong>der</strong> Möglichkeit synthetischer Urteile a priori die Rede ist,<br />

imgleichen den Bed<strong>in</strong>gungen und dem Umfange ihrer Gültigkeit. Denn nach Vollendung<br />

desselben kann sie ihrem Zwecke, nämlich den Umfang und die Grenzen des <strong>re<strong>in</strong>en</strong><br />

Verstandes zu bestimmen, vollkommen e<strong>in</strong> Genüge tun.<br />

Im analytischen Urteile bleibe ich bei dem gegebenen Begriffe, um etwas <strong>von</strong> ihm<br />

auszumachen. Soll es bejahend se<strong>in</strong>, so lege ich diesem Begriffe nur dasjenige bei, was <strong>in</strong><br />

ihm schon gedacht war; soll es verne<strong>in</strong>end se<strong>in</strong>, so schließe ich nur das Gegenteil<br />

desselben <strong>von</strong> ihm aus. In synthetischen Urteilen aber soll ich aus dem gegebenen Begriff<br />

h<strong>in</strong>ausgehen, um etwas ganz an<strong>der</strong>es, als <strong>in</strong> ihm gedacht war, mit demselben <strong>in</strong> Verhältnis<br />

zu betrachten, welches daher niemals, we<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Verhältnis <strong>der</strong> Identität, noch des<br />

Wi<strong>der</strong>spruchs ist, und wobei dem Urteile an ihm selbst we<strong>der</strong> die Wahrheit, noch <strong>der</strong><br />

Irrtum angesehen werden kann.<br />

Also zugegeben: daß man aus e<strong>in</strong>em gegebenen Begriffe h<strong>in</strong>ausgehen müsse, um ihn mit<br />

e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en synthetisch zu vergleichen; so ist e<strong>in</strong> Drittes nötig, wor<strong>in</strong> alle<strong>in</strong> die<br />

Synthesis zweier Begriffe entstehen kann. Was ist nun aber dieses Dritte, als das Medium<br />

aller synthetischen Urteile? Es ist nur e<strong>in</strong> Inbegriff, dar<strong>in</strong> alle unsere Vorstellungen<br />

enthalten s<strong>in</strong>d, nämlich <strong>der</strong> <strong>in</strong>nere S<strong>in</strong>n, und die Form desselben a priori, die Zeit. Die<br />

Synthesis <strong>der</strong> Vorstellungen beruht auf <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft, die synthetische E<strong>in</strong>heit<br />

<strong>der</strong>selben aber (die zum Urteile erfor<strong>der</strong>lich ist) auf <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Apperzeption. Hier<strong>in</strong><br />

wird also die Möglichkeit synthetischer Urteile, und da alle drei die Quellen zu<br />

Vorstellungen a priori enthalten, auch die Möglichkeit re<strong>in</strong>er synthetischer Urteile zu<br />

suchen se<strong>in</strong>, ja sie werden sogar aus diesen Gründen notwendig se<strong>in</strong>, wenn e<strong>in</strong>e<br />

Erkenntnis <strong>von</strong> Gegenständen zustande kommen soll, die lediglich auf <strong>der</strong> Synthesis <strong>der</strong><br />

Vorstellungen beruht.<br />

Wenn e<strong>in</strong>e Erkenntnis objektive Realität haben, d.i. sich auf e<strong>in</strong>en Gegenstand beziehen<br />

und <strong>in</strong> demselben Bedeutung und S<strong>in</strong>n haben soll, so muß <strong>der</strong> Gegenstand auf irgende<strong>in</strong>e<br />

Art gegeben werden können. Ohne das s<strong>in</strong>d die Begriffe leer, und man hat dadurch zwar<br />

gedacht, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat aber durch dieses Denken nichts erkannt, son<strong>der</strong>n bloß mit<br />

Vorstellungen gespielt. E<strong>in</strong>en Gegenstand geben, wenn dieses nicht wie<strong>der</strong>um nur<br />

mittelbar geme<strong>in</strong>t se<strong>in</strong> soll, son<strong>der</strong>n unmittelbar <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anschauung darstellen, ist nichts<br />

an<strong>der</strong>es, als dessen Vorstellung auf Erfahrung (es sei wirkliche o<strong>der</strong> doch mögliche)<br />

beziehen. Selbst <strong>der</strong> Raum und die Zeit, so re<strong>in</strong> diese Begriffe auch <strong>von</strong> allem<br />

Empirischen s<strong>in</strong>d, und so gewiß es auch ist, daß sie völlig a priori im Gemüte vorgestellt<br />

werden, würden doch ohne objektive Gültigkeit und ohne S<strong>in</strong>n und Bedeutung se<strong>in</strong>, wenn<br />

ihr notwendiger Gebrauch an den Gegenständen <strong>der</strong> Erfahrung nicht gezeigt würde, ja<br />

ihre Vorstellung ist e<strong>in</strong> bloßes Schema, das sich immer auf die reproduktive<br />

E<strong>in</strong>bildungskraft bezieht, welche die Gegenstände <strong>der</strong> Erfahrung herbeiruft, ohne die sie<br />

ke<strong>in</strong>e Bedeutung haben würden; und so ist es mit allen Begriffen ohne Unterschied.<br />

Die Möglichkeit <strong>der</strong> Erfahrung ist also das, was allen unseren Erkenntnissen a priori<br />

objektive Realität gibt. Nun beruht Erfahrung auf <strong>der</strong> synthetischen E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong><br />

Ersche<strong>in</strong>ungen, d.i. auf e<strong>in</strong>er Synthesis nach Begriffen vom Gegenstande <strong>der</strong><br />

Ersche<strong>in</strong>ungen überhaupt, ohne welche sie nicht e<strong>in</strong>mal Erkenntnis, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e<br />

Rhapsodie <strong>von</strong> Wahrnehmungen se<strong>in</strong> würde, die sich <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>en Kontext nach Regeln<br />

e<strong>in</strong>es durchgängig verknüpften (möglichen) Bewußtse<strong>in</strong>s, mith<strong>in</strong> auch nicht zur<br />

transzendentalen und notwendigen E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Apperzeption zusammen schicken würden.<br />

64


Die Erfahrung hat also Pr<strong>in</strong>zipien ihrer Form a priori zugrunde liegen, nämlich allgeme<strong>in</strong>e<br />

Regeln <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Synthesis <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen, <strong>der</strong>en objektive Realität, als<br />

notwendige Bed<strong>in</strong>gungen, je<strong>der</strong>zeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erfahrung, ja sogar ihrer Möglichkeit gewiesen<br />

werden kann. Außer dieser Beziehung aber s<strong>in</strong>d synthetische Sätze a priori gänzlich<br />

unmöglich, weil sie ke<strong>in</strong> Drittes, nämlich ke<strong>in</strong>en Gegenstand haben, an dem die<br />

synthetische E<strong>in</strong>heit ihrer Begriffe objektive Realität dartun könnte.<br />

Ob wir daher gleich vom Raume überhaupt, o<strong>der</strong> den Gestalten, welche die produktive<br />

E<strong>in</strong>bildungskraft <strong>in</strong> ihm verzeichnet, so vieles a priori <strong>in</strong> synthetischen Urteilen erkennen,<br />

so daß wir wirklich hierzu gar ke<strong>in</strong>er Erfahrung bedürfen; so würde doch dieses Erkenntnis<br />

gar nichts, son<strong>der</strong>n die Beschäftigung mit e<strong>in</strong>em bloßen Hirngesp<strong>in</strong>st se<strong>in</strong>, wäre <strong>der</strong> Raum<br />

nicht, als Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen, welche den Stoff zur äußeren Erfahrung<br />

ausmachen, anzusehen: daher sich jene <strong>re<strong>in</strong>en</strong> synthetischen Urteile, obzwar nur<br />

mittelbar, auf mögliche Erfahrung, o<strong>der</strong> vielmehr auf dieser ihre Möglichkeit selbst<br />

beziehen, und darauf alle<strong>in</strong> die objektive Gültigkeit ihrer Synthesis gründen.<br />

Da also Erfahrung, als empirische Synthesis, <strong>in</strong> ihrer Möglichkeit die e<strong>in</strong>zige Erkenntnisart<br />

ist, welche aller an<strong>der</strong>en Synthesis Realität gibt, so hat diese als Erkenntnis a priori auch<br />

nur dadurch Wahrheit (E<strong>in</strong>stimmung mit dem Objekt), daß sie nichts weiter enthält, als was<br />

zur synthetischen E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Erfahrung überhaupt notwendig ist.<br />

Das oberste Pr<strong>in</strong>zipium aller synthetischen Urteile ist also: e<strong>in</strong> je<strong>der</strong> Gegenstand steht<br />

unter den notwendigen Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> synthetischen E<strong>in</strong>heit des Mannigfaltigen <strong>der</strong><br />

Anschauung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er möglichen Erfahrung.<br />

Auf solche Weise s<strong>in</strong>d synthetische Urteile a priori möglich, wenn wir die formalen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Anschauung a priori, die Synthesis <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft und die<br />

notwendige E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong>selben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er transzendentalen Apperzeption auf e<strong>in</strong> mögliches<br />

Erfahrungserkenntnis überhaupt beziehen und sagen: die Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Möglichkeit<br />

<strong>der</strong> Erfahrung überhaupt s<strong>in</strong>d zugleich Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> Gegenstände <strong>der</strong><br />

Erfahrung und haben darum objektive Gültigkeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em synthetischen Urteile a priori.<br />

3. Abschnitt: Systematische Vorstellung aller synthetischen Grundsätze<br />

Daß überhaupt irgendwo Grundsätze stattf<strong>in</strong>den, das ist lediglich dem <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstande<br />

zuzuschreiben, <strong>der</strong> nicht alle<strong>in</strong> das Vermögen <strong>der</strong> Regeln ist, <strong>in</strong> Ansehung dessen, was<br />

geschieht, son<strong>der</strong>n selbst <strong>der</strong> Quell <strong>der</strong> Grundsätze, nach welchem alles (was uns nur als<br />

Gegenstand vorkommen kann), notwendig unter Regeln steht, weil, ohne solche, den<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen niemals Erkenntnis e<strong>in</strong>es ihnen korrespondierenden Gegenstandes<br />

zukommen könnte. Selbst Naturgesetze, wenn sie als Grundgsätze des empirischen<br />

Verstandesgebrauchs betrachtet werden, führen zugleich e<strong>in</strong>en Ausdruck <strong>der</strong><br />

Notwendigkeit, mith<strong>in</strong> wenigstens die Vermutung e<strong>in</strong>er Bestimmung aus Gründen, die a<br />

priori und vor aller Erfahrung gültig s<strong>in</strong>d, bei sich. Aber ohne Unterschied stehen alle<br />

Gesetze <strong>der</strong> Natur unter höheren Grundsätzen des Verstandes, <strong>in</strong>dem sie diese nur auf<br />

beson<strong>der</strong>e Fälle <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung anwenden. Diese alle<strong>in</strong> geben also den Begriff, <strong>der</strong> die<br />

Bed<strong>in</strong>gung und gleichsam den Exponenten zu e<strong>in</strong>er Regel überhaupt enthält, Erfahrung<br />

aber gibt den Fall, <strong>der</strong> unter <strong>der</strong> Regel steht.<br />

Daß man bloß empirische Grundsätze für Grundsätze des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes o<strong>der</strong> auch<br />

umgekehrt ansehe, deshalb kann wohl eigentlich ke<strong>in</strong>e Gefahr se<strong>in</strong>; denn die<br />

Notwendigkeit nach Begriffen, welche die letztere auszeichnet, und <strong>der</strong>en Mangel <strong>in</strong> jedem<br />

empirischen Satze, so allgeme<strong>in</strong> er auch gelten mag, leicht wahrgenommen wird, kann<br />

diese Verwechslung leicht verhüten. Es gibt aber re<strong>in</strong>e Grundsätze a priori, die ich<br />

gleichwohl doch nicht dem <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstande eigentümlich beimessen möchte, darum, weil<br />

sie nicht aus <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Begriffen, son<strong>der</strong>n aus <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Anschauungen (obgleich vermittels des<br />

65


Verstandes) gezogen s<strong>in</strong>d; Verstand ist aber das Vermögen <strong>der</strong> Begriffe. Die Mathematik<br />

hat <strong>der</strong>gleichen, aber ihre Anwendung auf Erfahrung, mith<strong>in</strong> ihre objektive Gültigkeit, ja die<br />

Möglichkeit solcher synthetischen Erkenntnis a priori (die Deduktion <strong>der</strong>selben) beruht<br />

doch immer auf dem <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstande.<br />

Daher werde ich unter me<strong>in</strong>e Grundsätze die <strong>der</strong> Mathematik nicht mitzählen, aber wohl<br />

diejenigen, worauf sich dieser ihre Möglichkeit und objektive Gültigkeit a priori gründet,<br />

und die mith<strong>in</strong> als Pr<strong>in</strong>zipium dieser Grundsätze anzusehen s<strong>in</strong>d und <strong>von</strong> Begriffen zur<br />

Anschauung, nicht aber <strong>von</strong> <strong>der</strong> Anschauung zu Begriffen ausgehen.<br />

In <strong>der</strong> Anwendung <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandesbegriffe auf mögliche Erfahrung ist <strong>der</strong> Gebrauch<br />

ihrer Synthesis entwe<strong>der</strong> mathematisch, o<strong>der</strong> dynamisch: denn sie geht teils bloß auf die<br />

Anschauung, teils auf das Dase<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Ersche<strong>in</strong>ung überhaupt. Die Bed<strong>in</strong>gungen a priori<br />

<strong>der</strong> Anschauung s<strong>in</strong>d aber <strong>in</strong> Ansehung e<strong>in</strong>er möglichen Erfahrung durchaus notwendig,<br />

die des Dase<strong>in</strong>s <strong>der</strong> Objekte e<strong>in</strong>er möglichen empirischen Anschauung an sich nur<br />

zufällig. Daher werden die Grundsätze des mathematischen Gebrauchs unbed<strong>in</strong>gt<br />

notwendig, d.i. apodiktisch lauten, die aber des dynamischen Gebrauchs werden zwar<br />

auch den Charakter e<strong>in</strong>er Notwendigkeit a priori, aber nur unter <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gung des<br />

empirischen Denkens <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Erfahrung, mith<strong>in</strong> nur mittelbar und <strong>in</strong>direkt bei sich führen,<br />

folglich diejenige unmittelbare Evidenz nicht enthalten (obzwar ihrer auf Erfahrung<br />

allgeme<strong>in</strong> bezogenen Gewißheit unbeschadet), die jenen eigen ist. Doch dies wird sich<br />

beim Schlusse dieses Systems <strong>von</strong> Grundsätzen besser beurteilen lassen.<br />

Die Tafel <strong>der</strong> Kategorien gibt uns die ganz natürliche Anweisung zur Tafel <strong>der</strong> Grundsätze,<br />

weil diese doch nichts an<strong>der</strong>es, als Regeln des objektiven Gebrauchs <strong>der</strong> ersteren s<strong>in</strong>d.<br />

Alle Grundsätze des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes s<strong>in</strong>d demnach<br />

1. Axiome<br />

<strong>der</strong> Anschauung<br />

2. Antizipationen 3. Analogien<br />

<strong>der</strong> Wahrnehmung <strong>der</strong> Erfahrung<br />

4. Postulate<br />

des empirischen Denkens überhaupt.<br />

Diese Benennungen habe ich mit Vorsicht gewählt, um die Unterschiede <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong><br />

Evidenz und <strong>der</strong> Ausübung dieser Grundsätze nicht unbemerkt zu lassen. Es wird sich<br />

aber bald zeigen: daß, was sowohl die Evidenz, als die Bestimmung <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen a<br />

priori, nach den Kategorien <strong>der</strong> Größe und <strong>der</strong> Qualität (wenn man lediglich auf die Form<br />

<strong>der</strong> letzteren acht hat) betrifft, die Grundsätze <strong>der</strong>selben sich dar<strong>in</strong> <strong>von</strong> den zwei übrigen<br />

namhaft unterscheiden; <strong>in</strong>dem jene e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>tuitiven, diese aber e<strong>in</strong>er bloß diskursiven,<br />

obzwar bei<strong>der</strong>seits e<strong>in</strong>er völligen Gewißheit fähig s<strong>in</strong>d. Ich werde daher jene die<br />

mathematischen, diese die dynamischen Grundsätze nennen. Man wird aber wohl<br />

bemerken: daß ich hier ebensowenig die Grundsätze <strong>der</strong> Mathematik <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Falle, als<br />

die Grundsätze <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en (physischen) Dynamik im an<strong>der</strong>en, son<strong>der</strong>n nur die des<br />

<strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes im Verhältnis auf den <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>n (ohne Unterschied <strong>der</strong> dar<strong>in</strong><br />

gegebenen Vorstellungen) vor Augen habe, dadurch denn jene <strong>in</strong>sgesamt ihre Möglichkeit<br />

bekommen. Ich benenne sie also mehr <strong>in</strong> Betracht <strong>der</strong> Anwendung, als um ihres Inhalts<br />

willen und gehe nun zur Erwägung <strong>der</strong>selben <strong>in</strong> <strong>der</strong> nämlichen Ordnung, wie sie <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Tafel vorgestellt werden.<br />

66


1. Von den Axiomen <strong>der</strong> Anschauung<br />

Grundsatz des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes: Alle Ersche<strong>in</strong>ungen s<strong>in</strong>d ihrer Anschauung nach<br />

extensive Größen.<br />

E<strong>in</strong>e extensive Größe nenne ich diejenige, <strong>in</strong> welcher die Vorstellung <strong>der</strong> Teile die<br />

Vorstellung des Ganzen möglich macht (und also notwendig vor dieser vorhergeht). Ich<br />

kann mir ke<strong>in</strong>e L<strong>in</strong>ie, so kle<strong>in</strong> sie auch sei, vorstellen, ohne sie <strong>in</strong> Gedanken zu ziehen, d.i.<br />

<strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Punkte alle Teile nach und nach zu erzeugen, und dadurch allererst diese<br />

Anschauung zu verzeichnen. Ebenso ist es auch mit je<strong>der</strong> auch <strong>der</strong> kle<strong>in</strong>sten Zeit<br />

bewandt. Ich denke mir dar<strong>in</strong> nur den sukzessiven Fortgang <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Augenblick zum<br />

an<strong>der</strong>en, wo durch alle Zeitteile und <strong>der</strong>en H<strong>in</strong>zutun endlich e<strong>in</strong>e bestimmte Zeitgröße<br />

erzeugt wird. Da die bloße Anschauung an allen Ersche<strong>in</strong>ungen entwe<strong>der</strong> <strong>der</strong> Raum o<strong>der</strong><br />

die Zeit ist, so ist jede Ersche<strong>in</strong>ung als Anschauung e<strong>in</strong>e extensive Größe, <strong>in</strong>dem sie nur<br />

durch sukzessive Synthesis (<strong>von</strong> Teil zu Teil) <strong>in</strong> <strong>der</strong> Apprehension erkannt werden kann.<br />

Alle Ersche<strong>in</strong>ungen werden demnach schon als Aggregate (Menge vorhergegebener Teile)<br />

angeschaut, welches eben nicht <strong>der</strong> Fall bei je<strong>der</strong> Art Größen, son<strong>der</strong>n nur <strong>der</strong>er ist, die<br />

<strong>von</strong> uns extensiv als solche vorgestellt und apprehendiert werden.<br />

Auf diese sukzessive Synthesis <strong>der</strong> produktiven E<strong>in</strong>bildungskraft, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erzeugung <strong>der</strong><br />

Gestalten, gründet sich die Mathematik <strong>der</strong> Ausdehnung (Geometrie) mit ihren Axiomen,<br />

welche die Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlichen Anschauung a priori ausdrücken, unter denen<br />

alle<strong>in</strong> das Schema e<strong>in</strong>es <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Begriffs <strong>der</strong> äußeren Ersche<strong>in</strong>ung zustande kommen<br />

kann, z.B. zwischen zwei Punkten ist nur e<strong>in</strong>e gerade L<strong>in</strong>ie möglich; zwei gerade L<strong>in</strong>ien<br />

schließen ke<strong>in</strong>en Raum e<strong>in</strong> usw.. Dies s<strong>in</strong>d die Axiome, welche eigentlich nur Größen<br />

(quanta) als solche betreffen.<br />

Was aber die Größe (quantitas), d.i. die Antwort auf die Frage: wie groß etwas sei, betrifft,<br />

so gibt es <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong>selben, obgleich verschiedene dieser Sätze synthetisch und<br />

unmittelbar gewiß (<strong>in</strong>demonstrabilia) s<strong>in</strong>d, dennoch im eigentlichen Verstande ke<strong>in</strong>e<br />

Axiome. Denn daß Gleiches zu Gleichem h<strong>in</strong>zugetan, o<strong>der</strong> <strong>von</strong> diesem abgezogen, e<strong>in</strong><br />

Gleiches gebe, s<strong>in</strong>d analytische Sätze, <strong>in</strong>dem ich mir <strong>der</strong> Identität <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en<br />

Größenerzeugung mit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en unmittelbar bewußt b<strong>in</strong>; Axiome aber sollen<br />

synthetische Sätze a priori se<strong>in</strong>. Dagegen s<strong>in</strong>d die evidenten Sätze des Zahlverhältnisses<br />

zwar allerd<strong>in</strong>gs synthetisch, aber nicht allgeme<strong>in</strong>, wie die <strong>der</strong> Geometrie, und eben um<br />

deswillen auch nicht Axiome, son<strong>der</strong>n können Zahlformeln genannt werden. Daß 7+5=12<br />

sei, ist ke<strong>in</strong> analytischer Satz. Denn ich denke we<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vorstellung <strong>von</strong> 7, noch <strong>von</strong> 5,<br />

noch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vorstellung <strong>von</strong> <strong>der</strong> Zusammensetzung bei<strong>der</strong> die Zahl 12 (daß ich diese <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Addition bei<strong>der</strong> denken solle, da<strong>von</strong> ist hier nicht die Rede; denn bei dem analytischen<br />

Satze ist nur die Frage, ob ich das Prädikat wirklich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vorstellung des Subjekts<br />

denke). Ob er aber gleich synthetisch ist, so ist er doch nur e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelner Satz. Sofern hier<br />

bloß auf die Synthesis des Gleichartigen (<strong>der</strong> E<strong>in</strong>heiten) gesehen wird, so kann die<br />

Synthesis hier nur auf e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige Art geschehen, wiewohl <strong>der</strong> Gebrauch dieser Zahlen<br />

nachher allgeme<strong>in</strong> ist. Wenn ich sage: durch drei L<strong>in</strong>ien, <strong>der</strong>en zwei zusammengenommen<br />

größer s<strong>in</strong>d, als die dritte, läßt sich e<strong>in</strong> Triangel zeichnen; so habe ich hier die bloße<br />

Funktion <strong>der</strong> produktiven E<strong>in</strong>bildungskraft, welche die L<strong>in</strong>ien größer und kle<strong>in</strong>er ziehen,<br />

imgleichen nach allerlei beliebigen W<strong>in</strong>keln kann zusammenstoßen lassen. Dagegen ist<br />

die Zahl 7 nur auf e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige Art möglich, und auch die Zahl 12, die durch die Synthesis<br />

<strong>der</strong> ersteren mit 5 erzeugt wird. Dergleichen Sätze muß man also nicht Axiome (denn<br />

sonst gäbe es <strong>der</strong>en unendliche), son<strong>der</strong>n Zahlformeln nennen.<br />

Dieser transzendentale Grundsatz <strong>der</strong> Mathematik <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen gibt unserem<br />

Erkenntnis a priori große Erweiterung. Denn er ist es alle<strong>in</strong>, welcher die re<strong>in</strong>e Mathematik<br />

67


<strong>in</strong> ihrer ganzen Präzision auf Gegenstände <strong>der</strong> Erfahrung anwendbar macht, welches<br />

ohne diesen Grundsatz nicht so <strong>von</strong> selbst erhellen möchte, ja auch manchen<br />

Wi<strong>der</strong>spruch veranlaßt hat. Ersche<strong>in</strong>ungen s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e D<strong>in</strong>ge an sich selbst. Die empirische<br />

Anschauung ist nur durch die re<strong>in</strong>e (des Raumes und <strong>der</strong> Zeit) möglich; was also die<br />

Geometrie <strong>von</strong> dieser sagt, gilt auch ohne Wi<strong>der</strong>rede <strong>von</strong> jener, und die Ausflüchte, als<br />

wenn Gegenstände <strong>der</strong> S<strong>in</strong>ne nicht den Regeln <strong>der</strong> Konstruktion im Raume (z.E. <strong>der</strong><br />

unendlichen Teilbarkeit <strong>der</strong> L<strong>in</strong>ien o<strong>der</strong> W<strong>in</strong>kel) gemäß se<strong>in</strong> dürfen, müssen wegfallen.<br />

Denn dadurch spricht man dem Raume und mit ihm zugleich aller Mathematik objektive<br />

Gültigkeit ab und weiß nicht mehr, warum und wieweit sie auf Ersche<strong>in</strong>ungen anzuwenden<br />

sei. Die Synthesis <strong>der</strong> Räume und Zeiten, als <strong>der</strong> wesentlichen Form aller Anschauung, ist<br />

das, was zugleich die Apprehension <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung, mith<strong>in</strong> jede äußere Erfahrung,<br />

folglich auch alle Erkenntnis <strong>der</strong> Gegenstände <strong>der</strong>selben, möglich macht, und was die<br />

Mathematik im <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Gebrauch <strong>von</strong> jener beweist, das gilt auch notwendig <strong>von</strong> dieser.<br />

Alle E<strong>in</strong>würfe dawi<strong>der</strong> s<strong>in</strong>d nur Schikanen e<strong>in</strong>er falsch belehrten <strong>Vernunft</strong>, die irrigerweise<br />

die Gegenstände <strong>der</strong> S<strong>in</strong>ne <strong>von</strong> <strong>der</strong> formalen Bed<strong>in</strong>gung unserer S<strong>in</strong>nlichkeit<br />

loszumachen gedenkt, und sie, obgleich sie bloß Ersche<strong>in</strong>ungen s<strong>in</strong>d, als Gegenstände an<br />

sich selbst, dem Verstande gegeben, vorstellt, <strong>in</strong> welchem Falle freilich <strong>von</strong> ihnen a priori<br />

gar nichts, mith<strong>in</strong> auch nicht durch re<strong>in</strong>e Begriffe vom Raume, synthetisch erkannt werden<br />

könnte und die Wissenschaft, die diese bestimmt, nämlich die Geometrie selbst nicht<br />

möglich se<strong>in</strong> würde.<br />

2. Die Antizipationen <strong>der</strong> Wahrnehmung<br />

Der Grundsatz, welcher alle Wahrnehmungen, als solche, antizipiert, heißt so: In allen<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen hat die Empf<strong>in</strong>dung und das Reale, welches ihr an dem Gegenstande<br />

entspricht (realitas phaenomenon), e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive Größe, d.i. e<strong>in</strong>en Grad.<br />

Man kann alle Erkenntnis, wodurch ich dasjenige, was zur empirischen Erkenntnis gehört,<br />

a priori erkennen und bestimmen kann, e<strong>in</strong>e Antizipation nennen, und ohne Zweifel ist das<br />

die Bedeutung, <strong>in</strong> welcher Epikur se<strong>in</strong>en Ausdruck prolhq»iV brauchte. Da aber an den<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen etwas ist, was niemals a priori erkannt wird und welches daher auch den<br />

eigentlichen Unterschied des empirischen <strong>von</strong> dem Erkenntnis a priori ausmacht, nämlich<br />

die Empf<strong>in</strong>dung (als Materie <strong>der</strong> Wahrnehmung), so folgt, daß diese es eigentlich sei, was<br />

gar nicht antizipiert werden kann. Dagegen würden wir die <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Bestimmungen im<br />

Raume und <strong>der</strong> Zeit, sowohl <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong> Gestalt, als Größe, Antizipationen <strong>der</strong><br />

Ersche<strong>in</strong>ungen nennen können, weil sie dasjenige a priori vorstellen, was immer a<br />

posteriori <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erfahrung gegeben werden mag. Gesetzt aber, es f<strong>in</strong>de sich doch etwas,<br />

was sich an je<strong>der</strong> Empf<strong>in</strong>dung, als Empf<strong>in</strong>dung überhaupt (ohne daß e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e<br />

gegeben se<strong>in</strong> mag) a priori erkennen läßt; so würde dieses im ausnehmenden Verstande<br />

Antizipation genannt zu werden verdienen, weil es befremdlich sche<strong>in</strong>t, <strong>der</strong> Erfahrung <strong>in</strong><br />

demjenigen vorzugreifen, was gerade die Materie <strong>der</strong>selben angeht, die man nur aus ihr<br />

schöpfen kann. Und so verhält es sich hier wirklich.<br />

Die Apprehension, bloß vermittels <strong>der</strong> Empf<strong>in</strong>dung, erfüllt nur e<strong>in</strong>en Augenblick (wenn ich<br />

nämlich nicht die Sukzession vieler Empf<strong>in</strong>dungen <strong>in</strong> Betracht ziehe). Als etwas <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Ersche<strong>in</strong>ung, dessen Apprehension ke<strong>in</strong>e sukzessive Synthesis ist, die <strong>von</strong> Teilen zur<br />

ganzen Vorstellung fortgeht, hat sie also ke<strong>in</strong>e extensive Größe; <strong>der</strong> Mangel <strong>der</strong><br />

Empf<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> demselben Augenblicke würde diesen, als leer, vorstellen, mith<strong>in</strong> =0. Was<br />

nun <strong>in</strong> <strong>der</strong> empirischen Anschauung <strong>der</strong> Empf<strong>in</strong>dung korrespondiert, ist Realität (realitas<br />

phaenomenon); was dem Mangel <strong>der</strong>selben entspricht, Negation =0. Nun ist aber jede<br />

Empf<strong>in</strong>dung e<strong>in</strong>er Verr<strong>in</strong>gerung fähig, so daß sie abnehmen, und so allmählich<br />

68


verschw<strong>in</strong>den kann. Daher ist zwischen Realität <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung und Negation e<strong>in</strong><br />

kont<strong>in</strong>uierlicher Zusammenhang vieler möglichen Zwischenempf<strong>in</strong>dungen, <strong>der</strong>en<br />

Unterschied <strong>von</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> immer kle<strong>in</strong>er ist, als <strong>der</strong> Unterschied zwischen <strong>der</strong> gegebenen<br />

und dem Zero o<strong>der</strong> <strong>der</strong> gänzlichen Negation, d.i. das Reale <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung hat<br />

je<strong>der</strong>zeit e<strong>in</strong>e Größe, welche aber nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Apprehension angetroffen wird, <strong>in</strong>dem diese<br />

vermittels <strong>der</strong> bloßen Empf<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Augenblicke und nicht durch sukzessive<br />

Synthesis vieler Empf<strong>in</strong>dungen geschieht, und also nicht <strong>von</strong> den Teilen zum Ganzen<br />

geht; es hat also zwar e<strong>in</strong>e Größe, aber ke<strong>in</strong>e extensive.<br />

Nun nenne ich diejenige Größe, die nur als E<strong>in</strong>heit apprehendiert wird, und <strong>in</strong> welcher die<br />

Vielheit nur durch Annäherung zur Negation =0 vorgestellt werden kann, die <strong>in</strong>tensive<br />

Größe. Also hat jede Realität <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung <strong>in</strong>tensive Größe, d.i. e<strong>in</strong>en Grad. Wenn<br />

man diese Realität als Ursache (es sei <strong>der</strong> Empf<strong>in</strong>dung o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>er Realität <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Ersche<strong>in</strong>ung, z.B. e<strong>in</strong>er Verän<strong>der</strong>ung) betrachtet; so nennt man den Grad <strong>der</strong> Realität als<br />

Ursache, e<strong>in</strong> Moment, z.B. das Moment <strong>der</strong> Schwere, und zwar darum, weil <strong>der</strong> Grad nur<br />

die Größe bezeichnet, <strong>der</strong>en Apprehension nicht sukzessiv, son<strong>der</strong>n augenblicklich ist.<br />

Dieses berühre ich aber hier nur beiläufig, denn mit <strong>der</strong> Kausalität habe ich für jetzt noch<br />

nicht zu tun.<br />

So hat demnach jede Empf<strong>in</strong>dung, mith<strong>in</strong> auch jede Realität <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung, so kle<strong>in</strong><br />

sie auch se<strong>in</strong> mag, e<strong>in</strong>en Grad, d.i. e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive Größe, die noch immer verm<strong>in</strong><strong>der</strong>t<br />

werden kann, und zwischen Realität und Negation ist e<strong>in</strong> kont<strong>in</strong>uierlicher Zusammenhang<br />

möglicher Realitäten und möglicher kle<strong>in</strong>erer Wahrnehmungen. E<strong>in</strong>e jede Farbe, z. E. die<br />

rote, hat e<strong>in</strong>en Grad, <strong>der</strong>, so kle<strong>in</strong> er auch se<strong>in</strong> mag, niemals <strong>der</strong> kle<strong>in</strong>ste ist, und so ist es<br />

mit <strong>der</strong> Wärme, dem Moment <strong>der</strong> Schwere usw. überall bewandt.<br />

Die Eigenschaft <strong>der</strong> Größen, nach welcher an ihnen ke<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong> kle<strong>in</strong>stmögliche (ke<strong>in</strong> Teil<br />

e<strong>in</strong>fach) ist, heißt die Kont<strong>in</strong>uität <strong>der</strong>selben. Raum und Zeit s<strong>in</strong>d quanta cont<strong>in</strong>ua, weil ke<strong>in</strong><br />

Teil <strong>der</strong>selben gegeben werden kann, ohne ihn zwischen Grenzen (Punkten und<br />

Augenblicken) e<strong>in</strong>zuschließen, mith<strong>in</strong> nur so, daß dieser Teil selbst wie<strong>der</strong>um e<strong>in</strong> Raum,<br />

o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Zeit ist. Der Raum besteht also nur aus Räumen, die Zeit aus Zeiten. Punkte<br />

und Augenblicke s<strong>in</strong>d nur Grenzen, d.i. bloße Stellen ihrer E<strong>in</strong>schränkung; Stellen aber<br />

setzen je<strong>der</strong>zeit jene Anschauungen, die sie beschränken o<strong>der</strong> bestimmen sollen, voraus,<br />

und aus bloßen Stellen, als aus Bestandteilen, die noch vor dem Raume o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Zeit<br />

gegeben werden könnten, kann we<strong>der</strong> Raum noch Zeit zusammengesetzt werden.<br />

Dergleichen Größen kann man auch fließende nennen, weil die Synthesis (<strong>der</strong> produktiven<br />

E<strong>in</strong>bildungskraft) <strong>in</strong> ihrer Erzeugung e<strong>in</strong> Fortgang <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit ist, <strong>der</strong>en Kont<strong>in</strong>uität man<br />

beson<strong>der</strong>s durch den Ausdruck des Fließens (Verfließens) zu bezeichnen pflegt.<br />

Alle Ersche<strong>in</strong>ungen überhaupt s<strong>in</strong>d demnach kont<strong>in</strong>uierliche Größen, sowohl ihrer<br />

Anschauung nach als extensive, o<strong>der</strong> <strong>der</strong> bloßen Wahrnehmung (Empf<strong>in</strong>dung und mith<strong>in</strong><br />

Realität) nach als <strong>in</strong>tensive Größen. Wenn die Synthesis des Mannigfaltigen <strong>der</strong><br />

Ersche<strong>in</strong>ung unterbrochen ist, so ist dieses e<strong>in</strong> Aggregat <strong>von</strong> vielen Ersche<strong>in</strong>ungen (und<br />

nicht eigentlich Ersche<strong>in</strong>ung als e<strong>in</strong> Quantum), welches nicht durch die bloße Fortsetzung<br />

<strong>der</strong> produktiven Synthesis e<strong>in</strong>er gewissen Art, son<strong>der</strong>n durch Wie<strong>der</strong>holung e<strong>in</strong>er immer<br />

aufhörenden Synthesis erzeugt wird. Wenn ich 13 Taler e<strong>in</strong> Geldquantum nenne, so<br />

benenne ich es sofern richtig, als ich darunter den Gehalt <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er Mark fe<strong>in</strong> Silber<br />

verstehe, welche aber allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e kont<strong>in</strong>uierliche Größe ist, <strong>in</strong> welcher ke<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong><br />

kle<strong>in</strong>ste ist, son<strong>der</strong>n je<strong>der</strong> Teil e<strong>in</strong> Geldstück ausmachen könnte, welches immer Materie<br />

zu noch kle<strong>in</strong>eren enthielte. Wenn ich aber unter jener Benennung 13 runde Taler<br />

verstehe, als so viel Münzen (ihr Silbergehalt mag se<strong>in</strong>, welcher er wolle), so benenne ich<br />

es unschicklich durch e<strong>in</strong> Quantum <strong>von</strong> Talern, son<strong>der</strong>n muß es e<strong>in</strong> Aggregat, d.i. e<strong>in</strong>e<br />

Zahl Geldstücke nennen. Da nun bei aller Zahl doch E<strong>in</strong>heit zugrunde liegen muß, so ist<br />

die Ersche<strong>in</strong>ung als E<strong>in</strong>heit, e<strong>in</strong> Quantum und als e<strong>in</strong> solches je<strong>der</strong>zeit e<strong>in</strong> Kont<strong>in</strong>uum.<br />

69


Wenn nun alle Ersche<strong>in</strong>ungen, sowohl extensiv, als <strong>in</strong>tensiv betrachtet, kont<strong>in</strong>uierliche<br />

Größen s<strong>in</strong>d, so würde <strong>der</strong> Satz: daß auch alle Verän<strong>der</strong>ung (Übergang e<strong>in</strong>es D<strong>in</strong>ges aus<br />

e<strong>in</strong>em Zustande <strong>in</strong> den an<strong>der</strong>en) kont<strong>in</strong>uierlich se<strong>in</strong>, leicht und mit mathematischer<br />

Evidenz hier bewiesen werden können, wenn nicht die Kausalität e<strong>in</strong>er Verän<strong>der</strong>ung<br />

überhaupt ganz außerhalb den Grenzen e<strong>in</strong>er Transzendental-Philosophie läge und<br />

empirische Pr<strong>in</strong>zipien voraussetzte. Denn daß e<strong>in</strong>e Ursache möglich sei, welche den<br />

Zustand <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge verän<strong>der</strong>e, d.i. sie zum Gegenteil e<strong>in</strong>es gewissen gegebenen<br />

Zustandes bestimme, da<strong>von</strong> gibt uns <strong>der</strong> Verstand a priori gar ke<strong>in</strong>e Eröffnung; nicht bloß<br />

deswegen, weil er die Möglichkeit da<strong>von</strong> gar nicht e<strong>in</strong>sieht (denn diese E<strong>in</strong>sicht fehlt uns <strong>in</strong><br />

mehreren Erkenntnissen a priori), son<strong>der</strong>n weil die Verän<strong>der</strong>lichkeit nur gewisse<br />

Bestimmungen <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen trifft, welche die Erfahrung alle<strong>in</strong> lehren kann, <strong>in</strong>dessen<br />

daß ihre Ursache <strong>in</strong> dem Unverän<strong>der</strong>lichen anzutreffen ist. Da wir aber hier nichts vor uns<br />

haben, dessen wir uns bedienen können, als die <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Grundbegriffe aller möglichen<br />

Erfahrung, unter welchen durchaus nichts Empirisches se<strong>in</strong> muß, so können wir, ohne die<br />

E<strong>in</strong>heit des Systems zu verletzen, <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Naturwissenschaft, welche auf gewisse<br />

Grun<strong>der</strong>fahrungen gebaut ist, nicht vorgreifen. Gleichwohl mangelt es uns nicht an<br />

Beweistümern des großen E<strong>in</strong>flusses, den dieser unser Grundsatz hat, Wahrnehmungen<br />

zu antizipieren und sogar <strong>der</strong>en Mangel sofern zu ergänzen, daß er allen falschen<br />

Schlüssen, die daraus gezogen werden möchten, den Riegel vorschiebt.<br />

Wenn alle Realität <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wahrnehmung e<strong>in</strong>en Grad hat, zwischen dem und <strong>der</strong> Negation<br />

e<strong>in</strong>e unendliche Stufenfolge immer m<strong>in</strong><strong>der</strong>er Grade stattf<strong>in</strong>det, und gleichwohl e<strong>in</strong> je<strong>der</strong><br />

S<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>en bestimmten Grad <strong>der</strong> Rezeptivität <strong>der</strong> Empf<strong>in</strong>dungen haben muß, so ist ke<strong>in</strong>e<br />

Wahrnehmung, mith<strong>in</strong> auch ke<strong>in</strong>e Erfahrung möglich, die e<strong>in</strong>en gänzlichen Mangel alles<br />

Realen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung, es sei unmittelbar o<strong>der</strong> mittelbar (durch welchen Umschweif im<br />

Schließen als man immer wolle), bewiese, d.i. es kann aus <strong>der</strong> Erfahrung niemals e<strong>in</strong><br />

Beweis vom leeren Raume o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er leeren Zeit gezogen werden. Denn <strong>der</strong> gänzliche<br />

Mangel des Realen <strong>in</strong> <strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlichen Anschauung kann erstlich selbst nicht<br />

wahrgenommen werden, zweitens kann er aus ke<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zigen Ersche<strong>in</strong>ung und dem<br />

Unterschiede des Grades ihrer Realität gefolgert, o<strong>der</strong> darf auch zur Erklärung <strong>der</strong>selben<br />

niemals angenommen werden. Denn wenn auch die ganze Anschauung e<strong>in</strong>es bestimmten<br />

Raumes o<strong>der</strong> Zeit durch und durch real, d.i. ke<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong>selben leer ist: so muß es doch,<br />

weil jede Realität ihren Grad hat, <strong>der</strong>, bei unverän<strong>der</strong>ter extensiven Größe <strong>der</strong><br />

Ersche<strong>in</strong>ung bis zum Nichts (dem Leeren) durch unendliche Stufen abnehmen kann,<br />

unendlich verschiedene Grade, mit welchen Raum o<strong>der</strong> Zeit erfüllt s<strong>in</strong>d, geben und die<br />

<strong>in</strong>tensive Größe <strong>in</strong> verschiedenen Ersche<strong>in</strong>ungen kle<strong>in</strong>er o<strong>der</strong> größer se<strong>in</strong> können,<br />

obschon die extensive Größe <strong>der</strong> Anschauung gleich ist.<br />

Wir wollen e<strong>in</strong> Beispiel da<strong>von</strong> geben. Be<strong>in</strong>ahe alle Naturlehrer, da sie e<strong>in</strong>en großen<br />

Unterschied <strong>der</strong> Quantität <strong>der</strong> Materie <strong>von</strong> verschiedener Art unter gleichem Volumen (teils<br />

durch das Moment <strong>der</strong> Schwere o<strong>der</strong> des Gewichts, teils durch das Moment des<br />

Wi<strong>der</strong>standes gegen an<strong>der</strong>e bewegte Materien) wahrnehmen, schließen daraus<br />

e<strong>in</strong>stimmig: dieses Volumen (extensive Größe <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung) müsse <strong>in</strong> allen Materien,<br />

obzwar <strong>in</strong> verschiedenem Maße leer se<strong>in</strong>. Wer hätte aber <strong>von</strong> diesen größtenteils<br />

mathematischen und mechanischen Naturforschern sich wohl jemals e<strong>in</strong>fallen lassen, daß<br />

sie diesen ihren Schluß lediglich auf e<strong>in</strong>e metaphysische Voraussetzung, welche sie doch<br />

so sehr zu vermeiden vorgeben, gründeten, <strong>in</strong>dem sie annehmen, daß das Reale im<br />

Raume (ich mag es hier nicht Undurchdr<strong>in</strong>glichkeit o<strong>der</strong> Gewicht nennen, weil dieses<br />

empirische Begriffe s<strong>in</strong>d) allerwärts e<strong>in</strong>erlei sei und sich nur <strong>der</strong> extensiven Größe, d.i. <strong>der</strong><br />

Menge nach unterscheiden könne. Dieser Voraussetzung, dazu sie ke<strong>in</strong>en Grund <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Erfahrung haben konnten und die also bloß metaphysisch ist, setze ich e<strong>in</strong>en<br />

transzendentalen Beweis entgegen, <strong>der</strong> zwar den Unterschied <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erfüllung <strong>der</strong> Räume<br />

70


nicht erklären soll, aber doch die verme<strong>in</strong>te Notwendigkeit jener Voraussetzung,<br />

gedachten Unterschied nicht an<strong>der</strong>s wie durch anzunehmende leere Räume erklären zu<br />

können, völlig aufhebt und das Verdienst hat, den Verstand wenigstens <strong>in</strong> Freiheit zu<br />

versetzen, sich diese Verschiedenheit auch auf an<strong>der</strong>e Art zu denken, wenn die<br />

Naturerklärung hierzu irgende<strong>in</strong>e Hypothese notwendig machen sollte. Denn da sehen wir,<br />

daß, obschon gleiche Räume <strong>von</strong> verschiedenen Materien vollkommen erfüllt se<strong>in</strong> mögen,<br />

so, daß <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em <strong>von</strong> jenen e<strong>in</strong> Punkt ist, <strong>in</strong> welchem nicht ihre Gegenwart anzutreffen<br />

wäre, so habe doch jedes Reale bei <strong>der</strong>selben Qualität ihren Grad (des Wi<strong>der</strong>standes<br />

o<strong>der</strong> des Wiegens), welcher ohne Verm<strong>in</strong><strong>der</strong>ung <strong>der</strong> extensiven Größe o<strong>der</strong> Menge <strong>in</strong>s<br />

Unendliche kle<strong>in</strong>er se<strong>in</strong> kann, ehe sie <strong>in</strong> das Leere übergeht und verschw<strong>in</strong>det. So kann<br />

e<strong>in</strong>e Ausspannung, die e<strong>in</strong>en Raum erfüllt, z.B. Wärme, und auf gleiche Weise jede<br />

an<strong>der</strong>e Realität (<strong>in</strong> <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung), ohne im m<strong>in</strong>desten den kle<strong>in</strong>sten Teil dieses<br />

Raumes leer zu lassen, <strong>in</strong> ihren Graden <strong>in</strong>s Unendliche abnehmen, und<br />

nichtsdestoweniger den Raum mit diesen kle<strong>in</strong>eren Graden ebensowohl erfüllen, als e<strong>in</strong>e<br />

an<strong>der</strong>e Ersche<strong>in</strong>ung mit größeren. Me<strong>in</strong>e Absicht ist hier ke<strong>in</strong>eswegs, zu behaupten, daß<br />

dieses wirklich mit <strong>der</strong> Verschiedenheit <strong>der</strong> Materien, ihrer spezifischen Schwere nach, so<br />

bewandt sei, son<strong>der</strong>n nur aus e<strong>in</strong>em Grundsatze des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes darzutun: daß die<br />

Natur unserer Wahrnehmungen e<strong>in</strong>e solche Erklärungsart möglich mache, und daß man<br />

fälschlich das Reale <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung dem Grade nach, als gleich, und nur <strong>der</strong><br />

Aggregation und <strong>der</strong>en extensiven Größe nach, als verschieden annehme, und dieses<br />

sogar vorgeblichermaßen durch e<strong>in</strong>en Grundsatz des Verstandes a priori behaupte.<br />

Es hat gleichwohl diese Antizipation <strong>der</strong> Wahrnehmung etwas für e<strong>in</strong>en <strong>der</strong><br />

transzendentalen Überlegung gewohnten und dadurch behutsam gewordenen<br />

Nachforscher immer etwas Auffallendes an sich, und erregt darüber e<strong>in</strong>iges Bedenken,<br />

daß <strong>der</strong> Verstand e<strong>in</strong>en <strong>der</strong>gleichen synthetischen Satz, als <strong>der</strong> <strong>von</strong> dem Grad alles<br />

Realen <strong>in</strong> den Ersche<strong>in</strong>ungen ist, und mith<strong>in</strong> <strong>der</strong> Möglichkeit des <strong>in</strong>neren Unterschiedes<br />

<strong>der</strong> Empf<strong>in</strong>dung selbst, wenn man <strong>von</strong> ihrer empirischen Qualität abstrahiert und es ist<br />

also noch e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Auflösung nicht unwürdige Frage: wie <strong>der</strong> Verstand hier<strong>in</strong> synthetisch<br />

über Ersche<strong>in</strong>ungen a priori aussprechen, und diese sogar <strong>in</strong> demjenigen, was eigentlich,<br />

und bloß empirisch ist, nämlich die Empf<strong>in</strong>dung angeht, antizipieren könne.<br />

Die Qualität <strong>der</strong> Empf<strong>in</strong>dung ist je<strong>der</strong>zeit bloß empirisch und kann a priori gar nicht<br />

vorgestellt werden (z.B. Farben, Geschmack usw.). Aber das Reale, was den<br />

Empf<strong>in</strong>dungen überhaupt korrespondiert, im Gegensatz mit <strong>der</strong> Negation =0 stellt nur<br />

etwas vor, dessen Begriff an sich e<strong>in</strong> Se<strong>in</strong> enthält und bedeutet nichts als die Synthesis <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em empirischen Bewußtse<strong>in</strong> überhaupt. In dem <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>n nämlich kann das<br />

empirische Bewußtse<strong>in</strong> <strong>von</strong> 0 bis zu jedem größeren Grade erhöht werden, so daß eben<br />

dieselbe extensive Größe <strong>der</strong> Anschauung (z.B. erleuchtete Fläche) so große Empf<strong>in</strong>dung<br />

erregt, als e<strong>in</strong> Aggregat <strong>von</strong> vielem an<strong>der</strong>en (m<strong>in</strong><strong>der</strong> erleuchteten) zusammen. Man kann<br />

also <strong>von</strong> <strong>der</strong> extensiven Größe <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung gänzlich abstrahieren, und sich doch an<br />

<strong>der</strong> bloßen Empf<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Moment e<strong>in</strong>e Synthesis <strong>der</strong> gleichförmigen Steigerung<br />

<strong>von</strong> 0 bis zu dem gegebenen empirischen Bewußtse<strong>in</strong> vorstellen. Alle Empf<strong>in</strong>dungen<br />

werden daher, als solche, zwar nur a posteriori gegeben, aber die Eigenschaft <strong>der</strong>selben,<br />

daß sie e<strong>in</strong>en Grad haben, kann a priori erkannt werden. Es ist merkwürdig, daß wir an<br />

Größen überhaupt a priori nur e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige Qualität, nämlich die Kont<strong>in</strong>uität, an aller<br />

Qualität aber (dem Realen <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen) nichts weiter a priori, als die <strong>in</strong>tensive<br />

Quantität <strong>der</strong>selben, nämlich, daß sie e<strong>in</strong>en Grad haben, erkennen können, alles übrige<br />

bleibt <strong>der</strong> Erfahrung überlassen.<br />

71


3. Die Analogien <strong>der</strong> Erfahrung<br />

Der allgeme<strong>in</strong>e Grundsatz <strong>der</strong>selben ist: Alle Ersche<strong>in</strong>ungen stehen, ihrem Dase<strong>in</strong> nach, a<br />

priori unter Regeln <strong>der</strong> Bestimmung ihres Verhältnisses untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zeit.<br />

Die drei modi <strong>der</strong> Zeit s<strong>in</strong>d Beharrlichkeit, Folge und Zugleichse<strong>in</strong>. Daher werden drei<br />

Regeln aller Zeitverhältnisse <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen, wonach je<strong>der</strong> ihr Dase<strong>in</strong> <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>heit aller Zeit bestimmt werden kann, vor aller Erfahrung vorangehen und diese<br />

allererst möglich machen.<br />

Der allgeme<strong>in</strong>e Grundsatz aller drei Analogien beruht auf <strong>der</strong> notwendigen E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong><br />

Apperzeption, <strong>in</strong> Ansehung alles möglichen empirischen Bewußtse<strong>in</strong>s (<strong>der</strong><br />

Wahrnehmung), zu je<strong>der</strong> Zeit, folglich, da jene a priori zugrunde liegt, auf <strong>der</strong><br />

synthetischen E<strong>in</strong>heit aller Ersche<strong>in</strong>ungen nach ihrem Verhältnisse <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit. Denn die<br />

ursprüngliche Apperzeption bezieht sich auf den <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>n (den Inbegriff aller<br />

Vorstellungen), und zwar a priori auf die Form desselben, d.i. das Verhältnis des<br />

mannigfaltigen empirischen Bewußtse<strong>in</strong>s <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit. In <strong>der</strong> ursprünglichen Apperzeption<br />

soll nun alles dieses Mannigfaltige, se<strong>in</strong>en Zeitverhältnissen nach, vere<strong>in</strong>igt werden; denn<br />

dieses sagt die transzendentale E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong>selben a priori, unter welcher alles steht, was<br />

zu me<strong>in</strong>em (d.i. me<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>igen) Erkenntnisse gehören soll, mith<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Gegenstand für<br />

mich werden kann. Diese synthetische E<strong>in</strong>heit <strong>in</strong> dem Zeitverhältnisse aller<br />

Wahrnehmungen, welche a priori bestimmt ist, ist also das Gesetz: daß alle empirischen<br />

Zeitbestimmungen unter Regeln <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Zeitbestimmung stehen müssen, und die<br />

Analogien <strong>der</strong> Erfahrung, <strong>von</strong> denen wir jetzt handeln wollen, müssen <strong>der</strong>gleichen Regeln<br />

se<strong>in</strong>.<br />

Diese Grundsätze haben das Beson<strong>der</strong>e an sich, daß sie nicht die Ersche<strong>in</strong>ungen, und die<br />

Synthesis ihrer empirischen Anschauung, son<strong>der</strong>n bloß das Dase<strong>in</strong>, und ihr Verhältnis<br />

untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, <strong>in</strong> Ansehung dieses ihres Dase<strong>in</strong>s erwägen. Nun kann die Art, wie etwas <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung apprehendiert wird, a priori <strong>der</strong>gestalt bestimmt se<strong>in</strong>, daß die Regel ihrer<br />

Synthesis zugleich diese Anschauung a priori <strong>in</strong> jedem vorliegenden empirischen Beispiele<br />

geben: d.i. sie daraus zustande br<strong>in</strong>gen kann. Alle<strong>in</strong> das Dase<strong>in</strong> <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen kann<br />

a priori nicht erkannt werden, und, ob wir gleich auf diesem Wege dah<strong>in</strong> gelangen<br />

könnten, auf irgende<strong>in</strong> Dase<strong>in</strong> zu schließen, so würden wir dieses doch nicht bestimmt<br />

erkennen, d.i. das, wodurch se<strong>in</strong>e empirische Anschauung sich <strong>von</strong> an<strong>der</strong>en unterschiede,<br />

antizipieren können.<br />

Die vorigen zwei Grundsätze, welche ich die mathematischen nannte, <strong>in</strong> Betracht dessen,<br />

daß sie die Mathematik auf Ersche<strong>in</strong>ungen anzuwenden berechtigten, g<strong>in</strong>gen auf<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen ihrer bloßen Möglichkeit nach, und lehrten, wie sie sowohl ihrer<br />

Anschauung, als dem Realen ihrer Wahrnehmung nach, nach Regeln e<strong>in</strong>er<br />

mathematischen Synthesis erzeugt werden könnten: daher sowohl bei <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en, als bei<br />

<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en die Zahlgrößen, und, mit ihnen, die Bestimmung <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung als Größe,<br />

gebraucht werden können. So werde ich z.B. den Grad <strong>der</strong> Empf<strong>in</strong>dungen des<br />

Sonnenlichts aus etwa 200 000 Erleuchtungen durch den Mond zusammensetzen und a<br />

priori bestimmt geben, d.i. konstruieren können. Daher können wir die ersteren<br />

Grundsätze konstitutive nennen.<br />

Ganz an<strong>der</strong>s muß es mit denen bewandt se<strong>in</strong>, die das Dase<strong>in</strong> <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen a priori<br />

unter Regeln br<strong>in</strong>gen sollen. Denn, da dieses sich nicht konstruieren läßt, so werden sie<br />

nur auf das Verhältnis des Dase<strong>in</strong>s gehen und ke<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e als bloß regulative Pr<strong>in</strong>zipien<br />

abgeben können. Da ist also we<strong>der</strong> an Axiome, noch an Antizipationen zu denken,<br />

son<strong>der</strong>n, wenn uns e<strong>in</strong>e Wahrnehmung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Zeitverhältnisse gegen an<strong>der</strong>e (obzwar<br />

unbestimmte) gegeben ist, so wird a priori nicht gesagt werden können: welche an<strong>der</strong>e<br />

72


und wie große Wahrnehmung, son<strong>der</strong>n, wie sie dem Dase<strong>in</strong> nach, <strong>in</strong> diesem modo <strong>der</strong><br />

Zeit mit jener notwendig verbunden sei. In <strong>der</strong> Philosophie bedeuten Analogien etwas sehr<br />

Verschiedenes <strong>von</strong> demjenigen, was sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mathematik vorstellen. In dieser s<strong>in</strong>d es<br />

Formeln, welche die Gleichheit zweier Größenverhältnisse aussagen, und je<strong>der</strong>zeit<br />

konstitutiv, so, daß, wenn drei Glie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Proportion gegeben s<strong>in</strong>d, auch das vierte<br />

dadurch gegeben wird, d.i. konstruiert werden kann. In <strong>der</strong> Philosophie aber ist die<br />

Analogie nicht die Gleichheit zweier quantitativen, son<strong>der</strong>n qualitativen Verhältnisse, wo<br />

ich aus drei gegebenen Glie<strong>der</strong>n nur das Verhältnis zu e<strong>in</strong>em vierten, nicht aber dieses<br />

vierte Glied selbst erkennen und a priori geben kann, wohl aber e<strong>in</strong>e Regel habe, es <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Erfahrung zu suchen, und e<strong>in</strong> Merkmal, es <strong>in</strong> <strong>der</strong>selben aufzuf<strong>in</strong>den. E<strong>in</strong>e Analogie <strong>der</strong><br />

Erfahrung wird also nur e<strong>in</strong>e Regel se<strong>in</strong>, nach welcher aus Wahrnehmungen E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong><br />

Erfahrung (nicht wie Wahrnehmung selbst, als empirische Anschauung überhaupt)<br />

entspr<strong>in</strong>gen soll, und als Grundsatz <strong>von</strong> den Gegenständen (den Ersche<strong>in</strong>ungen) nicht<br />

konstitutiv, son<strong>der</strong>n bloß regulativ gelten. Eben dasselbe aber wird auch <strong>von</strong> den<br />

Postulaten des empirischen Denkens überhaupt, welche die Synthesis <strong>der</strong> bloßen<br />

Anschauung (<strong>der</strong> Form <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung), <strong>der</strong> Wahrnehmung (<strong>der</strong> Materie <strong>der</strong>selben) und<br />

<strong>der</strong> Erfahrung (des Verhältnisses dieser Wahrnehmungen) zusammen betreffen, gelten,<br />

nämlich, daß sie nur regulative Grundsätze s<strong>in</strong>d und sich <strong>von</strong> den mathematischen, die<br />

konstitutiv s<strong>in</strong>d, zwar nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gewißheit, welche <strong>in</strong> beiden a priori feststeht, aber doch<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Art <strong>der</strong> Evidenz, d.i. dem Intuitiven <strong>der</strong>selben (mith<strong>in</strong> auch <strong>der</strong> Demonstration)<br />

unterscheiden.<br />

Was aber bei allen synthetischen Grundsätzen er<strong>in</strong>nert ward und hier vorzüglich<br />

angemerkt werden muß, ist dieses: daß diese Analogien nicht als Grundsätze des<br />

transzendentalen, son<strong>der</strong>n bloß des empirischen Verstandesgebrauchs, ihre alle<strong>in</strong>ige<br />

Bedeutung und Gültigkeit haben, mith<strong>in</strong> auch nur als solche bewiesen werden können,<br />

daß folglich die Ersche<strong>in</strong>ungen nicht unter die Kategorien schlechth<strong>in</strong>, son<strong>der</strong>n nur unter<br />

ihre Schemate subsumiert werden müssen. Denn wären die Gegenstände, auf welche<br />

diese Grundsätze bezogen werden sollen, D<strong>in</strong>ge an sich selbst, so wäre es ganz<br />

unmöglich, etwas <strong>von</strong> ihnen a priori synthetisch zu erkennen. Nun s<strong>in</strong>d es nichts als<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen, <strong>der</strong>en vollständige Erkenntnis, auf die alle Grundsätze a priori zuletzt doch<br />

immer auslaufen müssen, lediglich die mögliche Erfahrung ist; folglich können jene nichts,<br />

als bloß die Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit des empirischen Erkenntnisses <strong>in</strong> <strong>der</strong> Synthesis <strong>der</strong><br />

Ersche<strong>in</strong>ungen zum Ziele haben; diese aber wird nur alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> dem Schema des <strong>re<strong>in</strong>en</strong><br />

Verstandesbegriffs gedacht, <strong>von</strong> <strong>der</strong>en E<strong>in</strong>heit, als e<strong>in</strong>er Synthesis überhaupt, die<br />

Kategorie die durch ke<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nliche Bed<strong>in</strong>gung restr<strong>in</strong>gierte Funktion enthält. Wir werden<br />

also durch diese Grundsätze, die Ersche<strong>in</strong>ungen nur nach e<strong>in</strong>er Analogie, mit <strong>der</strong><br />

logischen und allgeme<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Begriffe, zusammenzusetzen berechtigt werden,<br />

und daher uns <strong>in</strong> dem Grundsatze selbst zwar <strong>der</strong> Kategorie bedienen, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ausführung<br />

aber (<strong>der</strong> Anwendung auf Ersche<strong>in</strong>ungen) das Schema <strong>der</strong>selben, als den Schlüssel ihres<br />

Gebrauchs an dessen Stelle, o<strong>der</strong> jener vielmehr, als restr<strong>in</strong>gierende Bed<strong>in</strong>gung, unter<br />

dem Namen e<strong>in</strong>er Formel des ersteren zur Seite setzen.<br />

73


A. Erste Analogie: Grundsatz <strong>der</strong> Beharrlichkeit<br />

Alle Ersche<strong>in</strong>ungen enthalten das Beharrliche (Substanz) als den Gegenstand selbst und<br />

das Wandelbare, als dessen bloße Bestimmung, d.i. e<strong>in</strong>e Art, wie <strong>der</strong> Gegenstand<br />

existiert.<br />

Beweis dieser ersten Analogie<br />

Alle Ersche<strong>in</strong>ungen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit. Diese kann auf zweifache Weise das Verhältnis im<br />

Dase<strong>in</strong> <strong>der</strong>selben bestimmen, entwe<strong>der</strong> sofern sie nache<strong>in</strong>an<strong>der</strong> o<strong>der</strong> zugleich s<strong>in</strong>d. In<br />

Betracht <strong>der</strong> ersteren wird die Zeit, als Zeitreihe, <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong> zweiten als Zeitumfang<br />

betrachtet.<br />

Unsere Apprehension des Mannigfaltigen <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung ist je<strong>der</strong>zeit sukzessiv und ist<br />

also immer wechselnd. Wir können also dadurch alle<strong>in</strong> niemals bestimmen, ob dieses<br />

Mannigfaltige, als Gegenstand <strong>der</strong> Erfahrung, zugleich sei, o<strong>der</strong> nache<strong>in</strong>an<strong>der</strong> folge, wo<br />

an ihr nicht etwas zugrunde liegt, was je<strong>der</strong>zeit ist, d.i. etwas Bleibendes und Beharrliches,<br />

<strong>von</strong> welchem aller Wechsel und Zugleichse<strong>in</strong> nichts, als so viel Arten (modi <strong>der</strong> Zeit) s<strong>in</strong>d,<br />

wie das Beharrliche existiert. Nur <strong>in</strong> dem Beharrlichen s<strong>in</strong>d also Zeitverhältnisse möglich<br />

(denn Simultaneität und Sukzession s<strong>in</strong>d die e<strong>in</strong>zigen Verhältnisse <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit), d.i. das<br />

Beharrliche ist das Substratum <strong>der</strong> empirischen Vorstellung <strong>der</strong> Zeit selbst, an welchem<br />

alle Zeitbestimmung alle<strong>in</strong> möglich ist. Die Beharrlichkeit drückt überhaupt die Zeit, als das<br />

beständige Korrelatum alles Dase<strong>in</strong>s <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen, alles Wechsels und aller<br />

Begleitung, aus. Denn <strong>der</strong> Wechsel trifft die Zeit selbst nicht, son<strong>der</strong>n nur die<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit (so wie das Zugleichse<strong>in</strong> nicht e<strong>in</strong> modus <strong>der</strong> Zeit selbst ist, als<br />

<strong>in</strong> welcher gar ke<strong>in</strong>e Teile zugleich, son<strong>der</strong>n alle nache<strong>in</strong>an<strong>der</strong> s<strong>in</strong>d). Wollte man <strong>der</strong> Zeit<br />

selbst e<strong>in</strong>e Folge nache<strong>in</strong>an<strong>der</strong> beilegen, so müßte man noch e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Zeit denken, <strong>in</strong><br />

welcher diese Folge möglich wäre. Durch das Beharrliche alle<strong>in</strong> bekommt das Dase<strong>in</strong> <strong>in</strong><br />

verschiedenen Teilen <strong>der</strong> Zeitreihe nache<strong>in</strong>an<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Größe, die man Dauer nennt. Denn<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> bloßen Folge alle<strong>in</strong> ist das Dase<strong>in</strong> immer verschw<strong>in</strong>dend und anhebend und hat<br />

niemals die m<strong>in</strong>deste Größe. Ohne dieses Beharrliche ist also ke<strong>in</strong> Zeitverhältnis. Nun<br />

kann die Zeit an sich selbst nicht wahrgenommen werden; mith<strong>in</strong> ist dieses Beharrliche an<br />

den Ersche<strong>in</strong>ungen das Substratum aller Zeitbestimmung, folglich auch die Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong><br />

Möglichkeit aller synthetischen E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Wahrnehmungen, d.i. <strong>der</strong> Erfahrung, und an<br />

diesem Beharrlichen kann alles Dase<strong>in</strong> und aller Wechsel <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit nur als e<strong>in</strong> modus <strong>der</strong><br />

Existenz dessen, was bleibt und beharrt, angesehen werden. Also ist <strong>in</strong> allen<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen das Beharrliche <strong>der</strong> Gegenstand selbst, d.i. die Substanz (phaenomenon);<br />

alles aber, was wechselt o<strong>der</strong> wechseln kann, gehört nur zu <strong>der</strong> Art, wie diese Substanz<br />

o<strong>der</strong> Substanzen existieren, mith<strong>in</strong> zu ihren Bestimmungen.<br />

Ich f<strong>in</strong>de, daß zu allen Zeiten nicht bloß <strong>der</strong> Philosoph, son<strong>der</strong>n selbst <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>e<br />

Verstand diese Beharrlichkeit, als e<strong>in</strong> Substratum alles Wechsels <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen,<br />

vorausgesetzt haben und auch je<strong>der</strong>zeit als ungezweifelt annehmen werden, nur daß <strong>der</strong><br />

Philosoph sich hierüber etwas bestimmter ausdrückt, <strong>in</strong>dem er sagt: bei allen<br />

Verän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt bleibt die Substanz, und nur die Akzidenzen wechseln. Ich<br />

treffe aber <strong>von</strong> diesem so synthetischen Satze nirgends auch nur den Versuch <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Beweise; ja er steht auch nur selten, wie es ihm doch gebührt, an <strong>der</strong> Spitze <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong><br />

und völlig a priori bestehenden Gesetze <strong>der</strong> Natur. In <strong>der</strong> Tat ist <strong>der</strong> Satz: daß die<br />

Substanz beharrlich sei, tautologisch. Denn bloß diese Beharrlichkeit ist <strong>der</strong> Grund, warum<br />

wir auf die Ersche<strong>in</strong>ung die Kategorie <strong>der</strong> Substanz anwenden und man hätte beweisen<br />

müssen: daß <strong>in</strong> allen Ersche<strong>in</strong>ungen etwas Beharrliches sei, an welchem das Wandelbare<br />

nichts als Bestimmung se<strong>in</strong>es Dase<strong>in</strong>s ist. Da aber e<strong>in</strong> solcher Beweis niemals<br />

dogmatisch, d.i. aus Begriffen geführt werden kann, weil er e<strong>in</strong>en synthetischen Satz a<br />

74


priori betrifft, und man niemals daran dachte, daß <strong>der</strong>gleichen Sätze nur <strong>in</strong> Beziehung auf<br />

mögliche Erfahrung gültig s<strong>in</strong>d, mith<strong>in</strong> auch nur durch e<strong>in</strong>e Deduktion <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong><br />

letzteren bewiesen werden können; so ist ke<strong>in</strong> Wun<strong>der</strong>, wenn er zwar bei aller Erfahrung<br />

zugrunde gelegt (weil man dessen Bedürfnis bei <strong>der</strong> empirischen Erkenntnis fühlt),<br />

niemals aber bewiesen worden ist.<br />

E<strong>in</strong> Philosoph wurde gefragt: wieviel wiegt <strong>der</strong> Rauch? Er antwortete: ziehe <strong>von</strong> dem<br />

Gewichte des verbrannten Holzes das Gewicht <strong>der</strong> übrigbleibenden Asche ab, so hast du<br />

das Gewicht des Rauchs. Er setzte also als unwi<strong>der</strong>sprechlich voraus: daß, selbst im<br />

Feuer, die Materie (Substanz) nicht vergehe, son<strong>der</strong>n nur die Form <strong>der</strong>selben e<strong>in</strong>e<br />

Abän<strong>der</strong>ung erleide. Ebenso war <strong>der</strong> Satz: aus nichts wird nichts, nur e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er<br />

Folgesatz aus dem Grundsatze <strong>der</strong> Beharrlichkeit, o<strong>der</strong> vielmehr des immerwährenden<br />

Dase<strong>in</strong>s des eigentlichen Subjekts an den Ersche<strong>in</strong>ungen. Denn, wenn dasjenige an <strong>der</strong><br />

Ersche<strong>in</strong>ung, was man Substanz nennen will, das eigentliche Substratum aller<br />

Zeitbestimmung se<strong>in</strong> soll, so muß sowohl alles Dase<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> vergangenen, als das <strong>der</strong><br />

künftigen Zeit, daran e<strong>in</strong>zig und alle<strong>in</strong> bestimmt werden können. Daher können wir e<strong>in</strong>er<br />

Ersche<strong>in</strong>ung nur darum den Namen Substanz geben, weil wir ihr Dase<strong>in</strong> zu aller Zeit<br />

voraussetzen, welches durch das Wort Beharrlichkeit nicht e<strong>in</strong>mal wohl ausgedrückt wird,<br />

<strong>in</strong>dem dieses mehr auf künftige Zeit geht. Indessen ist die <strong>in</strong>nere Notwendigkeit zu<br />

beharren, doch unzertrennlich mit <strong>der</strong> Notwendigkeit, immer gewesen zu se<strong>in</strong>, verbunden,<br />

und <strong>der</strong> Ausdruck mag also bleiben. Gigni de nihilo nihil, <strong>in</strong> nihilum nil posse reverti, waren<br />

zwei Sätze, welche die Alten unzertrennt verknüpften, und die man aus Mißverstand jetzt<br />

bisweilen trennt, weil man sich vorstellt, daß sie D<strong>in</strong>ge an sich selbst angehen und <strong>der</strong><br />

erstere <strong>der</strong> Abhängigkeit <strong>der</strong> Welt <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er obersten Ursache (auch sogar ihrer Substanz<br />

nach) entgegen se<strong>in</strong> dürfte, welche Besorgnis unnötig ist, <strong>in</strong>dem hier nur <strong>von</strong><br />

Ersche<strong>in</strong>ungen im Felde <strong>der</strong> Erfahrung die Rede ist, <strong>der</strong>en E<strong>in</strong>heit niemals möglich se<strong>in</strong><br />

würde, wenn wir neue D<strong>in</strong>ge (<strong>der</strong> Substanz nach) wollten entstehen lassen. Denn alsdann<br />

fiele dasjenige weg, welches die E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Zeit alle<strong>in</strong> vorstellen kann, nämlich, die<br />

Identität des Substratum, als woran aller Wechsel alle<strong>in</strong> durchgängige E<strong>in</strong>heit hat. Diese<br />

Beharrlichkeit ist <strong>in</strong>des doch weiter nichts, als die Art, uns das Dase<strong>in</strong> <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge (<strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Ersche<strong>in</strong>ung) vorzustellen.<br />

Die Bestimmungen e<strong>in</strong>er Substanz, die nichts an<strong>der</strong>es s<strong>in</strong>d, als beson<strong>der</strong>e Arten<br />

<strong>der</strong>selben, zu existieren, heißen Akzidenzen. Sie s<strong>in</strong>d je<strong>der</strong>zeit real, weil sie das Dase<strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Substanz betreffen (Negationen s<strong>in</strong>d nur Bestimmungen, die das Nichtse<strong>in</strong> <strong>von</strong> etwas<br />

an <strong>der</strong> Substanz ausdrücken). Wenn man nun diesem Realen an <strong>der</strong> Substanz e<strong>in</strong><br />

beson<strong>der</strong>es Dase<strong>in</strong> beigelegt (z.E. <strong>der</strong> Bewegung als e<strong>in</strong>em Akzidens <strong>der</strong> Materie), so<br />

nennt man dieses Dase<strong>in</strong> die Inhärenz, zum Unterschiede vom Dase<strong>in</strong> <strong>der</strong> Substanz, das<br />

man Subsistenz nennt. Alle<strong>in</strong> hieraus entspr<strong>in</strong>gen viel Mißdeutungen und es ist genauer<br />

und richtiger geredet, wenn man das Akzidens nur durch die Art, wie das Dase<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Substanz positiv bestimmt ist, bezeichnet. Indessen ist es doch, vermöge <strong>der</strong><br />

Bed<strong>in</strong>gungen des logischen Gebrauchs unseres Verstandes, unvermeidlich, dasjenige,<br />

was im Dase<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Substanz wechseln kann, <strong>in</strong>dessen, daß die Substanz bleibt,<br />

gleichsam abzuson<strong>der</strong>n und <strong>in</strong> Verhältnis auf das eigentlich Beharrliche und Radikale zu<br />

betrachten; daher denn auch diese Kategorie unter dem Titel <strong>der</strong> Verhältnisse steht, mehr,<br />

als die Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong>selben, als daß sie selbst e<strong>in</strong> Verhältnis enthielte.<br />

Auf dieser Beharrlichkeit gründet sich nun auch die Berichtigung des Begriffs <strong>von</strong><br />

Verän<strong>der</strong>ung. Entstehen und Vergehen s<strong>in</strong>d nicht Verän<strong>der</strong>ungen desjenigen, was<br />

entsteht o<strong>der</strong> vergeht. Verän<strong>der</strong>ung ist e<strong>in</strong>e Art zu existieren, welche auf e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Art<br />

zu existieren eben desselben Gegenstandes erfolgt. Daher ist alles, was sich verän<strong>der</strong>t,<br />

bleibend, und nur se<strong>in</strong> Zustand wechselt. Da dieser Wechsel also nur die Bestimmungen<br />

trifft, die aufhören o<strong>der</strong> auch anheben können, so können wir, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em etwas paradox<br />

75


sche<strong>in</strong>enden Ausdruck sagen: nur das Beharrliche (die Substanz) wird verän<strong>der</strong>t, das<br />

Wandelbare erleidet ke<strong>in</strong>e Verän<strong>der</strong>ung, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>en Wechsel, da e<strong>in</strong>ige Bestimmungen<br />

aufhören, und an<strong>der</strong>e anheben.<br />

Verän<strong>der</strong>ung kann daher nur an Substanzen wahrgenommen werden, und das Entstehen<br />

o<strong>der</strong> Vergehen, schlechth<strong>in</strong>, ohne daß es bloß e<strong>in</strong>e Bestimmung des Beharrlichen<br />

betreffe, kann gar ke<strong>in</strong>e mögliche Wahrnehmung se<strong>in</strong>, weil eben dieses Beharrliche die<br />

Vorstellung <strong>von</strong> dem Übergange aus e<strong>in</strong>em Zustande <strong>in</strong> den an<strong>der</strong>en, und <strong>von</strong> Nichtse<strong>in</strong>,<br />

zum Se<strong>in</strong>, möglich macht, die also nur als wechselnde Bestimmungen dessen, was bleibt,<br />

empirisch erkannt werden können. Nehmet an, daß etwas schlechth<strong>in</strong> anfange zu se<strong>in</strong>, so<br />

müßt ihr e<strong>in</strong>en Zeitpunkt haben, <strong>in</strong> dem es nicht war. Woran wollt ihr aber diesen heften,<br />

wenn nicht an demjenigen, was schon da ist? Denn e<strong>in</strong>e leere Zeit, die vorherg<strong>in</strong>ge, ist<br />

ke<strong>in</strong> Gegenstand <strong>der</strong> Wahrnehmung; knüpft ihr dieses Entstehen aber an D<strong>in</strong>ge, die<br />

vorher waren, und bis zu dem, was entsteht, fortdauern, so war das letztere nur e<strong>in</strong>e<br />

Bestimmung des ersteren, als des Beharrlichen. Ebenso ist es auch mit dem Vergehen:<br />

denn dieses setzt die empirische Vorstellung e<strong>in</strong>er Zeit voraus, da e<strong>in</strong>e Ersche<strong>in</strong>ung nicht<br />

mehr ist.<br />

Substanzen (<strong>in</strong> <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung) s<strong>in</strong>d die Substrate aller Zeitbestimmungen. Das<br />

Entstehen e<strong>in</strong>iger, und das Vergehen an<strong>der</strong>er <strong>der</strong>selben würde selbst die e<strong>in</strong>zige<br />

Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> empirischen E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Zeit aufheben, und die Ersche<strong>in</strong>ungen würden sich<br />

alsdann auf zweierlei Zeit beziehen, <strong>in</strong> denen nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> das Dase<strong>in</strong> verflösse,<br />

welches ungereimt ist. Denn es ist nur e<strong>in</strong>e Zeit, <strong>in</strong> welcher alle verschiedenen Zeiten nicht<br />

zugleich, son<strong>der</strong>n nache<strong>in</strong>an<strong>der</strong> gesetzt werden müssen.<br />

So ist demnach die Beharrlichkeit e<strong>in</strong>e notwendige Bed<strong>in</strong>gung, unter welcher alle<strong>in</strong><br />

Ersche<strong>in</strong>ungen, als D<strong>in</strong>ge o<strong>der</strong> Gegenstände, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er möglichen Erfahrung bestimmbar<br />

s<strong>in</strong>d. Was aber das empirische Kriterium dieser notwendigen Beharrlichkeit und mit ihr <strong>der</strong><br />

Substantialität <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen sei, da<strong>von</strong> wird uns die Folge Gelegenheit geben, das<br />

Nötige anzumerken.<br />

B. Zweite Analogie: Grundsatz <strong>der</strong> Erzeugung<br />

Alles, was geschieht (anhebt zu se<strong>in</strong>) setzt etwas voraus, worauf es nach e<strong>in</strong>er Regel<br />

folgt.<br />

Beweis<br />

Die Apprehension des Mannigfaltigen <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung ist je<strong>der</strong>zeit sukzessiv. Die<br />

Vorstellungen <strong>der</strong> Teile folgen aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong>. Ob sie sich auch im Gegenstande folgen, ist<br />

e<strong>in</strong> zweiter Punkt <strong>der</strong> Reflexion, <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> ersteren nicht enthalten ist. Nun kann man zwar<br />

alles, und sogar jede Vorstellung, sofern man sich ihrer bewußt ist, Objekt nennen; alle<strong>in</strong><br />

was dieses Wort bei Ersche<strong>in</strong>ungen zu bedeuten habe, nicht, <strong>in</strong>sofern sie (als<br />

Vorstellungen) Objekte s<strong>in</strong>d, son<strong>der</strong>n nur e<strong>in</strong> Objekt bezeichnen, ist <strong>von</strong> tieferer<br />

Untersuchung. Sofern sie, nur als Vorstellungen zugleich Gegenstände des Bewußtse<strong>in</strong>s<br />

s<strong>in</strong>d, so s<strong>in</strong>d sie <strong>von</strong> <strong>der</strong> Apprehension, d.i. <strong>der</strong> Aufnahme <strong>in</strong> die Synthesis <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>bildungskraft, gar nicht unterschieden, und man muß also sagen: das Mannigfaltige <strong>der</strong><br />

Ersche<strong>in</strong>ungen wird im Gemüt je<strong>der</strong>zeit sukzessiv erzeugt. Wären Ersche<strong>in</strong>ungen D<strong>in</strong>ge<br />

an sich selbst, so würde ke<strong>in</strong> Mensch aus <strong>der</strong> Sukzession <strong>der</strong> Vorstellungen <strong>von</strong> ihrem<br />

Mannigfaltigen ermessen können, wie dieses <strong>in</strong> dem Objekt verbunden sei. Denn wir<br />

haben es doch nur mit unseren Vorstellungen zu tun; wie D<strong>in</strong>ge an sich selbst (ohne<br />

Rücksicht auf Vorstellungen, dadurch sie uns affizieren) se<strong>in</strong> mögen, ist gänzlich außer<br />

unserer Erkenntnissphäre. Ob nun gleich die Ersche<strong>in</strong>ungen nicht D<strong>in</strong>ge an sich selbst<br />

und gleichwohl doch das e<strong>in</strong>zige s<strong>in</strong>d, was uns zur Erkenntnis gegeben werden kann, so<br />

76


soll ich anzeigen, was dem Mannigfaltigen an den Ersche<strong>in</strong>ungen selbst für e<strong>in</strong>e<br />

Verb<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit zukomme, <strong>in</strong>dessen, daß die Vorstellung desselben <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Apprehension je<strong>der</strong>zeit sukzessiv ist. So ist z.E. die Apprehension des Mannigfaltigen <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung e<strong>in</strong>es Hauses, das vor mir steht, sukzessiv. Nun ist die Frage: ob das<br />

Mannigfaltige dieses Hauses selbst auch <strong>in</strong> sich sukzessiv sei, welches freilich niemand<br />

zugeben wird. Nun ist aber, sobald ich me<strong>in</strong>e Begriffe <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Gegenstande bis zur<br />

transzendentalen Bedeutung steigere, das Haus gar ke<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g an sich selbst, son<strong>der</strong>n nur<br />

e<strong>in</strong>e Ersche<strong>in</strong>ung, d.i. Vorstellung, <strong>der</strong>en transzendentaler Gegenstand unbekannt ist; was<br />

verstehe ich also unter <strong>der</strong> Frage: wie das Mannigfaltige <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung selbst (die<br />

doch nichts an sich selbst ist) verbunden se<strong>in</strong> möge? Hier wird das, was <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

sukzessiven Apprehension liegt, als Vorstellung, die Ersche<strong>in</strong>ung aber, die mir gegeben<br />

ist, unerachtet sie nichts weiter, als e<strong>in</strong> Inbegriff dieser Vorstellungen ist, als <strong>der</strong><br />

Gegenstand <strong>der</strong>selben betrachtet, mit welchem me<strong>in</strong> Begriff, den ich aus den<br />

Vorstellungen <strong>der</strong> Apprehension ziehe, zusammenstimmen soll. Man sieht bald, daß, weil<br />

Übere<strong>in</strong>stimmung <strong>der</strong> Erkenntnis mit dem Objekt Wahrheit ist, hier nur nach den formalen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> empirischen Wahrheit gefragt werden kann, und Ersche<strong>in</strong>ung, im<br />

Gegenverhältnis mit den Vorstellungen <strong>der</strong> Apprehension, nur dadurch als das da<strong>von</strong><br />

unterschiedene Objekt <strong>der</strong>selben könne vorgestellt werden, wenn sie unter e<strong>in</strong>er Regel<br />

steht, welche sie <strong>von</strong> je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Apprehension unterscheidet, und e<strong>in</strong>e Art <strong>der</strong><br />

Verb<strong>in</strong>dung des Mannigfaltigen notwendig macht. Dasjenige an <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung, was die<br />

Bed<strong>in</strong>gung dieser notwendigen Regel <strong>der</strong> Apprehension enthält, ist das Objekt.<br />

Nun laßt uns zu unserer Aufgabe fortgehen. Daß etwas geschehe, d.i. etwas, o<strong>der</strong> e<strong>in</strong><br />

Zustand werde, <strong>der</strong> vorher nicht war, kann nicht empirisch wahrgenommen werden, wo<br />

nicht e<strong>in</strong>e Ersche<strong>in</strong>ung vorhergeht, welche diesen Zustand nicht <strong>in</strong> sich enthält; denn e<strong>in</strong>e<br />

Wirklichkeit, die auf e<strong>in</strong>e leere Zeit folge, mith<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Entstehen, vor dem ke<strong>in</strong> Zustand <strong>der</strong><br />

D<strong>in</strong>ge vorhergeht, kann ebensowenig, als die leere Zeit selbst apprehendiert werden. Jede<br />

Apprehension e<strong>in</strong>er Begebenheit ist also e<strong>in</strong>e Wahrnehmung, welche auf e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e<br />

folgt. Weil dieses aber bei aller Synthesis <strong>der</strong> Apprehension so beschaffen ist, wie ich<br />

oben an <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung e<strong>in</strong>es Hauses gezeigt habe, so unterscheidet sie sich dadurch<br />

noch nicht <strong>von</strong> an<strong>der</strong>en. Alle<strong>in</strong> ich bemerke auch: daß, wenn ich an e<strong>in</strong>er Ersche<strong>in</strong>ung,<br />

welche e<strong>in</strong> Geschehen enthält, den vorhergehenden Zustand <strong>der</strong> Wahrnehmung A, den<br />

folgenden aber B nenne, daß B auf A <strong>in</strong> <strong>der</strong> Apprehension nur folgen, die Wahrnehmung A<br />

aber auf B nicht folgen, son<strong>der</strong>n nur vorhergehen kann. Ich sehe z.B. e<strong>in</strong> Schiff den Strom<br />

h<strong>in</strong>abtreiben. Me<strong>in</strong>e Wahrnehmung se<strong>in</strong>er Stelle unterhalb, folgt auf die Wahrnehmung <strong>der</strong><br />

Stelle desselben oberhalb dem Laufe des Flusses, und es ist unmöglich, daß <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Apprehension dieser Ersche<strong>in</strong>ung das Schiff zuerst unterhalb, nachher aber oberhalb des<br />

Stromes wahrgenommen werden sollte. Die Ordnung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge <strong>der</strong> Wahrnehmungen <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Apprehension ist hier also bestimmt, und an dieselbe ist die letztere gebunden. In dem<br />

vorigen Beispiele <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Hause konnten me<strong>in</strong>e Wahrnehmungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Apprehension<br />

<strong>von</strong> <strong>der</strong> Spitze desselben anfangen und beim Boden endigen, aber auch <strong>von</strong> unten<br />

anfangen und oben endigen, imgleichen rechts o<strong>der</strong> l<strong>in</strong>ks das Mannigfaltige <strong>der</strong><br />

empirischen Anschauung apprehendieren. In <strong>der</strong> Reihe dieser Wahrnehmungen war also<br />

ke<strong>in</strong>e bestimmte Ordnung, welche es notwendig machte, wenn ich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Apprehension<br />

anfangen müßte, um das Mannigfaltige empirisch zu verb<strong>in</strong>den. Diese Regel aber ist bei<br />

<strong>der</strong> Wahrnehmung <strong>von</strong> dem, was geschieht, je<strong>der</strong>zeit anzutreffen und sie macht die<br />

Ordnung <strong>der</strong> e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> folgenden Wahrnehmungen (<strong>in</strong> <strong>der</strong> Apprehension dieser<br />

Ersche<strong>in</strong>ung) notwendig.<br />

Ich werde also <strong>in</strong> unserem Fall, die subjektive Folge <strong>der</strong> Apprehension <strong>von</strong> <strong>der</strong> objektiven<br />

Folge <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen ableiten müssen, weil jene sonst gänzlich unbestimmt ist und<br />

ke<strong>in</strong>e Ersche<strong>in</strong>ung <strong>von</strong> <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en unterscheidet. Jene alle<strong>in</strong> beweist nichts <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />

77


Verknüpfung des Mannigfaltigen am Objekt, weil sie ganz beliebig ist. Diese also wird <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Ordnung des Mannigfaltigen <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung bestehen, nach welcher die<br />

Apprehension des e<strong>in</strong>en (was geschieht) auf die des an<strong>der</strong>en (das vorhergeht) nach e<strong>in</strong>er<br />

Regel folgt. Nur dadurch kann ich <strong>von</strong> <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung selbst, und nicht bloß <strong>von</strong> me<strong>in</strong>er<br />

Apprehension berechtigt se<strong>in</strong>, zu sagen: daß <strong>in</strong> jener e<strong>in</strong>e Folge anzutreffen sei, welches<br />

so viel bedeutet, als daß ich die Apprehension nicht an<strong>der</strong>s anstellen könne, als gerade <strong>in</strong><br />

dieser Folge.<br />

Nach e<strong>in</strong>er solchen Regel also muß <strong>in</strong> dem, was überhaupt vor e<strong>in</strong>er Begebenheit<br />

vorhergeht, die Bed<strong>in</strong>gung zu e<strong>in</strong>er Regel liegen, nach welcher je<strong>der</strong>zeit und<br />

notwendigerweise diese Begebenheit folgt; umgekehrt aber kann ich nicht <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />

Begebenheit zurückgehen und dasjenige bestimmen (durch Apprehension), was<br />

vorhergeht. Denn <strong>von</strong> dem folgenden Zeitpunkt geht ke<strong>in</strong>e Ersche<strong>in</strong>ung zu dem vorigen<br />

zurück, aber bezieht sich doch auf irgende<strong>in</strong>en vorigen; <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er gegebenen Zeit ist<br />

dagegen <strong>der</strong> Fortgang auf die bestimmte folgende notwendig. Daher, weil es doch etwas<br />

ist, was folgt, so muß ich es notwendig auf etwas an<strong>der</strong>es überhaupt beziehen, was<br />

vorhergeht und worauf es nach e<strong>in</strong>er Regel, d.i. notwendigerweise folgt, so daß die<br />

Begebenheit als das Bed<strong>in</strong>gte, auf irgende<strong>in</strong>e Bed<strong>in</strong>gung sichere Anweisung gibt, diese<br />

aber die Begebenheit bestimmt.<br />

Man setze, es gehe vor e<strong>in</strong>er Begebenheit nichts vorher, worauf dieselbe nach e<strong>in</strong>er Regel<br />

folgen müßte, so wäre alle Folge <strong>der</strong> Wahrnehmung nur lediglich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Apprehension, d.i.<br />

bloß subjektiv, aber dadurch gar nicht objektiv bestimmt, welches eigentlich das<br />

Vorhergehende und welches das Nachfolgende <strong>der</strong> Wahrnehmungen se<strong>in</strong> müßte. Wir<br />

würden auf solche Weise nur e<strong>in</strong> Spiel <strong>der</strong> Vorstellungen haben, das sich auf gar ke<strong>in</strong><br />

Objekt bezöge, d.i. es würde durch unsere Wahrnehmung e<strong>in</strong>e Ersche<strong>in</strong>ung <strong>von</strong> je<strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>en, dem Zeitverhältnisse nach, gar nicht unterschieden werden, weil die Sukzession<br />

im Apprehendieren allerwärts e<strong>in</strong>erlei, und also nichts <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung ist, was sie<br />

bestimmt, so daß dadurch e<strong>in</strong>e gewisse Folge als objektiv notwendig gemacht wird. Ich<br />

werde also nicht sagen: daß <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung zwei Zustände aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong> folgen,<br />

son<strong>der</strong>n nur, daß e<strong>in</strong>e Apprehension auf die an<strong>der</strong>e folgt, welches bloß etwas Subjektives<br />

ist, und ke<strong>in</strong> Objekt bestimmt, mith<strong>in</strong> gar nicht für Erkenntnis irgende<strong>in</strong>es Gegenstandes<br />

(selbst nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung) gelten kann.<br />

Wenn wir also erfahren, daß etwas geschieht, so setzen wir dabei je<strong>der</strong>zeit voraus, daß<br />

irgend etwas vorausgehe, worauf es nach e<strong>in</strong>er Regel folgt. Denn ohne dieses würde ich<br />

nicht <strong>von</strong> dem Objekt sagen: daß es folge, weil die bloße Folge <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Apprehension,<br />

wenn sie nicht durch e<strong>in</strong>e Regel <strong>in</strong> Beziehung auf e<strong>in</strong> Vorhergehendes bestimmt ist, ke<strong>in</strong>e<br />

Folge im Objekte berechtigt. Also geschieht es immer <strong>in</strong> Rücksicht auf e<strong>in</strong>e Regel, nach<br />

welcher die Ersche<strong>in</strong>ungen <strong>in</strong> ihrer Folge, d.i. so wie sie geschehen, durch den vorigen<br />

Zustand bestimmt s<strong>in</strong>d, daß ich me<strong>in</strong>e subjektive Synthesis (<strong>der</strong> Apprehension) objektiv<br />

mache, und, nur lediglich unter dieser Voraussetzung alle<strong>in</strong>, ist selbst die Erfahrung <strong>von</strong><br />

etwas, was geschieht, möglich.<br />

Zwar sche<strong>in</strong>t es, als wi<strong>der</strong>spreche dieses allen Bemerkungen, die man je<strong>der</strong>zeit über den<br />

Gang unseres Verstandesgebrauchs gemacht hat, nach welchen wir nur allererst durch<br />

die wahrgenommenen und verglichenen übere<strong>in</strong>stimmenden Folgen vieler Begebenheiten<br />

auf vorhergehende Ersche<strong>in</strong>ungen, e<strong>in</strong>e Regel zu entdecken, geleitet worden, <strong>der</strong> gemäß<br />

gewisse Begebenheiten auf gewisse Ersche<strong>in</strong>ungen je<strong>der</strong>zeit folgen, und dadurch zuerst<br />

veranlaßt worden, uns den Begriff <strong>von</strong> Ursache zu machen. Auf solchen Fuß würde dieser<br />

Begriff bloß empirisch se<strong>in</strong> und die Regel, die er verschafft, daß alles, was geschieht, e<strong>in</strong>e<br />

Ursache habe, würde ebenso zufällig se<strong>in</strong>, als die Erfahrung selbst: se<strong>in</strong>e Allgeme<strong>in</strong>heit<br />

und Notwendigkeit wären alsdann nur angedichtet, und hätten ke<strong>in</strong>e wahre allgeme<strong>in</strong>e<br />

Gültigkeit, weil sie nicht a priori, son<strong>der</strong>n nur auf Induktion gegründet wären. Es geht aber<br />

78


hiemit so, wie mit an<strong>der</strong>en <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Vorstellungen a priori (z.B. Raum und Zeit), die wir<br />

darum alle<strong>in</strong> aus <strong>der</strong> Erfahrung als klare Begriffe herausziehen können, weil wir sie <strong>in</strong> die<br />

Erfahrung gelegt hatten, und diese daher durch jene allererst zustande brachten. Freilich<br />

ist die logische Klarheit dieser Vorstellung e<strong>in</strong>er, die Reihe <strong>der</strong> Begebenheiten,<br />

bestimmenden Regel, als e<strong>in</strong>es Begriffs <strong>von</strong> Ursache, nur alsdann möglich, wenn wir<br />

da<strong>von</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erfahrung Gebrauch gemacht haben; aber e<strong>in</strong>e Rücksicht auf dieselbe, als<br />

Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> synthetischen E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit, war doch <strong>der</strong> Grund<br />

<strong>der</strong> Erfahrung selbst und g<strong>in</strong>g also a priori vor ihr vorher.<br />

Es kommt also darauf an, im Beispiele zu zeigen, daß wir niemals selbst <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erfahrung<br />

die Folge (e<strong>in</strong>er Begebenheit, da etwas geschieht, was vorher nicht war) dem Objekt<br />

beilegen und sie <strong>von</strong> <strong>der</strong> subjektiven unserer Apprehension unterscheiden, als wenn e<strong>in</strong>e<br />

Regel zugrunde liegt, die uns nötig, diese Ordnung <strong>der</strong> Wahrnehmungen vielmehr, als<br />

e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e zu beobachten, ja daß diese Nötigung es eigentlich sei, was die Vorstellung<br />

e<strong>in</strong>er Sukzession im Objekt allererst möglich macht.<br />

Wir haben Vorstellungen <strong>in</strong> uns, <strong>der</strong>en wir uns auch bewußt werden können. Dieses<br />

Bewußtse<strong>in</strong> aber mag so weit erstreckt und so genau o<strong>der</strong> pünktlich se<strong>in</strong>, als man wolle,<br />

so bleiben es doch nur immer Vorstellungen, d.i. <strong>in</strong>nere Bestimmungen unseres Gemüts <strong>in</strong><br />

diesem o<strong>der</strong> jenem Zeitverhältnisse. Wie kommen wir nun dazu: daß wir diesen<br />

Vorstellungen e<strong>in</strong> Objekt setzen, o<strong>der</strong> über ihre subjektive Realität, als Modifikationen,<br />

ihnen noch, ich weiß nicht, was für e<strong>in</strong>e, objektive beilegen. Objektive Bedeutung kann<br />

nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beziehung auf e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Vorstellung (<strong>von</strong> dem, was man vom Gegenstande<br />

nennen wollte) bestehen, denn sonst erneuert sich die Frage: wie geht diese Vorstellung<br />

wie<strong>der</strong>um aus sich selbst heraus, und bekommt objektive Bedeutung noch über die<br />

subjektive, welche ihr, als Bestimmung des Gemütszustandes, eigen ist? Wenn wir<br />

untersuchen, was denn die Beziehung auf e<strong>in</strong>en Gegenstand unseren Vorstellungen für<br />

e<strong>in</strong>e neue Beschaffenheit gebe, und welches die Dignität sei, die sie dadurch erhalten, so<br />

f<strong>in</strong>den wir, daß sie nichts weiter tue, als die Verb<strong>in</strong>dung <strong>der</strong> Vorstellungen auf e<strong>in</strong>e gewisse<br />

Art notwendig zu machen, und sie e<strong>in</strong>er Regel zu unterwerfen; daß umgekehrt nur<br />

dadurch, daß e<strong>in</strong>e gewisse Ordnung <strong>in</strong> dem Zeitverhältnisse unserer Vorstellungen<br />

notwendig ist, ihnen objektive Bedeutung erteilt wird.<br />

In <strong>der</strong> Synthesis <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen folgt das Mannigfaltige <strong>der</strong> Vorstellungen je<strong>der</strong>zeit<br />

nache<strong>in</strong>an<strong>der</strong>. Hiedurch wird nun gar ke<strong>in</strong> Objekt vorgestellt; weil durch diese Folge, die<br />

allen Apprehensionen geme<strong>in</strong> ist, nichts vom an<strong>der</strong>en unterschieden wird. Sobald ich aber<br />

wahrnehme, o<strong>der</strong> voraus annehme, daß <strong>in</strong> dieser Folge e<strong>in</strong>e Beziehung auf den<br />

vorhergehenden Zustand sei, aus welchem die Vorstellung nach e<strong>in</strong>er Regel folgt; so stellt<br />

sich etwas vor, als Begebenheit, o<strong>der</strong> was da geschieht, d.i. ich erkenne e<strong>in</strong>en<br />

Gegenstand, den ich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit auf e<strong>in</strong>e gewisse bestimmte Stelle setzen muß, die ihm,<br />

nach dem vorhergehenden Zustande nicht an<strong>der</strong>s erteilt werden kann. Wenn ich also<br />

wahrnehme, daß etwas geschieht, so ist <strong>in</strong> dieser Vorstellung erstlich enthalten, daß etwas<br />

vorhergehe, weil eben <strong>in</strong> Beziehung auf dieses die Ersche<strong>in</strong>ung ihr Zeitverhältnis<br />

bekommt, nämlich, nach e<strong>in</strong>er vorhergehenden Zeit, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sie nicht war, zu existieren.<br />

Aber ihre bestimmte Zeitstelle <strong>in</strong> diesem Verhältnisse kann sie nur dadurch bekommen,<br />

daß im vorhergehenden Zustande etwas vorausgesetzt wird, worauf es je<strong>der</strong>zeit, d.i. nach<br />

e<strong>in</strong>er Regel folgt; woraus sich denn ergibt, daß ich erstlich nicht die Reihe umkehren, und<br />

das, was geschieht, demjenigen voransetzen kann, worauf es folgt; zweitens daß, wenn<br />

<strong>der</strong> Zustand, <strong>der</strong> vorhergeht, gesetzt wird, diese bestimmte Begebenheit unausbleiblich<br />

und notwendig folge. Dadurch geschieht es: daß e<strong>in</strong>e Ordnung unter unseren<br />

Vorstellungen wird, <strong>in</strong> welcher das Gegenwärtige (sofern es geworden) auf irgende<strong>in</strong>en<br />

vorhergehenden Zustand Anweisung gibt, als e<strong>in</strong>, obzwar noch unbestimmtes Korrelatum<br />

dieses Ereignisses, das gegeben ist, welches sich aber auf dieses als se<strong>in</strong>e Folge,<br />

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estimmend bezieht und es notwendig mit sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeitreihe verknüpft.<br />

Wenn es nun e<strong>in</strong> notwendiges Gesetz unserer S<strong>in</strong>nlichkeit, mith<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e formale Bed<strong>in</strong>gung<br />

aller Wahrnehmungen ist: daß die vorige Zeit die folgende notwendig bestimmt (<strong>in</strong>dem ich<br />

zur folgenden nicht an<strong>der</strong>s gelangen kann, als durch die vorhergehende), so ist es auch<br />

e<strong>in</strong> unentbehrliches Gesetz <strong>der</strong> empirischen Vorstellung <strong>der</strong> Zeitreihe, daß die<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen <strong>der</strong> vergangenen Zeit jedes Dase<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> folgenden bestimmen, und daß<br />

diese, als Begebenheiten, nicht stattf<strong>in</strong>den, als sofern jene ihnen ihr Dase<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit<br />

bestimmen, d.i. nach e<strong>in</strong>er Regel festsetzen. Denn nur an den Ersche<strong>in</strong>ungen können wir<br />

diese Kont<strong>in</strong>uität im Zusammenhange <strong>der</strong> Zeiten empirisch erkennen.<br />

Zu aller Erfahrung und <strong>der</strong>en Möglichkeit gehört Verstand, und das erste, was er dazu tut,<br />

ist nicht: daß er die Vorstellung <strong>der</strong> Gegenstände deutlich macht, son<strong>der</strong>n daß er die<br />

Vorstellung e<strong>in</strong>es Gegenstandes überhaupt möglich macht. Dieses geschieht nun<br />

dadurch, daß er die Zeitordnung auf die Ersche<strong>in</strong>ungen und <strong>der</strong>en Dase<strong>in</strong> überträgt,<br />

<strong>in</strong>dem er je<strong>der</strong> <strong>der</strong>selben als Folge e<strong>in</strong>e, <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong> vorhergehenden Ersche<strong>in</strong>ungen,<br />

a priori bestimmte Stelle <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit zuerkennt, ohne welche sie nicht mit <strong>der</strong> Zeit selbst,<br />

die allen ihren Teilen a priori ihre Stelle bestimmt, übere<strong>in</strong>kommen würde. Diese<br />

Bestimmung <strong>der</strong> Stelle kann nun nicht <strong>von</strong> dem Verhältnis <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen gegen die<br />

absolute Zeit entlehnt werden (denn die ist ke<strong>in</strong> Gegenstand <strong>der</strong> Wahrnehmung), son<strong>der</strong>n<br />

umgekehrt, die Ersche<strong>in</strong>ungen müssen e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> ihre Stellen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit selbst bestimmen<br />

und dieselbe <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeitordnung notwendig machen, d.i. dasjenige, was da folgt, o<strong>der</strong><br />

geschieht, muß nach e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en Regel auf das, was im vorigen Zustande enthalten<br />

war, folgen, woraus e<strong>in</strong>e Reihe <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen wird, die vermittels des Verstandes<br />

eben dieselbige Ordnung und stetigen Zusammenhang <strong>in</strong> <strong>der</strong> Reihe möglicher<br />

Wahrnehmungen hervorbr<strong>in</strong>gt, und notwendig macht, als sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Form <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren<br />

Anschauung (<strong>der</strong> Zeit), dar<strong>in</strong> alle Wahrnehmungen ihre Stelle haben müssen, a priori<br />

angetroffen wird.<br />

Daß also etwas geschieht, ist e<strong>in</strong>e Wahrnehmung, die zu e<strong>in</strong>er möglichen Erfahrung<br />

gehört, die dadurch wirklich wird, wenn ich die Ersche<strong>in</strong>ung, ihrer Stelle nach, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit,<br />

als bestimmt, mith<strong>in</strong> als e<strong>in</strong> Objekt ansehe, welches nach e<strong>in</strong>er Regel im Zusammenhange<br />

<strong>der</strong> Wahrnehmungen je<strong>der</strong>zeit gefunden werden kann. Diese Regel aber, etwas <strong>der</strong><br />

Zeitfolge nach zu bestimmen, ist: daß <strong>in</strong> dem, was vorhergeht, die Bed<strong>in</strong>gung anzutreffen<br />

sei, unter welcher die Begebenheit je<strong>der</strong>zeit (d.i. notwendigerweise) folgt. Also ist <strong>der</strong> Satz<br />

vom zureichenden Grunde <strong>der</strong> Grund möglicher Erfahrung, nämlich <strong>der</strong> objektiven<br />

Erkenntnis <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen, <strong>in</strong> Ansehung des Verhältnisses <strong>der</strong>selben <strong>in</strong> Reihenfolge<br />

<strong>der</strong> Zeit.<br />

Der Beweisgrund dieses Satzes aber beruht lediglich auf folgenden Momenten. Zu aller<br />

empirischen Erkenntnis gehört die Synthesis des Mannigfaltigen durch die<br />

E<strong>in</strong>bildungskraft, die je<strong>der</strong>zeit sukzessiv ist, d.i. die Vorstellungen folgen <strong>in</strong> ihr je<strong>der</strong>zeit<br />

aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong>. Die Folge aber ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft <strong>der</strong> Ordnung nach (was vorgehen<br />

und was folgen müsse) gar nicht bestimmt, und die Reihe <strong>der</strong> e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> folgenden<br />

Vorstellungen kann ebensowohl rückwärts als vorwärts genommen werden. Ist aber diese<br />

Synthesis e<strong>in</strong>e Synthesis <strong>der</strong> Apprehension (des Mannigfaltigen e<strong>in</strong>er gegebenen<br />

Ersche<strong>in</strong>ung), so ist die Ordnung im Objekt bestimmt, o<strong>der</strong>, genauer zu reden, es ist dar<strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e Ordnung <strong>der</strong> sukzessiven Synthesis, die e<strong>in</strong> Objekt bestimmt, nach welcher etwas<br />

notwendig vorausgehen, und wenn dieses gesetzt ist, das an<strong>der</strong>e notwendig folgen<br />

müsse. Soll also me<strong>in</strong>e Wahrnehmung die Erkenntnis e<strong>in</strong>er Begebenheit enthalten, da<br />

nämlich etwas wirklich geschieht, so muß sie e<strong>in</strong> empirisches Urteil se<strong>in</strong>, <strong>in</strong> welchem man<br />

sich denkt, daß die Folge bestimmt sei, d.i. daß sie e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Ersche<strong>in</strong>ung <strong>der</strong> Zeit nach<br />

voraussetze, worauf sie notwendig, o<strong>der</strong> nach e<strong>in</strong>er Regel folgt. Widrigenfalls, wenn ich<br />

das Vorhergehende setze und die Begebenheit folgte nicht darauf notwendig, so würde ich<br />

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sie nur für e<strong>in</strong> subjektives Spiel me<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>bildungen halten müssen, und stellte ich mir<br />

darunter doch etwas Objektives vor, sie e<strong>in</strong>en bloßen Traum nennen. Also ist das<br />

Verhältnis <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen (als möglicher Wahrnehmungen), nach welchem das<br />

Nachfolgende (was geschieht) durch etwas Vorhergehendes se<strong>in</strong>em Dase<strong>in</strong> nach<br />

notwendig und nach e<strong>in</strong>er Regel <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit bestimmt ist, mith<strong>in</strong> das Verhältnis <strong>der</strong><br />

Ursache zur Wirkung die Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> objektiven Gültigkeit unserer empirischen Urteile,<br />

<strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong> Reihe <strong>der</strong> Wahrnehmungen, mith<strong>in</strong> <strong>der</strong> empirischen Wahrheit <strong>der</strong>selben,<br />

und also <strong>der</strong> Erfahrung. Der Grundsatz des Kausalverhältnisses <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge <strong>der</strong><br />

Ersche<strong>in</strong>ungen gilt daher auch <strong>von</strong> allen Gegenständen <strong>der</strong> Erfahrung (unter den<br />

Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Sukzession), weil er selbst <strong>der</strong> Grund <strong>der</strong> Möglichkeit e<strong>in</strong>er solchen<br />

Erfahrung ist.<br />

Hier äußert sich aber noch e<strong>in</strong>e Bedenklichkeit, die gehoben werden muß. Der Satz <strong>der</strong><br />

Kausalverknüpfung unter den Ersche<strong>in</strong>ungen ist <strong>in</strong> unserer Formel auf die Reihenfolge<br />

<strong>der</strong>selben e<strong>in</strong>geschränkt, da es sich doch bei dem Gebrauch desselben f<strong>in</strong>det, daß er<br />

auch auf ihre Begleitung passe und Ursache und Wirkung zugleich se<strong>in</strong> könne. Es ist z.B.<br />

Wärme im Zimmer, die nicht <strong>in</strong> freier Luft angetroffen wird. Ich sehe mich nach <strong>der</strong><br />

Ursache um und f<strong>in</strong>de e<strong>in</strong>en geheizten Ofen. Nun ist dieser, als Ursache, mit se<strong>in</strong>er<br />

Wirkung, <strong>der</strong> Stubenwärme, zugleich; also ist hier ke<strong>in</strong>e Reihenfolge, <strong>der</strong> Zeit nach,<br />

zwischen Ursache und Wirkung, son<strong>der</strong>n sie s<strong>in</strong>d zugleich, und das Gesetz gilt doch. Der<br />

größte Teil <strong>der</strong> wirkenden Ursachen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Natur ist mit ihren Wirkungen zugleich, und die<br />

Zeitfolge <strong>der</strong> letzteren wird nur dadurch veranlaßt, daß die Ursache ihre ganze Wirkung<br />

nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Augenblick verrichten kann. Aber <strong>in</strong> dem Augenblicke, da sie zuerst<br />

entsteht, ist sie mit <strong>der</strong> Kausalität ihrer Ursache je<strong>der</strong>zeit zugleich, weil, wenn jene e<strong>in</strong>en<br />

Augenblick vorher aufgehört hätte, zu se<strong>in</strong>, diese gar nicht entstanden wäre. Hier muß<br />

man wohl bemerken: daß es auf die Ordnung <strong>der</strong> Zeit, und nicht auf den Ablauf <strong>der</strong>selben<br />

angesehen sei: das Verhältnis bleibt, wenngleich ke<strong>in</strong>e Zeit verlaufen ist. Die Zeit<br />

zwischen <strong>der</strong> Kausalität <strong>der</strong> Ursache und <strong>der</strong>en unmittelbaren Wirkung kann<br />

verschw<strong>in</strong>dend (sie also zugleich) se<strong>in</strong>, aber das Verhältnis <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en zur an<strong>der</strong>en bleibt<br />

doch immer, <strong>der</strong> Zeit nach, bestimmbar. Wenn ich e<strong>in</strong>e Kugel, die auf e<strong>in</strong>em ausgestopften<br />

Kissen liegt und e<strong>in</strong> Grübchen dar<strong>in</strong> drückt, als Ursache betrachte, so ist sie mit <strong>der</strong><br />

Wirkung zugleich. Alle<strong>in</strong> ich unterscheide doch beide durch das Zeitverhältnis <strong>der</strong><br />

dynamischen Verknüpfung bei<strong>der</strong>. Denn wenn ich die Kugel auf das Kissen lege, so folgt<br />

auf die vorige glatte Gestalt desselben das Grübchen; hat aber das Kissen (ich weiß nicht<br />

woher) e<strong>in</strong> Grübchen, so folgt darauf nicht e<strong>in</strong>e bleierne Kugel.<br />

Demnach ist die Zeitfolge allerd<strong>in</strong>gs das e<strong>in</strong>zige empirische Kriterium <strong>der</strong> Wirkung, <strong>in</strong><br />

Beziehung auf die Kausalität <strong>der</strong> Ursache, die vorhergeht. Das Glas ist die Ursache <strong>von</strong><br />

dem Steigen des Wassers über se<strong>in</strong>e Horizontalfläche, obgleich beide Ersche<strong>in</strong>ungen<br />

zugleich s<strong>in</strong>d. Denn sobald ich dieses aus e<strong>in</strong>em größeren Gefäß mit dem Glase schöpfe,<br />

so erfolgt etwas, nämlich die Verän<strong>der</strong>ung des Horizontalstandes, den es dort hatte, <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>en konkaven, den es im Glase annimmt.<br />

Diese Kausalität führt auf den Begriff <strong>der</strong> Handlung, diese auf den Begriff <strong>der</strong> Kraft und<br />

dadurch auf den Begriff <strong>der</strong> Substanz. Da ich me<strong>in</strong> kritisches Vorhaben, welches lediglich<br />

auf die Quellen <strong>der</strong> synthetischen Erkenntnis a priori geht, nicht mit Zerglie<strong>der</strong>ungen<br />

bemengen will, die bloß die Erläuterung (nicht Erweiterung) <strong>der</strong> Begriffe angehen, so<br />

überlasse ich die umständliche Erörterung <strong>der</strong>selben e<strong>in</strong>em künftigen System <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong><br />

<strong>Vernunft</strong>: wiewohl man e<strong>in</strong>e solche Analysis im reichen Maße, auch schon <strong>in</strong> den bisher<br />

bekannten Lehrbüchern dieser Art, antrifft. Alle<strong>in</strong> das empirische Kriterium e<strong>in</strong>er Substanz,<br />

sofern sie sich nicht durch die Beharrlichkeit <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung, son<strong>der</strong>n besser und leichter<br />

durch Handlung zu offenbaren sche<strong>in</strong>t, kann ich nicht unberührt lassen.<br />

Wo Handlung, mith<strong>in</strong> Tätigkeit und Kraft ist, da ist auch Substanz, und <strong>in</strong> dieser alle<strong>in</strong> muß<br />

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<strong>der</strong> Sitz jener fruchtbaren Quelle <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen gesucht werden. Das ist ganz gut<br />

gesagt: aber, wenn man sich darüber erklären soll, was man unter Substanz verstehe, und<br />

dabei den fehlerhaften Zirkel vermeiden will, so ist es nicht so leicht verantwortet. Wie will<br />

man aus <strong>der</strong> Handlung sogleich auf die Beharrlichkeit des Handelnden schließen, welches<br />

doch e<strong>in</strong> so wesentliches und eigentümliches Kennzeichen <strong>der</strong> Substanz (phaenomenon)<br />

ist? Alle<strong>in</strong>, nach unserem vorigen hat die Auflösung <strong>der</strong> Frage doch ke<strong>in</strong>e solche<br />

Schwierigkeit, ob sie gleich nach <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>en Art (bloß analytisch mit se<strong>in</strong>en Begriffen zu<br />

verfahren) ganz unauflöslich se<strong>in</strong> würde. Handlung bedeutet schon das Verhältnis des<br />

Subjekts <strong>der</strong> Kausalität zur Wirkung. Weil nun alle Wirkung <strong>in</strong> dem besteht, was da<br />

geschieht, mith<strong>in</strong> im Wandelbaren, was die Zeit <strong>der</strong> Sukzession nach bezeichnet; so ist<br />

das letzte Subjekt desselben das Beharrliche, als das Substratum alles Wechselnden, d.i.<br />

die Substanz. Denn nach dem Grundsatze <strong>der</strong> Kausalität s<strong>in</strong>d Handlungen immer <strong>der</strong><br />

erste Grund <strong>von</strong> allem Wechsel <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen und können also nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Subjekt liegen, was selbst wechselt, weil sonst an<strong>der</strong>e Handlungen und e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es<br />

Subjekt, welches diesen Wechsel bestimmte, erfor<strong>der</strong>lich wären. Kraft dessen beweist nun<br />

Handlung, als e<strong>in</strong> h<strong>in</strong>reichendes empirisches Kriterium, die Substantialität, ohne daß ich<br />

die Beharrlichkeit desselben durch verglichene Wahrnehmungen allererst zu suchen nötig<br />

hätte, welches auch auf diesem Wege mit <strong>der</strong> Ausführlichkeit nicht geschehen könnte, die<br />

zu <strong>der</strong> Größe und strengen Allgeme<strong>in</strong>gültigkeit des Begriffs erfor<strong>der</strong>lich ist. Denn daß das<br />

erste Subjekt <strong>der</strong> Kausalität alles Entstehens und Vergehens selbst nicht (im Felde <strong>der</strong><br />

Ersche<strong>in</strong>ungen) entstehen und vergehen könne, ist e<strong>in</strong> sicherer Schluß, <strong>der</strong> auf<br />

empirische Notwendigkeit und Beharrlichkeit im Dase<strong>in</strong>, mith<strong>in</strong> auf den Begriff e<strong>in</strong>er<br />

Substanz als Ersche<strong>in</strong>ung ausläuft.<br />

Wenn etwas geschieht, so ist das bloße Entstehen, ohne Rücksicht auf das, was da<br />

entsteht, schon an sich selbst e<strong>in</strong> Gegenstand <strong>der</strong> Untersuchung. Der Übergang aus dem<br />

Nichtse<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es Zustandes <strong>in</strong> diesen Zustand, gesetzt, daß dieser auch ke<strong>in</strong>e Qualität <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung enthielte, ist schon alle<strong>in</strong> nötig zu untersuchen. Dieses Entstehen trifft,<br />

wie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nummer A gezeigt worden, nicht die Substanz (denn die entsteht nicht),<br />

son<strong>der</strong>n ihren Zustand. Es ist also bloß Verän<strong>der</strong>ung und nicht Ursprung aus Nichts.<br />

Wenn dieser Ursprung als Wirkung <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er fremden Ursache angesehen wird, so heißt<br />

er Schöpfung, welche als Begebenheit unter den Ersche<strong>in</strong>ungen nicht zugelassen werden<br />

kann, <strong>in</strong>dem ihre Möglichkeit alle<strong>in</strong> schon die E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Erfahrung aufheben würde;<br />

obzwar, wenn ich alle D<strong>in</strong>ge nicht als Phänomene, son<strong>der</strong>n als D<strong>in</strong>ge an sich betrachte,<br />

und als Gegenstände des bloßen Verstandes, sie, obschon sie Substanzen s<strong>in</strong>d, dennoch<br />

wie abhängig ihrem Dase<strong>in</strong> nach <strong>von</strong> frem<strong>der</strong> Ursache angesehen werden können,<br />

welches aber alsdann ganz an<strong>der</strong>e Wortbedeutungen nach sich ziehen und auf<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen, als mögliche Gegenstände <strong>der</strong> Erfahrung, nicht passen würde.<br />

Wie nun überhaupt etwas verän<strong>der</strong>t werden könne, wie es möglich ist: daß auf e<strong>in</strong>en<br />

Zustand <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Zeitpunkte e<strong>in</strong> entgegengesetzter im an<strong>der</strong>en folgen könne, da<strong>von</strong><br />

haben wir a priori nicht den m<strong>in</strong>desten Begriff. Hierzu wird die Kenntnis wirklicher Kräfte<br />

erfor<strong>der</strong>t, welche nur empirisch gegeben werden kann, z.B. <strong>der</strong> bewegenden Kräfte, o<strong>der</strong>,<br />

welches e<strong>in</strong>erlei ist, gewisser sukzessiven Ersche<strong>in</strong>ungen (als Bewegungen), welche<br />

solche Kräfte anzeigen. Aber die Form e<strong>in</strong>er jeden Verän<strong>der</strong>ung, die Bed<strong>in</strong>gung, unter<br />

welcher sie, als e<strong>in</strong> Entstehen e<strong>in</strong>es an<strong>der</strong>en Zustandes, alle<strong>in</strong> vorgehen kann (<strong>der</strong> Inhalt<br />

<strong>der</strong>selben, d.i. <strong>der</strong> Zustand, <strong>der</strong> verän<strong>der</strong>t wird, mag se<strong>in</strong>, welcher er wolle), mith<strong>in</strong> die<br />

Sukzession <strong>der</strong> Zustände selbst (das Geschehene) kann doch nach dem Gesetze <strong>der</strong><br />

Kausalität und den Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Zeit a priori erwogen werden [ 9].<br />

Wenn e<strong>in</strong>e Substanz aus e<strong>in</strong>em Zustande a <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en b übergeht, so ist <strong>der</strong><br />

Zeitpunkt des zweiten vom Zeitpunkte des ersteren Zustandes unterschieden und folgt<br />

demselben. Ebenso ist auch <strong>der</strong> zweite Zustand als Realität (<strong>in</strong> <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung) vom<br />

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ersteren, dar<strong>in</strong> diese nicht war, wie b vom Zero unterschieden; d.i. wenn <strong>der</strong> Zustand b<br />

sich auch <strong>von</strong> dem Zustande a nur <strong>der</strong> Größe nach unterschiede, so ist die Verän<strong>der</strong>ung<br />

e<strong>in</strong> Entstehen <strong>von</strong> b-a, welches im vorigen Zustande nicht war, und <strong>in</strong> Ansehung dessen er<br />

=0 ist.<br />

Es fragt sich also: wie e<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g aus e<strong>in</strong>em Zustande =a <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en =b übergehe.<br />

Zwischen zwei Augenblicken ist immer e<strong>in</strong>e Zeit, und zwischen zwei Zuständen <strong>in</strong><br />

denselben immer e<strong>in</strong> Unterschied, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Größe hat (denn alle Teile <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen<br />

s<strong>in</strong>d immer wie<strong>der</strong>um Größen). Also geschieht je<strong>der</strong> Übergang aus e<strong>in</strong>em Zustande <strong>in</strong> den<br />

an<strong>der</strong>en <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zeit, die zwischen zwei Augenblicken enthalten ist, <strong>der</strong>en <strong>der</strong> erste den<br />

Zustand bestimmt, aus welchem das D<strong>in</strong>g herausgeht, <strong>der</strong> zweite den, <strong>in</strong> welchen es<br />

gelangt. Beide also s<strong>in</strong>d Grenzen <strong>der</strong> Zeit e<strong>in</strong>er Verän<strong>der</strong>ung, mith<strong>in</strong> des<br />

Zwischenzustandes zwischen beiden Zuständen, und gehören als solche mit zu <strong>der</strong><br />

ganzen Verän<strong>der</strong>ung. Nun hat jede Verän<strong>der</strong>ung e<strong>in</strong>e Ursache, welche <strong>in</strong> <strong>der</strong> ganzen Zeit,<br />

<strong>in</strong> welcher jene vorgeht, ihre Kausalität beweist. Also br<strong>in</strong>gt diese Ursache ihre<br />

Verän<strong>der</strong>ung nicht plötzlich (auf e<strong>in</strong>mal o<strong>der</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Augenblicke) hervor, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Zeit, so, daß, wie die Zeit vom Anfangsaugenblicke a bis zu ihrer Vollendung <strong>in</strong> b<br />

wächst, auch die Größe <strong>der</strong> Realität (b-a) durch alle kle<strong>in</strong>eren Grade, die zwischen dem<br />

ersten und letzten enthalten s<strong>in</strong>d, erzeugt wird. Alle Verän<strong>der</strong>ung ist also nur durch e<strong>in</strong>e<br />

kont<strong>in</strong>uierliche Handlung <strong>der</strong> Kausalität möglich, welche, sofern sie gleichförmig ist, e<strong>in</strong><br />

Moment heißt. Aus diesen Momenten besteht nicht die Verän<strong>der</strong>ung, son<strong>der</strong>n wird<br />

dadurch erzeugt als ihre Wirkung.<br />

Das ist nun das Gesetz <strong>der</strong> Kont<strong>in</strong>uität aller Verän<strong>der</strong>ung, dessen Grund dieser ist: daß<br />

we<strong>der</strong> die Zeit, noch auch die Ersche<strong>in</strong>ung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit aus Teilen besteht, die die kle<strong>in</strong>sten<br />

s<strong>in</strong>d, und daß doch <strong>der</strong> Zustand des D<strong>in</strong>ges bei se<strong>in</strong>er Verän<strong>der</strong>ung durch alle diese Teile<br />

als Elemente, zu se<strong>in</strong>em zweiten Zustande übergehe. Es ist ke<strong>in</strong> Unterschied des Realen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung, sowie ke<strong>in</strong> Unterschied <strong>in</strong> <strong>der</strong> Größe <strong>der</strong> Zeiten, <strong>der</strong> kle<strong>in</strong>ste; und so<br />

erwächst <strong>der</strong> neue Zustand <strong>der</strong> Realität <strong>von</strong> dem ersten an, dar<strong>in</strong> diese nicht war, durch<br />

alle unendlichen Grade <strong>der</strong>selben, <strong>der</strong>en Unterschiede <strong>von</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>in</strong>sgesamt kle<strong>in</strong>er<br />

s<strong>in</strong>d, als <strong>der</strong> zwischen 0 und a.<br />

Welchen Nutzen dieser Satz <strong>in</strong> <strong>der</strong> Naturforschung haben möge, das geht uns hier nichts<br />

an. Aber, wie e<strong>in</strong> solcher Satz, <strong>der</strong> unsere Erkenntnis <strong>der</strong> Natur so zu erweitern sche<strong>in</strong>t,<br />

völlig a priori möglich sei, das erfor<strong>der</strong>t gar sehr unsere Prüfung, wenngleich <strong>der</strong><br />

Augensche<strong>in</strong> beweist, daß er wirklich und richtig sei, und man also <strong>der</strong> Frage, wie er<br />

möglich gewesen, überhoben zu se<strong>in</strong> glauben möchte. Denn es gibt so mancherlei<br />

ungegründete Anmaßungen <strong>der</strong> Erweiterung unserer Erkenntnis durch re<strong>in</strong>e <strong>Vernunft</strong>, daß<br />

es zum allgeme<strong>in</strong>en Grundsatz angenommen werden muß, deshalb durchaus mißtrauisch<br />

zu se<strong>in</strong> und ohne Dokumente, die e<strong>in</strong>e gründliche Deduktion verschaffen können, selbst<br />

auf den klarsten dogmatischen Beweis nichts <strong>der</strong>gleichen zu glauben und anzunehmen.<br />

Aller Zuwachs des empirischen Erkenntnisses und je<strong>der</strong> Fortschritt <strong>der</strong> Wahrnehmung ist<br />

nichts, als e<strong>in</strong>e Erweiterung <strong>der</strong> Bestimmung des <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>nes, d.i. e<strong>in</strong> Fortgang <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Zeit, die Gegenstände mögen se<strong>in</strong>, welche sie wollen, Ersche<strong>in</strong>ungen, o<strong>der</strong> re<strong>in</strong>e<br />

Anschauungen. Dieser Fortgang <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit bestimmt alles, und ist an sich selbst durch<br />

nichts weiter bestimmt, d.i. die Teile desselben s<strong>in</strong>d nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit, und durch die<br />

Synthesis <strong>der</strong>selben, sie aber nicht vor ihr gegeben. Um deswillen ist e<strong>in</strong> je<strong>der</strong> Übergang<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Wahrnehmung zu etwas, was <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit folgt, e<strong>in</strong>e Bestimmung <strong>der</strong> Zeit durch die<br />

Erzeugung dieser Wahrnehmung, und da jene, immer und <strong>in</strong> allen ihren Teilen, e<strong>in</strong>e Größe<br />

ist, die Erzeugung e<strong>in</strong>er Wahrnehmung als e<strong>in</strong>er Größe durch alle Grade, <strong>der</strong>en ke<strong>in</strong>er <strong>der</strong><br />

kle<strong>in</strong>ste ist, <strong>von</strong> dem Zero an, bis zu ihrem bestimmten Grad. Hieraus erhellt nun die<br />

Möglichkeit, e<strong>in</strong> Gesetz <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ungen, ihrer Form nach, a priori zu erkennen. Wir<br />

antizipieren nur unsere eigene Apprehension, <strong>der</strong>en formale Bed<strong>in</strong>gung, da sie uns vor<br />

83


aller gegebenen Ersche<strong>in</strong>ung selbst beiwohnt, allerd<strong>in</strong>gs a priori muß erkannt werden<br />

können. So ist demnach, ebenso, wie die Zeit die s<strong>in</strong>nliche Bed<strong>in</strong>gung a priori <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />

Möglichkeit e<strong>in</strong>es kont<strong>in</strong>uierlichen Fortganges des Existierenden zu dem Folgenden<br />

enthält, <strong>der</strong> Verstand, vermittels <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Apperzeption, die Bed<strong>in</strong>gung a priori <strong>der</strong><br />

Möglichkeit e<strong>in</strong>er kont<strong>in</strong>uierlichen Bestimmung aller Stellen für die Ersche<strong>in</strong>ungen <strong>in</strong> dieser<br />

Zeit, durch die Reihe <strong>von</strong> Ursachen und Wirkungen, <strong>der</strong>en die erstere <strong>der</strong> letztern ihr<br />

Dase<strong>in</strong> unausbleiblich nach sich ziehen, und dadurch die empirische Erkenntnis <strong>der</strong><br />

Zeitverhältnisse für jede Zeit (allgeme<strong>in</strong>) mith<strong>in</strong> objektiv gültig machen.<br />

C. Dritte Analogie: Grundsatz <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>schaft<br />

Alle Substanzen, sofern sie zugleich s<strong>in</strong>d, stehen <strong>in</strong> durchgängiger Geme<strong>in</strong>schaft (d.i.<br />

Wechselwirkung untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong>).<br />

Beweis<br />

D<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d zugleich, sofern sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er und <strong>der</strong>selben Zeit existieren. Woran erkennt man<br />

aber, daß sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er und <strong>der</strong>selben Zeit s<strong>in</strong>d? Wenn die Ordnung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Synthesis <strong>der</strong><br />

Apprehension dieses Mannigfaltigen gleichgültig ist, d.i. <strong>von</strong> A durch B, C, D auf E, o<strong>der</strong><br />

auch umgekehrt <strong>von</strong> E zu A gehen kann. Denn, wäre sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit nache<strong>in</strong>an<strong>der</strong> (<strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Ordnung, die <strong>von</strong> A anhebt und <strong>in</strong> E endigt), so ist es unmöglich, die Apprehension <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Wahrnehmung <strong>von</strong> E anzuheben und rückwärts zu A fortzugehen, weil A zur vergangenen<br />

Zeit gehört und also ke<strong>in</strong> Gegenstand <strong>der</strong> Apprehension mehr se<strong>in</strong> kann.<br />

Nehmet nun an: <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Mannigfaltigkeit <strong>von</strong> Substanzen als Ersche<strong>in</strong>ungen wäre jede<br />

<strong>der</strong>selben völlig isoliert, d.i. ke<strong>in</strong>e wirkte <strong>in</strong> die an<strong>der</strong>e und empfänge <strong>von</strong> dieser<br />

wechselseitig E<strong>in</strong>flüsse, so sage ich: daß das Zugleichse<strong>in</strong> <strong>der</strong>selben ke<strong>in</strong> Gegenstand<br />

e<strong>in</strong>er möglichen Wahrnehmung se<strong>in</strong> würde, und daß das Dase<strong>in</strong> <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en, durch ke<strong>in</strong>en<br />

Weg <strong>der</strong> empirischen Synthesis, auf das Dase<strong>in</strong> <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en führen könnte. Denn, wenn<br />

ihr euch gedenkt, sie wären durch e<strong>in</strong>en völlig leeren Raum getrennt, so würde die<br />

Wahrnehmung, die <strong>von</strong> <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en zur an<strong>der</strong>en <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit fortgeht, zwar dieser ihr Dase<strong>in</strong>,<br />

vermittels e<strong>in</strong>er folgenden Wahrnehmung bestimmen, aber nicht unterscheiden können,<br />

ob die Ersche<strong>in</strong>ung objektiv auf die erstere folge, o<strong>der</strong> mit jener vielmehr zugleich sei.<br />

Es muß also noch außer dem bloßen Dase<strong>in</strong> etwas se<strong>in</strong>, wodurch A dem B se<strong>in</strong>e Stelle <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Zeit bestimmt und umgekehrt auch wie<strong>der</strong>um B dem A, weil nur unter dieser<br />

Bed<strong>in</strong>gung gedachte Substanzen, als zugleich existierend empirisch vorgestellt werden<br />

können. Nun bestimmt nur dasjenige dem an<strong>der</strong>en se<strong>in</strong>e Stelle <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit, was die<br />

Ursache <strong>von</strong> ihm, o<strong>der</strong> se<strong>in</strong>en Bestimmungen ist. Also muß jede Substanz (da sie nur <strong>in</strong><br />

Ansehung ihrer Bestimmungen Folge se<strong>in</strong> kann) die Kausalität gewisser Bestimmungen <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en und zugleich die Wirkungen <strong>von</strong> <strong>der</strong> Kausalität <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en <strong>in</strong> sich enthalten,<br />

d.i. sie müssen <strong>in</strong> dynamischer Geme<strong>in</strong>schaft (unmittelbar o<strong>der</strong> mittelbar) stehen, wenn<br />

das Zugleichse<strong>in</strong> <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>er möglichen Erfahrung erkannt werden soll. Nun ist aber<br />

alles dasjenige <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong> Gegenstände <strong>der</strong> Erfahrung notwendig, ohne welches die<br />

Erfahrung <strong>von</strong> diesen Gegenständen selbst unmöglich se<strong>in</strong> würde. Also ist es allen<br />

Substanzen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung, sofern sie zugleich s<strong>in</strong>d, notwendig <strong>in</strong> durchgängiger<br />

Geme<strong>in</strong>schaft <strong>der</strong> Wechselwirkung untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zu stehen.<br />

Das Wort Geme<strong>in</strong>schaft ist <strong>in</strong> unserer Sprache zweideutig und kann soviel als communio,<br />

aber auch als commercium bedeuten. Wir bedienen uns hier desselben im letzteren S<strong>in</strong>n,<br />

als e<strong>in</strong>er dynamischen Geme<strong>in</strong>schaft, ohne welche selbst die lokale (communio spatii)<br />

niemals empirisch erkannt werden könnte. Unseren Erfahrungen ist es leicht anzumerken,<br />

daß nur die kont<strong>in</strong>uierlichen E<strong>in</strong>flüsse <strong>in</strong> allen Stellen des Raumes unseren S<strong>in</strong>n <strong>von</strong><br />

e<strong>in</strong>em Gegenstande zum an<strong>der</strong>en leiten können, daß das Licht, welches zwischen<br />

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unserem Auge, und den Weltkörpern spielt, e<strong>in</strong>e mittelbare Geme<strong>in</strong>schaft zwischen uns<br />

und diesen bewirken, und dadurch das Zugleichse<strong>in</strong> <strong>der</strong> letzteren beweisen, daß wir<br />

ke<strong>in</strong>en Ort empirisch verän<strong>der</strong>n (diese Verän<strong>der</strong>ung wahrnehmen) können, ohne daß uns<br />

allerwärts Materie die Wahrnehmung unserer Stelle möglich mache, und diese nur<br />

vermittels ihres wechselseitigen E<strong>in</strong>flusses ihr Zugleichse<strong>in</strong>, und dadurch, bis zu den<br />

entlegensten Gegenständen die Koexistenz <strong>der</strong>selben (obzwar nur mittelbar) dartun kann.<br />

Ohne Geme<strong>in</strong>schaft ist jede Wahrnehmung (<strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung im Raume) <strong>von</strong> <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

abgebrochen, und die Kette empirischer Vorstellungen, d.i. Erfahrung, würde bei e<strong>in</strong>em<br />

neuen Objekt ganz <strong>von</strong> vorne anfangen, ohne daß die vorige damit im ger<strong>in</strong>gsten<br />

zusammenhängen, o<strong>der</strong> im Zeitverhältnisse stehen könnte. Den leeren Raum will ich<br />

hierdurch gar nicht wi<strong>der</strong>legen: denn <strong>der</strong> mag immer se<strong>in</strong>, woh<strong>in</strong> Wahrnehmungen gar<br />

nicht reichen, und also ke<strong>in</strong>e empirische Erkenntnis des Zugleichse<strong>in</strong>s stattf<strong>in</strong>det; er ist<br />

aber alsdann für alle unsere mögliche Erfahrung gar ke<strong>in</strong> Objekt.<br />

Zur Erläuterung kann folgendes dienen. In unserem Gemüte müssen alle Ersche<strong>in</strong>ungen,<br />

als <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er möglichen Erfahrung enthalten, <strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>schaft (communio) <strong>der</strong> Apperzeption<br />

stehen, und sofern die Gegenstände als zugleichexistierend verknüpft vorgestellt werden<br />

sollen, so müssen sie ihre Stelle <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zeit wechselseitig bestimmen und dadurch e<strong>in</strong><br />

Ganzes ausmachen. Soll diese subjektive Geme<strong>in</strong>schaft auf e<strong>in</strong>em objektiven Grunde<br />

beruhen, o<strong>der</strong> auf Ersche<strong>in</strong>ungen, als Substanzen bezogen werden, so muß die<br />

Wahrnehmung <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en, als Grund, die Wahrnehmung <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en, und so umgekehrt,<br />

möglich machen, damit die Sukzession, die je<strong>der</strong>zeit <strong>in</strong> den Wahrnehmungen, als<br />

Apprehensionen ist, nicht den Objekten beigelegt werde, son<strong>der</strong>n diese als<br />

zugleichexistierend vorgestellt werden können. Dieses ist aber e<strong>in</strong> wechselseitiger E<strong>in</strong>fluß,<br />

d.i. e<strong>in</strong>e reale Geme<strong>in</strong>schaft (commercium) <strong>der</strong> Substanzen, ohne welche also das<br />

empirische Verhältnis des Zugleichse<strong>in</strong>s nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erfahrung stattf<strong>in</strong>den könnte. Durch<br />

dieses Kommerzium machen die Ersche<strong>in</strong>ungen, sofern sie außere<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, und doch <strong>in</strong><br />

Verknüpfung stehen, e<strong>in</strong> Zusammengesetztes aus (compositum reale) und <strong>der</strong>gleichen<br />

Komposita werden auf mancherlei Art möglich. Die drei dynamischen Verhältnisse, daraus<br />

alle übrigen entspr<strong>in</strong>gen, s<strong>in</strong>d daher das <strong>der</strong> Inhärenz, <strong>der</strong> Konsequenz und <strong>der</strong><br />

Komposition.<br />

Dies s<strong>in</strong>d denn also die drei Analogien <strong>der</strong> Erfahrung. Sie s<strong>in</strong>d nichts an<strong>der</strong>es, als<br />

Grundsätze <strong>der</strong> Bestimmung des Dase<strong>in</strong>s <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit, nach allen drei<br />

modis <strong>der</strong>selben, dem Verhältnisse zu <strong>der</strong> Zeit selbst, als e<strong>in</strong>er Größe (die Größe des<br />

Dase<strong>in</strong>s, d.i. die Dauer), dem Verhältnisse <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit, als e<strong>in</strong>er Reihe (nache<strong>in</strong>an<strong>der</strong>),<br />

endlich auch <strong>in</strong> ihr, als e<strong>in</strong>em Inbegriff alles Dase<strong>in</strong>s (zugleich). Diese E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong><br />

Zeitbestimmung ist durch und durch dynamisch; d.i. die Zeit wird nicht als dasjenige<br />

angesehen, wor<strong>in</strong> die Erfahrung unmittelbar jedem Dase<strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Stelle bestimmte,<br />

welches unmöglich ist, weil die absolute Zeit ke<strong>in</strong> Gegenstand <strong>der</strong> Wahrnehmung ist,<br />

womit Ersche<strong>in</strong>ungen können zusammengehalten werden; son<strong>der</strong>n die Regel des<br />

Verstandes, durch welche alle<strong>in</strong> das Dase<strong>in</strong> <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen synthetische E<strong>in</strong>heit nach<br />

Zeitverhältnissen bekommen kann, bestimmt je<strong>der</strong> <strong>der</strong>selben ihre Stelle <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit, mith<strong>in</strong><br />

a priori und gültig für alle und jede Zeit.<br />

Unter Natur (im empirischen Verstande) verstehen wir den Zusammenhang <strong>der</strong><br />

Ersche<strong>in</strong>ungen ihrem Dase<strong>in</strong> nach, nach notwendigen Regeln, d.i. nach Gesetzen. Es s<strong>in</strong>d<br />

also gewisse Gesetze und zwar a priori, welche allererst e<strong>in</strong>e Natur möglich machen; die<br />

empirischen können nur vermittels <strong>der</strong> Erfahrung und zwar zufolge jener ursprünglichen<br />

Gesetze, nach welchen selbst Erfahrung allererst möglich wird, stattf<strong>in</strong>den und gefunden<br />

werden. Unsere Analogien stellen also eigentlich die Nature<strong>in</strong>heit im Zusammenhange<br />

aller Ersche<strong>in</strong>ungen unter gewissen Exponenten dar, welche nichts an<strong>der</strong>es ausdrücken,<br />

85


als das Verhältnis <strong>der</strong> Zeit (sofern sie alles Dase<strong>in</strong> <strong>in</strong> sich begreift) zur E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong><br />

Apperzeption, die nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> Synthesis nach Regeln stattf<strong>in</strong>den kann. Zusammen sagen<br />

sie also: alle Ersche<strong>in</strong>ungen liegen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Natur und müssen dar<strong>in</strong> liegen, weil ohne<br />

diese E<strong>in</strong>heit a priori ke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Erfahrung, mith<strong>in</strong> auch ke<strong>in</strong>e Bestimmung <strong>der</strong><br />

Gegenstände <strong>in</strong> <strong>der</strong>selben möglich wäre.<br />

Über die Beweisart aber, <strong>der</strong>en wir uns bei diesen transzendentalen Naturgesetzen<br />

bedient haben, und die Eigentümlichkeit <strong>der</strong>selben, ist e<strong>in</strong>e Anmerkung zu machen, die<br />

zugleich als Vorschrift für jeden an<strong>der</strong>en Versuch, <strong>in</strong>tellektuelle und zugleich synthetische<br />

Sätze a priori zu beweisen, sehr wichtig se<strong>in</strong> muß. Hätten wir diese Analogien dogmatisch,<br />

d.i. aus Begriffen, beweisen wollen: daß nämlich alles, was existiert, nur <strong>in</strong> dem<br />

angetroffen werde, was beharrlich ist, daß jede Begebenheit etwas im vorigen Zustande<br />

voraussetze, worauf es nach e<strong>in</strong>er Regel folgt, endlich <strong>in</strong> dem Mannigfaltigen, das<br />

zugleich ist, die Zustände <strong>in</strong> Beziehung aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong> nach e<strong>in</strong>er Regel zugleich seien (<strong>in</strong><br />

Geme<strong>in</strong>schaft stehen), so wäre alle Bemühung gänzlich vergeblich gewesen. Denn man<br />

kann <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Gegenstande und dessen Dase<strong>in</strong> auf das Dase<strong>in</strong> des an<strong>der</strong>en, o<strong>der</strong><br />

se<strong>in</strong>e Art zu existieren, durch bloße Begriffe dieser D<strong>in</strong>ge gar nicht kommen, man mag<br />

dieselben zerglie<strong>der</strong>n wie man wolle. Was blieb uns nun übrig? Die Möglichkeit <strong>der</strong><br />

Erfahrung, als e<strong>in</strong>er Erkenntnis, dar<strong>in</strong> uns alle Gegenstände zuletzt müssen gegeben<br />

werden können, wenn ihre Vorstellung für uns objektive Realität haben soll. In diesem<br />

Dritten nun, dessen wesentliche Form <strong>in</strong> <strong>der</strong> synthetischen E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Apperzeption aller<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen besteht, fanden wir Bed<strong>in</strong>gungen a priori <strong>der</strong> durchgängigen und<br />

notwendigen Zeitbestimmung alles Dase<strong>in</strong>s <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung, ohne welche selbst die<br />

empirische Zeitbestimmung unmöglich se<strong>in</strong> würde, und fanden Regeln <strong>der</strong> synthetischen<br />

E<strong>in</strong>heit a priori, vermittels <strong>der</strong>en wir die Erfahrung antizipieren konnten. In Ermanglung<br />

dieser Methode, und bei dem Wahne, synthetische Sätze, welche <strong>der</strong> Erfahrungsgebrauch<br />

des Verstandes, als se<strong>in</strong>e Pr<strong>in</strong>zipien empfiehlt, dogmatisch beweisen zu wollen, ist es<br />

denn geschehen, daß <strong>von</strong> dem Satze des zureichenden Grundes so oft, aber immer<br />

vergeblich, e<strong>in</strong> Beweis ist versucht worden. An die beiden übrigen Analogien hat niemand<br />

gedacht; ob man sich ihrer gleich immer stillschweigend bediente [10], weil <strong>der</strong> Leitfaden<br />

<strong>der</strong> Kategorien fehlte, <strong>der</strong> alle<strong>in</strong> jede Lücke des Verstandes, sowohl <strong>in</strong> Begriffen, als<br />

Grundsätzen, entdecken und merklich machen kann.<br />

4. Die Postulate des empirischen Denkens überhaupt<br />

1. Was mit den formalen Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Erfahrung (<strong>der</strong> Anschauung und den Begriffen<br />

nach) übere<strong>in</strong>kommt, ist möglich.<br />

2. Was mit den materialen Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Erfahrung (<strong>der</strong> Empf<strong>in</strong>dung) zusammenhängt,<br />

ist wirklich.<br />

3. Dessen Zusammenhang mit dem Wirklichen nach allgeme<strong>in</strong>en Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong><br />

Erfahrung bestimmt ist, ist (existiert) notwendig.<br />

Erläuterung<br />

Die Kategorien <strong>der</strong> Modalität haben das Beson<strong>der</strong>e an sich: daß sie den Begriff, dem sie<br />

als Prädikate beigefügt werden, als Bestimmung des Objekts nicht im m<strong>in</strong>desten<br />

vermehren, son<strong>der</strong>n nur das Verhältnis zum Erkenntnisvermögen ausdrücken. Wenn <strong>der</strong><br />

Begriff e<strong>in</strong>es D<strong>in</strong>ges schon ganz vollständig ist, so kann ich doch noch <strong>von</strong> diesem<br />

Gegenstande fragen, ob er bloß möglich, o<strong>der</strong> auch wirklich, o<strong>der</strong>, wenn er das letztere ist,<br />

ob er gar auch notwendig sei? Hierdurch werden ke<strong>in</strong>e Bestimmungen mehr im Objekte<br />

selbst gedacht, son<strong>der</strong>n es fragt sich nur, wie es sich (samt allen se<strong>in</strong>en Bestimmungen)<br />

86


zum Verstande und dessen empirischen Gebrauche, zur empirischen Urteilskraft, und zur<br />

<strong>Vernunft</strong> (<strong>in</strong> ihrer Anwendung auf Erfahrung) verhalte.<br />

Eben um deswillen s<strong>in</strong>d auch die Grundsätze <strong>der</strong> Modalität nichts weiter, als Erklärungen<br />

<strong>der</strong> Begriffe <strong>der</strong> Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit <strong>in</strong> ihrem empirischen<br />

Gebrauche und hiermit zugleich Restriktionen aller Kategorien auf den bloß empirischen<br />

Gebrauch, ohne den transzendentalen zuzulassen und zu erlauben. Denn wenn diese<br />

nicht e<strong>in</strong>e bloß logische Bedeutung haben und die Form des Denkens analytisch<br />

ausdrücken sollen, son<strong>der</strong>n D<strong>in</strong>ge und <strong>der</strong>en Möglichkeit, Wirklichkeit o<strong>der</strong> Notwendigkeit<br />

betreffen sollen, so müssen sie auf die mögliche Erfahrung und <strong>der</strong>en synthetische E<strong>in</strong>heit<br />

gehen, <strong>in</strong> welcher alle<strong>in</strong> Gegenstände <strong>der</strong> Erkenntnis gegeben werden.<br />

Das Postulat <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge for<strong>der</strong>t also, daß <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong>selben mit den<br />

formalen Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>er Erfahrung überhaupt zusammenstimme. Diese, nämlich die<br />

objektive Form <strong>der</strong> Erfahrung überhaupt, enthält aber alle Synthesis, welche zur<br />

Erkenntnis <strong>der</strong> Objekte erfor<strong>der</strong>t wird. E<strong>in</strong> Begriff, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Synthesis <strong>in</strong> sich faßt, ist für<br />

leer zu halten und bezieht sich auf ke<strong>in</strong>en Gegenstand, wenn diese Synthesis nicht zur<br />

Erfahrung gehört, entwe<strong>der</strong>, als <strong>von</strong> ihr erborgt, und dann heißt er e<strong>in</strong> empirischer Begriff,<br />

o<strong>der</strong> als e<strong>in</strong>e solche, auf <strong>der</strong>, als Bed<strong>in</strong>gung a priori, Erfahrung überhaupt (die Form<br />

<strong>der</strong>selben) beruht, und dann ist es e<strong>in</strong> re<strong>in</strong>er Begriff, <strong>der</strong> dennoch zur Erfahrung gehört,<br />

weil se<strong>in</strong> Objekt nur <strong>in</strong> dieser angetroffen werden kann. Denn wo will man den Charakter<br />

<strong>der</strong> Möglichkeit e<strong>in</strong>es Gegenstandes, <strong>der</strong> durch e<strong>in</strong>en synthetischen Begriff a priori<br />

gedacht worden, hernehmen, wenn es nicht <strong>von</strong> <strong>der</strong> Synthesis geschieht, welche die Form<br />

<strong>der</strong> empirischen Erkenntnis <strong>der</strong> Objekte ausmacht. Daß <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em solchen Begriffe ke<strong>in</strong><br />

Wi<strong>der</strong>spruch enthalten se<strong>in</strong> müsse, ist zwar e<strong>in</strong>e notwendige logische Bed<strong>in</strong>gung; aber zur<br />

objektiven Realität des Begriffs, d.i. <strong>der</strong> Möglichkeit e<strong>in</strong>es solchen Gegenstandes, als<br />

durch den Begriff gedacht wird, bei weitem nicht genug. So ist <strong>in</strong> dem Begriffe e<strong>in</strong>er Figur,<br />

die <strong>in</strong> zwei geraden L<strong>in</strong>ien e<strong>in</strong>geschlossen ist, ke<strong>in</strong> Wi<strong>der</strong>spruch, denn die Begriffe <strong>von</strong><br />

zwei geraden L<strong>in</strong>ien und <strong>der</strong>en Zusammenstoßung, enthalten ke<strong>in</strong>e Verne<strong>in</strong>ung e<strong>in</strong>er<br />

Figur; son<strong>der</strong>n die Unmöglichkeit beruht nicht auf dem Begriffe an sich selbst, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong><br />

Konstruktion desselben im Raume, d.i. den Bed<strong>in</strong>gungen des Raumes und <strong>der</strong><br />

Bestimmung desselben; diese haben aber wie<strong>der</strong>um ihre objektive Realität, d.i. sie gehen<br />

auf mögliche D<strong>in</strong>ge, weil sie die Form <strong>der</strong> Erfahrung überhaupt a priori <strong>in</strong> sich enthalten.<br />

Und nun wollen wir den ausgebreiteten Nutzen und E<strong>in</strong>fluß dieses Postulats <strong>der</strong><br />

Möglichkeit vor Augen legen. Wenn ich mir e<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g vorstelle, das beharrlich ist, so daß<br />

alles, was da wechselt, bloß zu se<strong>in</strong>em Zustande gehört, so kann ich niemals aus e<strong>in</strong>em<br />

solchen Begriffe alle<strong>in</strong> erkennen: daß e<strong>in</strong> <strong>der</strong>gleichen D<strong>in</strong>g möglich sei. O<strong>der</strong> ich stelle mir<br />

etwas vor, welches so beschaffen se<strong>in</strong> soll, daß, wenn es gesetzt wird, je<strong>der</strong>zeit und<br />

unausbleiblich etwas an<strong>der</strong>es darauf erfolgt, so mag dieses allerd<strong>in</strong>gs ohne Wi<strong>der</strong>spruch<br />

so gedacht werden können; ob aber <strong>der</strong>gleichen Eigenschaft (als Kausalität) an<br />

irgende<strong>in</strong>em möglichen D<strong>in</strong>ge angetroffen werde, kann dadurch nicht geurteilt werden.<br />

Endlich kann ich mir verschiedene D<strong>in</strong>ge (Substanzen) vorstellen, die so beschaffen s<strong>in</strong>d,<br />

daß <strong>der</strong> Zustand des e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>e Folge im Zustande des an<strong>der</strong>en nach sich zieht, und so<br />

wechselweise; aber ob <strong>der</strong>gleichen Verhältnis irgend D<strong>in</strong>gen zukommen könne, kann aus<br />

diesen Begriffen, welche e<strong>in</strong>e bloß willkürliche Synthesis enthalten, gar nicht<br />

abgenommen werden. Nur daran also, daß diese Begriffe die Verhältnisse <strong>der</strong><br />

Wahrnehmungen <strong>in</strong> je<strong>der</strong> Erfahrung a priori ausdrücken, erkennt man ihre objektive<br />

Realität, d.i. ihre transzendentale Wahrheit, und zwar freilich unabhängig <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />

Erfahrung, aber doch nicht unabhängig <strong>von</strong> aller Beziehung auf die Form e<strong>in</strong>er Erfahrung<br />

überhaupt, und die synthetische E<strong>in</strong>heit, <strong>in</strong> <strong>der</strong> alle<strong>in</strong> Gegenstände empirisch können<br />

erkannt werden.<br />

87


Wenn man sich aber gar neue Begriffe <strong>von</strong> Substanzen, <strong>von</strong> Kräften, <strong>von</strong><br />

Wechselwirkungen, aus dem Stoffe, den uns die Wahrnehmung darbietet, machen wollte,<br />

ohne <strong>von</strong> <strong>der</strong> Erfahrung selbst das Beispiel ihrer Verknüpfung zu entlehnen; so würde man<br />

<strong>in</strong> lauter Hirngesp<strong>in</strong>ste geraten, <strong>der</strong>en Möglichkeit ganz und gar ke<strong>in</strong> Kennzeichen für sich<br />

hat, weil man bei ihnen nicht Erfahrung zur Lehrer<strong>in</strong> annimmt, noch diese Begriffe <strong>von</strong> ihr<br />

entlehnt. Dergleichen gedichtete Begriffe können den Charakter ihrer Möglichkeit nicht so,<br />

wie die Kategorien, a priori, als Bed<strong>in</strong>gungen, <strong>von</strong> denen alle Erfahrung abhängt, son<strong>der</strong>n<br />

nur a posteriori, als solche, die durch die Erfahrung selbst gegeben werden, bekommen,<br />

und ihre Möglichkeit muß entwe<strong>der</strong> a posteriori und empirisch, o<strong>der</strong> sie kann gar nicht<br />

erkannt werden. E<strong>in</strong>e Substanz, welche beharrlich im Raume gegenwärtig wäre, doch<br />

ohne ihn zu erfüllen (wie dasjenige Mitteld<strong>in</strong>g zwischen Materie und denkenden Wesen,<br />

welches e<strong>in</strong>ige haben e<strong>in</strong>führen wollen), o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e Grundkraft unseres Gemüts,<br />

das Künftige zum voraus anzuschauen (nicht etwa bloß zu folgern), o<strong>der</strong> endlich e<strong>in</strong><br />

Vermögen desselben, mit an<strong>der</strong>en Menschen <strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>schaft <strong>der</strong> Gedanken zu stehen<br />

(so entfernt sie auch se<strong>in</strong> mögen), das s<strong>in</strong>d Begriffe, <strong>der</strong>en Möglichkeit ganz grundlos ist,<br />

weil sie nicht auf Erfahrung und <strong>der</strong>en bekannte Gesetze gegründet werden kann und<br />

ohne sie e<strong>in</strong>e willkürliche Gedankenverb<strong>in</strong>dung ist, die, ob sie zwar ke<strong>in</strong>en Wi<strong>der</strong>spruch<br />

enthält, doch ke<strong>in</strong>en Anspruch auf objektive Realität, mith<strong>in</strong> auf die Möglichkeit e<strong>in</strong>es<br />

solchen Gegenstandes, als man sich hier denken will, machen kann. Was Realität betrifft,<br />

so verbietet es sich wohl <strong>von</strong> selbst, sich e<strong>in</strong>e solche <strong>in</strong> concreto zu denken, ohne die<br />

Erfahrung zu Hilfe zu nehmen; weil sie nur auf Empf<strong>in</strong>dung, als Materie <strong>der</strong> Erfahrung,<br />

gehen kann und nicht die Form des Verhältnisses betrifft, mit <strong>der</strong> man allenfalls <strong>in</strong><br />

Erdichtungen spielen könnte.<br />

Aber ich lasse alles vorbei, dessen Möglichkeit nur aus <strong>der</strong> Wirklichkeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erfahrung<br />

kann abgenommen werden, und erwäge hier nur die Möglichkeit <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge durch Begriffe<br />

a priori, <strong>von</strong> denen ich fortfahre zu behaupten: daß sie niemals aus solchen Begriffen für<br />

sich alle<strong>in</strong>, son<strong>der</strong>n je<strong>der</strong>zeit nur als formale und objektive Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>er Erfahrung<br />

überhaupt stattf<strong>in</strong>den können.<br />

Es hat zwar den Ansche<strong>in</strong>, als wenn die Möglichkeit e<strong>in</strong>es Triangels aus se<strong>in</strong>em Begriffe<br />

an sich selbst könne erkannt werden (<strong>von</strong> <strong>der</strong> Erfahrung ist er gewiß unabhängig); denn <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Tat können wir ihm gänzlich a priori e<strong>in</strong>en Gegenstand geben, d.i. ihn konstruieren.<br />

Weil dieses aber nur die Form <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Gegenstande ist, so würde er doch immer nur<br />

e<strong>in</strong> Produkt <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildung bleiben, <strong>von</strong> dessen Gegenstand die Möglichkeit noch<br />

zweifelhaft bliebe, als wozu noch etwas mehr erfor<strong>der</strong>t wird, nämlich daß e<strong>in</strong>e solche Figur<br />

unter lauter Bed<strong>in</strong>gungen, auf denen alle Gegenstände <strong>der</strong> Erfahrung beruhen, gedacht<br />

sei. Daß nun <strong>der</strong> Raum e<strong>in</strong>e formale Bed<strong>in</strong>gung a priori <strong>von</strong> äußeren Erfahrungen ist, daß<br />

eben dieselbe bildende Synthesis, wodurch wir <strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft e<strong>in</strong>en Triangel<br />

konstruieren, mit <strong>der</strong>jenigen gänzlich e<strong>in</strong>erlei sei, welche wir <strong>in</strong> <strong>der</strong> Apprehension e<strong>in</strong>er<br />

Ersche<strong>in</strong>ung ausüben, um uns da<strong>von</strong> e<strong>in</strong>en Erfahrungsbegriff zu machen: das ist es alle<strong>in</strong>,<br />

was mit diesem Begriffe die Vorstellung <strong>von</strong> <strong>der</strong> Möglichkeit e<strong>in</strong>es solchen D<strong>in</strong>ges<br />

verknüpft. Und so ist die Möglichkeit kont<strong>in</strong>uierlicher Größen, ja sogar <strong>der</strong> Größen<br />

überhaupt, weil die Begriffe da<strong>von</strong> <strong>in</strong>sgesamt synthetisch s<strong>in</strong>d, niemals aus den Begriffen<br />

selbst, son<strong>der</strong>n aus ihnen, als formalen Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Bestimmung <strong>der</strong> Gegenstände<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Erfahrung überhaupt, allererst klar; und wo sollte man auch Gegenstände suchen<br />

wollen, die den Begriffen korrespondierten, wäre es nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erfahrung, durch die uns<br />

alle<strong>in</strong> Gegenstände gegeben werden; wiewohl wir, ohne eben Erfahrung selbst<br />

voranzuschicken, bloß <strong>in</strong> Beziehung auf die formalen Bed<strong>in</strong>gungen, unter welchen <strong>in</strong> ihr<br />

überhaupt etwas als Gegenstand bestimmt wird, mith<strong>in</strong> völlig a priori, aber doch nur <strong>in</strong><br />

Beziehung auf sie und <strong>in</strong>nerhalb ihren Grenzen, die Möglichkeit <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge erkennen und<br />

charakterisieren können.<br />

88


Das Postulat, die Wirklichkeit <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge zu erkennen, for<strong>der</strong>t Wahrnehmung, mith<strong>in</strong><br />

Empf<strong>in</strong>dung, <strong>der</strong>en man sich bewußt ist, zwar nicht eben unmittelbar, <strong>von</strong> dem<br />

Gegenstande selbst, dessen Dase<strong>in</strong> erkannt werden soll, aber doch Zusammenhang<br />

desselben mit irgende<strong>in</strong>er wirklichen Wahrnehmung, nach den Analogien <strong>der</strong> Erfahrung,<br />

welche alle reale Verknüpfung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Erfahrung überhaupt darlegen.<br />

In dem bloßen Begriffe e<strong>in</strong>es D<strong>in</strong>ges kann gar ke<strong>in</strong> Charakter se<strong>in</strong>es Dase<strong>in</strong>s angetroffen<br />

werden. Denn ob <strong>der</strong>selbe gleich noch so vollständig sei, daß nicht das m<strong>in</strong>deste<br />

ermangele, um e<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g mit allen se<strong>in</strong>en <strong>in</strong>neren Bestimmungen zu denken, so hat das<br />

Dase<strong>in</strong> mit allem diesen doch gar nichts zu tun, son<strong>der</strong>n nur mit <strong>der</strong> Frage: ob e<strong>in</strong> solches<br />

D<strong>in</strong>g uns gegeben sei, so, daß die Wahrnehmung desselben vor dem Begriffe allenfalls<br />

vorhergehen könne. Denn, daß <strong>der</strong> Begriff vor <strong>der</strong> Wahrnehmung vorhergeht, bedeutet<br />

dessen bloße Möglichkeit, die Wahrnehmung aber, die den Stoff zum Begriff hergibt, ist<br />

<strong>der</strong> e<strong>in</strong>zige Charakter <strong>der</strong> Wirklichkeit. Man kann aber auch vor <strong>der</strong> Wahrnehmung des<br />

D<strong>in</strong>ges und also komparative a priori das Dase<strong>in</strong> desselben erkennen, wenn es nur mit<br />

e<strong>in</strong>igen Wahrnehmungen, nach den Grundsätzen <strong>der</strong> empirischen Verknüpfung <strong>der</strong>selben<br />

(den Analogien) zusammenhängt. Denn alsdann hängt doch das Dase<strong>in</strong> des D<strong>in</strong>ges mit<br />

unseren Wahrnehmungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er möglichen Erfahrung zusammen, und wir können nach<br />

dem Leitfaden jener Analogien, <strong>von</strong> unserer wirklichen Wahrnehmung zu dem D<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Reihe möglicher Wahrnehmungen gelangen. So erkennen wir das Dase<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er alle<br />

Körper durchdr<strong>in</strong>genden magnetischen Materie aus <strong>der</strong> Wahrnehmung des gezogenen<br />

Eisenfeiligs, obzwar e<strong>in</strong>e unmittelbare Wahrnehmung dieses Stoffs uns nach <strong>der</strong><br />

Beschaffenheit unserer Organe unmöglich ist. Denn überhaupt würden wir nach Gesetzen<br />

<strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit und dem Kontext unserer Wahrnehmungen, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Erfahrung auch auf<br />

die unmittelbare empirische Anschauung <strong>der</strong>selben stoßen, wenn unsere S<strong>in</strong>ne fe<strong>in</strong>er<br />

wären, <strong>der</strong>en Grobheit die Form möglicher Erfahrung überhaupt nichts angeht. Wo also<br />

Wahrnehmung und <strong>der</strong>en Anhang nach empirischen Gesetzen h<strong>in</strong>reicht, dah<strong>in</strong> reicht auch<br />

unsere Erkenntnis vom Dase<strong>in</strong> <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge. Fangen wir nicht <strong>von</strong> Erfahrung an, o<strong>der</strong> gehen<br />

wir nicht nach Gesetzen des empirischen Zusammenhanges <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen fort, so<br />

machen wir uns vergeblich Staat, das Dase<strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>es D<strong>in</strong>ges erraten o<strong>der</strong> erforschen<br />

zu wollen.<br />

Was endlich das dritte Postulat betrifft, so geht es auf die materiale Notwendigkeit im<br />

Dase<strong>in</strong> und nicht die bloß formale und logische <strong>in</strong> Verknüpfung <strong>der</strong> Begriffe. Da nun ke<strong>in</strong>e<br />

Existenz <strong>der</strong> Gegenstände <strong>der</strong> S<strong>in</strong>ne völlig a priori erkannt werden kann, aber doch<br />

komparative a priori relativisch auf e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es schon gegebenes Dase<strong>in</strong>, gleichwohl aber<br />

auch alsdann nur auf diejenige Existenz kommen kann, die irgendwo <strong>in</strong> dem<br />

Zusammenhange <strong>der</strong> Erfahrung, da<strong>von</strong> die gegebene Wahrnehmung e<strong>in</strong> Teil ist, enthalten<br />

se<strong>in</strong> muß: so kann die Notwendigkeit <strong>der</strong> Existenz niemals aus Begriffen, son<strong>der</strong>n<br />

je<strong>der</strong>zeit nur aus <strong>der</strong> Verknüpfung mit demjenigen, was wahrgenommen wird nach<br />

allgeme<strong>in</strong>en Gesetzen <strong>der</strong> Erfahrung erkannt werden. Da ist nun ke<strong>in</strong> Dase<strong>in</strong>, was unter<br />

<strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gung an<strong>der</strong>er gegebener Ersche<strong>in</strong>ungen, als notwendig erkannt werden könnte,<br />

als das Dase<strong>in</strong> <strong>der</strong> Wirkungen aus gegebenen Ursachen nach Gesetzen <strong>der</strong> Kausalität.<br />

Also ist es nicht das Dase<strong>in</strong> <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge (Substanzen), son<strong>der</strong>n ihres Zustandes, wo<strong>von</strong> wir<br />

alle<strong>in</strong> die Notwendigkeit erkennen können, und zwar aus an<strong>der</strong>en Zuständen, die <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Wahrnehmung gegeben s<strong>in</strong>d, nach empirischen Gesetzen <strong>der</strong> Kausalität. Hieraus folgt:<br />

daß das Kriterium <strong>der</strong> Notwendigkeit lediglich <strong>in</strong> dem Gesetze <strong>der</strong> möglichen Erfahrung<br />

liege, daß alles, was geschieht, durch se<strong>in</strong>e Ursache <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung a priori bestimmt<br />

sei. Daher erkennen wir nur die Notwendigkeit <strong>der</strong> Wirkungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Natur, <strong>der</strong>en<br />

Ursachen uns gegeben s<strong>in</strong>d, und das Merkmal <strong>der</strong> Notwendigkeit im Dase<strong>in</strong> reicht nicht<br />

weiter, als das Feld möglicher Erfahrung, und selbst <strong>in</strong> diesem gilt es nicht <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />

89


Existenz <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge als Substanzen, weil diese niemals, als empirische Wirkungen, o<strong>der</strong><br />

etwas, das geschieht und entsteht, können angesehen werden. Die Notwendigkeit betrifft<br />

also nur die Verhältnisse <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen nach dem dynamischen Gesetze <strong>der</strong><br />

Kausalität und die darauf sich gründende Möglichkeit, aus irgende<strong>in</strong>em gegebenen Dase<strong>in</strong><br />

(e<strong>in</strong>er Ursache) a priori auf e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es Dase<strong>in</strong> (<strong>der</strong> Wirkung) zu schließen. Alles, was<br />

geschieht, ist hypothetisch notwendig: das ist e<strong>in</strong> Grundsatz, welcher die Verän<strong>der</strong>ung <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Welt e<strong>in</strong>em Gesetze unterwirft, d.i. e<strong>in</strong>er Regel des notwendigen Dase<strong>in</strong>s, ohne<br />

welche gar nicht e<strong>in</strong>mal Natur stattf<strong>in</strong>den würde. Daher ist <strong>der</strong> Satz: nichts geschieht durch<br />

e<strong>in</strong> bl<strong>in</strong>des Ungefähr (<strong>in</strong> mundo non datur casus), e<strong>in</strong> Naturgesetz a priori; imgleichen<br />

ke<strong>in</strong>e Notwendigkeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Natur ist bl<strong>in</strong>de, son<strong>der</strong>n bed<strong>in</strong>gte, mith<strong>in</strong> verständliche<br />

Notwendigkeit (non datur fatum). Beide s<strong>in</strong>d solche Gesetze, durch welche das Spiel <strong>der</strong><br />

Verän<strong>der</strong>ungen e<strong>in</strong>er Natur <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge (als Ersche<strong>in</strong>ungen) unterworfen wird, o<strong>der</strong>,<br />

welches e<strong>in</strong>erlei ist, <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit des Verstandes, <strong>in</strong> welchem sie alle<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er Erfahrung,<br />

als <strong>der</strong> synthetischen E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen, gehören können. Diese beiden<br />

Grundsätze gehören zu den dynamischen. Der erstere ist eigentlich e<strong>in</strong>e Folge des<br />

Grundsatzes <strong>von</strong> <strong>der</strong> Kausalität (unter den Analogien <strong>der</strong> Erfahrung). Der zweite gehört zu<br />

den Grundsätzen <strong>der</strong> Modalität, welche zu <strong>der</strong> Kausalbestimmung noch den Begriff <strong>der</strong><br />

Notwendigkeit, die aber unter e<strong>in</strong>er Regel des Verstandes steht, h<strong>in</strong>zutut. Das Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong><br />

Kont<strong>in</strong>uität verbot <strong>in</strong> <strong>der</strong> Reihe <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen (Verän<strong>der</strong>ungen) allen Absprung (<strong>in</strong><br />

mundo non datur saltus), aber auch <strong>in</strong> dem Inbegriff aller empirischen Anschauungen im<br />

Raume alle Lücke o<strong>der</strong> Kluft zwischen zwei Ersche<strong>in</strong>ungen (non datur hiatus); denn so<br />

kann man den Satz ausdrücken: daß <strong>in</strong> die Erfahrung nichts h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>kommen kann, was e<strong>in</strong><br />

Vakuum bewiese, o<strong>der</strong> auch nur als e<strong>in</strong>en Teil <strong>der</strong> empirischen Synthesis zuließe. Denn<br />

was das Leere betrifft, welches man sich außerhalb dem Felde möglicher Erfahrung (<strong>der</strong><br />

Welt) denken mag, so gehört dieses nicht vor die Gerichtsbarkeit des bloßen Verstandes,<br />

welcher nur über die Fragen entscheidet, die die Nutzung gegebener Ersche<strong>in</strong>ungen zur<br />

empirischen Erkenntnis betreffen, und ist e<strong>in</strong>e Aufgabe für die idealische <strong>Vernunft</strong>, die<br />

noch über die Sphäre e<strong>in</strong>er möglichen Erfahrung h<strong>in</strong>ausgeht, und <strong>von</strong> dem urteilen will,<br />

was diese selbst umgibt und begrenzt, muß daher <strong>in</strong> <strong>der</strong> transszendentalen Dialektik<br />

erwogen werden. Diese vier Sätze (<strong>in</strong> mundo non datur hiatus, non datur saltus, non datur<br />

casus, non datur fatum) könnten wir leicht, so wie alle Grundsätze transzendentalen<br />

Ursprungs nach ihrer Ordnung, gemäß <strong>der</strong> Ordnung <strong>der</strong> Kategorien vorstellig machen und<br />

jedem se<strong>in</strong>e Stelle beweisen; alle<strong>in</strong> <strong>der</strong> schon geübte Leser wird dieses <strong>von</strong> selbst tun,<br />

o<strong>der</strong> den Leitfaden dazu leicht entdecken. Sie vere<strong>in</strong>igen sich aber alle lediglich dah<strong>in</strong>, um<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> empirischen Synthesis nichts zuzulassen, was dem Verstande und dem<br />

kont<strong>in</strong>uierlichen Zusammenhange aller Ersche<strong>in</strong>ungen, d.i. <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit se<strong>in</strong>er Begriffe,<br />

Abbruch o<strong>der</strong> E<strong>in</strong>trag tun könnte. Denn er ist es alle<strong>in</strong>, wor<strong>in</strong> die E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Erfahrung, <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> alle Wahrnehmungen ihre Stelle haben müssen, möglich wird.<br />

Ob das Feld <strong>der</strong> Möglichkeit größer sei, als das Feld, was alles Wirkliche enthält, dieses<br />

aber wie<strong>der</strong>um größer als die Menge desjenigen, was notwendig ist: das s<strong>in</strong>d artige<br />

Fragen, und zwar <strong>von</strong> synthetischer Auflösung, die aber auch nur <strong>der</strong> Gerichtsbarkeit <strong>der</strong><br />

<strong>Vernunft</strong> anheimfallen; denn sie wollen ungefähr soviel sagen, als, ob alle D<strong>in</strong>ge, als<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen, <strong>in</strong>sgesamt <strong>in</strong> den Inbegriff und den Kontext e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zigen Erfahrung<br />

gehören, <strong>von</strong> <strong>der</strong> jede gegebene Wahrnehmung e<strong>in</strong> Teil ist, <strong>der</strong> also mit ke<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen könne verbunden werden, o<strong>der</strong> ob me<strong>in</strong>e Wahrnehmungen zu mehr wie<br />

e<strong>in</strong>er möglichen Erfahrung (<strong>in</strong> ihrem allgeme<strong>in</strong>en Zusammenhange) gehören können. Der<br />

Verstand gibt a priori <strong>der</strong> Erfahrung überhaupt nur die Regel, nach den subjektiven und<br />

formalen Bed<strong>in</strong>gungen, sowohl <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit als <strong>der</strong> Apperzeption, welche sie alle<strong>in</strong><br />

möglich machen. An<strong>der</strong>e Formen <strong>der</strong> Anschauung (als Raum und Zeit), imgleichen an<strong>der</strong>e<br />

Formen des Verstandes (als die diskursive des Denkens o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Erkenntnis durch<br />

90


Begriffe), ob sie gleich möglich wären, können wir uns doch auf ke<strong>in</strong>erlei Weise erdenken<br />

und faßlich machen; aber, wenn wir es auch könnten, so würden sie doch nicht zur<br />

Erfahrung, als dem e<strong>in</strong>zigen Erkenntnis gehören, wor<strong>in</strong> uns Gegenstände gegeben<br />

werden. Ob an<strong>der</strong>e Wahrnehmungen, als überhaupt zu unserer gesamten möglichen<br />

Erfahrung gehören, und also e<strong>in</strong> ganz an<strong>der</strong>es Feld <strong>der</strong> Materie noch stattf<strong>in</strong>den könne,<br />

kann <strong>der</strong> Verstand nicht entscheiden, er hat es nur mit <strong>der</strong> Synthesis dessen zu tun, was<br />

gegeben ist. Sonst ist die Armseligkeit unserer gewöhnlichen Schlüsse, wodurch wir e<strong>in</strong><br />

großes Reich <strong>der</strong> Möglichkeit herausbr<strong>in</strong>gen, da<strong>von</strong> alles Wirkliche (aller Gegenstand <strong>der</strong><br />

Erfahrung) nur e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Teil sei, sehr <strong>in</strong> die Augen fallend. Alles Wirkliche ist möglich;<br />

hieraus folgt natürlicherweise, nach den logischen Regeln <strong>der</strong> Umkehrung, <strong>der</strong> bloß<br />

partikulare Satz: e<strong>in</strong>iges Mögliche ist wirklich, welches denn soviel zu bedeuten sche<strong>in</strong>t,<br />

als: es ist vieles möglich, was nicht wirklich ist. Zwar hat es den Ansche<strong>in</strong>, als könne man<br />

auch geradezu die Zahl des Möglichen über die des Wirklichen dadurch h<strong>in</strong>aussetzen,<br />

weil zu jener noch etwas h<strong>in</strong>zukommen muß, um diese auszumachen. Alle<strong>in</strong> dieses<br />

H<strong>in</strong>zukommen zum Möglichen kenne ich nicht. Denn was über dasselbe noch zugesetzt<br />

werden sollte, wäre unmöglich. Es kann nur zu me<strong>in</strong>em Verstande etwas über die<br />

Zusammenstimmung mit den formalen Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Erfahrung, nämlich die<br />

Verknüpfung mit irgende<strong>in</strong>er Wahrnehmung h<strong>in</strong>zukommen; was aber mit dieser nach<br />

empirischen Gesetzen verknüpft ist, ist wirklich, ob es gleich unmittelbar nicht<br />

wahrgenommen wird. Daß aber im durchgängigen Zusammenhange mit dem, was mir <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Wahrnehmung gegeben ist, e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Reihe <strong>von</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen, mith<strong>in</strong> mehr wie<br />

e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige, alles befassende Erfahrung möglich sei, läßt sich aus dem, was gegeben ist,<br />

nicht schließen, und ohne daß irgend etwas gegeben ist, noch viel weniger; weil ohne<br />

Stoff sich überall nichts denken läßt. Was unter Bed<strong>in</strong>gungen, die selbst bloß möglich s<strong>in</strong>d,<br />

alle<strong>in</strong> möglich ist, ist es nicht <strong>in</strong> aller Absicht. In dieser aber wird die Frage genommen,<br />

wenn man wissen will, ob die Möglichkeit <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge sich weiter erstrecke, als Erfahrung<br />

reichen kann.<br />

Ich habe dieser Fragen nur Erwähnung getan, um ke<strong>in</strong>e Lücke <strong>in</strong> demjenigen zu lassen,<br />

was, <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>en Me<strong>in</strong>ung nach, zu den Verstandesbegriffen gehört. In <strong>der</strong> Tat ist aber<br />

die absolute Möglichkeit (die <strong>in</strong> aller Absicht gültig ist) ke<strong>in</strong> bloßer Verstandesbegriff und<br />

kann auf ke<strong>in</strong>erlei Weise <strong>von</strong> empirischem Gebrauche se<strong>in</strong>, son<strong>der</strong>n er gehört alle<strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Vernunft</strong> zu, die über allen möglichen empirischen Verstandesgebrauch h<strong>in</strong>ausgeht. Daher<br />

haben wir uns hierbei mit e<strong>in</strong>er bloß kritischen Anmerkung begnügen müssen, übrigens<br />

aber die Sache bis zum weiteren künftigen Verfahren <strong>in</strong> <strong>der</strong> Dunkelheit gelassen.<br />

Da ich eben diese vierte Nummer und mit ihr zugleich das System aller Grundsätze des<br />

<strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes schließen will, so muß ich noch Grund angeben, warum ich die<br />

Pr<strong>in</strong>zipien <strong>der</strong> Modalität gerade Postulate genannt habe. Ich will diesen Ausdruck hier<br />

nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bedeutung nehmen, welche ihm e<strong>in</strong>ige neuere philosophische Verfasser, wi<strong>der</strong><br />

den S<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Mathematiker, denen er doch eigentlich angehört, gegeben haben, nämlich:<br />

daß Postulieren so viel heißen solle, als e<strong>in</strong>en Satz für unmittelbar gewiß, ohne<br />

Rechtfertigung o<strong>der</strong> Beweis ausgeben; denn, wenn wir das bei synthetischen Sätzen, so<br />

evident sie auch se<strong>in</strong> mögen, e<strong>in</strong>räumen sollten, daß man sie ohne Deduktion, auf das<br />

Ansehen ihres eigenen Ausspruchs, dem unbed<strong>in</strong>gten Beifalle aufheften dürfe, so ist alle<br />

<strong>Kritik</strong> des Verstandes verloren; und, da es an dreisten Anmaßungen nicht fehlt, <strong>der</strong>en sich<br />

auch <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>e Glaube (<strong>der</strong> aber ke<strong>in</strong> Kreditiv ist) nicht weigert; so wird unser Verstand<br />

jedem Wahne offenstehen, ohne daß er se<strong>in</strong>en Beifall denen Aussprüchen versagen kann,<br />

die, obgleich unrechtmäßig, doch <strong>in</strong> eben demselben Tone <strong>der</strong> Zuversicht, als wirkliche<br />

Axiome e<strong>in</strong>gelassen zu werden verlangen. Wenn also zu dem Begriffe e<strong>in</strong>es D<strong>in</strong>ges e<strong>in</strong>e<br />

Bestimmung a priori synthetisch h<strong>in</strong>zukommt, so muß <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em solchen Satze, wo nicht<br />

e<strong>in</strong> Beweis, doch wenigstens e<strong>in</strong>e Deduktion <strong>der</strong> Rechtmäßigkeit se<strong>in</strong>er Behauptung<br />

91


unnachläßlich h<strong>in</strong>zugefügt werden.<br />

Die Grundsätze <strong>der</strong> Modalität s<strong>in</strong>d aber nicht objektiv synthetisch, weil die Prädikate <strong>der</strong><br />

Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit den Begriff, <strong>von</strong> dem sie gesagt werden, nicht<br />

im m<strong>in</strong>desten vermehren, dadurch daß sie <strong>der</strong> Vorstellung des Gegenstandes noch etwas<br />

h<strong>in</strong>zusetzten. Da sie aber gleichwohl immer synthetisch s<strong>in</strong>d, so s<strong>in</strong>d sie es nur subjektiv,<br />

d.i. sie fügen zu dem Begriffe e<strong>in</strong>es D<strong>in</strong>ges (realen), <strong>von</strong> dem sie sonst nichts sagen, die<br />

Erkenntniskraft h<strong>in</strong>zu, wor<strong>in</strong> er entspr<strong>in</strong>gt und se<strong>in</strong>en Sitz hat, so daß, wenn er bloß im<br />

Verstande mit den formalen Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Erfahrung <strong>in</strong> Verknüpfung ist, se<strong>in</strong><br />

Gegenstand möglich heißt; ist er mit <strong>der</strong> Wahrnehmung (Empf<strong>in</strong>dung, als Materie <strong>der</strong><br />

S<strong>in</strong>ne) im Zusammenhange und durch dieselben vermittels des Verstandes bestimmt, so<br />

ist das Objekt wirklich; ist er durch den Zusammenhang <strong>der</strong> Wahrnehmungen nach<br />

Begriffen bestimmt, so heißt <strong>der</strong> Gegenstand notwendig. Die Grundsätze <strong>der</strong> Modalität<br />

also sagen <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Begriffe nichts an<strong>der</strong>es, als die Handlung des<br />

Erkenntnisvermögens, dadurch er erzeugt wird. Nun heißt e<strong>in</strong> Postulat <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mathematik<br />

<strong>der</strong> praktische Satz, <strong>der</strong> nichts als die Synthesis enthält, wodurch wir e<strong>in</strong>en Gegenstand<br />

uns zuerst geben und dessen Begriff erzeugen, z.B. mit e<strong>in</strong>er gegebenen L<strong>in</strong>ie, aus e<strong>in</strong>em<br />

gegebenen Punkt auf e<strong>in</strong>er Ebene e<strong>in</strong>en Zirkel zu beschreiben, und e<strong>in</strong> <strong>der</strong>gleichen Satz<br />

kann darum nicht bewiesen werden, weil das Verfahren, was er for<strong>der</strong>t, gerade das ist,<br />

wodurch wir den Begriff <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er solchen Figur zuerst erzeugen. So können wir demnach<br />

mit ebendemselben Rechte die Grundsätze <strong>der</strong> Modalität postulieren, weil sie ihren Begriff<br />

<strong>von</strong> D<strong>in</strong>gen überhaupt nicht vermehren [11], son<strong>der</strong>n nur die Art anzeigen, wie er<br />

überhaupt mit <strong>der</strong> Erkenntniskraft verbunden wird.<br />

92


3. Hauptstück: Von dem Grunde <strong>der</strong> Unterscheidung aller Gegenstände<br />

überhaupt <strong>in</strong> Phaenomena und Noumena<br />

Wir haben jetzt das Land des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes nicht alle<strong>in</strong> durchreist und jeden Teil<br />

da<strong>von</strong> sorgfältig <strong>in</strong> Augensche<strong>in</strong> genommen, son<strong>der</strong>n es auch durchmessen und jedem<br />

D<strong>in</strong>ge auf demselben se<strong>in</strong>e Stelle bestimmt. Dieses Land aber ist e<strong>in</strong>e Insel und durch die<br />

Natur selbst <strong>in</strong> unverän<strong>der</strong>liche Grenzen e<strong>in</strong>geschlossen. Es ist das Land <strong>der</strong> Wahrheit<br />

(e<strong>in</strong> reizen<strong>der</strong> Name), umgeben <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em weiten und stürmischen Ozeane, dem<br />

eigentlichen Sitze des Sche<strong>in</strong>s, wo manche Nebelbank und manches bald<br />

wegschmelzende Eis neue Län<strong>der</strong> lügt, und <strong>in</strong>dem es den auf Entdeckungen<br />

herumschwärmenden Seefahrer unaufhörlich mit leeren Hoffnungen täuscht, ihn <strong>in</strong><br />

Abenteuer verflechtet, <strong>von</strong> denen er niemals ablassen, und sie doch auch niemals zu<br />

Ende br<strong>in</strong>gen kann. Ehe wir uns aber auf dieses Meer wagen, um es nach allen Breiten zu<br />

durchsuchen und gewiß zu werden, ob etwas <strong>in</strong> ihnen zu hoffen sei, so wird es nützlich<br />

se<strong>in</strong>, zuvor noch e<strong>in</strong>en Blick auf die Karte des Landes zu werfen, das wir eben verlassen<br />

wollen, und erstlich zu fragen, ob wir mit dem, was es <strong>in</strong> sich enthält, nicht allenfalls<br />

zufrieden se<strong>in</strong> könnten, o<strong>der</strong> auch aus Not zufrieden se<strong>in</strong> müssen, wenn es sonst überall<br />

ke<strong>in</strong>en Boden gibt, auf dem wir uns anbauen könnten, zweitens, unter welchem Titel wir<br />

denn selbst dieses Land besitzen, und uns wi<strong>der</strong> alle fe<strong>in</strong>dseligen Ansprüche gesichert<br />

halten können. Obschon wir diese Fragen <strong>in</strong> dem Lauf <strong>der</strong> Analytik schon h<strong>in</strong>reichend<br />

beantwortet haben, so kann doch e<strong>in</strong> summarischer Überschlag ihrer Auflösungen die<br />

Überzeugung dadurch verstärken, daß er die Momente <strong>der</strong>selben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Punkt<br />

vere<strong>in</strong>igt.<br />

Wir haben nämlich gesehen: daß alles, was <strong>der</strong> Verstand aus sich selbst schöpft, ohne es<br />

<strong>von</strong> <strong>der</strong> Erfahrung zu borgen, das habe er dennoch zu ke<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en Behuf, als lediglich<br />

zum Erfahrungsgebrauch. Die Grundsätze des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes, sie mögen nun a priori<br />

konstitutiv se<strong>in</strong> (wie die mathematischen), o<strong>der</strong> bloß regulativ (wie die dynamischen),<br />

enthalten nichts als gleichsam nur das re<strong>in</strong>e Schema zur möglichen Erfahrung; denn diese<br />

hat ihre E<strong>in</strong>heit nur <strong>von</strong> <strong>der</strong> synthetischen E<strong>in</strong>heit, welche <strong>der</strong> Verstand <strong>der</strong> Synthesis <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>bildungskraft <strong>in</strong> Beziehung auf die Apperzeption ursprünglich und <strong>von</strong> selbst erteilt, und<br />

auf welche die Ersche<strong>in</strong>ungen, als data zu e<strong>in</strong>em möglichen Erkenntnisse, schon a priori<br />

<strong>in</strong> Beziehung und E<strong>in</strong>stimmung stehen müssen. Ob nun aber gleich diese<br />

Verstandesregeln nicht alle<strong>in</strong> a priori wahr s<strong>in</strong>d, son<strong>der</strong>n sogar <strong>der</strong> Quell aller Wahrheit,<br />

d.i. <strong>der</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung unserer Erkenntnis mit Objekten, dadurch, daß sie den Grund<br />

<strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> Erfahrung, als des Inbegriffes aller Erkenntnis, dar<strong>in</strong> uns Objekte<br />

gegeben werden mögen, <strong>in</strong> sich enthalten, so sche<strong>in</strong>t es uns doch nicht genug, sich bloß<br />

dasjenige vortragen zu lassen, was wahr ist, son<strong>der</strong>n, was man zu wissen begehrt. Wenn<br />

wir also durch diese kritische Untersuchung nichts Mehreres lernen, als was wir im bloß<br />

empirischen Gebrauche des Verstandes, auch ohne so subtile Nachforschung, <strong>von</strong> selbst<br />

wohl würden ausgeübt haben, so sche<strong>in</strong>t es, sei <strong>der</strong> Vorteil, den man aus ihr zieht, den<br />

Aufwand und die Zurüstung nicht wert. Nun kann man zwar hierauf antworten: daß ke<strong>in</strong><br />

Vorwitz <strong>der</strong> Erweiterung unserer Erkenntnis nachteiliger sei, als <strong>der</strong>, so den Nutzen<br />

je<strong>der</strong>zeit zum voraus wissen will, ehe man sich auf Nachforschungen e<strong>in</strong>läßt, und ehe<br />

man noch sich den m<strong>in</strong>desten Begriff <strong>von</strong> diesem Nutzen machen könnte, wenn <strong>der</strong>selbe<br />

auch vor Augen gestellt würde. Alle<strong>in</strong> es gibt doch e<strong>in</strong>en Vorteil, <strong>der</strong> auch dem<br />

schwierigsten und unlustigsten Lehrl<strong>in</strong>ge solcher transzendentalen Nachforschung<br />

begreiflich und zugleich angelegen gemacht werden kann, nämlich diesen: daß <strong>der</strong> bloß<br />

mit se<strong>in</strong>em empirischen Gebrauche beschäftigte Verstand, <strong>der</strong> über die Quellen se<strong>in</strong>er<br />

eigenen Erkenntnis nicht nachs<strong>in</strong>nt, zwar sehr gut fortkommen, e<strong>in</strong>es aber gar nicht leisten<br />

könne, nämlich, sich selbst die Grenzen se<strong>in</strong>es Gebrauchs zu bestimmen, und zu wissen,<br />

93


was <strong>in</strong>nerhalb o<strong>der</strong> außerhalb se<strong>in</strong>er ganzen Sphäre liegen mag; denn dazu werden eben<br />

die tiefen Untersuchungen erfor<strong>der</strong>t, die wir angestellt haben. Kann er aber nicht<br />

unterscheiden, ob gewisse Fragen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Horizonte liegen, o<strong>der</strong> nicht, so ist er niemals<br />

se<strong>in</strong>er Ansprüche und se<strong>in</strong>es Besitzes sicher, son<strong>der</strong>n darf sich nur auf vielfältige<br />

beschämende Zurechtweisungen Rechnung machen, wenn er die Grenzen se<strong>in</strong>es Gebiets<br />

(wie es unvermeidlich ist) unaufhörlich überschreitet, und sich <strong>in</strong> Wahn und Blendwerke<br />

verirrt.<br />

Daß also <strong>der</strong> Verstand <strong>von</strong> allen se<strong>in</strong>en Grundsätzen a priori, ja <strong>von</strong> allen se<strong>in</strong>en Begriffen<br />

ke<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en als empirischen, niemals aber e<strong>in</strong>en transzendentalen Gebrauch machen<br />

könne, ist e<strong>in</strong> Satz, <strong>der</strong>, wenn er mit Überzeugung erkannt werden kann, <strong>in</strong> wichtige<br />

Folgen h<strong>in</strong>aussieht. Der transzendentale Gebrauch e<strong>in</strong>es Begriffs <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>em<br />

Grundsatze ist dieser: daß er auf D<strong>in</strong>ge überhaupt und an sich selbst, <strong>der</strong> empirische aber,<br />

wenn er bloß auf Ersche<strong>in</strong>ungen, d.i. Gegenstände e<strong>in</strong>er möglichen Erfahrung, bezogen<br />

wird. Daß aber überall nur <strong>der</strong> letztere stattf<strong>in</strong>den könne, ersieht man daraus. Zu jedem<br />

Begriff wird erstlich die logische Form e<strong>in</strong>es Begriffs (des Denkens) überhaupt, und dann<br />

zweitens auch die Möglichkeit, ihm e<strong>in</strong>en Gegenstand zu geben, darauf er sich beziehe,<br />

erfor<strong>der</strong>t. Ohne diesen letzteren hat er ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n und ist völlig leer an Inhalt, ob er gleich<br />

noch immer die logische Funktion enthalten mag, aus etwaigen datis e<strong>in</strong>en Begriff zu<br />

machen. Nun kann <strong>der</strong> Gegenstand e<strong>in</strong>em Begriffe nicht an<strong>der</strong>s gegeben werden, als <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Anschauung; und, wenn e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e Anschauung noch vor dem Gegenstande a priori<br />

möglich ist, so kann doch auch diese selbst ihren Gegenstand, mith<strong>in</strong> die objektive<br />

Gültigkeit, nur durch die empirische Anschauung bekommen, wo<strong>von</strong> sie die bloße Form<br />

ist. Also beziehen sich alle Begriffe und mit ihnen alle Grundsätze, so sehr sie auch a<br />

priori möglich se<strong>in</strong> mögen, dennoch auf empirische Anschauungen, d.i. auf data zur<br />

möglichen Erfahrung. Ohne dieses haben sie gar ke<strong>in</strong>e objektive Gültigkeit, son<strong>der</strong>n s<strong>in</strong>d<br />

e<strong>in</strong> bloßes Spiel, es sei <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft o<strong>der</strong> des Verstandes, respektive mit ihren<br />

Vorstellungen. Man nehme nur die Begriffe <strong>der</strong> Mathematik zum Beispiele, und zwar<br />

erstlich <strong>in</strong> ihren <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Anschauungen: <strong>der</strong> Raum hat drei Abmessungen, zwischen zwei<br />

Punkten kann nur e<strong>in</strong>e gerade L<strong>in</strong>ie se<strong>in</strong> usw.. Obgleich alle diese Grundsätze, und die<br />

Vorstellung des Gegenstandes, womit sich jene Wissenschaft beschäftigt, völlig a priori im<br />

Gemüt erzeugt werden, so würden sie doch gar nichts bedeuten, könnten wir nicht immer<br />

an Ersche<strong>in</strong>ungen (empirischen Gegenständen) ihre Bedeutung darlegen. Daher erfor<strong>der</strong>t<br />

man auch, e<strong>in</strong>en abgeson<strong>der</strong>ten Begriff s<strong>in</strong>nlich zu machen, d.i. das ihm<br />

korrespondierende Objekt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anschauung darzulegen, weil, ohne dieses, <strong>der</strong> Begriff<br />

(wie man sagt) ohne S<strong>in</strong>n, d.i. ohne Bedeutung bleiben würde. Die Mathematik erfüllt<br />

diese For<strong>der</strong>ung durch die Konstruktion <strong>der</strong> Gestalt, welche e<strong>in</strong>e den S<strong>in</strong>nen gegenwärtige<br />

(obzwar a priori zustande gebrachte) Ersche<strong>in</strong>ung ist. Der Begriff <strong>der</strong> Größe sucht <strong>in</strong> eben<br />

<strong>der</strong> Wissenschaft se<strong>in</strong>e Haltung und S<strong>in</strong>n <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zahl, diese aber an den F<strong>in</strong>gern, den<br />

Korallen des Rechenbretts, o<strong>der</strong> den Strichen und Punkten, die vor Augen gestellt werden.<br />

Der Begriff bleibt immer a priori erzeugt, samt den synthetischen Grundsätzen o<strong>der</strong><br />

Formeln aus solchen Begriffen; aber <strong>der</strong> Gebrauch <strong>der</strong>selben, und Beziehung auf<br />

angebliche Gegenstände kann am Ende doch nirgend, als <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erfahrung gesucht<br />

werden, <strong>der</strong>en Möglichkeit (<strong>der</strong> Form nach) jene a priori enthalten.<br />

Daß dieses aber auch <strong>der</strong> Fall mit allen Kategorien, und den daraus gesponnenen<br />

Grundsätzen sei, erhellt auch daraus: daß wir sogar ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige <strong>der</strong>selben def<strong>in</strong>ieren<br />

können, ohne uns sofort zu Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit, mith<strong>in</strong> <strong>der</strong> Form <strong>der</strong><br />

Ersche<strong>in</strong>ungen herabzulassen, als auf welche, als ihre e<strong>in</strong>zigen Gegenstände, sie folglich<br />

e<strong>in</strong>geschränkt se<strong>in</strong> müssen; weil, wenn man diese Bed<strong>in</strong>gung wegnimmt, alle Bedeutung,<br />

d.i. Beziehung aufs Objekt, wegfällt, und man durch ke<strong>in</strong> Beispiel sich selbst faßlich<br />

machen kann, was unter <strong>der</strong>gleichen Begriffen denn eigentlich für e<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g geme<strong>in</strong>t sei.<br />

94


Oben, bei Darstellung <strong>der</strong> Tafel <strong>der</strong> Kategorien, überhoben wir uns <strong>der</strong> Def<strong>in</strong>itionen e<strong>in</strong>er<br />

jeden <strong>der</strong>selben dadurch: daß unsere Absicht, die lediglich auf den synthetischen<br />

Gebrauch <strong>der</strong>selben geht, sie nicht nötig mache, und man sich mit unnötigen<br />

Unternehmungen ke<strong>in</strong>er Verantwortung aussetzen müsse, <strong>der</strong>en man überhoben se<strong>in</strong><br />

kann. Das war ke<strong>in</strong>e Ausrede, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e nicht unerhebliche Klugheitsregel, sich nicht<br />

sofort ans Def<strong>in</strong>ieren zu wagen und Vollständigkeit o<strong>der</strong> Präzision <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bestimmung des<br />

Begriffs zu versuchen o<strong>der</strong> vorzugeben, wenn man mit irgend e<strong>in</strong>em o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Merkmale desselben auslangen kann, ohne eben dazu e<strong>in</strong>e vollständige Herzählung aller<br />

<strong>der</strong>selben, die den ganzen Begriff ausmachen, zu bedürfen. Jetzt aber zeigt sich: daß <strong>der</strong><br />

Grund dieser Vorsicht noch tiefer liege, nämlich, daß wir sie nicht def<strong>in</strong>ieren konnten,<br />

wenn wir auch wollten [12], son<strong>der</strong>n, wenn man alle Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit<br />

wegschafft, die sie als Begriffe e<strong>in</strong>es möglichen empirischen Gebrauchs auszeichnen, und<br />

sie für Begriffe <strong>von</strong> D<strong>in</strong>gen überhaupt (mith<strong>in</strong> vom transzendentalen Gebrauch) nehmen,<br />

bei ihnen gar nichts weiter zu tun sei, als die logische Funktion <strong>in</strong> Urteilen, als die<br />

Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> Sachen selbst anzusehen, ohne doch im m<strong>in</strong>desten<br />

anzeigen zu können, wo sie denn ihre Anwendung und ihr Objekt, mith<strong>in</strong> wie sie im <strong>re<strong>in</strong>en</strong><br />

Verstande ohne S<strong>in</strong>nlichkeit irgende<strong>in</strong>e Bedeutung und objektive Gültigkeit haben können.<br />

Den Begriff <strong>der</strong> Größe überhaupt kann niemand erklären, als etwa so: daß sie die<br />

Bestimmung e<strong>in</strong>es D<strong>in</strong>ges sei, dadurch, wievielmal e<strong>in</strong>es <strong>in</strong> ihm gesetzt ist, gedacht<br />

werden kann. Alle<strong>in</strong> dieses Wievielmal gründet sich auf die sukzessive Wie<strong>der</strong>holung,<br />

mith<strong>in</strong> auf die Zeit und die Synthesis (des gleichartigen) <strong>in</strong> <strong>der</strong>selben. Realität kann man<br />

im Gegensatze mit <strong>der</strong> Negation nur alsdann erklären, wenn man sich e<strong>in</strong>e Zeit (als den<br />

Inbegriff <strong>von</strong> allem Se<strong>in</strong>) gedenkt, die entwe<strong>der</strong> womit erfüllt o<strong>der</strong> leer ist. Lasse ich die<br />

Beharrlichkeit (welche e<strong>in</strong> Dase<strong>in</strong> zu aller Zeit ist) weg, so bleibt mir zum Begriffe <strong>der</strong><br />

Substanz nichts übrig, als die logische Vorstellung vom Subjekt, welche ich dadurch zu<br />

realisieren verme<strong>in</strong>e, daß ich mir etwas vorstelle, welches bloß als Subjekt (ohne wo<strong>von</strong><br />

e<strong>in</strong> Prädikat zu se<strong>in</strong>) stattf<strong>in</strong>den kann. Aber nicht alle<strong>in</strong>, daß ich gar ke<strong>in</strong>e Bed<strong>in</strong>gungen<br />

weiß, unter welchen denn dieser logische Vorzug irgende<strong>in</strong>em D<strong>in</strong>ge eigen se<strong>in</strong> werde: so<br />

ist auch gar nichts weiter daraus zu machen und nicht die m<strong>in</strong>deste Folgerung zu ziehen,<br />

weil dadurch gar ke<strong>in</strong> Objekt des Gebrauchs dieses Begriffs bestimmt wird und man also<br />

gar nicht weiß, ob dieser überall irgend etwas bedeute. Vom Begriffe <strong>der</strong> Ursache würde<br />

ich (wenn ich die Zeit weglasse, <strong>in</strong> <strong>der</strong> etwas auf etwas an<strong>der</strong>es nach e<strong>in</strong>er Regel folgt) <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Kategorie nichts weiter f<strong>in</strong>den, als daß es so etwas sei, woraus sich auf das<br />

Dase<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es an<strong>der</strong>en schließen läßt; und es würde dadurch nicht alle<strong>in</strong> Ursache und<br />

Wirkung gar nicht <strong>von</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> unterschieden werden können, son<strong>der</strong>n weil dieses<br />

Schließenkönnen doch bald Bed<strong>in</strong>gungen erfor<strong>der</strong>t, <strong>von</strong> denen ich nichts weiß, so würde<br />

<strong>der</strong> Begriff gar ke<strong>in</strong>e Bestimmung haben, wie er auf irgende<strong>in</strong> Objekt passe. Der verme<strong>in</strong>te<br />

Grundsatz: alles Zufällige hat e<strong>in</strong>e Ursache, tritt zwar ziemlich gravitätisch auf, als habe er<br />

se<strong>in</strong>e eigene Würde <strong>in</strong> sich selbst. Alle<strong>in</strong> frage ich: was versteht ihr unter zufällig, und ihr<br />

antwortet: dessen Nichtse<strong>in</strong> möglich ist, so möchte ich gern wissen, woran ihr diese<br />

Möglichkeit des Nichtse<strong>in</strong>s erkennen wollt, wenn ihr euch nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Reihe <strong>der</strong><br />

Ersche<strong>in</strong>ungen e<strong>in</strong>e Sukzession und <strong>in</strong> dieser e<strong>in</strong> Dase<strong>in</strong>, welches auf das Nichtse<strong>in</strong> folgt<br />

(o<strong>der</strong> umgekehrt), mith<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Wechsel vorstellt; denn, daß das Nichtse<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es D<strong>in</strong>ges<br />

sich selbst nicht wi<strong>der</strong>spreche, ist e<strong>in</strong>e lahme Berufung auf e<strong>in</strong>e logische Bed<strong>in</strong>gung, die<br />

zwar zum Begriffe notwendig, aber zur realen Möglichkeit bei weitem nicht h<strong>in</strong>reichend ist;<br />

wie ich denn e<strong>in</strong>e jede existierende Substanz <strong>in</strong> Gedanken aufheben kann, ohne mir<br />

selbst zu wi<strong>der</strong>sprechen, daraus aber auf die objektive Zufälligkeit <strong>der</strong>selben <strong>in</strong> ihrem<br />

Dase<strong>in</strong>, d.i. die Möglichkeit ihres Nichtse<strong>in</strong>s an sich selbst, gar nicht schließen kann. Was<br />

den Begriff <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>schaft betrifft, so ist leicht zu ermessen: daß, da die <strong>re<strong>in</strong>en</strong><br />

Kategorien <strong>der</strong> Substanz sowohl, als Kausalität ke<strong>in</strong>e, das Objekt bestimmende, Erklärung<br />

95


zulassen, die wechselseitige Kausalität <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beziehung <strong>der</strong> Substanzen aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

(commercium) ebensowenig <strong>der</strong>selben fähig sei. Möglichkeit, Dase<strong>in</strong> und Notwendigkeit<br />

hat noch niemand an<strong>der</strong>s als durch offenbare Tautologie erklären können, wenn man ihre<br />

Def<strong>in</strong>ition lediglich aus dem <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstande schöpfen wollte. Denn das Blendwerk, die<br />

logische Möglichkeit des Begriffs (da er sich selbst nicht wi<strong>der</strong>spricht) <strong>der</strong><br />

transzendentalen Möglichkeit <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge (da dem Begriff e<strong>in</strong> Gegenstand korrespondiert),<br />

zu unterschieben, kann nur Unversuchte h<strong>in</strong>tergehen und zufriedenstellen.<br />

Es hat etwas Befremdliches und sogar Wi<strong>der</strong>s<strong>in</strong>niges an sich, daß e<strong>in</strong> Begriff se<strong>in</strong> soll,<br />

dem doch e<strong>in</strong>e Bedeutung zukommen muß, <strong>der</strong> aber ke<strong>in</strong>er Erklärung fähig wäre. Alle<strong>in</strong><br />

hier hat es mit den Kategorien diese beson<strong>der</strong>e Bewandtnis: daß sie nur vermittels <strong>der</strong><br />

allgeme<strong>in</strong>en s<strong>in</strong>nlichen Bed<strong>in</strong>gung e<strong>in</strong>e bestimmte Bedeutung und Beziehung auf irgend<br />

e<strong>in</strong>en Gegenstand haben können, diese Bed<strong>in</strong>gung aber aus <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Kategorie<br />

weggelassen worden, da diese dann, nichts als die logische Funktion enthalten kann, das<br />

Mannigfaltige unter e<strong>in</strong>en Begriff zu br<strong>in</strong>gen. Aus dieser Funktion, d.i. <strong>der</strong> Form des<br />

Begriffs alle<strong>in</strong>, kann aber gar nichts erkannt und unterschieden werden, welches Objekt<br />

darunter gehöre, weil eben <strong>von</strong> <strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlichen Bed<strong>in</strong>gung, unter <strong>der</strong> überhaupt<br />

Gegenstände unter sie gehören können, abstrahiert worden. Daher bedürfen die<br />

Kategorien, noch über den <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandesbegriff, Bestimmungen ihrer Anwendung auf<br />

S<strong>in</strong>nlichkeit überhaupt (Schema) und s<strong>in</strong>d ohne diese ke<strong>in</strong>e Begriffe, wodurch e<strong>in</strong><br />

Gegenstand erkannt und <strong>von</strong> an<strong>der</strong>en unterschieden würde, son<strong>der</strong>n nur viel Arten, e<strong>in</strong>en<br />

Gegenstand zu möglichen Anschauungen zu denken und ihm nach irgende<strong>in</strong>er Funktion<br />

des Verstandes se<strong>in</strong>e Bedeutung (unter noch erfor<strong>der</strong>lichen Bed<strong>in</strong>gungen) zu geben, d.i.<br />

ihn zu def<strong>in</strong>ieren: selbst können sie also nicht def<strong>in</strong>iert werden. Die logischen Funktionen<br />

<strong>der</strong> Urteile überhaupt: E<strong>in</strong>heit und Vielheit, Bejahung und Verne<strong>in</strong>ung, Subjekt und<br />

Prädikat können, ohne e<strong>in</strong>en Zirkel zu begehen, nicht def<strong>in</strong>iert werden, weil die Def<strong>in</strong>ition<br />

doch selbst e<strong>in</strong> Urteil se<strong>in</strong>, und also diese Funktionen schon enthalten müßte. Die <strong>re<strong>in</strong>en</strong><br />

Kategorien s<strong>in</strong>d aber nichts an<strong>der</strong>es als Vorstellungen <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge überhaupt, sofern das<br />

Mannigfaltige ihrer Anschauung durch e<strong>in</strong>e o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e dieser logischen Funktionen<br />

gedacht werden muß: Größe ist die Bestimmung, welche nur durch e<strong>in</strong> Urteil, das<br />

Quantität hat (iudicium commune), Realität diejenige, die nur durch e<strong>in</strong> bejahend Urteil<br />

gedacht werden kann, Substanz, was, <strong>in</strong> Beziehung auf die Anschauung, das letzte<br />

Subjekt aller an<strong>der</strong>en Bestimmungen se<strong>in</strong> muß. Was das nun aber für D<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong><br />

Ansehung <strong>der</strong>en man sich dieser Funktion vielmehr als e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en bedienen müsse,<br />

bleibt hierbei ganz unbestimmt: mith<strong>in</strong> haben die Kategorien ohne die Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong><br />

s<strong>in</strong>nlichen Anschauung, dazu sie die Synthesis enthalten, gar ke<strong>in</strong>e Beziehung auf<br />

irgende<strong>in</strong> bestimmtes Objekt, können also ke<strong>in</strong>es def<strong>in</strong>ieren, und haben folglich an sich<br />

selbst ke<strong>in</strong>e Gültigkeit objektiver Begriffe.<br />

Hieraus fließt nun unwi<strong>der</strong>sprechlich: daß die <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandesbegriffe niemals <strong>von</strong><br />

transzendentalem, son<strong>der</strong>n je<strong>der</strong>zeit nur <strong>von</strong> empirischem Gebrauche se<strong>in</strong> können, und<br />

daß die Grundsätze des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes nur <strong>in</strong> Beziehung auf die allgeme<strong>in</strong>en<br />

Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>er möglichen Erfahrung, auf Gegenstände <strong>der</strong> S<strong>in</strong>ne, niemals aber auf<br />

D<strong>in</strong>ge überhaupt (ohne Rücksicht auf die Art zu nehmen, wie wir sie anschauen mögen)<br />

bezogen werden können.<br />

Die transzendentale Analytik hat demnach dieses wichtige Resultat: daß <strong>der</strong> Verstand a<br />

priori niemals mehr leisten könne, als die Form e<strong>in</strong>er möglichen Erfahrung überhaupt zu<br />

antizipieren, und, da dasjenige, was nicht Ersche<strong>in</strong>ung ist, ke<strong>in</strong> Gegenstand <strong>der</strong> Erfahrung<br />

se<strong>in</strong> kann: daß er die Schranken <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit, <strong>in</strong>nerhalb denen uns alle<strong>in</strong> Gegenstände<br />

gegeben werden, niemals überschreiten könne. Se<strong>in</strong>e Grundsätze s<strong>in</strong>d bloß Pr<strong>in</strong>zipien <strong>der</strong><br />

Exposition <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen, und <strong>der</strong> stolze Name e<strong>in</strong>er Ontologie, welche sich anmaßt,<br />

96


<strong>von</strong> D<strong>in</strong>gen überhaupt synthetische Erkenntnisse a priori <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er systematischen Doktr<strong>in</strong><br />

zu geben (z. E. den Grundsatz <strong>der</strong> Kausalität) muß dem bescheidenen, e<strong>in</strong>er bloßen<br />

Analytik des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes Platz machen.<br />

Das Denken ist die Handlung, gegebene Anschauung auf e<strong>in</strong>en Gegenstand zu beziehen.<br />

Ist die Art dieser Anschauung auf ke<strong>in</strong>erlei Weise gegeben, so ist <strong>der</strong> Gegenstand bloß<br />

transzendental, und <strong>der</strong> Verstandesbegriff hat ke<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en, als transzendentalen<br />

Gebrauch, nämlich die E<strong>in</strong>heit des Denkens e<strong>in</strong>es Mannigfaltigen überhaupt. Durch e<strong>in</strong>e<br />

re<strong>in</strong>e Kategorie nun, <strong>in</strong> welcher <strong>von</strong> aller Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlichen Anschauung, als <strong>der</strong><br />

e<strong>in</strong>zigen, die uns möglich ist, abstrahiert wird, wird also ke<strong>in</strong> Objekt bestimmt, son<strong>der</strong>n nur<br />

das Denken e<strong>in</strong>es Objekts überhaupt, nach verschiedenen modis, ausgedrückt. Nun<br />

gehört zum Gebrauche e<strong>in</strong>es Begriffs noch e<strong>in</strong>e Funktion <strong>der</strong> Urteilskraft, worauf e<strong>in</strong><br />

Gegenstand unter ihm subsumiert wird, mith<strong>in</strong> die wenigstens formale Bed<strong>in</strong>gung, unter<br />

<strong>der</strong> etwas <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anschauung gegeben werden kann. Fehlt diese Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong><br />

Urteilskraft (Schema), so fällt alle Subsumtion weg; denn es wird nichts gegeben, was<br />

unter den Begriff subsumiert werden könne. Der bloß transzendentale Gebrauch also <strong>der</strong><br />

Kategorien ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat gar ke<strong>in</strong> Gebrauch und hat ke<strong>in</strong>en bestimmten, o<strong>der</strong> auch nur <strong>der</strong><br />

Form nach, bestimmbaren Gegenstand. Hieraus folgt, daß die re<strong>in</strong>e Kategorie auch zu<br />

ke<strong>in</strong>em synthetischen Grundsatze a priori zulange, und daß die Grundsätze des <strong>re<strong>in</strong>en</strong><br />

Verstandes nur <strong>von</strong> empirischem, niemals aber <strong>von</strong> transzendentalem Gebrauche s<strong>in</strong>d,<br />

über das Feld möglicher Erfahrung h<strong>in</strong>aus aber, es überall ke<strong>in</strong>e synthetischen<br />

Grundsätze a priori geben könne.<br />

Es kann daher ratsam se<strong>in</strong>, sich also auszudrücken: die <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Kategorien, ohne formale<br />

Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit, haben bloß transzendentale Bedeutung, s<strong>in</strong>d aber <strong>von</strong><br />

ke<strong>in</strong>em transzendentalen Gebrauch, weil dieser an sich selbst unmöglich ist, <strong>in</strong>dem ihnen<br />

alle Bed<strong>in</strong>gungen irgende<strong>in</strong>es Gebrauchs (<strong>in</strong> Urteilen) abgehen, nämlich die formalen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Subsumtion irgende<strong>in</strong>es angeblichen Gegenstandes unter diese<br />

Begriffe. Da sie also (als bloß re<strong>in</strong>e Kategorien) nicht <strong>von</strong> empirischem Gebrauche se<strong>in</strong><br />

sollen und <strong>von</strong> transzendentalem nicht se<strong>in</strong> können, so s<strong>in</strong>d sie <strong>von</strong> gar ke<strong>in</strong>em<br />

Gebrauche, wenn man sie <strong>von</strong> aller S<strong>in</strong>nlichkeit abson<strong>der</strong>t, d.i. sie können auf gar ke<strong>in</strong>en<br />

angeblichen Gegenstand angewandt werden; vielmehr s<strong>in</strong>d sie bloß die re<strong>in</strong>e Form des<br />

Verstandesgebrauchs <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong> Gegenstände überhaupt und des Denkens, ohne<br />

doch durch sie alle<strong>in</strong> irgende<strong>in</strong> Objekt denken o<strong>der</strong> bestimmen zu können.<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen, sofern sie als Gegenstände nach <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Kategorien gedacht<br />

werden, heißen Phaenomena. Wenn ich aber D<strong>in</strong>ge annehme, die bloß Gegenstände des<br />

Verstandes s<strong>in</strong>d, und gleichwohl, als solche e<strong>in</strong>er Anschauung, obgleich nicht <strong>der</strong><br />

s<strong>in</strong>nlichen (als coram <strong>in</strong>tuitu <strong>in</strong>tellectuali) gegeben werden können; so würden <strong>der</strong>gleichen<br />

D<strong>in</strong>ge Noumena (<strong>in</strong>telligibilia) heißen.<br />

Nun sollte man denken, daß <strong>der</strong> durch die transzendentale Ästhetik e<strong>in</strong>geschränkte Begriff<br />

<strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen schon <strong>von</strong> selbst die objektive Realität <strong>der</strong> Noumenorum an die Hand<br />

gebe und die E<strong>in</strong>teilung <strong>der</strong> Gegenstände <strong>in</strong> Phaenomena und Noumena, mith<strong>in</strong> auch <strong>der</strong><br />

Welt, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e S<strong>in</strong>nen- und e<strong>in</strong>e Verstandeswelt (mundus sensibilis et <strong>in</strong>telligibilis)<br />

berechtige, und zwar so, daß <strong>der</strong> Unterschied hier nicht bloß die logische Form <strong>der</strong><br />

undeutlichen o<strong>der</strong> deutlichen Erkenntnis e<strong>in</strong>es und desselben D<strong>in</strong>ges, son<strong>der</strong>n die<br />

Verschiedenheit treffe, wie sie unserer Erkenntnis ursprünglich gegeben werden können,<br />

und nach welcher sie an sich selbst, <strong>der</strong> Gattung nach, <strong>von</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> unterschieden s<strong>in</strong>d.<br />

Denn wenn uns die S<strong>in</strong>ne etwas bloß vorstellen, wie es ersche<strong>in</strong>t, so muß dieses Etwas<br />

doch auch an sich selbst e<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g und e<strong>in</strong> Gegenstand e<strong>in</strong>er nichts<strong>in</strong>nlichen Anschauung,<br />

97


d.i. des Verstandes se<strong>in</strong>; d.i. es muß e<strong>in</strong>e Erkenntnis möglich se<strong>in</strong>, dar<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>e S<strong>in</strong>nlichkeit<br />

angetroffen wird und welche alle<strong>in</strong> schlechth<strong>in</strong> objektive Realität hat, dadurch uns nämlich<br />

Gegenstände vorgestellt werden, wie sie s<strong>in</strong>d, dah<strong>in</strong>gegen im empirischen Gebrauche<br />

unseres Verstandes D<strong>in</strong>ge nur erkannt werden, wie sie ersche<strong>in</strong>en. Also würde es, außer<br />

dem empirischen Gebrauch <strong>der</strong> Kategorien (welcher auf s<strong>in</strong>nliche Bed<strong>in</strong>gungen<br />

e<strong>in</strong>geschränkt ist) noch e<strong>in</strong>en <strong>re<strong>in</strong>en</strong> und doch objektiv gültigen geben, und wir könnten<br />

nicht behaupten, was wir bisher vorgegeben haben: daß unsere <strong>re<strong>in</strong>en</strong><br />

Verstandeserkenntnisse überall nichts weiter wären, als Pr<strong>in</strong>zipien <strong>der</strong> Exposition <strong>der</strong><br />

Ersche<strong>in</strong>ung, die auch a priori nicht weiter, als auf die formale Möglichkeit <strong>der</strong> Erfahrung<br />

g<strong>in</strong>gen; denn hier stände e<strong>in</strong> ganz an<strong>der</strong>es Feld vor uns offen, gleichsam e<strong>in</strong>e Welt im<br />

Geiste gedacht (vielleicht auch gar angeschaut), die nicht m<strong>in</strong><strong>der</strong>, ja noch weit edler<br />

unseren <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstand beschäftigen könnte.<br />

Alle unsere Vorstellungen werden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat durch den Verstand auf irgende<strong>in</strong> Objekt<br />

bezogen, und, da Ersche<strong>in</strong>ungen nichts als Vorstellungen s<strong>in</strong>d, so bezieht sie <strong>der</strong><br />

Verstand auf e<strong>in</strong> Etwas als den Gegenstand <strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlichen Anschauung: aber dieses<br />

Etwas ist <strong>in</strong>sofern nur das transzendentale Objekt. Dieses bedeutet aber e<strong>in</strong> Etwas=x,<br />

wo<strong>von</strong> wir gar nichts wissen, noch überhaupt (nach <strong>der</strong> jetzigen E<strong>in</strong>richtung unseres<br />

Verstandes) wissen können, son<strong>der</strong>n welches nur als e<strong>in</strong> Korrelatum <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong><br />

Apperzeption zur E<strong>in</strong>heit des Mannigfaltigen <strong>in</strong> <strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlichen Anschauung dienen kann,<br />

vermittels <strong>der</strong>en <strong>der</strong> Verstand dasselbe <strong>in</strong> den Begriff e<strong>in</strong>es Gegenstandes vere<strong>in</strong>igt.<br />

Dieses transzendentale Objekt läßt sich gar nicht <strong>von</strong> den s<strong>in</strong>nlichen Datis abson<strong>der</strong>n, weil<br />

alsdann nichts übrig bleibt, wodurch es gedacht würde. Es ist also ke<strong>in</strong> Gegenstand <strong>der</strong><br />

Erkenntnis an sich selbst, son<strong>der</strong>n nur die Vorstellung <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen, unter dem<br />

Begriffe e<strong>in</strong>es Gegenstandes überhaupt, <strong>der</strong> durch das Mannigfaltige <strong>der</strong>selben<br />

bestimmbar ist.<br />

Eben um deswillen stellen nun auch die Kategorien ke<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>es, dem Verstande<br />

alle<strong>in</strong> gegebenes Objekt vor, son<strong>der</strong>n dienen nur dazu, das transzendentale Objekt (den<br />

Begriff <strong>von</strong> etwas überhaupt) durch das, was <strong>in</strong> <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit gegeben wird, zu<br />

bestimmen, um dadurch Ersche<strong>in</strong>ungen unter Begriffen <strong>von</strong> Gegenständen empirisch zu<br />

erkennen.<br />

Was aber die Ursache betrifft, weswegen man, durch das Substratum <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit<br />

noch nicht befriedigt, den Phaenomenis noch Noumena zugegeben hat, die nur <strong>der</strong> re<strong>in</strong>e<br />

Verstand denken kann, so beruht sie lediglich darauf. Die S<strong>in</strong>nlichkeit und ihr Feld,<br />

nämlich das <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen, wird selbst durch den Verstand dah<strong>in</strong> e<strong>in</strong>geschränkt: daß<br />

sie nicht auf D<strong>in</strong>ge an sich selbst, son<strong>der</strong>n nur auf die Art gehe, wie uns, vermöge unserer<br />

subjektiven Beschaffenheit, D<strong>in</strong>ge ersche<strong>in</strong>en. Dies war das Resultat <strong>der</strong> ganzen<br />

transzendentalen Ästhetik, und es folgt auch natürlicherweise aus dem Begriffe e<strong>in</strong>er<br />

Ersche<strong>in</strong>ung überhaupt: daß ihr etwas entsprechen müsse, was an sich nicht Ersche<strong>in</strong>ung<br />

ist, weil Ersche<strong>in</strong>ung nichts für sich selbst und außer unserer Vorstellungsart se<strong>in</strong> kann,<br />

mith<strong>in</strong>, wo nicht e<strong>in</strong> beständiger Zirkel herauskommen soll, das Wort Ersche<strong>in</strong>ung schon<br />

e<strong>in</strong>e Beziehung auf etwas anzeigt, dessen unmittelbare Vorstellung zwar s<strong>in</strong>nlich ist, was<br />

aber an sich selbst, auch ohne diese Beschaffenheit unserer S<strong>in</strong>nlichkeit (worauf sich die<br />

Form unserer Anschauung gründet), etwas, d.i. e<strong>in</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit unabhängiger<br />

Gegenstand se<strong>in</strong> muß.<br />

Hieraus entspr<strong>in</strong>gt nun <strong>der</strong> Begriff <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Noumenon, <strong>der</strong> aber gar nicht positiv ist und<br />

e<strong>in</strong>e bestimmte Erkenntnis <strong>von</strong> irgende<strong>in</strong>em D<strong>in</strong>ge, son<strong>der</strong>n nur das Denken <strong>von</strong> etwas<br />

98


überhaupt bedeutet, bei welchem ich <strong>von</strong> aller Form <strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlichen Anschauung<br />

abstrahiere. Damit aber e<strong>in</strong> Noumenon e<strong>in</strong>en wahren, <strong>von</strong> allen Phänomenen zu<br />

unterscheidenden Gegenstand bedeute, so ist es nicht genug, daß ich me<strong>in</strong>en Gedanken<br />

<strong>von</strong> allen Bed<strong>in</strong>gungen s<strong>in</strong>nlicher Anschauung befreie, ich muß noch überdem Grund dazu<br />

haben, e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Art <strong>der</strong> Anschauung, als diese s<strong>in</strong>nliche ist, anzunehmen, unter <strong>der</strong> e<strong>in</strong><br />

solcher Gegenstand gegeben werden könne; denn sonst ist me<strong>in</strong> Gedanke doch leer,<br />

obzwar ohne Wi<strong>der</strong>spruch. Wir haben zwar oben nicht beweisen können, daß die s<strong>in</strong>nliche<br />

Anschauung die e<strong>in</strong>zige mögliche Anschauung überhaupt, son<strong>der</strong>n daß sie es nur für uns<br />

sei, wir konnten aber auch nicht beweisen, daß noch e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Art <strong>der</strong> Anschauung<br />

möglich sei; und obgleich unser Denken <strong>von</strong> jener S<strong>in</strong>nlichkeit abstrahieren kann, so bleibt<br />

doch die Frage, ob es alsdann nicht e<strong>in</strong>e bloße Form e<strong>in</strong>es Begriffs sei und ob bei dieser<br />

Abtrennung überhaupt e<strong>in</strong> Objekt übrigbleibe.<br />

Das Objekt, worauf ich die Ersche<strong>in</strong>ung überhaupt beziehe, ist <strong>der</strong> transzendentale<br />

Gegenstand, d.i. <strong>der</strong> gänzlich unbestimmte Gedanke <strong>von</strong> etwas überhaupt. Dieser kann<br />

nicht das Noumenon heißen; denn ich weiß <strong>von</strong> ihm nicht, was er an sich selbst sei, und<br />

habe gar ke<strong>in</strong>en Begriff <strong>von</strong> ihm, als bloß <strong>von</strong> dem Gegenstande e<strong>in</strong>er s<strong>in</strong>nlichen<br />

Anschauung überhaupt, <strong>der</strong> also für alle Ersche<strong>in</strong>ungen e<strong>in</strong>erlei ist. Ich kann ihn durch<br />

ke<strong>in</strong>e Kategorien denken; denn diese gilt <strong>von</strong> <strong>der</strong> empirischen Anschauung, um sie unter<br />

e<strong>in</strong>en Begriff vom Gegenstand überhaupt zu br<strong>in</strong>gen. E<strong>in</strong> re<strong>in</strong>er Gebrauch <strong>der</strong> Kategorie<br />

ist zwar möglich, d.i. ohne Wi<strong>der</strong>spruch, aber hat gar ke<strong>in</strong>e objektive Gültigkeit, weil sie<br />

auf ke<strong>in</strong>e Anschauung geht, die dadurch E<strong>in</strong>heit des Objekts bekommen sollte; denn die<br />

Kategorie ist doch e<strong>in</strong>e bloße Funktion des Denkens, wodurch mir ke<strong>in</strong> Gegenstand<br />

gegeben, son<strong>der</strong>n nur, was <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anschauung gegeben werden mag, gedacht wird.<br />

Wenn ich alles Denken (durch Kategorien) aus e<strong>in</strong>er empirischen Erkenntnis wegnehme,<br />

so bleibt gar ke<strong>in</strong>e Erkenntnis irgende<strong>in</strong>es Gegenstandes übrig; denn durch bloße<br />

Anschauung wird gar nichts gedacht, und, daß diese Affektion <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit <strong>in</strong> mir ist,<br />

macht gar ke<strong>in</strong>e Beziehung <strong>von</strong> <strong>der</strong>gleichen Vorstellung auf irgend e<strong>in</strong> Objekt aus. Lasse<br />

ich aber h<strong>in</strong>gegen alle Anschauung weg, so bleibt doch noch die Form des Denkens, d.i.<br />

die Art, dem Mannigfaltigen e<strong>in</strong>er möglichen Anschauung e<strong>in</strong>en Gegenstand zu<br />

bestimmen. Daher erstrecken sich die Kategorien sofern weiter als die s<strong>in</strong>nliche<br />

Anschauung, weil sie Objekte überhaupt denken, ohne noch auf die beson<strong>der</strong>e Art (<strong>der</strong><br />

S<strong>in</strong>nlichkeit) zu sehen, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sie gegeben werden mögen. Sie bestimmen aber dadurch<br />

nicht e<strong>in</strong>e größere Sphäre <strong>von</strong> Gegenständen, weil, daß solche gegeben werden können,<br />

man nicht annehmen kann, ohne daß man e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e als s<strong>in</strong>nliche Art <strong>der</strong> Anschauung<br />

als möglich voraussetzt, wozu wir aber ke<strong>in</strong>eswegs berechtigt s<strong>in</strong>d.<br />

Ich nenne e<strong>in</strong>en Begriff problematisch, <strong>der</strong> ke<strong>in</strong>en Wi<strong>der</strong>spruch enthält, <strong>der</strong> auch als e<strong>in</strong>e<br />

Begrenzung gegebener Begriffe mit an<strong>der</strong>en Erkenntnissen zusammenhängt, dessen<br />

objektive Realität aber auf ke<strong>in</strong>e Weise erkannt werden kann. Der Begriff e<strong>in</strong>es<br />

Noumenon, d.i. e<strong>in</strong>es D<strong>in</strong>ges, welches gar nicht als Gegenstand <strong>der</strong> S<strong>in</strong>ne, son<strong>der</strong>n als<br />

e<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g an sich selbst (lediglich durch e<strong>in</strong>en <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstand), gedacht werden soll, ist gar<br />

nicht wi<strong>der</strong>sprechend; denn man kann <strong>von</strong> <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit doch nicht behaupten, daß sie<br />

die e<strong>in</strong>zige mögliche Art <strong>der</strong> Anschauung sei. Ferner ist dieser Begriff notwendig, um die<br />

s<strong>in</strong>nliche Anschauung nicht bis über die D<strong>in</strong>ge an sich selbst auszudehnen, und also, um<br />

die objektive Gültigkeit <strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlichen Erkenntnis e<strong>in</strong>zuschränken (denn das übrige, worauf<br />

jene nicht reicht, heißen eben darum Noumena, damit man dadurch anzeige, jene<br />

Erkenntnisse können ihr Gebiet nicht über alles, was <strong>der</strong> Verstand denkt, erstrecken). Am<br />

Ende aber ist doch die Möglichkeit solcher Noumenorum gar nicht e<strong>in</strong>zusehen, und <strong>der</strong><br />

Umfang außer <strong>der</strong> Sphäre <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen ist (für uns) leer, d.i. wir haben e<strong>in</strong>en<br />

99


Verstand, <strong>der</strong> sich problematisch weiter erstreckt, als jene, aber ke<strong>in</strong>e Anschauung, ja<br />

auch nicht e<strong>in</strong>mal den Begriff <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er möglichen Anschauung, wodurch uns außer dem<br />

Felde <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit Gegenstände gegeben, und <strong>der</strong> Verstand über dieselbe h<strong>in</strong>aus<br />

assertorisch gebraucht werden könne. Der Begriff e<strong>in</strong>es Noumenon ist also bloß e<strong>in</strong><br />

Grenzbegriff, um die Anmaßung <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit e<strong>in</strong>zuschränken, und also nur <strong>von</strong><br />

negativem Gebrauche. Er ist aber gleichwohl nicht willkürlich erdichtet, son<strong>der</strong>n hängt mit<br />

<strong>der</strong> E<strong>in</strong>schränkung <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit zusammen, ohne doch etwas Positives außer dem<br />

Umfange <strong>der</strong>selben setzen zu können.<br />

Die E<strong>in</strong>teilung <strong>der</strong> Gegenstände <strong>in</strong> Phaenomena und Noumena und <strong>der</strong> Welt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

S<strong>in</strong>nen- und Verstandeswelt kann daher gar nicht zugelassen werden, obgleich Begriffe<br />

allerd<strong>in</strong>gs die E<strong>in</strong>teilung <strong>in</strong> s<strong>in</strong>nliche und <strong>in</strong>tellektuelle zulassen; denn man kann den<br />

letzteren ke<strong>in</strong>en Gegenstand bestimmen und sie also auch nicht für objektiv gültig<br />

ausgeben. Wenn man <strong>von</strong> den S<strong>in</strong>nen abgeht, wie will man begreiflich machen, daß<br />

unsere Kategorien (welche die e<strong>in</strong>zigen übrigbleibenden Begriffe für Noumena se<strong>in</strong><br />

würden) noch überall etwas bedeuten, da zu ihrer Beziehung auf irgende<strong>in</strong>en Gegenstand<br />

noch etwas mehr als bloß die E<strong>in</strong>heit des Denkens, nämlich, überdem e<strong>in</strong>e mögliche<br />

Anschauung gegeben se<strong>in</strong> muß, darauf jene angewandt werden können? Der Begriff<br />

e<strong>in</strong>es Noumeni, bloß problematisch genommen, bleibt demungeachtet nicht alle<strong>in</strong><br />

zulässig, son<strong>der</strong>n, auch als e<strong>in</strong> die S<strong>in</strong>nlichkeit <strong>in</strong> Schranken setzen<strong>der</strong> Begriff,<br />

unvermeidlich. Aber alsdann ist das nicht e<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>er <strong>in</strong>telligibler Gegenstand für<br />

unseren Verstand, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong> Verstand, vor den es gehörte, ist selbst e<strong>in</strong> Problema,<br />

nämlich nicht diskursiv durch Kategorien, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong>tuitiv <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er nichts<strong>in</strong>nlichen<br />

Anschauung se<strong>in</strong>en Gegenstand zu erkennen, als <strong>von</strong> welchem wir uns nicht die ger<strong>in</strong>gste<br />

Vorstellung se<strong>in</strong>er Möglichkeit machen können. Unser Verstand bekommt nun auf diese<br />

Weise e<strong>in</strong>e negative Erweiterung; d.i. er wird nicht durch die S<strong>in</strong>nlichkeit e<strong>in</strong>geschränkt,<br />

son<strong>der</strong>n schränkt vielmehr dieselbe e<strong>in</strong>, dadurch daß er D<strong>in</strong>ge an sich selbst (nicht als<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen betrachtet) Noumena nennt. Aber er setzt sich auch sofort selbst Grenzen,<br />

sie durch ke<strong>in</strong>e Kategorien zu erkennen, mith<strong>in</strong> sie nur unter dem Namen e<strong>in</strong>es<br />

unbekannten Etwas zu denken.<br />

Ich f<strong>in</strong>de <strong>in</strong>dessen <strong>in</strong> den Schriften <strong>der</strong> Neueren e<strong>in</strong>en ganz an<strong>der</strong>en Gebrauch <strong>der</strong><br />

Ausdrücke e<strong>in</strong>es mundi sensibilis und <strong>in</strong>telligibilis, <strong>der</strong> <strong>von</strong> dem S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> Alten ganz<br />

abweicht, und wobei es freilich ke<strong>in</strong>e Schwierigkeit hat, aber auch nichts, als leere<br />

Wortkrämerei angetroffen wird. Nach demselben hat es e<strong>in</strong>igen beliebt, den Inbegriff <strong>der</strong><br />

Ersche<strong>in</strong>ungen, sofern er angeschaut wird, die S<strong>in</strong>nenwelt, sofern aber <strong>der</strong><br />

Zusammenhang <strong>der</strong>selben nach allgeme<strong>in</strong>en Verstandesgesetzen gedacht wird, die<br />

Verstandeswelt zu nennen. Die theoretische Astronomie, welche die bloße Beobachtung<br />

des bestirnten Himmels vorträgt, würde die erstere, die kontemplative dagegen (etwa nach<br />

dem kopernikanischen Weltsystem, o<strong>der</strong> gar nach Newtons Gravitationsgesetzen erklärt),<br />

die zweite, nämlich e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>telligible Welt vorstellig machen. Aber e<strong>in</strong>e solche<br />

Wortverdrehung ist e<strong>in</strong>e bloße sophistische Ausflucht, um e<strong>in</strong>er beschwerlichen Frage<br />

auszuweichen, dadurch, daß man ihren S<strong>in</strong>n zu se<strong>in</strong>er Gemächlichkeit herabstimmt. In<br />

Ansehung <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen läßt sich allerd<strong>in</strong>gs Verstand und <strong>Vernunft</strong> brauchen, aber<br />

es fragt sich, ob diese auch noch e<strong>in</strong>igen Gebrauch haben, wenn <strong>der</strong> Gegenstand nicht<br />

Ersche<strong>in</strong>ung (Noumenon) ist; und <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne nimmt man ihn, wenn er an sich als<br />

bloß <strong>in</strong>telligibel, d.i. dem Verstande alle<strong>in</strong> und gar nicht den S<strong>in</strong>nen gegeben, gedacht<br />

wird. Es ist also die Frage, ob außer jenem empirischen Gebrauche des Verstandes<br />

(selbst <strong>in</strong> <strong>der</strong> Newtonischen Vorstellung des Weltbaues) noch e<strong>in</strong> transzendentaler<br />

möglich sei, <strong>der</strong> auf das Noumenon als e<strong>in</strong>en Gegenstand gehe, welche Frage wir<br />

verne<strong>in</strong>end beantwortet haben.<br />

Wenn wir denn also sagen: die S<strong>in</strong>ne stellen uns die Gegenstände vor, wie sie ersche<strong>in</strong>en,<br />

100


<strong>der</strong> Verstand aber, wie sie s<strong>in</strong>d, so ist das letztere nicht <strong>in</strong> transzendentaler, son<strong>der</strong>n bloß<br />

empirischer Bedeutung zu nehmen, nämlich, wie sie als Gegenstände <strong>der</strong> Erfahrung, im<br />

durchgängigen Zusammenhange <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen müssen vorgestellt werden, und nicht<br />

nach dem, was sie, außer <strong>der</strong> Beziehung auf mögliche Erfahrung und folglich auf S<strong>in</strong>ne<br />

überhaupt, mith<strong>in</strong> als Gegenstände des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes se<strong>in</strong> mögen. Denn dieses wird<br />

uns immer unbekannt bleiben, sogar, daß es auch unbekannt bleibt, ob e<strong>in</strong>e solche<br />

transzendentale (außerordentliche) Erkenntnis überall möglich sei, zum wenigsten als e<strong>in</strong>e<br />

solche, die unter unseren gewöhnlichen Kategorien steht. Verstand und S<strong>in</strong>nlichkeit<br />

können bei uns nur <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung Gegenstände bestimmen. Wenn wir sie trennen, so<br />

haben wir Anschauungen ohne Begriffe, o<strong>der</strong> Begriffe ohne Anschauungen, <strong>in</strong> beiden<br />

Fällen aber Vorstellungen, die wir auf ke<strong>in</strong>en bestimmten Gegenstand beziehen können.<br />

Wenn jemand noch Bedenken trägt, auf alle diese Erörterungen, dem bloß<br />

transzendentalen Gebrauche <strong>der</strong> Kategorien zu entsagen, so mache er e<strong>in</strong>en Versuch <strong>von</strong><br />

ihnen <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>er synthetischen Behauptung. Denn e<strong>in</strong>e analytische br<strong>in</strong>gt den<br />

Verstand nicht weiter, und da er nur mit dem beschäftigt ist, was <strong>in</strong> dem Begriffe schon<br />

gedacht ist, so läßt er es unausgemacht, ob dieser an sich selbst auf Gegenstände<br />

Beziehung habe, o<strong>der</strong> nur die E<strong>in</strong>heit des Denkens überhaupt bedeute (welche <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />

Art, wie e<strong>in</strong> Gegenstand gegeben werden mag, völlig abstrahiert); es ist ihm genug zu<br />

wissen, was <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Begriffe liegt; worauf <strong>der</strong> Begriff selber gehen möge, ist ihm<br />

gleichgültig. Er versuche es demnach mit irgende<strong>in</strong>em synthetischen und verme<strong>in</strong>tlich<br />

transzendentalen Grundsatze, als: alles, was da ist, existiert als Substanz, o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e<br />

<strong>der</strong>selben anhängende Bestimmung: alles Zufällige existiert als Wirkung e<strong>in</strong>es an<strong>der</strong>en<br />

D<strong>in</strong>ges, nämlich se<strong>in</strong>er Ursache usw.. Nun frage ich: woher will er diese synthetischen<br />

Sätze nehmen, da die Begriffe nicht beziehungsweise auf mögliche Erfahrung, son<strong>der</strong>n<br />

<strong>von</strong> D<strong>in</strong>gen an sich selbst (Noumena) gelten sollen? Wo ist hier das Dritte, welches<br />

je<strong>der</strong>zeit zu e<strong>in</strong>em synthetischen Satze erfor<strong>der</strong>t wird, um <strong>in</strong> demselben Begriffe, die gar<br />

ke<strong>in</strong>e logische (analytische) Verwandtschaft haben, mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zu verknüpfen? Er wird<br />

se<strong>in</strong>en Satz niemals beweisen, ja was noch mehr ist, sich nicht e<strong>in</strong>mal wegen <strong>der</strong><br />

Möglichkeit e<strong>in</strong>er solchen <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Behauptung rechtfertigen können, ohne auf den<br />

empirischen Verstandesgebrauch Rücksicht zu nehmen und dadurch dem <strong>re<strong>in</strong>en</strong> und<br />

s<strong>in</strong>nenfreien Urteile völlig zu entsagen. So ist denn <strong>der</strong> Begriff re<strong>in</strong>er bloß <strong>in</strong>telligibler<br />

Gegenstände gänzlich leer <strong>von</strong> allen Grundsätzen ihrer Anwendung, weil man ke<strong>in</strong>e Art<br />

ers<strong>in</strong>nen kann, wie sie gegeben werden sollten; und <strong>der</strong> problematische Gedanke, <strong>der</strong><br />

doch e<strong>in</strong>en Platz für sie offen läßt, dient nur, wie e<strong>in</strong> leerer Raum, die empirischen<br />

Grundsätze e<strong>in</strong>zuschränken, ohne doch irgende<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es Objekt <strong>der</strong> Erkenntnis, außer<br />

<strong>der</strong> Sphäre <strong>der</strong> letzteren, <strong>in</strong> sich zu enthalten und aufzuweisen.<br />

101


Anhang: Von <strong>der</strong> Amphibolie <strong>der</strong> Reflexionsbegriffe<br />

durch die Verwechslung des empirischen Verstandesgebrauchs mit dem transzendentalen<br />

Die Überlegung (reflexio) hat es nicht mit den Gegenständen selbst zu tun, um geradezu<br />

<strong>von</strong> ihnen Begriffe zu bekommen, son<strong>der</strong>n ist <strong>der</strong> Zustand des Gemüts, <strong>in</strong> welchem wir<br />

uns zuerst dazu anschicken, um die subjektiven Bed<strong>in</strong>gungen ausf<strong>in</strong>dig zu machen, unter<br />

denen wir zu Begriffen gelangen können. Sie ist das Bewußtse<strong>in</strong> des Verhältnisses<br />

gegebener Vorstellungen zu unseren verschiedenen Erkenntnisquellen, durch welches<br />

alle<strong>in</strong> ihr Verhältnis untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> richtig bestimmt werden kann. Die erste Frage vor aller<br />

weiteren Behandlung unserer Vorstellung ist die: <strong>in</strong> welchem Erkenntnisvermögen gehören<br />

sie zusammen? Ist es <strong>der</strong> Verstand, o<strong>der</strong> s<strong>in</strong>d es die S<strong>in</strong>ne, vor denen sie verknüpft o<strong>der</strong><br />

verglichen werden? Manches Urteil wird aus Gewohnheit angenommen o<strong>der</strong> durch<br />

Neigung geknüpft; weil aber ke<strong>in</strong>e Überlegung vorhergeht o<strong>der</strong> wenigstens kritisch darauf<br />

folgt, so gilt es für e<strong>in</strong> solches, das im Verstande se<strong>in</strong>en Ursprung erhalten hat. Nicht alle<br />

Urteile bedürfen e<strong>in</strong>er Untersuchung, d.i. e<strong>in</strong>er Aufmerksamkeit auf die Gründe <strong>der</strong><br />

Wahrheit; denn, wenn sie unmittelbar gewiß s<strong>in</strong>d: z.B. zwischen zwei Punkten kann nur<br />

e<strong>in</strong>e gerade L<strong>in</strong>ie se<strong>in</strong>, so läßt sich <strong>von</strong> ihnen ke<strong>in</strong> noch näheres Merkmal <strong>der</strong> Wahrheit,<br />

als das sie selbst ausdrücken, anzeigen. Aber alle Urteile, ja alle Vergleichungen bedürfen<br />

e<strong>in</strong>er Überlegung, d.i. e<strong>in</strong>er Unterscheidung <strong>der</strong> Erkenntniskraft, wozu die gegebenen<br />

Begriffe gehören. Die Handlung, dadurch ich die Vergleichung <strong>der</strong> Vorstellungen<br />

überhaupt mit <strong>der</strong> Erkenntniskraft zusammenhalte, dar<strong>in</strong> sie angestellt wird, und wodurch<br />

ich unterscheide, ob sie als gehörig zum <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstande o<strong>der</strong> zur s<strong>in</strong>nlichen Anschauung<br />

untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verglichen werden, nenne ich die transzendentale Überlegung. Das<br />

Verhältnis aber, <strong>in</strong> welchem die Begriffe <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gemütszustande zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong> gehören<br />

können, ist das <strong>der</strong> E<strong>in</strong>erleiheit und Verschiedenheit, <strong>der</strong> E<strong>in</strong>stimmung und des<br />

Wi<strong>der</strong>streits, des Inneren und des Äußeren, endlich des Bestimmbaren und <strong>der</strong><br />

Bestimmung (Materie und Form). Die richtige Bestimmung dieses Verhältnisses beruht<br />

darauf, <strong>in</strong> welcher Erkenntniskraft sie subjektiv zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong> gehören, ob <strong>in</strong> <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit<br />

o<strong>der</strong> dem Verstande. Denn <strong>der</strong> Unterschied <strong>der</strong> letzteren macht e<strong>in</strong>en großen Unterschied<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Art, wie man sich die ersten denken solle.<br />

Vor allen objektiven Urteilen vergleichen wir die Begriffe, um auf die E<strong>in</strong>erleiheit (vieler<br />

Vorstellungen unter e<strong>in</strong>em Begriffe) zum Behuf <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Urteile, o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Verschiedenheit <strong>der</strong>selben, zur Erzeugung beson<strong>der</strong>er, auf die E<strong>in</strong>stimmung, daraus<br />

bejahende, und den Wi<strong>der</strong>streit, daraus verne<strong>in</strong>ende Urteile werden können usw.. Aus<br />

diesem Grunde sollten wir, wie es sche<strong>in</strong>t, die angeführten Begriffe Vergleichungsbegriffe<br />

nennen (conceptus comparationis). Weil aber, wenn es nicht auf die logische Form,<br />

son<strong>der</strong>n auf den Inhalt <strong>der</strong> Begriffe ankommt, d.i. ob die D<strong>in</strong>ge selbst e<strong>in</strong>erlei o<strong>der</strong><br />

verschieden, e<strong>in</strong>stimmig o<strong>der</strong> im Wi<strong>der</strong>streit s<strong>in</strong>d usw., die D<strong>in</strong>ge aber e<strong>in</strong> zwiefaches<br />

Verhältnis zu unserer Erkenntniskraft, nämlich zur S<strong>in</strong>nlichkeit und zum Verstande haben<br />

können, auf diese Stelle aber, dar<strong>in</strong> sie gehören, die Art ankommt, wie sie zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

gehören sollen: so wird die transzendentale Reflexion, d.i. das Verhältnis gegebener<br />

Vorstellungen zu e<strong>in</strong>er o<strong>der</strong> <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Erkenntnisart ihr Verhältnis untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> alle<strong>in</strong><br />

bestimmen können; und ob die D<strong>in</strong>ge e<strong>in</strong>erlei o<strong>der</strong> verschieden, e<strong>in</strong>stimmig o<strong>der</strong><br />

wi<strong>der</strong>streitend s<strong>in</strong>d usw., wird nicht sofort aus den Begriffen selbst durch bloße<br />

Vergleichung (comparatio), son<strong>der</strong>n allererst durch die Unterscheidung <strong>der</strong> Erkenntnisart,<br />

wozu sie gehören, vermittels e<strong>in</strong>er transzendentalen Überlegung (reflexio) ausgemacht<br />

werden können. Man könnte also zwar sagen: daß die logische Reflexion e<strong>in</strong>e bloße<br />

Komparation sei, denn bei ihr wird <strong>von</strong> <strong>der</strong> Erkenntniskraft, wozu die gegebenen<br />

Vorstellungen gehören, gänzlich abstrahiert, und sie s<strong>in</strong>d also sofern ihrem Sitze nach, im<br />

Gemüte, als gleichartig zu behandeln; die transzendentale Reflexion aber (welche auf die<br />

102


Gegenstände selbst geht) enthält den Grund <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> objektiven Komparation<br />

<strong>der</strong> Vorstellungen untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, und ist also <strong>von</strong> <strong>der</strong> letzteren gar sehr verschieden, weil<br />

die Erkenntniskraft, dazu sie gehören, nicht eben dieselbe ist. Diese transzendentale<br />

Überlegung ist e<strong>in</strong>e Pflicht, <strong>von</strong> <strong>der</strong> sich niemand lossagen kann, wenn er a priori etwas<br />

über D<strong>in</strong>ge urteilen will. Wir wollen sie jetzt zur Hand nehmen und werden daraus für die<br />

Bestimmung des eigentlichen Geschäfts des Verstandes nicht wenig Licht ziehen.<br />

1. E<strong>in</strong>erleiheit und Verschiedenheit.<br />

Wenn uns e<strong>in</strong> Gegenstand mehrmalen, jedesmal aber mit ebendenselben <strong>in</strong>neren<br />

Bestimmungen (qualitas et quantitas) dargestellt wird, so ist <strong>der</strong>selbe, wenn er als<br />

Gegenstand des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes gilt, immer eben <strong>der</strong>selbe, und nicht viele, son<strong>der</strong>n nur<br />

e<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g (numerica identitas); ist er aber Ersche<strong>in</strong>ung, so kommt es auf die Vergleichung<br />

<strong>der</strong> Begriffe gar nicht an, son<strong>der</strong>n, so sehr auch <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong>selben alles e<strong>in</strong>erlei se<strong>in</strong><br />

mag, ist doch die Verschiedenheit <strong>der</strong> Örter dieser Ersche<strong>in</strong>ung zu gleicher Zeit e<strong>in</strong><br />

genugsamer Grund <strong>der</strong> numerischen Verschiedenheit des Gegenstandes (<strong>der</strong> S<strong>in</strong>ne)<br />

selbst. So kann man bei zwei Tropfen Wasser <strong>von</strong> aller <strong>in</strong>neren Verschiedenheit (<strong>der</strong><br />

Qualität und Quantität) völlig abstrahieren, und es ist genug, daß sie <strong>in</strong> verschiedenen<br />

Örtern zugleich angeschaut werden, um sie numerisch verschieden zu halten. Leibniz<br />

nahm die Ersche<strong>in</strong>ungen als D<strong>in</strong>ge an sich selbst, mith<strong>in</strong> für <strong>in</strong>telligibilia, d.i. Gegenstände<br />

des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes (ob er gleich, wegen <strong>der</strong> Verworrenheit ihrer Vorstellungen<br />

dieselben mit dem Namen <strong>der</strong> Phänomene belegte), und da konnte se<strong>in</strong> Satz des<br />

Nichtzuunterscheidenden (pr<strong>in</strong>cipium identitatis <strong>in</strong>discernibilium) allerd<strong>in</strong>gs nicht bestritten<br />

werden; da sie aber Gegenstände <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit s<strong>in</strong>d, und <strong>der</strong> Verstand <strong>in</strong> Ansehung<br />

ihrer nicht <strong>von</strong> re<strong>in</strong>em, son<strong>der</strong>n bloß empirischen Gebrauche ist, so wird die Vielheit und<br />

numerische Verschiedenheit schon durch den Raum selbst, als die Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong><br />

äußeren Ersche<strong>in</strong>ungen angegeben. Denn e<strong>in</strong> Teil des Raums, ob er zwar e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en<br />

völlig ähnlich und gleich se<strong>in</strong> mag, ist doch außer ihm und eben dadurch e<strong>in</strong> vom ersteren<br />

verschiedener Teil, <strong>der</strong> zu ihm h<strong>in</strong>zukommt, um e<strong>in</strong>en größeren Raum auszumachen und<br />

dieses muß daher <strong>von</strong> allem, was <strong>in</strong> den mancherlei Stellen des Raums zugleich ist,<br />

gelten, so sehr es sich sonst auch ähnlich und gleich se<strong>in</strong> mag.<br />

2. E<strong>in</strong>stimmung und Wi<strong>der</strong>streit.<br />

Wenn Realität nur durch den <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstand vorgestellt wird (realitas noumenon), so läßt<br />

sich zwischen den Realitäten ke<strong>in</strong> Wi<strong>der</strong>streit denken, d.i. e<strong>in</strong> solches Verhältnis, da sie, <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Subjekt verbunden, e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> ihre Folgen aufheben, und 3-3=0 sei. Dagegen kann<br />

das Reale <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung (realitas phaenomenon) untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> allerd<strong>in</strong>gs im<br />

Wi<strong>der</strong>streit se<strong>in</strong>, und vere<strong>in</strong>t <strong>in</strong> demselben Subjekt, e<strong>in</strong>es die Folge des an<strong>der</strong>en ganz o<strong>der</strong><br />

zum Teil vernichten, wie zwei bewegende Kräfte <strong>in</strong> <strong>der</strong>selben geraden L<strong>in</strong>ie, sofern sie<br />

e<strong>in</strong>en Punkt <strong>in</strong> entgegengesetzter Richtung entwe<strong>der</strong> ziehen o<strong>der</strong> drücken, o<strong>der</strong> auch e<strong>in</strong><br />

Vergnügen, was dem Schmerze die Wage hält.<br />

3. Das Innere und Äußere.<br />

An e<strong>in</strong>em Gegenstande des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes ist nur dasjenige <strong>in</strong>nerlich, welches gar<br />

ke<strong>in</strong>e Beziehung (dem Dase<strong>in</strong> nach) auf irgend etwas <strong>von</strong> ihm Verschiedenes hat.<br />

Dagegen s<strong>in</strong>d die <strong>in</strong>neren Bestimmungen e<strong>in</strong>er substantia phaenomenon im Raume nichts<br />

als Verhältnisse, und sie selbst ganz und gar e<strong>in</strong> Inbegriff <strong>von</strong> lauter Relationen. Die<br />

Substanz im Raume kennen wir nur durch Kräfte, die <strong>in</strong> demselben wirksam s<strong>in</strong>d,<br />

entwe<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e dah<strong>in</strong> zu treiben (Anziehung), o<strong>der</strong> vom E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> ihn abzuhalten<br />

(Zurückstoßung und Undurchdr<strong>in</strong>glichkeit); an<strong>der</strong>e Eigenschaften kennen wir nicht, die<br />

den Begriff <strong>von</strong> <strong>der</strong> Substanz, die im Raum ersche<strong>in</strong>t, und die wir Materie nennen,<br />

103


ausmachen. Als Objekt des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes muß jede Substanz dagegen <strong>in</strong>nere<br />

Bestimmungen und Kräfte haben, die auf die <strong>in</strong>nere Realität gehen. Alle<strong>in</strong> was kann ich<br />

mir für <strong>in</strong>nere Akzidenzen denken, als diejenigen, so me<strong>in</strong> <strong>in</strong>nerer S<strong>in</strong>n mir darbietet,<br />

nämlich das, was entwe<strong>der</strong> selbst e<strong>in</strong> Denken, o<strong>der</strong> mit diesem analogisch ist. Daher<br />

machte Leibniz aus allen Substanzen, weil er sie sich als Noumena vorstellte, selbst aus<br />

den Bestandteilen <strong>der</strong> Materie, nachdem er ihnen alles, was äußere Relation bedeuten<br />

mag, mith<strong>in</strong> auch die Zusammensetzung, <strong>in</strong> Gedanken, genommen hatte, e<strong>in</strong>fache<br />

Subjekte, mit Vorstellungskräften begabt, mit e<strong>in</strong>em Worte, Monaden.<br />

4. Materie und Form.<br />

Dieses s<strong>in</strong>d zwei Begriffe, welche aller an<strong>der</strong>en Reflexion zugrunde gelegt werden, so<br />

sehr s<strong>in</strong>d sie mit jedem Gebrauch des Verstandes unzertrennlich verbunden. Der erstere<br />

bedeutet das Bestimmbare überhaupt, <strong>der</strong> zweite dessen Bestimmung (beides <strong>in</strong><br />

transzendentalem Verstande, da man <strong>von</strong> allem Unterschiede dessen, was gegeben wird,<br />

und <strong>der</strong> Art, wie es bestimmt wird, abstrahiert). Die Logiker nannten ehedem das<br />

Allgeme<strong>in</strong>e die Materie, den spezifischen Unterschied aber die Form. In jedem Urteile<br />

kann man die gegebenen Begriffe logische Materie (zum Urteile), das Verhältnis <strong>der</strong>selben<br />

(vermittels <strong>der</strong> Kopula) die Form des Urteils nennen. In jedem Wesen s<strong>in</strong>d die<br />

Bestandstücke desselben (essentialia) die Materie, die Art, wie sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em D<strong>in</strong>ge<br />

verknüpft s<strong>in</strong>d, die wesentliche Form. Auch wurde <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge überhaupt<br />

unbegrenzte Realität, als die Materie aller Möglichkeit, E<strong>in</strong>schränkung <strong>der</strong>selben aber<br />

(Negation) als diejenige Form angesehen, wodurch sich e<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g vom an<strong>der</strong>en nach<br />

transzendentalen Begriffen unterscheidet. Der Verstand nämlich verlangt zuerst, daß<br />

etwas gegeben sei (wenigstens im Begriffe), um es auf gewisse Art bestimmen zu können.<br />

Daher geht im Begriffe des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes die Materie <strong>der</strong> Form vor, und Leibniz nahm<br />

um deswillen zuerst D<strong>in</strong>ge an (Monaden) und <strong>in</strong>nerlich e<strong>in</strong>e Vorstellungskraft <strong>der</strong>selben,<br />

um danach das äußere Verhältnis <strong>der</strong>selben und die Geme<strong>in</strong>schaft ihrer Zustände<br />

(nämlich <strong>der</strong> Vorstellungen) darauf zu gründen. Daher waren Raum und Zeit, jener nur<br />

durch das Verhältnis <strong>der</strong> Substanzen, diese durch die Verknüpfung <strong>der</strong> Bestimmungen<br />

<strong>der</strong>selben untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, als Gründe und Folgen, möglich. So würde es auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat<br />

se<strong>in</strong> müssen, wenn <strong>der</strong> re<strong>in</strong>e Verstand unmittelbar auf Gegenstände bezogen werden<br />

könnte und wenn Raum und Zeit Bestimmungen <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge an sich selbst wären. S<strong>in</strong>d es<br />

aber nur s<strong>in</strong>nliche Anschauungen, <strong>in</strong> denen wir alle Gegenstände lediglich als<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen bestimmen, so geht die Form <strong>der</strong> Anschauung (als e<strong>in</strong>e subjektive<br />

Beschaffenheit <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit) vor aller Materie (den Empf<strong>in</strong>dungen), mith<strong>in</strong> Raum und<br />

Zeit vor allen Ersche<strong>in</strong>ungen und allen datis <strong>der</strong> Erfahrung vorher und macht diese<br />

vielmehr allererst möglich. Der Intellektualphilosoph konnte es nicht leiden: daß die Form<br />

vor den D<strong>in</strong>gen selbst vorhergehen und dieser ihre Möglichkeit bestimmen sollte; e<strong>in</strong>e<br />

ganz richtige Zensur, wenn er annahm, daß wir die D<strong>in</strong>ge anschauen, wie sie s<strong>in</strong>d<br />

(obgleich mit verworrener Vorstellung). Da aber die s<strong>in</strong>nliche Anschauung e<strong>in</strong>e ganz<br />

beson<strong>der</strong>e subjektive Bed<strong>in</strong>gung ist, welche aller Wahrnehmung a priori zugrunde liegt<br />

und <strong>der</strong>en Form ursprünglich ist, so ist die Form für sich alle<strong>in</strong> gegeben; und weit gefehlt<br />

daß die Materie (o<strong>der</strong> die D<strong>in</strong>ge selbst, welche ersche<strong>in</strong>en) zugrunde liegen sollten (wie<br />

man nach bloßen Begriffen urteilen müßte), so setzt die Möglichkeit <strong>der</strong>selben vielmehr<br />

e<strong>in</strong>e formale Anschauung (Zeit und Raum) als gegeben voraus.<br />

104


Anmerkung zur Amphibolie <strong>der</strong> Reflexionsbegriffe<br />

Man erlaube mir, die Stelle, welche wir e<strong>in</strong>em Begriffe entwe<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit, o<strong>der</strong><br />

im <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstande erteilen, den transzendentalen Ort zu nennen. Auf solche Weise wäre<br />

die Beurteilung dieser Stelle, die jedem Begriffe nach Verschiedenheit se<strong>in</strong>es Gebrauchs<br />

zukommt und die Anweisung nach Regeln, diesen Ort allen Begriffen zu bestimmen, die<br />

transzendentale Topik; e<strong>in</strong>e Lehre, die vor Erschleichungen des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes und<br />

daraus entspr<strong>in</strong>genden Blendwerken gründlich bewahren würde, <strong>in</strong>dem sie je<strong>der</strong>zeit<br />

unterschiede, welcher Erkenntniskraft die Begriffe eigentlich angehören. Man kann e<strong>in</strong>en<br />

jeden Begriff, e<strong>in</strong>en jeden Titel, darunter viele Erkenntnisse gehören, e<strong>in</strong>en logischen Ort<br />

nennen. Hierauf gründet sich die logische Topik des Aristoteles, <strong>der</strong>en sich Schullehrer<br />

und Redner bedienen konnten, um unter gewissen Titeln des Denkens nachzusehen, was<br />

sich am besten für se<strong>in</strong>e vorliegende Materie schickte, und darüber, mit e<strong>in</strong>em Sche<strong>in</strong> <strong>von</strong><br />

Gründlichkeit, zu vernünfteln o<strong>der</strong> wortreich zu schwatzen.<br />

Die transzendentale Topik enthält dagegen nicht mehr, als die angeführten vier Titel aller<br />

Vergleichung und Unterscheidung, die sich dadurch <strong>von</strong> Kategorien unterscheiden, daß<br />

durch jene nicht <strong>der</strong> Gegenstand, nach demjenigen, was se<strong>in</strong>en Begriff ausmacht (Größe,<br />

Realität), son<strong>der</strong>n nur die Vergleichung <strong>der</strong> Vorstellungen, welche vor dem Begriffe <strong>von</strong><br />

D<strong>in</strong>gen vorhergeht, <strong>in</strong> aller ihrer Mannigfaltigkeit dargestellt wird. Diese Vergleichung aber<br />

bedarf zuvör<strong>der</strong>st e<strong>in</strong>er Überlegung, d.i. e<strong>in</strong>er Bestimmung desjenigen Orts, wo die<br />

Vorstellungen <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge, die verglichen werden, h<strong>in</strong>gehören, ob sie <strong>der</strong> re<strong>in</strong>e Verstand<br />

denkt, o<strong>der</strong> die S<strong>in</strong>nlichkeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung gibt.<br />

Die Begriffe können logisch verglichen werden, ohne sich darum zu bekümmern, woh<strong>in</strong><br />

ihre Objekte gehören, ob als Noumena für den Verstand o<strong>der</strong> als Phaenomena für die<br />

S<strong>in</strong>nlichkeit. Wenn wir aber mit diesen Begriffen zu den Gegenständen gehen wollen, so<br />

ist zuvör<strong>der</strong>st transzendentale Überlegung nötig, für welche Erkenntniskraft sie<br />

Gegenstände se<strong>in</strong> sollen, ob für den <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstand, o<strong>der</strong> die S<strong>in</strong>nlichkeit. Ohne diese<br />

Überlegung mache ich e<strong>in</strong>en sehr unsicheren Gebrauch <strong>von</strong> diesen Begriffen, und es<br />

entspr<strong>in</strong>gen verme<strong>in</strong>te synthetische Grundsätze, welche die kritische <strong>Vernunft</strong> nicht<br />

anerkennen kann, und die sich lediglich auf e<strong>in</strong>er transzendentalen Amphibolie, d.i. e<strong>in</strong>er<br />

Verwechslung des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandesobjekts mit <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung, gründen.<br />

In Ermanglung e<strong>in</strong>er solchen transzendentalen Topik und mith<strong>in</strong> durch die Amphibolie <strong>der</strong><br />

Reflexionsbegriffe h<strong>in</strong>tergangen, errichtete <strong>der</strong> berühmte Leibniz e<strong>in</strong> <strong>in</strong>tellektuelles System<br />

<strong>der</strong> Welt, o<strong>der</strong> glaubte vielmehr <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge <strong>in</strong>nere Beschaffenheit zu erkennen, <strong>in</strong>dem er<br />

alle Gegenstände nur mit dem Verstande und den abgeson<strong>der</strong>ten formalen Begriffen<br />

se<strong>in</strong>es Denkens verglich. Unsere Tafel <strong>der</strong> Reflexionsbegriffe schafft uns den unerwarteten<br />

Vorteil, das Unterscheidende se<strong>in</strong>es Lehrbegriffs <strong>in</strong> allen se<strong>in</strong>en Teilen und zugleich den<br />

leitenden Grund dieser eigentümlichen Denkungsart vor Augen zu legen, <strong>der</strong> auf nichts,<br />

als e<strong>in</strong>em Mißverstande beruhte. Er verglich alle D<strong>in</strong>ge bloß durch Begriffe mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

und fand, wie natürlich, ke<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>en Verschiedenheiten als die, durch welche <strong>der</strong><br />

Verstand se<strong>in</strong>e <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Begriffe <strong>von</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> unterscheidet. Die Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlichen<br />

Anschauung, die ihre eigenen Unterschiede bei sich führen, sah er nicht für ursprünglich<br />

an; denn die S<strong>in</strong>nlichkeit war ihm nur e<strong>in</strong>e verworrene Vorstellungsart und ke<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>er<br />

Quell <strong>der</strong> Vorstellungen; Ersche<strong>in</strong>ung war ihm die Vorstellung des D<strong>in</strong>ges an sich selbst,<br />

obgleich <strong>von</strong> <strong>der</strong> Erkenntnis durch den Verstand, <strong>der</strong> logischen Form nach, unterschieden,<br />

da nämlich jene, bei ihrem gewöhnlichen Mangel <strong>der</strong> Zerglie<strong>der</strong>ung, e<strong>in</strong>e gewisse<br />

Vermischung <strong>von</strong> Nebenvorstellungen <strong>in</strong> den Begriff des D<strong>in</strong>ges zieht, die <strong>der</strong> Verstand<br />

da<strong>von</strong> abzuson<strong>der</strong>n weiß. Mit e<strong>in</strong>em Worte: Leibniz <strong>in</strong>tellektuierte die Ersche<strong>in</strong>ungen, so<br />

wie Locke die Verstandesbegriffe, nach e<strong>in</strong>em System <strong>der</strong> Noogonie (wenn es mir erlaubt<br />

ist, mich dieser Ausdrücke zu bedienen) <strong>in</strong>sgesamt sensifiziert, d.i. für nichts, als<br />

105


empirische, aber abgeson<strong>der</strong>te Reflexionsbegriffe ausgegeben hatte. Anstatt im Verstande<br />

und <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit zwei ganz verschiedene Quellen <strong>von</strong> Vorstellungen zu suchen, die<br />

aber nur <strong>in</strong> Verknüpfung objektiv gültig <strong>von</strong> D<strong>in</strong>gen urteilen könnten, hielt sich e<strong>in</strong> je<strong>der</strong><br />

dieser großen Männer nur an e<strong>in</strong>e <strong>von</strong> beiden, die sich ihrer Me<strong>in</strong>ung nach unmittelbar auf<br />

D<strong>in</strong>ge an sich selbst bezöge, <strong>in</strong>dessen, daß die an<strong>der</strong>e nichts tat, als die Vorstellungen <strong>der</strong><br />

ersteren zu verwirren o<strong>der</strong> zu ordnen.<br />

Leibniz verglich demnach die Gegenstände <strong>der</strong> S<strong>in</strong>ne als D<strong>in</strong>ge überhaupt bloß im<br />

Verstande untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, erstlich, sofern sie <strong>von</strong> diesem als e<strong>in</strong>erlei o<strong>der</strong> verschieden<br />

geurteilt werden sollen. Da er also lediglich ihre Begriffe und nicht ihre Stelle <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Anschauung, dar<strong>in</strong> die Gegenstände alle<strong>in</strong> gegeben werden können, vor Augen hatte und<br />

den transzendentalen Ort dieser Begriffe (ob das Objekt unter Ersche<strong>in</strong>ungen o<strong>der</strong> unter<br />

D<strong>in</strong>ge an sich selbst zu zählen sei) gänzlich aus <strong>der</strong> Acht ließ, so konnte es nicht an<strong>der</strong>s<br />

ausfallen, als daß er se<strong>in</strong>en Grundsatz des Nichtzuunterscheidenden, <strong>der</strong> bloß <strong>von</strong><br />

Begriffen <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge überhaupt gilt, auch auf die Gegenstände <strong>der</strong> S<strong>in</strong>ne (mundus<br />

phaenomenon) ausdehnte, und <strong>der</strong> Naturerkenntnis dadurch ke<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge Erweiterung<br />

verschafft zu haben glaubte. Freilich: wenn ich e<strong>in</strong>en Tropfen Wasser als e<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g an sich<br />

selbst nach allen se<strong>in</strong>en <strong>in</strong>neren Bestimmungen kenne, so kann ich ke<strong>in</strong>en <strong>der</strong>selben <strong>von</strong><br />

dem an<strong>der</strong>en für verschieden gelten lassen, wenn <strong>der</strong> ganze Begriff desselben mit ihm<br />

e<strong>in</strong>erlei ist. Ist er aber Ersche<strong>in</strong>ung im Raume, so hat er se<strong>in</strong>en Ort, nicht bloß im<br />

Verstande (unter Begriffen), son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> <strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlichen äußeren Anschauung (im Raume);<br />

und da s<strong>in</strong>d die physischen Örter, <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren Bestimmungen <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge,<br />

ganz gleichgültig, und e<strong>in</strong> Ort=b kann e<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g, welches e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en <strong>in</strong> dem Orte=a<br />

völlig ähnlich und gleich ist, ebensowohl aufnehmen, als wenn es <strong>von</strong> diesem noch so<br />

sehr <strong>in</strong>nerlich verschieden wäre. Die Verschiedenheit <strong>der</strong> Örter macht die Vielheit und<br />

Unterscheidung <strong>der</strong> Gegenstände, als Ersche<strong>in</strong>ungen, ohne weitere Bed<strong>in</strong>gungen, schon<br />

für sich nicht alle<strong>in</strong> möglich, son<strong>der</strong>n auch notwendig. Also ist jenes sche<strong>in</strong>bare Gesetz<br />

ke<strong>in</strong> Gesetz <strong>der</strong> Natur. Es ist lediglich e<strong>in</strong>e analytische Regel o<strong>der</strong> Vergleichung <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge<br />

durch bloße Begriffe.<br />

Zweitens: <strong>der</strong> Grundsatz, daß Realitäten (als bloße Bejahungen) e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> niemals logisch<br />

wi<strong>der</strong>streiten, ist e<strong>in</strong> ganz wahrer Satz, <strong>von</strong> dem Verhältnisse <strong>der</strong> Begriffe, bedeutet aber<br />

we<strong>der</strong> <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong> Natur, noch überall <strong>in</strong> Ansehung irgende<strong>in</strong>es D<strong>in</strong>ges an sich selbst<br />

(<strong>von</strong> diesem haben wir gar ke<strong>in</strong>en Begriff) das m<strong>in</strong>deste. Denn <strong>der</strong> reale Wi<strong>der</strong>streit f<strong>in</strong>det<br />

allerwärts statt, wo A-B=0 ist, d.i. wo e<strong>in</strong>e Realität mit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Subjekt<br />

verbunden, e<strong>in</strong>e die Wirkung <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en aufhebt, welches alle H<strong>in</strong><strong>der</strong>nisse und<br />

Gegenwirkungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Natur unaufhörlich vor Augen legen, die gleichwohl, da sie auf<br />

Kräften beruhen, realitates phaenomena genannt werden müssen. Die allgeme<strong>in</strong>e<br />

Mechanik kann sogar die empirische Bed<strong>in</strong>gung dieses Wi<strong>der</strong>streits <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Regel a priori<br />

angeben, <strong>in</strong>dem sie auf die Entgegensetzung <strong>der</strong> Richtungen sieht: e<strong>in</strong>e Bed<strong>in</strong>gung, <strong>von</strong><br />

welcher <strong>der</strong> transzendentale Begriff <strong>der</strong> Realität gar nichts weiß. Obzwar Herr <strong>von</strong> Leibniz<br />

diesen Satz nicht eben mit dem Pomp e<strong>in</strong>es neuen Grundsatzes ankündigte, so bediente<br />

er sich doch desselben zu neuen Behauptungen, und se<strong>in</strong>e Nachfolger trugen ihn<br />

ausdrücklich <strong>in</strong> ihre Leibniz-Wolffianischen Lehrgebäude e<strong>in</strong>. Nach diesem Grundsatze<br />

s<strong>in</strong>d z.E. alle Übel nichts als Folgen <strong>von</strong> den Schranken <strong>der</strong> Geschöpfe, d.i. Negationen,<br />

weil diese das e<strong>in</strong>zige Wi<strong>der</strong>streitende <strong>der</strong> Realität s<strong>in</strong>d (<strong>in</strong> dem bloßen Begriffe e<strong>in</strong>es<br />

D<strong>in</strong>ges überhaupt ist es auch wirklich so, aber nicht <strong>in</strong> den D<strong>in</strong>gen als Ersche<strong>in</strong>ungen).<br />

Imgleichen f<strong>in</strong>den die Anhänger desselben es nicht alle<strong>in</strong> möglich, son<strong>der</strong>n auch natürlich,<br />

alle Realität, ohne irgende<strong>in</strong>en besorglichen Wi<strong>der</strong>streit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Wesen zu vere<strong>in</strong>igen,<br />

weil sie ke<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en als den des Wi<strong>der</strong>spruchs (durch den <strong>der</strong> Begriff e<strong>in</strong>es D<strong>in</strong>ges<br />

selbst aufgehoben wird), nicht aber den des wechselseitigen Abbruchs kennen, da e<strong>in</strong><br />

106


Realgrund die Wirkung des an<strong>der</strong>en aufhebt und dazu wir nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit die<br />

Bed<strong>in</strong>gungen antreffen, uns e<strong>in</strong>en solchen vorzustellen.<br />

Drittens: die Leibnizische Monadologie hat gar ke<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en Grund, als daß dieser<br />

Philosoph den Unterschied des Inneren und Äußeren bloß im Verhältnis auf den Verstand<br />

vorstellte. Die Substanzen überhaupt müssen etwas Inneres haben, was also <strong>von</strong> allen<br />

äußeren Verhältnissen, folglich auch <strong>der</strong> Zusammensetzung frei ist. Das E<strong>in</strong>fache ist also<br />

die Grundlage des Inneren <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge an sich selbst. Das Innere aber ihres Zustandes<br />

kann auch nicht <strong>in</strong> Ort, Gestalt, Berührung o<strong>der</strong> Bewegung (welche Bestimmungen alle<br />

äußere Verhältnisse s<strong>in</strong>d) bestehen, und wir können daher den Substanzen ke<strong>in</strong>en<br />

an<strong>der</strong>en <strong>in</strong>neren Zustand als denjenigen, wodurch wir unseren S<strong>in</strong>n selbst <strong>in</strong>nerlich<br />

bestimmen, nämlich den Zustand <strong>der</strong> Vorstellungen, beilegen. So wurden denn die<br />

Monaden fertig, welche den Grundstoff des ganzen Universum ausmachen sollen, <strong>der</strong>en<br />

tätige Kraft aber nur <strong>in</strong> Vorstellungen besteht, wodurch sie eigentlich bloß <strong>in</strong> sich selbst<br />

wirksam s<strong>in</strong>d.<br />

Eben darum mußte aber auch se<strong>in</strong> Pr<strong>in</strong>zipium <strong>der</strong> möglichen Geme<strong>in</strong>schaft <strong>der</strong><br />

Substanzen untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e vorherbestimmte Harmonie, und konnte ke<strong>in</strong> physischer<br />

E<strong>in</strong>fluß se<strong>in</strong>. Denn weil alles nur <strong>in</strong>nerlich, d.i. mit se<strong>in</strong>en Vorstellungen beschäftigt ist, so<br />

konnte <strong>der</strong> Zustand <strong>der</strong> Vorstellungen <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en mit dem <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Substanz <strong>in</strong> ganz<br />

und gar ke<strong>in</strong>er wirksamen Verb<strong>in</strong>dung stehen, son<strong>der</strong>n es mußte irgende<strong>in</strong>e dritte, und <strong>in</strong><br />

alle <strong>in</strong>sgesamt e<strong>in</strong>fließende Ursache, ihre Zustände e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> korrespondierend machen;<br />

zwar nicht eben durch gelegentlichen, und <strong>in</strong> jedem e<strong>in</strong>zelnen Falle beson<strong>der</strong>s<br />

angebrachten Beistand (systema assistentiae), son<strong>der</strong>n durch die E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Idee e<strong>in</strong>er<br />

für alle gültigen Ursache, <strong>in</strong> welcher sie <strong>in</strong>sgesamt ihr Dase<strong>in</strong> und Beharrlichkeit, mith<strong>in</strong><br />

auch wechselseitige Korrespondenz untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> nach allgeme<strong>in</strong>en Gesetzen<br />

bekommen müssen.<br />

Viertens: <strong>der</strong> berühmte Lehrbegriff desselben <strong>von</strong> Zeit und Raum, dar<strong>in</strong> er diese Formen<br />

<strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit <strong>in</strong>tellektuierte, war lediglich aus eben <strong>der</strong>selben Täuschung <strong>der</strong><br />

transzendentalen Reflexion entsprungen. Wenn ich mir durch den bloßen Verstand äußere<br />

Verhältnisse <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge vorstellen will, so kann dieses nur vermittels e<strong>in</strong>es Begriffs ihrer<br />

wechselseitigen Wirkung geschehen; und soll ich e<strong>in</strong>en Zustand ebendesselben D<strong>in</strong>ges<br />

mit e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en Zustande verknüpfen, so kann dieses nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ordnung <strong>der</strong> Gründe<br />

und Folgen geschehen. So dachte sich also Leibniz den Raum als e<strong>in</strong>e gewisse Ordnung<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>schaft <strong>der</strong> Substanzen, und die Zeit als die dynamische Folge ihrer<br />

Zustände. Das Eigentümliche aber und <strong>von</strong> D<strong>in</strong>gen Unabhängige, was beide an sich zu<br />

haben sche<strong>in</strong>en, schrieb er <strong>der</strong> Verworrenheit dieser Begriffe zu, welche machte, daß<br />

dasjenige, was e<strong>in</strong>e bloße Form dynamischer Verhältnisse ist, für e<strong>in</strong>e eigene für sich<br />

bestehende und vor den D<strong>in</strong>gen selbst vorhergehende Anschauung gehalten wird. Also<br />

waren Raum und Zeit die <strong>in</strong>telligible Form <strong>der</strong> Verknüpfung <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge (Substanzen und<br />

ihrer Zustände) an sich selbst. Die D<strong>in</strong>ge aber waren <strong>in</strong>telligible Substanzen (substantiae<br />

noumena). Gleichwohl wollte er diese Begriffe für Ersche<strong>in</strong>ungen geltend machen, weil er<br />

<strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit ke<strong>in</strong>e eigene Art <strong>der</strong> Anschauung zugestand, son<strong>der</strong>n alle, selbst die<br />

empirische Vorstellung <strong>der</strong> Gegenstände, im Verstande suchte, und den S<strong>in</strong>nen nichts als<br />

das verächtliche Geschäft ließ, die Vorstellungen des ersteren zu verwirren und zu<br />

verunstalten.<br />

Wenn wir aber auch <strong>von</strong> D<strong>in</strong>gen an sich selbst etwas durch den <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstand<br />

synthetisch sagen könnten (welches gleichwohl unmöglich ist), so würde dieses doch gar<br />

nicht auf Ersche<strong>in</strong>ungen, welche nicht D<strong>in</strong>ge an sich selbst vorstellen, gezogen werden<br />

107


können. Ich werde also <strong>in</strong> diesem letzteren Falle <strong>in</strong> <strong>der</strong> transzendentalen Überlegung<br />

me<strong>in</strong>e Begriffe je<strong>der</strong>zeit nur unter den Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit vergleichen müssen,<br />

und so werden Raum und Zeit nicht Bestimmungen <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge an sich, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong><br />

Ersche<strong>in</strong>ungen se<strong>in</strong>: was die D<strong>in</strong>ge an sich se<strong>in</strong> mögen, weiß ich nicht und brauche es<br />

nicht zu wissen, weil mir doch niemals e<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g an<strong>der</strong>s, als <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung vorkommen<br />

kann.<br />

So verfahre ich auch mit den übrigen Reflexionsbegriffen. Die Materie ist substantia<br />

phaenomenon. Was ihr <strong>in</strong>nerlich zukomme, suche ich <strong>in</strong> allen Teilen des Raumes, den sie<br />

e<strong>in</strong>nimmt und <strong>in</strong> allen Wirkungen, die sie ausübt und die freilich nur immer Ersche<strong>in</strong>ungen<br />

äußerer S<strong>in</strong>ne se<strong>in</strong> können. Ich habe also zwar nichts Schlechth<strong>in</strong>-, son<strong>der</strong>n lauter<br />

Komparativ-Innerliches, das selber wie<strong>der</strong>um aus äußeren Verhältnissen besteht. Alle<strong>in</strong>,<br />

das schlechth<strong>in</strong>, dem <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstande nach, Innerliche, <strong>der</strong> Materie ist auch e<strong>in</strong>e bloße<br />

Grille; denn diese ist überall ke<strong>in</strong> Gegenstand für den <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstand, das<br />

transzendentale Objekt aber, welches <strong>der</strong> Grund dieser Ersche<strong>in</strong>ung se<strong>in</strong> mag, die wir<br />

Materie nennen, ist e<strong>in</strong> bloßes Etwas, wo<strong>von</strong> wir nicht e<strong>in</strong>mal verstehen würden, was es<br />

sei, wenn es uns auch jemand sagen könnte. Denn wir können nichts verstehen, als was<br />

e<strong>in</strong> unseren Worten Korrespondierendes <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anschauung mit sich führt. Wenn die<br />

Klagen: Wir sehen das Innere <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge gar nicht e<strong>in</strong>, soviel bedeuten sollen, als: wir<br />

begreifen nicht durch den <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstand, was die D<strong>in</strong>ge, die uns ersche<strong>in</strong>en, an sich<br />

se<strong>in</strong> mögen, so s<strong>in</strong>d sie ganz unbillig und unvernünftig; denn sie wollen, daß man ohne<br />

S<strong>in</strong>ne doch D<strong>in</strong>ge erkennen, mith<strong>in</strong> anschauen könne, folglich, daß wir e<strong>in</strong> <strong>von</strong> dem<br />

menschlichen nicht bloß dem Grade, son<strong>der</strong>n sogar <strong>der</strong> Anschauung und Art nach,<br />

gänzlich unterschiedenes Erkenntnisvermögen haben, also nicht Menschen, son<strong>der</strong>n<br />

Wesen se<strong>in</strong> sollen, <strong>von</strong> denen wir selbst nicht angeben können, ob sie e<strong>in</strong>mal möglich, viel<br />

weniger wie sie beschaffen s<strong>in</strong>d. Ins Innere <strong>der</strong> Natur dr<strong>in</strong>gt Beobachtung und<br />

Zerglie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen, und man kann nicht wissen, wie weit dieses mit <strong>der</strong> Zeit<br />

gehen werde. Jene transzendentalen Fragen aber, die über die Natur h<strong>in</strong>ausgehen,<br />

würden wir bei allem dem doch niemals beantworten können, wenn uns auch die ganze<br />

Natur aufgedeckt wäre, da es uns nicht e<strong>in</strong>mal gegeben ist, unser eigenes Gemüt mit<br />

e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en Anschauung, als <strong>der</strong> unseres <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>nes zu beobachten. Denn <strong>in</strong><br />

demselben liegt das Geheimnis des Ursprungs unserer S<strong>in</strong>nlichkeit. Ihre Beziehung auf<br />

e<strong>in</strong> Objekt, und was <strong>der</strong> transzendentale Grund dieser E<strong>in</strong>heit sei, liegt ohne Zweifel zu tief<br />

verborgen, als daß wir, die wir sogar uns selbst nur durch <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>n, mith<strong>in</strong> als<br />

Ersche<strong>in</strong>ung kennen, e<strong>in</strong> so unschickliches Werkzeug unserer Nachforschung dazu<br />

brauchen könnten, etwas an<strong>der</strong>es, als immer wie<strong>der</strong>um Ersche<strong>in</strong>ungen, aufzuf<strong>in</strong>den,<br />

<strong>der</strong>en nichts<strong>in</strong>nliche Ursache wir doch gern erforschen wollten.<br />

Was diese <strong>Kritik</strong> <strong>der</strong> Schlüsse, aus den bloßen Handlungen <strong>der</strong> Reflexion, überaus<br />

nützlich macht, ist: daß sie die Nichtigkeit aller Schlüsse über Gegenstände, die man<br />

lediglich im Verstande mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> vergleicht, deutlich dartut und dasjenige zugleich<br />

bestätigt, was wir hauptsächlich e<strong>in</strong>geschärft haben: daß, obgleich Ersche<strong>in</strong>ungen nicht<br />

als D<strong>in</strong>ge an sich selbst unter den Objekten des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes mit begriffen s<strong>in</strong>d, sie<br />

doch die e<strong>in</strong>zigen s<strong>in</strong>d, an denen unsere Erkenntnis objektive Realität haben kann,<br />

nämlich wo den Begriffen Anschauung entspricht.<br />

Wenn wir bloß logisch reflektieren, so vergleichen wir lediglich unsere Begriffe<br />

untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> im Verstande, ob beide ebendasselbe enthalten, ob sie sich wi<strong>der</strong>sprechen<br />

o<strong>der</strong> nicht, ob etwas <strong>in</strong> dem Begriffe <strong>in</strong>nerlich enthalten sei o<strong>der</strong> zu ihm h<strong>in</strong>zukomme, und<br />

welcher <strong>von</strong> beiden gegeben, welcher aber nur als e<strong>in</strong>e Art, den gegebenen zu denken,<br />

gelten soll. Wende ich aber diese Begriffe auf e<strong>in</strong>en Gegenstand überhaupt (im<br />

transzendentalen Verstande) an, ohne diesen weiter zu bestimmen, ob er e<strong>in</strong> Gegenstand<br />

<strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlichen o<strong>der</strong> <strong>in</strong>tellektuellen Anschauung sei, so zeigen sich sofort E<strong>in</strong>schränkungen<br />

108


(nicht aus diesem Begriffe h<strong>in</strong>auszugehen), welche allen empirischen Gebrauch <strong>der</strong>selben<br />

verkehren und eben dadurch beweisen: daß die Vorstellung e<strong>in</strong>es Gegenstandes, als<br />

D<strong>in</strong>ges überhaupt, nicht etwa bloß unzureichend, son<strong>der</strong>n ohne s<strong>in</strong>nliche Bestimmung<br />

<strong>der</strong>selben, und, unabhängig <strong>von</strong> empirischer Bed<strong>in</strong>gung, <strong>in</strong> sich selbst wi<strong>der</strong>streitend sei,<br />

daß man also entwe<strong>der</strong> <strong>von</strong> allem Gegenstande abstrahieren (<strong>in</strong> <strong>der</strong> Logik), o<strong>der</strong>, wenn<br />

man e<strong>in</strong>en annimmt, ihn unter Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlichen Anschauung denken müsse,<br />

mith<strong>in</strong> das Intelligible e<strong>in</strong>e ganz beson<strong>der</strong>e Anschauung, die wir nicht haben, erfor<strong>der</strong>n<br />

würde, und <strong>in</strong> Ermanglung <strong>der</strong>selben für uns nichts sei, dagegen aber auch die<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen nicht Gegenstände an sich selbst se<strong>in</strong> können. Denn, wenn ich mir bloß<br />

D<strong>in</strong>ge überhaupt denke, so kann freilich die Verschiedenheit <strong>der</strong> äußeren Verhältnisse<br />

nicht e<strong>in</strong>e Verschiedenheit <strong>der</strong> Sachen selbst ausmachen, son<strong>der</strong>n setzt diese vielmehr<br />

voraus; und, wenn <strong>der</strong> Begriff <strong>von</strong> dem e<strong>in</strong>en, <strong>in</strong>nerlich <strong>von</strong> dem des an<strong>der</strong>n gar nicht<br />

unterschieden ist, so setze ich nur e<strong>in</strong> und dasselbe D<strong>in</strong>g <strong>in</strong> verschiedene Verhältnisse.<br />

Ferner, durch H<strong>in</strong>zukunft e<strong>in</strong>er bloßen Bejahung (Realität) zur an<strong>der</strong>en, wird ja das<br />

Positive vermehrt, und ihm nichts entzogen o<strong>der</strong> aufgehoben; daher kann das Reale <strong>in</strong><br />

D<strong>in</strong>gen überhaupt e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> nicht wi<strong>der</strong>streiten, usw..<br />

Die Begriffe <strong>der</strong> Reflexion haben, wie wir gezeigt haben, durch e<strong>in</strong>e gewisse Mißdeutung<br />

e<strong>in</strong>en solchen E<strong>in</strong>fluß auf den Verstandesgebrauch, daß sie sogar e<strong>in</strong>en <strong>der</strong><br />

scharfsichtigsten unter allen Philosophen zu e<strong>in</strong>em verme<strong>in</strong>ten System <strong>in</strong>tellektueller<br />

Erkenntnis, welches se<strong>in</strong>e Gegenstände ohne Dazukunft <strong>der</strong> S<strong>in</strong>ne zu bestimmen<br />

unternimmt, zu verleiten imstande gewesen. Eben um deswillen ist die Entwicklung <strong>der</strong><br />

täuschenden Ursache <strong>der</strong> Amphibolie dieser Begriffe, <strong>in</strong> Veranlassung falscher<br />

Grundsätze <strong>von</strong> großem Nutzen, die Grenzen des Verstandes zuverlässig zu bestimmen<br />

und zu sichern.<br />

Man muß zwar sagen: was e<strong>in</strong>em Begriff allgeme<strong>in</strong> zukommt o<strong>der</strong> wi<strong>der</strong>spricht, das<br />

kommt auch zu o<strong>der</strong> wi<strong>der</strong>spricht allem Beson<strong>der</strong>en, was unter jenem Begriff enthalten ist<br />

(dictum de Omni et Nullo); es wäre aber ungereimt, diesen logischen Grundsatz dah<strong>in</strong> zu<br />

verän<strong>der</strong>n, daß er so lautete: was <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em allgeme<strong>in</strong>en Begriffe nicht enthalten ist, das ist<br />

auch <strong>in</strong> den beson<strong>der</strong>en nicht enthalten, die unter demselben stehen; denn diese s<strong>in</strong>d<br />

eben darum beson<strong>der</strong>e Begriffe, weil sie mehr <strong>in</strong> sich enthalten, als im allgeme<strong>in</strong>en<br />

gedacht wird. Nun ist doch wirklich auf diesen letzteren Grundsatz das ganze <strong>in</strong>tellektuelle<br />

System Leibnizens erbaut; es fällt also zugleich mit demselben samt aller aus ihm<br />

entspr<strong>in</strong>genden Zweideutigkeit im Verstandesgebrauche.<br />

Der Satz des Nichtzuunterscheidenden gründete sich eigentlich auf <strong>der</strong> Voraussetzung:<br />

daß, wenn <strong>in</strong> dem Begriffe <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em D<strong>in</strong>ge überhaupt e<strong>in</strong>e gewisse Unterscheidung nicht<br />

angetroffen wird, so sei sie auch nicht <strong>in</strong> den D<strong>in</strong>gen selbst anzutreffen; folglich seien alle<br />

D<strong>in</strong>ge völlig e<strong>in</strong>erlei (numero eadem), die sich nicht schon <strong>in</strong> ihrem Begriffe (<strong>der</strong> Qualität<br />

o<strong>der</strong> Quantität nach) <strong>von</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> unterscheiden. Weil aber bei dem bloßen Begriffe <strong>von</strong><br />

irgende<strong>in</strong>em D<strong>in</strong>ge <strong>von</strong> manchen notwendigen Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>er Anschauung abstrahiert<br />

worden, so wird, durch e<strong>in</strong>e son<strong>der</strong>bare Übereilung, das, wo<strong>von</strong> abstrahiert wird, dafür<br />

genommen, daß es überall nicht anzutreffen sei, und dem D<strong>in</strong>ge nichts e<strong>in</strong>geräumt, als<br />

was <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Begriffe enthalten ist.<br />

Der Begriff <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Kubikfuße Raum, ich mag mir diesen denken, wo und wie oft ich<br />

wolle, ist an sich völlig e<strong>in</strong>erlei. Alle<strong>in</strong> zwei Kubikfüße s<strong>in</strong>d im Raume dennoch bloß durch<br />

ihre Örter unterschieden (numero diversa); diese s<strong>in</strong>d Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Anschauung,<br />

wor<strong>in</strong> das Objekt dieses Begriffs gegeben wird, die nicht zum Begriffe, aber doch zur<br />

ganzen S<strong>in</strong>nlichkeit gehören. Gleichergestalt ist <strong>in</strong> dem Begriffe <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em D<strong>in</strong>ge gar ke<strong>in</strong><br />

Wi<strong>der</strong>streit, wenn nichts Verne<strong>in</strong>endes mit e<strong>in</strong>em Bejahenden verbunden worden, und<br />

bloß bejahende Begriffe können, <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung, gar ke<strong>in</strong>e Aufhebung bewirken. Alle<strong>in</strong> <strong>in</strong><br />

109


<strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlichen Anschauung, dar<strong>in</strong> Realität (z.B. Bewegung) gegeben wird, f<strong>in</strong>den sich<br />

Bed<strong>in</strong>gungen (entgegengesetzte Richtungen), <strong>von</strong> denen im Begriffe <strong>der</strong> Bewegung<br />

überhaupt abstrahiert war, die e<strong>in</strong>en Wi<strong>der</strong>streit, <strong>der</strong> freilich nicht logisch ist, nämlich aus<br />

lauter Positiven e<strong>in</strong> Zero=0 möglich machen, und man konnte nicht sagen: daß darum alle<br />

Realität untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> E<strong>in</strong>stimmung sei, weil unter ihren Begriffen ke<strong>in</strong> Wi<strong>der</strong>streit<br />

angetroffen wird [13]. Nach bloßen Begriffen ist das Innere das Substratum aller Verhältnis<br />

o<strong>der</strong> äußeren Bestimmungen. Wenn ich also <strong>von</strong> allen Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Anschauung<br />

abstrahiere und mich lediglich an den Begriff <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em D<strong>in</strong>ge überhaupt halte, so kann<br />

ich <strong>von</strong> allem äußeren Verhältnis abstrahieren, und es muß dennoch e<strong>in</strong> Begriff <strong>von</strong> dem<br />

übrigbleiben, das gar ke<strong>in</strong> Verhältnis, son<strong>der</strong>n bloß <strong>in</strong>nere Bestimmungen bedeutet. Da<br />

sche<strong>in</strong>t es nun, es folge daraus: <strong>in</strong> jedem D<strong>in</strong>ge (Substanz) sei etwas, was schlechth<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong>nerlich ist und allen äußeren Bestimmungen vorgeht, <strong>in</strong>dem es sie allererst möglich<br />

macht, mith<strong>in</strong> sei dieses Substratum so etwas, das ke<strong>in</strong>e äußeren Verhältnisse mehr <strong>in</strong><br />

sich enthält, folglich e<strong>in</strong>fach (denn die körperlichen D<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d doch immer nur<br />

Verhältnisse, wenigstens <strong>der</strong> Teile außere<strong>in</strong>an<strong>der</strong>); und weil wir ke<strong>in</strong>e schlechth<strong>in</strong> <strong>in</strong>neren<br />

Bestimmungen kennen, als die durch unseren <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>n, so sei dieses Substratum<br />

nicht alle<strong>in</strong> e<strong>in</strong>fach, son<strong>der</strong>n auch (nach <strong>der</strong> Analogie mit unserem <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>n) durch<br />

Vorstellungen bestimmt, d.i. alle D<strong>in</strong>ge wären eigentlich Monaden o<strong>der</strong> mit Vorstellungen<br />

begabte e<strong>in</strong>fache Wesen. Dieses würde auch alles se<strong>in</strong>e Richtigkeit haben, gehörte nicht<br />

etwas mehr, als <strong>der</strong> Begriff <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em D<strong>in</strong>ge überhaupt, zu den Bed<strong>in</strong>gungen, unter denen<br />

alle<strong>in</strong> uns Gegenstände <strong>der</strong> äußeren Anschauung gegeben werden können und <strong>von</strong><br />

denen <strong>der</strong> re<strong>in</strong>e Begriff abstrahiert. Denn da zeigt sich, daß e<strong>in</strong>e beharrliche Ersche<strong>in</strong>ung<br />

im Raume (undurchdr<strong>in</strong>gliche Ausdehnung) lauter Verhältnisse und gar nichts schlechth<strong>in</strong><br />

Innerliches enthalten und dennoch das erste Substratum aller äußeren Wahrnehmung<br />

se<strong>in</strong> könne. Durch bloße Begriffe kann ich freilich ohne etwas Innerem nichts Äußeres<br />

denken, eben darum, weil Verhältnisbegriffe doch schlechth<strong>in</strong> gegebene D<strong>in</strong>ge<br />

voraussetzen und ohne diese nicht möglich s<strong>in</strong>d. Aber, da <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anschauung etwas<br />

enthalten ist, was im bloßen Begriffe <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em D<strong>in</strong>ge überhaupt gar nicht liegt und dieses<br />

das Substratum, welches durch bloße Begriffe gar nicht erkannt werden würde, an die<br />

Hand gibt, nämlich e<strong>in</strong>en Raum, <strong>der</strong>, mit allem was er enthält, aus lauter formalen, o<strong>der</strong><br />

auch realen Verhältnissen besteht, so kann ich nicht sagen: weil, ohne e<strong>in</strong><br />

Schlechth<strong>in</strong><strong>in</strong>neres, ke<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g durch bloße Begriffe vorgestellt werden kann, so sei auch <strong>in</strong><br />

den D<strong>in</strong>gen selbst, die unter diesen Begriffen enthalten s<strong>in</strong>d und ihrer Anschauung nichts<br />

Äußeres, dem nicht etwas Schlechth<strong>in</strong><strong>in</strong>nerliches zugrunde läge. Denn, wenn wir <strong>von</strong> allen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Anschauung abstrahiert haben, so bleibt uns freilich im bloßen Begriffe<br />

nichts übrig, als das Innere überhaupt und das Verhältnis desselben untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong>,<br />

wodurch alle<strong>in</strong> das Äußere möglich ist. Diese Notwendigkeit aber, die sich alle<strong>in</strong> auf<br />

Abstraktion gründet, f<strong>in</strong>det nicht bei den D<strong>in</strong>gen statt, sofern sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anschauung mit<br />

solchen Bestimmungen gegeben werden, die bloße Verhältnisse ausdrücken, ohne etwas<br />

Inneres zum Grunde zu haben, darum, weil sie nicht D<strong>in</strong>ge an sich selbst, son<strong>der</strong>n<br />

lediglich Ersche<strong>in</strong>ungen s<strong>in</strong>d. Was wir auch nur an <strong>der</strong> Materie kennen, s<strong>in</strong>d lauter<br />

Verhältnisse (das, was wir <strong>in</strong>nere Bestimmungen <strong>der</strong>selben nennen, ist nur komparativ<br />

<strong>in</strong>nerlich), aber es s<strong>in</strong>d darunter selbständige und beharrliche, dadurch uns e<strong>in</strong> bestimmter<br />

Gegenstand gegeben wird. Daß ich, wenn ich <strong>von</strong> diesen Verhältnissen abstrahiere, gar<br />

nichts weiter zu denken habe, hebt den Begriff <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em D<strong>in</strong>ge als Ersche<strong>in</strong>ung nicht auf,<br />

auch nicht den Begriff <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Gegenstande <strong>in</strong> abstracto, wohl aber alle Möglichkeit<br />

e<strong>in</strong>es solchen, <strong>der</strong> nach bloßen Begriffen bestimmbar ist, d.i. e<strong>in</strong>es Noumenon. Freilich<br />

macht es stutzig, zu hören, daß e<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g ganz und gar aus Verhältnissen bestehen solle,<br />

aber e<strong>in</strong> solches D<strong>in</strong>g ist auch bloße Ersche<strong>in</strong>ung und kann gar nicht durch re<strong>in</strong>e<br />

Kategorien gedacht werden; es besteht selbst <strong>in</strong> dem bloßen Verhältnisse <strong>von</strong> etwas<br />

110


überhaupt zu den S<strong>in</strong>nen. Ebenso kann man die Verhältnisse <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> abstracto, wenn<br />

man es mit bloßen Begriffen anfängt, wohl nicht an<strong>der</strong>s denken, als daß e<strong>in</strong>es die Ursache<br />

<strong>von</strong> Bestimmungen <strong>in</strong> dem an<strong>der</strong>en sei; denn das ist unser Verstandesbegriff <strong>von</strong><br />

Verhältnissen selbst. Alle<strong>in</strong>, da wir alsdann <strong>von</strong> aller Anschauung abstrahieren, so fällt e<strong>in</strong>e<br />

ganze Art, wie das Mannigfaltige e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> se<strong>in</strong>en Ort bestimmen kann, nämlich die Form<br />

<strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit (<strong>der</strong> Raum) weg, <strong>der</strong> doch vor aller empirischen Kausalität vorhergeht.<br />

Wenn wir unter bloß <strong>in</strong>telligiblen Gegenständen diejenigen D<strong>in</strong>ge verstehen, die durch<br />

re<strong>in</strong>e Kategorien, ohne alles Schema <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit, gedacht werden, so s<strong>in</strong>d<br />

<strong>der</strong>gleichen unmöglich. Denn die Bed<strong>in</strong>gung des objektiven Gebrauchs aller unserer<br />

Verstandesbegriffe ist bloß die Art unserer s<strong>in</strong>nlichen Anschauung, wodurch uns<br />

Gegenstände gegeben werden; und wenn wir <strong>von</strong> <strong>der</strong> letzteren abstrahieren, so haben die<br />

ersteren gar ke<strong>in</strong>e Beziehung auf irgende<strong>in</strong> Objekt. Ja wenn man auch e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Art <strong>der</strong><br />

Anschauung, als diese unsere s<strong>in</strong>nliche ist, annehmen wollte, so würden doch unsere<br />

Funktionen zu denken <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong>selben <strong>von</strong> gar ke<strong>in</strong>er Bedeutung se<strong>in</strong>. Verstehen<br />

wir darunter nur Gegenstände e<strong>in</strong>er nichts<strong>in</strong>nlichen Anschauung, <strong>von</strong> denen unsere<br />

Kategorien zwar freilich nicht gelten und <strong>von</strong> denen wir also gar ke<strong>in</strong>e Erkenntnis (we<strong>der</strong><br />

Anschauung, noch Begriff) jemals haben können, so müssen Noumena <strong>in</strong> dieser bloß<br />

negativen Bedeutung allerd<strong>in</strong>gs zugelassen werden; da sie denn nichts an<strong>der</strong>es sagen<br />

als: daß unsere Art <strong>der</strong> Anschauung nicht auf alle D<strong>in</strong>ge, son<strong>der</strong>n bloß auf Gegenstände<br />

unserer S<strong>in</strong>ne geht, folglich ihre objektive Gültigkeit begrenzt ist, und mith<strong>in</strong> für irgende<strong>in</strong>e<br />

an<strong>der</strong>e Art Anschauung, und also auch für D<strong>in</strong>ge als Objekte <strong>der</strong>selben, Platz übrigbleibt.<br />

Aber alsdann ist <strong>der</strong> Begriff e<strong>in</strong>es Noumenon problematisch, d.i. die Vorstellung e<strong>in</strong>es<br />

D<strong>in</strong>ges, <strong>von</strong> dem wir we<strong>der</strong> sagen können, daß es möglich, noch daß es unmöglich sei,<br />

<strong>in</strong>dem wir gar ke<strong>in</strong>e Art <strong>der</strong> Anschauung, als unsere s<strong>in</strong>nliche kennen, und ke<strong>in</strong>e Art <strong>der</strong><br />

Begriffe, als die Kategorien, ke<strong>in</strong>e <strong>von</strong> beiden aber e<strong>in</strong>em außers<strong>in</strong>nlichen Gegenstande<br />

angemessen ist. Wir können daher das Feld <strong>der</strong> Gegenstände unseres Denkens über die<br />

Bed<strong>in</strong>gungen unserer S<strong>in</strong>nlichkeit darum noch nicht positiv erweitern und außer den<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen noch Gegenstände des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Denkens, d.i. Noumena, annehmen, weil<br />

jene ke<strong>in</strong>e anzugebende positive Bedeutung haben. Denn man muß <strong>von</strong> den Kategorien<br />

e<strong>in</strong>gestehen, daß sie alle<strong>in</strong> noch nicht zur Erkenntnis <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge an sich selbst zureichen<br />

und ohne die data <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit bloß subjektive Formen <strong>der</strong> Verstandese<strong>in</strong>heit, aber<br />

ohne Gegenstand, se<strong>in</strong> würden. Das Denken ist zwar an sich ke<strong>in</strong> Produkt <strong>der</strong> S<strong>in</strong>ne und<br />

sofern durch sie auch nicht e<strong>in</strong>geschränkt, aber darum nicht sofort <strong>von</strong> eigenem und<br />

re<strong>in</strong>em Gebrauche, ohne Beitritt <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit, weil es alsdann ohne Objekt ist. Man<br />

kann auch das Noumenon nicht e<strong>in</strong> solches Objekt nennen; denn dieses bedeutet eben<br />

den problematischen Begriff <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Gegenstande für e<strong>in</strong>e ganz an<strong>der</strong>e Anschauung<br />

und e<strong>in</strong>en ganz an<strong>der</strong>en Verstand, als <strong>der</strong> unsrige, <strong>der</strong> mith<strong>in</strong> selbst e<strong>in</strong> Problem ist. Der<br />

Begriff des Noumenon ist also nicht <strong>der</strong> Begriff <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Objekt, son<strong>der</strong>n die<br />

unvermeidlich mit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>schränkung unserer S<strong>in</strong>nlichkeit zusammenhängende Aufgabe,<br />

ob es nicht <strong>von</strong> jener ihrer Anschauung ganz entbundene Gegenstände geben möge,<br />

welche Frage nur unbestimmt beantwortet werden kann, nämlich: daß, weil die s<strong>in</strong>nliche<br />

Anschauung nicht auf alle D<strong>in</strong>ge ohne Unterschied geht, für mehr und an<strong>der</strong>e<br />

Gegenstände Platz übrigbleibe, sie also nicht schlechth<strong>in</strong> abgeleugnet, <strong>in</strong> Ermanglung<br />

e<strong>in</strong>es bestimmten Begriffs aber (da ke<strong>in</strong>e Kategorie dazu tauglich ist) auch nicht als<br />

Gegenstände für unseren Verstand behauptet werden können.<br />

Der Verstand begrenzt demnach die S<strong>in</strong>nlichkeit, ohne darum se<strong>in</strong> eigenes Feld zu<br />

erweitern, und <strong>in</strong>dem er jene warnt, daß sie sich nicht anmaße, auf D<strong>in</strong>ge an sich selbst zu<br />

gehen, son<strong>der</strong>n lediglich auf Ersche<strong>in</strong>ungen, so denkt er sich e<strong>in</strong>en Gegenstand an sich<br />

selbst, aber nur als transzendentales Objekt, das die Ursache <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung (mith<strong>in</strong><br />

selbst nicht Ersche<strong>in</strong>ung) ist und we<strong>der</strong> als Größe, noch als Realität, noch als Substanz<br />

111


usw. gedacht werden kann (weil diese Begriffe immer s<strong>in</strong>nliche Formen erfor<strong>der</strong>n, <strong>in</strong><br />

denen sie e<strong>in</strong>en Gegenstand bestimmen), wo<strong>von</strong> also völlig unbekannt ist, ob es <strong>in</strong> uns,<br />

o<strong>der</strong> auch außer uns anzutreffen sei, ob es mit <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit zugleich aufgehoben<br />

werden, o<strong>der</strong>, wenn wir jene wegnehmen, noch übrigbleiben würde. Wollen wir dieses<br />

Objekt Noumenon nennen, darum, weil die Vorstellung <strong>von</strong> ihm nicht s<strong>in</strong>nlich ist, so steht<br />

dieses uns frei. Da wir aber ke<strong>in</strong>e <strong>von</strong> unseren Verstandesbegriffen darauf anwenden<br />

können, so bleibt diese Vorstellung doch für uns leer und dient zu nichts, als die Grenzen<br />

unserer s<strong>in</strong>nlichen Erkenntnis zu bezeichnen und e<strong>in</strong>en Raum übrig zu lassen, den wir<br />

we<strong>der</strong> durch mögliche Erfahrung, noch durch den <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstand ausfüllen können.<br />

Die <strong>Kritik</strong> dieses <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes erlaubt es also nicht, sich e<strong>in</strong> neues Feld <strong>von</strong><br />

Gegenständen, außer denen, die ihm als Ersche<strong>in</strong>ungen vorkommen können, zu schaffen<br />

und <strong>in</strong> <strong>in</strong>telligible Welten, sogar nicht e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> ihren Begriff auszuschweifen. Der Fehler,<br />

welcher hierzu auf die allersche<strong>in</strong>barste Art verleitet und allerd<strong>in</strong>gs entschuldigt, obgleich<br />

nicht gerechtfertigt werden kann, liegt dar<strong>in</strong>: daß <strong>der</strong> Gebrauch des Verstandes, wi<strong>der</strong><br />

se<strong>in</strong>e Bestimmung, transzendental gemacht und die Gegenstände, d.i. mögliche<br />

Anschauungen, sich nach Begriffen, nicht aber Begriffe sich nach möglichen<br />

Anschauungen (als auf denen alle<strong>in</strong> ihre objektive Gültigkeit beruht) richten müssen. Die<br />

Ursache hier<strong>von</strong> aber ist wie<strong>der</strong>um: daß die Apperzeption, und, mit ihr, das Denken vor<br />

aller möglichen bestimmten Anordnung <strong>der</strong> Vorstellungen vorhergeht. Wir denken also<br />

etwas überhaupt und bestimmen es e<strong>in</strong>erseits s<strong>in</strong>nlich, alle<strong>in</strong> unterscheiden doch den<br />

allgeme<strong>in</strong>en und <strong>in</strong> abstracto vorgestellten Gegenstand <strong>von</strong> dieser Art ihn anzuschauen;<br />

da bleibt uns nun e<strong>in</strong>e Art, ihn bloß durch Denken zu bestimmen, übrig, welche zwar e<strong>in</strong>e<br />

bloße logische Form ohne Inhalt ist, uns aber dennoch e<strong>in</strong>e Art zu se<strong>in</strong> sche<strong>in</strong>t, wie das<br />

Objekt an sich existiere (noumenon), ohne auf die Anschauung zu sehen, welche auf<br />

unsere S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>geschränkt ist.<br />

Ehe wir die transzendentale Analytik verlassen, müssen wir noch etwas h<strong>in</strong>zufügen, was,<br />

obgleich an sich <strong>von</strong> nicht son<strong>der</strong>licher Erheblichkeit, dennoch zur Vollständigkeit des<br />

Systems erfor<strong>der</strong>lich sche<strong>in</strong>en dürfte. Der höchste Begriff, <strong>von</strong> dem man e<strong>in</strong>e<br />

Transzendentalphilosophie anzufangen pflegt, ist geme<strong>in</strong>iglich die E<strong>in</strong>teilung <strong>in</strong> das<br />

Mögliche und Unmögliche. Da aber alle E<strong>in</strong>teilung e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>geteilten Begriff voraussetzt,<br />

so muß noch e<strong>in</strong> höherer angegeben werden und dieser ist <strong>der</strong> Begriff <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Gegenstande überhaupt (problematisch genommen und unausgemacht, ob er etwas o<strong>der</strong><br />

nichts sei). Weil die Kategorien die e<strong>in</strong>zigen Begriffe s<strong>in</strong>d, die sich auf Gegenstände<br />

überhaupt beziehen, so wird die Unterscheidung e<strong>in</strong>es Gegenstandes, ob er etwas o<strong>der</strong><br />

nichts sei, nach <strong>der</strong> Ordnung und Anweisung <strong>der</strong> Kategorien fortgehen.<br />

1) Den Begriffen <strong>von</strong> Allem, Vielem und E<strong>in</strong>em ist <strong>der</strong>, so alles aufhebt, d.i. Ke<strong>in</strong>es,<br />

entgegengesetzt, und so ist <strong>der</strong> Gegenstand e<strong>in</strong>es Begriffs, dem gar ke<strong>in</strong>e anzugebende<br />

Anschauung korrespondiert, =Nichts, d.i. e<strong>in</strong> Begriff ohne Gegenstand, wie die Noumena,<br />

die nicht unter die Möglichkeiten gezählt werden können, obgleich auch darum nicht für<br />

unmöglich ausgegeben werden müssen (ens rationis), o<strong>der</strong> wie etwa gewisse neue<br />

Grundkräfte, die man sich denkt, zwar ohne Wi<strong>der</strong>spruch, aber auch ohne Beispiel aus <strong>der</strong><br />

Erfahrung gedacht werden und also nicht unter die Möglichkeiten gezählt werden müssen.<br />

2) Realität ist Etwas, Negation ist Nichts, nämlich e<strong>in</strong> Begriff <strong>von</strong> dem Mangel e<strong>in</strong>es<br />

Gegenstandes, wie <strong>der</strong> Schatten, die Kälte (nihil privativum).<br />

3) Die bloße Form <strong>der</strong> Anschauung, ohne Substanz, ist an sich ke<strong>in</strong> Gegenstand, son<strong>der</strong>n<br />

die bloß formale Bed<strong>in</strong>gung desselben (als Ersche<strong>in</strong>ung), wie <strong>der</strong> re<strong>in</strong>e Raum und die<br />

112


e<strong>in</strong>e Zeit (ens imag<strong>in</strong>arium), die zwar Etwas s<strong>in</strong>d als Formen anzuschauen, aber selbst<br />

ke<strong>in</strong>e Gegenstände s<strong>in</strong>d, die angeschaut werden.<br />

4. Der Gegenstand e<strong>in</strong>es Begriffs, <strong>der</strong> sich selbst wi<strong>der</strong>spricht, ist Nichts, weil <strong>der</strong> Begriff<br />

nichts ist, das Unmögliche, wie etwa die geradl<strong>in</strong>ige Figur <strong>von</strong> zwei Seiten (nihil<br />

negativum).<br />

Die Tafel dieser E<strong>in</strong>teilung des Begriffs <strong>von</strong> Nichts (denn die dieser gleichlaufende<br />

E<strong>in</strong>teilung des Etwas folgt <strong>von</strong> selber) würde daher so angelegt werden müssen:<br />

Nichts<br />

als<br />

1. Leerer Begriff ohne Gegenstand<br />

ens rationis<br />

2. Leerer Gegenstand 3. Leere Anschauung<br />

e<strong>in</strong>es Begriffs<br />

ohne Gegenstand<br />

nihil privativum<br />

ens imag<strong>in</strong>arium<br />

4. Leerer Gegenstand ohne Begriff<br />

nihil negativum.<br />

Man sieht, daß das Gedankend<strong>in</strong>g (n. 1.) <strong>von</strong> dem Und<strong>in</strong>ge (n. 4.) dadurch unterschieden<br />

werde, daß jenes nicht unter die Möglichkeiten gezählt werden darf, weil es bloß<br />

Erdichtung (obzwar nicht wi<strong>der</strong>sprechende) ist, dieses aber <strong>der</strong> Möglichkeit<br />

entgegengesetzt ist, <strong>in</strong>dem <strong>der</strong> Begriff sogar sich selbst aufhebt. Beide s<strong>in</strong>d aber leere<br />

Begriffe. Dagegen s<strong>in</strong>d das nihil privativum (n. 2.) und ens imag<strong>in</strong>arium (n. 3.) leere Data<br />

zu Begriffen. Wenn das Licht nicht den S<strong>in</strong>nen gegeben worden, so kann man sich auch<br />

ke<strong>in</strong>e F<strong>in</strong>sternis, und, wenn nicht ausgedehnte Wesen wahrgenommen worden, ke<strong>in</strong>en<br />

Raum vorstellen. Die Negation sowohl, als die bloße Form <strong>der</strong> Anschauung, s<strong>in</strong>d, ohne e<strong>in</strong><br />

Reales, ke<strong>in</strong>e Objekte.<br />

113


Zweite Abteilung: Die transzendentale Dialektik<br />

E<strong>in</strong>leitung<br />

I. Vom transzendentalen Sche<strong>in</strong><br />

Wir haben oben die Dialektik überhaupt e<strong>in</strong>e Logik des Sche<strong>in</strong>s genannt. Das bedeutet<br />

nicht, sie sei e<strong>in</strong>e Lehre <strong>der</strong> Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit; denn diese ist Wahrheit, aber durch<br />

unzureichende Gründe erkannt, <strong>der</strong>en Erkenntnis also zwar mangelhaft, aber darum doch<br />

nicht trüglich ist und mith<strong>in</strong> <strong>von</strong> dem analytischen Teile <strong>der</strong> Logik nicht getrennt werden<br />

muß. Noch weniger dürfen Ersche<strong>in</strong>ung und Sche<strong>in</strong> für e<strong>in</strong>erlei gehalten werden. Denn<br />

Wahrheit o<strong>der</strong> Sche<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d nicht im Gegenstande, sofern er angeschaut wird, son<strong>der</strong>n im<br />

Urteile über denselben, sofern er gedacht wird. Man kann also zwar richtig sagen, daß die<br />

S<strong>in</strong>ne nicht irren, aber nicht darum, weil sie je<strong>der</strong>zeit richtig urteilen, son<strong>der</strong>n weil sie gar<br />

nicht urteilen. Daher s<strong>in</strong>d Wahrheit sowohl als Irrtum, mith<strong>in</strong> auch <strong>der</strong> Sche<strong>in</strong>, als die<br />

Verleitung zum letzteren, nur im Urteile, d.i. nur <strong>in</strong> dem Verhältnisse des Gegenstandes zu<br />

unserem Verstande anzutreffen. In e<strong>in</strong>em Erkenntnis, das mit den Verstandesgesetzen<br />

durchgängig zusammenstimmt, ist ke<strong>in</strong> Irrtum. In e<strong>in</strong>er Vorstellung <strong>der</strong> S<strong>in</strong>ne ist (weil sie<br />

gar ke<strong>in</strong> Urteil enthält) auch ke<strong>in</strong> Irrtum. Ke<strong>in</strong>e Kraft <strong>der</strong> Natur kann aber <strong>von</strong> selbst <strong>von</strong><br />

ihren eigenen Gesetzen abweichen. Daher würden we<strong>der</strong> <strong>der</strong> Verstand, für sich alle<strong>in</strong><br />

(ohne E<strong>in</strong>fluß e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en Ursache) noch die S<strong>in</strong>ne, für sich, irren; <strong>der</strong> erstere darum<br />

nicht, weil, wenn er bloß nach se<strong>in</strong>en Gesetzen handelt, die Wirkung (das Urteil) mit<br />

diesen Gesetzen notwendig übere<strong>in</strong>stimmen muß. In <strong>der</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung mit den<br />

Gesetzen des Verstandes besteht aber das Formale aller Wahrheit. In den S<strong>in</strong>nen ist gar<br />

ke<strong>in</strong> Urteil, we<strong>der</strong> e<strong>in</strong> wahres noch falsches. Weil wir nun außer diesen beiden<br />

Erkenntnisquellen ke<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>en haben, so folgt: daß <strong>der</strong> Irrtum nur durch den<br />

unbemerkten E<strong>in</strong>fluß <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit auf den Verstand bewirkt werde, wodurch es<br />

geschieht, daß die subjektiven Gründe des Urteils mit den objektiven zusammenfließen<br />

und diese <strong>von</strong> ihrer Bestimmung abweichend machen [14]; so wie e<strong>in</strong> bewegter Körper<br />

zwar für sich je<strong>der</strong>zeit die gerade L<strong>in</strong>ie <strong>in</strong> <strong>der</strong>selben Richtung halten würde, die aber, wenn<br />

e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Kraft nach e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en Richtung zugleich auf ihn e<strong>in</strong>fließt, <strong>in</strong> krumml<strong>in</strong>ige<br />

Bewegung ausschlägt. Um die eigentümliche Handlung des Verstandes <strong>von</strong> <strong>der</strong> Kraft, die<br />

sich mit e<strong>in</strong>mengt, zu unterscheiden, wird es daher nötig se<strong>in</strong>, das irrige Urteil als die<br />

Diagonale zwischen zwei Kräften anzusehen, die das Urteil nach zwei verschiedenen<br />

Richtungen bestimmen, die gleichsam e<strong>in</strong>en W<strong>in</strong>kel e<strong>in</strong>schließen, und jene<br />

zusammengesetzte Wirkung <strong>in</strong> die e<strong>in</strong>fache des Verstandes und <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit<br />

aufzulösen, welches <strong>in</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Urteilen a priori durch transzendentale Überlegung<br />

geschehen muß, wodurch (wie schon angezeigt worden) je<strong>der</strong> Vorstellung ihre Stelle <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> ihr angemessenen Erkenntniskraft angewiesen, mith<strong>in</strong> auch <strong>der</strong> E<strong>in</strong>fluß <strong>der</strong> letzteren<br />

auf jene unterschieden wird.<br />

Unser Geschäft ist hier nicht, vom empirischen Sche<strong>in</strong>e (z.B. dem optischen) zu handeln,<br />

<strong>der</strong> sich bei dem empirischen Gebrauche sonst richtiger Verstandesregeln vorf<strong>in</strong>det, und<br />

durch welchen die Urteilskraft durch den E<strong>in</strong>fluß <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildung verleitet wird, son<strong>der</strong>n wir<br />

haben es mit dem transzendentalen Sche<strong>in</strong>e alle<strong>in</strong> zu tun, <strong>der</strong> auf Grundsätze e<strong>in</strong>fließt,<br />

<strong>der</strong>en Gebrauch nicht e<strong>in</strong>mal auf Erfahrung angelegt ist, als <strong>in</strong> welchem Falle wir doch<br />

wenigstens e<strong>in</strong>en Probierste<strong>in</strong> ihrer Richtigkeit haben würden, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> uns selbst<br />

wi<strong>der</strong> alle Warnungen <strong>der</strong> <strong>Kritik</strong> gänzlich über den empirischen Gebrauch <strong>der</strong> Kategorien<br />

wegführt und uns mit dem Blendwerke e<strong>in</strong>er Erweiterung des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes h<strong>in</strong>hält.<br />

Wir wollen die Grundsätze, <strong>der</strong>en Anwendung sich ganz und gar <strong>in</strong> den Schranken<br />

114


möglicher Erfahrung hält, immanente, diejenigen aber, welche diese Grenzen überfliegen<br />

sollen, transzendente Grundsätze nennen. Ich verstehe aber unter diesen nicht den<br />

transzendentalen Gebrauch o<strong>der</strong> Mißbrauch <strong>der</strong> Kategorien, welcher e<strong>in</strong> bloßer Fehler <strong>der</strong><br />

nicht gehörig durch <strong>Kritik</strong> gezügelten Urteilskraft ist, die auf die Grenze des Bodens,<br />

worauf alle<strong>in</strong> dem <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstande se<strong>in</strong> Spiel erlaubt ist, nicht genug Acht hat; son<strong>der</strong>n<br />

wirkliche Grundsätze, die uns zumuten, alle jene Grenzpfähle nie<strong>der</strong>zureißen und sich<br />

e<strong>in</strong>en ganz neuen Boden, <strong>der</strong> überall ke<strong>in</strong>e Demarkation erkennt, anzumaßen. Daher s<strong>in</strong>d<br />

transzendental und transzendent nicht e<strong>in</strong>erlei. Die Grundsätze des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes, die<br />

wir oben vortrugen, sollen bloß <strong>von</strong> empirischem und nicht <strong>von</strong> transzendentalem, d.i. über<br />

die Erfahrungsgrenze h<strong>in</strong>ausreichendem Gebrauche se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong> Grundsatz aber, <strong>der</strong> diese<br />

Schranken wegnimmt, ja gar gebietet, sie zu überschreiten, heißt transzendent. Kann<br />

unsere <strong>Kritik</strong> dah<strong>in</strong> gelangen, den Sche<strong>in</strong> dieser angemaßten Grundsätze aufzudecken, so<br />

werden jene Grundsätze des bloß empirischen Gebrauchs, im Gegensatz mit den<br />

letzteren, immanente Grundsätze des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes genannt werden können.<br />

Der logische Sche<strong>in</strong>, <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> bloßen Nachahmung <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong>form besteht (<strong>der</strong> Sche<strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Trugschlüsse), entspr<strong>in</strong>gt lediglich aus e<strong>in</strong>em Mangel <strong>der</strong> Achtsamkeit auf die logische<br />

Regel. Sobald daher diese auf den vorliegenden Fall geschärft wird, so verschw<strong>in</strong>det er<br />

gänzlich. Der transzendentale Sche<strong>in</strong> dagegen hört gleichwohl nicht auf, ob man ihn<br />

schon aufgedeckt und se<strong>in</strong>e Nichtigkeit durch die transzendentale <strong>Kritik</strong> deutlich<br />

e<strong>in</strong>gesehen hat (z.B. <strong>der</strong> Sche<strong>in</strong> <strong>in</strong> dem Satze: die Welt muß <strong>der</strong> Zeit nach e<strong>in</strong>en Anfang<br />

haben). Die Ursache hier<strong>von</strong> ist diese: daß <strong>in</strong> unserer <strong>Vernunft</strong> (subjektiv als e<strong>in</strong><br />

menschliches Erkenntnisvermögen betrachtet) Grundregeln und Maximen ihres<br />

Gebrauchs liegen, welche gänzlich das Ansehen objektiver Grundsätze haben und<br />

wodurch es geschieht, daß die subjektive Notwendigkeit e<strong>in</strong>er Verknüpfung unserer<br />

Begriffe, zugunsten des Verstandes, für e<strong>in</strong>e objektive Notwendigkeit, <strong>der</strong> Bestimmung <strong>der</strong><br />

D<strong>in</strong>ge an sich selbst, gehalten wird. E<strong>in</strong>e Illusion, die gar nicht zu vermeiden ist, so wenig<br />

als wir es vermeiden können, daß uns das Meer <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mitte nicht höher sche<strong>in</strong>e, wie an<br />

dem Ufer, weil wir jene durch höhere Lichtstrahlen als diese sehen, o<strong>der</strong> noch mehr, so<br />

wenig selbst <strong>der</strong> Astronom verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n kann, daß ihm <strong>der</strong> Mond im Aufgange nicht größer<br />

sche<strong>in</strong>e, ob er gleich durch diesen Sche<strong>in</strong> nicht betrogen wird.<br />

Die transzendentale Dialektik wird also sich damit begnügen, den Sche<strong>in</strong> transzendenter<br />

Urteile aufzudecken und zugleich zu verhüten, daß er nicht betrüge; daß er aber auch (wie<br />

<strong>der</strong> logische Sche<strong>in</strong>) sogar verschw<strong>in</strong>de und e<strong>in</strong> Sche<strong>in</strong> zu se<strong>in</strong> aufhöre, das kann sie<br />

niemals bewerkstelligen. Denn wir haben es mit e<strong>in</strong>er natürlichen und unvermeidlichen<br />

Illusion zu tun, die selbst auf subjektiven Grundsätzen beruht und sie als objektive<br />

unterschiebt, anstatt, daß die logische Dialektik <strong>in</strong> Auflösung <strong>der</strong> Trugschlüsse es nur mit<br />

e<strong>in</strong>em Fehler <strong>in</strong> Befolgung <strong>der</strong> Grundsätze, o<strong>der</strong> mit e<strong>in</strong>em gekünstelten Sche<strong>in</strong>e, <strong>in</strong><br />

Nachahmung <strong>der</strong>selben, zu tun hat. Es gibt also e<strong>in</strong>e natürliche und unvermeidliche<br />

Dialektik <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong>, nicht e<strong>in</strong>e, <strong>in</strong> die sich etwa e<strong>in</strong> Stümper, durch Mangel an<br />

Kenntnissen, selbst verwickelt, o<strong>der</strong> die irgende<strong>in</strong> Sophist, um vernünftige Leute zu<br />

verwirren, künstlich ersonnen hat, son<strong>der</strong>n die <strong>der</strong> menschlichen <strong>Vernunft</strong> unh<strong>in</strong>tertreiblich<br />

anhängt, und selbst, nachdem wir ihr Blendwerk aufgedeckt haben, dennoch nicht<br />

aufhören wird ihr vorzugaukeln und sie unablässig <strong>in</strong> augenblickliche Verirrungen zu<br />

stoßen, die je<strong>der</strong>zeit gehoben zu werden bedürfen.<br />

115


II. Von <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong> als dem Sitze des transzendentalen Sche<strong>in</strong>s<br />

A. Von <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong> überhaupt<br />

Alle unsere Erkenntnis hebt <strong>von</strong> den S<strong>in</strong>nen an, geht <strong>von</strong> da zum Verstande und endigt bei<br />

<strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong>, über welche nichts Höheres <strong>in</strong> uns angetroffen wird, den Stoff <strong>der</strong><br />

Anschauung zu bearbeiten und unter die höchste E<strong>in</strong>heit des Denkens zu br<strong>in</strong>gen. Da ich<br />

jetzt <strong>von</strong> dieser obersten Erkenntniskraft e<strong>in</strong>e Erklärung geben soll, so f<strong>in</strong>de ich mich <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>iger Verlegenheit. Es gibt <strong>von</strong> ihr, wie <strong>von</strong> dem Verstande, e<strong>in</strong>en bloß formalen, d.i.<br />

logischen Gebrauch, da die <strong>Vernunft</strong> <strong>von</strong> allem Inhalte <strong>der</strong> Erkenntnis abstrahiert, aber<br />

auch e<strong>in</strong>en realen, da sie selbst den Ursprung gewisser Begriffe und Grundsätze enthält,<br />

die sie we<strong>der</strong> <strong>von</strong> den S<strong>in</strong>nen noch vom Verstande entlehnt. Das erstere Vermögen ist nun<br />

freilich vorlängst <strong>von</strong> den Logikern durch das Vermögen mittelbar zu schließen (zum<br />

Unterschiede <strong>von</strong> den unmittelbaren Schlüssen, consequentiis immediatis) erklärt worden;<br />

das zweite aber, welches selbst Begriffe erzeugt, wird dadurch noch nicht e<strong>in</strong>gesehen. Da<br />

nun hier e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>teilung <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong> logisches und transzendentales Vermögen<br />

vorkommt, so muß e<strong>in</strong> höherer Begriff <strong>von</strong> dieser Erkenntnisquelle gesucht werden,<br />

welcher beide Begriffe unter sich befaßt, <strong>in</strong>dessen wir nach <strong>der</strong> Analogie mit den<br />

Verstandesbegriffen erwarten können: daß <strong>der</strong> logische Begriff zugleich den Schlüssel<br />

zum transzendentalen und die Tafel <strong>der</strong> Funktionen <strong>der</strong> ersteren zugleich die Stammleiter<br />

<strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong>begriffe an die Hand geben werde.<br />

Wir erklärten im ersten Teile unserer transzendentalen Logik den Verstand durch das<br />

Vermögen <strong>der</strong> Regeln; hier unterscheiden wir die <strong>Vernunft</strong> <strong>von</strong> demselben dadurch, daß<br />

wir sie das Vermögen <strong>der</strong> Pr<strong>in</strong>zipien nennen wollen.<br />

Der Ausdruck e<strong>in</strong>es Pr<strong>in</strong>zips ist zweideutig und bedeutet geme<strong>in</strong>iglich nur e<strong>in</strong> Erkenntnis,<br />

das als Pr<strong>in</strong>zip gebraucht werden kann, ob es zwar an sich selbst und se<strong>in</strong>em eigenen<br />

Ursprunge nach ke<strong>in</strong> Pr<strong>in</strong>zipium ist. E<strong>in</strong> je<strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>e Satz, er mag auch sogar aus<br />

Erfahrung (durch Induktion) hergenommen se<strong>in</strong>, kann zum Obersatz <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

<strong>Vernunft</strong>schlusse dienen; er ist darum aber nicht selbst e<strong>in</strong> Pr<strong>in</strong>zipium. Die<br />

mathematischen Axiome (z.B. zwischen zwei Punkten kann nur e<strong>in</strong>e gerade L<strong>in</strong>ie se<strong>in</strong>)<br />

s<strong>in</strong>d sogar allgeme<strong>in</strong>e Erkenntnisse a priori und werden daher mit Recht, relativisch auf<br />

die Fälle, die unter ihnen subsumiert werden können, Pr<strong>in</strong>zipien genannt. Aber ich kann<br />

darum doch nicht sagen: daß ich diese Eigenschaft <strong>der</strong> geraden L<strong>in</strong>ie überhaupt und an<br />

sich, aus Pr<strong>in</strong>zipien erkenne, son<strong>der</strong>n nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Anschauung.<br />

Ich würde daher Erkenntnis aus Pr<strong>in</strong>zipien diejenige nennen, da ich das Beson<strong>der</strong>e im<br />

Allgeme<strong>in</strong>en durch Begriffe erkenne. So ist denn e<strong>in</strong> je<strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong>schluß e<strong>in</strong>e Form <strong>der</strong><br />

Ableitung e<strong>in</strong>er Erkenntnis aus e<strong>in</strong>em Pr<strong>in</strong>zip. Denn <strong>der</strong> Obersatz gibt je<strong>der</strong>zeit e<strong>in</strong>en<br />

Begriff, <strong>der</strong> da macht, daß alles, was unter <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gung desselben subsumiert wird, aus<br />

ihm nach e<strong>in</strong>em Pr<strong>in</strong>zip erkannt wird. Da nun jede allgeme<strong>in</strong>e Erkenntnis zum Obersatze<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>Vernunft</strong>schlusse dienen kann, und <strong>der</strong> Verstand <strong>der</strong>gleichen allgeme<strong>in</strong>e Sätze a<br />

priori darbietet, so können diese denn auch, <strong>in</strong> Ansehung ihres möglichen Gebrauchs,<br />

Pr<strong>in</strong>zipien genannt werden.<br />

Betrachten wir aber diese Grundsätze des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes an sich selbst ihrem<br />

Ursprunge nach, so s<strong>in</strong>d sie nichts weniger als Erkenntnisse aus Begriffen. Denn sie<br />

würden auch nicht e<strong>in</strong>mal a priori möglich se<strong>in</strong>, wenn wir nicht die re<strong>in</strong>e Anschauung (<strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Mathematik), o<strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>er möglichen Erfahrung überhaupt herbeizögen.<br />

Daß alles, was geschieht, e<strong>in</strong>e Ursache habe, kann gar nicht aus dem Begriffe dessen,<br />

was überhaupt geschieht, geschlossen werden; vielmehr zeigt <strong>der</strong> Grundsatz, wie man<br />

allererst <strong>von</strong> dem, was geschieht, e<strong>in</strong>en bestimmten Erfahrungsbegriff bekommen könne.<br />

Synthetische Erkenntnisse aus Begriffen kann <strong>der</strong> Verstand also gar nicht verschaffen,<br />

116


und diese s<strong>in</strong>d es eigentlich, welche ich schlechth<strong>in</strong> Pr<strong>in</strong>zipien nenne; <strong>in</strong>dessen, daß alle<br />

allgeme<strong>in</strong>en Sätze überhaupt komparative Pr<strong>in</strong>zipien heißen können.<br />

Es ist e<strong>in</strong> alter Wunsch, <strong>der</strong>, wer weiß wie spät, vielleicht e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> Erfüllung gehen wird:<br />

daß man doch e<strong>in</strong>mal, statt <strong>der</strong> endlosen Mannigfaltigkeit bürgerlicher Gesetze, ihre<br />

Pr<strong>in</strong>zipien aufsuchen möge; denn dar<strong>in</strong> kann alle<strong>in</strong> das Geheimnis bestehen, die<br />

Gesetzgebung, wie man sagt, zu simplifizieren. Aber die Gesetze s<strong>in</strong>d hier auch nur<br />

E<strong>in</strong>schränkungen unserer Freiheit auf Bed<strong>in</strong>gungen, unter denen sie durchgängig mit sich<br />

selbst zusammenstimmt; mith<strong>in</strong> gehen sie auf etwas, was gänzlich unser eigen Werk ist,<br />

und wo<strong>von</strong> wir durch jene Begriffe selbst die Ursache se<strong>in</strong> können. Wie aber Gegenstände<br />

an sich selbst, wie die Natur <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge unter Pr<strong>in</strong>zipien stehe und nach bloßen Begriffen<br />

bestimmt werden solle, ist, wo nicht etwas Unmögliches, wenigstens doch sehr<br />

Wi<strong>der</strong>s<strong>in</strong>niges <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er For<strong>der</strong>ung. Es mag aber hiermit bewandt se<strong>in</strong>, wie es wolle (denn<br />

darüber haben wir die Untersuchung noch vor uns), so erhellt wenigstens daraus: daß<br />

Erkenntnis aus Pr<strong>in</strong>zipien (an sich selbst) ganz etwas an<strong>der</strong>es sei, als bloße<br />

Verstandeserkenntnis, die zwar auch an<strong>der</strong>en Erkenntnissen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Form e<strong>in</strong>es Pr<strong>in</strong>zips<br />

vorgehen kann, an sich selbst aber (sofern sie synthetisch ist) nicht auf bloßem Denken<br />

beruht, noch e<strong>in</strong> Allgeme<strong>in</strong>es nach Begriffen <strong>in</strong> sich enthält.<br />

Der Verstand mag e<strong>in</strong> Vermögen <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen vermittels <strong>der</strong> Regeln<br />

se<strong>in</strong>, so ist die <strong>Vernunft</strong> das Vermögen <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Verstandesregeln unter Pr<strong>in</strong>zipien.<br />

Sie geht also niemals zunächst auf Erfahrung o<strong>der</strong> auf irgende<strong>in</strong>en Gegenstand, son<strong>der</strong>n<br />

auf den Verstand, um den mannigfaltigen Erkenntnissen desselben E<strong>in</strong>heit a priori durch<br />

Begriffe zu geben, welche <strong>Vernunft</strong>e<strong>in</strong>heit heißen mag und <strong>von</strong> ganz an<strong>der</strong>er Art ist, als<br />

sie <strong>von</strong> dem Verstande geleistet werden kann.<br />

Das ist <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>e Begriff <strong>von</strong> dem <strong>Vernunft</strong>vermögen, soweit er, bei gänzlichem<br />

Mangel an Beispielen (als die erst <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge gegeben werden sollen), hat begreiflich<br />

gemacht werden können.<br />

B. Vom logischen Gebrauche <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong><br />

Man macht e<strong>in</strong>en Unterschied zwischen dem, was unmittelbar erkannt, und dem, was nur<br />

geschlossen wird. Daß <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Figur, die durch drei gerade L<strong>in</strong>ien begrenzt ist, drei W<strong>in</strong>kel<br />

s<strong>in</strong>d, wird unmittelbar erkannt; daß diese W<strong>in</strong>kel aber zusammen zwei rechten gleich s<strong>in</strong>d,<br />

ist nur geschlossen. Weil wir des Schließens beständig bedürfen und es dadurch endlich<br />

ganz gewohnt werden, so bemerken wir zuletzt diesen Unterschied nicht mehr, und halten<br />

oft, wie bei dem sogenannten Betruge <strong>der</strong> S<strong>in</strong>ne, etwas für unmittelbar wahrgenommen,<br />

was wir doch nur geschlossen haben. Bei jedem Schlusse ist e<strong>in</strong> Satz, <strong>der</strong> zugrunde liegt,<br />

e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er, nämlich die Folgerung, die aus jenem gezogen wird, und endlich die<br />

Schlußfolge (Konsequenz), nach welcher die Wahrheit des letzteren unausbleiblich mit <strong>der</strong><br />

Wahrheit des ersteren verknüpft ist. Liegt das geschlossene Urteil schon so <strong>in</strong> dem ersten,<br />

daß es ohne Vermittlung e<strong>in</strong>er dritten Vorstellung daraus abgeleitet werden kann, so heißt<br />

<strong>der</strong> Schluß unmittelbar (consequentia immediata); ich möchte ihn lieber den<br />

Verstandesschluß nennen. Ist aber, außer <strong>der</strong> zugrunde gelegten Erkenntnis, noch e<strong>in</strong><br />

an<strong>der</strong>es Urteil nötig, um die Folge zu bewirken, so heißt <strong>der</strong> Schluß e<strong>in</strong> <strong>Vernunft</strong>schluß. In<br />

dem Satze: alle Menschen s<strong>in</strong>d sterblich, liegen schon die Sätze: e<strong>in</strong>ige Menschen s<strong>in</strong>d<br />

sterblich, o<strong>der</strong>: e<strong>in</strong>ige Sterbliche s<strong>in</strong>d Menschen, o<strong>der</strong>: nichts, was unsterblich ist, ist e<strong>in</strong><br />

Mensch; und diese s<strong>in</strong>d also unmittelbare Folgerungen aus dem ersteren. Dagegen liegt<br />

<strong>der</strong> Satz: alle Gelehrten s<strong>in</strong>d sterblich, nicht <strong>in</strong> dem untergelegten Urteile (denn <strong>der</strong> Begriff<br />

<strong>der</strong> Gelehrten kommt <strong>in</strong> ihm gar nicht vor), und er kann nur vermittels e<strong>in</strong>es<br />

Zwischenurteils aus diesem gefolgert werden.<br />

In jedem <strong>Vernunft</strong>sschlusse denke ich zuerst e<strong>in</strong>e Regel (maior) durch den Verstand.<br />

117


Zweitens subsumiere ich e<strong>in</strong> Erkenntnis unter die Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> Regel (m<strong>in</strong>or) vermittels<br />

<strong>der</strong> Urteilskraft. Endlich bestimme ich me<strong>in</strong> Erkenntnis durch das Prädikat <strong>der</strong> Regel<br />

(conclusio), mith<strong>in</strong> a priori durch die <strong>Vernunft</strong>. Das Verhältnis also, welches <strong>der</strong> Obersatz,<br />

als die Regel, zwischen e<strong>in</strong>er Erkenntnis und ihrer Bed<strong>in</strong>gung vorstellt, macht die<br />

verschiedenen Arten <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong>schlüsse aus. Sie s<strong>in</strong>d also gerade dreifach, so wie alle<br />

Urteile überhaupt, sofern sie sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Art unterscheiden, wie sie das Verhältnis des<br />

Erkenntnisses im Verstande ausdrücken, nämlich: kategorische o<strong>der</strong> hypothetische o<strong>der</strong><br />

disjunktive <strong>Vernunft</strong>schlüsse.<br />

Wenn, wie mehrenteils geschieht, die Konklusion als e<strong>in</strong> Urteil aufgegeben worden, um zu<br />

sehen, ob es nicht aus schon gegebenen Urteilen, durch die nämlich e<strong>in</strong> ganz an<strong>der</strong>er<br />

Gegenstand gedacht wird, fließe: so suche ich im Verstande die Assertion dieses<br />

Schlußsatzes auf, ob sie sich nicht <strong>in</strong> demselben unter gewissen Bed<strong>in</strong>gungen nach e<strong>in</strong>er<br />

allgeme<strong>in</strong>en Regel vorf<strong>in</strong>de. F<strong>in</strong>de ich nun e<strong>in</strong>e solche Bed<strong>in</strong>gung und läßt sich das Objekt<br />

des Schlußsatzes unter <strong>der</strong> gegebenen Bed<strong>in</strong>gung subsumieren, so ist dieser aus <strong>der</strong><br />

Regel, die auch für an<strong>der</strong>e Gegenstände <strong>der</strong> Erkenntnis gilt, gefolgert. Man sieht daraus,<br />

daß die <strong>Vernunft</strong> im Schließen die große Mannigfaltigkeit <strong>der</strong> Erkenntnis des Verstandes<br />

auf die kle<strong>in</strong>ste Zahl <strong>der</strong> Pr<strong>in</strong>zipien (allgeme<strong>in</strong>er Bed<strong>in</strong>gungen) zu br<strong>in</strong>gen und dadurch die<br />

höchste E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong>selben zu bewirken suche.<br />

C. Von dem <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Gebrauche <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong><br />

Kann man die <strong>Vernunft</strong> isolieren und ist sie alsdann noch e<strong>in</strong> eigener Quell <strong>von</strong> Begriffen<br />

und Urteilen, die lediglich aus ihr entspr<strong>in</strong>gen und dadurch sie sich auf Gegenstände<br />

bezieht, o<strong>der</strong> ist sie e<strong>in</strong> bloß subalternes Vermögen, gegebenen Erkenntnissen e<strong>in</strong>e<br />

gewisse Form zu geben, welche logisch heißt und wodurch die Verstandeserkenntnisse<br />

nur e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> und niedrige Regeln an<strong>der</strong>en höheren (<strong>der</strong>en Bed<strong>in</strong>gung die Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong><br />

ersteren <strong>in</strong> ihrer Sphäre befaßt) untergeordnet werden, soviel sich durch die Vergleichung<br />

<strong>der</strong>selben will bewerkstelligen lassen? Dies ist die Frage, mit <strong>der</strong> wir uns jetzt nur vorläufig<br />

beschäftigen. In <strong>der</strong> Tat ist Mannigfaltigkeit <strong>der</strong> Regeln und E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Pr<strong>in</strong>zipien e<strong>in</strong>e<br />

For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong>, um den Verstand mit sich selbst <strong>in</strong> durchgängigen<br />

Zusammenhang zu br<strong>in</strong>gen, so wie <strong>der</strong> Verstand das Mannigfaltige <strong>der</strong> Anschauung unter<br />

Begriffe und dadurch jene <strong>in</strong> Verknüpfung br<strong>in</strong>gt. Aber e<strong>in</strong> solcher Grundsatz schreibt den<br />

Objekten ke<strong>in</strong> Gesetz vor und enthält nicht den Grund <strong>der</strong> Möglichkeit, sie als solche<br />

überhaupt zu erkennen und zu bestimmen, son<strong>der</strong>n ist bloß e<strong>in</strong> subjektives Gesetz <strong>der</strong><br />

Haushaltung mit dem Vorrate unseres Verstandes, durch Vergleichung se<strong>in</strong>er Begriffe, den<br />

allgeme<strong>in</strong>en Gebrauch <strong>der</strong>selben auf die kle<strong>in</strong>stmögliche Zahl <strong>der</strong>selben zu br<strong>in</strong>gen, ohne<br />

daß man deswegen <strong>von</strong> den Gegenständen selbst e<strong>in</strong>e solche E<strong>in</strong>helligkeit, die <strong>der</strong><br />

Gemächlichkeit und Ausbreitung unseres Verstandes Vorschub tue, zu for<strong>der</strong>n und jener<br />

Maxime zugleich objektive Gültigkeit zu geben, berechtigt wäre. Mit e<strong>in</strong>em Worte, die<br />

Frage ist: ob <strong>Vernunft</strong> an sich, d.i. die re<strong>in</strong>e <strong>Vernunft</strong> a priori, synthetische Grundsätze und<br />

Regeln enthalte, und wor<strong>in</strong> diese Pr<strong>in</strong>zipien bestehen mögen?<br />

Das formale und logische Verfahren <strong>der</strong>selben <strong>in</strong> <strong>Vernunft</strong>schlüssen gibt uns hierüber<br />

schon h<strong>in</strong>reichende Anleitung, auf welchem Grunde das transzendentale Pr<strong>in</strong>zipium<br />

<strong>der</strong>selben <strong>in</strong> <strong>der</strong> synthetischen Erkenntnis durch re<strong>in</strong>e <strong>Vernunft</strong> beruhen werde.<br />

Erstlich geht <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong>schluß nicht auf Anschauungen, um dieselbe unter Regeln zu<br />

br<strong>in</strong>gen (wie <strong>der</strong> Verstand mit se<strong>in</strong>en Kategorien), son<strong>der</strong>n auf Begriffe und Urteile. Wenn<br />

also re<strong>in</strong>e <strong>Vernunft</strong> auch auf Gegenstände geht, so hat sie doch darauf und <strong>der</strong>en<br />

Anschauung ke<strong>in</strong>e unmittelbare Beziehung, son<strong>der</strong>n nur auf den Verstand und dessen<br />

Urteile, welche sich zunächst an die S<strong>in</strong>ne und <strong>der</strong>en Anschauung wenden, um diesen<br />

ihren Gegenstand zu bestimmen. <strong>Vernunft</strong>e<strong>in</strong>heit ist also nicht E<strong>in</strong>heit e<strong>in</strong>er möglichen<br />

118


Erfahrung, son<strong>der</strong>n <strong>von</strong> dieser als <strong>der</strong> Verstandese<strong>in</strong>heit wesentlich unterschieden. Daß<br />

alles, was geschieht, e<strong>in</strong>e Ursache habe, ist gar ke<strong>in</strong> durch <strong>Vernunft</strong> erkannter und<br />

vorgeschriebener Grundsatz. Er macht die E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Erfahrung möglich und entlehnt<br />

nichts <strong>von</strong> <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong>, welche, ohne diese Beziehung auf mögliche Erfahrung, aus<br />

bloßen Begriffen ke<strong>in</strong>e solche synthetische E<strong>in</strong>heit hätte gebieten können.<br />

Zweitens sucht die <strong>Vernunft</strong> <strong>in</strong> ihrem logischen Gebrauche die allgeme<strong>in</strong>e Bed<strong>in</strong>gung ihres<br />

Urteils (des Schlußsatzes) und <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong>schluß ist selbst nichts an<strong>der</strong>es als e<strong>in</strong> Urteil,<br />

vermittels <strong>der</strong> Subsumtion se<strong>in</strong>er Bed<strong>in</strong>gung unter e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e Regel (Obersatz). Da<br />

nun diese Regel wie<strong>der</strong>um eben demselben Versuche <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong> ausgesetzt ist, und<br />

dadurch die Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gung (vermittels e<strong>in</strong>es Prosyllogismus) gesucht werden<br />

muß, solange es angeht, so sieht man wohl, <strong>der</strong> eigentümliche Grundsatz <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong><br />

überhaupt (im logischen Gebrauche) sei: zu dem bed<strong>in</strong>gten Erkenntnisse des Verstandes<br />

das Unbed<strong>in</strong>gte zu f<strong>in</strong>den, womit die E<strong>in</strong>heit desselben vollendet wird.<br />

Diese logische Maxime kann aber nicht an<strong>der</strong>s e<strong>in</strong> Pr<strong>in</strong>zipium <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong> werden,<br />

als dadurch, daß man annimmt: wenn das Bed<strong>in</strong>gte gegeben ist, so sei auch die ganze<br />

Reihe e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> untergeordneter Bed<strong>in</strong>gungen, die mith<strong>in</strong> selbst unbed<strong>in</strong>gt ist, gegeben<br />

(d.i. <strong>in</strong> dem Gegenstande und se<strong>in</strong>er Verknüpfung enthalten).<br />

E<strong>in</strong> solcher Grundsatz <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong> ist aber offenbar synthetisch; denn das<br />

Bed<strong>in</strong>gte bezieht sich analytisch zwar auf irgende<strong>in</strong>e Bed<strong>in</strong>gung, aber nicht aufs<br />

Unbed<strong>in</strong>gte. Es müssen aus demselben auch verschiedene synthetische Sätze<br />

entspr<strong>in</strong>gen, wo<strong>von</strong> <strong>der</strong> re<strong>in</strong>e Verstand nichts weiß, als <strong>der</strong> nur mit Gegenständen e<strong>in</strong>er<br />

möglichen Erfahrung zu tun hat, <strong>der</strong>en Erkenntnis und Synthesis je<strong>der</strong>zeit bed<strong>in</strong>gt ist. Das<br />

Unbed<strong>in</strong>gte aber, wenn es wirklich statthat, kann beson<strong>der</strong>s erwogen werden, nach allen<br />

den Bestimmungen, die es <strong>von</strong> jedem Bed<strong>in</strong>gten unterscheiden und muß dadurch Stoff zu<br />

manchen synthetischen Sätzen a priori geben.<br />

Die aus diesem obersten Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong> entspr<strong>in</strong>genden Grundsätze werden<br />

aber <strong>in</strong> Ansehung aller Ersche<strong>in</strong>ungen transzendent se<strong>in</strong>, d.i. es wird ke<strong>in</strong> ihm adäquater<br />

empirischer Gebrauch <strong>von</strong> demselben jemals gemacht werden können. Er wird sich also<br />

<strong>von</strong> allen Grundsätzen des Verstandes (<strong>der</strong>en Gebrauch völlig immanent ist, <strong>in</strong>dem sie nur<br />

die Möglichkeit <strong>der</strong> Erfahrung zu ihrem Thema haben) gänzlich unterscheiden. Ob nun<br />

jener Grundsatz: daß sich die Reihe <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gungen (<strong>in</strong> <strong>der</strong> Synthesis <strong>der</strong><br />

Ersche<strong>in</strong>ungen, o<strong>der</strong> auch des Denkens <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge überhaupt) bis zum Unbed<strong>in</strong>gten<br />

erstrecke, se<strong>in</strong>e objektive Richtigkeit habe o<strong>der</strong> nicht; welche Folgerungen daraus auf den<br />

empirischen Verstandesgebrauch fließen, o<strong>der</strong> ob es vielmehr überall ke<strong>in</strong>en <strong>der</strong>gleichen<br />

objektiv gültigen <strong>Vernunft</strong>satz gebe, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e bloß logische Vorschrift, sich im<br />

Aufsteigen zu immer höheren Bed<strong>in</strong>gungen, <strong>der</strong> Vollständigkeit <strong>der</strong>selben zu nähern und<br />

dadurch die höchste uns mögliche <strong>Vernunft</strong>e<strong>in</strong>heit <strong>in</strong> unsere Erkenntnis zu br<strong>in</strong>gen; ob,<br />

sage ich, dieses Bedürfnis <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong> durch e<strong>in</strong>en Mißverstand für e<strong>in</strong>en<br />

transzendentalen Grundsatz <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong> gehalten worden, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e solche<br />

unbeschränkte Vollständigkeit übereilterweise <strong>von</strong> <strong>der</strong> Reihe <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> den<br />

Gegenständen selbst postuliert; was aber auch <strong>in</strong> diesem Falle für Mißdeutungen und<br />

Verblendungen <strong>in</strong> die <strong>Vernunft</strong>schlüsse, <strong>der</strong>en Obersatz aus re<strong>in</strong>er <strong>Vernunft</strong> genommen<br />

worden (und <strong>der</strong> vielleicht mehr Petition als Postulat ist), und die <strong>von</strong> <strong>der</strong> Erfahrung<br />

aufwärts zu ihren Bed<strong>in</strong>gungen steigen, e<strong>in</strong>schleichen mögen: das wird unser Geschäft <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> transzendentalen Dialektik se<strong>in</strong>, welche wir jetzt aus ihren Quellen, die tief <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

menschlichen <strong>Vernunft</strong> verborgen s<strong>in</strong>d, entwickeln wollen. Wir werden sie <strong>in</strong> zwei<br />

Hauptstücke teilen, <strong>der</strong>en ersteres <strong>von</strong> den transzendenten Begriffen <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong>,<br />

das zweite <strong>von</strong> transzendenten und dialektischen <strong>Vernunft</strong>sschlüssen <strong>der</strong>selben handeln<br />

soll.<br />

119


Erstes Buch: Von den Begriffen <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong><br />

Was es auch mit <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> Begriffe aus re<strong>in</strong>er <strong>Vernunft</strong> für e<strong>in</strong>e Bewandtnis<br />

haben mag: so s<strong>in</strong>d sie doch nicht bloß reflektierte, son<strong>der</strong>n geschlossene Begriffe.<br />

Verstandesbegriffe werden auch a priori vor <strong>der</strong> Erfahrung und zum Behuf <strong>der</strong>selben<br />

gedacht, aber sie enthalten nichts weiter, als die E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Reflexion über die<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen, <strong>in</strong>sofern sie notwendig zu e<strong>in</strong>em möglichen empirischen Bewußtse<strong>in</strong><br />

gehören sollen. Durch sie alle<strong>in</strong> wird Erkenntnis und Bestimmung e<strong>in</strong>es Gegenstandes<br />

möglich. Sie geben also zuerst Stoff zum Schließen, und vor ihnen gehen ke<strong>in</strong>e Begriffe a<br />

priori <strong>von</strong> Gegenständen vorher, aus denen sie könnten geschlossen werden. Dagegen<br />

gründet sich ihre objektive Realität doch lediglich darauf: daß, weil sie die <strong>in</strong>tellektuelle<br />

Form aller Erfahrung ausmachen, ihre Anwendung je<strong>der</strong>zeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erfahrung muß gezeigt<br />

werden können.<br />

Die Benennung e<strong>in</strong>es <strong>Vernunft</strong>begriffs aber zeigt schon vorläufig: daß er sich nicht<br />

<strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Erfahrung wolle beschränken lassen, weil er e<strong>in</strong>e Erkenntnis betrifft, <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />

jede empirische nur e<strong>in</strong> Teil ist (vielleicht das Ganze <strong>der</strong> möglichen Erfahrung o<strong>der</strong> ihrer<br />

empirischen Synthesis), bis dah<strong>in</strong> zwar ke<strong>in</strong>e wirkliche Erfahrung jemals völlig zureicht,<br />

aber doch je<strong>der</strong>zeit dazu gehörig ist. <strong>Vernunft</strong>begriffe dienen zum Begreifen, wie<br />

Verstandesbegriffe zum Verstehen (<strong>der</strong> Wahrnehmungen). Wenn sie das Unbed<strong>in</strong>gte<br />

enthalten, so betreffen sie etwas, worunter alle Erfahrung gehört, welches selbst aber<br />

niemals e<strong>in</strong> Gegenstand <strong>der</strong> Erfahrung ist: Etwas, worauf die <strong>Vernunft</strong> <strong>in</strong> ihren Schlüssen<br />

aus <strong>der</strong> Erfahrung führt und wonach sie den Grad ihres empirischen Gebrauchs schätzt<br />

und abmißt, niemals aber e<strong>in</strong> Glied <strong>der</strong> empirischen Synthesis ausmacht. Haben<br />

<strong>der</strong>gleichen Begriffe dessen ungeachtet, objektive Gültigkeit, so können sie conceptus<br />

ratioc<strong>in</strong>ati (richtig geschlossene Begriffe) heißen; wo nicht, so s<strong>in</strong>d sie wenigstens durch<br />

e<strong>in</strong>en Sche<strong>in</strong> des Schließens erschlichen und mögen conceptus ratioc<strong>in</strong>antes<br />

(vernünftelnde Begriffe) genannt werden. Da dieses aber allererst <strong>in</strong> dem Hauptstücke <strong>von</strong><br />

den dialektischen Schlüssen <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong> ausgemacht werden kann, so können wir<br />

darauf noch nicht Rücksicht nehmen, son<strong>der</strong>n werden vorläufig, so wie wir die <strong>re<strong>in</strong>en</strong><br />

Verstandesbegriffe Kategorien nannten, die Begriffe <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong> mit e<strong>in</strong>em neuen<br />

Namen belegen und sie transzendentale Ideen nennen, diese Benennung aber jetzt<br />

erläutern und rechtfertigen.<br />

1. Abschnitt: Von den Ideen überhaupt<br />

Bei dem großen Reichtum unserer Sprachen f<strong>in</strong>det sich doch oft <strong>der</strong> denkende Kopf<br />

wegen des Ausdrucks verlegen, <strong>der</strong> se<strong>in</strong>em Begriffe genau anpaßt, und <strong>in</strong> dessen<br />

Ermanglung er we<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en, noch sogar sich selbst recht verständlich werden kann.<br />

Neue Wörter zu schmieden, ist e<strong>in</strong>e Anmaßung zum Gesetzgeben <strong>in</strong> Sprachen, die selten<br />

gel<strong>in</strong>gt, und ehe man zu diesem verzweifelten Mittel schreitet, ist es ratsam, sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

toten und gelehrten Sprache umzusehen, ob sich daselbst nicht dieser Begriff samt<br />

se<strong>in</strong>em angemessenen Ausdrucke vorf<strong>in</strong>de; und wenn <strong>der</strong> alte Gebrauch desselben durch<br />

Unbehutsamkeit ihrer Urheber auch etwas schwankend geworden wäre, so ist es doch<br />

besser, die Bedeutung, die ihm vorzüglich eigen war, zu befestigen (sollte es auch<br />

zweifelhaft bleiben, ob man damals genau ebendieselbe im S<strong>in</strong>ne gehabt habe), als se<strong>in</strong><br />

Geschäft nur dadurch zu ver<strong>der</strong>ben, daß man sich unverständlich machte.<br />

Um deswillen, wenn sich etwa zu e<strong>in</strong>em gewissen Begriffe nur e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Wort vorfände,<br />

das <strong>in</strong> schon e<strong>in</strong>geführter Bedeutung diesem Begriffe genau anpaßt, dessen<br />

Unterscheidung <strong>von</strong> an<strong>der</strong>en verwandten Begriffen <strong>von</strong> großer Wichtigkeit ist, so ist es<br />

120


atsam, damit nicht verschwen<strong>der</strong>isch umzugehen, o<strong>der</strong> es bloß zur Abwechslung<br />

synonymisch statt an<strong>der</strong>er zu gebrauchen, son<strong>der</strong>n ihm se<strong>in</strong>e eigentümliche Bedeutung<br />

sorgfältig aufzubehalten; weil es sonst leichtlich geschieht: daß, nachdem <strong>der</strong> Ausdruck<br />

die Aufmerksamkeit nicht beson<strong>der</strong>s beschäftigt, son<strong>der</strong>n sich unter dem Haufen an<strong>der</strong>er<br />

<strong>von</strong> sehr abweichen<strong>der</strong> Bedeutung verliert, auch <strong>der</strong> Gedanke verloren gehe, den er alle<strong>in</strong><br />

hätte aufbehalten können.<br />

Plato bediente sich des Ausdrucks Idee so, daß man wohl sieht, er habe darunter etwas<br />

verstanden, was nicht alle<strong>in</strong> niemals <strong>von</strong> den S<strong>in</strong>nen entlehnt wird, son<strong>der</strong>n welches sogar<br />

die Begriffe des Verstandes, mit denen sich Aristoteles beschäftigte, weit übersteigt, <strong>in</strong>dem<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Erfahrung niemals etwas damit Kongruierendes angetroffen wird. Die Ideen s<strong>in</strong>d bei<br />

ihm Urbil<strong>der</strong> <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge selbst und nicht bloß Schlüssel zu möglichen Erfahrungen, wie die<br />

Kategorien. Nach se<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung flossen sie aus <strong>der</strong> höchsten <strong>Vernunft</strong> aus, <strong>von</strong> da sie<br />

<strong>der</strong> menschlichen zuteil geworden, die sich aber jetzt nicht mehr <strong>in</strong> ihrem ursprünglichen<br />

Zustande bef<strong>in</strong>det, son<strong>der</strong>n mit Mühe die alten, jetzt sehr verdunkelten Ideen durch<br />

Er<strong>in</strong>nerung (die Philosophie heißt) zurückrufen muß. Ich will mich hier <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>e literarische<br />

Untersuchung e<strong>in</strong>lassen, um den S<strong>in</strong>n auszumachen, den <strong>der</strong> erhabene Philosoph mit<br />

se<strong>in</strong>em Ausdrucke verband. Ich merke nur an: daß es gar nichts Ungewöhnliches sei,<br />

sowohl im geme<strong>in</strong>en Gespräche, als <strong>in</strong> Schriften, durch die Vergleichung <strong>der</strong> Gedanken,<br />

welche e<strong>in</strong> Verfasser über se<strong>in</strong>en Gegenstand äußert, ihn sogar besser zu verstehen, als<br />

er sich selbst verstand, <strong>in</strong>dem er se<strong>in</strong>en Begriff nicht genugsam bestimmte und dadurch<br />

bisweilen se<strong>in</strong>er eigenen Absicht entgegen redete o<strong>der</strong> auch dachte.<br />

Plato bemerkte sehr wohl, daß unsere Erkenntniskraft e<strong>in</strong> weit höheres Bedürfnis fühle,<br />

als bloß Ersche<strong>in</strong>ungen nach synthetischer E<strong>in</strong>heit zu buchstabieren, um sie als Erfahrung<br />

lesen zu können, und daß unsere <strong>Vernunft</strong> natürlicherweise sich zu Erkenntnissen<br />

aufschw<strong>in</strong>ge, die viel weiter gehen, als daß irgende<strong>in</strong> Gegenstand, den Erfahrung geben<br />

kann, jemals mit ihnen kongruieren könne, die aber nichtsdestoweniger ihre Realität<br />

haben und ke<strong>in</strong>eswegs bloße Hirngesp<strong>in</strong>ste s<strong>in</strong>d.<br />

Plato fand se<strong>in</strong>e Ideen vorzüglich <strong>in</strong> allem was praktisch ist [15], d.i. auf Freiheit beruht,<br />

welche ihrerseits unter Erkenntnissen steht, die e<strong>in</strong> eigentümliches Produkt <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong><br />

s<strong>in</strong>d. Wer die Begriffe <strong>der</strong> Tugend aus Erfahrung schöpfen wollte, wer das, was nur<br />

allenfalls als Beispiel zur unvollkommenen Erläuterung dienen kann, als Muster zum<br />

Erkenntnisquell machen wollte (wie es wirklich viele getan haben), <strong>der</strong> würde aus <strong>der</strong><br />

Tugend e<strong>in</strong> nach Zeit und Umständen wandelbares, zu ke<strong>in</strong>er Regel brauchbares<br />

zweideutiges Und<strong>in</strong>g machen. Dagegen wird e<strong>in</strong> je<strong>der</strong> <strong>in</strong>ne: daß, wenn ihm jemand als<br />

Muster <strong>der</strong> Tugend vorgestellt wird, er doch immer das wahre Orig<strong>in</strong>al bloß <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

eigenen Kopfe habe, womit er dieses angebliche Muster vergleicht und es bloß darnach<br />

schätzt. Dieses ist aber die Idee <strong>der</strong> Tugend, <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong>en alle möglichen<br />

Gegenstände <strong>der</strong> Erfahrung zwar als Beispiele (Beweise <strong>der</strong> Tunlichkeit desjenigen im<br />

gewissen Grade, was <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong> heischt), aber nicht als Urbil<strong>der</strong> Dienste tun.<br />

Daß niemals e<strong>in</strong> Mensch demjenigen adäquat handeln werde, was die re<strong>in</strong>e Idee <strong>der</strong><br />

Tugend enthält, beweist gar nicht etwas Chimärisches <strong>in</strong> diesem Gedanken. Denn es ist<br />

gleichwohl alles Urteil, über den moralischen Wert o<strong>der</strong> Unwert, nur vermittels dieser Idee<br />

möglich; mith<strong>in</strong> liegt sie je<strong>der</strong> Annäherung zur moralischen Vollkommenheit notwendig<br />

zugrunde, soweit auch die, ihrem Grade nach nicht zu bestimmenden H<strong>in</strong><strong>der</strong>nisse <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

menschlichen Natur uns da<strong>von</strong> entfernt halten mögen.<br />

Die platonische Republik ist, als e<strong>in</strong> verme<strong>in</strong>tlich auffallendes Beispiel <strong>von</strong> erträumter<br />

Vollkommenheit, die nur im Gehirn des müßigen Denkers ihren Sitz haben kann, zum<br />

Sprichwort geworden, und Brucker f<strong>in</strong>det es lächerlich, daß <strong>der</strong> Philosoph behauptete,<br />

niemals würde e<strong>in</strong> Fürst wohl regieren, wenn er nicht <strong>der</strong> Ideen teilhaftig wäre. Alle<strong>in</strong> man<br />

würde besser tun, diesem Gedanken mehr nachzugehen und ihn (wo <strong>der</strong> vortreffliche<br />

121


Mann uns ohne Hilfe läßt) durch neue Bemühungen <strong>in</strong> Licht zu stellen, als ihn, unter dem<br />

sehr elenden und schädlichen Vorwande <strong>der</strong> Untunlichkeit, als unnütz beiseite zu setzen.<br />

E<strong>in</strong>e Verfassung <strong>von</strong> <strong>der</strong> größten menschlichen Freiheit nach Gesetzen, welche machen,<br />

daß jedes Freiheit mit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en ihrer zusammen bestehen kann (nicht <strong>von</strong> <strong>der</strong> größten<br />

Glückseligkeit, denn diese wird schon <strong>von</strong> selbst folgen), ist doch wenigstens e<strong>in</strong>e<br />

notwendige Idee, die man nicht bloß im ersten Entwurfe e<strong>in</strong>er Staatsverfassung, son<strong>der</strong>n<br />

auch bei allen Gesetzen zugrunde legen muß, und wobei man anfänglich <strong>von</strong> den<br />

gegenwärtigen H<strong>in</strong><strong>der</strong>nissen abstrahieren muß, die vielleicht nicht sowohl aus <strong>der</strong><br />

menschlichen Natur unvermeidlich entspr<strong>in</strong>gen mögen, als vielmehr aus <strong>der</strong><br />

Vernachlässigung <strong>der</strong> echten Ideen bei <strong>der</strong> Gesetzgebung. Denn nichts kann<br />

Schädlicheres und e<strong>in</strong>es Philosophen Unwürdigeres gefunden werden, als die pöbelhafte<br />

Berufung auf vorgeblich wi<strong>der</strong>streitende Erfahrung, die doch gar nicht existieren würde,<br />

wenn jene Anstalten zu rechter Zeit nach den Ideen getroffen würden, und an <strong>der</strong>en Statt<br />

nicht rohe Begriffe, eben darum, weil sie aus Erfahrung geschöpft werden, alle gute<br />

Absicht vereitelt hätten. Je übere<strong>in</strong>stimmen<strong>der</strong> die Gesetzgebung und Regierung mit<br />

dieser Idee e<strong>in</strong>gerichtet wären, desto seltener würden allerd<strong>in</strong>gs die Strafen werden, und<br />

da ist es denn ganz vernünftig (wie Plato behauptet), daß bei e<strong>in</strong>er vollkommenen<br />

Anordnung <strong>der</strong>selben gar ke<strong>in</strong>e <strong>der</strong>gleichen nötig se<strong>in</strong> würden. Ob nun gleich das letztere<br />

niemals zustande kommen mag, so ist die Idee doch ganz richtig, welche dieses Maximum<br />

zum Urbilde aufstellt, um nach demselben die gesetzliche Verfassung <strong>der</strong> Menschen <strong>der</strong><br />

möglich größten Vollkommenheit immer näher zu br<strong>in</strong>gen. Denn welches <strong>der</strong> höchste<br />

Grad se<strong>in</strong> mag, bei welchem die Menschheit stehenbleiben müsse, und wie groß also die<br />

Kluft, die zwischen <strong>der</strong> Idee und ihrer Ausführung notwendig übrigbleibt, se<strong>in</strong> möge, das<br />

kann und soll niemand bestimmen, eben darum, weil es Freiheit ist, welche jede<br />

angegebene Grenze übersteigen kann.<br />

Aber nicht bloß <strong>in</strong> demjenigen, wobei die menschliche <strong>Vernunft</strong> wahrhafte Kausalität zeigt<br />

und wo Ideen wirkende Ursachen (<strong>der</strong> Handlungen und ihrer Gegenstände) werden,<br />

nämlich im Sittlichen, son<strong>der</strong>n auch <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong> Natur selbst, sieht Plato mit Recht<br />

deutliche Beweise ihres Ursprungs aus Ideen. E<strong>in</strong> Gewächs, e<strong>in</strong> Tier, die regelmäßige<br />

Anordnung des Weltbaues (vermutlich also auch die ganze Naturordnung) zeigen deutlich,<br />

daß sie nur nach Ideen möglich s<strong>in</strong>d, daß zwar ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnes Geschöpf, unter den<br />

e<strong>in</strong>zelnen Bed<strong>in</strong>gungen se<strong>in</strong>es Dase<strong>in</strong>s, mit <strong>der</strong> Idee des Vollkommensten se<strong>in</strong>er Art<br />

kongruiere (sowenig wie <strong>der</strong> Mensch mit <strong>der</strong> Idee <strong>der</strong> Menschheit, die er sogar selbst als<br />

das Urbild se<strong>in</strong>er Handlungen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Seele trägt), daß gleichwohl jene Ideen im<br />

höchsten Verstande e<strong>in</strong>zeln, unverän<strong>der</strong>lich, durchgängig bestimmt und die<br />

ursprünglichen Ursachen <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d, und nur das Ganze ihrer Verb<strong>in</strong>dung im Weltall<br />

e<strong>in</strong>zig und alle<strong>in</strong> jener Idee völlig adäquat sei. Wenn man das Übertriebene des Ausdrucks<br />

abson<strong>der</strong>t, so ist <strong>der</strong> Geistesschwung des Philosophen, <strong>von</strong> <strong>der</strong> kopeilichen Betrachtung<br />

des Physischen <strong>der</strong> Weltordnung zu <strong>der</strong> architektonischen Verknüpfung <strong>der</strong>selben nach<br />

Zwecken, d.i. nach Ideen, h<strong>in</strong>aufzusteigen, e<strong>in</strong>e Bemühung, die Achtung und Nachfolge<br />

verdient, <strong>in</strong> Ansehung desjenigen aber, was die Pr<strong>in</strong>zipien <strong>der</strong> Sittlichkeit, <strong>der</strong><br />

Gesetzgebung und <strong>der</strong> Religion betrifft, wo die Ideen die Erfahrung selbst (des Guten)<br />

allererst möglich machen, obzwar niemals dar<strong>in</strong> völlig ausgedrückt werden können, e<strong>in</strong><br />

ganz eigentümliches Verdienst, welches man nur darum nicht erkennt, weil man es durch<br />

eben die empirischen Regeln beurteilt, <strong>der</strong>en Gültigkeit, als Pr<strong>in</strong>zipien, eben durch sie hat<br />

aufgehoben werden sollen. Denn <strong>in</strong> Betracht <strong>der</strong> Natur gibt uns Erfahrung die Regel an die<br />

Hand und ist <strong>der</strong> Quell <strong>der</strong> Wahrheit; <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong> sittlichen Gesetze aber ist Erfahrung<br />

(lei<strong>der</strong>!) die Mutter des Sche<strong>in</strong>s, und es ist höchst verwerflich, die Gesetze über das, was<br />

ich tun soll, <strong>von</strong> demjenigen herzunehmen o<strong>der</strong> dadurch e<strong>in</strong>schränken zu wollen, was<br />

getan wird.<br />

122


Statt aller dieser Betrachtungen, <strong>der</strong>en gehörige Ausführung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat die eigentümliche<br />

Würde <strong>der</strong> Philosophie ausmacht, beschäftigen wir uns jetzt mit e<strong>in</strong>er nicht so glänzenden,<br />

aber doch auch nicht verdienstlosen Arbeit, nämlich: den Boden zu jenen majestätischen<br />

sittlichen Gebäuden eben und baufest zu machen, <strong>in</strong> welchem sich allerlei<br />

Maulwurfsgänge e<strong>in</strong>er vergeblich, aber mit guter Zuversicht auf Schätze grabenden<br />

<strong>Vernunft</strong>, vorf<strong>in</strong>den und die jenes Bauwerk unsicher machen. Der transzendentale<br />

Gebrauch <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong>, ihre Pr<strong>in</strong>zipien und Ideen s<strong>in</strong>d es also, welche genau zu<br />

kennen uns jetzt obliegt, um den E<strong>in</strong>fluß <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong> und den Wert <strong>der</strong>selben<br />

gehörig bestimmen und schätzen zu können. Doch ehe ich diese vorläufige E<strong>in</strong>leitung<br />

beiseite lege, ersuche ich diejenigen, denen Philosophie am Herzen liegt (welches mehr<br />

gesagt ist als man geme<strong>in</strong>iglich antrifft), wenn sie sich durch dieses und das Nachfolgende<br />

überzeugt f<strong>in</strong>den sollten, den Ausdruck Idee se<strong>in</strong>er ursprünglichen Bedeutung nach <strong>in</strong><br />

Schutz zu nehmen, damit er nicht fernerh<strong>in</strong> unter die übrigen Ausdrücke, womit<br />

gewöhnlich allerlei Vorstellungsarten <strong>in</strong> sorgloser Unordnung bezeichnet werden, gerate<br />

und die Wissenschaft dabei e<strong>in</strong>büße. Fehlt es uns doch nicht an Benennungen, die je<strong>der</strong><br />

Vorstellungsart gehörig angemessen s<strong>in</strong>d, ohne daß wir nötig haben, <strong>in</strong> das Eigentum<br />

e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en e<strong>in</strong>zugreifen. Hier ist e<strong>in</strong>e Stufenleiter <strong>der</strong>selben. Die Gattung ist Vorstellung<br />

überhaupt (repraesentatio). Unter ihr steht die Vorstellung mit Bewußtse<strong>in</strong> (perceptio).<br />

E<strong>in</strong>e Perzeption, die sich lediglich auf das Subjekt, als die Modifikation se<strong>in</strong>es Zustandes<br />

bezieht, ist Empf<strong>in</strong>dung (sensatio), e<strong>in</strong>e objektive Perzeption ist Erkenntnis (cognitio).<br />

Diese ist entwe<strong>der</strong> Anschauung o<strong>der</strong> Begriff (<strong>in</strong>tuitus vel conceptus). Jene bezieht sich<br />

unmittelbar auf den Gegenstand und ist e<strong>in</strong>zeln, dieser mittelbar, vermittels e<strong>in</strong>es<br />

Merkmals, was mehreren D<strong>in</strong>gen geme<strong>in</strong> se<strong>in</strong> kann. Der Begriff ist entwe<strong>der</strong> e<strong>in</strong><br />

empirischer o<strong>der</strong> re<strong>in</strong>er Begriff, und <strong>der</strong> re<strong>in</strong>e Begriff, sofern er lediglich im Verstande<br />

se<strong>in</strong>en Ursprung hat (nicht im <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Bilde <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit) heißt Notio. E<strong>in</strong> Begriff aus<br />

Notionen, <strong>der</strong> die Möglichkeit <strong>der</strong> Erfahrung übersteigt, ist die Idee, o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Vernunft</strong>begriff. Dem, <strong>der</strong> sich e<strong>in</strong>mal an diese Unterscheidung gewöhnt hat, muß es<br />

unerträglich fallen, die Vorstellung <strong>der</strong> roten Farbe Idee nennen zu hören. Sie ist nicht<br />

e<strong>in</strong>mal Notion (Verstandesbegriff) zu nennen.<br />

2. Abschnitt: Von den transzendentalen Ideen<br />

Die transzendentale Analytik gab uns e<strong>in</strong> Beispiel, wie die bloße logische Form unserer<br />

Erkenntnis den Ursprung <strong>von</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Begriffen a priori enthalten könne, welche vor aller<br />

Erfahrung Gegenstände vorstellen, o<strong>der</strong> vielmehr die synthetische E<strong>in</strong>heit anzeigen,<br />

welche alle<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e empirische Erkenntnis <strong>von</strong> Gegenständen möglich macht. Die Form <strong>der</strong><br />

Urteile (<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Begriff <strong>von</strong> <strong>der</strong> Synthesis <strong>der</strong> Anschauungen verwandelt) brachte<br />

Kategorien hervor, welche allen Verstandesgebrauch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erfahrung leiten. Ebenso<br />

können wir erwarten, daß die Form <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong>schlüsse, wenn man sie auf die<br />

synthetische E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Anschauungen, nach Maßgebung <strong>der</strong> Kategorien anwendet, den<br />

Ursprung beson<strong>der</strong>er Begriffe a priori enthalten werde, welche wir re<strong>in</strong>e <strong>Vernunft</strong>begriffe<br />

o<strong>der</strong> transzendentale Ideen nennen können, und die den Verstandesgebrauch im Ganzen<br />

<strong>der</strong> gesamten Erfahrung nach Pr<strong>in</strong>zipien bestimmen werden.<br />

Die Funktion <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong> bei ihren Schlüssen bestand <strong>in</strong> <strong>der</strong> Allgeme<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Erkenntnis<br />

nach Begriffen, und <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong>schluß selbst ist e<strong>in</strong> Urteil, welches a priori <strong>in</strong> dem ganzen<br />

Umfange se<strong>in</strong>er Bed<strong>in</strong>gung bestimmt wird. Den Satz: Caius ist sterblich, könnte ich auch<br />

bloß durch den Verstand aus <strong>der</strong> Erfahrung schöpfen. Alle<strong>in</strong> ich suche e<strong>in</strong>en Begriff, <strong>der</strong><br />

die Bed<strong>in</strong>gung enthält, unter welcher das Prädikat (Assertion überhaupt) dieses Urteils<br />

gegeben wird (d.i. hier den Begriff des Menschen); und nachdem ich unter diese<br />

Bed<strong>in</strong>gung, <strong>in</strong> ihrem ganzen Umfange genommen (alle Menschen s<strong>in</strong>d sterblich),<br />

123


subsumiert habe: so bestimme ich danach die Erkenntnis me<strong>in</strong>es Gegenstandes (Caius ist<br />

sterblich).<br />

Demnach restr<strong>in</strong>gieren wir <strong>in</strong> <strong>der</strong> Konklusion e<strong>in</strong>es <strong>Vernunft</strong>schlusses e<strong>in</strong> Prädikat auf<br />

e<strong>in</strong>en gewissen Gegenstand, nachdem wir es vorher <strong>in</strong> dem Obersatz <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em ganzen<br />

Umfange unter e<strong>in</strong>er gewissen Bed<strong>in</strong>gung gedacht haben. Diese vollendete Größe des<br />

Umfanges, <strong>in</strong> Beziehung auf e<strong>in</strong>e solche Bed<strong>in</strong>gung, heißt die Allgeme<strong>in</strong>heit<br />

(Universalitas). Dieser entspricht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Synthesis <strong>der</strong> Anschauungen die Allheit<br />

(Universitas) o<strong>der</strong> Totalität <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gungen. Also ist <strong>der</strong> transzendentale <strong>Vernunft</strong>begriff<br />

ke<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er, als <strong>der</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Totalität <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gungen zu e<strong>in</strong>em gegebenen Bed<strong>in</strong>gten.<br />

Da nun das Unbed<strong>in</strong>gte alle<strong>in</strong> die Totalität <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gungen möglich macht und umgekehrt<br />

die Totalität <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gungen je<strong>der</strong>zeit selbst unbed<strong>in</strong>gt ist: so kann e<strong>in</strong> re<strong>in</strong>er<br />

<strong>Vernunft</strong>begriff überhaupt durch den Begriff des Unbed<strong>in</strong>gten, sofern er e<strong>in</strong>en Grund <strong>der</strong><br />

Synthesis des Bed<strong>in</strong>gten enthält, erklärt werden.<br />

Soviel Arten des Verhältnisses es nun gibt, die <strong>der</strong> Verstand vermittels <strong>der</strong> Kategorien sich<br />

vorstellt, so vielerlei re<strong>in</strong>e <strong>Vernunft</strong>begriffe wird es auch geben, und es wird also erstlich<br />

e<strong>in</strong> Unbed<strong>in</strong>gtes <strong>der</strong> kategorischen Synthesis <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Subjekt, zweitens <strong>der</strong><br />

hypothetischen Synthesis <strong>der</strong> Glie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er Reihe, drittens <strong>der</strong> disjunktiven Synthesis <strong>der</strong><br />

Teile <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em System zu suchen se<strong>in</strong>.<br />

Es gibt nämlich ebensoviel Arten <strong>von</strong> <strong>Vernunft</strong>schlüssen, <strong>der</strong>en jede durch Prosyllogismen<br />

zum Unbed<strong>in</strong>gten fortschreitet: die e<strong>in</strong>e zum Subjekt, welches selbst nicht mehr Prädikat<br />

ist, die an<strong>der</strong>e zur Voraussetzung, die nichts weiter voraussetzt, und die dritte zu e<strong>in</strong>em<br />

Aggregat <strong>der</strong> Glie<strong>der</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>teilung, zu welchen nichts weiter erfor<strong>der</strong>lich ist, um die<br />

E<strong>in</strong>teilung e<strong>in</strong>es Begriffs zu vollenden. Daher s<strong>in</strong>d die <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong>begriffe <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />

Totalität <strong>in</strong> <strong>der</strong> Synthesis <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gungen wenigstens als Aufgaben, um die E<strong>in</strong>heit des<br />

Verstandes, wo möglich, bis zum Unbed<strong>in</strong>gten fortzusetzen, notwendig und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Natur<br />

<strong>der</strong> menschlichen <strong>Vernunft</strong> gegründet, es mag auch übrigens diesen transzendentalen<br />

Begriffen an e<strong>in</strong>em ihnen angemessenen Gebrauch <strong>in</strong> concreto fehlen und sie mith<strong>in</strong><br />

ke<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en Nutzen haben, als den Verstand <strong>in</strong> die Richtung zu br<strong>in</strong>gen, dar<strong>in</strong> se<strong>in</strong><br />

Gebrauch, <strong>in</strong>dem er aufs äußerste erweitert, zugleich mit sich selbst durchgehend<br />

e<strong>in</strong>stimmig gemacht wird.<br />

Indem wir aber hier <strong>von</strong> <strong>der</strong> Totalität <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gungen und dem Unbed<strong>in</strong>gten, als dem<br />

geme<strong>in</strong>schaftlichen Titel aller <strong>Vernunft</strong>begriffe reden, so stoßen wir wie<strong>der</strong>um auf e<strong>in</strong>en<br />

Ausdruck, den wir nicht entbehren und gleichwohl, nach e<strong>in</strong>er ihm durch langen<br />

Mißbrauch anhängenden Zweideutigkeit nicht sicher brauchen können. Das Wort absolut<br />

ist e<strong>in</strong>es <strong>von</strong> den wenigen Wörtern, die <strong>in</strong> ihrer uranfänglichen Bedeutung e<strong>in</strong>em Begriffe<br />

angemessen worden, welchem nach <strong>der</strong> Hand gar ke<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es Wort eben<strong>der</strong>selben<br />

Sprache genau anpaßt, und dessen Verlust, o<strong>der</strong> welches ebensoviel ist, se<strong>in</strong><br />

schwanken<strong>der</strong> Gebrauch daher auch den Verlust des Begriffs selbst nach sich ziehen muß<br />

und zwar e<strong>in</strong>es Begriffs, <strong>der</strong>, weil er die <strong>Vernunft</strong> gar sehr beschäftigt, ohne großen<br />

Nachteil aller transzendentalen Beurteilungen nicht entbehrt werden kann. Das Wort<br />

absolut wird jetzt öfters gebraucht, um bloß anzuzeigen: daß etwas <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er Sache an<br />

sich selbst betrachtet und also <strong>in</strong>nerlich gelte. In dieser Bedeutung würde absolut möglich<br />

das bedeuten, was an sich selbst (<strong>in</strong>terne) möglich ist, welches <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat das wenigste ist,<br />

was man <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Gegenstande sagen kann. Dagegen wird es auch bisweilen<br />

gebraucht, um anzuzeigen, daß etwas <strong>in</strong> aller Beziehung (une<strong>in</strong>geschränkt) gültig ist (z.B.<br />

die absolute Herrschaft), und absolut möglich würde <strong>in</strong> dieser Bedeutung dasjenige<br />

bedeuten, was <strong>in</strong> aller Absicht <strong>in</strong> aller Beziehung möglich ist, welches wie<strong>der</strong>um das<br />

meiste ist, was ich über die Möglichkeit e<strong>in</strong>es D<strong>in</strong>ges sagen kann. Nun treffen zwar diese<br />

Bedeutungen manchmal zusammen. So ist z.E., was <strong>in</strong>nerlich unmöglich ist, auch <strong>in</strong> aller<br />

124


Beziehung, mith<strong>in</strong> absolut unmöglich. Aber <strong>in</strong> den meisten Fällen s<strong>in</strong>d sie unendlich weit<br />

ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, und ich kann auf ke<strong>in</strong>e Weise schließen, daß, weil etwas an sich selbst<br />

möglich ist, es darum auch <strong>in</strong> aller Beziehung, mith<strong>in</strong> absolut möglich sei. Ja <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />

absoluten Notwendigkeit werde ich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge zeigen, daß sie ke<strong>in</strong>eswegs <strong>in</strong> allen Fällen<br />

<strong>von</strong> <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren abhänge und also mit dieser nicht als gleichbedeutend angesehen werden<br />

müsse. Dessen Gegenteil <strong>in</strong>nerlich unmöglich ist, dessen Gegenteil ist freilich auch <strong>in</strong> aller<br />

Absicht unmöglich, mith<strong>in</strong> ist es selbst absolut notwendig; aber ich kann nicht umgekehrt<br />

schließen: was absolut notwendig ist, dessen Gegenteil ist <strong>in</strong>nerlich unmöglich, d.i. die<br />

absolute Notwendigkeit <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge ist e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere Notwendigkeit; denn diese <strong>in</strong>nere<br />

Notwendigkeit ist <strong>in</strong> gewissen Fällen e<strong>in</strong> ganz leerer Ausdruck, mit welchem wir nicht den<br />

m<strong>in</strong>desten Begriff verb<strong>in</strong>den können; dagegen <strong>der</strong>, <strong>von</strong> <strong>der</strong> Notwendigkeit e<strong>in</strong>es D<strong>in</strong>ges <strong>in</strong><br />

aller Beziehung (auf alles Mögliche), ganz beson<strong>der</strong>e Bestimmungen bei sich führt. Weil<br />

nun <strong>der</strong> Verlust e<strong>in</strong>es Begriffs <strong>von</strong> großer Anwendung <strong>in</strong> <strong>der</strong> spekulativen Weltweisheit<br />

dem Philosophen niemals gleichgültig se<strong>in</strong> kann, so hoffe ich, es werde ihm die<br />

Bestimmung und sorgfältige Aufbewahrung des Ausdrucks, an dem <strong>der</strong> Begriff hängt, auch<br />

nicht gleichgültig se<strong>in</strong>.<br />

In dieser erweiterten Bedeutung werde ich mich denn des Worts: absolut, bedienen und es<br />

dem bloß komparativ o<strong>der</strong> <strong>in</strong> beson<strong>der</strong>er Rücksicht Gültigen entgegensetzen; denn dieses<br />

letztere ist auf Bed<strong>in</strong>gungen restr<strong>in</strong>giert, jenes aber gilt ohne Restriktion.<br />

Nun geht <strong>der</strong> transzendentale <strong>Vernunft</strong>begriff je<strong>der</strong>zeit nur auf die absolute Totalität <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Synthesis <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gungen und endigt niemals, als bei dem schlechth<strong>in</strong>, d.i. <strong>in</strong> je<strong>der</strong><br />

Beziehung, Unbed<strong>in</strong>gten. Denn die re<strong>in</strong>e <strong>Vernunft</strong> überläßt alles dem Verstande, <strong>der</strong> sich<br />

zunächst auf die Gegenstände <strong>der</strong> Anschauung o<strong>der</strong> vielmehr <strong>der</strong>en Synthesis <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>bildungskraft bezieht. Jene behält sich alle<strong>in</strong> die absolute Totalität im Gebrauche <strong>der</strong><br />

Verstandesbegriffe vor und sucht die synthetische E<strong>in</strong>heit, welche <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kategorie<br />

gedacht wird, bis zum Schlechth<strong>in</strong>unbed<strong>in</strong>gten h<strong>in</strong>auszuführen. Man kann daher diese die<br />

<strong>Vernunft</strong>e<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen, so wie jene, welche die Kategorie ausdrückt,<br />

Verstandese<strong>in</strong>heit nennen. So bezieht sich demnach die <strong>Vernunft</strong> nur auf den<br />

Verstandesgebrauch und zwar nicht, sofern dieser den Grund möglicher Erfahrung enthält<br />

(denn die absolute Totalität <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gungen ist ke<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Erfahrung brauchbarer<br />

Begriff, weil ke<strong>in</strong>e Erfahrung unbed<strong>in</strong>gt ist), son<strong>der</strong>n um ihm die Richtung auf e<strong>in</strong>e gewisse<br />

E<strong>in</strong>heit vorzuschreiben, <strong>von</strong> <strong>der</strong> <strong>der</strong> Verstand ke<strong>in</strong>en Begriff hat und die darauf h<strong>in</strong>ausgeht,<br />

alle Verstandeshandlungen, <strong>in</strong> Ansehung e<strong>in</strong>es jeden Gegenstandes, <strong>in</strong> e<strong>in</strong> absolutes<br />

Ganzes zusammenzufassen. Daher ist <strong>der</strong> objektive Gebrauch <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong>begriffe<br />

je<strong>der</strong>zeit transzendent, <strong>in</strong>dessen, daß <strong>der</strong>, <strong>von</strong> den <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandesbegriffen, se<strong>in</strong>er<br />

Natur nach je<strong>der</strong>zeit immanent se<strong>in</strong> muß, <strong>in</strong>dem er sich bloß auf mögliche Erfahrung<br />

e<strong>in</strong>schränkt.<br />

Ich verstehe unter <strong>der</strong> Idee e<strong>in</strong>en notwendigen <strong>Vernunft</strong>begriff, dem ke<strong>in</strong> kongruieren<strong>der</strong><br />

Gegenstand <strong>in</strong> den S<strong>in</strong>nen gegeben werden kann. Also s<strong>in</strong>d unsere jetzt erwogenen<br />

<strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong>begriffe transzendentale Ideen. Sie s<strong>in</strong>d Begriffe <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong>; denn<br />

sie betrachten alles Erfahrungserkenntnis als bestimmt durch e<strong>in</strong>e absolute Totalität <strong>der</strong><br />

Bed<strong>in</strong>gungen. Sie s<strong>in</strong>d nicht willkürlich erdichtet, son<strong>der</strong>n durch die Natur <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong><br />

selbst aufgegeben und beziehen sich daher notwendigerweise auf den ganzen<br />

Verstandesgebrauch. Sie s<strong>in</strong>d endlich transzendent und übersteigen die Grenze aller<br />

Erfahrung, <strong>in</strong> welcher also niemals e<strong>in</strong> Gegenstand vorkommen kann, <strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

transzendentalen Idee adäquat wäre. Wenn man e<strong>in</strong>e Idee nennt, so sagt man, dem<br />

Objekt nach (als <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Gegenstande des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes), sehr viel, dem Subjekte<br />

nach aber (d.i. <strong>in</strong> Ansehung se<strong>in</strong>er Wirklichkeit unter empirischer Bed<strong>in</strong>gung) eben darum<br />

sehr wenig, weil sie, als <strong>der</strong> Begriff e<strong>in</strong>es Maximum, <strong>in</strong> concreto niemals kongruent kann<br />

gegeben werden. Weil nun das letztere im bloß spekulativen Gebrauch <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong><br />

125


eigentlich die ganze Absicht ist, und die Annäherung zu e<strong>in</strong>em Begriffe, <strong>der</strong> aber <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Ausübung doch niemals erreicht wird, ebensoviel ist, als ob <strong>der</strong> Begriff ganz und gar<br />

verfehlt würde, so heißt es <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em <strong>der</strong>gleichen Begriffe: er ist nur e<strong>in</strong>e Idee. So würde<br />

man sagen können: das absolute Ganze aller Ersche<strong>in</strong>ungen ist nur e<strong>in</strong>e Idee, denn, da<br />

wir <strong>der</strong>gleichen niemals im Bilde entwerfen können, so bleibt es e<strong>in</strong> Problem ohne alle<br />

Auflösung. Dagegen, weil es im praktischen Gebrauch des Verstandes ganz alle<strong>in</strong> um die<br />

Ausübung nach Regeln zu tun ist, so kann die Idee <strong>der</strong> praktischen <strong>Vernunft</strong> je<strong>der</strong>zeit<br />

wirklich, obzwar nur zum Teil, <strong>in</strong> concreto gegeben werden, ja sie ist die unentbehrliche<br />

Bed<strong>in</strong>gung jedes praktischen Gebrauchs <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong>. Ihre Ausübung ist je<strong>der</strong>zeit<br />

begrenzt und mangelhaft, aber unter nicht bestimmbaren Grenzen, also je<strong>der</strong>zeit unter<br />

dem E<strong>in</strong>flusse des Begriffs e<strong>in</strong>er absoluten Vollständigkeit. Demnach ist die praktische<br />

Idee je<strong>der</strong>zeit höchst fruchtbar und <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong> wirklichen Handlungen unumgänglich<br />

notwendig. In ihr hat die re<strong>in</strong>e <strong>Vernunft</strong> sogar Kausalität, das wirklich hervorzubr<strong>in</strong>gen, was<br />

ihr Begriff enthält; daher kann man <strong>von</strong> <strong>der</strong> Weisheit nicht gleichsam ger<strong>in</strong>gschätzig<br />

sagen: sie ist nur e<strong>in</strong>e Idee; son<strong>der</strong>n eben darum, weil sie die Idee <strong>von</strong> <strong>der</strong> notwendigen<br />

E<strong>in</strong>heit aller möglichen Zwecke ist, so muß sie allem Praktischen als ursprüngliche, zum<br />

wenigsten e<strong>in</strong>schränkende, Bed<strong>in</strong>gung zur Regel dienen.<br />

Ob wir nun gleich <strong>von</strong> den transzendentalen <strong>Vernunft</strong>begriffen sagen müssen: sie s<strong>in</strong>d nur<br />

Ideen, so werden wir sie doch ke<strong>in</strong>eswegs für überflüssig und nichtig anzusehen haben.<br />

Denn wenn schon dadurch ke<strong>in</strong> Objekt bestimmt werden kann, so können sie doch im<br />

Grunde und unbemerkt dem Verstande zum Kanon se<strong>in</strong>es ausgebreiteten und e<strong>in</strong>helligen<br />

Gebrauchs dienen, dadurch er zwar ke<strong>in</strong>en Gegenstand mehr erkennt, als er nach se<strong>in</strong>en<br />

Begriffen erkennen würde, aber doch <strong>in</strong> dieser Erkenntnis besser und weiter geleitet wird.<br />

Zu geschweigen, daß sie vielleicht <strong>von</strong> den Naturbegriffen zu den praktischen e<strong>in</strong>en<br />

Übergang möglich machen und den moralischen Ideen selbst auf solche Art Haltung und<br />

Zusammenhang mit den spekulativen Erkenntnissen <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong> verschaffen können.<br />

Über alles dieses muß man den Aufschluß <strong>in</strong> dem Verfolg erwarten.<br />

Unserer Absicht gemäß setzen wir aber hier die praktischen Ideen beiseite und betrachten<br />

daher die <strong>Vernunft</strong> nur im spekulativen, und <strong>in</strong> diesem noch enger, nämlich nur im<br />

transzendentalen Gebrauch. Hier müssen wir nun denselben Weg e<strong>in</strong>schlagen, den wir<br />

oben bei <strong>der</strong> Deduktion <strong>der</strong> Kategorien nahmen, nämlich die logische Form <strong>der</strong><br />

<strong>Vernunft</strong>erkenntnis erwägen und sehen, ob nicht etwa die <strong>Vernunft</strong> dadurch auch e<strong>in</strong> Quell<br />

<strong>von</strong> Begriffen werde, Objekte an sich selbst, als synthetisch a priori bestimmt, <strong>in</strong> Ansehung<br />

e<strong>in</strong>er o<strong>der</strong> <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Funktion <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong>, anzusehen.<br />

<strong>Vernunft</strong>, als Vermögen e<strong>in</strong>er gewissen logischen Form <strong>der</strong> Erkenntnis betrachtet, ist das<br />

Vermögen zu schließen, d.i. mittelbar (durch die Subsumtion <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gung e<strong>in</strong>es<br />

möglichen Urteils unter die Bed<strong>in</strong>gung e<strong>in</strong>es gegebenen) zu urteilen. Das gegebene Urteil<br />

ist die allgeme<strong>in</strong>e Regel (Obersatz, Maior). Die Subsumtion <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gung e<strong>in</strong>es an<strong>der</strong>en<br />

möglichen Urteils unter die Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> Regel ist <strong>der</strong> Untersatz (M<strong>in</strong>or); das wirkliche<br />

Urteil, welches die Assertion <strong>der</strong> Regel <strong>in</strong> dem subsumierten Falle aussagt, ist <strong>der</strong><br />

Schlußsatz (Conclusio). Die Regel nämlich sagt etwas allgeme<strong>in</strong> unter e<strong>in</strong>er gewissen<br />

Bed<strong>in</strong>gung. Nun f<strong>in</strong>det <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em vorkommenden Falle die Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> Regel statt. Also<br />

wird das, was unter jener Bed<strong>in</strong>gung allgeme<strong>in</strong> galt, auch <strong>in</strong> dem vorkommenden Falle<br />

(<strong>der</strong> diese Bed<strong>in</strong>gung bei sich führt) als gültig angesehen. Man sieht leicht, daß die<br />

<strong>Vernunft</strong> durch Verstandeshandlungen, welche e<strong>in</strong>e Reihe <strong>von</strong> Bed<strong>in</strong>gungen ausmachen,<br />

zu e<strong>in</strong>em Erkenntnisse gelange. Wenn ich zu dem Satze: alle Körper s<strong>in</strong>d verän<strong>der</strong>lich,<br />

nur dadurch gelange, daß ich <strong>von</strong> dem entfernteren Erkenntnis (wor<strong>in</strong> <strong>der</strong> Begriff des<br />

Körpers noch nicht vorkommt, <strong>der</strong> aber doch da<strong>von</strong> die Bed<strong>in</strong>gung enthält) anfange: alles<br />

Zusammengesetzte ist verän<strong>der</strong>lich, <strong>von</strong> diesem zu e<strong>in</strong>em näheren gehe, <strong>der</strong> unter <strong>der</strong><br />

Bed<strong>in</strong>gung des ersteren steht: die Körper s<strong>in</strong>d zusammengesetzt und <strong>von</strong> diesem allererst<br />

126


zu e<strong>in</strong>em dritten, <strong>der</strong> nunmehr die entfernte Erkenntnis (verän<strong>der</strong>lich) mit <strong>der</strong> vorliegenden<br />

verknüpft: folglich s<strong>in</strong>d die Körper verän<strong>der</strong>lich, so b<strong>in</strong> ich durch e<strong>in</strong>e Reihe <strong>von</strong><br />

Bed<strong>in</strong>gungen (Prämissen) zu e<strong>in</strong>er Erkenntnis (Conclusion) gelangt. Nun läßt sich e<strong>in</strong>e<br />

jede Reihe, <strong>der</strong>en Exponent (des kategorischen o<strong>der</strong> hypothetischen Urteils) gegeben ist,<br />

fortsetzen; mith<strong>in</strong> führt ebendieselbe <strong>Vernunft</strong>handlung zur ratioc<strong>in</strong>atio polysyllogistica,<br />

welches e<strong>in</strong>e Reihe <strong>von</strong> Schlüssen ist, die entwe<strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gungen (per<br />

prosyllogismos), o<strong>der</strong> des Bed<strong>in</strong>gten (per episyllogismos), <strong>in</strong> unbestimmte Weiten<br />

fortgesetzt werden kann.<br />

Man wird aber bald <strong>in</strong>ne, daß die Kette o<strong>der</strong> Reihe <strong>der</strong> Prosyllogismen, d.i. <strong>der</strong> gefolgerten<br />

Erkenntnisse auf <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> Gründe o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gungen zu e<strong>in</strong>em gegebenen<br />

Erkenntnis, mit an<strong>der</strong>en Worten: die aufsteigende Reihe <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong>schlüsse sich gegen<br />

das <strong>Vernunft</strong>vermögen doch an<strong>der</strong>s verhalten müsse, als die absteigende Reihe, d.i. <strong>der</strong><br />

Fortgang <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong> auf <strong>der</strong> Seite des Bed<strong>in</strong>gten durch Episyllogismen. Denn, da im<br />

ersteren Falle das Erkenntnis (conclusio) nur als bed<strong>in</strong>gt gegeben ist: so kann man zu<br />

demselben vermittels <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong> nicht an<strong>der</strong>s gelangen, als wenigstens unter <strong>der</strong><br />

Voraussetzung, daß alle Glie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Reihe auf <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gungen gegeben s<strong>in</strong>d<br />

(Totalität <strong>in</strong> <strong>der</strong> Reihe <strong>der</strong> Prämissen), weil nur unter <strong>der</strong>en Voraussetzung das vorliegende<br />

Urteil a priori möglich ist; dagegen auf <strong>der</strong> Seite des Bed<strong>in</strong>gten o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Folgerungen, nur<br />

e<strong>in</strong>e werdende und nicht schon ganz vorausgesetzte o<strong>der</strong> gegebene Reihe, mith<strong>in</strong> nur e<strong>in</strong><br />

potentialer Fortgang gedacht wird. Daher wenn e<strong>in</strong>e Erkenntnis als bed<strong>in</strong>gt angesehen<br />

wird, so ist die <strong>Vernunft</strong> genötigt, die Reihe <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> aufsteigen<strong>der</strong> L<strong>in</strong>ie als<br />

vollendet und ihrer Totalität nach gegeben anzusehen. Wenn aber ebendieselbe<br />

Erkenntnis zugleich als Bed<strong>in</strong>gung an<strong>der</strong>er Erkenntnisse angesehen wird, die<br />

untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Reihe <strong>von</strong> Folgerungen <strong>in</strong> absteigen<strong>der</strong> L<strong>in</strong>ie ausmachen, so kann es<br />

<strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong> ganz gleichgültig se<strong>in</strong>, wie weit dieser Fortgang sich a parte posterioi<br />

erstrecke und ob gar überall Totalität dieser Reihe möglich sei; weil sie e<strong>in</strong>er <strong>der</strong>gleichen<br />

Reihe zu <strong>der</strong> vor ihr liegenden Konklusion nicht bedarf, <strong>in</strong>dem diese durch ihre Gründe a<br />

parte priori schon h<strong>in</strong>reichend bestimmt und gesichert ist. Es mag nun se<strong>in</strong>, daß auf <strong>der</strong><br />

Seite <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gungen die Reihe <strong>der</strong> Prämissen e<strong>in</strong> Erstes habe als oberste Bed<strong>in</strong>gung<br />

o<strong>der</strong> nicht und also a parte priori ohne Grenzen sei, so muß sie doch Totalität <strong>der</strong><br />

Bed<strong>in</strong>gung enthalten, gesetzt, daß wir niemals dah<strong>in</strong> gelangen könnten, sie zu fassen und<br />

die ganze Reihe muß unbed<strong>in</strong>gt wahr se<strong>in</strong>, wenn das Bed<strong>in</strong>gte, welches als e<strong>in</strong>e daraus<br />

entspr<strong>in</strong>gende Folgerung angesehen wird, als wahr gelten soll. Dieses ist e<strong>in</strong>e For<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong>, die ihr Erkenntnis als a priori bestimmt und als notwendig ankündigt,<br />

entwe<strong>der</strong> an sich selbst, und dann bedarf es ke<strong>in</strong>er Gründe, o<strong>der</strong>, wenn es abgeleitet ist,<br />

als e<strong>in</strong> Glied e<strong>in</strong>er Reihe <strong>von</strong> Gründen, die selbst unbed<strong>in</strong>gterweise wahr ist.<br />

127


3. Abschnitt: System <strong>der</strong> transzendentalen Ideen<br />

Wir haben es hier nicht mit e<strong>in</strong>er logischen Dialektik zu tun, welche <strong>von</strong> allem Inhalte <strong>der</strong><br />

Erkenntnis abstrahiert und lediglich den falschen Sche<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Form <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong>schlüsse<br />

aufdeckt, son<strong>der</strong>n mit e<strong>in</strong>er transzendentalen, welche, völlig a priori, den Ursprung<br />

gewisser Erkenntnisse aus re<strong>in</strong>er <strong>Vernunft</strong> und geschlossener Begriffe, <strong>der</strong>en Gegenstand<br />

empirisch gar nicht gegeben werden kann, die also gänzlich außer dem Vermögen des<br />

<strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes liegen, enthalten soll. Wir haben aus <strong>der</strong> natürlichen Beziehung, die <strong>der</strong><br />

transzendentale Gebrauch unserer Erkenntnis, sowohl <strong>in</strong> Schlüssen, als Urteilen, auf den<br />

logischen haben muß, abgenommen: daß es nur drei Arten <strong>von</strong> dialektischen Schlüssen<br />

geben werde, die sich auf die dreierlei Schlußarten beziehen, durch welche <strong>Vernunft</strong> aus<br />

Pr<strong>in</strong>zipien zu Erkenntnissen gelangen kann, und daß <strong>in</strong> allen ihr Geschäft sei, <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />

bed<strong>in</strong>gten Synthesis, an die <strong>der</strong> Verstand je<strong>der</strong>zeit gebunden bleibt, zur unbed<strong>in</strong>gten<br />

aufzusteigen, die er niemals erreichen kann.<br />

Nun ist das Allgeme<strong>in</strong>e aller Beziehung, die unsere Vorstellungen haben können:<br />

1) die Beziehung aufs Subjekt,<br />

2) die Beziehung auf Objekte, und zwar entwe<strong>der</strong> als Ersche<strong>in</strong>ungen o<strong>der</strong> als<br />

Gegenstände des Denkens überhaupt.<br />

Wenn man diese Untere<strong>in</strong>teilung mit <strong>der</strong> oberen verb<strong>in</strong>det, so ist alles Verhältnis <strong>der</strong><br />

Vorstellungen, da<strong>von</strong> wir uns entwe<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Begriff o<strong>der</strong> Idee machen können, dreifach:<br />

1. das Verhältnis zum Subjekt,<br />

2. zum Mannigfaltigen des Objekts <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung,<br />

3. zu allen D<strong>in</strong>gen überhaupt.<br />

Nun haben es alle <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Begriffe überhaupt mit <strong>der</strong> synthetischen E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong><br />

Vorstellungen, Begriffe <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong> (transszendentale Ideen) aber mit <strong>der</strong><br />

unbed<strong>in</strong>gten synthetischen E<strong>in</strong>heit aller Bed<strong>in</strong>gungen überhaupt zu tun.<br />

Folglich werden alle transzendentalen Ideen sich unter drei Klassen br<strong>in</strong>gen lassen, da<strong>von</strong><br />

die erste die absolute (unbed<strong>in</strong>gte) E<strong>in</strong>heit des denkenden Subjekts,<br />

die zweite die absolute E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Reihe <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung,<br />

die dritte die absolute E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gung aller Gegenstände des Denkens überhaupt<br />

enthält.<br />

Das denkende Subjekt ist <strong>der</strong> Gegenstand <strong>der</strong> Psychologie, <strong>der</strong> Inbegriff aller<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen (die Welt) <strong>der</strong> Gegenstand <strong>der</strong> Kosmologie und das D<strong>in</strong>g, welches die<br />

oberste Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>von</strong> allem, was gedacht werden kann, enthält (das<br />

Wesen aller Wesen), <strong>der</strong> Gegenstand <strong>der</strong> Theologie.<br />

Also gibt die re<strong>in</strong>e <strong>Vernunft</strong> die Idee zu e<strong>in</strong>er transzendentalen Seelenlehre (psychologia<br />

rationalis), zu e<strong>in</strong>er transzendentalen Weltwissenschaft (cosmologia rationalis), endlich<br />

auch zu e<strong>in</strong>er transzendentalen Gotteserkenntnis (theologia transzendentalis) an die<br />

Hand. Der bloße Entwurf sogar zu e<strong>in</strong>er sowohl als <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en dieser Wissenschaften<br />

schreibt sich gar nicht <strong>von</strong> dem Verstande her, selbst, wenn er gleich mit dem höchsten<br />

logischen Gebrauche <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong>, d.i. allen erdenklichen Schlüssen verbunden wäre, um<br />

<strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Gegenstande desselben (Ersche<strong>in</strong>ung) zu allen an<strong>der</strong>en bis <strong>in</strong> die entlegensten<br />

Glie<strong>der</strong> <strong>der</strong> empirischen Synthesis fortzuschreiten, son<strong>der</strong>n ist lediglich e<strong>in</strong> re<strong>in</strong>es und<br />

echtes Produkt o<strong>der</strong> Problem <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong>.<br />

Was unter diesen drei Titeln aller transzendentalen Ideen für modi <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong><br />

<strong>Vernunft</strong>begriffe stehen, wird <strong>in</strong> dem folgenden Hauptstücke vollständig dargelegt werden.<br />

Sie laufen am Faden <strong>der</strong> Kategorien fort. Denn die re<strong>in</strong>e <strong>Vernunft</strong> bezieht sich niemals<br />

geradezu auf Gegenstände, son<strong>der</strong>n auf die Verstandesbegriffe <strong>von</strong> denselben. Ebenso<br />

wird sich auch nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> völligen Ausführung deutlich machen lassen, wie die <strong>Vernunft</strong><br />

lediglich durch den synthetischen Gebrauch eben<strong>der</strong>selben Funktion, <strong>der</strong>en sie sich zum<br />

128


kategorischen <strong>Vernunft</strong>schlusse bedient, notwendigerweise auf den Begriff <strong>der</strong> absoluten<br />

E<strong>in</strong>heit des denkenden Subjekts kommen müsse, wie das logische Verfahren <strong>in</strong><br />

hypothetischen die Idee vom Schlechth<strong>in</strong>unbed<strong>in</strong>gten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Reihe gegebener<br />

Bed<strong>in</strong>gungen, endlich die bloße Form des disjunktiven <strong>Vernunft</strong>schlusses den höchsten<br />

<strong>Vernunft</strong>begriff <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Wesen aller Wesen notwendigerweise nach sich ziehen müsse,<br />

e<strong>in</strong> Gedanke, <strong>der</strong> beim ersten Anblick äußerst paradox zu se<strong>in</strong> sche<strong>in</strong>t.<br />

Von diesen transzendentalen Ideen ist eigentlich ke<strong>in</strong>e objektive Deduktion möglich, so<br />

wie wir sie <strong>von</strong> den Kategorien liefern konnten. Denn <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat haben sie ke<strong>in</strong>e Beziehung<br />

auf irgende<strong>in</strong> Objekt, was ihnen kongruent gegeben werden könnte, eben darum weil sie<br />

nur Ideen s<strong>in</strong>d. Aber e<strong>in</strong>e subjektive Anleitung <strong>der</strong>selben aus <strong>der</strong> Natur unserer <strong>Vernunft</strong><br />

konnten wir unternehmen und die ist im gegenwärtigen Hauptstücke auch geleistet<br />

worden.<br />

Man sieht leicht, daß die re<strong>in</strong>e <strong>Vernunft</strong> nichts an<strong>der</strong>es zur Absicht habe, als die absolute<br />

Totalität <strong>der</strong> Synthesis auf <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gungen (es sei <strong>der</strong> Inhärenz, o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Dependenz, o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Konkurrenz) und daß sie mit <strong>der</strong> absoluten Vollständigkeit <strong>von</strong><br />

Seiten des Bed<strong>in</strong>gten nichts zu schaffen habe. Denn nur alle<strong>in</strong> jener bedarf sie, um die<br />

ganze Reihe <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gungen vorauszusetzen und sie dadurch dem Verstande a priori zu<br />

geben. Ist aber e<strong>in</strong>e vollständig (und unbed<strong>in</strong>gt) gegebene Bed<strong>in</strong>gung e<strong>in</strong>mal da, so<br />

bedarf es nicht mehr e<strong>in</strong>es <strong>Vernunft</strong>begriffs <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong> Fortsetzung <strong>der</strong> Reihe; denn<br />

<strong>der</strong> Verstand tut jeden Schritt abwärts, <strong>von</strong> <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gung zum Bed<strong>in</strong>gten, <strong>von</strong> selber. Auf<br />

solche Weise dienen die transzendentalen Ideen nur zum Aufsteigen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Reihe <strong>der</strong><br />

Bed<strong>in</strong>gungen, bis zum Unbed<strong>in</strong>gten, d.i. zu den Pr<strong>in</strong>zipien. In Ansehung des H<strong>in</strong>abgehens<br />

zum Bed<strong>in</strong>gten aber, gibt es zwar e<strong>in</strong>en weit erstreckten logischen Gebrauch, den unsere<br />

<strong>Vernunft</strong> <strong>von</strong> den Verstandesgesetzen macht, aber gar ke<strong>in</strong>en transzendentalen; und,<br />

wenn wir uns <strong>von</strong> <strong>der</strong> absoluten Totalität e<strong>in</strong>er solchen Synthesis (des progressus) e<strong>in</strong>e<br />

Idee machen, z.B. <strong>von</strong> <strong>der</strong> ganzen Reihe aller künftigen Weltverän<strong>der</strong>ungen, so ist dieses<br />

e<strong>in</strong> Gedankend<strong>in</strong>g (ens rationis), welches nur willkürlich gedacht und nicht durch die<br />

<strong>Vernunft</strong> notwendig vorausgesetzt wird. Denn zur Möglichkeit des Bed<strong>in</strong>gten wird zwar die<br />

Totalität se<strong>in</strong>er Bed<strong>in</strong>gungen, aber nicht se<strong>in</strong>er Folgen vorausgesetzt. Folglich ist e<strong>in</strong><br />

solcher Begriff ke<strong>in</strong>e transzendentale Idee, mit <strong>der</strong> wir es doch hier lediglich zu tun haben.<br />

Zuletzt wird man auch gewahr, daß unter den transzendentalen Ideen selbst e<strong>in</strong> gewisser<br />

Zusammenhang und E<strong>in</strong>heit hervorleuchte, und daß die re<strong>in</strong>e <strong>Vernunft</strong>, vermittels ihrer,<br />

alle ihre Erkenntnisse <strong>in</strong> e<strong>in</strong> System br<strong>in</strong>ge. Von <strong>der</strong> Erkenntnis se<strong>in</strong>er selbst (<strong>der</strong> Seele)<br />

zur Welterkenntnis und, vermittels dieser, zum Urwesen fortzugehen, ist e<strong>in</strong> so natürlicher<br />

Fortschritt, daß er dem logischen Fortgange <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong>, <strong>von</strong> den Prämissen zum<br />

Schlußsatze ähnlich sche<strong>in</strong>t. Ob nun hier wirklich e<strong>in</strong>e Verwandtschaft <strong>von</strong> <strong>der</strong> Art, als<br />

zwischen dem logischen und transzendentalen Verfahren, <strong>in</strong>sgeheim zugrunde liege, ist<br />

auch e<strong>in</strong>e <strong>von</strong> den Fragen, <strong>der</strong>en Beantwortung man <strong>in</strong> dem Verfolg dieser<br />

Untersuchungen allererst erwarten muß. Wir haben vorläufig unseren Zweck schon<br />

erreicht, da wir die transzendentalen Begriffe <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong>, die sich sonst gewöhnlich <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Theorie <strong>der</strong> Philosophen unter an<strong>der</strong>e mischen, ohne daß diese sie e<strong>in</strong>mal <strong>von</strong><br />

Verstandesbegriffen gehörig unterscheiden, aus dieser zweideutigen Lage haben<br />

herausziehen, ihren Ursprung und dadurch zugleich ihre bestimmte Zahl, über die es gar<br />

ke<strong>in</strong>e mehr geben kann, angeben und sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em systematischen Zusammenhange<br />

haben vorstellen können, wodurch e<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>es Feld für die re<strong>in</strong>e <strong>Vernunft</strong> abgesteckt<br />

und e<strong>in</strong>geschränkt wird.<br />

129


Zweites Buch: Von den dialektischen Schlüssen <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong><br />

<strong>Vernunft</strong><br />

Man kann sagen: <strong>der</strong> Gegenstand e<strong>in</strong>er bloßen transzendentalen Idee sei etwas, wo<strong>von</strong><br />

man ke<strong>in</strong>en Begriff hat, obgleich diese Idee ganz notwendig <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong> nach ihren<br />

ursprünglichen Gesetzen erzeugt worden. Denn <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat ist auch <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Gegenstande, <strong>der</strong> <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong> adäquat se<strong>in</strong> soll, ke<strong>in</strong> Verstandesbegriff<br />

möglich, d.i. e<strong>in</strong> solcher, welcher <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er möglichen Erfahrung gezeigt und anschaulich<br />

gemacht werden kann. Besser würde man sich doch und mit weniger Gefahr des<br />

Mißverständnisses ausdrücken, wenn man sagte, daß wir vom Objekt, welches e<strong>in</strong>er Idee<br />

korrespondiert, ke<strong>in</strong>e Kenntnis, obzwar e<strong>in</strong>en problematischen Begriff haben können.<br />

Nun beruht wenigstens die transzendentale (subjektive) Realität <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong><br />

<strong>Vernunft</strong>begriffe darauf, daß wir durch e<strong>in</strong>en notwendigen <strong>Vernunft</strong>schluß auf solche Ideen<br />

gebracht werden. Also wird es <strong>Vernunft</strong>schlüsse geben, die ke<strong>in</strong>e empirischen Prämissen<br />

enthalten und vermittels <strong>der</strong>en wir <strong>von</strong> etwas, das wir kennen, auf etwas an<strong>der</strong>es<br />

schließen, wo<strong>von</strong> wir doch ke<strong>in</strong>en Begriff haben und dem wir gleichwohl, durch e<strong>in</strong>en<br />

unvermeidlichen Sche<strong>in</strong>, objektive Realität geben. Dergleichen Schlüsse s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Ansehung<br />

ihres Resultats also eher vernünftelnde, als <strong>Vernunft</strong>schlüsse zu nennen; wiewohl sie,<br />

ihrer Veranlassung wegen, wohl den letzteren Namen führen können, weil sie doch nicht<br />

erdichtet, o<strong>der</strong> zufällig entstanden, son<strong>der</strong>n aus <strong>der</strong> Natur <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong> entsprungen s<strong>in</strong>d.<br />

Es s<strong>in</strong>d Sophistikationen, nicht <strong>der</strong> Menschen, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong> selbst, <strong>von</strong><br />

denen selbst <strong>der</strong> weiseste unter allen Menschen sich nicht losmachen, und vielleicht zwar<br />

nach vieler Bemühung den Irrtum verhüten, den Sche<strong>in</strong> aber, <strong>der</strong> ihn unaufhörlich zwackt<br />

und äfft, niemals völlig loswerden kann.<br />

Dieser dialektischen <strong>Vernunft</strong>schlüsse gibt es also nur dreierlei Arten, so vielfach, als die<br />

Ideen s<strong>in</strong>d, auf die ihre Schlußsätze auslaufen.<br />

In dem <strong>Vernunft</strong>schlusse <strong>der</strong> ersten Klasse schließe ich <strong>von</strong> dem transzendentalen<br />

Begriffe des Subjekts, <strong>der</strong> nichts Mannigfaltiges enthält, auf die absolute E<strong>in</strong>heit dieses<br />

Subjekts selber, <strong>von</strong> welchem ich auf diese Weise gar ke<strong>in</strong>en Begriff habe. Diesen<br />

dialektischen Schluß werde ich den transzendentalen Paralogismus nennen.<br />

Die zweite Klasse <strong>der</strong> vernünftelnden Schlüsse ist auf den transzendentalen Begriff <strong>der</strong><br />

absoluten Totalität, <strong>der</strong> Reihe <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gungen zu e<strong>in</strong>er gegebenen Ersche<strong>in</strong>ung<br />

überhaupt, angelegt und ich schließe daraus, daß ich <strong>von</strong> <strong>der</strong> unbed<strong>in</strong>gten synthetischen<br />

E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Reihe auf e<strong>in</strong>er Seite, je<strong>der</strong>zeit e<strong>in</strong>en sich selbst wi<strong>der</strong>sprechenden Begriff<br />

habe, auf die Richtigkeit <strong>der</strong> entgegenstehenden E<strong>in</strong>heit, wo<strong>von</strong> ich gleichwohl auch<br />

ke<strong>in</strong>en Begriff habe. Den Zustand <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong> bei diesen dialektischen Schlüssen werde<br />

ich die Ant<strong>in</strong>omie <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong> nennen.<br />

Endlich schließe ich, nach <strong>der</strong> dritten Art vernünfteln<strong>der</strong> Schlüsse, <strong>von</strong> <strong>der</strong> Totalität <strong>der</strong><br />

Bed<strong>in</strong>gungen, Gegenstände überhaupt, sofern sie mir gegeben werden können, zu<br />

denken, auf die absolute synthetische E<strong>in</strong>heit aller Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge<br />

überhaupt, d.i. <strong>von</strong> D<strong>in</strong>gen, die ich nach ihrem bloßen transzendentalen Begriff nicht<br />

kenne, auf e<strong>in</strong> Wesen aller Wesen, welches ich durch e<strong>in</strong>en transzendenten Begriff noch<br />

weniger kenne und <strong>von</strong> dessen unbed<strong>in</strong>gter Notwendigkeit ich mir ke<strong>in</strong>en Begriff machen<br />

kann. Diesen dialektischen <strong>Vernunft</strong>schluß werde ich das Ideal <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong><br />

nennen.<br />

130


Von den Paralogismen <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong><br />

Der logische Paralogismus besteht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Falschheit e<strong>in</strong>es <strong>Vernunft</strong>schlusses <strong>der</strong> Form<br />

nach, se<strong>in</strong> Inhalt mag übrigens se<strong>in</strong>, welcher er wolle. E<strong>in</strong> transzendentaler Paralogismus<br />

aber hat e<strong>in</strong>en transzendentalen Grund: <strong>der</strong> Form nach falsch zu schließen. Auf solche<br />

Weise wird e<strong>in</strong> <strong>der</strong>gleichen Fehlschluß <strong>in</strong> <strong>der</strong> Natur <strong>der</strong> Menschenvernunft se<strong>in</strong>en Grund<br />

haben und e<strong>in</strong>e unvermeidliche, obzwar nicht unauflösliche Illusion bei sich führen.<br />

Jetzt kommen wir auf e<strong>in</strong>en Begriff, <strong>der</strong> oben, <strong>in</strong> <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Liste <strong>der</strong><br />

transzendentalen Begriffe, nicht verzeichnet worden und dennoch dazu gezählt werden<br />

muß, ohne doch darum jene Tafel im m<strong>in</strong>desten zu verän<strong>der</strong>n und für mangelhaft zu<br />

erklären. Dieses ist <strong>der</strong> Begriff o<strong>der</strong>, wenn man lieber will, das Urteil: Ich denke.<br />

Man sieht aber leicht, daß er das Vehikel aller Begriffe überhaupt und mith<strong>in</strong> auch <strong>der</strong><br />

transzendentalen sei und also unter diesen je<strong>der</strong>zeit mit begriffen werde, und daher<br />

ebensowohl transzendental sei, aber ke<strong>in</strong>en beson<strong>der</strong>en Titel haben könne, weil er nur<br />

dazu dient, alles Denken, als zum Bewußtse<strong>in</strong> gehörig, aufzuführen. Indessen, so re<strong>in</strong> er<br />

auch vom Empirischen (dem E<strong>in</strong>drucke <strong>der</strong> S<strong>in</strong>ne) ist, so dient er doch dazu, zweierlei<br />

Gegenstände aus <strong>der</strong> Natur unserer Vorstellungskraft zu unterscheiden. Ich, als denkend,<br />

b<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Gegenstand des <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>nes und heiße Seele.<br />

Dasjenige, was e<strong>in</strong> Gegenstand äußerer S<strong>in</strong>ne ist, heißt Körper.<br />

Demnach bedeutet <strong>der</strong> Ausdruck: Ich, als e<strong>in</strong> denkend Wesen, schon den Gegenstand <strong>der</strong><br />

Psychologie, welche die rationale Seelenlehre heißen kann, wenn ich <strong>von</strong> <strong>der</strong> Seele nichts<br />

weiter zu wissen verlange, als was unabhängig <strong>von</strong> aller Erfahrung (welche mich näher<br />

und <strong>in</strong> concreto bestimmt) aus diesem Begriffe Ich, sofern er bei allem Denken vorkommt,<br />

geschlossen werden kann.<br />

Die rationale Seelenlehre ist nun wirklich e<strong>in</strong> Unterfangen <strong>von</strong> dieser Art, denn wenn das<br />

m<strong>in</strong>deste Empirische me<strong>in</strong>es Denkens, irgende<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e Wahrnehmung me<strong>in</strong>es<br />

<strong>in</strong>neren Zustandes noch unter die Erkenntnisgründe dieser Wissenschaft gemischt würde,<br />

so wäre sie nicht mehr rationale, son<strong>der</strong>n empirische Seelenlehre. Wir haben also schon<br />

e<strong>in</strong>e angebliche Wissenschaft vor uns, welche auf dem e<strong>in</strong>zigen Satze: Ich denke, erbaut<br />

worden und <strong>der</strong>en Grund o<strong>der</strong> Ungrund wir hier ganz schicklich und <strong>der</strong> Natur e<strong>in</strong>er<br />

Transzendentalphilosophie gemäß untersuchen können. Man darf sich daran nicht stoßen,<br />

daß ich doch an diesem Satze, <strong>der</strong> die Wahrnehmung se<strong>in</strong>er selbst ausdrückt, e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere<br />

Erfahrung habe, und mith<strong>in</strong> die rationale Seelenlehre, welche darauf erbaut wird, niemals<br />

re<strong>in</strong>, son<strong>der</strong>n zum Teil auf e<strong>in</strong> empirisches Pr<strong>in</strong>zipium gegründet sei. Denn diese <strong>in</strong>nere<br />

Wahrnehmung ist nichts weiter, als die bloße Apperzeption: Ich denke, welche sogar alle<br />

transzendentalen Begriffe möglich macht, <strong>in</strong> welchen es heißt: Ich denke die Substanz, die<br />

Ursache usw.. Denn <strong>in</strong>nere Erfahrung überhaupt und <strong>der</strong>en Möglichkeit, o<strong>der</strong><br />

Wahrnehmung überhaupt und <strong>der</strong>en Verhältnis zu an<strong>der</strong>er Wahrnehmung, ohne daß<br />

irgende<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>er Unterschied <strong>der</strong>selben und Bestimmung empirisch gegeben ist,<br />

kann nicht als empirische Erkenntnis, son<strong>der</strong>n muß als Erkenntnis des Empirischen<br />

überhaupt angesehen werden, und gehört zur Untersuchung <strong>der</strong> Möglichkeit e<strong>in</strong>er jeden<br />

Erfahrung, welche allerd<strong>in</strong>gs transzendental ist. Das m<strong>in</strong>deste Objekt <strong>der</strong> Wahrnehmung<br />

(z.B. nur Lust o<strong>der</strong> Unlust), welche zu <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Vorstellung des Selbstbewußtse<strong>in</strong>s<br />

h<strong>in</strong>zukäme, würde die rationale Psychologie sogleich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e empirische verwandeln.<br />

Ich denke, ist also <strong>der</strong> alle<strong>in</strong>ige Text <strong>der</strong> rationalen Psychologie, aus welchem sie ihre<br />

ganze Weisheit auswickeln soll. Man sieht leicht, daß dieser Gedanke, wenn er auf e<strong>in</strong>en<br />

Gegenstand (mich selbst) bezogen werden soll, nichts an<strong>der</strong>es, als transzendentale<br />

131


Prädikate desselben enthalten könne; weil das m<strong>in</strong>deste empirische Prädikat die rationale<br />

Re<strong>in</strong>igkeit und Unabhängigkeit <strong>der</strong> Wissenschaft <strong>von</strong> aller Erfahrung ver<strong>der</strong>ben würde.<br />

Wir werden aber hier bloß dem Leitfaden <strong>der</strong> Kategorien zu folgen haben; nur, da hier<br />

zuerst e<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g, Ich, als denkend Wesen, gegeben worden, so werden wir zwar die obige<br />

Ordnung <strong>der</strong> Kategorien untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, wie sie <strong>in</strong> ihrer Tafel vorgestellt ist, nicht<br />

verän<strong>der</strong>n, aber doch hier <strong>von</strong> <strong>der</strong> Kategorie <strong>der</strong> Substanz anfangen, dadurch e<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g an<br />

sich selbst vorgestellt wird, und so ihrer Reihe rückwärts nachgehen. Die Topik <strong>der</strong><br />

rationalen Seelenlehre, woraus alles übrige, was sie nur enthalten mag, abgeleitet werden<br />

muß, ist demnach folgende:<br />

1.<br />

Die Seele ist<br />

Substanz<br />

2. 3.<br />

Ihrer Qualität nach Den verschiedenen Zeiten nach,<br />

e<strong>in</strong>fach<br />

<strong>in</strong> welchen sie da ist,<br />

numerisch-identisch, d.i.<br />

E<strong>in</strong>heit (nicht Vielheit)<br />

4.<br />

Im Verhältnisse<br />

zu möglichen Gegenständen im Raume [16].<br />

Aus diesen Elementen entspr<strong>in</strong>gen alle Begriffe <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Seelenlehre, lediglich durch die<br />

Zusammensetzung, ohne im m<strong>in</strong>desten e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es Pr<strong>in</strong>zipium zu erkennen. Diese<br />

Substanz, bloß als Gegenstand des <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>nes, gibt den Begriff <strong>der</strong> Immaterialität; als<br />

e<strong>in</strong>fache Substanz, <strong>der</strong> Inkorruptibilität; die Identität <strong>der</strong>selben, als <strong>in</strong>tellektueller Substanz,<br />

gibt die Personalität; alle diese drei Stücke zusammen die Spiritualität; das Verhältnis zu<br />

den Gegenständen im Raume gibt das Kommerzium mit Körpern; mith<strong>in</strong> stellt sie die<br />

denkende Substanz, als das Pr<strong>in</strong>zipium des Lebens <strong>in</strong> <strong>der</strong> Materie, d.i. sie als Seele<br />

(anima) und als den Grund <strong>der</strong> Animalität vor: diese durch die Spiritualität e<strong>in</strong>geschränkt,<br />

Immortalität.<br />

Hierauf beziehen sich nun vier Paralogismen e<strong>in</strong>er transzendentalen Seelenlehre, welche<br />

fälschlich für e<strong>in</strong>e Wissenschaft <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong>, <strong>von</strong> <strong>der</strong> Natur unseres denkenden<br />

Wesens, gehalten wird. Zum Grunde <strong>der</strong>selben können wir aber nichts an<strong>der</strong>es legen, als<br />

die e<strong>in</strong>fache und für sich selbst an Inhalt gänzlich leere Vorstellung: Ich, <strong>von</strong> <strong>der</strong> man nicht<br />

e<strong>in</strong>mal sagen kann, daß sie e<strong>in</strong> Begriff sei, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong> bloßes Bewußtse<strong>in</strong>, das alle<br />

Begriffe begleitet. Durch dieses Ich, o<strong>der</strong> Er, o<strong>der</strong> Es (das D<strong>in</strong>g), welches denkt, wird nun<br />

nichts weiter als e<strong>in</strong> transzendentales Subjekt <strong>der</strong> Gedanken vorgestellt =X, welches nur<br />

durch die Gedanken, die se<strong>in</strong>e Prädikate s<strong>in</strong>d, erkannt wird und wo<strong>von</strong> wir, abgeson<strong>der</strong>t<br />

niemals den m<strong>in</strong>desten Begriff haben können, um welches wir uns daher <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

beständigen Zirkel herumdrehen, <strong>in</strong>dem wir uns se<strong>in</strong>er Vorstellung je<strong>der</strong>zeit schon<br />

bedienen müssen, um irgend etwas <strong>von</strong> ihm zu urteilen; e<strong>in</strong>e Unbequemlichkeit, die da<strong>von</strong><br />

nicht zu trennen ist, weil das Bewußtse<strong>in</strong> an sich nicht sowohl e<strong>in</strong>e Vorstellung ist, die e<strong>in</strong><br />

beson<strong>der</strong>es Objekt unterscheidet, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e Form <strong>der</strong>selben überhaupt, sofern sie<br />

Erkenntnis genannt werden soll; denn <strong>von</strong> <strong>der</strong> alle<strong>in</strong> kann ich sagen, daß ich dadurch<br />

irgend etwas denke.<br />

132


Es muß aber gleich anfangs befremdlich sche<strong>in</strong>en, daß die Bed<strong>in</strong>gung, unter <strong>der</strong> ich<br />

überhaupt denke und die mith<strong>in</strong> bloß e<strong>in</strong>e Beschaffenheit me<strong>in</strong>es Subjekts ist, zugleich für<br />

alles, was denkt, gültig se<strong>in</strong> solle, und daß wir auf e<strong>in</strong>en empirisch sche<strong>in</strong>enden Satz e<strong>in</strong><br />

apodiktisches und allgeme<strong>in</strong>es Urteil zu gründen uns anmaßen können, nämlich daß alles,<br />

was denkt, so beschaffen sei, als <strong>der</strong> Ausspruch des Selbstbewußtse<strong>in</strong>s es an mir<br />

aussagt. Die Ursache aber hier<strong>von</strong> liegt dar<strong>in</strong>, daß wir den D<strong>in</strong>gen a priori alle die<br />

Eigenschaften notwendig beilegen müssen, die die Bed<strong>in</strong>gungen ausmachen, unter<br />

welchen wir sie alle<strong>in</strong> denken. Nun kann ich <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em denkenden Wesen durch ke<strong>in</strong>e<br />

äußere Erfahrung, son<strong>der</strong>n bloß durch das Selbstbewußtse<strong>in</strong> die m<strong>in</strong>deste Vorstellung<br />

haben. Also s<strong>in</strong>d <strong>der</strong>gleichen Gegenstände nichts weiter, als die Übertragung dieses<br />

me<strong>in</strong>es Bewußtse<strong>in</strong>s auf an<strong>der</strong>e D<strong>in</strong>ge, welche nur dadurch als denkende Wesen<br />

vorgestellt werden. Der Satz: Ich denke, wird aber hierbei nur problematisch genommen;<br />

nicht sofern er e<strong>in</strong>e Wahrnehmung <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Dase<strong>in</strong> enthalten mag (das Kartesianische<br />

cogito, ergo sum), son<strong>der</strong>n se<strong>in</strong>er bloßen Möglichkeit nach, um zu sehen, welche<br />

Eigenschaften aus diesem so e<strong>in</strong>fachen Satze auf das Subjekt desselben (es mag<br />

<strong>der</strong>gleichen nun existieren o<strong>der</strong> nicht) fließen mögen.<br />

Läge unserer <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong>serkenntnis <strong>von</strong> denkenden Wesen überhaupt mehr als das<br />

cogito zugrunde; würden wir die Beobachtungen über das Spiel unserer Gedanken und<br />

die daraus zu schöpfenden Naturgesetze des denkenden Selbst auch zu Hilfe nehmen: so<br />

würde e<strong>in</strong>e empirische Psychologie entspr<strong>in</strong>gen, welche e<strong>in</strong>e Art <strong>der</strong> Physiologie des<br />

<strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>nes se<strong>in</strong> würde und vielleicht die Ersche<strong>in</strong>ungen desselben zu erklären,<br />

niemals aber dazu dienen könnte, solche Eigenschaften, die gar nicht zur möglichen<br />

Erfahrung gehören (als die des E<strong>in</strong>fachen) zu eröffnen, noch <strong>von</strong> denkenden Wesen<br />

überhaupt etwas, das ihre Natur betrifft, apodiktisch zu lehren; sie wäre also ke<strong>in</strong>e<br />

rationale Psychologie.<br />

Da nun <strong>der</strong> Satz: Ich denke (problematisch genommen), die Form e<strong>in</strong>es jeden<br />

Verstandesurteils überhaupt enthält und alle Kategorien als ihr Vehikel begleitet, so ist klar,<br />

daß die Schlüsse aus demselben e<strong>in</strong>en bloß transzendentalen Gebrauch des Verstandes<br />

enthalten können, welcher alle Beimischung <strong>der</strong> Erfahrung ausschlägt, und <strong>von</strong> dessen<br />

Fortgang wir nach dem, was wir oben gezeigt haben, uns schon zum voraus ke<strong>in</strong>en<br />

vorteilhaften Begriff machen können. Wir wollen ihn also durch alle Prädikamente <strong>der</strong><br />

<strong>re<strong>in</strong>en</strong> Seelenlehre mit e<strong>in</strong>em kritischen Auge verfolgen.<br />

Erster Paralogismus <strong>der</strong> Substantialität<br />

Dasjenige, dessen Vorstellung das absolute Subjekt unserer Urteile ist und daher nicht als<br />

Bestimmung e<strong>in</strong>es an<strong>der</strong>n D<strong>in</strong>ges gebraucht werden kann, ist Substanz.<br />

Ich, als e<strong>in</strong> denkend Wesen, b<strong>in</strong> das absolute Subjekt aller me<strong>in</strong>er möglichen Urteile, und<br />

diese Vorstellung <strong>von</strong> mir selbst kann nicht zum Prädikat irgende<strong>in</strong>es an<strong>der</strong>n D<strong>in</strong>ges<br />

gebraucht werden.<br />

Also b<strong>in</strong> ich, als denkend Wesen (Seele), Substanz.<br />

<strong>Kritik</strong> des ersten Paralogismus <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Psychologie<br />

Wir haben <strong>in</strong> dem analytischen Teile <strong>der</strong> transzendentalen Logik gezeigt: daß re<strong>in</strong>e<br />

Kategorien (und unter diesen auch die <strong>der</strong> Substanz) an sich selbst gar ke<strong>in</strong>e objektive<br />

Bedeutung haben, wo ihnen nicht e<strong>in</strong>e Anschauung untergelegt ist, auf <strong>der</strong>en<br />

Mannigfaltiges sie, als Funktionen <strong>der</strong> synthetischen E<strong>in</strong>heit, angewandt werden können.<br />

Ohne das s<strong>in</strong>d sie lediglich Funktionen e<strong>in</strong>es Urteils ohne Inhalt. Von jedem D<strong>in</strong>ge<br />

überhaupt kann ich sagen, es sei Substanz, sofern ich es <strong>von</strong> bloßen Prädikaten und<br />

133


Bestimmungen <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge unterscheide. Nun ist <strong>in</strong> allem unserem Denken das Ich das<br />

Subjekt, dem Gedanken nur als Bestimmungen <strong>in</strong>härieren und dieses Ich kann nicht als<br />

die Bestimmung e<strong>in</strong>es an<strong>der</strong>n D<strong>in</strong>ges gebraucht werden. Also muß je<strong>der</strong>mann sich selbst<br />

notwendigerweise als die Substanz, das Denken aber nur als Akzidenzen se<strong>in</strong>es Dase<strong>in</strong>s<br />

und Bestimmungen se<strong>in</strong>es Zustandes ansehen.<br />

Was soll ich aber nun <strong>von</strong> diesem Begriffe e<strong>in</strong>er Substanz für e<strong>in</strong>en Gebrauch machen?<br />

Daß ich, als e<strong>in</strong> denkend Wesen, für mich selbst fortdaure, natürlicherweise we<strong>der</strong><br />

entstehe noch vergehe, das kann ich daraus ke<strong>in</strong>eswegs schließen und dazu alle<strong>in</strong> kann<br />

mir doch <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Substantialität me<strong>in</strong>es denkenden Subjekts nutzen, ohne welches<br />

ich ihn gar wohl entbehren könnte.<br />

Es fehlt so viel, daß man diese Eigenschaften aus <strong>der</strong> bloßen <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Kategorie e<strong>in</strong>er<br />

Substanz schließen könnte, daß wir vielmehr die Beharrlichkeit e<strong>in</strong>es gegebenen<br />

Gegenstandes aus <strong>der</strong> Erfahrung zugrunde legen müssen, wenn wir auf ihn den empirisch<br />

brauchbaren Begriff <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er Substanz anwenden wollen. Nun haben wir aber bei<br />

unserem Satze ke<strong>in</strong>e Erfahrung zugrunde gelegt, son<strong>der</strong>n lediglich aus dem Begriffe <strong>der</strong><br />

Beziehung, den alles Denken, auf das Ich, als das geme<strong>in</strong>schaftliche Subjekt hat, dem es<br />

<strong>in</strong>häriert, geschlossen. Wir würden auch, wenn wir es gleich darauf anlegten, durch ke<strong>in</strong>e<br />

sichere Beobachtung e<strong>in</strong>e solche Beharrlichkeit dartun können. Denn das Ich ist zwar <strong>in</strong><br />

allen Gedanken; es ist aber mit dieser Vorstellung nicht die m<strong>in</strong>deste Anschauung<br />

verbunden, die es <strong>von</strong> an<strong>der</strong>en Gegenständen <strong>der</strong> Anschauung unterschiede. Man kann<br />

also zwar wahrnehmen, daß diese Vorstellung bei allem Denken immer wie<strong>der</strong>um<br />

vorkommt, nicht aber, daß es e<strong>in</strong>e stehende und bleibende Anschauung sei, wor<strong>in</strong> die<br />

Gedanken (als wandelbar) wechselten.<br />

Hieraus folgt: daß <strong>der</strong> erste <strong>Vernunft</strong>schluß <strong>der</strong> transzendentalen Psychologie uns nur<br />

e<strong>in</strong>e verme<strong>in</strong>tliche neue E<strong>in</strong>sicht aufhefte, <strong>in</strong>dem er das beständige logische Subjekt des<br />

Denkens für die Erkenntnis des realen Subjekts <strong>der</strong> Inhärenz ausgibt, <strong>von</strong> welchem wir<br />

nicht die m<strong>in</strong>deste Kenntnis haben, noch haben können, weil das Bewußtse<strong>in</strong> das e<strong>in</strong>zige<br />

ist, was alle Vorstellungen zu Gedanken macht und wor<strong>in</strong> mith<strong>in</strong> alle unsere<br />

Wahrnehmungen, als dem transzendentalen Subjekte, müssen angetroffen werden und<br />

wir, außer dieser logischen Bedeutung des Ich, ke<strong>in</strong>e Kenntnis <strong>von</strong> dem Subjekte an sich<br />

selbst haben, was diesem, so wie allen Gedanken, als Substratum zugrunde liegt.<br />

Indessen kann man den Satz: die Seele ist Substanz, gar wohl gelten lassen, wenn man<br />

sich nur bescheidet, daß dieser unser Begriff nicht im m<strong>in</strong>desten weiter führe, o<strong>der</strong><br />

irgende<strong>in</strong>e <strong>von</strong> den gewöhnlichen Folgerungen <strong>der</strong> vernünftelnden Seelenlehre, als z.B.<br />

die immerwährende Dauer <strong>der</strong>selben bei allen Verän<strong>der</strong>ungen und selbst dem Tode des<br />

Menschen lehren könne, daß er also nur e<strong>in</strong>e Substanz <strong>in</strong> <strong>der</strong> Idee, aber nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Realität bezeichne.<br />

134


Zweiter Paralogismus <strong>der</strong> Simplizität<br />

Dasjenige D<strong>in</strong>g, dessen Handlung niemals als die Konkurrenz vieler handelnden D<strong>in</strong>ge<br />

angesehen werden kann, ist e<strong>in</strong>fach.<br />

Nun ist die Seele, o<strong>der</strong> das denkende Ich, e<strong>in</strong> solches: Also usw..<br />

<strong>Kritik</strong> des zweiten Paralogismus <strong>der</strong> transzendentalen Psychologie<br />

Dies ist <strong>der</strong> Achilles aller dialektischen Schlüsse <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Seelenlehre, nicht etwa bloß<br />

e<strong>in</strong> sophistisches Spiel, welches e<strong>in</strong> Dogmatiker erkünstelt, um se<strong>in</strong>en Behauptungen<br />

e<strong>in</strong>en flüchtigen Sche<strong>in</strong> zu geben, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong> Schluß, <strong>der</strong> sogar die schärfste Prüfung<br />

und die größte Bedenklichkeit des Nachforschens auszuhalten sche<strong>in</strong>t. Hier ist er:<br />

E<strong>in</strong>e jede zusammengesetzte Substanz ist e<strong>in</strong> Aggregat vieler und die Handlung e<strong>in</strong>es<br />

Zusammengesetzten, o<strong>der</strong> das, was ihm als e<strong>in</strong>em solchen <strong>in</strong>häriert, ist e<strong>in</strong> Aggregat<br />

vieler Handlungen o<strong>der</strong> Akzidenzen, welche unter <strong>der</strong> Menge <strong>der</strong> Substanzen verteilt s<strong>in</strong>d.<br />

Nun ist zwar e<strong>in</strong>e Wirkung, die aus <strong>der</strong> Konkurrenz vieler handelnden Substanzen<br />

entspr<strong>in</strong>gt, möglich, wenn diese Wirkung bloß äußerlich ist (wie z.B. die Bewegung e<strong>in</strong>es<br />

Körpers die vere<strong>in</strong>igte Bewegung aller se<strong>in</strong>er Teile ist). Alle<strong>in</strong> mit Gedanken, als <strong>in</strong>nerlich<br />

zu e<strong>in</strong>em denkenden Wesen gehörigen Akzidenzen, ist es an<strong>der</strong>s beschaffen. Denn setzt,<br />

das Zusammengesetzte dächte: so würde e<strong>in</strong> je<strong>der</strong> Teil desselben e<strong>in</strong>en Teil des<br />

Gedankens, alle aber zusammengenommen allererst den ganzen Gedanken enthalten.<br />

Nun ist dieses aber wi<strong>der</strong>sprechend. Denn weil die Vorstellungen, die unter verschiedenen<br />

Wesen verteilt s<strong>in</strong>d (z.B. die e<strong>in</strong>zelnen Wörter e<strong>in</strong>es Verses), niemals e<strong>in</strong>en ganzen<br />

Gedanken (e<strong>in</strong>en Vers) ausmachen: so kann <strong>der</strong> Gedanke nicht e<strong>in</strong>em<br />

Zusammengesetzten, als e<strong>in</strong>em solchen, <strong>in</strong>härieren. Er ist also nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Substanz<br />

möglich, die nicht e<strong>in</strong> Aggregat <strong>von</strong> vielen, mith<strong>in</strong> schlechterd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>fach ist [17].<br />

Der sogenannte nervus probandi dieses Arguments liegt <strong>in</strong> dem Satze: daß viele<br />

Vorstellungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> absoluten E<strong>in</strong>heit des denkenden Subjekts enthalten se<strong>in</strong> müssen,<br />

um e<strong>in</strong>en Gedanken auszumachen. Diesen Satz aber kann niemand aus Begriffen<br />

beweisen. Denn wie wollte er es wohl anfangen, um dieses zu leisten? Der Satz: E<strong>in</strong><br />

Gedanke kann nur die Wirkung <strong>der</strong> absoluten E<strong>in</strong>heit des denkenden Wesens se<strong>in</strong>, kann<br />

nicht als analytisch behandelt werden. Denn die E<strong>in</strong>heit des Gedankens, <strong>der</strong> aus vielen<br />

Vorstellungen besteht, ist kollektiv und kann sich, den bloßen Begriffen nach, ebensowohl<br />

auf die kollektive E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> daran mitwirkenden Substanzen beziehen (wie die Bewegung<br />

e<strong>in</strong>es Körpers die zusammengesetzte Bewegung aller Teile desselben ist), als auf die<br />

absolute E<strong>in</strong>heit des Subjekts. Nach <strong>der</strong> Regel <strong>der</strong> Identität kann also die Notwendigkeit<br />

<strong>der</strong> Voraussetzung e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>fachen Substanz, bei e<strong>in</strong>em zusammengesetzten Gedanken,<br />

nicht e<strong>in</strong>gesehen werden. Daß aber eben<strong>der</strong>selbe Satz synthetisch und völlig a priori aus<br />

lauter Begriffen erkannt werden solle, das wird sich niemand zu verantworten getrauen,<br />

<strong>der</strong> den Grund <strong>der</strong> Möglichkeit synthetischer Sätze a priori, so wie wir ihn oben dargelegt<br />

haben, e<strong>in</strong>sieht.<br />

Nun ist es aber auch unmöglich, diese notwendige E<strong>in</strong>heit des Subjekts, als die<br />

Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> Möglichkeit e<strong>in</strong>es jeden Gedankens, aus <strong>der</strong> Erfahrung abzuleiten. Denn<br />

diese gibt ke<strong>in</strong>e Notwendigkeit zu erkennen, geschweige, daß <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> absoluten<br />

E<strong>in</strong>heit weit über ihre Sphäre ist. Woher nehmen wir denn diesen Satz, worauf sich <strong>der</strong><br />

ganze psychologische <strong>Vernunft</strong>schluß stützt?<br />

Es ist offenbar: daß, wenn man sich e<strong>in</strong> denkend Wesen vorstellen will, man sich selbst an<br />

se<strong>in</strong>e Stelle setzen, und also dem Objekte, welches man erwägen wollte, se<strong>in</strong> eigenes<br />

Subjekt unterschieben müsse (welches <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en Art <strong>der</strong> Nachforschung <strong>der</strong> Fall<br />

ist), und daß wir nur darum absolute E<strong>in</strong>heit des Subjekts zu e<strong>in</strong>em Gedanken erfor<strong>der</strong>n,<br />

135


weil sonst nicht gesagt werden könnte: Ich denke (das Mannigfaltige <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Vorstellung).<br />

Denn obgleich das Ganze des Gedanken geteilt und unter viele Subjekte verteilt werden<br />

könnte, so kann doch das subjektive Ich nicht geteilt und verteilt werden, und dieses<br />

setzen wir doch bei allem Denken voraus.<br />

Also bleibt ebenso hier, wie <strong>in</strong> dem vorigen Paralogismus, <strong>der</strong> formale Satz <strong>der</strong><br />

Apperzeption: Ich denke, <strong>der</strong> Grund, auf welchen die rationale Psychologie die<br />

Erweiterung ihrer Erkenntnisse wagt, welcher Satz zwar freilich ke<strong>in</strong>e Erfahrung ist,<br />

son<strong>der</strong>n die Form <strong>der</strong> Apperzeption, die je<strong>der</strong> Erfahrung anhängt und ihr vorgeht,<br />

gleichwohl aber nur immer <strong>in</strong> Ansehung e<strong>in</strong>er möglichen Erkenntnis überhaupt, als bloß<br />

subjektive Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong>selben, angesehen werden muß, die wir mit Unrecht zur<br />

Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> Möglichkeit e<strong>in</strong>er Erkenntnis <strong>der</strong> Gegenstände, nämlich zu e<strong>in</strong>em Begriffe<br />

vom denkenden Wesen überhaupt machen, weil wir dieses uns nicht vorstellen können,<br />

ohne uns selbst mit <strong>der</strong> Formel unseres Bewußtse<strong>in</strong>s an die Stelle jedes an<strong>der</strong>en<br />

<strong>in</strong>telligenten Wesens zu setzen.<br />

Aber die E<strong>in</strong>fachheit me<strong>in</strong>er selbst (als Seele) wird auch wirklich nicht aus dem Satze: Ich<br />

denke, geschlossen, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> erstere liegt schon <strong>in</strong> jedem Gedanken selbst. Der Satz:<br />

Ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong>fach, muß als e<strong>in</strong> unmittelbarer Ausdruck <strong>der</strong> Apperzeption angesehen werden,<br />

so wie <strong>der</strong> verme<strong>in</strong>tliche kartesianische Schluß: cogito, ergo sum, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat tautologisch<br />

ist, <strong>in</strong>dem das cogito (sum cogitans) die Wirklichkeit unmittelbar aussagt. Ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong>fach,<br />

bedeutet aber nichts mehr, als daß diese Vorstellung: Ich, nicht die m<strong>in</strong>deste<br />

Mannigfaltigkeit <strong>in</strong> sich fasse, und daß sie absolute (obzwar bloß logische) E<strong>in</strong>heit sei.<br />

Also ist <strong>der</strong> so berühmte psychologische Beweis lediglich auf <strong>der</strong> unteilbaren E<strong>in</strong>heit e<strong>in</strong>er<br />

Vorstellung, die nur das Verbum <strong>in</strong> Ansehung e<strong>in</strong>er Person dirigiert, gegründet. Es ist aber<br />

offenbar: daß das Subjekt <strong>der</strong> Inhärenz durch das dem Gedanken angehängte Ich nur<br />

transzendental bezeichnet werde, ohne die m<strong>in</strong>deste Eigenschaft desselben zu bemerken,<br />

o<strong>der</strong> überhaupt etwas <strong>von</strong> ihm zu kennen o<strong>der</strong> zu wissen. Es bedeutet e<strong>in</strong> Etwas<br />

überhaupt (transzendentales Subjekt), dessen Vorstellung allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>fach se<strong>in</strong> muß,<br />

eben darum, weil man gar nichts an ihm bestimmt, wie denn gewiß nichts e<strong>in</strong>facher<br />

vorgestellt werden kann, als durch den Begriff <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em bloßen Etwas. Die E<strong>in</strong>fachheit<br />

aber <strong>der</strong> Vorstellung <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Subjekt ist darum nicht e<strong>in</strong>e Erkenntnis <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>fachheit des Subjekts selbst, denn <strong>von</strong> dessen Eigenschaften wird gänzlich abstrahiert,<br />

wenn es lediglich durch den an Inhalt gänzlich leeren Ausdruck Ich (welchen ich auf jedes<br />

denkende Subjekt anwenden kann), bezeichnet wird.<br />

Soviel ist gewiß, daß ich mir durch das Ich je<strong>der</strong>zeit e<strong>in</strong>e absolute, aber logische E<strong>in</strong>heit<br />

des Subjekts (E<strong>in</strong>fachheit) gedenke, aber nicht, daß ich dadurch die wirkliche E<strong>in</strong>fachheit<br />

me<strong>in</strong>es Subjekts erkenne. So wie <strong>der</strong> Satz: ich b<strong>in</strong> Substanz, nichts als die re<strong>in</strong>e Kategorie<br />

bedeutete, <strong>von</strong> <strong>der</strong> ich <strong>in</strong> concreto ke<strong>in</strong>en Gebrauch (empirischen) machen kann, so ist es<br />

mir auch erlaubt zu sagen: Ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache Substanz, d.i. <strong>der</strong>en Vorstellung niemals<br />

e<strong>in</strong>e Synthesis des Mannigfaltigen enthält; aber dieser Begriff, o<strong>der</strong> auch dieser Satz, lehrt<br />

uns nicht das m<strong>in</strong>deste <strong>in</strong> Ansehung me<strong>in</strong>er selbst als e<strong>in</strong>es Gegenstandes <strong>der</strong> Erfahrung,<br />

weil <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Substanz selbst nur als Funktion <strong>der</strong> Synthesis, ohne unterlegte<br />

Anschauung, mith<strong>in</strong> ohne Objekt gebraucht wird, und nur <strong>von</strong> <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gung unserer<br />

Erkenntnis, aber nicht <strong>von</strong> irgende<strong>in</strong>em anzugebenden Gegenstande gilt. Wir wollen über<br />

die verme<strong>in</strong>tliche Brauchbarkeit dieses Satzes e<strong>in</strong>en Versuch anstellen.<br />

Je<strong>der</strong>mann muß gestehen, daß die Behauptung <strong>von</strong> <strong>der</strong> e<strong>in</strong>fachen Natur <strong>der</strong> Seele nur<br />

sofern <strong>von</strong> e<strong>in</strong>igem Werte sei, als ich dadurch dieses Subjekt <strong>von</strong> aller Materie zu<br />

unterscheiden und sie folglich <strong>von</strong> <strong>der</strong> H<strong>in</strong>fälligkeit ausnehmen kann, <strong>der</strong> diese je<strong>der</strong>zeit<br />

unterworfen ist. Auf diesen Gebrauch ist obiger Satz auch ganz eigentlich angelegt, daher<br />

er auch mehrerenteils so ausgedrückt wird: die Seele ist nicht körperlich. Wenn ich nun<br />

zeigen kann, daß, ob man gleich diesem Kard<strong>in</strong>alsatze <strong>der</strong> rationalen Seelenlehre, <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

136


e<strong>in</strong>en Bedeutung e<strong>in</strong>es bloßen <strong>Vernunft</strong>surteils (aus <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Kategorien), alle objektive<br />

Gültigkeit e<strong>in</strong>räumt (alles, was denkt, ist e<strong>in</strong>fache Substanz), dennoch nicht <strong>der</strong> m<strong>in</strong>deste<br />

Gebrauch <strong>von</strong> diesem Satze, <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong> Ungleichartigkeit, o<strong>der</strong> Verwandtschaft<br />

<strong>der</strong>selben mit <strong>der</strong> Materie, gemacht werden könne: so wird dieses ebensoviel se<strong>in</strong>, als ob<br />

ich diese verme<strong>in</strong>tliche psychologische E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> das Feld bloßer Ideen verwiesen hätte,<br />

denen es an Realität des objektiven Gebrauchs mangelt.<br />

Wir haben <strong>in</strong> <strong>der</strong> transzendentalen Ästhetik unleugbar bewiesen, daß Körper bloße<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen unseres äußeren S<strong>in</strong>nes und nicht D<strong>in</strong>ge an sich selbst s<strong>in</strong>d. Diesem<br />

gemäß können wir mit Recht sagen, daß unser denkendes Subjekt nicht körperlich sei,<br />

das heißt, daß, da es als Gegenstand des <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>nes <strong>von</strong> uns vorgestellt wird, es,<br />

<strong>in</strong>sofern als es denkt, ke<strong>in</strong> Gegenstand äußerer S<strong>in</strong>ne, d.i. ke<strong>in</strong>e Ersche<strong>in</strong>ung im Raume<br />

se<strong>in</strong> könne. Dieses will nun so viel sagen: es können uns niemals unter äußeren<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen denkende Wesen, als solche vorkommen, o<strong>der</strong>: wir können ihre<br />

Gedanken, ihr Bewußtse<strong>in</strong>, ihre Begierden usw. nicht äußerlich anschauen; denn dieses<br />

gehört alles vor den <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>n. In <strong>der</strong> Tat sche<strong>in</strong>t dieses Argument auch das natürliche<br />

und populäre, worauf selbst <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>ste Verstand <strong>von</strong> jeher gefallen zu se<strong>in</strong> sche<strong>in</strong>t und<br />

dadurch schon sehr früh Seelen, als <strong>von</strong> den Körpern ganz unterschiedene Wesen, zu<br />

betrachten angefangen hat.<br />

Ob nun aber gleich die Ausdehnung, die Undurchdr<strong>in</strong>glichkeit, Zusammenhang und<br />

Bewegung, kurz alles, was uns äußere S<strong>in</strong>ne nur liefern können, nicht Gedanken, Gefühl,<br />

Neigung o<strong>der</strong> Entschließung s<strong>in</strong>d o<strong>der</strong> solche enthalten werden, als die überall ke<strong>in</strong>e<br />

Gegenstände äußerer Anschauung s<strong>in</strong>d, so könnte doch wohl dasjenige Etwas, welches<br />

den äußeren Ersche<strong>in</strong>ungen zugrunde liegt, was unseren S<strong>in</strong>n so affiziert, daß er die<br />

Vorstellungen <strong>von</strong> Raum, Materie, Gestalt usw. bekommt, dieses Etwas, als Noumenon<br />

(o<strong>der</strong> besser, als transzendentaler Gegenstand) betrachtet, könnte doch auch zugleich<br />

das Subjekt <strong>der</strong> Gedanken se<strong>in</strong>, wiewohl wir durch die Art, wie unser äußerer S<strong>in</strong>n<br />

dadurch affiziert wird, ke<strong>in</strong>e Anschauung <strong>von</strong> Vorstellungen, Willen usw., son<strong>der</strong>n bloß<br />

vom Raum und dessen Bestimmungen bekommen. Dieses Etwas aber ist nicht<br />

ausgedehnt, nicht undurchdr<strong>in</strong>glich, nicht zusammengesetzt, weil alle diese Prädikate nur<br />

die S<strong>in</strong>nlichkeit und <strong>der</strong>en Anschauung angehen, sofern wir <strong>von</strong> <strong>der</strong>gleichen (uns übrigens<br />

unbekannten) Objekten affiziert werden. Diese Ausdrücke aber geben gar nicht zu<br />

erkennen, was für e<strong>in</strong> Gegenstand es sei, son<strong>der</strong>n nur, daß ihm als e<strong>in</strong>em solchen, <strong>der</strong><br />

ohne Beziehung auf äußere S<strong>in</strong>ne an sich selbst betrachtet wird, diese Prädikate äußerer<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen nicht beigelegt werden können. Alle<strong>in</strong> die Prädikate des <strong>in</strong>nern S<strong>in</strong>nes,<br />

Vorstellungen und Denken, wi<strong>der</strong>sprechen ihm nicht. Demnach ist selbst durch die<br />

e<strong>in</strong>geräumte E<strong>in</strong>fachheit <strong>der</strong> Natur die menschliche Seele <strong>von</strong> <strong>der</strong> Materie, wenn man sie<br />

(wie man soll) bloß als Ersche<strong>in</strong>ung betrachtet, <strong>in</strong> Ansehung des Substrati <strong>der</strong>selben gar<br />

nicht h<strong>in</strong>reichend unterschieden.<br />

Wäre Materie e<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g an sich selbst, so würde sie als e<strong>in</strong> zusammengesetztes Wesen<br />

<strong>von</strong> <strong>der</strong> Seele, als e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>fachen, sich ganz und gar unterscheiden. Nun ist sie aber<br />

bloß äußere Ersche<strong>in</strong>ung, <strong>der</strong>en Substratum durch gar ke<strong>in</strong>e anzugebende Prädikate<br />

erkannt wird; mith<strong>in</strong> kann ich <strong>von</strong> diesem wohl annehmen, daß es an sich e<strong>in</strong>fach sei, ob<br />

es zwar <strong>in</strong> <strong>der</strong> Art, wie es unsere S<strong>in</strong>ne affiziert, <strong>in</strong> uns die Anschauung des Ausgedehnten<br />

und mith<strong>in</strong> Zusammengesetzten hervorbr<strong>in</strong>gt, und daß also <strong>der</strong> Substanz, <strong>der</strong> <strong>in</strong> Ansehung<br />

unseres äußeren S<strong>in</strong>nes Ausdehnung zukommt, an sich selbst Gedanken beiwohnen, die<br />

durch ihren eigenen <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>n mit Bewußtse<strong>in</strong> vorgestellt werden können. Auf solche<br />

Weise würde ebendasselbe, was <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Beziehung körperlich heißt, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>e<br />

zugleich e<strong>in</strong> denkend Wesen se<strong>in</strong>, dessen Gedanken wir zwar nicht, aber doch die<br />

Zeichen <strong>der</strong>selben <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung anschauen können. Dadurch würde <strong>der</strong> Ausdruck<br />

wegfallen, daß nur Seelen (als beson<strong>der</strong>e Arten <strong>von</strong> Substanzen) denken; es würde<br />

137


vielmehr wie gewöhnlich heißen, daß Menschen denken, d.i. ebendasselbe, was als,<br />

äußere Ersche<strong>in</strong>ung, ausgedehnt ist, <strong>in</strong>nerlich (an sich selbst) e<strong>in</strong> Subjekt sei, was nicht<br />

zusammengesetzt, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>fach ist und denkt.<br />

Aber ohne <strong>der</strong>gleichen Hypothesen zu erlauben, kann man allgeme<strong>in</strong> bemerken, daß,<br />

wenn ich unter Seele e<strong>in</strong> denkend Wesen an sich selbst verstehe, die Frage an sich schon<br />

unschicklich sei: ob sie nämlich mit <strong>der</strong> Materie (die gar ke<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g an sich selbst, son<strong>der</strong>n<br />

nur e<strong>in</strong>e Art Vorstellungen <strong>in</strong> uns ist) <strong>von</strong> gleicher Art sei, o<strong>der</strong> nicht; denn das versteht<br />

sich schon <strong>von</strong> selbst, daß e<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g an sich selbst <strong>von</strong> an<strong>der</strong>er Natur sei, als die<br />

Bestimmungen, die bloß se<strong>in</strong>en Zustand ausmachen.<br />

Vergleichen wir aber das denkende Ich nicht mit <strong>der</strong> Materie, son<strong>der</strong>n mit dem Intelligiblen,<br />

welches <strong>der</strong> äußeren Ersche<strong>in</strong>ung, die wir Materie nennen, zugrunde liegt: so können wir,<br />

weil wir vom letzteren gar nichts wissen, auch nicht sagen, daß die Seele sich <strong>von</strong> diesem<br />

irgend wor<strong>in</strong> <strong>in</strong>nerlich unterscheide.<br />

So ist demnach das e<strong>in</strong>fache Bewußtse<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>e Kenntnis <strong>der</strong> e<strong>in</strong>fachen Natur unseres<br />

Subjekts, <strong>in</strong>sofern, als dieses dadurch <strong>von</strong> <strong>der</strong> Materie, als e<strong>in</strong>em zusammengesetzten<br />

Wesen, unterschieden werden soll.<br />

Wenn dieser Begriff aber dazu nicht taugt, ihn <strong>in</strong> dem e<strong>in</strong>zigen Falle, da er brauchbar ist,<br />

nämlich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergleichung me<strong>in</strong>er selbst mit Gegenständen äußerer Erfahrung, das<br />

Eigentümliche und Unterscheidende se<strong>in</strong>er Natur zu bestimmen, so mag man immer zu<br />

wissen vorgeben: das denkende Ich, die Seele (e<strong>in</strong> Name für den transzendentalen<br />

Gegenstand des <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>nes), sei e<strong>in</strong>fach; dieser Ausdruck hat deshalb doch gar<br />

ke<strong>in</strong>en auf wirkliche Gegenstände sich erstreckenden Gebrauch und kann daher unsere<br />

Erkenntnis nicht im m<strong>in</strong>desten erweitern.<br />

So fällt demnach die ganze rationale Psychologie mit ihrer Hauptstütze, und wir können so<br />

wenig hier, wie sonst jemals, hoffen, durch bloße Begriffe (noch weniger aber durch die<br />

bloße subjektive Form aller unserer Begriffe, das Bewußtse<strong>in</strong>), ohne Beziehung auf<br />

mögliche Erfahrung, E<strong>in</strong>sichten auszubreiten, zumal, da selbst <strong>der</strong> Fundamentalbegriff<br />

e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>fachen Natur <strong>von</strong> <strong>der</strong> Art ist, daß er überall <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Erfahrung angetroffen<br />

werden kann und es mith<strong>in</strong> gar ke<strong>in</strong>en Weg gibt, zu demselben, als e<strong>in</strong>em objektiv<br />

gültigen Begriffe, zu gelangen.<br />

138


Dritter Paralogismus <strong>der</strong> Personalität<br />

Was sich <strong>der</strong> numerischen Identität se<strong>in</strong>er selbst <strong>in</strong> verschiedenen Zeiten bewußt ist, ist<br />

sofern e<strong>in</strong>e Person:<br />

Nun ist die Seele usw.<br />

Also sie ist e<strong>in</strong>e Person.<br />

<strong>Kritik</strong> des dritten Paralogismus <strong>der</strong> transzendentalen Psychologie<br />

Wenn ich die numerische Identität e<strong>in</strong>es äußeren Gegenstandes durch Erfahrung<br />

erkennen will, so werde ich auf das Beharrliche <strong>der</strong>jenigen Ersche<strong>in</strong>ung, worauf, als<br />

Subjekt, sich alles übrige als Bestimmung bezieht, achthaben und die Identität <strong>von</strong> jenem<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit, da dieses wechselt, bemerken. Nun aber b<strong>in</strong> ich e<strong>in</strong> Gegenstand des <strong>in</strong>neren<br />

S<strong>in</strong>nes und alle Zeit ist bloß die Form des <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>nes. Folglich beziehe ich alle und<br />

jede me<strong>in</strong>er sukzessiven Bestimmungen auf das numerisch-identische Selbst, <strong>in</strong> aller Zeit,<br />

d.i. <strong>in</strong> <strong>der</strong> Form <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren Anschauung me<strong>in</strong>er selbst. Auf diesen Fuß müßte die<br />

Persönlichkeit <strong>der</strong> Seele nicht e<strong>in</strong>mal als geschlossen, son<strong>der</strong>n als e<strong>in</strong> völlig identischer<br />

Satz des Selbstbewußtse<strong>in</strong>s <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit angesehen werden und das ist auch die Ursache,<br />

weswegen er a priori gilt. Denn er sagt wirklich nichts mehr als: <strong>in</strong> <strong>der</strong> ganzen Zeit, dar<strong>in</strong><br />

ich mir me<strong>in</strong>er bewußt b<strong>in</strong>, b<strong>in</strong> ich mir dieser Zeit, als zur E<strong>in</strong>heit me<strong>in</strong>es Selbst gehörig,<br />

bewußt, und es ist e<strong>in</strong>erlei, ob ich sage: diese ganze Zeit ist <strong>in</strong> mir, als <strong>in</strong>dividueller E<strong>in</strong>heit,<br />

o<strong>der</strong>: ich b<strong>in</strong>, mit numerischer Identität, <strong>in</strong> aller dieser Zeit bef<strong>in</strong>dlich.<br />

Die Identität <strong>der</strong> Person ist also <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em eigenen Bewußtse<strong>in</strong> unausbleiblich<br />

anzutreffen. Wenn ich mich aber aus dem Gesichtspunkte e<strong>in</strong>es an<strong>der</strong>n (als Gegenstand<br />

se<strong>in</strong>er äußeren Anschauung) betrachte, so erwägt dieser äußere Beobachter mich<br />

allererst <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit, denn <strong>in</strong> <strong>der</strong> Apperzeption ist die Zeit eigentlich nur <strong>in</strong> mir vorgestellt. Er<br />

wird also aus dem Ich, welches alle Vorstellungen zu aller Zeit <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Bewußtse<strong>in</strong>, und<br />

zwar mit völliger Identität, begleitet, ob er es gleich e<strong>in</strong>räumt, doch noch nicht auf die<br />

objektive Beharrlichkeit me<strong>in</strong>er selbst schließen. Denn da alsdann die Zeit, <strong>in</strong> welche <strong>der</strong><br />

Beobachter mich setzt, nicht diejenige ist, die <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er eigenen, son<strong>der</strong>n die <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

S<strong>in</strong>nlichkeit angetroffen wird, so ist die Identität, die mit me<strong>in</strong>em Bewußtse<strong>in</strong> notwendig<br />

verbunden ist, nicht darum mit dem se<strong>in</strong>igen, d.i. mit <strong>der</strong> äußeren Anschauung me<strong>in</strong>es<br />

Subjekts verbunden.<br />

Es ist also die Identität des Bewußtse<strong>in</strong>s me<strong>in</strong>er selbst <strong>in</strong> verschiedenen Zeiten nur e<strong>in</strong>e<br />

normale Bed<strong>in</strong>gung me<strong>in</strong>er Gedanken und ihres Zusammenhanges, beweist aber gar<br />

nicht die numerische Identität me<strong>in</strong>es Subjekts, <strong>in</strong> welchem, unerachtet <strong>der</strong> logischen<br />

Identität des Ich, doch e<strong>in</strong> solcher Wechsel vorgegangen se<strong>in</strong> kann, <strong>der</strong> es nicht erlaubt,<br />

die Identität desselben beizubehalten; obzwar ihm immer noch das gleichlautende Ich<br />

zuzuteilen, welches <strong>in</strong> jedem an<strong>der</strong>n Zustande, selbst <strong>der</strong> Umwandlung des Subjekts,<br />

doch immer den Gedanken des vorhergehenden Subjekts aufbehalten und so auch dem<br />

folgenden überliefern könnte [18].<br />

Wenngleich <strong>der</strong> Satz e<strong>in</strong>iger alten Schulen, daß alles fließend und nichts <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt<br />

beharrlich und bleibend sei, nicht stattf<strong>in</strong>den kann, sobald man Substanzen annimmt, so<br />

ist er doch nicht durch die E<strong>in</strong>heit des Selbstbewußtse<strong>in</strong>s wi<strong>der</strong>legt. Denn wir selbst<br />

können aus unserem Bewußtse<strong>in</strong> darüber nicht urteilen, ob wir als Seele beharrlich s<strong>in</strong>d,<br />

o<strong>der</strong> nicht, weil wir zu unserem identischen Selbst nur dasjenige zählen, dessen wir uns<br />

bewußt s<strong>in</strong>d, und so allerd<strong>in</strong>gs notwendig urteilen müssen, daß wir <strong>in</strong> <strong>der</strong> ganzen Zeit,<br />

<strong>der</strong>en wir uns bewußt s<strong>in</strong>d, ebendieselbe s<strong>in</strong>d. In dem Standpunkte e<strong>in</strong>es Fremden aber<br />

können wir dieses darum noch nicht für gültig erklären, weil, da wir an <strong>der</strong> Seele ke<strong>in</strong>e<br />

139


eharrliche Ersche<strong>in</strong>ung antreffen, als nur die Vorstellung Ich, welche sie alle begleitet und<br />

verknüpft, so können wir niemals ausmachen, ob dieses Ich (e<strong>in</strong> bloßer Gedanke) nicht<br />

ebensowohl fließe, als die übrigen Gedanken, die dadurch ane<strong>in</strong>an<strong>der</strong> gekettet werden.<br />

Es ist aber merkwürdig, daß die Persönlichkeit und <strong>der</strong>en Voraussetzung, die<br />

Beharrlichkeit, mith<strong>in</strong> die Substanzialität <strong>der</strong> Seele jetzt allererst bewiesen werden muß.<br />

Denn könnten wir diese voraussetzen, so würde zwar daraus noch nicht die Fortdauer des<br />

Bewußtse<strong>in</strong>s, aber doch die Möglichkeit e<strong>in</strong>es fortwährenden Bewußtse<strong>in</strong>s <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

bleibenden Subjekt folgen, welches zu <strong>der</strong> Persönlichkeit schon h<strong>in</strong>reichend ist, die<br />

dadurch, daß ihre Wirkung etwa e<strong>in</strong>e Zeit h<strong>in</strong>durch unterbrochen wird, selbst nicht sofort<br />

aufhört. Aber diese Beharrlichkeit ist uns vor <strong>der</strong> numerischen Identität unserer selbst, die<br />

wir aus <strong>der</strong> identischen Apperzeption folgern, durch nichts gegeben, son<strong>der</strong>n wird daraus<br />

allererst gefolgert (und auf diese müßte, wenn es recht zug<strong>in</strong>ge, allererst <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong><br />

Substanz folgen, <strong>der</strong> alle<strong>in</strong> empirisch brauchbar ist). Da nun diese Identität <strong>der</strong> Person aus<br />

<strong>der</strong> Identität des Ich, <strong>in</strong> dem Bewußtse<strong>in</strong> aller Zeit, dar<strong>in</strong> ich mich erkenne, ke<strong>in</strong>eswegs<br />

folgt, so hat auch oben die Substanzialität <strong>der</strong> Seele darauf nicht gegründet werden<br />

können.<br />

Indessen kann, so wie <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Substanz und des E<strong>in</strong>fachen, ebenso auch <strong>der</strong><br />

Begriff <strong>der</strong> Persönlichkeit (sofern er bloß transzendental ist, d.i. E<strong>in</strong>heit des Subjekts, das<br />

uns übrigens unbekannt ist, <strong>in</strong> dessen Bestimmungen aber e<strong>in</strong>e durchgängige<br />

Verknüpfung durch Apperzeption ist) bleiben, und sofern ist dieser Begriff auch zum<br />

praktischen Gebrauche nötig und h<strong>in</strong>reichend; aber auf ihn, als Erweiterung unserer<br />

Selbsterkenntnis durch re<strong>in</strong>e <strong>Vernunft</strong>, welche uns e<strong>in</strong>e ununterbrochene Fortdauer des<br />

Subjekts aus dem bloßen Begriffe des identischen Selbst vorspiegelt, können wir<br />

nimmermehr Staat machen, da dieser Begriff sich immer um sich selbst herumdreht und<br />

uns <strong>in</strong> Ansehung ke<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zigen Frage, welche auf synthetische Erkenntnis angelegt ist,<br />

weiterbr<strong>in</strong>gt. Was Materie für e<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g an sich selbst (transzendentales Objekt) sei, ist uns<br />

zwar gänzlich unbekannt; gleichwohl kann doch die Beharrlichkeit <strong>der</strong>selben als<br />

Ersche<strong>in</strong>ung, dieweil sie als etwas Äußerliches vorgestellt wird, beobachtet werden. Da ich<br />

aber, wenn ich das bloße Ich bei dem Wechsel aller Vorstellungen beobachten will, ke<strong>in</strong><br />

an<strong>der</strong> Korrelatum me<strong>in</strong>er Vergleichungen habe, als wie<strong>der</strong>um mich selbst, mit den<br />

allgeme<strong>in</strong>en Bed<strong>in</strong>gungen me<strong>in</strong>es Bewußtse<strong>in</strong>s, so kann ich ke<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e als<br />

tautologische Beantwortungen auf alle Fragen geben, <strong>in</strong>dem ich nämlich me<strong>in</strong>en Begriff<br />

und dessen E<strong>in</strong>heit den Eigenschaften, die mir selbst als Objekt zukommen, unterschiebe<br />

und das voraussetze, was man zu wissen verlangte.<br />

140


Vierter Paralogismus <strong>der</strong> Idealität<br />

(des äußeren Verhältnisses)<br />

Dasjenige, auf dessen Dase<strong>in</strong> nur als e<strong>in</strong>er Ursache zu gegebenen Wahrnehmungen<br />

geschlossen werden kann, hat e<strong>in</strong>e nur zweifelhafte Existenz.<br />

Nun s<strong>in</strong>d alle äußeren Ersche<strong>in</strong>ungen <strong>von</strong> <strong>der</strong> Art, daß ihr Dase<strong>in</strong> nicht unmittelbar<br />

wahrgenommen, son<strong>der</strong>n auf sie als die Ursache gegebener Wahrnehmungen alle<strong>in</strong><br />

geschlossen werden kann:<br />

Also ist das Dase<strong>in</strong> aller Gegenstände äußerer S<strong>in</strong>ne zweifelhaft. Diese Ungewißheit<br />

nenne ich die Idealität äußerer Ersche<strong>in</strong>ungen, und die Lehre dieser Idealität heißt <strong>der</strong><br />

Idealismus, <strong>in</strong> Vergleichung mit welchem die Behauptung e<strong>in</strong>er möglichen Gewißheit <strong>von</strong><br />

Gegenständen äußerer S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> Dualismus genannt wird.<br />

<strong>Kritik</strong> des vierten Paralogismus <strong>der</strong> transzendentalen Psychologie<br />

Zuerst wollen wir die Prämissen <strong>der</strong> Prüfung unterwerfen. Wir können mit Recht<br />

behaupten, daß nur dasjenige, was <strong>in</strong> uns selbst ist, unmittelbar wahrgenommen werden<br />

könne, und daß me<strong>in</strong>e eigene Existenz alle<strong>in</strong> <strong>der</strong> Gegenstand e<strong>in</strong>er bloßen Wahrnehmung<br />

se<strong>in</strong> könne. Also ist das Dase<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es wirklichen Gegenstandes außer mir (wenn dieses<br />

Wort <strong>in</strong> <strong>in</strong>tellektueller Bedeutung genommen wird) niemals geradezu <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wahrnehmung<br />

gegeben, son<strong>der</strong>n kann nur zu dieser, welche e<strong>in</strong>e Modifikation des <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>nes ist, als<br />

äußere Ursache <strong>der</strong>selben h<strong>in</strong>zugedacht und mith<strong>in</strong> geschlossen werden. Daher auch<br />

Cartesius mit Recht alle Wahrnehmung <strong>in</strong> <strong>der</strong> engsten Bedeutung auf den Satz<br />

e<strong>in</strong>schränkte: Ich (als e<strong>in</strong> denkend Wesen) b<strong>in</strong>. Es ist nämlich klar, daß, da das Äußere<br />

nicht <strong>in</strong> mir ist, ich es nicht <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Apperzeption, mith<strong>in</strong> auch <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Wahrnehmung,<br />

welche eigentlich nur die Bestimmung <strong>der</strong> Apperzeption ist, antreffen könne.<br />

Ich kann also äußere D<strong>in</strong>ge eigentlich nicht wahrnehmen, son<strong>der</strong>n nur aus me<strong>in</strong>er <strong>in</strong>neren<br />

Wahrnehmung auf ihr Dase<strong>in</strong> schließen, <strong>in</strong>dem ich diese als die Wirkung ansehe, wozu<br />

etwas Äußeres die nächste Ursache ist. Nun ist aber <strong>der</strong> Schluß <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er gegebenen<br />

Wirkung auf e<strong>in</strong>e bestimmte Ursache je<strong>der</strong>zeit unsicher; weil die Wirkung aus mehr als<br />

e<strong>in</strong>er Ursache entsprungen se<strong>in</strong> kann. Demnach bleibt es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beziehung <strong>der</strong><br />

Wahrnehmung auf ihre Ursache je<strong>der</strong>zeit zweifelhaft, ob diese <strong>in</strong>nerlich, o<strong>der</strong> äußerlich<br />

sei, ob also alle sogenannten äußeren Wahrnehmungen nicht e<strong>in</strong> bloßes Spiel unseres<br />

<strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>nes s<strong>in</strong>d, o<strong>der</strong> ob sie sich auf äußere wirkliche Gegenstände, als ihre Ursache<br />

beziehen. Wenigstens ist das Dase<strong>in</strong> <strong>der</strong> letzteren nur geschlossen und läuft die Gefahr<br />

aller Schlüsse, dah<strong>in</strong>gegen <strong>der</strong> Gegenstand des <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>nes (Ich selbst mit allen<br />

me<strong>in</strong>en Vorstellungen) unmittelbar wahrgenommen wird, und die Existenz desselben gar<br />

ke<strong>in</strong>en Zweifel leidet.<br />

Unter e<strong>in</strong>em Idealisten muß man also nicht denjenigen verstehen, <strong>der</strong> das Dase<strong>in</strong> äußerer<br />

Gegenstände <strong>der</strong> S<strong>in</strong>ne leugnet, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> nur nicht e<strong>in</strong>räumt, daß es durch<br />

unmittelbare Wahrnehmung erkannt werde, daraus aber schließt, daß wir ihrer Wirklichkeit<br />

durch alle mögliche Erfahrung niemals völlig gewiß werden können.<br />

Ehe ich nun unseren Paralogismus se<strong>in</strong>em trüglichen Sche<strong>in</strong>e nach darstelle, muß ich<br />

zuvor bemerken, daß man notwendig e<strong>in</strong>en zweifachen Idealismus unterscheiden müsse,<br />

den transzendentalen und den empirischen. Ich verstehe aber unter dem<br />

transzendentalen Idealismus aller Ersche<strong>in</strong>ungen den Lehrbegriff, nach welchem wir sie<br />

<strong>in</strong>sgesamt als bloße Vorstellungen und nicht als D<strong>in</strong>ge an sich selbst ansehen, und<br />

demgemäß Zeit und Raum nur s<strong>in</strong>nliche Formen unserer Anschauung, nicht aber für sich<br />

gegebene Bestimmungen, o<strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Objekte, als D<strong>in</strong>ge an sich selbst s<strong>in</strong>d.<br />

Diesem Idealismus ist e<strong>in</strong> transzendentaler Realismus entgegengesetzt, <strong>der</strong> Zeit und<br />

141


Raum als etwas an sich (unabhängig <strong>von</strong> unserer S<strong>in</strong>nlichkeit) Gegebenes ansieht. Der<br />

transzendentale Realist stellt sich also äußere Ersche<strong>in</strong>ungen (wenn man ihre Wirklichkeit<br />

e<strong>in</strong>räumt) als D<strong>in</strong>ge an sich selbst vor, die unabhängig <strong>von</strong> uns und unserer S<strong>in</strong>nlichkeit<br />

existieren, also auch nach <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandesbegriffen außer uns wären. Dieser<br />

transzendentale Realist ist es eigentlich, welcher nachher den empirischen Idealisten<br />

spielt, und nachdem er fälschlich <strong>von</strong> Gegenständen <strong>der</strong> S<strong>in</strong>ne vorausgesetzt hat, daß,<br />

wenn sie äußere se<strong>in</strong> sollen, sie an sich selbst, auch ohne S<strong>in</strong>ne, ihre Existenz haben<br />

müßten, <strong>in</strong> diesem Gesichtspunkte alle unsere Vorstellungen <strong>der</strong> S<strong>in</strong>ne unzureichend<br />

f<strong>in</strong>det, die Wirklichkeit <strong>der</strong>selben gewiß zu machen.<br />

Der transzendentale Idealist kann h<strong>in</strong>gegen e<strong>in</strong> empirischer Realist, mith<strong>in</strong>, wie man ihn<br />

nennt, e<strong>in</strong> Dualist se<strong>in</strong>, d.i. die Existenz <strong>der</strong> Materie e<strong>in</strong>räumen, ohne aus dem bloßen<br />

Selbstbewußtse<strong>in</strong> h<strong>in</strong>auszugehen und etwas mehr als die Gewißheit <strong>der</strong> Vorstellungen <strong>in</strong><br />

mir, mith<strong>in</strong> das cogito, ergo sum anzunehmen. Denn weil er diese Materie und sogar <strong>der</strong>en<br />

<strong>in</strong>nere Möglichkeit bloß für Ersche<strong>in</strong>ung gelten läßt, die, <strong>von</strong> unserer S<strong>in</strong>nlichkeit<br />

abgetrennt, nichts ist: so ist sie bei ihm nur e<strong>in</strong>e Art Vorstellungen (Anschauung), welche<br />

äußerlich heißen, nicht als ob sie sich auf an sich selbst äußere Gegenstände bezögen,<br />

son<strong>der</strong>n weil sie Wahrnehmungen auf den Raum beziehen, <strong>in</strong> welchem alles<br />

außere<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, er selbst, <strong>der</strong> Raum, aber <strong>in</strong> uns ist.<br />

Für diesen transzendentalen Idealismus haben wir uns nun schon im Anfange erklärt. Also<br />

fällt bei unserem Lehrbegriff alle Bedenklichkeit weg, das Dase<strong>in</strong> <strong>der</strong> Materie ebenso auf<br />

das Zeugnis unseres bloßen Selbstbewußtse<strong>in</strong>s anzunehmen und dadurch für bewiesen<br />

zu erklären, wie das Dase<strong>in</strong> me<strong>in</strong>er selbst als e<strong>in</strong>es denkenden Wesens. Denn ich b<strong>in</strong> mir<br />

doch me<strong>in</strong>er Vorstellungen bewußt; also existieren diese und ich selbst, <strong>der</strong> ich diese<br />

Vorstellungen habe. Nun s<strong>in</strong>d aber äußere Gegenstände (die Körper) bloß Ersche<strong>in</strong>ungen,<br />

mith<strong>in</strong> auch nichts an<strong>der</strong>es als e<strong>in</strong>e Art me<strong>in</strong>er Vorstellungen, <strong>der</strong>en Gegenstände nur<br />

durch diese Vorstellungen etwas s<strong>in</strong>d, <strong>von</strong> ihnen abgeson<strong>der</strong>t aber nichts s<strong>in</strong>d. Also<br />

existieren ebensowohl äußere D<strong>in</strong>ge, als ich selbst existiere, und zwar beide auf das<br />

unmittelbare Zeugnis me<strong>in</strong>es Selbstbewußtse<strong>in</strong>s, nur mit dem Unterschiede, daß die<br />

Vorstellung me<strong>in</strong>er selbst, als des denkenden Subjekts, bloß auf den <strong>in</strong>nern, die<br />

Vorstellungen aber, welche ausgedehnte Wesen bezeichnen, auch auf den äußeren S<strong>in</strong>n<br />

bezogen werden. Ich habe <strong>in</strong> Absicht auf die Wirklichkeit äußerer Gegenstände<br />

ebensowenig nötig zu schließen, als <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong> Wirklichkeit des Gegenstandes<br />

me<strong>in</strong>es <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>nes (me<strong>in</strong>er Gedanken); denn sie s<strong>in</strong>d bei<strong>der</strong>seitig nichts als<br />

Vorstellungen, <strong>der</strong>en unmittelbare Wahrnehmung (Bewußtse<strong>in</strong>) zugleich e<strong>in</strong> genugsamer<br />

Beweis ihrer Wirklichkeit ist.<br />

Also ist <strong>der</strong> transzendentale Idealist e<strong>in</strong> empirischer Realist und gesteht <strong>der</strong> Materie, als<br />

Ersche<strong>in</strong>ung, e<strong>in</strong>e Wirklichkeit zu, die nicht geschlossen werden darf, son<strong>der</strong>n unmittelbar<br />

wahrgenommen wird. Dagegen kommt <strong>der</strong> transzendentale Realismus notwendig <strong>in</strong><br />

Verlegenheit und sieht sich genötigt, dem empirischen Idealismus Platz e<strong>in</strong>zuräumen, weil<br />

er die Gegenstände äußerer S<strong>in</strong>ne für etwas <strong>von</strong> den S<strong>in</strong>nen selbst Unterschiedenes und<br />

bloße Ersche<strong>in</strong>ungen für selbständige Wesen ansieht, die sich außer uns bef<strong>in</strong>den; da<br />

denn freilich, bei unserem besten Bewußtse<strong>in</strong> unserer Vorstellung <strong>von</strong> diesen D<strong>in</strong>gen,<br />

noch lange nicht gewiß ist, daß, wenn die Vorstellung existiert, auch <strong>der</strong> ihr<br />

korrespondierende Gegenstand existiere; dah<strong>in</strong>gegen <strong>in</strong> unserem System diese äußeren<br />

D<strong>in</strong>ge, die Materie nämlich, <strong>in</strong> allen ihren Gestalten und Verän<strong>der</strong>ungen nichts als bloße<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen, d.i. Vorstellungen <strong>in</strong> uns s<strong>in</strong>d, <strong>der</strong>en Wirklichkeit wir uns unmittelbar<br />

bewußt werden.<br />

Da nun, soviel ich weiß, alle dem empirischen Idealismus anhängenden Psychologen<br />

transzendentale Realisten s<strong>in</strong>d, so haben sie freilich ganz konsequent verfahren, dem<br />

142


empirischen Idealismus große Wichtigkeit zuzugestehen, als e<strong>in</strong>em <strong>von</strong> den Problemen,<br />

daraus die menschliche <strong>Vernunft</strong> sich schwerlich zu helfen wisse. Denn <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat, wenn<br />

man äußere Ersche<strong>in</strong>ungen als Vorstellungen ansieht, die <strong>von</strong> ihren Gegenständen, als an<br />

sich außer uns bef<strong>in</strong>dlichen D<strong>in</strong>gen, <strong>in</strong> uns gewirkt werden, so ist nicht abzusehen, wie<br />

man dieser ihr Dase<strong>in</strong> an<strong>der</strong>s, als durch den Schluß <strong>von</strong> <strong>der</strong> Wirkung auf die Ursache,<br />

erkennen könne, bei welchem es immer zweifelhaft bleiben muß, ob die letztere <strong>in</strong> uns,<br />

o<strong>der</strong> außer uns sei. Nun kann man zwar e<strong>in</strong>räumen, daß <strong>von</strong> unseren äußeren<br />

Anschauungen etwas, was im transzendentalen Verstande außer uns se<strong>in</strong> mag, die<br />

Ursache sei, aber dieses ist nicht <strong>der</strong> Gegenstand, den wir unter den Vorstellungen <strong>der</strong><br />

Materie und körperlicher D<strong>in</strong>ge verstehen; denn diese s<strong>in</strong>d lediglich Ersche<strong>in</strong>ungen, d.i.<br />

bloße Vorstellungsarten, die sich je<strong>der</strong>zeit nur <strong>in</strong> uns bef<strong>in</strong>den und <strong>der</strong>en Wirklichkeit auf<br />

dem unmittelbaren Bewußtse<strong>in</strong> ebenso, wie das Bewußtse<strong>in</strong> me<strong>in</strong>er eigenen Gedanken<br />

beruht. Der transzendentale Gegenstand ist sowohl <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren als äußeren<br />

Anschauung gleich unbekannt. Von ihm aber ist auch nicht die Rede, son<strong>der</strong>n <strong>von</strong> dem<br />

empirischen, welcher alsdann e<strong>in</strong> äußerer heißt, wenn er im Raume, und e<strong>in</strong> <strong>in</strong>nerer<br />

Gegenstand, wenn er lediglich im Zeitverhältnisse vorgestellt wird; Raum aber und Zeit<br />

s<strong>in</strong>d beide nur <strong>in</strong> uns anzutreffen.<br />

Weil <strong>in</strong>dessen <strong>der</strong> Ausdruck: außer uns, e<strong>in</strong>e nicht zu vermeidende Zweideutigkeit bei sich<br />

führt, <strong>in</strong>dem er bald etwas bedeutet, was als D<strong>in</strong>g an sich selbst <strong>von</strong> uns unterschieden<br />

existiert, bald was bloß zur äußeren Ersche<strong>in</strong>ung gehört, so wollen wir, um diesen Begriff<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> letzteren Bedeutung, als <strong>in</strong> welcher eigentlich die psychologische Frage wegen <strong>der</strong><br />

Realität unserer äußeren Anschauung genommen wird, außer Unsicherheit zu setzen,<br />

empirisch äußerliche Gegenstände dadurch <strong>von</strong> denen, die so im transzendentalen S<strong>in</strong>ne<br />

heißen möchten, unterscheiden, daß wir sie geradezu D<strong>in</strong>ge nennen, die im Raume<br />

anzutreffen s<strong>in</strong>d. Raum und Zeit s<strong>in</strong>d zwar Vorstellungen a priori, welche uns als Formen<br />

unserer s<strong>in</strong>nlichen Anschauung beiwohnen, ehe noch e<strong>in</strong> wirklicher Gegenstand unseren<br />

S<strong>in</strong>n durch Empf<strong>in</strong>dung bestimmt hat, um ihn unter jenen s<strong>in</strong>nlichen Verhältnissen<br />

vorzustellen. Alle<strong>in</strong> dieses Materielle o<strong>der</strong> Reale, dieses Etwas, was im Raume<br />

angeschaut werden soll, setzt notwendig Wahrnehmung voraus, und kann unabhängig<br />

<strong>von</strong> dieser, welche die Wirklichkeit <strong>von</strong> etwas im Raume anzeigt, durch ke<strong>in</strong>e<br />

E<strong>in</strong>bildungskraft gedichtet und hervorgebracht werden. Empf<strong>in</strong>dung ist also dasjenige, was<br />

e<strong>in</strong>e Wirklichkeit im Raume und <strong>der</strong> Zeit bezeichnet, nachdem sie auf die e<strong>in</strong>e o<strong>der</strong> die<br />

an<strong>der</strong>e Art <strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlichen Anschauung bezogen wird. Ist Empf<strong>in</strong>dung e<strong>in</strong>mal gegeben<br />

(welche, wenn sie auf e<strong>in</strong>en Gegenstand überhaupt, ohne diesen zu bestimmen,<br />

angewandt wird, Wahrnehmung heißt), so kann durch die Mannigfaltigkeit <strong>der</strong>selben<br />

mancher Gegenstand <strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildung gedichtet werden, <strong>der</strong> außer <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildung im<br />

Raume o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Zeit ke<strong>in</strong>e empirische Stelle hat. Dieses ist ungezweifelt gewiß; man mag<br />

nun die Empf<strong>in</strong>dungen, Lust und Schmerz, o<strong>der</strong> auch <strong>der</strong> äußeren S<strong>in</strong>ne, als Farben,<br />

Wärme usw. nehmen, so ist Wahrnehmung dasjenige, wodurch <strong>der</strong> Stoff, um<br />

Gegenstände <strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlichen Anschauung zu denken, zuerst gegeben werden muß. Diese<br />

Wahrnehmung stellt also (damit wir diesmal nur bei äußeren Anschauungen bleiben)<br />

etwas Wirkliches im Raume vor. Denn erstlich ist Wahrnehmung die Vorstellung e<strong>in</strong>er<br />

Wirklichkeit, so wie Raum die Vorstellung e<strong>in</strong>er bloßen Möglichkeit des Beisammense<strong>in</strong>s.<br />

Zweitens wird diese Wirklichkeit vor dem äußeren S<strong>in</strong>n, d.i. im Raume vorgestellt. Drittens<br />

ist <strong>der</strong> Raum selbst nichts an<strong>der</strong>es als bloße Vorstellung, mith<strong>in</strong> kann <strong>in</strong> ihm nur das als<br />

wirklich gelten, was <strong>in</strong> ihm vorgestellt [19] wird, und umgekehrt, was <strong>in</strong> ihm gegeben, d.i.<br />

durch Wahrnehmung vorgestellt wird, ist <strong>in</strong> ihm auch wirklich; denn wäre es <strong>in</strong> ihm nicht<br />

wirklich, d.i. unmittelbar durch empirische Anschauung gegeben, so könnte es auch nicht<br />

erdichtet werden, weil man das Reale <strong>der</strong> Anschauungen gar nicht a priori erdenken kann.<br />

Alle äußere Wahrnehmung also beweist unmittelbar etwas Wirkliches im Raume, o<strong>der</strong> ist<br />

143


vielmehr das Wirkliche selbst, und <strong>in</strong>sofern ist also <strong>der</strong> empirische Realismus außer<br />

Zweifel, d.i. es korrespondiert unseren äußeren Anschauungen etwas Wirkliches im<br />

Raume. Freilich ist <strong>der</strong> Raum selbst, mit allen se<strong>in</strong>en Ersche<strong>in</strong>ungen, als Vorstellungen,<br />

nur <strong>in</strong> mir, aber <strong>in</strong> diesem Raume ist doch gleichwohl das Reale, o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Stoff aller<br />

Gegenstände äußerer Anschauung, wirklich und unabhängig <strong>von</strong> aller Erdichtung<br />

gegeben, und es ist auch unmöglich, daß <strong>in</strong> diesem Raume irgend etwas außer uns (im<br />

transzendentalen S<strong>in</strong>ne) gegeben werden sollte, weil <strong>der</strong> Raum selbst außer unserer<br />

S<strong>in</strong>nlichkeit nichts ist. Also kann <strong>der</strong> strengste Idealist nicht verlangen, man solle<br />

beweisen, daß unserer Wahrnehmung <strong>der</strong> Gegenstand außer uns (<strong>in</strong> strikter Bedeutung)<br />

entspreche. Denn wenn es <strong>der</strong>gleichen gäbe, so würde es doch nicht als außer uns<br />

vorgestellt und angeschaut werden können, weil dieses den Raum voraussetzt, und die<br />

Wirklichkeit im Raume, als e<strong>in</strong>er bloßen Vorstellung, nichts an<strong>der</strong>es als die Wahrnehmung<br />

selbst ist. Das Reale äußerer Ersche<strong>in</strong>ungen ist also wirklich nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wahrnehmung und<br />

kann auf ke<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Weise wirklich se<strong>in</strong>.<br />

Aus Wahrnehmungen kann nun, entwe<strong>der</strong> durch e<strong>in</strong> bloßes Spiel <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildung, o<strong>der</strong><br />

auch vermittels <strong>der</strong> Erfahrung, Erkenntnis <strong>der</strong> Gegenstände erzeugt werden. Und da<br />

können allerd<strong>in</strong>gs trügliche Vorstellungen entspr<strong>in</strong>gen, denen die Gegenstände nicht<br />

entsprechen und wobei die Täuschung bald e<strong>in</strong>em Blendwerke <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildung (im<br />

Traume), bald e<strong>in</strong>em Fehltritte <strong>der</strong> Urteilskraft (beim sogenannten Betruge <strong>der</strong> S<strong>in</strong>ne)<br />

beizumessen ist. Um nun hier<strong>in</strong> dem falschen Sche<strong>in</strong>e zu entgehen, verfährt man nach<br />

<strong>der</strong> Regel: Was mit e<strong>in</strong>er Wahrnehmung nach empirischen Gesetzen zusammenhängt, ist<br />

wirklich. Alle<strong>in</strong> diese Täuschung sowohl als die Verwahrung wi<strong>der</strong> dieselbe, trifft<br />

ebensowohl den Idealismus als den Dualismus, <strong>in</strong>dem es dabei nur um die Form <strong>der</strong><br />

Erfahrung zu tun ist. Den empirischen Idealismus, als e<strong>in</strong>e falsche Bedenklichkeit wegen<br />

<strong>der</strong> objektiven Realität unserer äußeren Wahrnehmungen, zu wi<strong>der</strong>legen, ist schon<br />

h<strong>in</strong>reichend: daß äußere Wahrnehmung e<strong>in</strong>e Wirklichkeit im Raume unmittelbar beweise,<br />

welcher Raum, ob er zwar an sich nur bloße Form <strong>der</strong> Vorstellungen ist, dennoch <strong>in</strong><br />

Ansehung aller äußeren Ersche<strong>in</strong>ungen (die auch nichts an<strong>der</strong>es als bloße Vorstellungen<br />

s<strong>in</strong>d) objektive Realität hat; imgleichen: daß ohne Wahrnehmung selbst die Erdichtung<br />

und <strong>der</strong> Traum nicht möglich s<strong>in</strong>d, unsere äußeren S<strong>in</strong>ne also, den datis nach, woraus<br />

Erfahrung entspr<strong>in</strong>gen kann, ihre wirklichen korrespondierenden Gegenstände im Raume<br />

haben.<br />

Der dogmatische Idealist würde <strong>der</strong>jenige se<strong>in</strong>, <strong>der</strong> das Dase<strong>in</strong> <strong>der</strong> Materie leugnet, <strong>der</strong><br />

skeptische, <strong>der</strong> sie bezweifelt, weil er sie für unerweislich hält. Der erstere kann es nur<br />

darum se<strong>in</strong>, weil er <strong>in</strong> <strong>der</strong> Möglichkeit e<strong>in</strong>er Materie überhaupt Wi<strong>der</strong>sprüche zu f<strong>in</strong>den<br />

glaubt; und mit diesem haben wir es jetzt noch nicht zu tun. Der folgende Abschnitt <strong>von</strong><br />

dialektischen Schlüssen, <strong>der</strong> die <strong>Vernunft</strong> <strong>in</strong> ihrem <strong>in</strong>neren Streite <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong><br />

Begriffe, die sich <strong>von</strong> <strong>der</strong> Möglichkeit dessen, was <strong>in</strong> den Zusammenhang <strong>der</strong> Erfahrung<br />

gehört, vorstellt, wird auch dieser Schwierigkeit abhelfen. Der skeptische Idealist aber, <strong>der</strong><br />

bloß den Grund unserer Behauptung anficht und unsere Überredung <strong>von</strong> dem Dase<strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Materie, die wir auf unmittelbare Wahrnehmung zu gründen glauben, für unzureichend<br />

erklärt, ist sofern e<strong>in</strong> Wohltäter <strong>der</strong> menschlichen <strong>Vernunft</strong>, als er uns nötigt, selbst bei<br />

dem kle<strong>in</strong>sten Schritte <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>en Erfahrung, die Augen wohl aufzutun und, was wir<br />

vielleicht nur erschleichen, nicht sogleich als wohlerworben <strong>in</strong> unseren Besitz<br />

aufzunehmen. Der Nutzen, den diese idealistischen Entwürfe hier schaffen, fällt jetzt klar<br />

<strong>in</strong> die Augen. Sie treiben uns mit Gewalt dah<strong>in</strong>, wenn wir uns nicht <strong>in</strong> unseren geme<strong>in</strong>sten<br />

Behauptungen verwickeln wollen, alle Wahrnehmungen, sie mögen nun <strong>in</strong>nere o<strong>der</strong><br />

äußere heißen, bloß als e<strong>in</strong> Bewußtse<strong>in</strong> dessen, was unserer S<strong>in</strong>nlichkeit anhängt und die<br />

äußeren Gegenstände <strong>der</strong>selben nicht für D<strong>in</strong>ge an sich selbst, son<strong>der</strong>n nur für<br />

144


Vorstellungen anzusehen, <strong>der</strong>en wir uns, wie je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Vorstellung, unmittelbar<br />

bewußt werden können, die aber darum äußere heißen, weil sie demjenigen S<strong>in</strong>ne<br />

anhängen, den wir den äußeren S<strong>in</strong>n nennen, dessen Anschauung <strong>der</strong> Raum ist, <strong>der</strong> aber<br />

doch selbst nichts an<strong>der</strong>s als e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere Vorstellungsart ist, <strong>in</strong> welcher sich gewisse<br />

Wahrnehmungen mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verknüpfen.<br />

Wenn wir äußere Gegenstände für D<strong>in</strong>ge an sich gelten lassen, so ist schlechth<strong>in</strong><br />

unmöglich zu begreifen, wie wir zur Erkenntnis ihrer Wirklichkeit außer uns kommen<br />

sollten, <strong>in</strong>dem wir uns bloß auf die Vorstellung stützen, die <strong>in</strong> uns ist. Denn man kann doch<br />

außer sich nicht empf<strong>in</strong>den, son<strong>der</strong>n nur <strong>in</strong> sich selbst, und das ganze Selbstbewußtse<strong>in</strong><br />

liefert daher nichts, als lediglich unsere eigenen Bestimmungen.<br />

Also nötigt uns <strong>der</strong> skeptische Idealismus, die e<strong>in</strong>zige Zuflucht, die uns übrig bleibt,<br />

nämlich zu <strong>der</strong> Idealität aller Ersche<strong>in</strong>ungen zu ergreifen, welche wir <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

transzendentalen Ästhetik unabhängig <strong>von</strong> diesen Folgen, die wir damals nicht<br />

voraussehen konnten, dargetan haben. Fragt man nun, ob denn diesem zufolge <strong>der</strong><br />

Dualismus alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Seelenlehre stattf<strong>in</strong>de, so ist die Antwort: Allerd<strong>in</strong>gs! aber nur im<br />

empirischen Verstande; d.i. <strong>in</strong> dem Zusammenhange <strong>der</strong> Erfahrung ist wirklich Materie, als<br />

Substanz <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung, dem äußeren S<strong>in</strong>ne, so wie das denkende Ich, gleichfalls<br />

als Substanz <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung, vor dem <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>ne gegeben und nach den Regeln,<br />

welche diese Kategorie <strong>in</strong> den Zusammenhang unserer äußeren sowohl als <strong>in</strong>neren<br />

Wahrnehmungen zu e<strong>in</strong>er Erfahrung h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gt, müssen auch bei<strong>der</strong>seits<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen unter sich verknüpft werden. Wollte man aber den Begriff des Dualismus,<br />

wie es gewöhnlich geschieht, erweitern und ihn im transzendentalen Verstande nehmen,<br />

so hätten we<strong>der</strong> er, noch <strong>der</strong> ihm entgegengesetzte Pneumatismus e<strong>in</strong>erseits, o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Materialismus an<strong>der</strong>erseits, nicht den m<strong>in</strong>desten Grund, <strong>in</strong>dem man alsdann die<br />

Bestimmung se<strong>in</strong>er Begriffe verfehlte und die Verschiedenheit <strong>der</strong> Vorstellungsart <strong>von</strong><br />

Gegenständen, die uns nach dem, was sie an sich s<strong>in</strong>d, unbekannt bleiben, für e<strong>in</strong>e<br />

Verschiedenheit dieser D<strong>in</strong>ge selbst hält. Ich, durch den <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>n <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit<br />

vorgestellt, und Gegenstände im Raume, außer mir, s<strong>in</strong>d zwar spezifisch ganz<br />

unterschiedene Ersche<strong>in</strong>ungen, aber dadurch werden sie nicht als verschiedene D<strong>in</strong>ge<br />

gedacht. Das transzendentale Objekt, welches den äußeren Ersche<strong>in</strong>ungen, imgleichen<br />

das, was <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren Anschauung zugrunde liegt, ist we<strong>der</strong> Materie, noch e<strong>in</strong> denkend<br />

Wesen an sich selbst, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong> uns unbekannter Grund <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen, die den<br />

empirischen Begriff <strong>von</strong> <strong>der</strong> ersten sowohl als zweiten Art an die Hand geben.<br />

Wenn wir also, wie uns denn die gegenwärtige <strong>Kritik</strong> augensche<strong>in</strong>lich dazu nötigt, <strong>der</strong><br />

oben festgesetzten Regel treu bleiben, unsere Fragen nicht weiterzutreiben, als nur soweit<br />

mögliche Erfahrung uns das Objekt <strong>der</strong>selben an die Hand geben kann: so werden wir es<br />

uns nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>fallen lassen, über die Gegenstände unserer S<strong>in</strong>ne nach demjenigen,<br />

was sie an sich selbst, d.i. ohne alle Beziehung auf die S<strong>in</strong>ne se<strong>in</strong> mögen, Erkundigung<br />

anzustellen. Wenn aber <strong>der</strong> Psychologe Ersche<strong>in</strong>ungen für D<strong>in</strong>ge an sich selbst nimmt,<br />

mag er als Materialist e<strong>in</strong>zig und alle<strong>in</strong> Materie, o<strong>der</strong> als Spiritualist bloß denkende Wesen<br />

(nämlich nach <strong>der</strong> Form unseres <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>nes), o<strong>der</strong> als Dualist beide, als für sich<br />

existierende D<strong>in</strong>ge, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Lehrbegriff aufnehmen: so ist er doch immer durch<br />

Mißverstand h<strong>in</strong>gehalten über die Art zu vernünfteln, wie dasjenige an sich selbst<br />

existieren möge, was doch ke<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g an sich, son<strong>der</strong>n nur die Ersche<strong>in</strong>ung e<strong>in</strong>es D<strong>in</strong>ges<br />

überhaupt ist.<br />

145


Betrachtung<br />

über die Summe <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Seelenlehre, zufolge diesen Paralogismen<br />

Wenn wir die Seelenlehre, als die Physiologie des <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>nes mit <strong>der</strong> Körperlehre, als<br />

e<strong>in</strong>er Physiologie <strong>der</strong> Gegenstände äußerer S<strong>in</strong>ne vergleichen: so f<strong>in</strong>den wir, außer dem,<br />

daß <strong>in</strong> beiden vieles empirisch erkannt werden kann, doch diesen merkwürdigen<br />

Unterschied, daß <strong>in</strong> <strong>der</strong> letzteren Wissenschaft doch vieles a priori, aus dem bloßen<br />

Begriffe e<strong>in</strong>es ausgedehnten undurchdr<strong>in</strong>glichen Wesens, <strong>in</strong> <strong>der</strong> ersteren aber, aus dem<br />

Begriffe e<strong>in</strong>es denkenden Wesens, gar nichts a priori synthetisch erkannt werden kann.<br />

Die Ursache ist diese. Obgleich beides Ersche<strong>in</strong>ungen s<strong>in</strong>d, so hat doch die Ersche<strong>in</strong>ung<br />

vor dem äußeren S<strong>in</strong>ne etwas Stehendes o<strong>der</strong> Bleibendes, welches e<strong>in</strong>, den wandelbaren<br />

Bestimmungen zugrunde liegendes Substratum und mith<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en synthetischen Begriff,<br />

nämlich den vom Raume und e<strong>in</strong>er Ersche<strong>in</strong>ung <strong>in</strong> demselben, an die Hand gibt: anstatt<br />

daß die Zeit, welche die e<strong>in</strong>zige Form unserer <strong>in</strong>neren Anschauung ist, nichts Bleibendes<br />

hat, mith<strong>in</strong> nur den Wechsel <strong>der</strong> Bestimmungen, nicht aber den bestimmbaren<br />

Gegenstand zu erkennen gibt. Denn <strong>in</strong> dem, was wir Seele nennen, ist alles im<br />

kont<strong>in</strong>uierlichen Flusse und nichts Bleibendes außer etwa (wenn man es durchaus will)<br />

das darum so e<strong>in</strong>fache Ich, weil diese Vorstellung ke<strong>in</strong>en Inhalt, mith<strong>in</strong> ke<strong>in</strong> Mannigfaltiges<br />

hat, weswegen sie auch sche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>faches Objekt vorzustellen o<strong>der</strong>, besser gesagt, zu<br />

bezeichnen. Dieses Ich müßte e<strong>in</strong>e Anschauung se<strong>in</strong>, welche, da sie beim Denken<br />

überhaupt (vor aller Erfahrung) vorausgesetzt würde, als Anschauung a priori synthetische<br />

Sätze lieferte, wenn es möglich se<strong>in</strong> sollte, e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e <strong>Vernunft</strong>erkenntnis <strong>von</strong> <strong>der</strong> Natur<br />

e<strong>in</strong>es denkenden Wesens überhaupt zustande zu br<strong>in</strong>gen. Alle<strong>in</strong> dieses Ich ist sowenig<br />

Anschauung, als Begriff <strong>von</strong> irgende<strong>in</strong>em Gegenstande, son<strong>der</strong>n die bloße Form des<br />

Bewußtse<strong>in</strong>s, welches bei<strong>der</strong>lei Vorstellungen begleiten und sie dadurch zu Erkenntnissen<br />

erheben kann, sofern nämlich dazu noch irgend etwas an<strong>der</strong>es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anschauung<br />

gegeben wird, welches zu e<strong>in</strong>er Vorstellung <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Gegenstande Stoff darreicht. Also<br />

fällt die ganze rationale Psychologie, als e<strong>in</strong>e alle Kräfte <strong>der</strong> menschlichen <strong>Vernunft</strong><br />

übersteigende Wissenschaft, und es bleibt uns nichts übrig, als unsere Seele an dem<br />

Leitfaden <strong>der</strong> Erfahrung zu studieren und uns <strong>in</strong> den Schranken <strong>der</strong> Fragen zu halten, die<br />

nicht weiter gehen, als mögliche <strong>in</strong>nere Erfahrung ihren Inhalt darlegen kann.<br />

Ob sie nun aber gleich als erweiternde Erkenntnis ke<strong>in</strong>en Nutzen hat, son<strong>der</strong>n als solche<br />

aus lauter Paralogismen zusammengesetzt ist, so kann man ihr doch, wenn sie für nichts<br />

mehr, als e<strong>in</strong>e kritische Behandlung unserer dialektischen Schlüsse und zwar <strong>der</strong><br />

geme<strong>in</strong>en und natürlichen <strong>Vernunft</strong>, gelten soll, e<strong>in</strong>en wichtigen negativen Nutzen nicht<br />

absprechen.<br />

Wozu haben wir wohl e<strong>in</strong>e bloß auf re<strong>in</strong>e <strong>Vernunft</strong>pr<strong>in</strong>zipien gegründete Seelenlehre<br />

nötig? Ohne Zweifel vorzüglich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Absicht, um unser denkendes Selbst wi<strong>der</strong> die<br />

Gefahr des Materialismus zu sichern. Dieses leistet aber <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong>begriff <strong>von</strong> unserem<br />

denkenden Selbst, den wir gegeben haben. Denn weit gefehlt, daß nach demselben e<strong>in</strong>ige<br />

Furcht übrig bliebe, daß, wenn man die Materie wegnähme, dadurch alles Denken und<br />

selbst die Existenz denken<strong>der</strong> Wesen aufgehoben werden würde, so wird vielmehr klar<br />

gezeigt: daß, wenn ich das denkende Subjekt wegnähme, die ganze Körperwelt wegfallen<br />

muß, als die nichts ist, als die Ersche<strong>in</strong>ung <strong>in</strong> <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit unseres Subjekts und e<strong>in</strong>e<br />

Art Vorstellungen desselben.<br />

Dadurch erkenne ich zwar freilich dieses denkende Selbst se<strong>in</strong>en Eigenschaften nach<br />

nicht besser, noch kann ich se<strong>in</strong>e Beharrlichkeit, ja selbst nicht e<strong>in</strong>mal die Unabhängigkeit<br />

146


se<strong>in</strong>er Existenz, <strong>von</strong> dem etwaigen transzendentalen Substratum äußerer Ersche<strong>in</strong>ungen<br />

e<strong>in</strong>sehen; denn dieses ist mir ebensowohl als jenes unbekannt. Weil es aber gleichwohl<br />

möglich ist, daß ich an<strong>der</strong>swoher, als aus bloß spekulativen Gründen Ursache hernähme,<br />

e<strong>in</strong>e selbständige und bei allem möglichen Wechsel me<strong>in</strong>es Zustandes beharrliche<br />

Existenz me<strong>in</strong>er denkenden Natur zu hoffen, so ist dadurch schon viel gewonnen, bei dem<br />

freien Geständnis me<strong>in</strong>er eigenen Unwissenheit, dennoch die dogmatischen Angriffe e<strong>in</strong>es<br />

spekulativen Gegners abtreiben zu können, und ihm zu zeigen: daß er niemals mehr <strong>von</strong><br />

<strong>der</strong> Natur me<strong>in</strong>es Subjekts wissen könne, um me<strong>in</strong>en Erwartungen die Möglichkeit<br />

abzusprechen, als ich, um mich an ihnen zu halten.<br />

Auf diesen transzendentalen Sche<strong>in</strong> unserer psychologischen Begriffe gründen sich dann<br />

noch drei dialektische Fragen, welche das eigentliche Ziel <strong>der</strong> rationalen Psychologie<br />

ausmachen und nirgend an<strong>der</strong>s, als durch obige Untersuchungen entschieden werden<br />

können, nämlich:<br />

1) <strong>von</strong> <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>schaft <strong>der</strong> Seele mit e<strong>in</strong>em organischen Körper, d.i. <strong>der</strong><br />

Animalität und dem Zustande <strong>der</strong> Seele im Leben des Menschen;<br />

2) vom Anfange dieser Geme<strong>in</strong>schaft, d.i. <strong>der</strong> Seele <strong>in</strong> und vor <strong>der</strong> Geburt des Menschen;<br />

3) dem Ende dieser Geme<strong>in</strong>schaft, d.i. <strong>der</strong> Seele im und nach dem Tode des Menschen<br />

(Frage wegen <strong>der</strong> Unsterblichkeit).<br />

Ich behaupte nun: daß alle Schwierigkeiten, die man bei diesen Fragen vorzuf<strong>in</strong>den<br />

glaubt, und mit denen, als dogmatischen E<strong>in</strong>würfen, man sich das Ansehen e<strong>in</strong>er tieferen<br />

E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> die Natur <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge, als <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>e Verstand wohl haben kann, zu geben<br />

sucht, auf e<strong>in</strong>em bloßen Blendwerke beruhen, nach welchem man das, was bloß <strong>in</strong><br />

Gedanken existiert, hypostasiert, und <strong>in</strong> eben<strong>der</strong>selben Qualität, als e<strong>in</strong>en wirklichen<br />

Gegenstand außerhalb dem denkenden Subjekte annimmt, nämlich Ausdehnung, die<br />

nichts als Ersche<strong>in</strong>ung ist, für e<strong>in</strong>e, auch ohne unsere S<strong>in</strong>nlichkeit, subsistierende<br />

Eigenschaft äußerer D<strong>in</strong>ge, und Bewegung für <strong>der</strong>en Wirkung, welche auch außer<br />

unseren S<strong>in</strong>nen an sich wirklich vorgeht, zu halten. Denn die Materie, <strong>der</strong>en Geme<strong>in</strong>schaft<br />

mit <strong>der</strong> Seele so großes Bedenken erregt, ist nichts an<strong>der</strong>es als e<strong>in</strong>e bloße Form, o<strong>der</strong><br />

e<strong>in</strong>e gewisse Vorstellungsart e<strong>in</strong>es unbekannten Gegenstandes, durch diejenige<br />

Anschauung, welche man den äußeren S<strong>in</strong>n nennt. Es mag also wohl etwas außer uns<br />

se<strong>in</strong>, dem diese Ersche<strong>in</strong>ung, welche wir Materie nennen, korrespondiert; aber <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong>selben Qualität als Ersche<strong>in</strong>ung ist es nicht außer uns, son<strong>der</strong>n lediglich als e<strong>in</strong><br />

Gedanke <strong>in</strong> uns, wiewohl dieser Gedanke durch genannten S<strong>in</strong>n, es als außer uns<br />

bef<strong>in</strong>dlich vorstellt. Materie bedeutet also nicht e<strong>in</strong>e <strong>von</strong> dem Gegenstande des <strong>in</strong>neren<br />

S<strong>in</strong>nes (Seele) so ganz unterschiedene und heterogene Art <strong>von</strong> Substanzen, son<strong>der</strong>n nur<br />

die Ungleichartigkeit <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen <strong>von</strong> Gegenständen (die uns an sich selbst<br />

unbekannt s<strong>in</strong>d), <strong>der</strong>en Vorstellungen wir äußere nennen, <strong>in</strong> Vergleichung mit denen, die<br />

wir zum <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>ne zählen, ob sie gleich ebensowohl bloß zum denkenden Subjekte,<br />

als alle übrigen Gedanken gehören, nur daß sie dieses Täuschende an sich haben: daß,<br />

da sie Gegenstände im Raume vorstellen, sie sich gleichsam <strong>von</strong> <strong>der</strong> Seele ablösen und<br />

außer ihr zu schweben sche<strong>in</strong>en, da doch selbst <strong>der</strong> Raum, dar<strong>in</strong> sie angeschaut werden,<br />

nichts als e<strong>in</strong>e Vorstellung ist, <strong>der</strong>en Gegenbild <strong>in</strong> <strong>der</strong>selben Qualität außer <strong>der</strong> Seele gar<br />

nicht angetroffen werden kann. Nun ist die Frage nicht mehr: <strong>von</strong> <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>schaft <strong>der</strong><br />

Seele mit an<strong>der</strong>en bekannten und fremdartigen Substanzen außer uns, son<strong>der</strong>n bloß <strong>von</strong><br />

<strong>der</strong> Verknüpfung <strong>der</strong> Vorstellungen des <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>nes mit den Modifikationen unserer<br />

äußeren S<strong>in</strong>nlichkeit, und wie diese untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> nach beständigen Gesetzen verknüpft<br />

se<strong>in</strong> mögen, so daß sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Erfahrung zusammenhängen.<br />

147


Solange wir <strong>in</strong>nere und äußere Ersche<strong>in</strong>ungen, als bloße Vorstellungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erfahrung,<br />

mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zusammenhalten, so f<strong>in</strong>den wir nichts Wi<strong>der</strong>s<strong>in</strong>niges und welches die<br />

Geme<strong>in</strong>schaft bei<strong>der</strong> Art S<strong>in</strong>ne befremdlich machte. Sobald wir aber die äußeren<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen hypostasieren, sie nicht mehr als Vorstellungen, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> <strong>der</strong>selben<br />

Qualität, wie sie <strong>in</strong> uns s<strong>in</strong>d, auch als außer uns für sich bestehende D<strong>in</strong>ge, ihre<br />

Handlungen aber, die sie als Ersche<strong>in</strong>ungen gegene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> im Verhältnis zeigen, auf<br />

unser denkendes Subjekt beziehen, so haben wir e<strong>in</strong>en Charakter <strong>der</strong> wirkenden<br />

Ursachen außer uns, <strong>der</strong> sich mit ihren Wirkungen <strong>in</strong> uns nicht zusammenreimen will, weil<br />

jener sich bloß auf äußere S<strong>in</strong>ne, diese aber auf den <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>n beziehen, welche, ob<br />

sie zwar <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Subjekte vere<strong>in</strong>igt, dennoch höchst ungleichartig s<strong>in</strong>d. Da haben wir<br />

denn ke<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>en äußere Wirkungen, als Verän<strong>der</strong>ungen des Ortes und ke<strong>in</strong>e Kräfte,<br />

als bloß Bestrebungen, welche auf Verhältnisse im Raume, als ihre Wirkungen auslaufen.<br />

In uns aber s<strong>in</strong>d die Wirkungen Gedanken, unter denen ke<strong>in</strong> Verhältnis des Ortes,<br />

Bewegung, Gestalt o<strong>der</strong> Raumesbestimmung überhaupt stattf<strong>in</strong>det und wir verlieren den<br />

Leitfaden <strong>der</strong> Ursachen gänzlich an den Wirkungen, die sich da<strong>von</strong> <strong>in</strong> dem <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>ne<br />

zeigen sollten. Aber wir sollten bedenken: daß nicht die Körper Gegenstände an sich s<strong>in</strong>d,<br />

die uns gegenwärtig s<strong>in</strong>d, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e bloße Ersche<strong>in</strong>ung, wer weiß, welches<br />

unbekannten Gegenstandes, daß die Bewegung nicht die Wirkung dieser unbekannten<br />

Ursache, son<strong>der</strong>n bloß die Ersche<strong>in</strong>ung ihres E<strong>in</strong>flusses auf unsere S<strong>in</strong>ne sei, daß folglich<br />

beide nicht etwas außer uns, son<strong>der</strong>n bloß Vorstellungen <strong>in</strong> uns s<strong>in</strong>d, mith<strong>in</strong> daß nicht die<br />

Bewegung <strong>der</strong> Materie <strong>in</strong> uns Vorstellungen wirke, son<strong>der</strong>n daß sie selbst (mith<strong>in</strong> auch die<br />

Materie, die sich dadurch kennbar macht) bloße Vorstellung sei und endlich die ganze<br />

selbstgemachte Schwierigkeit darauf h<strong>in</strong>auslaufe: wie und durch welche Ursache die<br />

Vorstellungen unserer S<strong>in</strong>nlichkeit so untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung stehen, daß diejenige,<br />

welche wir äußere Anschauungen nennen, nach empirischen Gesetzen, als Gegenstände<br />

außer uns, vorgestellt werden können; welche Frage nun ganz und gar nicht die verme<strong>in</strong>te<br />

Schwierigkeit enthält, den Ursprung <strong>der</strong> Vorstellungen <strong>von</strong> außer uns bef<strong>in</strong>dlichen ganz<br />

fremdartigen wirkenden Ursachen zu erklären, <strong>in</strong>dem wir die Ersche<strong>in</strong>ungen e<strong>in</strong>er<br />

unbekannten Ursache für die Ursache außer uns nehmen, welches nichts als Verwirrung<br />

veranlassen kann. In Urteilen, <strong>in</strong> denen e<strong>in</strong>e durch lange Gewohnheit e<strong>in</strong>gewurzelte<br />

Mißdeutung vorkommt, ist es unmöglich, die Berichtigung sofort zu <strong>der</strong>jenigen Faßlichkeit<br />

zu br<strong>in</strong>gen, welche <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Fällen gefor<strong>der</strong>t werden kann, wo ke<strong>in</strong>e <strong>der</strong>gleichen<br />

unvermeidliche Illusion den Begriff verwirrt. Daher wird diese unsere Befreiung <strong>der</strong><br />

<strong>Vernunft</strong> <strong>von</strong> sophistischen Theorien schwerlich schon die Deutlichkeit haben, die ihr zur<br />

völligen Befriedigung nötig ist.<br />

Ich glaube, diese auf folgende Weise beför<strong>der</strong>n zu können.<br />

Alle E<strong>in</strong>würfe können <strong>in</strong> dogmatische, kritische und skeptische e<strong>in</strong>geteilt werden. Der<br />

dogmatische E<strong>in</strong>wurf ist, <strong>der</strong> wi<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Satz, <strong>der</strong> kritische, <strong>der</strong> wi<strong>der</strong> den Beweis e<strong>in</strong>es<br />

Satzes gerichtet ist. Der erstere bedarf e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> die Beschaffenheit <strong>der</strong> Natur des<br />

Gegenstandes, um das Gegenteil <strong>von</strong> demjenigen behaupten zu können, was <strong>der</strong> Satz<br />

<strong>von</strong> diesem Gegenstande vorgibt; er ist daher selbst dogmatisch und gibt vor, die<br />

Beschaffenheit, <strong>von</strong> <strong>der</strong> die Rede ist, besser zu kennen, als <strong>der</strong> Gegenteil. Der kritische<br />

E<strong>in</strong>wurf, weil er den Satz <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Werte o<strong>der</strong> Unwerte unangetastet läßt und nur den<br />

Beweis anficht, bedarf gar nicht den Gegenstand besser zu kennen, o<strong>der</strong> sich e<strong>in</strong>er<br />

besseren Kenntnis desselben anzumaßen; er zeigt nur, daß die Behauptung grundlos,<br />

nicht, daß sie unrichtig sei. Der skeptische stellt Satz und Gegensatz wechselseitig<br />

gegene<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, als E<strong>in</strong>würfe <strong>von</strong> gleicher Erheblichkeit, e<strong>in</strong>en jeden <strong>der</strong>selben<br />

wechselweise als Dogma und den an<strong>der</strong>en als dessen E<strong>in</strong>wurf, ist also auf zwei<br />

entgegengesetzten Seiten dem Sche<strong>in</strong>e nach dogmatisch, um alles Urteil über den<br />

Gegenstand gänzlich zu vernichten. Der dogmatische also sowohl, als skeptische E<strong>in</strong>wurf,<br />

148


müssen beide so viel E<strong>in</strong>sicht ihres Gegenstandes vorgeben, als nötig ist, etwas <strong>von</strong> ihm<br />

bejahend o<strong>der</strong> verne<strong>in</strong>end zu behaupten. Der kritische ist alle<strong>in</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Art, daß, <strong>in</strong>dem er<br />

bloß zeigt, man nehme zum Behuf se<strong>in</strong>er Behauptung etwas an, was nichtig und bloß<br />

e<strong>in</strong>gebildet ist, die Theorie stürzt, dadurch, daß sie ihr die angemaßte Grundlage entzieht,<br />

ohne sonst etwas über die Beschaffenheit des Gegenstandes ausmachen zu wollen.<br />

Nun s<strong>in</strong>d wir nach den geme<strong>in</strong>en Begriffen unserer <strong>Vernunft</strong> <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong><br />

Geme<strong>in</strong>schaft, dar<strong>in</strong> unser denkendes Subjekt mit den D<strong>in</strong>gen außer uns steht,<br />

dogmatisch und sehen diese als wahrhafte unabhängig <strong>von</strong> uns bestehende Gegenstände<br />

an, nach e<strong>in</strong>em gewissen transzendentalen Dualismus, <strong>der</strong> jene äußeren Ersche<strong>in</strong>ungen<br />

nicht als Vorstellungen zum Subjekte zählt, son<strong>der</strong>n sie, so wie s<strong>in</strong>nliche Anschauung sie<br />

uns liefert, außer uns als Objekte versetzt und sie <strong>von</strong> dem denkenden Subjekte gänzlich<br />

abtrennt. Diese Subreption ist nun die Grundlage aller Theorien über die Geme<strong>in</strong>schaft<br />

zwischen Seele und Körper, und es wird niemals gefragt: ob denn diese objektive Realität<br />

<strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ungen so ganz richtig sei, son<strong>der</strong>n diese wird als zugestanden vorausgesetzt<br />

und nur über die Art vernünftelt, wie sie erklärt und begriffen werden müsse. Die<br />

gewöhnlichen drei hierüber erdachten und wirklich e<strong>in</strong>zig möglichen Systeme s<strong>in</strong>d die des<br />

physischen E<strong>in</strong>flusses, <strong>der</strong> vorher bestimmten Harmonie und <strong>der</strong> übernatürlichen<br />

Assistenz.<br />

Die zwei letzteren Erklärungsarten <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>schaft <strong>der</strong> Seele mit <strong>der</strong> Materie s<strong>in</strong>d auf<br />

E<strong>in</strong>würfe gegen die erstere, welche die Vorstellung des geme<strong>in</strong>en Verstandes ist,<br />

gegründet: daß nämlich dasjenige, was als Materie ersche<strong>in</strong>t, durch se<strong>in</strong>en unmittelbaren<br />

E<strong>in</strong>fluß nicht die Ursache <strong>von</strong> Vorstellungen, als e<strong>in</strong>er ganz heterogenen Art <strong>von</strong><br />

Wirkungen, se<strong>in</strong> könne. Sie können aber alsdann mit dem, was sie unter dem<br />

Gegenstande äußerer S<strong>in</strong>ne verstehen, nicht den Begriff e<strong>in</strong>er Materie verb<strong>in</strong>den, welche<br />

nichts als Ersche<strong>in</strong>ung, mith<strong>in</strong> schon an sich selbst bloße Vorstellung, die durch<br />

irgendwelche äußeren Gegenstände gewirkt worden; denn sonst würden sie sagen, daß<br />

die Vorstellungen äußerer Gegenstände (die Ersche<strong>in</strong>ungen) nicht äußere Ursachen <strong>der</strong><br />

Vorstellungen <strong>in</strong> unserem Gemüte se<strong>in</strong> können, welches e<strong>in</strong> ganz s<strong>in</strong>nleerer E<strong>in</strong>wurf se<strong>in</strong><br />

würde, weil es niemandem e<strong>in</strong>fallen wird, das, was er e<strong>in</strong>mal als bloße Vorstellung<br />

anerkannt hat, für e<strong>in</strong>e äußere Ursache zu halten. Sie müssen also nach unseren<br />

Grundsätzen ihre Theorie darauf richten, daß dasjenige, was <strong>der</strong> wahre (transzendentale)<br />

Gegenstand unsrer äußeren S<strong>in</strong>ne ist, nicht die Ursache <strong>der</strong>jenigen Vorstellungen<br />

(Ersche<strong>in</strong>ungen) se<strong>in</strong> könne, die wir unter dem Namen Materie verstehen. Da nun<br />

niemand mit Grund vorgeben kann, etwas <strong>von</strong> <strong>der</strong> transzendentalen Ursache unserer<br />

Vorstellungen äußerer S<strong>in</strong>ne zu kennen, so ist ihre Behauptung ganz grundlos. Wollten<br />

aber die verme<strong>in</strong>ten Verbesserer <strong>der</strong> Lehre vom physischen E<strong>in</strong>flusse, nach <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>en<br />

Vorstellungsart e<strong>in</strong>es transzendentalen Dualismus, die Materie, als solche, für e<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g an<br />

sich selbst (und nicht als bloße Ersche<strong>in</strong>ung e<strong>in</strong>es unbekannten D<strong>in</strong>ges) ansehen und<br />

ihren E<strong>in</strong>wurf dah<strong>in</strong> richten, zu zeigen: daß e<strong>in</strong> solcher äußerer Gegenstand, welcher<br />

ke<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Kausalität als die <strong>der</strong> Bewegungen an sich zeigt, nimmermehr die wirkende<br />

Ursache <strong>von</strong> Vorstellungen se<strong>in</strong> könne, son<strong>der</strong>n daß sich e<strong>in</strong> drittes Wesen deshalb <strong>in</strong>s<br />

Mittel schlagen müsse, um, wo nicht Wechselwirkung, doch wenigstens Korrespondenz<br />

und Harmonie zwischen beiden zu stiften; so würden sie ihre Wi<strong>der</strong>legung da<strong>von</strong><br />

anfangen, das prwton q»eudoV des physischen E<strong>in</strong>flusses <strong>in</strong> ihrem Dualismus<br />

anzunehmen und also durch ihren E<strong>in</strong>wurf nicht sowohl den natürlichen E<strong>in</strong>fluß, son<strong>der</strong>n<br />

ihre eigene dualistische Voraussetzung wi<strong>der</strong>legen. Denn alle Schwierigkeiten, welche die<br />

Verb<strong>in</strong>dung <strong>der</strong> denkenden Natur mit <strong>der</strong> Materie treffen, entspr<strong>in</strong>gen ohne Ausnahme<br />

lediglich aus jener erschlichenen dualistischen Vorstellung: daß Materie, als solche, nicht<br />

Ersche<strong>in</strong>ung, d.i. bloße Vorstellung des Gemüts, <strong>der</strong> e<strong>in</strong> unbekannter Gegenstand<br />

149


entspricht, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Gegenstand an sich selbst sei, so wie er außer uns und<br />

unabhängig <strong>von</strong> aller S<strong>in</strong>nlichkeit existiert.<br />

Es kann also wi<strong>der</strong> den geme<strong>in</strong> angenommenen physischen E<strong>in</strong>fluß ke<strong>in</strong> dogmatischer<br />

E<strong>in</strong>wurf gemacht werden. Denn nimmt <strong>der</strong> Gegner an, daß Materie und ihre Bewegung<br />

bloße Ersche<strong>in</strong>ungen und also selbst nur Vorstellungen seien, so kann er nur dar<strong>in</strong> die<br />

Schwierigkeit setzen, daß <strong>der</strong> unbekannte Gegenstand unserer S<strong>in</strong>nlichkeit nicht die<br />

Ursache <strong>der</strong> Vorstellungen <strong>in</strong> uns se<strong>in</strong> könne, welches aber vorzugeben ihn nicht das<br />

m<strong>in</strong>deste berechtigt, weil niemand <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em unbekannten Gegenstande ausmachen<br />

kann, was er tun o<strong>der</strong> nicht tun könne. Er muß aber, nach unseren obigen Beweisen,<br />

diesen transzendentalen Idealismus notwendig e<strong>in</strong>räumen, wofern er nicht offenbar<br />

Vorstellungen hypostasieren und sie, als wahre D<strong>in</strong>ge, außer sich versetzen will.<br />

Gleichwohl kann wi<strong>der</strong> die geme<strong>in</strong>e Lehrme<strong>in</strong>ung des physischen E<strong>in</strong>flusses e<strong>in</strong><br />

gegründeter kritischer E<strong>in</strong>wurf gemacht werden. E<strong>in</strong>e solche vorgegebene Geme<strong>in</strong>schaft<br />

zwischen zwei Arten <strong>von</strong> Substanzen, <strong>der</strong> denkenden und <strong>der</strong> ausgedehnten, legt e<strong>in</strong>en<br />

groben Dualismus zugrunde und macht die letztere, die doch nichts als bloße<br />

Vorstellungen des denkenden Subjekts s<strong>in</strong>d, zu D<strong>in</strong>gen, die für sich bestehen. Also kann<br />

<strong>der</strong> mißverstandene physische E<strong>in</strong>fluß dadurch völlig vereitelt werden, daß man den<br />

Beweisgrund desselben als nichtig und erschlichen aufdeckt.<br />

Die berüchtigte Frage wegen <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>schaft des Denkenden und Ausgedehnten würde<br />

also, wenn man alles E<strong>in</strong>gebildete abson<strong>der</strong>t, lediglich darauf h<strong>in</strong>auslaufen: wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

denkenden Subjekt überhaupt äußere Anschauung, nämlich die des Raumes (e<strong>in</strong>er<br />

Erfüllung desselben, Gestalt und Bewegung) möglich sei. Auf diese Frage aber ist es<br />

ke<strong>in</strong>em Menschen möglich e<strong>in</strong>e Antwort zu f<strong>in</strong>den, und man kann diese Lücke unseres<br />

Wissens niemals ausfüllen, son<strong>der</strong>n nur dadurch bezeichnen, daß man die äußeren<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen e<strong>in</strong>em transzendentalen Gegenstande zuschreibt, welcher die Ursache<br />

dieser Art Vorstellungen ist, den wir aber gar nicht kennen, noch jemals e<strong>in</strong>igen Begriff <strong>von</strong><br />

ihm bekommen werden. In allen Aufgaben, die im Felde <strong>der</strong> Erfahrung vorkommen<br />

mögen, behandeln wir jene Ersche<strong>in</strong>ungen als Gegenstände an sich selbst, ohne uns um<br />

den ersten Grund ihrer Möglichkeit (als Ersche<strong>in</strong>ungen) zu bekümmern. Gehen wir aber<br />

über <strong>der</strong>en Grenze h<strong>in</strong>aus, so wird <strong>der</strong> Begriff e<strong>in</strong>es transzendentalen Gegenstandes<br />

notwendig.<br />

Von diesen Er<strong>in</strong>nerungen, über die Geme<strong>in</strong>schaft zwischen dem denkenden und den<br />

ausgedehnten Wesen ist, die Entscheidung aller Streitigkeiten o<strong>der</strong> E<strong>in</strong>würfe, welche den<br />

Zustand <strong>der</strong> denkenden Natur vor dieser Geme<strong>in</strong>schaft (dem Leben), o<strong>der</strong> nach<br />

aufgehobener solchen Geme<strong>in</strong>schaft (im Tode) betreffen, e<strong>in</strong>e unmittelbare Folge. Die<br />

Me<strong>in</strong>ung, daß das denkende Subjekt vor aller Geme<strong>in</strong>schaft mit Körpern habe denken<br />

können, würde sich so ausdrücken: daß vor dem Anfange dieser Art <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit,<br />

wodurch uns etwas im Raume ersche<strong>in</strong>t, dieselben transzendentalen Gegenstände,<br />

welche im gegenwärtigen Zustande als Körper ersche<strong>in</strong>en, auf ganz an<strong>der</strong>e Art haben<br />

angeschaut werden können. Die Me<strong>in</strong>ung aber, daß die Seele, nach Aufhebung aller<br />

Geme<strong>in</strong>schaft mit <strong>der</strong> körperlichen Welt, noch fortfahren könne zu denken, würde sich <strong>in</strong><br />

dieser Form ankündigen: daß, wenn die Art <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit, wodurch uns transzendentale<br />

und für jetzt ganz unbekannte Gegenstände als materielle Welt ersche<strong>in</strong>en, aufhören<br />

sollte: so sei darum noch nicht alle Anschauung <strong>der</strong>selben aufgehoben und es sei ganz<br />

wohl möglich, daß ebendieselben unbekannten Gegenstände fortführen, obzwar freilich<br />

nicht mehr <strong>in</strong> <strong>der</strong> Qualität <strong>der</strong> Körper, <strong>von</strong> dem denkenden Subjekt erkannt zu werden.<br />

Nun kann zwar niemand den m<strong>in</strong>desten Grund zu e<strong>in</strong>er solchen Behauptung aus<br />

spekulativen Pr<strong>in</strong>zipien anführen, ja nicht e<strong>in</strong>mal die Möglichkeit da<strong>von</strong> dartun, son<strong>der</strong>n<br />

150


Wir s<strong>in</strong>d noch e<strong>in</strong>e deutliche und allgeme<strong>in</strong>e Erörterung des transzendentalen und doch<br />

natürlichen Sche<strong>in</strong>s <strong>in</strong> den Paralogismen <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong>, imgleichen die<br />

Rechtfertigung <strong>der</strong> systematischen und <strong>der</strong> Tafel <strong>der</strong> Kategorien parallel laufenden<br />

Anordnungen <strong>der</strong>selben, bisher schuldig geblieben. Wir hätten sie im Anfange dieses<br />

Abschnittes nicht übernehmen können, ohne <strong>in</strong> Gefahr <strong>der</strong> Dunkelheit zu geraten, o<strong>der</strong><br />

uns unschicklicherweise selbst vorzugreifen. Jetzt wollen wir diese Obliegenheit zu<br />

erfüllen suchen.<br />

Man kann allen Sche<strong>in</strong> dar<strong>in</strong> setzen: daß die subjektive Bed<strong>in</strong>gung des Denkens für die<br />

Erkenntnis des Objekts gehalten wird. Ferner haben wir <strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>leitung <strong>in</strong> die<br />

transzendentale Dialektik gezeigt: daß re<strong>in</strong>e <strong>Vernunft</strong> sich lediglich mit <strong>der</strong> Totalität <strong>der</strong><br />

Synthesis <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gungen zu e<strong>in</strong>em gegebenen Bed<strong>in</strong>gten beschäftige. Da nun <strong>der</strong><br />

dialektische Sche<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong> ke<strong>in</strong> empirischer Sche<strong>in</strong> se<strong>in</strong> kann, <strong>der</strong> sich beim<br />

bestimmten empirischen Erkenntnisse vorf<strong>in</strong>det, so wird er das Allgeme<strong>in</strong>e <strong>der</strong><br />

Bed<strong>in</strong>gungen des Denkens betreffen, und es wird nur drei Fälle des dialektischen<br />

Gebrauches <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong> geben:<br />

1. Die Synthesis <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>es Gedankens überhaupt.<br />

2. Die Synthesis <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gungen des empirischen Denkens.<br />

3. Die Synthesis <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gungen des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Denkens.<br />

In allen diesen dreien Fällen beschäftigt sich die re<strong>in</strong>e <strong>Vernunft</strong> bloß mit <strong>der</strong> absoluten<br />

Totalität dieser Synthesis, d.i. mit <strong>der</strong>jenigen Bed<strong>in</strong>gung, die selbst unbed<strong>in</strong>gt ist. Auf diese<br />

E<strong>in</strong>teilung gründet sich auch <strong>der</strong> dreifache transzendentale Sche<strong>in</strong>, <strong>der</strong> zu drei Abschnitten<br />

<strong>der</strong> Dialektik Anlaß gibt und zu ebensoviel sche<strong>in</strong>baren Wissenschaften aus re<strong>in</strong>er<br />

<strong>Vernunft</strong>, <strong>der</strong> transzendentalen Psychologie, Kosmologie und Theologie, die Idee an die<br />

Hand gibt. Wir haben es hier nur mit <strong>der</strong> ersteren zu tun.<br />

Weil wir beim Denken überhaupt <strong>von</strong> aller Beziehung des Gedanken auf irgende<strong>in</strong> Objekt<br />

(es sei <strong>der</strong> S<strong>in</strong>ne o<strong>der</strong> des <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Verstandes) abstrahieren: so ist die Synthesis <strong>der</strong><br />

Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>es Gedanken überhaupt (no. 1) gar nicht objektiv, son<strong>der</strong>n bloß e<strong>in</strong>e<br />

Synthesis des Gedanken mit dem Subjekt, die aber fälschlich für e<strong>in</strong>e synthetische<br />

Vorstellung e<strong>in</strong>es Objekts gehalten wird.<br />

Es folgt aber auch hieraus, daß <strong>der</strong> dialektische Schluß auf die Bed<strong>in</strong>gung alles Denkens<br />

überhaupt, die selbst unbed<strong>in</strong>gt ist, nicht e<strong>in</strong>en Fehler im Inhalte begehe (denn er<br />

abstrahiert <strong>von</strong> allem Inhalte o<strong>der</strong> Objekte), son<strong>der</strong>n daß er alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Form fehle und<br />

Paralogismus genannt werden müsse.<br />

Weil ferner die e<strong>in</strong>zige Bed<strong>in</strong>gung, die alles Denken begleitet, das Ich, <strong>in</strong> dem allgeme<strong>in</strong>en<br />

Satze: Ich denke, ist, so hat die <strong>Vernunft</strong> es mit dieser Bed<strong>in</strong>gung, sofern sie selbst<br />

unbed<strong>in</strong>gt ist, zu tun. Sie ist aber nur die formale Bed<strong>in</strong>gung, nämlich die logische E<strong>in</strong>heit<br />

e<strong>in</strong>es jeden Gedanken, bei dem ich <strong>von</strong> allem Gegenstande abstrahiere, und wird<br />

gleichwohl als e<strong>in</strong> Gegenstand, den ich denke, nämlich: Ich selbst und die unbed<strong>in</strong>gte<br />

E<strong>in</strong>heit desselben vorgestellt.<br />

Wenn mir jemand überhaupt die Frage aufwürfe: <strong>von</strong> welcher Beschaffenheit ist e<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g,<br />

welches denkt?, so weiß ich darauf a priori nicht das m<strong>in</strong>deste zu antworten, weil die<br />

Antwort synthetisch se<strong>in</strong> soll (denn e<strong>in</strong>e analytische erklärt vielleicht wohl das Denken,<br />

aber gibt ke<strong>in</strong>e erweiterte Erkenntnis <strong>von</strong> demjenigen, worauf dieses Denken se<strong>in</strong>er<br />

Möglichkeit nach beruht). Zu je<strong>der</strong> synthetischen Auflösung aber wird Anschauung<br />

erfor<strong>der</strong>t, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> so allgeme<strong>in</strong>en Aufgabe gänzlich weggelassen worden. Ebenso kann<br />

niemand die Frage <strong>in</strong> ihrer Allgeme<strong>in</strong>heit beantworten: was wohl das für e<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g se<strong>in</strong><br />

müsse, welches beweglich ist? Denn die undurchdr<strong>in</strong>gliche Ausdehnung (Materie) ist<br />

alsdann nicht gegeben. Ob ich nun zwar allgeme<strong>in</strong> auf jene Frage ke<strong>in</strong>e Antwort weiß, so<br />

152


sche<strong>in</strong>t es mir doch, daß ich sie im e<strong>in</strong>zelnen Falle, <strong>in</strong> dem Satze, <strong>der</strong> das<br />

Selbstbewußtse<strong>in</strong> ausdrückt: Ich denke, geben könne. Denn dieses Ich ist das erste<br />

Subjekt, d.i. Substanz, es ist e<strong>in</strong>fach usw.. Dieses müßten aber alsdann lauter<br />

Erfahrungssätze se<strong>in</strong>, die gleichwohl ohne e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e Regel, welche die<br />

Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Möglichkeit zu denken überhaupt und a priori aussagte, ke<strong>in</strong>e<br />

<strong>der</strong>gleichen Prädikate (welche nicht empirisch s<strong>in</strong>d) enthalten könnten. Auf solche Weise<br />

wird mir me<strong>in</strong>e anfänglich so sche<strong>in</strong>bare E<strong>in</strong>sicht, über die Natur e<strong>in</strong>es denkenden<br />

Wesens und zwar aus lauter Begriffen zu urteilen, verdächtig, ob ich gleich den Fehler<br />

<strong>der</strong>selben noch nicht entdeckt habe.<br />

Alle<strong>in</strong> das weitere Nachforschen h<strong>in</strong>ter den Ursprung dieser Attribute, die ich mir als e<strong>in</strong>em<br />

denkenden Wesen überhaupt beilege, kann diesen Fehler aufdecken. Sie s<strong>in</strong>d nichts mehr<br />

als re<strong>in</strong>e Kategorien, wodurch ich niemals e<strong>in</strong>en bestimmten Gegenstand, son<strong>der</strong>n nur die<br />

E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Vorstellungen, um e<strong>in</strong>en Gegenstand <strong>der</strong>selben zu bestimmen, denke. Ohne<br />

e<strong>in</strong>e zugrunde liegende Anschauung kann die Kategorie alle<strong>in</strong> mir ke<strong>in</strong>en Begriff <strong>von</strong><br />

e<strong>in</strong>em Gegenstande verschaffen; denn nur durch Anschauung wird <strong>der</strong> Gegenstand<br />

gegeben, <strong>der</strong> hernach <strong>der</strong> Kategorie gemäß gedacht wird. Wenn ich e<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g für e<strong>in</strong>e<br />

Substanz <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung erkläre, so müssen mir vorher Prädikate se<strong>in</strong>er Anschauung<br />

gegeben se<strong>in</strong>, an denen ich das Beharrliche vom Wandelbaren und das Substratum (D<strong>in</strong>g<br />

selbst) <strong>von</strong> demjenigen, was ihm bloß anhängt, unterscheide. Wenn ich e<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>fach <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung nenne, so verstehe ich darunter, daß die Anschauung desselben zwar e<strong>in</strong><br />

Teil <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung sei, selbst aber nicht geteilt werden könne usw.. Ist aber etwas nur<br />

für e<strong>in</strong>fach im Begriffe und nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ersche<strong>in</strong>ung erkannt, so habe ich dadurch wirklich<br />

gar ke<strong>in</strong>e Erkenntnis <strong>von</strong> dem Gegenstande, son<strong>der</strong>n nur <strong>von</strong> me<strong>in</strong>em Begriffe, den ich<br />

mir <strong>von</strong> etwas überhaupt mache, das ke<strong>in</strong>er eigentlichen Anschauung fähig ist. Ich sage<br />

nur, daß ich etwas ganz e<strong>in</strong>fach denke, weil ich wirklich nichts weiter als bloß, daß es<br />

Etwas sei, zu sagen weiß.<br />

Nun ist die bloße Apperzeption (Ich) Substanz im Begriffe, e<strong>in</strong>fach im Begriffe usw., und so<br />

haben alle jene psychologischen Lehrsätze ihre unstreitige Richtigkeit. Gleichwohl wird<br />

dadurch doch dasjenige ke<strong>in</strong>eswegs <strong>von</strong> <strong>der</strong> Seele erkannt, was man eigentlich wissen<br />

will; denn alle diese Prädikate gelten gar nicht <strong>von</strong> <strong>der</strong> Anschauung und können daher<br />

auch ke<strong>in</strong>e Folgen haben, die auf Gegenstände <strong>der</strong> Erfahrung angewandt würden, mith<strong>in</strong><br />

s<strong>in</strong>d sie völlig leer. Denn jener Begriff <strong>der</strong> Substanz lehrt mich nicht: daß die Seele für sich<br />

selbst fortdaure, nicht, daß sie <strong>von</strong> den äußeren Anschauungen e<strong>in</strong> Teil sei, <strong>der</strong> selbst<br />

nicht mehr geteilt werden könne, und <strong>der</strong> also durch ke<strong>in</strong>e Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Natur<br />

entstehen o<strong>der</strong> vergehen könne; lauter Eigenschaften, die mir die Seele im<br />

Zusammenhange <strong>der</strong> Erfahrung kennbar machen und <strong>in</strong> Ansehung ihres Ursprungs und<br />

künftigen Zustandes Eröffnung geben könnten. Wenn ich nun aber durch bloße Kategorie<br />

sage: die Seele ist e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache Substanz, so ist klar, daß, da <strong>der</strong> nackte<br />

Verstandesbegriff <strong>von</strong> Substanz nichts weiter enthält, als daß e<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g als Subjekt an sich,<br />

ohne wie<strong>der</strong>um Prädikat <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>n zu se<strong>in</strong>, vorgestellt werden solle, daraus nichts<br />

<strong>von</strong> Beharrlichkeit folge, und das Attribut des E<strong>in</strong>fachen diese Beharrlichkeit gewiß nicht<br />

h<strong>in</strong>zusetzen könne, mith<strong>in</strong> man dadurch über das, was die Seele bei den<br />

Weltverän<strong>der</strong>ungen treffen könne, nicht im m<strong>in</strong>desten unterrichtet werde. Würde man uns<br />

sagen können: sie ist e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>facher Teil <strong>der</strong> Materie, so würden wir <strong>von</strong> dieser, aus dem,<br />

was Erfahrung <strong>von</strong> ihr lehrt, die Beharrlichkeit und mit <strong>der</strong> e<strong>in</strong>fachen Natur zusammen, die<br />

Unzerstörlichkeit <strong>der</strong>selben ableiten können. Da<strong>von</strong> sagt uns aber <strong>der</strong> Begriff des Ich, <strong>in</strong><br />

dem psychologischen Grundsatze (Ich denke), nicht e<strong>in</strong> Wort.<br />

Daß aber das Wesen, welches <strong>in</strong> uns denkt, durch re<strong>in</strong>e Kategorien und zwar diejenigen,<br />

welche die absolute E<strong>in</strong>heit unter jedem Titel <strong>der</strong>selben ausdrücken, sich selbst zu<br />

erkennen verme<strong>in</strong>e, rührt daher. Die Apperzeption ist selbst <strong>der</strong> Grund <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong><br />

153


Kategorien, welche ihrerseits nichts an<strong>der</strong>es vorstellen, als die Synthesis des<br />

Mannigfaltigen <strong>der</strong> Anschauung, sofern dasselbe <strong>in</strong> <strong>der</strong> Apperzeption E<strong>in</strong>heit hat. Daher ist<br />

das Selbstbewußtse<strong>in</strong> überhaupt die Vorstellung desjenigen, was die Bed<strong>in</strong>gung aller<br />

E<strong>in</strong>heit, und doch selbst unbed<strong>in</strong>gt ist. Man kann daher <strong>von</strong> dem denkenden Ich (Seele),<br />

das sich als Substanz, e<strong>in</strong>fach, numerisch identisch <strong>in</strong> aller Zeit, und das Korrelatum alles<br />

Dase<strong>in</strong>s, aus welchem alles an<strong>der</strong>e Dase<strong>in</strong> geschlossen werden muß, sagen: daß es nicht<br />

sowohl sich selbst durch die Kategorien, son<strong>der</strong>n die Kategorien, und durch sie alle<br />

Gegenstände, <strong>in</strong> <strong>der</strong> absoluten E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Apperzeption, mith<strong>in</strong> durch sich selbst erkennt.<br />

Nun ist zwar sehr e<strong>in</strong>leuchtend, daß ich dasjenige, was ich voraussetzen muß, um<br />

überhaupt e<strong>in</strong> Objekt zu erkennen, nicht selbst als Objekt erkennen könne, und daß das<br />

bestimmende Selbst (das Denken), <strong>von</strong> dem bestimmbaren Selbst (dem denkenden<br />

Subjekt), wie Erkenntnis vom Gegenstande unterschieden sei. Gleichwohl ist nichts<br />

natürlicher und verführerischer als <strong>der</strong> Sche<strong>in</strong>, die E<strong>in</strong>heit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Synthesis <strong>der</strong> Gedanken<br />

für e<strong>in</strong>e wahrgenommene E<strong>in</strong>heit im Subjekte dieser Gedanken zu halten. Man könnte ihn<br />

die Subreption des hypostasierten Bewußtse<strong>in</strong>s (apperceptionis substantiatae) nennen.<br />

Wenn man den Paralogismus <strong>in</strong> den dialektischen <strong>Vernunft</strong>schlüssen <strong>der</strong> rationalen<br />

Seelenlehre, sofern sie gleichwohl richtige Prämissen haben, logisch betiteln will: so kann<br />

er für e<strong>in</strong> sophisma figurae dictionis gelten, <strong>in</strong> welchem <strong>der</strong> Obersatz <strong>von</strong> <strong>der</strong> Kategorie, <strong>in</strong><br />

Ansehung ihrer Bed<strong>in</strong>gung, e<strong>in</strong>en bloß transzendentalen Gebrauch, <strong>der</strong> Untersatz aber<br />

und <strong>der</strong> Schlußsatz <strong>in</strong> Ansehung <strong>der</strong> Seele, die unter diese Bed<strong>in</strong>gung subsumiert worden,<br />

<strong>von</strong> eben<strong>der</strong> Kategorie e<strong>in</strong>en empirischen Gebrauch macht. So ist z.B. <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong><br />

Substanz <strong>in</strong> dem Paralogismus <strong>der</strong> Simplizität e<strong>in</strong> re<strong>in</strong> <strong>in</strong>tellektueller Begriff, <strong>der</strong> ohne<br />

Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> s<strong>in</strong>nlichen Anschauung bloß <strong>von</strong> transzendentalem, d.i. <strong>von</strong> gar ke<strong>in</strong>em<br />

Gebrauch ist. Im Untersatze aber ist eben<strong>der</strong>selbe Begriff auf den Gegenstand aller<br />

<strong>in</strong>neren Erfahrung angewandt, ohne doch die Bed<strong>in</strong>gung se<strong>in</strong>er Anwendung <strong>in</strong> concreto,<br />

nämlich die Beharrlichkeit desselben, voraus festzusetzen und zugrunde zu legen, und<br />

daher e<strong>in</strong> empirischer, obzwar hier unzulässiger Gebrauch da<strong>von</strong> gemacht worden.<br />

154


Um endlich den systematischen Zusammenhang aller dieser dialektischen Behauptungen<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er vernünftelnden Seelenlehre, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Zusammenhange <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong>,<br />

mith<strong>in</strong> die Vollständigkeit <strong>der</strong>selben zu zeigen, so merke man: daß die Apperzeption durch<br />

alle Klassen <strong>der</strong> Kategorien, aber nur auf diejenigen Verstandesbegriffe durchgeführt<br />

werde, welche <strong>in</strong> je<strong>der</strong> <strong>der</strong>selben den übrigen zum Grunde <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er möglichen<br />

Wahrnehmung liegen, folglich: Subsistenz, Realität, E<strong>in</strong>heit (nicht Vielheit) und Existenz;<br />

nur daß die <strong>Vernunft</strong> sie hier alle als Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Möglichkeit e<strong>in</strong>es denkenden<br />

Wesens, die selbst unbed<strong>in</strong>gt s<strong>in</strong>d, vorstellt. Also erkennt die Seele an sich selbst<br />

1.<br />

Die unbed<strong>in</strong>gte E<strong>in</strong>heit<br />

des Verhältnisses<br />

d.i.<br />

sich selbst, nicht als <strong>in</strong>härierend,<br />

son<strong>der</strong>n<br />

subsistierend<br />

2. 3.<br />

Die unbed<strong>in</strong>gte E<strong>in</strong>heit Die unbed<strong>in</strong>gte E<strong>in</strong>heit<br />

<strong>der</strong> Qualität<br />

bei <strong>der</strong> Vielheit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit,<br />

d.i.<br />

d.i.<br />

nicht als reales Ganze, nicht <strong>in</strong> verschiedenen Zeiten<br />

son<strong>der</strong>n<br />

numerisch verschieden,<br />

e<strong>in</strong>fach [20]<br />

son<strong>der</strong>n als<br />

E<strong>in</strong>es und eben dasselbe<br />

Subjekt<br />

4.<br />

Die unbed<strong>in</strong>gte E<strong>in</strong>heit<br />

des Dase<strong>in</strong>s im Raume,<br />

d.i.<br />

nicht als das Bewußtse<strong>in</strong> mehrerer D<strong>in</strong>ge außer ihr,<br />

son<strong>der</strong>n<br />

nur des Dase<strong>in</strong>s ihrer selbst,<br />

an<strong>der</strong>er D<strong>in</strong>ge aber bloß<br />

als ihrer Vorstellungen.<br />

<strong>Vernunft</strong> ist das Vermögen <strong>der</strong> Pr<strong>in</strong>zipien. Die Behauptungen <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Psychologie<br />

enthalten nicht empirische Prädikte <strong>von</strong> <strong>der</strong> Seele, son<strong>der</strong>n solche, die, wenn sie<br />

stattf<strong>in</strong>den, den Gegenstand an sich selbst unabhängig <strong>von</strong> <strong>der</strong> Erfahrung, mith<strong>in</strong> durch<br />

bloße <strong>Vernunft</strong> bestimmen sollen. Sie müßten also billig auf Pr<strong>in</strong>zipien und allgeme<strong>in</strong>e<br />

Begriffe <strong>von</strong> denkenden Naturen überhaupt gegründet se<strong>in</strong>. An dessen Statt f<strong>in</strong>det sich,<br />

daß die e<strong>in</strong>zelne Vorstellung: Ich b<strong>in</strong>, sie <strong>in</strong>sgesamt regiert, welche eben darum, weil sie<br />

die re<strong>in</strong>e Formel aller me<strong>in</strong>er Erfahrung (unbestimmt) ausdrückt, sich wie e<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>er<br />

Satz, <strong>der</strong> für alle denkenden Wesen gelte, ankündigt und da er gleichwohl <strong>in</strong> aller Absicht<br />

e<strong>in</strong>zeln ist, den Sche<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er absoluten E<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gungen des Denkens überhaupt<br />

bei sich führt und dadurch sich weiter ausbreitet, als mögliche Erfahrung reichen könnte.<br />

155


Anmerkungen<br />

[ 1]<br />

Man hört h<strong>in</strong> und wie<strong>der</strong> Klagen über Seichtigkeit <strong>der</strong> Denkungsart unserer Zeit und den<br />

Verfall gründlicher Wissenschaft. Alle<strong>in</strong> ich sehe nicht, daß die, <strong>der</strong>en Grund gut gelegt ist,<br />

als Mathematik, Naturlehre usw. diesen Vorwurf im m<strong>in</strong>desten verdienen, son<strong>der</strong>n<br />

vielmehr den alten Ruhm <strong>der</strong> Gründlichkeit behaupten, <strong>in</strong> <strong>der</strong> letzteren aber sogar<br />

übertreffen. Eben <strong>der</strong>selbe Geist würde sich nun auch <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Arten <strong>von</strong> Erkenntnis<br />

wirksam beweisen, wäre nur allererst für die Berichtigung ihrer Pr<strong>in</strong>zipien gesorgt worden.<br />

In Ermanglung <strong>der</strong>selben s<strong>in</strong>d Gleichgültigkeit und Zweifel und endlich, strenge <strong>Kritik</strong>,<br />

vielmehr Beweise e<strong>in</strong>er gründlichen Denkungsart. Unser Zeitalter ist das eigentliche<br />

Zeitalter <strong>der</strong> <strong>Kritik</strong>, <strong>der</strong> sich alles unterwerfen muß. Religion, durch ihre Heiligkeit, und<br />

Gesetzgebung durch ihre Majestät wollen sich geme<strong>in</strong>iglich <strong>der</strong>selben entziehen. Aber<br />

alsdann erregen sie gerechten Verdacht wi<strong>der</strong> sich, und können auf unverstellte Achtung<br />

nicht Anspruch machen, die die <strong>Vernunft</strong> nur demjenigen bewilligt, was ihre freie und<br />

öffentliche Prüfung hat aushalten können.<br />

[ 2]<br />

Wäre es e<strong>in</strong>em <strong>von</strong> den Alten e<strong>in</strong>gefallen, auch nur diese Frage aufzuwerfen, so würde<br />

diese alle<strong>in</strong> allen Systemen <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> <strong>Vernunft</strong> bis auf unsere Zeit mächtig wi<strong>der</strong>standen<br />

haben, und hätte so viele eitele Versuche erspart, die, ohne zu wissen, womit man<br />

eigentlich zu tun hat, bl<strong>in</strong>dl<strong>in</strong>gs unternommen worden.<br />

[ 3]<br />

Die Deutschen s<strong>in</strong>d die e<strong>in</strong>zigen, welche sich jetzt des Worts Ästhetik bedienen, um<br />

dadurch das zu bezeichnen, was an<strong>der</strong>e <strong>Kritik</strong> des Geschmacks heißen. Es liegt hier e<strong>in</strong>e<br />

verfehlte Hoffnung zugrunde, die <strong>der</strong> vortreffliche Analyst Baumgarten faßte, die kritische<br />

Beurteilung des Schönen unter <strong>Vernunft</strong>pr<strong>in</strong>zipien zu br<strong>in</strong>gen, und die Regeln <strong>der</strong>selben<br />

zur Wissenschaft zu erheben. Alle<strong>in</strong> diese Bemühung ist vergeblich. Denn gedachte<br />

Regeln o<strong>der</strong> Kriterien s<strong>in</strong>d ihren Quellen nach bloß empirisch, und können also niemals zu<br />

Gesetzen a priori dienen, wonach sich unser Geschmacksurteil richten müßte, vielmehr<br />

macht das letztere den eigentlichen Probierste<strong>in</strong> <strong>der</strong> Richtigkeit <strong>der</strong> ersteren aus. Um<br />

deswillen ist es ratsam, diese Benennung wie<strong>der</strong>um e<strong>in</strong>gehen zu lassen, und sie<br />

<strong>der</strong>jenigen Lehre aufzubehalten, die wahre Wissenschaft ist, wodurch man auch <strong>der</strong><br />

Sprache und dem S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> Alten näher treten würde, bei denen die E<strong>in</strong>teilung <strong>der</strong><br />

Erkenntnis <strong>in</strong> aÎsjðhta kai nohta sehr berühmt war.<br />

[ 4]<br />

Ich kann zwar sagen: me<strong>in</strong>e Vorstellungen folgen e<strong>in</strong>an<strong>der</strong>; aber das heißt nur, wir s<strong>in</strong>d<br />

uns ihrer, als <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zeitfolge, d.i. nach <strong>der</strong> Form des <strong>in</strong>neren S<strong>in</strong>nes, bewußt. Die Zeit ist<br />

darum nicht etwas an sich selbst, auch ke<strong>in</strong>e den D<strong>in</strong>gen objektiv anhängende<br />

Bestimmung.<br />

[ 5]<br />

Gleich als wenn das Denken im ersten Fall e<strong>in</strong>e Funktion des Verstandes, im zweiten <strong>der</strong><br />

Urteilskraft, im dritten <strong>der</strong> <strong>Vernunft</strong> wäre. E<strong>in</strong>e Bemerkung, die erst <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge ihre<br />

Aufklärung erwartet.<br />

156


[ 6]<br />

Man gebe auf diesen Satz wohl acht, <strong>der</strong> <strong>von</strong> großer Wichtigkeit ist. Alle Vorstellungen<br />

haben e<strong>in</strong>e notwendige Beziehung auf e<strong>in</strong> mögliches empirisches Bewußtse<strong>in</strong>: denn<br />

hätten sie dieses nicht, und wäre es gänzlich unmöglich, sich ihrer bewußt zu werden; so<br />

würde das soviel sagen, sie existierten gar nicht. Alles empirische Bewußtse<strong>in</strong> hat aber<br />

e<strong>in</strong>e notwendige Beziehung auf e<strong>in</strong> transzendentales (vor aller beson<strong>der</strong>n Erfahrung<br />

vorhergehendes) Bewußtse<strong>in</strong>, nämlich das Bewußtse<strong>in</strong> me<strong>in</strong>er selbst, als die<br />

ursprüngliche Apperzeption. Es ist also schlechth<strong>in</strong> notwendig, daß <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em<br />

Erkenntnisse alles Bewußtse<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>em Bewußtse<strong>in</strong> (me<strong>in</strong>er selbst) gehöre. Hier ist nun<br />

e<strong>in</strong>e synthetische E<strong>in</strong>heit des Mannigfaltigen (Bewußtse<strong>in</strong>s), die a priori erkannt wird, und<br />

gerade so den Grund zu synthetischen Sätzen a priori, die das re<strong>in</strong>e Denken betreffen, als<br />

Raum und Zeit zu solchen Sätzen, die die Form <strong>der</strong> bloßen Anschauung angehen, abgibt.<br />

Der synthetische Satz: daß alles verschiedene empirische Bewußtse<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>igen<br />

Selbstbewußtse<strong>in</strong> verbunden se<strong>in</strong> müsse, ist <strong>der</strong> schlechth<strong>in</strong> erste und synthetische<br />

Grundsatz unseres Denkens überhaupt. Es ist aber nicht aus <strong>der</strong> Acht zu lassen, daß die<br />

bloße Vorstellung Ich <strong>in</strong> Beziehung auf alle an<strong>der</strong>en (<strong>der</strong>en kollektive E<strong>in</strong>heit sie möglich<br />

macht) das transzendentale Bewußtse<strong>in</strong> sei. Diese Vorstellung mag nun klar (empirisches<br />

Bewußtse<strong>in</strong>) o<strong>der</strong> dunkel se<strong>in</strong>, daran liegt hier nichts, ja nicht e<strong>in</strong>mal an <strong>der</strong> Wirklichkeit<br />

desselben; son<strong>der</strong>n die Möglichkeit <strong>der</strong> logischen Form alles Erkenntnisses beruht<br />

notwendig auf dem Verhältnis zu dieser Apperzeption als e<strong>in</strong>em Vermögen.<br />

[ 7]<br />

Daß die E<strong>in</strong>bildungskraft e<strong>in</strong> notwendiges Ingredienz <strong>der</strong> Wahrnehmung selbst sei, daran<br />

hat wohl noch ke<strong>in</strong> Psychologe gedacht. Das kommt daher, weil man dieses Vermögen<br />

teils nur auf Reproduktionen e<strong>in</strong>schränkte, teils, weil man glaubte, die S<strong>in</strong>ne lieferten uns<br />

nicht alle<strong>in</strong> E<strong>in</strong>drücke, son<strong>der</strong>n setzten solche auch sogar zusammen, und brächten Bil<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Gegenstände zuwege, wozu ohne Zweifel außer <strong>der</strong> Empfänglichkeit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>drücke,<br />

noch etwas mehr, nämlich e<strong>in</strong>e Funktion <strong>der</strong> Synthesis <strong>der</strong>selben erfor<strong>der</strong>t wird.<br />

[ 8]<br />

Der Mangel an Urteilskraft ist eigentlich das, was man Dummheit nennt, und e<strong>in</strong>em<br />

solchen Gebrechen ist gar nicht abzuhelfen. E<strong>in</strong> stumpfer o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>geschränkter Kopf, dem<br />

es an nichts, als an gehörigem Grade des Verstandes und eigenen Begriffen desselben<br />

mangelt, ist durch Erlernung sehr wohl, sogar bis zur Gelehrsamkeit, auszurüsten. Da es<br />

aber geme<strong>in</strong>iglich alsdann auch an jenem (<strong>der</strong> secunda Petri) zu fehlen pflegt, so ist es<br />

nichts Ungewöhnliches, sehr gelehrte Männer anzutreffen, die, im Gebrauche ihrer<br />

Wissenschaft, jenen nie zu bessernden Mangel häufig blicken lassen.<br />

[ 9]<br />

Man merke wohl: daß ich nicht <strong>von</strong> <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung gewisser Relationen überhaupt,<br />

son<strong>der</strong>n <strong>von</strong> Verän<strong>der</strong>ung des Zustandes rede. Daher, wenn e<strong>in</strong> Körper sich gleichförmig<br />

bewegt, so verän<strong>der</strong>t er se<strong>in</strong>en Zustand (<strong>der</strong> Bewegung) gar nicht; aber wohl, wenn se<strong>in</strong>e<br />

Bewegung zu- o<strong>der</strong> abnimmt.<br />

[10]<br />

Die E<strong>in</strong>heit des Weltganzen, <strong>in</strong> welchem alle Ersche<strong>in</strong>ungen verknüpft se<strong>in</strong> sollen, ist<br />

offenbar e<strong>in</strong>e bloße Folgerung des <strong>in</strong>sgeheim angenommenen Grundsatzes <strong>der</strong><br />

Geme<strong>in</strong>schaft aller Substanzen, die zugleich s<strong>in</strong>d: denn, wären sie isoliert, so würden sie<br />

nicht als Teile e<strong>in</strong> Ganzes ausmachen, und wäre ihre Verknüpfung (Wechselwirkung des<br />

Mannigfaltigen) nicht schon um des Zugleichse<strong>in</strong>s willen notwendig, so könnte man aus<br />

157


diesem, als e<strong>in</strong>em bloß idealen Verhältnis, auf jene, als e<strong>in</strong> reales, nicht schließen.<br />

Wiewohl wir an se<strong>in</strong>em Ort gezeigt haben: daß die Geme<strong>in</strong>schaft eigentlich <strong>der</strong> Grund <strong>der</strong><br />

Möglichkeit e<strong>in</strong>er empirischen Erkenntnis, <strong>der</strong> Koexistenz sei, und daß man also eigentlich<br />

nur aus dieser auf jene, als ihre Bed<strong>in</strong>gung, zurückschließe.<br />

[11]<br />

Durch die Wirklichkeit e<strong>in</strong>es D<strong>in</strong>ges setze ich freilich mehr als die Möglichkeit, aber nicht <strong>in</strong><br />

dem D<strong>in</strong>ge; denn das kann niemals mehr <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wirklichkeit enthalten, als was <strong>in</strong> dessen<br />

vollständiger Möglichkeit enthalten war. Son<strong>der</strong>n da die Möglichkeit bloß e<strong>in</strong>e Position des<br />

D<strong>in</strong>ges <strong>in</strong> Beziehung auf den Verstand (dessen empirischen Gebrauch) war, so ist die<br />

Wirklichkeit zugleich e<strong>in</strong>e Verknüpfung desselben mit <strong>der</strong> Wahrnehmung.<br />

[12]<br />

Ich verstehe hier die Realdef<strong>in</strong>ition, welche nicht bloß dem Namen e<strong>in</strong>er Sache an<strong>der</strong>e<br />

und verständlichere Wörter unterlegt, son<strong>der</strong>n die, so e<strong>in</strong> klares Merkmal, daran <strong>der</strong><br />

Gegenstand (def<strong>in</strong>itum) je<strong>der</strong>zeit sicher erkannt werden kann und den erklärten Begriff zur<br />

Anwendung brauchbar macht, <strong>in</strong> sich enthält. Die Realerklärung würde also diejenige se<strong>in</strong>,<br />

welche nicht bloß e<strong>in</strong>en Begriff, son<strong>der</strong>n zugleich die objektive Realität desselben deutlich<br />

macht. Die mathematischen Erklärungen, welche den Gegenstand dem Begriffe gemäß <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Anschauung darstellen, s<strong>in</strong>d <strong>von</strong> <strong>der</strong> letzteren Art.<br />

[13]<br />

Wollte man sich hier <strong>der</strong> gewöhnlichen Ausflucht bedienen: daß wenigstens realitates<br />

noumena e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> nicht entgegenwirken können, so müßte man doch e<strong>in</strong> Beispiel <strong>von</strong><br />

<strong>der</strong>gleichen re<strong>in</strong>er und s<strong>in</strong>nenfreier Realität anführen, damit man verstände, ob e<strong>in</strong>e<br />

solche überhaupt etwas o<strong>der</strong> gar nichts vorstelle. Aber es kann ke<strong>in</strong> Beispiel woher<br />

an<strong>der</strong>s, als aus <strong>der</strong> Erfahrung genommen werden, die niemals mehr als Phaenomena<br />

darbietet, und so bedeutet dieser Satz nichts weiter, als daß <strong>der</strong> Begriff, <strong>der</strong> lauter<br />

Bejahungen enthält, nichts Verne<strong>in</strong>endes enthalte; e<strong>in</strong> Satz, an dem wir niemals gezweifelt<br />

haben.<br />

[14]<br />

Die S<strong>in</strong>nlichkeit, dem Verstande untergelegt, als das Objekt, worauf dieser se<strong>in</strong>e Funktion<br />

anwendet, ist <strong>der</strong> Quell realer Erkenntnisse. Ebendieselbe aber, sofern sie auf die<br />

Verstandeshandlung selbst e<strong>in</strong>fließt und ihn zum Urteilen bestimmt, ist <strong>der</strong> Grund des<br />

Irrtums.<br />

[15]<br />

Er dehnte se<strong>in</strong>en Begriff freilich auch auf spekulative Erkenntnisse aus, wenn sie nur re<strong>in</strong><br />

und völlig a priori gegeben waren, sogar über die Mathematik, ob diese gleich ihren<br />

Gegenstand nirgend an<strong>der</strong>s, als <strong>in</strong> <strong>der</strong> möglichen Erfahrung hat. Hier<strong>in</strong> kann ich ihm nun<br />

nicht folgen, sowenig als <strong>in</strong> <strong>der</strong> mystischen Deduktion dieser Ideen o<strong>der</strong> den<br />

Übertreibungen, dadurch er sie gleichsam hypostasierte; wiewohl die hohe Sprache, <strong>der</strong>en<br />

er sich <strong>in</strong> diesem Felde bediente, e<strong>in</strong>er mil<strong>der</strong>en und <strong>der</strong> Natur <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge angemessenen<br />

Auslegung ganz wohl fähig ist.<br />

[16]<br />

Der Leser, <strong>der</strong> aus diesen Ausdrücken, <strong>in</strong> ihrer transzendentalen Abgezogenheit, nicht so<br />

leicht den psychologischen S<strong>in</strong>n <strong>der</strong>selben und warum das letztere Attribut <strong>der</strong> Seele zur<br />

Kategorie <strong>der</strong> Existenz gehöre, erraten wird, wird sie <strong>in</strong> dem Folgenden h<strong>in</strong>reichend erklärt<br />

158


und gerechtfertigt f<strong>in</strong>den. Übrigens habe ich wegen <strong>der</strong> late<strong>in</strong>ischen Ausdrücke, die statt<br />

<strong>der</strong> gleichbedeutenden deutschen, wi<strong>der</strong> den Geschmack <strong>der</strong> guten Schreibart,<br />

e<strong>in</strong>geflossen s<strong>in</strong>d, sowohl bei diesem Abschnitte, als auch <strong>in</strong> Ansehung des ganzen<br />

Werks, zur Entschuldigung anzuführen: daß ich lieber etwas <strong>der</strong> Zierlichkeit <strong>der</strong> Sprache<br />

habe entziehen, als den Schulgebrauch durch die m<strong>in</strong>deste Unverständlichkeit<br />

erschweren wollen.<br />

[17]<br />

Es ist sehr leicht, diesem Beweise die gewöhnliche schulgerechte Abgemessenheit <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>kleidung zu geben. Alle<strong>in</strong>, es ist zu me<strong>in</strong>em Zwecke schon h<strong>in</strong>reichend, den bloßen<br />

Beweisgrund, allenfalls auf populäre Art, vor Augen zu legen.<br />

[18]<br />

E<strong>in</strong>e elastische Kugel, die auf e<strong>in</strong>e gleiche <strong>in</strong> gera<strong>der</strong> Richtung stößt, teilt dieser ihre<br />

ganze Bewegung, mith<strong>in</strong> ihren ganzen Zustand (wenn man bloß auf die Stellen im Raume<br />

sieht) mit. Nehmt nun, nach <strong>der</strong> Analogie mit <strong>der</strong>gleichen Körpern, Substanzen an, <strong>der</strong>en<br />

die e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Vorstellungen, samt <strong>der</strong>en Bewußtse<strong>in</strong> e<strong>in</strong>flößte, so wird sich e<strong>in</strong>e<br />

ganze Reihe <strong>der</strong>selben denken lassen, <strong>der</strong>en die erste ihren Zustand, samt dessen<br />

Bewußtse<strong>in</strong>, <strong>der</strong> zweiten, diese ihren eigenen Zustand, samt dem <strong>der</strong> vorigen Substanz,<br />

<strong>der</strong> dritten und diese ebenso die Zustände aller vorigen, samt ihrem eigenen und <strong>der</strong>en<br />

Bewußtse<strong>in</strong>, mitteilte. Die letzte Substanz würde also aller Zustände <strong>der</strong> vor ihr<br />

verän<strong>der</strong>ten Substanzen sich als ihrer eigenen bewußt se<strong>in</strong>, weil jene zusamt dem<br />

Bewußtse<strong>in</strong> <strong>in</strong> sie übertragen worden, und demunerachtet, würde sie doch nicht<br />

ebendieselbe Person <strong>in</strong> allen diesen Zuständen gewesen se<strong>in</strong>.<br />

[19]<br />

Man muß diesen paradoxen, aber richtigen Satz wohl merken: daß im Raume nichts sei,<br />

als was <strong>in</strong> ihm vorgestellt wird. Denn <strong>der</strong> Raum ist selbst nichts an<strong>der</strong>es, als Vorstellung,<br />

folglich was <strong>in</strong> ihm ist, muß <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vorstellung enthalten se<strong>in</strong>, und im Raume ist gar nichts,<br />

außer, sofern es <strong>in</strong> ihm wirklich vorgestellt wird. E<strong>in</strong> Satz, <strong>der</strong> allerd<strong>in</strong>gs befremdlich<br />

kl<strong>in</strong>gen muß: daß e<strong>in</strong>e Sache nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vorstellung <strong>von</strong> ihr existieren könne, <strong>der</strong> aber hier<br />

das Anstößige verliert, weil die Sachen, mit denen wir es zu tun haben, nicht D<strong>in</strong>ge an<br />

sich, son<strong>der</strong>n nur Ersche<strong>in</strong>ungen, d.i. Vorstellungen s<strong>in</strong>d.<br />

[20]<br />

Wie das E<strong>in</strong>fache hier wie<strong>der</strong>um <strong>der</strong> Kategorie <strong>der</strong> Realität entspreche, kann ich jetzt noch<br />

nicht zeigen, son<strong>der</strong>n wird im folgenden Hauptstücke, bei Gelegenheit e<strong>in</strong>es an<strong>der</strong>n<br />

<strong>Vernunft</strong>gebrauchs ebendesselben Begriffs, gewiesen werden.<br />

159


Nachfolgende Anmerkungen s<strong>in</strong>d <strong>der</strong> u.g. Reclamausgabe (S.xy) entnommen:<br />

1<br />

Valent<strong>in</strong>er übersetzt: "Noch vor kurzem die Mächtigste <strong>von</strong> Allen und Herrscher<strong>in</strong> durch<br />

so viele Schwiegersöhne und K<strong>in</strong><strong>der</strong> - werde ich jetzt dem Vaterlande entrissen und hilflos<br />

fortgeführt." (S.6)<br />

2<br />

Die Seitenzahlen beziehen sich auf die Orig<strong>in</strong>alausgabe. (S.11)<br />

3<br />

Valent<strong>in</strong>er übersetzt: "Sieh dich <strong>in</strong> de<strong>in</strong>er eigenen Behausung um, und du wirst erkennen,<br />

wie e<strong>in</strong>fach de<strong>in</strong> Inventarium ist". (S.14)<br />

4<br />

Zählung <strong>der</strong> Orig<strong>in</strong>alausgabe. (S.14)<br />

5<br />

Zählung <strong>der</strong> Orig<strong>in</strong>alausgabe. (S.15)<br />

6<br />

(S.43):<br />

Inhalt *)<br />

Seite<br />

E<strong>in</strong>leitung 44<br />

I. Transzendentale Elementarlehre 92<br />

Erster Teil. Transzendentale Ästhetik 92<br />

1. Abschnitt. Vom Raume 95<br />

2. Abschnitt. Von <strong>der</strong> Zeit 103<br />

Zweiter Teil. Transzendentale Logik 125<br />

1. Abteilung. Transzendentale Analytik <strong>in</strong> zwei<br />

Büchern und <strong>der</strong>en verschiedenen<br />

Hauptstücken und Abschnitten 136<br />

2. Abteilung. Transzendentale Dialektik <strong>in</strong><br />

Büchern und <strong>der</strong>en verschiedenen<br />

Hauptstücken und Abschnitten 380<br />

II. Transzendentale Methodenlehre 739<br />

1.Hauptstück. Die Diszipl<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Vernuft 740<br />

2.Hauptstück. Der Kanon <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Vernuft 810<br />

3.Hauptstück. Die Architektonik <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Vernuft 840<br />

4.Hauptstück. Die Geschichte <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Vernuft 856<br />

*)<br />

Dieses Inhaltsverzeichnis, welches <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ausgabe A nach <strong>der</strong> Vorrede folgt,<br />

f e h l t <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ausgabe B, die überhaupt ke<strong>in</strong> Inhaltsverzeichnis enthält. Die<br />

Seitenzahlen s<strong>in</strong>d <strong>der</strong> vorliegenden Ausgabe gemäß umgewandelt worden.<br />

160


Quellenangaben<br />

<strong>Kritik</strong> <strong>der</strong> <strong>re<strong>in</strong>en</strong> Vernuft<br />

Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig 1979<br />

Reclams Universal-Bibliothek Band 274<br />

5. Auflage<br />

Bestellnummer: 660 224 2<br />

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HERAUSGEGEBEN VON RAYMUND SCHMIDT<br />

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KARSTEN WORM – Infosoftware, Berl<strong>in</strong> 2003<br />

161

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