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Download des Berichtes - EWS

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Das wäre ein enormer Befreiungsschlag<br />

Prof. Dr. Paul Kirchhof skizziert während der Petersberger Gespräche <strong>des</strong> <strong>EWS</strong><br />

Auswege aus der prekären wirtschaftlichen Lage und fordert die Einführung<br />

eines für jedermann leicht verständlichen Bun<strong>des</strong>steuergesetzbuchs<br />

Rückführung der dramatisch hohen Staatsverschuldung, Rückkehr zu Rationalität im<br />

Finanzsektor, persönliche Haftung für Top-Manager von Kapitalgesellschaften, mehr<br />

wirtschaftliche Freiheit für die Bürger, Ausmerzen von Fehlanreizen und Komplexität<br />

in der Steuergesetzgebung – aus Sicht von Prof. Dr. Paul Kirchhof können die Staaten<br />

der westlichen Welt den Absturz ihrer Volkswirtschaften wohl nur noch mit radikalem<br />

Umdenken verhindern. Auf den Petersberger Gesprächen <strong>des</strong> Europäischen Wirtschaftssenats<br />

e.V. (<strong>EWS</strong>) am 12. April 2010 im ehemaligen Gästehaus der Bun<strong>des</strong>regierung<br />

in Königswinter bei Bonn nutzte der Ehrengast konsequent die Gelegenheit,<br />

den Teilnehmern ohne Umschweife die Ernsthaftigkeit der aktuellen Lage der Weltwirtschaft<br />

vor Augen zu führen – wobei er den Fokus letztlich auf die deutsche<br />

Volkswirtschaft richtete.<br />

„Insbesondere China und Indien setzen die Industriestaaten der westlichen Welt heute einem<br />

bislang nicht gekannten Wettbewerbsdruck aus. Wir müssen uns die Frage stellen, mit welchen<br />

wirtschaftlichen Veränderungen wir diese Herausforderung in Deutschland und Europa<br />

meistern können“, begrüßte <strong>EWS</strong>-Präsident Dr. Ingo Friedrich die gut 50 Teilnehmer der<br />

Veranstaltung und bereitete damit den Boden für die Diskussionen <strong>des</strong> Nachmittags. „Volkswirtschaften<br />

müssen sich permanent erneuern. Die Wettbewerbswirtschaft kann das am<br />

besten“, griff <strong>EWS</strong>-Ehrenpräsident Prof. Dr. Bernhard Friedmann in seiner Begrüßung den<br />

Ball auf. Nicht ohne Grund habe die EU bei ihrer Osterweiterung darauf geachtet, dass sich<br />

die Länder hierzu bekennen. Planwirtschaft dagegen sei die Wirtschaftsform der Diktatur.<br />

Die Geschichte habe gezeigt, zu welchen Ergebnissen sie führe.<br />

Petersberger Wirtschaftsgespräche <strong>des</strong> Europäischen Wirtschaftssenats e. V. (<strong>EWS</strong>) am 12. April 2010 in<br />

Königswinter bei Bonn (von links nach rechts): Michael Jäger (<strong>EWS</strong>-Geschäftsleiter Sektionen und Verwaltung),<br />

Wolfgang Franken (<strong>EWS</strong>-Generalsekretär), Prof. Dr. Bernhard Friedmann (<strong>EWS</strong>-Ehrenpräsident),<br />

Carsten Steinert (Die Grünen) Christian Weisbrich (CDU), Prof. Dr. Paul Kirchhof, Klaus Bünger<br />

(FDP) und Dr. Ingo Friedrich (<strong>EWS</strong>-Präsident).<br />

Glasshouse – Center for Studies on a Free Economy April 2010 Seite 1


„Letztlich wird unsere Erneuerungsfähigkeit über unsere Zukunft entscheiden. Sind wir überhaupt<br />

in der Lage, die notwendigen Veränderungen durchzusetzen?“, legte Prof. Dr. Paul<br />

Kirchhof ohne Umschweife den Finger in die Wunde. Dringenden Handlungsbedarf sieht der<br />

Steuerrechtler und frühere Bun<strong>des</strong>verfassungsrichter unter anderem bei der dramatischen<br />

Prof. Dr. Paul Kirchhof: „Letztlich<br />

wird unsere Erneuerungsfähigkeit<br />

über unsere Zukunft entscheiden.“<br />

Verschuldung unseres Staates auf Bun<strong>des</strong>-, Länder- und kommunaler Ebene. Kirchhof verwies<br />

auf die offen ausgewiesenden Schulden, die bereits vor Beginn der jüngsten globalen<br />

Krise mehr als 1,5 Billionen Euro betrugen. Hinzu kommen wahrscheinlich etwa 5,5 Billionen<br />

Euro verdeckte Zahlungsverpflichtungen unseres Staates, die hier angesichts der demografischen<br />

Entwicklung wie Zeitbomben ticken.<br />

„Würde unser Staat ab sofort jährlich 100 Mrd. € tilgen, bräuchte er inklusive Zins und Zinseszins<br />

etwa 30 Jahre, nur um die offizielle ausgewiesene Verschuldung abzubauen“, rechnete<br />

Kirchhof vor. Allein der Bund müsse für seine Schulden inzwischen pro Jahr rund 40<br />

Mrd. € zahlen. „Stellen wir uns vor, dieser Betrag wäre für andere Zwecke frei“, führte der<br />

Steuerexperte den Teilnehmern der <strong>EWS</strong>-Wirtschaftsgespräche auf dem Petersberg vor<br />

Augen, in welch dramatischer Weise die Staatsverschuldung die Handlungsfähigkeit unseres<br />

Staates bereits heute einengt und ihn in immer größere Abhängigkeit von den Kreditgebern<br />

treibt. Zudem beeinträchtige der Staat mit seiner Schuldenpolitik in unverantwortlicher Weise<br />

die Entfaltungsmöglichkeiten künftiger Generationen, die den Folgen der hemmungslosen<br />

Schuldenpolitik wehrlos ausgeliefert sind.<br />

Für Kirchhof liegt es auf der Hand, dass sich unser Staat aus dieser Lage befreien muss,<br />

indem er ab sofort auf neue Schulden verzichtet und die vorhandenen Defizite zu tilgen<br />

beginnt – solange er dazu noch in der Lage ist. Dazu gehöre, dass die Politiker aller Parteien<br />

endlich aufhörten, immer weiter die Ansprüche der Bürger an den Staat zu schüren. Und<br />

auch wir Bürger dürften nicht länger jede Phantasie entwickeln, wie wir in die Staatskasse<br />

hineingreifen können. „Die Bürger bekommen immer mehr vom Staat und werden immer<br />

unzufriedener“, zog Kirchhof eine nüchterne Bilanz der vergangenen Jahrzehnte.<br />

Völlig von der Realität entfernt<br />

Auch dem hohen Maß an Irrationalität in den globalen Finanzmärkten gelte es, in Zukunft<br />

konsequent einen Riegel vorzuschieben. Während die Gütermärkte zur Versorgung der<br />

Menschen nach Rationalität strebten, bauten heute viel zu viele Finanzgeschäfte auf<br />

Anonymität und auf das Prinzip Hoffnung. Etwa bei vielen Fondsgeschäften wüssten die<br />

Anleger nicht, wie ihre Gelder angelegt werden und auf welche Weise die Renditen erzielt<br />

werden.<br />

Glasshouse – Center for Studies on a Free Economy April 2010 Seite 2


<strong>EWS</strong>-Präsident Dr. Ingo Friedrich:<br />

„Insbesondere China und Indien<br />

setzen die Industriestaaten der westlichen<br />

Welt heute einem bislang nicht<br />

gekannten Wettbewerbsdruck aus. Wir<br />

müssen uns die Frage stellen, mit welchen<br />

wirtschaftlichen Veränderungen<br />

wir diese Herausforderung in Deutschland<br />

und Europa meistern können.“<br />

Bei Derivatgeschäften wiederum entstünden Forderungen ohne jeden Bezug zur Realität.<br />

Kirchhof sprach in diesem Zusammenhang von einem ‚Markt <strong>des</strong> Nichtwissens’, in dem<br />

Finanzinstrumente kursieren, die mit scheinbar attraktiven Renditen winken, deren Zusammensetzung<br />

und realen Wert aber niemand tatsächlich beurteilen kann – nicht einmal<br />

die beteiligten Banken. „Die Derivatgeschäfte dürften inzwischen etwa dem Zehnfachen <strong>des</strong><br />

weltweiten Bruttosozialprodukts entsprechen“, deutete Kirchhof die wahre Dimension der<br />

Blase an den globalen Finanzmärkten an. Angesichts solcher Zahlen könne man wohl kaum<br />

davon ausgehen, dass die globale Finanz- und Wirtschaftskrise tatsächlich bereits<br />

ausgestanden sei.<br />

Schlussfolgerung: Die Regierungen seien gefragt, die Finanzmärkte in geeigneter Form zu<br />

regulieren, damit solche Entwicklungen in Zukunft ausgeschlossen seien. Etwa ein Verbot<br />

von Zweckgesellschaften könnte dazu beitragen, dass es keine Finanzgeschäfte mehr gebe,<br />

die sich völlig von der Realwirtschaft entfernten.<br />

Top-Manager von Kapitalgesellschaften sollen persönlich haften<br />

„Nur wer persönlich für seine Entscheidungen und Fehler haftet, ist ein geeigneter Wahrnehmer<br />

seiner Freiheitsrechte“, sprach der Rechtswissenschaftler eine weitere Ursache der<br />

Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre an und forderte die Wiedereinführung der Haftung<br />

für Top-Manager von Kapitalgesellschaften – in einer Größenordnung von 1,5 Jahresgehältern,<br />

nicht versicherbar. Gefragt seien auch auf den Führungsebenen der Kapitalgesellschaften<br />

‚Verantwortungseigentümer’, die wissen müssten, dass sie bei Fehlern ihr Kapital<br />

riskieren, statt die Folgen ihrer Fehler auf die Gemeinschaft abwälzen zu können – so<br />

wie Privatunternehmer ihren Kunden täglich ins Auge schauen müssen.<br />

Auch gegenüber staatlichen Hilfen für Unternehmen, die in ihrer Existenz bedroht sind,<br />

äußerte sich Kirchhof skeptisch. Springe der Staat in Ausnahmefällen dennoch ein, dürfe das<br />

nur nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit geschehen. Das heißt im Klartext: Sanierte Banken<br />

sollen den Staat durch Zinsnachlässe oder einen Teilerlaß der Staatsschulden stützen,<br />

sanierte Produktionsbetriebe in Form von Sachleistungen zur Staatssanierung beitragen –<br />

beispielsweise Automobilkonzerne mit kostenlosen Fahrzeugen für den Fuhrpark <strong>des</strong><br />

Staates.<br />

Freiheit ist der Schlüssel für die Zukunft<br />

Zweimal habe die Bun<strong>des</strong>republik im Laufe ihrer bisherigen Geschichte besonders kritische<br />

Situationen gemeistert, indem sie auf das Prinzip der Freiheit gebaut habe: Nach dem Krieg,<br />

als Deutschland in Schutt und Asche lag und an staatliche Leistungen mangels finanzieller<br />

Ressourcen nicht zu denken war. Und nach der Wiedervereinigung von Ost- und West-<br />

Glasshouse – Center for Studies on a Free Economy April 2010 Seite 3


deutschland. Kirchhof: „In beiden Fällen sagte der Staat nicht: Ich kann Euch helfen. Vielmehr<br />

sagte er: Ich gebe Euch die Freiheit.“<br />

Freiheit setze allerdings einen Vertrauensvorschuß voraus. Der Staat müsse auf die<br />

Leistungsfähigkeit und das Verantwortungsbewusstsein seiner Bürger vertrauen. Gebe der<br />

Staat seinen Bürgern diesen Vertrauensvorschuß nicht, „sind wir auf dem Weg in die Unfreiheit“,<br />

schrieb Kirchhof vielen Politikern ihren vielleicht größten Irrtum ins Stammbuch.<br />

<strong>EWS</strong>-Ehrenpräsident Prof. Dr. Bernhard<br />

Friedmann: „Volkswirtschaften müssen<br />

sich permanent erneuern. Die Wettbewerbswirtschaft<br />

kann das am besten.“<br />

Angesichts der Erfahrungen der Geschichte sei es höchste Zeit, sich zu besinnen, dass es<br />

zur ursprünglichen Idee der Sozialen Marktwirtschaft keine Alternative gebe – jedenfalls<br />

dann nicht, wenn unsere Gesellschaft auf die Freiheit der Menschen setze.<br />

Deutschland muss sich von seinen heutigen Steuergesetzen befreien<br />

Vor diesem Hintergrund forderte Kirchhof die Einführung eines Bun<strong>des</strong>steuergesetzbuchs,<br />

das die derzeitigen Steuergesetze ersetzen soll. Dieses von ihm entwickelte Steuersystem<br />

soll mit lediglich 478 Steuerparagraphen auskommen – statt der etwa 56.000 Paragraphen<br />

der heutigen Steuergesetze. Zudem baut dieses Bun<strong>des</strong>steuergesetzbuch auf eine Flat Tax<br />

in Höhe von 25 % <strong>des</strong> Einkommens. „Das heutige Steuerrecht hat seine innere Autorität<br />

verloren“, stellte der Wissenschaftler fest. Selbst Experten könnten es angesichts seiner<br />

Komplexität nicht mehr verstehen. Der Staat verlange von seinen Bürgern, dass sie mit ihren<br />

Unterschriften unter ihre Steuererklärungen die Richtigkeit ihrer Erklärungen bestätigen, was<br />

sie bei dem geltenden Steuerrecht allerdings nicht leisten könnten. „Wir leben fahrlässig in<br />

der unbewussten Steuerillegalität. Und schafft der Staat Gesetze, die niemand mehr verstehen<br />

kann, verweigert er den Dialog mit den Bürgern“, so Kirchhof.<br />

Zudem seien die mehr als 530 ‚Verführungstatbestände’, die es im heutigen Steuerrecht in<br />

Form von Steuersubventionen gebe, nicht akzeptabel. Beispielsweise bei einem Großteil der<br />

abgeschlossenen Versicherungen liege die Pointe für die Bürger im Steuerrecht. Letztlich<br />

gingen die angestrebten Steuerersparnisse allerdings zu Lasten der übrigen Steuerzahler.<br />

Gleiches gelte für beabsichtigte Verlustgeschäfte mit entsprechenden steuerlichen Verlustzuweisungen.<br />

Kirchhof: „Vertragsabschlüsse zu Lasten Dritter sind eigentlich gar nicht<br />

zulässig.“ Und dann folgte ein weiterer Schlüsselsatz <strong>des</strong> Nachmittags: „Wenn wir nicht mehr<br />

nach Gewinnen streben, stellen wir unser Wirtschaftssystem auf den Kopf.“ Dem müsse die<br />

Steuergesetzgebung Rechnung tragen.<br />

Rückkehr zu langfristigem Denken angemahnt<br />

Aus Sicht von Kirchhof muss unsere Gesellschaft zu langfristigem Denken zurückkehren.<br />

Viele politische Maßnahmen seinen nur von kurzfristiger Wirkung. „Wir beruhigen uns mit<br />

Glasshouse – Center for Studies on a Free Economy April 2010 Seite 4


ihnen, da wir ja vermeintlich nicht weiter denken müssen“, brachte der Rechtswissenschaftler<br />

ein großes Manko der auf Wahlen basierenden Demokratie zur Sprache.<br />

In der sich anschließenden Podiumsdiskussion mit Carsten Steinert für die Grünen, Staatssekretär<br />

a. D. Klaus Bünger für die FDP und Christian Weibrich, Vorsitzender der wirtschaftspolitischen<br />

Sprecher der Landtagsfraktionen von CDU/CSU, wurden einzelne Aspekte weiter<br />

vertieft.<br />

Letztlich herrschte Konsens: Ein ‚Weiter so!’ kann und darf es nicht geben. Sowohl in<br />

Deutschland als auch in Europa sind wirtschaftliche Veränderungen dringend notwendig. Es<br />

liegen ausreichend praktikable Ideen und Vorschläge auf dem Tisch. Die Politik ist am Zug,<br />

die Weichen entsprechend zu stellen. Die Petersberger Gespräche <strong>des</strong> <strong>EWS</strong> sollten hierzu<br />

einen Beitrag leisten. Das scheint gelungen.<br />

Wie kommen die europäischen Volkswirtschaften aus der Krise? Ganz sicher nicht mit einem ‚Weiter so’.<br />

Die Petersberger Gespräche <strong>des</strong> <strong>EWS</strong> leisteten einen Beitrag, die Antworten auf diese Frage zu finden.<br />

Weitere Informationen:<br />

Glasshouse – Center for Studies on a Free Economy<br />

53343 Wachtberg<br />

Telefon: +49-228-858261<br />

Mail to: info@glasshouse-europe.org<br />

Wachtberg, den 30. April 2010<br />

Glasshouse – Center for Studies on a Free Economy April 2010 Seite 5

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