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KZ-Züge auf der Heidebahn - Das Ende in Soltau

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Die meisten <strong>der</strong> Häftl<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> diesen letzten Transporten s<strong>in</strong>d bedrohlich geschwächt. Sie haben viele Tage und Nächte, e<strong>in</strong>ige seit zwei<br />

Wochen, <strong>auf</strong> engstem Raum gehockt o<strong>der</strong> gelegen. Ihre Toten begleiten sie - <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Ecke <strong>auf</strong>gestapelt o<strong>der</strong> <strong>in</strong> angehängten Waggons<br />

mitgeführt. Im Oen<strong>in</strong>ger Wald, an <strong>der</strong> <strong>Heidebahn</strong>, flüchten die kräftigeren Häftl<strong>in</strong>ge und machen sich <strong>auf</strong> <strong>in</strong> Richtung <strong>Soltau</strong>. Bereits <strong>in</strong><br />

den Wochen zuvor hatte es das gegeben, daß e<strong>in</strong>zelne sich während e<strong>in</strong>es Halts von ihrem Transport entfernt hatten, z. B. wenn ihnen<br />

befohlen worden war, die Toten zu begraben. Wer entkommen war, <strong>der</strong> hatte versucht, Essbares zu f<strong>in</strong>den und Wäsche von <strong>der</strong> Le<strong>in</strong>e zu<br />

stehlen. Denn ohne Zivilkleidung, das wusste je<strong>der</strong> "Gestreifte", war ke<strong>in</strong> weiteres Fortkommen möglich. <strong>Das</strong> Ersche<strong>in</strong>en <strong>der</strong><br />

ausgezehrten Gestalten hatte bei <strong>der</strong> Bevölkerung zumeist Angst o<strong>der</strong> gar Panik ausgelöst. Entwichene <strong>KZ</strong>-ler - dieser Begriff<br />

signalisierte vielfache Gefahr: Alle wussten von Seuchen, viele fürchteten um Leben und Eigentum und ke<strong>in</strong>er konnte sagen, ob <strong>der</strong><br />

Nachbar bei Hilfsbereitschaft schweigen würde. E<strong>in</strong>ige <strong>Soltau</strong>er behalten ihren Mut und geben ihrem Herzen nach, wenn sie nicht<br />

gesehen werden. Draußen an <strong>der</strong> Weide verpflegen Anwohner heimlich Geflohene, die sich im Gebiet an <strong>der</strong> Bahn versteckt halten.<br />

Selbst die Frau des Staatsbeamten, von allen für 150%ig gehalten, stellt ihren Topf mit Essensresten <strong>in</strong> den Holzverschlag neben dem<br />

Haus. Daß sie den hungrigen Menschen nie richtig zu Gesicht bekommt, macht es ihr leichter, die Ängste auszuhalten. So verschweigt<br />

sie ihr Handeln ihrem Mann, <strong>der</strong> immer noch die L<strong>in</strong>ie <strong>der</strong> Partei verficht.<br />

Achtet <strong>auf</strong> entwichene <strong>KZ</strong>-Häftl<strong>in</strong>ge<br />

Lüneburg, 10. April 1945<br />

Bei e<strong>in</strong>em Angriff fe<strong>in</strong>dlicher Flieger <strong>auf</strong> e<strong>in</strong>en Transport s<strong>in</strong>d Konzentrationsgefangene geflohen. Die Häftl<strong>in</strong>ge bef<strong>in</strong>den sich im<br />

Gebiet <strong>der</strong> Lüneburger Heide. Auch die gesamte zivile Bevölkerung und beson<strong>der</strong>s die Führer <strong>der</strong> nationalsozialistischen<br />

Glie<strong>der</strong>ungen und politischen Leiter werden <strong>auf</strong>gefor<strong>der</strong>t, sich an <strong>der</strong> Fahndung nach diesen <strong>KZ</strong>-Häftl<strong>in</strong>gen zu beteiligen, die<br />

bekanntlich beson<strong>der</strong>s zu Diebstahl, Raub, Plün<strong>der</strong>ung usw. neigen. Sie s<strong>in</strong>d zu stellen und festzunehmen. Für den Fall, dass die<br />

Konzentrationsgefangenen sich zur Wehr setzen sollten, s<strong>in</strong>d sie unter allen Umständen unschädlich zu machen. Die Häftl<strong>in</strong>ge<br />

s<strong>in</strong>d im allgeme<strong>in</strong>en an <strong>der</strong> gestreiften Gefangenenkleidung zu erkennen, wobei aber h<strong>in</strong>gewiesen wird, dass es etlichen gelungen<br />

se<strong>in</strong> könnte, sich an<strong>der</strong>e Kleidung zu beschaffen. Jedenfalls ist anzunehmen, dass sie es bei E<strong>in</strong>brüchen beson<strong>der</strong>s <strong>auf</strong><br />

Zivilkleidung abgesehen haben. (II)<br />

Maßnahmen<br />

Die Stadtoberen bekommen <strong>in</strong> den Aprilwochen drastisch mit, welche Unruhe die Entwichenen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bevölkerung verursachen, und<br />

stellen deshalb Verhaltensmaßregeln <strong>auf</strong>. Der Bürgermeister ist bei dem örtlichen Kriegskommandanten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Garnisons-Reitschule<br />

vorstellig geworden und sucht um Schutz und Hilfe vor plün<strong>der</strong>nden "<strong>KZ</strong>-lern" nach. Als zu se<strong>in</strong>em Bedauern die Garnison nur zwei<br />

Patrouillen für die Dauer e<strong>in</strong>es Tages abstellt, nimmt die Jagd nach uraltem Vorbild ihren L<strong>auf</strong>. Kle<strong>in</strong>e Gruppen von Hitlerjungen und<br />

e<strong>in</strong>ige Mädchen gehen unter Anleitung von Erwachsenen <strong>auf</strong> die Suche.<br />

Die Hatz<br />

Um zu lernen, wie man mit <strong>der</strong> Panzerfaust umgeht, um auch e<strong>in</strong>mal mitzumachen: <strong>in</strong> dieser Absicht war e<strong>in</strong> Teil des Jungvolks zum HJ-<br />

Heim nahe des Oen<strong>in</strong>ger Waldes gekommen, <strong>der</strong> heutigen Jugendherberge. Manch e<strong>in</strong>er hatte sich dafür von zu Hause wegstehlen<br />

müssen, weil sonst die Eltern den Wunsch nach e<strong>in</strong>em Kriegsabenteuer mit e<strong>in</strong>er Tracht Prügel gebremst hätten.<br />

Nun aber haben sie e<strong>in</strong>en beson<strong>der</strong>en Auftrag erhalten, pirschen durch die Gegend wie die Gestapo <strong>in</strong> ihren langen Mänteln durch die<br />

nahegelegenen Waldgebiete. Sie stöbern nach "<strong>KZ</strong>-Verbrechern" ebenso wie die Volkssturmmänner und die "Braunhemden" <strong>der</strong> Partei,<br />

die <strong>in</strong> Trupps zu zweit, zu dritt die Stadtviertel durchkämmen.<br />

E<strong>in</strong>e Suche ist zur Hatz geworden, <strong>in</strong> <strong>der</strong>en Verl<strong>auf</strong> nicht nur gejagt und e<strong>in</strong>gefangen, son<strong>der</strong>n auch geschossen wird.<br />

Zwölf Menschen s<strong>in</strong>d es, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tetendorfer Gegend e<strong>in</strong>gefangen und <strong>auf</strong> Hof Loh gesammelt werden, von wo aus man sie <strong>in</strong> die<br />

Nähe <strong>der</strong> Kieskuhle treibt. Tage später werden die <strong>auf</strong>geblähten Leichen von e<strong>in</strong>ern kle<strong>in</strong>en Trupp Hitlerjungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en<br />

Vertiefung entdeckt und schnell wie<strong>der</strong> zugescharrt. Sie bleiben bis Juli unentdeckt. Der Führer dieser Schar nimmt den grausigen Fund<br />

zum Anlaß, noch schneller das Kampfgebiet zu verlassen und se<strong>in</strong>e Jungen eilig nach Hause zu befehligen.<br />

An<strong>der</strong>e aber s<strong>in</strong>d "heiß", jagen <strong>auf</strong> eigene Faust und haben ke<strong>in</strong> schlechtes Gewissen. Wer von den Häftl<strong>in</strong>gen die Arme nicht hebt,<br />

son<strong>der</strong>n weiterläuft, stirbt <strong>auf</strong> <strong>der</strong> Flucht.<br />

Erschießungen<br />

Auch die beiden Leutnants mit ihren jugendlichen Helfern im Gebiet Sibirien s<strong>in</strong>d vorangekommen. H<strong>in</strong>ter dem HJ-Heim, <strong>auf</strong> <strong>der</strong><br />

Rückseite <strong>der</strong> Reitschule, ist e<strong>in</strong>e ganze Gruppe "Gestreifter" zusammengetrieben worden. E<strong>in</strong>ige wurden e<strong>in</strong>gefangen von ängstlichen<br />

o<strong>der</strong> braven Bürgern, an<strong>der</strong>e <strong>auf</strong>gestöbert von hasserfüllten Volksgenossen. Stolz haben die Pimpfe und Hitlerjungen die ermatteten<br />

Männer <strong>in</strong> ihren "Verbrecherklei<strong>der</strong>n" vom Bahnhof und an<strong>der</strong>swo zum Sammelpunkt geführt. Als Gruppe werden sie durch die Stadt<br />

getrieben, um sich beim Kampfkommandanten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Reitschule ihr "Urteil" abzuholen. Danach zurück zum Jugendheim. Nach immer<br />

demselben Muster wählt man e<strong>in</strong>e Kiesgrube. Im benachbarten Forst Sibirien gibt es davon e<strong>in</strong>ige. E<strong>in</strong>e ärgerliche Mutter aus <strong>der</strong><br />

Nachbarschaft, die ihre zuschauenden K<strong>in</strong><strong>der</strong> voller Angst <strong>in</strong>s Haus zerrt, beschimpft die beiden jungen Männer <strong>in</strong> Leutnantsuniform, die<br />

die Unternehmung leiten. Die Männer nehmen Rücksicht und gehen zur Erschießung e<strong>in</strong> bisschen tiefer <strong>in</strong> den Wald.<br />

Tote <strong>in</strong> "Sibirien"<br />

Als <strong>der</strong> englische Secret Service im Mai diesem Massengrab <strong>auf</strong> die Spur kommt, ist <strong>der</strong> Schock durch die <strong>in</strong> Bergen-Belsen gesehenen<br />

Greuel noch frisch. Der SD-Mann Rosen im Landratsamt, <strong>der</strong> Bürgermeister Klapproth und zwei Polizeileutnants - sie alle werden<br />

festgenommen, zum Grab gefahren und vor die l<strong>auf</strong>ende Wochenschaukamera gezerrt. Man for<strong>der</strong>t sie <strong>auf</strong>, die Toten freizulegen,<br />

<strong>der</strong>weil die Kamera ihre wachsbleichen Gesichter <strong>auf</strong>zeichnet. Sie werden gefragt um e<strong>in</strong>e Erklärung des Verbrechens, sagen, sie<br />

wüssten nichts, äußern Entsetzen angesichts <strong>der</strong> 25 Leichen. Eilig an<strong>der</strong>swo Verscharrte werden <strong>der</strong>weil von ihren Mör<strong>der</strong>n im<br />

Stadtgebiet heimlich ausgegraben und weggeschafft. Dennoch. Überall f<strong>in</strong>det man e<strong>in</strong>zelne Tote. Offen liegen die Leichen <strong>der</strong><br />

Entkräfteten im Oen<strong>in</strong>ger Forst. K<strong>in</strong><strong>der</strong> entdecken Tote <strong>in</strong> Kuhbach und Aue. E<strong>in</strong>sargen und Beerdigen. Die Rede am Grab <strong>auf</strong> dem<br />

Friedhof <strong>der</strong> Johanniskirche hält <strong>der</strong> Super<strong>in</strong>tendent.

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