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KZ-Züge auf der Heidebahn - Das Ende in Soltau

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Sammelgräber<br />

E<strong>in</strong> weiteres, drittes Massengrab wird Mitte Juli geöffnet - fünfzehn Tote <strong>in</strong> Ahlften. Die schreckliche Bilanz: M<strong>in</strong>destens 28 e<strong>in</strong>zelne Tote<br />

aus dem <strong>Soltau</strong>er Gebiet s<strong>in</strong>d es dann, die mit den 52 Toten aus den drei Massengräbern geme<strong>in</strong>sam <strong>auf</strong> dem Friedhof <strong>der</strong> St.<br />

Johanniskirche an <strong>der</strong> Bergstraße begraben liegen, als <strong>der</strong> katholische Pfarrer Voß wenige Jahre später den Grabste<strong>in</strong> weiht. 80 Tote,<br />

wie <strong>auf</strong> dem Ste<strong>in</strong> geschrieben, bleiben es jedoch nur kurze Zeit. Bereits die früheste Totenliste für die Grabstätte notiert die Zahl 89.<br />

Und als man <strong>in</strong> späteren Jahren im Bereich <strong>der</strong> Straße beim Krankenhaus und <strong>auf</strong> dem Edeka-Gelände <strong>auf</strong> weitere Tote stößt, hat man<br />

damit sicher nicht die letzten Opfer gefunden.<br />

Ke<strong>in</strong>e Sühne<br />

Was geschieht mit den <strong>Soltau</strong>ern, die mitgemacht haben bei <strong>der</strong> Jagd? Was ist mit den Schützen, die <strong>in</strong> ihren Revieren Menschen wie<br />

Tiere <strong>auf</strong> <strong>der</strong> Flucht erlegten? Was mit dem Polizisten, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e dieser Kreaturen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kellerabgang fand und die Pistole zog? Was<br />

wurde mit den Männern <strong>der</strong> Gestapo, die bei Oen<strong>in</strong>gen die Scheunen durchstöberten? Was mit den Parteigrößen, die bei E<strong>in</strong>friel<strong>in</strong>gen<br />

und Ahlften den Wald durchkämmten wie bei e<strong>in</strong>er Hasenjagd? Ke<strong>in</strong>e Sühne? Ke<strong>in</strong> Verfahren? In vielen Fällen schweigt <strong>der</strong> Ort, als sich<br />

<strong>der</strong> Secret Service an die weitere Ausforschung macht und gerichtsverwertbare Aussagen über die Verbrechen benötigt. Nur e<strong>in</strong>e Tötung<br />

führt zur Anklage, für die es im März 1948 e<strong>in</strong>e erste Verhandlung gibt, die im Saal des "Hotel Stadt Bremen" stattf<strong>in</strong>det. Die<br />

Böhmezeitung hat ihre Lizenz noch nicht zurück, viele wollen selbst zuhören, <strong>der</strong> Saal ist brechend voll. Mehrere Männer aus HJ,<br />

Volkssturrn und Partei werden beschuldigt, doch e<strong>in</strong>ige wissen sich sehr bald zu entlasten. Weit draußen, gegenüber <strong>der</strong> Siedlung<br />

"Neues Rottland" an <strong>der</strong> Lüneburger Straße, hatte es e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>zelnen Toten gegeben. Jetzt streiten sich die drei verbleibenden<br />

Angeklagten um ihren Anteil an <strong>der</strong> Tat. Und die Richter? Die Akten zeigen ihren Zwiespalt. Gab es e<strong>in</strong>en Befehl? Totschlag? Mord? Wer<br />

trägt die Schuld? Alle Verantwortlichkeit wird relativiert. Alle Vorgänge ersche<strong>in</strong>en mehr und mehr verschwommen, als e<strong>in</strong> Jahr später die<br />

Fortsetzung des Verfahrens alles noch e<strong>in</strong>mal <strong>auf</strong>rollt.<br />

Mauer des Schweigens<br />

"... Me<strong>in</strong>e Eltern und natürlich auch ich wohnten seit 1937 an <strong>der</strong> W<strong>in</strong>sener Straße, direkt an <strong>der</strong> Bahnüberführung. Me<strong>in</strong>e Mutter<br />

war ab 1939 dienstverpflichtet bei <strong>der</strong> Deutschen Reichsbahn und als Schrankenwärter<strong>in</strong> an <strong>der</strong> W<strong>in</strong>sener Straße tätig. So war ich<br />

als Acht- bis Neunjähriger Augenzeuge dieser zahlreichen grausamen Transporte von <strong>KZ</strong>-Häftl<strong>in</strong>gen. Als K<strong>in</strong>d habe ich se<strong>in</strong>erzeit<br />

die bis <strong>auf</strong>s Skelett abgemagerten Häftl<strong>in</strong>ge nicht als Menschen angesehen und zahlreiche schlaflose Nächte verbracht. So<br />

grausam waren die armen Menschen anzusehen im Vergleich zu den wohlgenährten SS-Wachmannschaften. E<strong>in</strong> vom Zug<br />

abgesprungener Häftl<strong>in</strong>g wurde <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nähe unseres Hauses <strong>auf</strong>gegriffen. Zwei NS-Schergen aus <strong>Soltau</strong> erschienen und machten<br />

kurzen Prozeß. Der Häftl<strong>in</strong>g mußte <strong>in</strong> ca. 100 Meter Entfernung unmittelbar unserem Haus gegenüber sich selbst e<strong>in</strong> Loch<br />

sch<strong>auf</strong>eln und wurde dann mit Kopfschuß getötet und nur unvollkommen mit Erde zugedeckt. Wir K<strong>in</strong><strong>der</strong> durften dieser Exekution<br />

<strong>in</strong> unmittelbarer Nähe beiwohnen und haben nach dem Abzug <strong>der</strong> NS-Schergen aus k<strong>in</strong>dlicher Neugier nachgeprüft, ob dort<br />

wirklich e<strong>in</strong> Mensch vergraben war. ..."<br />

"... Als sich die Situation nach <strong>der</strong> Kapitulation etwas beruhigt hatte, tauchten plötzlich die beiden ehemaligen Nazis des<br />

Standgerichtes bei me<strong>in</strong>em Vater <strong>auf</strong> und erkundigten sich genau, wo denn <strong>der</strong> erschossene Häftl<strong>in</strong>g begraben sei. Bei Nacht und<br />

Nebel wurde er dann ausgegraben und <strong>auf</strong> e<strong>in</strong>e "Ruhestätte" gebracht. <strong>Das</strong> schlechte Gewissen hatte die Parteigenossen<br />

e<strong>in</strong>geholt. In den Jahren 1943-46 haben sich me<strong>in</strong>es Wissens <strong>in</strong> <strong>Soltau</strong> und Umgebung viele solcher Vorfälle zugetragen, die aber<br />

nach 1945 mit e<strong>in</strong>er sicher wohlbegründeten Mauer des Schweigens umgeben wurden. ..." (III)<br />

Kurt Tödter<br />

Dabeigewesen<br />

E<strong>in</strong>e bes<strong>in</strong>nungslose Hetzjagd hatte es gegeben - voller Angst und Hass. Und es waren junge Menschen dabeigewesen, mit <strong>der</strong>en<br />

Familien man jetzt zusammenlebte und morgen würde leben müssen. Weil man die Jüngeren <strong>der</strong> Täter schützen wollte, schwieg man<br />

deshalb auch über die Älteren?<br />

Nach e<strong>in</strong> paar Jahren, als die Bevölkerung ihre Schützenfeste nicht mehr nur mit Holzgewehren, sondem wie<strong>der</strong> "richtig" feiern darf,<br />

kommen dann und wann verdrängte Wahrheiten zwischen alten Beteiligten ans Licht. Da streiten sie sich um e<strong>in</strong> Ehrenamt, da geht es<br />

um dieselbe Frau, o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>em wird e<strong>in</strong> Geschäft vermasselt.<br />

Da gibt es Kränkungen, die zu übler Nachrede führen, und böse Zungen tuscheln. Dann hört man auch Böses über die alten Kumpane.<br />

Die "ganz Scharfen" seien gar nicht von hier, sondem aus <strong>der</strong> benachbarten Garnisonsstadt gekommen. Man selbst sei nicht so schlimm<br />

gewesen...<br />

Heute s<strong>in</strong>d die Pimpfe von damals im Alter <strong>der</strong> Großväter. Was ist, wenn man sie fragt? Sie haben lange geschwiegen, aber sie haben<br />

nicht vergessen, und e<strong>in</strong>ige können heute offener davon sprechen, dabeigewesen zu se<strong>in</strong>.<br />

Vom Bahnhof <strong>auf</strong> die Jagd<br />

Der Prozeß im Hotel Stadt Bremen und Auszüge aus <strong>der</strong> Urteilswie<strong>der</strong>gabe<br />

Der jüngste Angeklagte im <strong>Soltau</strong>er Mordprozeß 1948 ist <strong>der</strong> Elektrolehrl<strong>in</strong>g F. In den Apriltagen 1945 ist er, damals noch<br />

sechzehnjährig, e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Hitlerjungen, die <strong>in</strong> <strong>Soltau</strong> <strong>auf</strong> Häftl<strong>in</strong>gsjagd geschickt werden. Am Vormittag des 11. April versieht er<br />

se<strong>in</strong>en Wachdienst am Bahnhof <strong>Soltau</strong>. Während des schweren Bombenangriffs flüchten e<strong>in</strong>ige <strong>der</strong> Häftl<strong>in</strong>ge, die neben <strong>der</strong><br />

Sanitätsbaracke festgehalten werden, erneut. Mit Pistolen bewaffnet machen sich F. und an<strong>der</strong>e jugendliche Bewacher <strong>auf</strong> die<br />

Suche nach den Entflohenen. Am späten Nachmittag trifft F. bei se<strong>in</strong>em Elternhaus <strong>auf</strong> den Nachbarn, Arbeiter K. Dieser, 44<br />

Jahre alt und SA-Sturmbannführer, hat e<strong>in</strong>en entkräfteten <strong>KZ</strong>-Häftl<strong>in</strong>g bei e<strong>in</strong>em Waldstück nahe <strong>der</strong> Lüneburger Straße <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Furche entdeckt. Der Häftl<strong>in</strong>g wird wenig später erschossen.<br />

Die Angeklagten leugnen<br />

Dem Tatvorwurf - geme<strong>in</strong>schaftlicher Mord - suchen K. und F. sowie <strong>der</strong> dritte Angeklagte, <strong>der</strong> achtzehnjährige Schuhmacher<br />

S., zu entgehen. Als es 1948 zur Verhandlung kommt, leugnen sie gleichermaßen:<br />

"K. behauptet, dass nicht er, son<strong>der</strong>n F. den Häftl<strong>in</strong>g am 11.4.1945 erschossen habe und S., dass er und F. zwar <strong>in</strong> den Garten<br />

mit h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gegangen seien, sich aber vor <strong>der</strong> Erschiessung entfernt hätten, während F. den Vorfall <strong>auf</strong> e<strong>in</strong>ige Tage nach dem<br />

11.4.1945 verlegt und <strong>in</strong> den Garten erst h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gegangen se<strong>in</strong> will, nachdem <strong>der</strong> Schuss bereits gefallen sei."<br />

Später macht K. dem jungen F. den Vorwurf, dieser habe ihn zur Tat getrieben. F.s H<strong>in</strong>weis <strong>auf</strong> die Existenz e<strong>in</strong>es Befehls zum<br />

Erschießen habe ihn e<strong>in</strong>geschüchtert. Im weiteren Verfahren geht es dann u. a. um die Frage, ob es e<strong>in</strong>en allgeme<strong>in</strong>en

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