4 - AlphaZirkel
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Die Unternehmenskultur<br />
im Familienunternehmen<br />
Was trägt sie, was prägt sie,<br />
was bedeutet sie für den<br />
Unternehmenserfolg?<br />
Herausgeber: Andreas E. Mach
© 2007 ALPHAZIRKEL<br />
Praterinsel 3 - 4, 80538 München<br />
Tel: +49 (89) 21034-211<br />
Fax +49 (89) 21034-110<br />
www.alphazirkel.de<br />
Redaktion: HartzCommunication,<br />
Gesellschaft für Öffentlichkeitsarbeit mbH, München<br />
Auflage: 3.000<br />
Alle Rechte, einschließlich derjenigen<br />
des auszugsweisen Abdrucks sowie<br />
der photomechanischen Wiedergabe,<br />
vorbehalten.
Geschäftsführende Initiatoren des<br />
Initiatoren des<br />
Sponsoren des
Inhalt<br />
Kapitel<br />
Vorwort von Arend Oetker: Gedanken zur Unternehmenskultur<br />
Einleitung von Andreas E. Mach<br />
Seite<br />
9<br />
11<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
6<br />
7<br />
8<br />
9<br />
10<br />
11<br />
12<br />
Alphazirkel Studie: Die Unternehmenskultur im Familienunternehmen<br />
Andreas E. Mach:<br />
Vorgelebte Werte generieren Vertrauen und Motivation<br />
<strong>AlphaZirkel</strong> Unternehmerabend zum Thema „Unternehmenskultur“<br />
Raphael M. Zehetbauer:<br />
Haben oder Sein – Sozialisationsbedingungen von Unternehmerkindern<br />
Prof. Dr. Dieter Frey, Claudia Peus und Silke Weisweiler:<br />
Unternehmensnachfolge: Chance und Herausforderung für eine ethikorientierte<br />
Führung und eine partnerschaftliche Unternehmenskultur<br />
Dr. Frank Zurlino:<br />
Starke Innovationskulturen brauchen starke Leitbilder<br />
Harald Labbow:<br />
Unternehmen brauchen Werte:<br />
Warum Verstöße sanktioniert werden müssen<br />
Christoph Freiherr von Nostitz:<br />
Sinneswandel bei der Einstellung von älteren Fach- und<br />
Führungskräften<br />
Dr. Sven Mandewirth:<br />
Herausforderung Managemententwicklung im Mittelstand –<br />
Einflussmöglichkeiten auf die Unternehmenskultur<br />
Romana Traichel:<br />
Unternehmenskultur ist auch Streitkultur – Vermeidung von Streit durch<br />
frühzeitige Regelung der Risiken<br />
Gerd Marxer und Dr. Dominic Wader:<br />
Corporate Governance – ein Thema für den Mittelstand<br />
Dr. Christine Bortenlänger:<br />
Inhabergeprägte Unternehmenskultur – ein Mehrwert für Aktionäre?<br />
Dr. Andreas Kloyer und Dr. André Körtgen:<br />
Unternehmenskultur und Compliance<br />
13<br />
37<br />
43<br />
47<br />
65<br />
79<br />
85<br />
91<br />
103<br />
117<br />
129<br />
133
Vorwort von Arend Oetker<br />
Unternehmenskultur wird von Werten geprägt und ist heute wichtiger denn je:<br />
Angesichts des harten Wettbewerbs, sich verkürzender Produktlebenszyklen<br />
und Innovationszeiträume bleibt keine andere Wahl, als das Unternehmen zur<br />
Marke mit unverwechselbarem Image aufzubauen. Positive Werte zu leben und<br />
sich als Unternehmen in gesellschaftliche Belange einzumischen ist nicht nur<br />
moralisch gefordert, sondern auch ökonomisch klug: Denn Engagement verursacht<br />
zwar Kosten, zahlt sich aber auch aus, wenn sich das Bild der Firma<br />
dadurch verbessert und von den Kunden entsprechend wahrgenommen wird.<br />
Damit das passiert, ist eines unbedingt notwendig: Corporate Identity, Unternehmensmarke,<br />
Werte und gesellschaftliches Engagement müssen stimmen,<br />
also „wahrhaft“ sein. Und hier haben Familienunternehmen den entscheidenden<br />
Vorteil – sie reden nicht nur von Werten, sondern leben sie auch tatsächlich. So<br />
sind uns beispielsweise Gewinne wichtig, aber eben auch soziale Verantwortung<br />
und die eigenen Werte. Wer für sein Unternehmen persönlich Verantwortung<br />
trägt, mit seinem Kapital dafür einsteht, geht natürlich auch anders<br />
mit dem Unternehmen und seinen Mitarbeitern um. Ein schriftlich niedergelegter<br />
Code of Conduct ist gar nicht nötig, schließlich ist es im ureigensten<br />
Interesse des Familienunternehmers, zuverlässig, ehrlich, fair und engagiert zu<br />
handeln. Nur so entstehen Glaubwürdigkeit und Vertrauen – das wichtigste<br />
Kapital des Familienunternehmers.<br />
Über den Autor:<br />
Arend Oetker, Jahrgang 1939, ist ein Urenkel Dr. August Oetkers und geschäftsführender<br />
Gesellschafter der Dr. Arend Oetker Holding Gmbh & Co. KG, Berlin.<br />
Er studierte Betriebswirtschaft und politische Wissenschaften, worin er auch promovierte,<br />
und übernahm anschließend drei im Besitz seiner Familie befindliche<br />
Unternehmen. Zwei davon verkaufte er nach erfolgreicher Sanierung weiter, die<br />
Schwartauer Werke GmbH & Co KG baute er zum Marktführer für Fruchtprodukte,<br />
Back- und Dekorartikel aus. Dieses Unternehmen bildete den Grundstock<br />
für Arend Oetkers weitere international ausgerichtete Aktivitäten. Schon in jüngeren<br />
Jahren engagierte sich der Vater von fünf Kindern in zahlreichen Ehrenämtern.<br />
So ist er heute u.a. Vizepräsident des Bundesverbandes der Deutschen<br />
Industrie, Präsident des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft sowie<br />
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V.<br />
9
Einleitung<br />
Als eine lebendige Netzwerk- und Informationsplattform für Familienunternehmer<br />
steht der 2005 gegründete <strong>AlphaZirkel</strong> für den Anspruch, den offenen, vielschichtigen<br />
Austausch von Unternehmern untereinander und mit namhaften<br />
Experten zu fördern sowie eigene Beiträge zu aktuellen Fragen rund um das<br />
Thema Zukunftssicherung im Familienunternehmen einzubringen.<br />
Vor diesem Hintergrund entstand der Gedanke, das schwer fass- und beschreibbare<br />
Thema der Unternehmenskultur einmal genauer zu beleuchten. Den<br />
Auftakt bildete eine eigene Studie – schließlich war die für familiengeführte<br />
Unternehmen so wichtige Unternehmenskultur bislang wissenschaftlich kaum<br />
untersucht worden. Insgesamt 69 Familienunternehmer haben sich an der vom<br />
<strong>AlphaZirkel</strong> und dem KfW Stiftungslehrstuhl für Entrepreneurial Finance der<br />
Technischen Universität München durchgeführten Erhebung beteiligt und sich<br />
Zeit genommen, die rund zwei Dutzend Fragen zu beantworten, die der Studie<br />
zugrunde liegen. Sie verfolgten das Ziel, sich dem komplexen Begriff der Unternehmenskultur<br />
auf mehreren Ebenen zugleich anzunähern, die Sichtweisen<br />
von Familienunternehmern zu erfragen und so zu einem möglichst umfassenden,<br />
zeitgemäßen und lebensnahen Verständnis von gelebter Unternehmenskultur<br />
zu gelangen. Die spannenden Erkenntnisse und Innenansichten der Erhebung<br />
werden Ihnen gleich zu Beginn dieser Publikation vorgestellt.<br />
Unternehmenskultur hat viele Facetten, wird von unterschiedlichsten Einflussfaktoren<br />
geprägt und hat ihrerseits Auswirkungen auf die Performance eines Unternehmens.<br />
Einige dieser Aspekte aufzugreifen ist Ziel dieses Buches: Es versammelt<br />
relevante Beiträge ausgewiesener Fachleute, betrachtet das Thema Unternehmenskultur<br />
aus den Blickwinkeln verschiedenster Berufsgruppen und will so<br />
eine fundierte und praxisbezogene Diskussion anstoßen. Wir sind überzeugt,<br />
dass sich die Auseinandersetzung mit diesem Thema lohnt. Schließlich ist Unternehmenskultur<br />
kein abstrakter Wert, sondern – wie Arend Oetker sagt und auch<br />
unsere Studie zeigt – ein handfester Wettbewerbsvorteil von Familienunternehmen.<br />
Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre!<br />
Andreas E. Mach<br />
Sprecher des <strong>AlphaZirkel</strong><br />
10 11
1<br />
<strong>AlphaZirkel</strong> Studie:<br />
Die Unternehmenskultur im<br />
Familienunternehmen<br />
1. Die teilnehmenden Unternehmen<br />
Insgesamt haben 69 Unternehmer an der Befragung teilgenommen. Die Auswertung<br />
der Angaben zu ihren Betrieben ergibt ein sehr buntes Spektrum der<br />
Unternehmenslandschaft: Im Durchschnitt existierten die befragten Firmen bereits<br />
seit 54 Jahren. Die „jüngste“ gründete sich erst im Jahr 2004, die Wurzeln<br />
der ältesten reichen ins 18. Jahrhundert zurück: Der älteste unter den befragten<br />
Betrieben existiert bereits seit 1756. Die Masse der teilnehmenden Unternehmen<br />
(rund 72,5 Prozent) entstand jedoch im Laufe des 20. Jahrhunderts.<br />
Interessant ist im Zusammenhang mit dem Entstehungsalter der teilnehmenden<br />
Unternehmen natürlich auch, welche Generation dort aktuell die Führung<br />
innehat. Die Umfrageergebnisse zeigten, dass die Mehrheit der Unternehmen<br />
heute von einer Generation allein geführt werden, davon die meisten noch von<br />
der ersten (23 Prozent) oder zweiten (23 Prozent) Generation. Die Zahl der<br />
Unternehmen, in denen sich zwei Generationen die Leitung teilen, ist mit nur<br />
15 Prozent verhältnismäßig gering. In nur einem einzigen Fall ist gar kein Familienmitglied<br />
mehr in der Unternehmensleitung vertreten.<br />
Das kleinste Familienunternehmen ist ein Zehn-Mann-Betrieb, das größte<br />
beschäftigt immerhin 56.000 Mitarbeiter – auch bei der Zahl der Beschäftigten<br />
war die Spannweite der befragten Unternehmen also erheblich. Im Durchschnitt<br />
stehen bei den teilnehmenden Betrieben 2.080 Mitarbeiter in Lohn und Brot.<br />
Der durchschnittliche Umsatz lag dabei bei 750 Mio. Euro – das Spektrum<br />
reichte hier von einer Million Euro bis zu beeindruckenden 25 Milliarden Euro.<br />
Interessant angesichts der großen Spannweite an Unternehmensgrößen ist<br />
die Tatsache, dass die größte Gruppe der Befragten (34 Prozent) im Bereich<br />
eines Umsatzes von 100 bis 500 Millionen Euro angesiedelt ist.<br />
12 13
1<br />
1<br />
Die darüber hinaus erkennbare erhebliche Breite des Querschnitts spricht für<br />
die Aussagekraft der Ergebnisse und unterstreicht den Anspruch der vorliegenden<br />
Studie, einen nachhaltigen Beitrag zu einem besseren Verständnis<br />
des Begriffs der Unternehmenskultur zu leisten. Zwar kann aufgrund des Untersuchungsdesigns<br />
wissenschaftlich nicht von einer repräsentativen Studie<br />
gesprochen werden – die aufgrund der Qualität der Stichprobe gewonnenen<br />
Aussagen scheinen aber durchaus dazu geeignet, ein weithin gültiges und<br />
verallgemeinerbares Bild von Inhalt und Bedeutung der Unternehmenskultur<br />
in deutschen Familienunternehmen zu zeichnen.<br />
2. Die Unternehmenskultur und ihre Inhalte<br />
Abb. 1.2: Bedeutung (Mittelwert) für…<br />
eher<br />
hoch<br />
eher<br />
niedrig<br />
Familie<br />
Mitarbeiter<br />
Geschäftspartner<br />
Kunden<br />
Es wird kaum überraschen, dass dem Begriff der Unternehmenskultur aus<br />
Sicht der Befragten eine überaus hohe Bedeutung zugemessen wird. Die<br />
Unternehmer bleiben dabei jedoch durchaus realistisch, wenn sie bekennen,<br />
dass diese in hohem Maße innerhalb der Familie spürbar wird – wobei die<br />
Unternehmenskultur nach Ansicht der Befragten auch für Mitarbeiter und<br />
Geschäftspartner durchaus einen hohen Stellenwert bei der Gestaltung der<br />
gemeinsamen Beziehungen einnimmt. Für Kunden wird die Bedeutung der<br />
Unternehmenskultur noch am geringsten eingeschätzt.<br />
Abb. 1.1: Bedeutung der Unternehmenskultur für…<br />
60%<br />
50%<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
1 2<br />
sehr<br />
hohe Bedeutung<br />
3<br />
4<br />
Familie<br />
Mitarbeiter<br />
Geschäftspartner<br />
Kunden<br />
5<br />
geringe<br />
Bedeutung<br />
Betrachtet man die Ausschläge entlang der Bewertungsskala (Abb. 1.1), so<br />
kann man erkennen, dass die Unternehmenskultur für Familie und Mitarbeiter<br />
am häufigsten als sehr wichtig eingeschätzt wird – im Gegensatz zur<br />
Bedeutung, die ihr im Verhältnis zu Kunden und Geschäftspartnern eingeräumt<br />
wird. Errechnet man jedoch den Bedeutungswert (Abb.1.2), den die<br />
Befragten im statistischen Mittel für die einzelnen Gruppen vergeben haben,<br />
so stellt man fest, dass der Bedeutung der Unternehmenskultur für den Kunden<br />
hier dann doch sichtlich größeres Gewicht beigemessen wird als der<br />
Bedeutung der Unternehmenskultur für die Geschäftspartner. Bemerkenswert<br />
ist, dass die Befragten in der Durchschnittswertung die Bedeutung der<br />
Unternehmenskultur für die Kunden sogar als gleichwertig mit ihrem Gewicht<br />
für die Familie einschätzen. Kaum weniger schwer wiegt übrigens nach<br />
Ansicht der Befragten die Unternehmenskultur für die eigenen Mitarbeiter. Die<br />
geringste Bedeutung wird der Unternehmenskultur dagegen auch in der<br />
Durchschnittswertung in Bezug auf die Geschäftspartner zugemessen.<br />
Angesichts dieser Ergebnisse ist nun besonders interessant, wie Familienunternehmer<br />
den Gehalt ihrer Unternehmenskultur beschreiben. Nachdem<br />
diese eine hohe Bedeutung für die Mitarbeitenden besitzt und Familienunternehmen<br />
nach landläufiger Meinung gerne als paternalistisch beschrieben<br />
werden, richtete sich die Fragestellung zunächst auf die interne Beteili-<br />
14 15
1<br />
1<br />
gung an Führungsentscheidungen. Das Ergebnis widerspricht grundsätzlich<br />
dem verbreiteten Stereotyp der „Herr-im-Haus-Mentalität“: Nahezu zwei<br />
Drittel der Unternehmen beschreiben ihre Unternehmenskultur als auf fest<br />
stehenden Regeln basierend, immerhin gut ein Viertel sogar als partizipativ.<br />
Abb. 3: Unternehmenskultur bedingt…<br />
Anpassungsfähigkeit Einheitliche Herangehensweise<br />
Zielerreichung<br />
Einbindung der Mitarbeiter<br />
Abb. 2: Unternehmenskultur ist…<br />
Mischform<br />
4,3%<br />
paternalistisch<br />
5,8%<br />
80%<br />
60%<br />
40%<br />
20%<br />
auf Regeln basierend<br />
62,3%<br />
partizipativ<br />
27,5%<br />
Damit ist in dieser Dimension kein großer Unterschied zu nicht-familiengeführten<br />
Unternehmen zu erkennen – und die verbreitete Meinung vom patriarchalisch<br />
agierenden Unternehmensinhaber klar widerlegt: nur eine sehr geringe<br />
Gruppe setzt auf eine entsprechende Form der Unternehmenskultur. Eine<br />
sehr kleine Gruppe von drei Unternehmen weist eine Mischform aus paternalistisch<br />
und partizipativ auf.<br />
0%<br />
An erster Stelle der kulturell bedingten Eigenschaften des Unternehmens nennen<br />
die Befragten dabei die Anpassungsfähigkeit, dicht gefolgt von der Einbindung<br />
der Mitarbeiter, der Zielerreichung und der Einheitlichkeit der Herangehensweise<br />
an Ziele.<br />
Entsprechend stellt sich die Selbsteinschätzung zur Ausgestaltung innerbetrieblicher<br />
Hierarchien im Familienunternehmen dar. Kein einziges Unternehmen<br />
würde seine Struktur als stark hierarchisch beschreiben. Das Gros<br />
der Befragten siedelt das interne Ordnungsgefüge im Bereich eher flach bis<br />
sehr flach an, wie unten stehende Grafik veranschaulicht.<br />
Abb. 4: Hierarchien im Unternehmen<br />
Fragt man ausgehend von diesem Verständnis der Unternehmenskultur nach<br />
darauf aufbauenden Eigenschaften des Unternehmens, ergibt sich ein interessantes<br />
Bild:<br />
Alle Unternehmen weisen der Unternehmenskultur eine wichtige Rolle für die<br />
Funktion innerbetrieblicher Prozesse und bei der Erreichung unternehmerischer<br />
Ziele zu. Alle vier abgefragten Eigenschaften Anpassungsfähigkeit, Zielorientierung,<br />
einheitliche Herangehensweise und Einbindung der Mitarbeiter<br />
werden als Ausfluss der Unternehmenskultur verstanden – kein einziger Teilnehmer<br />
sieht die angesprochenen Eigenschaften in seinem Unternehmen<br />
unabhängig von der Unternehmenskultur.<br />
eher steil<br />
19%<br />
eher flach<br />
53%<br />
sehr steil<br />
7%<br />
ohne Angabe<br />
1%<br />
sehr flach<br />
20%<br />
16 17
1<br />
1<br />
Diese flexible und tendenziell liberale Orientierung setzt sich offensichtlich<br />
auch bei der generellen Organisation und beim Umgangston im Unternehmen<br />
fort. Auf die Frage nach ihrer strukturellen Organisation geben sich die befragten<br />
Unternehmen allerdings uneinheitlich – sie sind im Mittel fast genau zwischen<br />
zentralistisch und dezentralistisch organisiert, weisen allerdings eine<br />
leichte Tendenz zum Dezentralistischen auf. Extreme weisen nur sehr wenige<br />
Unternehmen auf: lediglich zwölf Prozent bezeichnen sich als sehr dezentral<br />
organisiert, neun Prozent als sehr zentralistisch.<br />
Die meisten der befragten Familienunternehmen verfolgen damit eine ausgewogene<br />
Mischstrategie aus Zentralisierung und Dezentralisierung, etwas<br />
über ein Drittel sind eher dezentralistisch, rund ein Viertel tendieren zu einer<br />
eher zentralistischen Ausrichtung. Dies hat im Zweifel auch mit der Unternehmensgröße<br />
zu tun: Besonders in der Gruppe der kleineren Unternehmen<br />
mit unter 100 Millionen Euro Umsatz und weniger als 1.000 Mitarbeitern<br />
lassen sich häufiger zentralistische Tendenzen und straffere<br />
Hierarchien erkennen. Eine Regel lässt sich daraus jedoch nicht ableiten –<br />
vielmehr hängt die Ausprägung der Organisation und Struktur im Familienunternehmen<br />
offensichtlich stark vom Einzelfall und damit eben von der<br />
Unternehmenskultur ab.<br />
Abb. 5: Organisation im Familienunternehmen<br />
stark zentralistisch<br />
9%<br />
eher zentralistisch<br />
16%<br />
z.T. dezentral<br />
39%<br />
sehr dezentral<br />
12%<br />
eher dezentral<br />
25%<br />
Beim Umgangston am Arbeitsplatz wird die längst vollzogene Abkehr von einer<br />
streng konservativen Linie im Familienunternehmen besonders deutlich: Im<br />
Mittel charakterisieren die Befragten die Atmosphäre als eher informell. Hier findet<br />
sich mit 48 Prozent auch im Detail die häufigste Ausprägung, gefolgt von<br />
einer Mischung aus informellem und formellem Miteinander (27,5 Prozent).<br />
Immerhin noch nahezu 15 Prozent der Befragten geben an, einen sehr informellen<br />
Umgang zu pflegen, und nur ein einziges Unternehmen charakterisiert<br />
die Atmosphäre im Betrieb als sehr formell.<br />
Unternehmenskultur ist allerdings noch weit mehr als die Form der Anrede<br />
und die Organisationsform von Prozessen. Die vorliegende Studie machte<br />
den Versuch, sie in einzelne Elemente zu zerlegen – um sie von den Befragten<br />
in eine Rangfolge bringen zu lassen.<br />
Die Ergebnisse sprechen für sich: Als die fundamental wichtigsten Züge der<br />
Unternehmenskultur stechen der Führungsstil und die Vision des Unternehmens<br />
klar heraus. Interessanterweise betrachten sogar 70 Prozent der<br />
Befragten den Führungsstil als das zentrale Element der Unternehmenskultur.<br />
Diese Aussage gewinnt im Komplex mit den vorangehenden Ergebnissen<br />
zum überwiegend informellen Umgangston und zur partizipativen, dezentral<br />
organisierten Unternehmensstruktur noch mehr an Profil und zeichnet ein beeindruckend<br />
offenes, modernes Bild des deutschen Mittelstandes.<br />
Dafür spricht auch die Tatsache, dass der Vision des Unternehmens, die in<br />
der statistisch gemittelten Gewichtung an zweiter Stelle steht, ein sehr hoher<br />
Rang in der Ausgestaltung der Unternehmenskultur zugebilligt wird. Nur ein<br />
einziges Unternehmen schätzte Visionen für die Unternehmenskultur als sehr<br />
unbedeutend ein; weniger als acht Prozent der Befragten betrachten sie als<br />
tendenziell wenig bedeutend.<br />
Als weiterhin bedeutsam, jedoch auf einem niedrigeren Niveau, wurden<br />
Prozessregeln und Richtlinien sowie die Wertvorstellungen des Gründers eingeschätzt.<br />
Kein Unternehmen hat diese als völlig unbedeutend beschrieben.<br />
Als relativ am wenigsten bedeutsam erschienen Mythen und Rituale – allerdings<br />
werden auch diese keineswegs als völlig unwichtig angesehen, wie die<br />
unten stehende Grafik deutlich macht.<br />
18 19
1<br />
1<br />
Abb. 6: Bedeutung einzelner Elemente im Mittel<br />
Abb. 7: Ziele der Unternehmenskultur<br />
Führungsstil<br />
Regeln<br />
Gründerwerte<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
Visionen<br />
Mythen<br />
Rituale<br />
weniger<br />
Reibungsflächen<br />
Förderung<br />
Zusammenhalt<br />
Image beim Kunden<br />
Image am<br />
Arbeitsmarkt<br />
Zusammenfassend lässt sich daraus schlussfolgern, dass die einzelnen<br />
Elemente der Unternehmenskultur umso bedeutsamer sind, je konkreter und<br />
greifbarer sie sind. Als einzige Ausnahme kann hier die kaum mit Händen zu<br />
greifende Vision eines Unternehmens gelten, die einen besonders hohen Stellenwert<br />
genießt. Allerdings ist hier anzumerken, dass gerade Visionen heutzutage<br />
im Unternehmen nach Möglichkeit fassbar gemacht und in Form einer<br />
schriftlich fixierten und nach außen kommunizierten Mission konkretisiert werden<br />
müssen.<br />
Image bei Investoren<br />
Effizienzsteigerung<br />
Identifikation<br />
Erhöhung Motivation<br />
Wenn der Unternehmenskultur ein so hoher Stellenwert für zentrale Bereiche<br />
0% 20% 40% 60% 80% 100%<br />
der Unternehmensführung und -organisation zukommt, ist es nahe liegend,<br />
nach den Zielen zu fragen, die durch eine Förderung oder Formung der Unternehmenskultur<br />
verfolgt werden können. Hier bestätigt sich die verbreitete<br />
Daneben dient die Unternehmenskultur als das nächstbedeutsame Ziel der<br />
Annahme, dass sich Unternehmenskultur ursprünglich als Instrument der<br />
Erhöhung der Motivation; dieser Aspekt wurde noch immer von rund zwei<br />
Identifikation mit den Unternehmensinteressen herausgebildet hat: Die Erhöhung<br />
der Identifikation mit den Unternehmenszielen ist auch heute noch<br />
Unternehmen kommt mit einer Nennungshäufigkeit von 63 Prozent erhebli-<br />
Dritteln der Befragten genannt. Auch der Förderung des Zusammenhalts im<br />
das mit Abstand bedeutsamste Ziel der Unternehmenskultur. Nahezu 90 Prozent<br />
der Befragten gaben an, mit der Förderung und Entwicklung einer Un-<br />
Unternehmenskultur ferner die Ziele Effizienzsteigerung, Imageverbesserung<br />
che Bedeutung zu. Noch immer die Hälfte der Unternehmen verfolgen mit der<br />
ternehmenskultur dieses Ziel zu verfolgen.<br />
beim Kunden und eine Reduzierung der innerbetrieblichen Reibungsflächen.<br />
20 21
1<br />
1<br />
Ansonsten wird von der Unternehmenskultur nur von wenigen ein positiver<br />
Effekt auf Imagefragen erwartet: Nur ein Drittel erhofft sich durch eine positive<br />
Unternehmenskultur auch eine Imageverbesserung auf dem Arbeitsmarkt,<br />
und die Imageverbesserung bei Investoren gilt nur für zwölf Prozent der<br />
Befragten als Ziel. Hierbei muss jedoch gesehen werden, dass externe<br />
Investoren für Familienunternehmen in Deutschland eine untergeordnete Rolle<br />
spielen, da Familienunternehmer externes Kapital immer noch häufig als<br />
Bedrohung empfinden.<br />
Was an dieser Wertung dennoch überrascht, ist die Tatsache, dass die<br />
Wirkung der Unternehmenskultur offenbar nur in Bezug auf das Image beim<br />
Kunden als bedeutsam wahrgenommen wird – und selbst dies nur mit<br />
Einschränkungen. Interessanterweise nehmen Familienunternehmen das<br />
Gewicht der Unternehmenskultur für ihr Image beim Arbeitnehmer kaum als<br />
bedeutsam wahr.<br />
Der hohen Bestandskraft der Unternehmenskultur trägt allerdings das Wandlungstempo<br />
Rechnung: So geht man immerhin in nahezu drei Viertel der<br />
befragten Unternehmen davon aus, dass Veränderungen in diesem Bereich<br />
sich nur in einem langsamen Entwicklungsprozess durchsetzen. Dies gilt<br />
zumindest, soweit keine einschneidenden äußeren Faktoren ein rasches<br />
Umdenken unumgänglich machen. In diesem Fall, so schätzt jeweils rund ein<br />
Fünftel der Befragten im Rahmen einer Mehrfachnennung, können Veränderungen<br />
der Unternehmenskultur auch durch bewusste Steuerung von<br />
oben, durch einen klaren Schnitt oder durch die Schaffung größerer Freiräume<br />
gestaltet werden.<br />
Abb. 8: Gestaltung des Wandels (Mehrfachnennung möglich)<br />
Freiräume<br />
3. Die Unternehmenskultur als formbare Variable<br />
Das Wesen der Unternehmenskultur erschloss sich uns im Vorhergehenden als<br />
ein wertvolles, integratives und identitätsstiftendes Gut, das im Betrieb oft über<br />
mehrere Generationen hinaus Bestand hat und bis zu einem bestimmten Grad<br />
sogar die Werte der Gründer über Jahrhunderte hinaus bewahren kann. Vor diesem<br />
Hintergrund stellt sich natürlich die Frage, inwieweit diese Richtschnur des<br />
Handelns und Planens im Unternehmen formbar ist: Ist sie überhaupt flexibel genug,<br />
um den sich wandelnden Anforderungen des Marktes gerecht zu werden?<br />
klarer Schnitt<br />
Iangsamer<br />
Prozess<br />
Steuerung von oben<br />
0% 20% 40% 60% 80%<br />
Selbstverständlich, antworten die Befragten der Studie: Im Mittel hängen sie<br />
tendenziell der Ansicht an, dass ihre Unternehmenskultur eher formbar als<br />
statisch ist. Dies ist mit rund 45 Prozent Nennung die mit Abstand häufigste<br />
Antwort. 30 Prozent gehen sogar davon aus, dass eine Unternehmenskultur<br />
in sehr hohem Maße anpassungsfähig sein kann. Nicht ein Unternehmen<br />
schätzte den Bestand einer Unternehmenskultur als nicht formbar ein, lediglich<br />
ein Befragter gab an, die tradierte Kultur eines Unternehmens sei nur in<br />
sehr geringem Maße formbar.<br />
Für drastische Maßnahmen in dieser Richtung sehen die Befragten im konkreten<br />
Fall jedoch offenbar keine zwingende Notwendigkeit: Die Fähigkeit<br />
zum Wandel siedeln sie mehrheitlich im Bereich zwischen mäßig flexibel bis<br />
leicht träge an. Extreme sind dabei selten: Nur ein Unternehmen nimmt für<br />
sich eine extreme Wandlungsfähigkeit an, zwei Unternehmen bezeichnen sich<br />
in dieser Hinsicht als sehr schwerfällig.<br />
22 23
1<br />
1<br />
Abb. 9: Konkrete Fähigkeit zum Wandel<br />
sehr flexibel<br />
1%<br />
flexibel<br />
20%<br />
mäßig flexibel<br />
48%<br />
sehr träge<br />
3%<br />
eher träge<br />
28%<br />
Die Einschätzung der Befragten zur Wandlungsfähigkeit korrespondiert direkt<br />
mit deren Sicht auf den in den letzten Jahren faktisch erfolgten Umbruch in<br />
der eigenen Unternehmenskultur: Im Durchschnitt scheint sich die Kultur in<br />
den untersuchten Firmen im Laufe der Zeit nur mittelmäßig stark verändert zu<br />
haben, wenn auch mit einer leichten Tendenz zu deutlich spürbarer Anpassung<br />
(rund 37 Prozent).<br />
wendige Anpassungen an laufende äußere Veränderungen: Bei ihnen vollziehen<br />
sich entsprechende Prozesse langsam bis bestenfalls in mäßigem Tempo.<br />
Einem Fünftel, die mit relativer oder sogar hoher Geschwindigkeit den Wandel<br />
vorantreiben, stehen auf der anderen Seite rund zehn Prozent Bewahrer gegenüber,<br />
die derartigen Prozessen erlauben, sich sehr langsam zu entfalten.<br />
Aber haben die Unternehmen wirklich immer genug Ruhe und damit die<br />
Gelassenheit, auf äußere Anforderungen und zunehmend umkämpfte Märkte mit<br />
großen zeitlichen Verzögerungen zu reagieren? Welches sind die klassischen<br />
Auslöser, die einen Wandel in der Unternehmenskultur initiieren? Hierauf gibt die<br />
vorliegende Untersuchung keine wirklich eindeutige Antwort. Einer der wichtisten<br />
Gründe scheint klar eine Veränderung im Management zu sein; in anderen<br />
Unternehmen haben ein Gesellschafterwechsel, eine Unternehmenskrise oder<br />
Forderungen von Kunden ein Umdenken und damit eine Veränderung in der<br />
Unternehmenskultur angestoßen. Nur in Einzelfällen scheinen Entwicklungen<br />
durch Forderungen der Mitarbeiter ausgelöst worden zu sein. Kritik oder<br />
Forderungen seitens der Partner des Unternehmens scheinen für einen Wandel<br />
der Unternehmenskultur dagegen so gut wie keine Rolle zu spielen.<br />
Abb. 10: Auslöser des Wandels<br />
anderer Grund<br />
Krise<br />
Kundenforderung<br />
Partnerforderung<br />
Mitarbeiterforderung<br />
Managementwechsel<br />
So konstatiert zwar rund ein Drittel der Unternehmen eine nur mäßige Veränderung,<br />
gut ebenso viele aber immerhin eine sichtliche Veränderung, während<br />
in einem Fünftel der Unternehmen nur geringe Veränderungen festgestellt<br />
werden. Wie zu erwarten war, bleiben die Ränder in Bezug auf die erfolgten<br />
Umbrüche äußerst schwach ausgeprägt: Extreme Veränderungen wollen nur<br />
fünf Unternehmen durchgemacht haben – und lediglich zwei Betriebe berichten<br />
tatsächlich von absolutem Stillstand bei der Entwicklung ihrer<br />
Unternehmenskultur.<br />
Die Geschwindigkeit des Wandels wird dabei als durchwegs gemäßigt beschrieben<br />
– drastische Umwälzungen scheinen die Unternehmenskultur nur im<br />
Ausnahmefall zu betreffen. Weit über zwei Drittel der Befragten, rund 69 Prozent,<br />
lassen dem Werte- und Prinzipienkanon ihres Unternehmens Zeit für not-<br />
Gesellschafterwechsel<br />
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60%<br />
24 25
1<br />
1<br />
Bei zwei Unternehmen wurde der Wandel mit dem Wachstum des Unternehmens<br />
begründet; erstaunlicherweise gab nur in drei der 69 befragten<br />
Firmen eine Umorganisation den Anstoß zur Veränderung.<br />
Erfreulich stimmt in diesem Zusammenhang, dass der mehr oder weniger<br />
schleichende Wandel in der Unternehmenskultur im Allgemeinen relativ unproblematisch<br />
verlaufen zu sein scheint: In weniger als der Hälfte der Fälle<br />
(47,8 Prozent) wird in diesem Zusammenhang von Problemen berichtet.<br />
Wenn es zu Reibungen kam, scheint dies allerdings in der Hauptsache vom<br />
Management und den Mitarbeitern ausgegangen zu sein, nicht selten sogar<br />
in Kombination (Mehrfachnennungen waren möglich).<br />
Nur in Einzelfällen kam es zu Problemen mit Gesellschaftern, eventuellen Investoren<br />
mit Partnern und Lieferanten sowie den Kunden und der Öffentlichkeit.<br />
Dies erklärt sich in der Hauptsache aus der Tatsache, dass diese Gruppen<br />
an den täglichen Abläufen im Unternehmen auch den geringsten Anteil<br />
nehmen und dadurch unmittelbar am geringsten von Änderungen der Unternehmenskultur<br />
betroffen sind.<br />
4. Unternehmenskultur als Hemmschuh oder Erfolgsfaktor?<br />
Eine Reihe von handfesten Skandalen erschütterte in den letzten Monaten die<br />
Glaubwürdigkeit des Managements von einstmals hoch angesehenen deutschen<br />
Industriekonzernen wie VW oder Siemens. Gesellschaft und Politik zeigen<br />
sich empört. Mussten im Zeitalter der Globalisierung Wirtschaft und<br />
hehre Prinzipien, Geschäft und Moral zwingend immer mehr Gegensätze aufbauen?<br />
Und gilt ein solches Spannungsverhältnis im gleichen Maße auch für<br />
familiengeführte Unternehmen?<br />
Die vorliegende Studie stellt sich bewusst der Frage, ob das Hochhalten traditioneller<br />
Werte in Gestalt der Unternehmenskultur Familienunternehmen<br />
besser vor den menschlichen Anfechtungen eines Wettbewerbs der Interessen<br />
schützt – und ob die Unternehmenskultur damit nicht vielleicht sogar<br />
als Wettbewerbsvorteil gegenüber nicht-familiengeführten Konzernen gelten<br />
kann. Interessant ist in diesem Zusammenhang zumindest die Selbstsicht der<br />
Befragten.<br />
Abb. 11: Wandel erzeugt Probleme mit…<br />
Gesellschaftern<br />
Investoren<br />
Öffentlichkeit<br />
Zunächst einmal sollte definiert werden, was die Unternehmenskultur eines<br />
Familienunternehmens im Vergleich zu einem nicht-familiengeführten<br />
Unternehmen auszeichnet. Hier entdeckten die Befragten subjektiv die markantesten<br />
Unterschiede im Bereich des langfristigen Denkens sowie bei der<br />
Werteorientierung. Dies steht auch im Einklang mit der vorangehend gezeigten,<br />
ausgesprochen hohen Bedeutung, die im Familienunternehmen der gemeinsamen<br />
Vision und dem allgemeinen Führungsstil zugemessen wird.<br />
Kunden<br />
Partnern<br />
Mitarbeitern<br />
Des Weiteren gehen die Befragten davon aus, dass die identitätsstiftende<br />
Wirkung der Unternehmenskultur sowie das im Familienunternehmen tiefer<br />
verwurzelte soziale Denken als Unterschiede zu nicht-familiengeführten Unternehmen<br />
zu sehen sind. Auch das Vorhandensein einer idealistischen<br />
Grundeinstellung im Betrieb wird als besondere Stärke eines Familienunternehmens<br />
Management<br />
von immerhin noch einem Drittel der Befragten genannt. Die Punkte<br />
0% 5% 10% 15% 20% 25% 30% 35%<br />
Gewinnorientierung und Effizienz werden hingegen nur in sehr wenigen Unternehmen<br />
als Differenzierungsfaktoren gesehen, ebenso die Rationalität.<br />
26 27
1<br />
1<br />
Abb. 12: Die Unternehmenskultur im Familienunternehmen<br />
zeichnet sich aus durch…<br />
langfristige<br />
Orientierung<br />
soziales Denken<br />
Maße dem Bestand ihrer Unternehmenskultur zu verdanken ist. Weitere 50<br />
Prozent der Befragten billigen der Unternehmenskultur immerhin einen hohen<br />
Anteil am Erfolg des gesamten Unternehmens zu. Nur einer von 69 befragten<br />
Unternehmern kann sich dieser Sichtweise nicht anschließen – für ihn sind<br />
andere Ursachen für eine gute Unternehmensentwicklung maßgeblich.<br />
Abb. 13: Unternehmenskultur für Erfolg entscheidend<br />
Idealismus<br />
Effizienz<br />
Identität<br />
gewisse Bedeutung<br />
14%<br />
keine Bedeutung<br />
2%<br />
in sehr hohem Maße<br />
34%<br />
Rationalität<br />
Wertorientierung<br />
in hohem Maße<br />
50%<br />
Gewinnorientierung<br />
Wo der Unternehmenskultur ein derart hoher Anteil am Wohlergehen des gesamten<br />
0% 20% 40% 60% 80%<br />
Betriebs zugebilligt wird, ergibt sich fast von selbst die Frage, ob und<br />
inwieweit sich aus dem internen Werte- und Prinzipienkanon auch ein greifbarer<br />
Wettbewerbsvorteil gegenüber nicht-familiengeführten Unternehmen ableiten<br />
lässt. Auch dies wird im Mittel von den Befragten bejaht. Sie sind mehrheitlich<br />
Stabilität und bleibende Werte prägen demnach die Selbsteinschätzung der<br />
Befragten zur Qualität ihrer Unternehmenskultur. Diese werden von den Betroffenen<br />
der Ansicht, dass ihnen aus der spezifischen Unternehmenskultur ein leich-<br />
ter Vorteil gegenüber ihren nicht-familiengeführten Mitbewerbern erwächst.<br />
dabei keineswegs als statische Beharrungskraft empfunden, sonter<br />
dern offensichtlich als spürbarer Mehrwert erkannt: Im Mittel schreiben die<br />
befragten Unternehmen der Unternehmenskultur sogar einen deutlichen Beitrag<br />
für den Unternehmenserfolg zu.<br />
Rund ein Viertel setzt das Ausmaß der Besserstellung durch die eigene Unternehmenskultur<br />
sogar sehr hoch an. Nur rund 25 Prozent zeigen sich den Vorzügen<br />
der Unternehmenskultur im Wettbewerb gegenüber indifferent und geben<br />
an, dass ihnen hieraus weder ein Vorteil noch ein Nachteil entsteht. Lediglich ein<br />
Gut ein Drittel der Teilnehmer an der vorliegenden Studie vertritt dabei die<br />
Ansicht, dass die positive Entwicklung ihres Unternehmens in sehr hohem<br />
Unternehmen vertritt die Meinung, dass ihm aus seiner Unternehmenskultur heraus<br />
sogar ein leichter Nachteil gegenüber Nicht-Familienunternehmen erwachse.<br />
28 29
1<br />
1<br />
Abb. 14: Wettbewerbsvorteil durch Unternehmenskultur?<br />
weder Vornoch<br />
Nachteil<br />
24%<br />
eher Nachteil<br />
1%<br />
großer Vorteil<br />
29%<br />
menskultur und ihren Normen zuvorderst eine sichere Grundlage für sich und<br />
den gesamten Betrieb. Als starke Orientierungsmarke nutzt ein weiteres Drittel<br />
den Wertekanon des Familienunternehmens – auch dies eine durchaus positive<br />
Wahrnehmung des unternehmerischen „Familienerbes“. Die Zahl derjenigen,<br />
die sich dadurch in ihren eigenen Möglichkeiten eingeschränkt und durch die<br />
Kultur als Bürde belastet fühlen, liegt mit etwa zehn Prozent unerwartet niedrig.<br />
5. Zusammenfassung und Fazit<br />
Vorteil<br />
46%<br />
Hierin wird die überaus positive, optimistische Einstellung im Familienunternehmen<br />
gegenüber dem Werte- und Normenkanon der Gründerfamilie deutlich.<br />
Die im Unternehmen verwurzelte Treue zu den Traditionen des Betriebes<br />
gibt Mitarbeitern, Führungseliten und dem Unternehmen als Ganzem nicht<br />
nur Orientierung und ein hohes Zusammengehörigkeitsgefühl, sondern auch<br />
eine Art kollektives Selbstbewusstsein: Die gemeinsamen Überzeugungen<br />
und Handlungen machen das Unternehmen nicht nur stark und grenzen es<br />
von seinen Mitbewerbern ab. Sie verbürgen sogar seine besondere Qualität,<br />
die sich branchenübergreifend als Wettbewerbsvorteil niederschlägt.<br />
Entsprechend dieser einhellig positiven Grundüberzeugungen bei den Befragten<br />
fiel auch die offene Antwort der Befragten zu ihrem persönlichen Bezug aus:<br />
Ganz subjektiv sollte hier gewertet werden, welche Rolle die Unternehmenskultur<br />
für den Befragten selbst spiele. Ist sie eher eine Bürde, die eigene Handlungsfreiheit<br />
begrenzt? Ist sie eine sichere Grundlage, auf der sich auch in unruhigen<br />
Zeiten vertrauensvoll bauen lässt? Oder bietet sie vielmehr eine starke Orientierung<br />
bei der Festlegung eigener Ziele und Handlungsoptionen?<br />
Die Antwort hierzu fällt überraschend eindeutig aus: Mit 58 Prozent sehen<br />
nahezu zwei Drittel der befragten Unternehmer in der tradierten Unterneh-<br />
Die vorliegende Studie hat eindrucksvoll nicht nur das breite Spektrum des<br />
deutschen Mittelstandes, sondern auch seine recht eindeutige Haltung zum<br />
Sinn und Wert einer tradierten und dabei dennoch anpassungsfähigen<br />
Unternehmenskultur anschaulich werden lassen. Ob zehn oder 56.000<br />
Beschäftigte, eine Million oder 25 Milliarden Euro Umsatz jährlich – sie alle eint<br />
mehrheitlich die Idee, dass es ihre Unternehmenskultur ist, die einen wichtigen<br />
Beitrag zum Erfolg und Gedeihen des gesamten Betriebes leistet.<br />
Die größte Bedeutung besitzt die Unternehmenskultur nach Ansicht der<br />
Befragten dabei für die Mitarbeiter, gefolgt von der Familie selbst. Dies auch<br />
und vor allem aus dem Grund, dass sie zu einem ganz erheblichen Anteil die<br />
Hierarchien, das Entscheidungsgefüge und die Führungsprinzipien des Unternehmens<br />
prägt. In knapp zwei Drittel der Betriebe werden Entscheidungen<br />
demnach nach klaren, durch die Kultur vorgegebenen Regeln innerhalb mehrheitlich<br />
flacher Hierarchien und eher dezentraler Strukturen getroffen. Hierbei<br />
wird von den meisten ein offener, tendenziell eher informeller Umgangston<br />
praktiziert. Die Mitarbeiter konfrontiert die Unternehmenskultur mit den<br />
Visionen des Hauses – aber auch mit einem unternehmensspezifischen Führungsstil,<br />
der letztlich auf eine hohe Integrationskraft gegenüber dem Einzelnen<br />
zielt: Die emotionale Einbindung der Mitarbeiter sowie deren Einschwörung<br />
auf gemeinsame Ziele wurde von den Befragten als eine der zentralen<br />
Funktionen der Unternehmenskultur im Hinblick auf die Beschäftigten gesehen.<br />
Sie befördere die Entwicklung des Zusammenhalts, die Erhöhung der<br />
Motivation und – an erster Stelle – die Identifikation des Einzelnen mit dem<br />
Unternehmen, so die übereinstimmende Ansicht der Befragten.<br />
30 31
1<br />
1<br />
Unternehmenskultur wird dabei von der Mehrzahl der teilnehmenden Familienunternehmer<br />
nicht als statisches Konstrukt verstanden, sondern als eine orga-<br />
Kultur in den Unternehmen damals wie heute präsent ist, im Guten wie im<br />
tet werden können. Dennoch konnte gezeigt werden, in welchem Maße die<br />
nisch mitwachsende Richtschnur, die nach den Erfordernissen der aktuellen<br />
Schlechten, im Miteinander, in der Führung und in der Perspektive, aus der<br />
Realität formbar ist, wenngleich dazu auch radikale Maßnahmen erforderlich<br />
heraus im Familienunternehmen Zukunft gestaltet wird. Dabei wurden so<br />
werden können. Nachdem der Gehalt der Unternehmenskultur vor allem im<br />
manche Vorurteile entkräftet und überraschende Einsichten möglich. Dazu ist<br />
Bewusstsein der Beteiligten verankert ist, gehen die Befragten im Mittel jedoch<br />
auch die Einsicht zu zählen, dass Unternehmenskultur nichts mit patriarchalischer<br />
Bevormundung und starren Strukturen zu tun hat.<br />
von einer gewissen Entwicklungsträgheit und demzufolge langsamen Wandlungsprozessen<br />
aus. Dies wurde in den betreffenden Betrieben auch bereits in<br />
dieser Form erlebt bzw. nachvollzogen: Die Tendenz geht hier zu eher geringen<br />
Familienunternehmen sind heute moderne, flexible und wandlungsfähige<br />
bis mäßigen Anpassungen in mäßiger bis langsamer Geschwindigkeit.<br />
Organismen, und ihre Unternehmenskultur trägt dem in besonderem Maße<br />
Rechnung. Zugleich eröffnet sie dem Unternehmen die Rückbindung zu seinen<br />
Wurzeln und gibt ihm damit den Halt in einer sich immer rascher und dra-<br />
Als Auslöser des Wandels treten offenbar in den meisten Fällen verantwortliche<br />
Personen auf – ein Wechsel auf Management- oder Gesellschafterebene<br />
matischer wandelnden Welt. Insgesamt ergibt sich daraus ein überaus positives<br />
und optimistisches Bild des deutschen Mittelstandes.<br />
wird in den meisten Fällen als Ursache genannt. Demzufolge betrafen die aus<br />
dem Umbruch resultierenden Probleme in der Hauptsache Management und<br />
Mitarbeiter, in geringerem Maße Gesellschafter und andere.<br />
Die letzte Frage der vorliegenden Studie hat den Beteiligten Raum lassen wollen<br />
für eigene Repliken, für eine persönliche Zusammenfassung der Essenz<br />
Was von radikaleren Modernisierern als Flexibilitätshindernis gedeutet werden<br />
von Unternehmenskultur. Die Vielfalt der Antworten überrascht bei einem derart<br />
schwer fassbaren Begriff nicht – die Einlassungen im Detail beeindruckten<br />
könnte, verstehen die Familienunternehmen bewusst als ihren Vorteil: Sie schätzen<br />
die langfristige und werthaltige Orientierung und den identitätsstiftenden<br />
dabei durchwegs. Von der Richtschnur der Menschenwürde war hier die<br />
Faktor, den die Unternehmenskultur für ihren Betrieb und die Familie darstellt.<br />
Rede, von der Wärme der Atmosphäre und der positiven Ausstrahlung eines<br />
Praktisch keiner der Befragten verneinte den Einfluss und die Bedeutung, welche<br />
die Unternehmenskultur für das Gelingen der Unternehmung besitzt – und<br />
werden. Fairness, Engagement und soziale Einstellung, die Kraft des freien<br />
Firmen-Organismus, die für Mitarbeiter wie Externe gleichermaßen spürbar<br />
rund 84 Prozent bezeichneten die Kultur sogar in hohem bis sehr hohem Maße<br />
Denkens, gegenseitige Wertschätzung, Nachhaltigkeit und kollektive<br />
als Erfolgsfaktor. Knapp drei Viertel fühlten sich dank ihrer Unternehmenskultur<br />
Mitverantwortung waren Schlüsselbegriffe, die bei der individuellen Definition<br />
auch im Wettbewerb spürbar bis ausdrücklich besser aufgestellt. So verwundert<br />
von Unternehmenskultur immer wieder fielen.<br />
es nicht, dass nur zehn Prozent die Werte der Gründer als eine gewisse Bürde<br />
Trotz aller im Vorhergehenden gezeigten Unterschiede bei der Bewertung und<br />
für ihr eigenes unternehmerisches Handeln verstehen. Die überwältigende<br />
Einschätzung von Unternehmenskultur bewies gerade die letzte, völlig ungelenkte<br />
Frage, in welch hohem Maße sich die individuellen Definitionen des<br />
Mehrheit der Befragten versteht die tradierte Unternehmenskultur als starke<br />
Orientierung und sichere Grundlage für ihr eigenes Handeln.<br />
Begriffes ähneln – und wie ethisch überragend selbst in der Breite der<br />
Anspruch ist, den die befragten Familienunternehmer mit ihm verbunden wissen<br />
wollen. Das Familienunternehmen in Deutschland ist mit dieser Befragung<br />
Freilich wird auch nach der engagierten Teilnahme und trotz der zahlreichen<br />
offenen Antworten erfahrener Familienunternehmer das Wesen der Unternehmenskultur<br />
bis ins Letzte wohl auch durch diese Studie nicht ausgeleuch-<br />
basiert, transparenter geworden.<br />
als eine erfolgreiche Unternehmensform, die auch auf Werten und Kultur<br />
32 33
1<br />
1<br />
Es wäre ihm zu wünschen, dass es ihm gelingt, diesen Schatz auch im<br />
Zeichen der fortschreitenden Globalisierung zu bewahren, so wie es in manchen<br />
Fällen bereits über viele Generationen hinweg gelungen ist. Denn neben<br />
ausgereiften Produkten und klugem Marketing ist es gerade dies, was den<br />
deutschen Mittelstand weit über die Grenzen Europas hinaus berühmt<br />
gemacht hat – und bis heute zu seiner Hochachtung in der Welt beiträgt.<br />
Die Studie entstand mit Unterstützung von:<br />
Professor Dr. Dr. Ann-Kristin Achleitner ist seit 2001 Inhaberin des KfW-<br />
Stiftungslehrstuhls für Entrepreneurial Finance und seit 2003 Wissenschaftliche<br />
Direktorin des Center for Entrepreneurial and Financial Studies<br />
(CEFS) an der Technischen Universität München.<br />
Über den Autor:<br />
Andreas E. Mach, M.P.I.A. (USA), M.A., ist geschäftsführender Gesellschafter<br />
der Droege & Comp. Financial Advisors GmbH, Gründer und Sprecher des<br />
<strong>AlphaZirkel</strong>s. Er verfügt über 20 Jahre Erfahrung in der Beratung, Finanzierung<br />
und im Management von Familienunternehmen. Er war Mitglied der Geschäftsleitung<br />
der Hypo-Vereinsbank Firmenkunden und Partner des Finanz-,<br />
Beratungs- und Beteiligungshauses GermanCapital. In beiden Funktionen<br />
zeichnete Mach unter anderem für die Konzeption und Umsetzung von<br />
Unternehmensfinanzierungen am Kapital- und Kreditmarkt sowie Nachfolgeregelungen<br />
und Mergers & Acquisitions-Transaktionen verantwortlich.<br />
Als Gründungspartner von GermanCapital begleitete Mach zuletzt die Überführung<br />
der von ihm geleiteten GermanCapital Advisors GmbH unter das Dach der<br />
Droege International Group – als Droege & Comp. Financial Advisors GmbH.<br />
Andreas E. Machs unternehmerische Erfahrung reicht vom eigenen Familienbetrieb<br />
bis zur Auslandserfahrung als Unternehmensrepräsentant im Nahen<br />
Osten. Als Leiter Corporate Finance und Beteiligungsmanagement war er zudem<br />
für ein großes Familienunternehmen tätig. Mit der Gründung des <strong>AlphaZirkel</strong><br />
setzt Andreas E. Mach seine Netzwerktätigkeit im bayerischen Mittelstand fort.<br />
Darüber hinaus ist Frau Achleitner Honorarprofessorin an der European<br />
Business School – International University Schloss Reichartshausen und Mitherausgeberin<br />
der Zeitschrift „Die Betriebswirtschaft“. Sie ist u.a. Mitglied der<br />
Expertenkommission „Forschung und Innovation“ (EFI) der Bundesregierung,<br />
des Mittelstandsbeirats des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit<br />
und des Forschungsbeirats des Instituts für Mittelstandsforschung Bonn (IfM)<br />
sowie Vorsitzende des Beirats von Ashoka Deutschland.<br />
Die namhafte Autorin und Herausgeberin veröffentlichte zahlreiche Bücher. Zu<br />
ihren neuesten Arbeiten gehören die Werke „Private Equity in Deutschland –<br />
Rahmenbedingungen, ökonomische Bedeutung und Handlungsempfehlungen“<br />
(mit C. Kaserer, C. von Einem, D. Schiereck) und „Finanzierung von<br />
Sozialunternehmen – Konzepte zur finanziellen Unterstützung von Social<br />
Entrepreneurs“ (hrsg. mit R. Pöllath und E. Stahl).<br />
Frau Prof. Achleitner ist mehrfach ausgezeichnet worden für ihre Leistungen<br />
in Wissenschaft und Lehre. So erhielt sie 2005 den „Preis für gute Lehre“ des<br />
Bayerischen Staatsministers für Wissenschaft, Forschung und Kunst und<br />
wurde 2006 durch Unicum zur „Professorin des Jahres“ gekürt. Im Sommer<br />
des Jahres 2007 verlieh ihr der Bundespräsident das Bundesverdienstkreuz<br />
am Bande.<br />
Droege & Comp. Financial Advisors GmbH gehört zur Droege International<br />
Group. Das Unternehmen hat sich im Bereich der Finanzierung auf langfristige<br />
und maßgeschneiderte Kapitallösungen für mittelständische Unternehmen<br />
und Familiengesellschafter spezialisiert, sowie auf Corporate Finance und<br />
Mergers & Acquisition-Beratung für den Mittelstand.<br />
34 35
Andreas E. Mach<br />
2<br />
Vorgelebte Werte generieren Vertrauen<br />
und Motivation<br />
<strong>AlphaZirkel</strong> Unternehmerabend zum<br />
Thema „Unternehmenskultur“<br />
Das Thema „Unternehmenskultur in Familienunternehmen“ stand im<br />
Mittelpunkt des Unternehmerabends, den der <strong>AlphaZirkel</strong> am 15. November<br />
2007 im Palais Montgelas in München zur Begleitung dieser Publikation<br />
veranstaltete.<br />
Dabei wurden zunächst die wichtigsten Thesen aus den Ergebnissen der<br />
<strong>AlphaZirkel</strong> Studie „Unternehmenskultur im Familienunternehmen“ vorgestellt,<br />
die unsere Plattform für Familienunternehmer zusammen mit Unterstützung<br />
des Lehrstuhls für Entrepreneurial Finance der TU München vorgestellt hat.<br />
1. Die Bedeutung der Kultur im Familienunternehmen ist wichtig für die<br />
Familie, die Mitarbeiter und die Kunden.<br />
2. Familienunternehmen sind nicht paternalistisch, ihre Kultur basiert wie in<br />
allen erfolgreichen Unternehmen auf Regeln. Die Hälfte aller befragten Unternehmen<br />
bezeichnen die Hierarchie in ihrem Unternehmen als eher flach und<br />
den Umgang am Arbeitsplatz als informell. Damit sind die Vorurteile von der<br />
„Herr-im-Haus-Mentalität“ entkräftet bzw. das Familienunternehmen als<br />
modernes Gebilde bestätigt, in dem Regeln, Führungsstil und Visionen die<br />
Kultur prägen und nicht die Marotten von Eigentümern.<br />
3. Die Unternehmenskultur hat sich als Instrument der Identifikation mit den<br />
Unternehmensinteressen herausgebildet. Die Erhöhung der Identifikation mit<br />
den Unternehmenszielen ist auch heute noch das mit Abstand bedeutsamste<br />
Ziel der Unternehmenskultur. Nahezu 90 Prozent der Befragten geben an, mit<br />
der Förderung und Entwicklung einer Unternehmenskultur dieses Ziel zu<br />
36 37
2<br />
2<br />
verfolgen. Daneben dient die Kultur der Erhöhung der Motivation und der<br />
der European Business School Oestrich-Winkel und 2001 den KfW-Stiftungslehrstuhl<br />
für Entrepreneurial Finance an der Technischen Universität München<br />
Förderung des Zusammenhalts im Unternehmen sowie dem Image beim<br />
Kunden.<br />
übernahm. Seit 2003 ist Achleitner Wissenschaftliche Direktorin des CEFS, seit<br />
2002 Mitglied im Mittelstandsbeirat des Bundesministeriums für Wirtschaft und<br />
4. Die Unternehmenskultur verstehen die Befragten als formbar, flexibel<br />
Arbeit, Berlin, des Forschungsbeirats des Instituts für Mittelstandsforschung<br />
genug, um dem Wandel zu begegnen. Das Tempo des Wandels wird jedoch<br />
Bonn (IfM) und seit 2007 Mitglied der Expertenkommission „Forschung und<br />
als langsam bezeichnet. Auslöser für den Wandel sind Managementwechsel,<br />
Innovation“ (EFI) der Bundesregierung. 1998 wurde sie vom World Economic<br />
Gesellschafterwechsel oder Kundenforderungen.<br />
Forum als „Global Leader for Tomorrow“ ausgezeichnet. 2004 erhielt sie den Pro<br />
meritis scientiae et literatum, 2005 den Initiativpreis (Stiftung Industrieforschung)<br />
5. Was ist kulturell anders in einem Familienunternehmen, wurden die<br />
und 2007 das Bundesverdienstkreuz.<br />
Unternehmer gefragt. Antwort: das langfristige Denken und die Werteorientierung.<br />
Weiter führten die Unternehmer aus, dass die Kultur im<br />
Christian Dierig (50), Betriebswirt, ist seit 1997 Sprecher des Vorstands der<br />
Familienunternehmen eineidentitätsstiftende Wirkung habe und ein tiefer verwurzeltes<br />
soziales Denken. Bei der Gewinnorientierung und Effizienz sehen<br />
über 200 Jahre alte Familienunternehmen eintrat, sammelte er in denUSA und<br />
Dierig Holding AG, Augsburg. Bevor der studierte Betriebswirt 1987 in das<br />
die Familienunternehmer hingegen keinen kulturellen Unterschied mehr zu<br />
China Erfahrungen in der Textilindustrie. Christian Dierig führt das 1805 gegründete<br />
und seit 1928 börsennotierte Unternehmen, das sich zu 70 Prozent<br />
Konzernen. Der Unternehmenskultur rechnen sie einen deutlichen Beitrag für<br />
den Unternehmenserfolg zu, sehen darin auch einen Wettbewerbsvorteil und<br />
in Familienbesitz befindet, in sechster Generation. Wesentlicher Erfolgsfaktor<br />
eine sichere Grundlage für das unternehmerische Handeln.<br />
des Augsburger Familienunternehmens ist seiner Ansicht nach die emotionale<br />
Bindung der Familie, die wiederum durch offene Kommunikation und strikte<br />
Gleichbehandlung aller Mitglieder gewährleistet ist.<br />
6. Die letzte Frage der Studie ließ den Befragten Raum für eine persönliche<br />
Zusammenfassung der Essenz von Unternehmenskultur. Das Ergebnis fällt<br />
erwartungsgemäß breit aus, von der Wärme der Atmosphäre und der positiven<br />
Ausstrahlung eines Firmenorganismus ist da die Rede, von Fairness und<br />
KO KOBER AG, ab 1999 Vorstandsvorsitzender, bis er 2007 in den Aufsichts-<br />
Kurt Kober (70) Ingenieur, war von 1987 bis 2007 Vorstandsmitglied der AL-<br />
Engagement, von sozialer Einstellung und der Kraft des freien Denkens.<br />
rat der AL-KO KOBER AG, Kötz, und der AL-KO KOBER GMBH, Vintl (I),<br />
sowie als Aufsichtsratsvorsitzender der AL-KO KOBER Ges.m.b.H., Zellberg-<br />
Im Anschluss wurden diese Thesen unter der Moderation von Paul Siebertz,<br />
Ramsau (A), gewählt wurde. Die international tätige Al-KO KOBER-Gruppe,<br />
dem ehemaligen Personalvorstand der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank,<br />
die sich aus der 1931 von Alois Kober in Großkötz gegründeten Schlosserei<br />
von einem hochkarätig besetzen Podium diskutiert. Dessen Teilnehmer zeichnen<br />
sich durch langjährige Führungserfahrung im eigenen Familienuntertechnik,<br />
Garten & Hobby und Lufttechnik in den Dienst der Gesellschaft.<br />
entwickelt hat, stellt ihre speziellen Fähigkeiten in den Bereichen Fahrzeugnehmen,<br />
bzw. fundierte wissenschaftliche Kompetenz aus:<br />
Gerhard Kilian Wöhrl (63) MBA, Betriebswirt, trat 1970 gemeinsam mit seinem<br />
Prof. Dr. Dr. Ann-Kristin Achleitner (41), promoviert in Wirtschafts- und in Rechtswissenschaften,<br />
war u.a. als Dozentin und Unternehmensberaterin tätig, ehe sie<br />
deten Textilhandelsunternehmens WÖHRL an. Seit 1997 zeichnet Wöhrl für die<br />
Bruder die Management-Nachfolge des vom Vater, Rudolf Wöhrl, 1933 gegrün-<br />
1995 als Professorin den Stiftungslehrstuhl Bank- und Finanzmanagement an<br />
Beteiligungen des Familienunternehmens verantwortlich, 2004 erwirbt er die<br />
38 39
2<br />
2<br />
Aktienmehrheit des inzwischen in eine AG umgewandelten Unternehmens. 2003<br />
3. Authentische Werte von innen heraus entwickeln.<br />
wird er in den Aufsichtsrat berufen, dessen Vorsitz er 2004 übernimmt. Seit 2007<br />
Wesentlich für eine wirkungsvolle Unternehmenskultur, so die einhellige<br />
ist Wöhrl Vorstandsvorsitzender der Familien-AG, die mit 37 Häusern und rund<br />
Meinung aller drei Firmenchefs, sei es, keine Werte von außen vorzugeben,<br />
2800 Mitarbeitern zu den führenden Bekleidungsanbietern zählt.<br />
sondern die für die jeweilige Firma authentischen und markanten Werte zu<br />
erkennen. Hinzu kommen muss, nach Dierigs Meinung, eine jederzeit offene<br />
In der Diskussion auf dem Podium und mit dem Publikum haben die<br />
Kommunikation und die Notwendigkeit, unternehmenskulturelle Grundsätze<br />
Familienunternehmer ihre Diskussion zur Unternehmenskultur in folgend konkrete<br />
Handlungsempfehlungen zusammengefasst:<br />
gäste, in inhabergeführten Unternehmen leichter, weshalb sich dort eine<br />
auch in schwierigen Phasen einzuhalten. Dies fällt, im Konsens der Podiums-<br />
Unternehmenskultur bilden kann, die Orientierung bietet, Vertrauen und Motivation<br />
generiert und intern wie extern als berechenbar wahrgenommen wird.<br />
1. Vorleben – nur wenn Werte vom Management und den Eigentümern vorgelebt<br />
werden, generieren sie Vertrauen und wirken motivierend.<br />
Fast identisch sahen das die Teilnehmer der Studie, die als mit Abstand wichtigste<br />
Zielsetzungen der Unternehmenskultur die Aspekte Identifikation, Er-<br />
Diese Überzeugung wurde von allen drei Familienunternehmern einhellig<br />
geteilt. Ein griffiges Beispiel hatte Christian Dierig parat, der etwa für schwierige<br />
wirtschaftliche Unternehmensphasen einen Einkommensverzicht der<br />
höhung der Motivation sowie Förderung des Zusammenhalts nannten.<br />
Führungsebene vorschlug, um bei der Belegschaft Vertrauen aufzubauen.<br />
4. Unternehmenskultur muss auf Anforderungen von außen reagieren und<br />
Diese hohe Bedeutung des Führungsstils als zentrales Element der Unternehmenskultur<br />
teilten auch in der Studie 70% der Befragten.<br />
„Trotz ihrer stabilitätsfördernden Wirkung darf Unternehmenskultur keinesfalls<br />
wandlungsfähig bleiben.<br />
statisch sein und muss sich veränderten Anforderungen anpassen können“,<br />
2. Offenheit – die Kultur der Offenheit und Kommunikation ist nicht nur im<br />
betonte Gerhard Wöhrl. Als Beispiel nannte er Verschiebungen in den Kundenanforderungen,<br />
Christian Dierig führte auch Erwartungen von Fremd-<br />
Familienunternehmen ein wichtiger Erfolgsfaktor. Konfliktvermeidung ist falsch<br />
verstandene Unternehmenskultur.<br />
kapitalgebern an. Grundsätzlich sei die Fähigkeit, sich in Frage zu stellen und<br />
„Konfliktvermeidung um jeden Preis und das Hinnehmen unternehmensimmanenter<br />
Schwächen ist falsch verstandene Unternehmenskultur und hat in<br />
nehmen und damit auch ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Eine Ein-<br />
bei Bedarf flexibel zu reagieren, eine besondere Stärke von Familienunter-<br />
Deutschland schon viele Firmen zugrunde gerichtet“, erklärte Gerhard Wöhrl,<br />
schätzung, die auch von den Ergebnissen der Studie gestützt wird: So gaben<br />
Vorstandsvorsitzender des in Nürnberg beheimateten Textilhandelsunternehmens<br />
Rudolf Wöhrl AG. Stattdessen gehe es um die Etablierung einer<br />
wesentlicher Ausfluss ihrer Unternehmenskultur.<br />
darin knapp 80 Prozent der Befragten an, Anpassungsfähigkeit sei ein<br />
Kultur, die sich durch partizipative Führung, eine Verfassung mit klaren Regeln,<br />
gegenseitige Achtung und Loyalität zum Unternehmen auszeichne.<br />
5. Unternehmenskultur erlebbar machen und einsetzen für Recruiting und<br />
Nicht das persönliche Ego, sondern die gemeinsame Aufgabe und die Idee<br />
Marketing.<br />
müssten über allem stehen, unterstrich auch Dierig, der „neidloses<br />
Ann-Kristin Achleitner, Inhaberin des KfW-Stiftungslehrstuhls für Entrepreneurial<br />
Finance an der Technischen Universität München, empfahl, die Vorzüge<br />
Geltenlassen als Voraussetzung für wechselseitige Kritik“ einforderte. Gute<br />
Voraussetzungen, diese Forderungen zu erfüllen, scheinen die meisten<br />
der Kultur von Familienunternehmen stärker in die Öffentlichkeit zu tragen und<br />
Familienunternehmen zu haben: Verfügt doch laut Studie die Mehrzahl über<br />
zum Beispiel für die Gewinnung von Arbeitskräften zu nutzen. So könne man<br />
eher flache Hierarchien und einen eher informellen Umgangston.<br />
etwa durch mehr Praktikumsangebote Studenten die Gelegenheit geben, die<br />
40 41
2<br />
Raphael M. Zehetbauer<br />
3<br />
besondere Kultur und Mentalität in Familienunternehmen persönlich zu erleben<br />
und dabei wertschätzen zu lernen. Dass Familienbetriebe die Außenwirkung<br />
ihrer Unternehmenskultur noch zu wenig nutzen, bestätigen übrigens<br />
die Ergebnisse der Studie: Während fast alle Befragten (90 Prozent) mit der<br />
Förderung ihrer Unternehmenskultur die Identifikation mit der Firma fördern<br />
wollen, rangiert die Zielsetzung Imageverbesserung erst weit hinten: Rund die<br />
Hälfte möchte sich mit ihrer Unternehmenskultur auch beim Kunden ins rechte<br />
Licht setzen, auf dem Arbeitsmarkt bemühen sich darum nur noch 30 Prozent.<br />
Ganz zu schweigen von den Investoren, die nur 12 Prozent der befragten<br />
Familienunternehmer mit ihrer Unternehmenskultur beeindrucken wollen.<br />
Fazit des Abends:<br />
Die Unternehmenskultur im Familienunternehmen unterscheidet sich nicht<br />
wesentlich von der Unternehmenskultur in anderen Firmen. Auch ist die<br />
These, dass Familienunternehmen traditionell und paternalistisch sind, spätestens<br />
durch die Studie widerlegt.<br />
Haben oder Sein –<br />
Sozialisationsbedingungen von<br />
Unternehmerkindern<br />
Nach einer Chronik aus dem 13. Jahrhundert soll der römisch-deutsche<br />
Kaiser Friedrich II. (1194 – 1250) ein grausames Experiment an Säuglingen<br />
durchgeführt haben. Um herauszufinden, ob es eine dem Menschen angeborene<br />
Ursprache gäbe, habe er mehrere Säuglinge von der Außenwelt isolieren<br />
lassen und ihren Ammen befohlen, die Kinder zwar zu säugen und sauber<br />
zu halten, aber weder mit ihnen zu sprechen noch sie zu liebkosen oder<br />
ihnen sonstige Zuwendung zuteil werden zu lassen. Auf diese Weise habe er<br />
– so der Chronist – herausfinden wollen, in welcher Sprache Kinder ihre<br />
ersten Worte von sich geben. Die Kinder hätten dann aber gar nicht gesprochen,<br />
sondern seien aufgrund der mangelnden menschlichen Zuwendung<br />
frühzeitig gestorben.<br />
Allerdings ist die Chance, eine Unternehmenskultur aus der Eigentümerfamilie<br />
Heute wissen wir aus zahlreichen Forschungen, dass sich unser Ich nur aus<br />
heraus zu prägen, größer, und diese Chancen sollte der Unternehmer in<br />
den Feedbacks und Einsagungen der Eltern und anderer Bezugspersonen<br />
jedem Fall nutzen. Die Kultur besteht dabei nicht aus Mythen und Traditionen<br />
aufbaut. Ohne diese Informationen könnten wir nicht „Ich bin“ sagen und<br />
einer unternehmerischen Familiengeschichte, sondern aus Regeln und<br />
wären nicht lebensfähig. Ob wir das wollen oder nicht, wir starten in puncto<br />
Werten, die im Unternehmen gelebt werden. Will der Familienunternehmer die<br />
Identitätsfindung als vollständige „Informationsprodukte“ unserer Umwelt.<br />
Kultur verändern oder den Gegebenheiten des Marktes anpassen, so tut er<br />
Diese Informationen sind aber keineswegs objektiv, sondern gespickt mit<br />
gut daran, den Prozess von innen zu starten und auf Gesellschafter- und<br />
Prämissen, Glaubenssätzen und Prinzipien unserer Bezugspersonen.<br />
Managementebene Werte vorzuleben. So können Familienunternehmen auch<br />
als Zukunftsmodell dienen, wie es Dr. Arend Oetker, Urenkel des Gründers<br />
Bei Unternehmerfamilien kommt zu den Feedbacks der Bezugspersonen<br />
des gleichnamigen Nahrungsmittelkonzerns, einmal nannte. Ein positiver<br />
noch etwas Entscheidendes hinzu, die Firma. Dieses „Haben“ ist keineswegs<br />
Wertekodex ist ökonomische Klugheit, Mitarbeiter werden mit Werten motiviert,<br />
passiv. Es entpuppt sich bei dem Aufbau der Identität als ein hochwirksames,<br />
und die nach innen wie nach außen propagierten Werte schaffen positi-<br />
sozial relevantes Agens und beeinflusst so das „Sein“ der Unternehmerkinder.<br />
ve Resonanz bei Kunden und bei potenziellen Mitarbeitern. Familienunternehmen<br />
Prinzipien wie z.B. „Verantwortung verpflichtet“ werden als dicker Baustein<br />
reden nicht nur von Werten, sondern sie leben sie auch. Und<br />
tief im Ich-Fundament einzementiert, meist gepaart mit einer Familien-<br />
wenn das so ist, verursacht die Kultur nicht einmal Kosten.<br />
währung, die nach einer Liebe-für-Leistung-Mechanik die elterliche Zuwendung<br />
verteilt.<br />
42 43
3<br />
3<br />
„Bist du der Soundso von den Soundsos, ah ja…“ – es gibt immer schon<br />
Vorinformationen, mit denen das Unternehmerkind in seiner Umwelt auf<br />
Schritt und Tritt konfrontiert wird. So lernt man jemanden auf einer Party kennen,<br />
sagt seinen Namen, und schon verfärbt die Marke des „Habens“ die<br />
pure Botschaft des „Seins“. Das verändert die Identität eines Menschen.<br />
Unternehmersöhne und -töchter haben es schwer, die Frage „wer bin ich“<br />
und „was will ich wirklich“ unabhängig vom „Haben“ bzw. dem gesellschaftlichen<br />
Status der Familie zu beantworten.<br />
Bei der Berufswahl wird es richtig kompliziert. Jetzt werden die Projektionen<br />
und Verführungen sichtbar. Die Eltern, meist selbst in dieser Art Sozialisationsprozess<br />
aufgewachsen, verführen ein Kind mit der Aussicht auf die<br />
Macht. Der Kronprinz antwortet bestenfalls mit Wohlverhalten und verwechselt<br />
sein eigenes Wollen mit dem Wollen der Eltern, unhinterfragt wirken Prinzipien<br />
und Familienwährung. So entstehen auf beiden Seiten Projektionen.<br />
Die Eltern glauben für die Kinder und das Unternehmen das Beste getan zu<br />
haben, die Kinder mit der Haben-Sein-Sehschwäche verwechseln Macht<br />
haben mit glücklich sein. Dann löst aber am Ende der 80-jährige Senior sein<br />
Übergabeversprechen immer noch nicht ein und der 50-jährige Sohn leidet<br />
enttäuscht und verbittert am Prinz-Charles-Syndrom, hat im treuen Dienst<br />
seine eigene Lebensspur verloren, fühlt sich getäuscht und ausgenutzt.<br />
1. Vorbereitung der Trennung von Kapital und Management.<br />
Bei weniger als der Hälfte der Familienunternehmen gelingt es, den Sohn oder<br />
die Tochter als Nachfolger zu etablieren. Ernennen Sie deshalb keinen<br />
Kronprinzen (auch nicht innerlich). Richten Sie frühzeitig einen auch mit familienfremden<br />
Mitgliedern besetzten Beirat ein, der nach dem Ausscheiden des<br />
Seniors die Geschäftsführung ernennt. Damit ist schon mal viel Enttäuschungs-<br />
und Konfiktpotenzial zwischen Eltern und Kindern abgebunden.<br />
2. Ermutigen Sie Ihre Kinder, sich bei der Auswahl ihres Berufes von<br />
Fachleuten beraten und begleiten zu lassen. Als Eltern sind Sie natürlicherweise<br />
voreingenommen. Es geht um die ersten Weichenstellungen, die nicht<br />
mit der Frage „Gehst du rein in die Firma oder nicht?“ geklärt werden können.<br />
Es muss lauten: „Was ist deine Lebensspur, zu welcher Aufgabe bist du berufen?“<br />
Das ist ein himmelweiter Unterschied.<br />
3. Ermöglichen Sie Ihren Kindern, sich so lange als möglich in Räumen aufzuhalten,<br />
in denen man sie nicht kennt. Auslandsaufenthalte sind für Unternehmerkinder<br />
wichtiger als für andere. Nur so erhalten sie ungefärbte Feedbacks<br />
und können Akzeptanz aus ihrem Sosein erfahren. Eine Lehre, ein Studium,<br />
ein Praktikum, ein erster Job im Ausland sind eine erste Voraussetzung<br />
für eine eigene Berufsentscheidung.<br />
Eine für ihren großen Reichtum bekannte Familie hat es einmal anders versucht.<br />
4. Sollte sich Ihr Sohn, Ihre Tochter aus eigenen Stücken dazu entschließen, im<br />
Sie schickte ihre Tochter mit einem anderen Namen zum Praktikum in das eigene<br />
Unternehmen. Nur wenige Eingeweihte wussten, wer da im Büro saß. So<br />
Sie nicht auf eine fachkundige Beratung und Begleitung. Diese erarbeitet Pläne<br />
Unternehmen eine Aufgabe und später die Leitung zu übernehmen, verzichten<br />
kam es, dass sie sich in einen Ingenieur verliebte, der lange Zeit nicht ahnte, welchen<br />
Hintergrund seine neue Freundin hatte. Nachdem es für beide ernst geworsenen<br />
Vermögensübergang mit gerechtem Ausgleich der Geschwister, für die<br />
für die Karriere des Juniors, für eine sachgerechte Vergütung, einen angemesden<br />
war, soll die Aufdeckung der Wahrheit freilich krisenhaft gewesen sein, hat<br />
Alterssicherung der Senioren etc. und begleitet bei der Umsetzung. Das ist kein<br />
aber gut geendet. So kompliziert kann Haben-unbelastetes Sichfinden sein.<br />
Beratungsprojekt von drei Wochen, das sind jahrelange Prozesse bei denen der<br />
Coach in definierten Abständen hilft, den Fortschritt sicherzustellen.<br />
Wie aber in der Unternehmerfamilie eine Seins-Kultur etablieren, die es einerseits<br />
den Kindern ermöglicht, ihre eigene Lebensspur zu finden, andererseits<br />
Das Haben ist gut und lebensnotwendig, steht aber im Dienst des Seins und<br />
eine Haben-Kultur aufrechterhält, die der Verantwortung für das Unternehmen<br />
nicht umgekehrt. Nur so gelingt gleichermaßen das Lebensglück von Unternehmerkindern,<br />
das Wohl der Eltern und der Erhalt des Unternehmens.<br />
gerecht wird? Folgende Maßnahmen haben sich in der Praxis dazu bewährt.<br />
44 45
3<br />
Prof. Dr. Dieter Frey,<br />
4<br />
Über den Autor:<br />
Raphael M. Zehetbauer (49) ist Inhaber der Human Success GmbH. Nach<br />
seinem Studium der Philosophie und Theologie war er 13 Jahre Geschäftsführer<br />
der väterlichen mittelständischen Unternehmens-Gruppe. Nach Überführung<br />
der Unternehmungen in einen internationalen Konzern war Zehetbauer<br />
bis 2001 als CEO für Deutschland verantwortlich. Seit Gründung der<br />
Human Success GmbH widmet er sich als systemischer Coach besonders<br />
den Unternehmerfamilien. Er begleitet Söhne, Töchter und Eltern bei ihrer<br />
persönlichen und beruflichen Entwicklung und berät bei den notwendigen<br />
Veränderungsprozessen im Unternehmen. Unternehmenspräsentation unter:<br />
www.human-success.de<br />
Claudia Peus und Silke Weisweiler<br />
Unternehmensnachfolge: Chance und<br />
Herausforderung für eine ethikorientierte<br />
Führung und eine partnerschaftliche<br />
Unternehmenskultur<br />
Die jetzt stattfindenden Firmenübergaben in vielen Mittelstandsunternehmen<br />
gehen Hand in Hand mit großen Veränderungen in der Globalisierung, so<br />
dass insgesamt die Frage gestellt werden muss, wie Führung ausgerichtet<br />
sein soll, damit man Mitarbeiter hat, die die Zukunft erfolgreich meisten.<br />
Wenn die Firma an einen Nachfolger übergeben wird, dann wird immer auch<br />
reflektiert werden, wie die Firma, die in neue Hände übergeben wird, eigentlich<br />
geführt werden soll.<br />
Der Vorgänger hatte oft entweder eine patriarchalisch-partnerschaftlich-väterliche<br />
Führungsstruktur oder eine patriarchalisch-autoritäre Führungsstruktur,<br />
oder führte mit allen unterschiedlichen Facetten. Es konnte möglich sein,<br />
dass der Vorgänger alles bestimmte und auch die nachfolgenden Führungskräfte<br />
sich entsprechend verhielten. Genauso mag möglich gewesen sein,<br />
dass uneinheitlich geführt wurde. Kurzum, der Nachfolger wird sich genau<br />
überlegen müssen, ob er genau das weiterführen wird, was der Vorgänger<br />
vorgegeben hat, oder ob er sich eine eigene Duftnote geben will. Auf jeden<br />
Fall wird er sich Gedanken machen, wie Führung und Unternehmenskultur<br />
aussehen muss, um im globalen Wettbewerb überleben zu können.<br />
Die Mitarbeiter sind natürlich auch gespannt und fragen sich, was der oder<br />
die Neue anders machen wird. Was wird sich verändern im Umgang mit den<br />
Mitarbeitern?<br />
In den meisten kleinen und Mittelstandsunternehmen fehlt es insgesamt an<br />
einer Systematik professioneller Mitarbeiterführung. Auch der Ausbildung in<br />
46 47
4<br />
4<br />
Mitarbeiterführung wird zu wenig Wert beigemessen. Dabei wissen wir längst,<br />
wie sehr die Exzellenz von Produkten von der Exzellenz von Menschen und<br />
der Exzellenz von Führung abhängt.<br />
Der Wechsel bietet somit gleichzeitig die Chance, zu reflektieren, wie die<br />
Mitarbeiter geführt werden sollen. Wie kann man eine Systematik in die<br />
Führung bringen?<br />
Im Folgenden werden wir die einzelnen Führungsprinzipien durchsprechen<br />
(Frey und Schuster, 1996).<br />
Abb. 1: Das Prinzipienmodell der Führung von Frey (nach Frey, 1998)<br />
Oberste Leitsätze:<br />
Partnerschaftlichkeit, Fairness und Vertrauenswürdigkeit<br />
Betrachtet man neue Erkenntnisse aus der Wissenschaft, so liegt die Antwort<br />
nahe: Sofern man hoch motivierte Mitarbeiter haben möchte und auf<br />
Innovation ausgerichtet ist (und das ist unbedingt erforderlich, wenn man im<br />
nationalen und internationalen Wettbewerb überleben will), spricht vieles für<br />
einen ethikorientierten Führungsstil und eine partnerschaftliche Unternehmenskultur.<br />
Entsprechend dieser Philosophie werden nachfolgend zentrale<br />
Führungsprinzipien aufgeführt, die wir für geeignet halten, in einer sich verändernden<br />
Welt Innovationen hervorzubringen und nach einem Wechsel des<br />
Inhabers Motivation und Innovationskraft zu erzeugen.<br />
Zum Problem der professionellen Führung<br />
Es hängt nicht vom Zufall ab, ob man innerlich gekündigte Mitarbeiter hat<br />
oder nicht. Einerseits spielt natürlich die Eigenmotivation der Mitarbeiter eine<br />
große Rolle, aber andererseits wird die Motivation der Mitarbeiter auch maßgeblich<br />
davon beeinflusst, in welcher Unternehmenskultur, in welchem<br />
Betriebsklima, also letztlich unter welchen äußeren Bedingungen der<br />
Mitarbeiter arbeitet.<br />
Die Relevanz professioneller Mitarbeiterführung<br />
(People Management)<br />
Ziel:<br />
Der mündige Mitarbeiter als „Unternehmer im Unternehmen“<br />
1. Prinzip der Sinn- und Visionsvermittlung<br />
2. Prinzip der Transparenz (Information und Kommunikation)<br />
3. Prinzip der Autonomie und Partizipation<br />
4. Prinzip der konstruktiven Rückmeldung (Lob und konstruktive Kritik)<br />
5. Prinzip der fachlichen und sozialen Einbindung (Teamarbeit,<br />
gutes Betriebsklima)<br />
6. Prinzip der Passung und Eignung (Komfortzonen/ Spaß an der Arbeit)<br />
7. Prinzip der optimalen Stimulation durch Zielvereinbarung<br />
8. Prinzip der positiven Wertschätzung<br />
9. Prinzip der Fairness (Ergebnisfairness, prozedurale Fairness,<br />
informationale Fairness, interaktionale Fairness)<br />
10. Prinzip der Persönlichkeitsentfaltung und der menschengerechten<br />
Arbeitsbedingungen<br />
11. Prinzip der situativen Führung und des androgynen Führungsstils<br />
12. Prinzip des guten Vorbildes der Führungsperson (menschlich, fachlich)<br />
13. Prinzip der fairen materiellen Vergütung<br />
Das Prinzipienmodell der Führung von Frey (1996 a, b; 1998; Frey & Schulz-<br />
a) Sinn- und Visionsvermittlung<br />
Hardt, 2000) zeigt wichtige Faktoren auf, die dazu beitragen, dass der Mitarbeiter<br />
motiviert und lernbereit ist. Ganz konkret hat der direkte Vorgesetzte<br />
größeres Ganzes einbetten kann, keine Visionen sieht, wird früher oder spä-<br />
Der Mitarbeiter, der den Sinn seiner Tätigkeit nicht versteht, ihn nicht in ein<br />
eine große Verantwortung bei der Umsetzung der folgenden Prinzipien.<br />
ter in die innere Kündigung gehen.<br />
48 49
4<br />
4<br />
Dort, wo Mitarbeiter ihre Arbeit als sinnvoll erleben, sind sie willens, sich<br />
zuvor in die Entscheidungsfindung eingebunden wurde und das Gefühl hat,<br />
Gedanken über mögliche Verbesserungen zu machen. Sinnlose Tätigkeit<br />
dass die Entscheidungsprozedur gerecht war. Findet eine solche Einbindung<br />
dagegen frustriert. Sinnvolle Arbeitsinhalte haben für viele Mitarbeiter eine<br />
des Mitarbeiters nicht statt, so kann es ganz im Gegenteil leicht zu<br />
größere Bedeutung als Status und Karriere. Dies ergibt sich unmittelbar aus<br />
Reaktanzphänomenen (vgl. hierzu Dickenberger, Gniech & Grabitz, 1993)<br />
dem Sinnprinzip, das letztlich eine Präzisierung und Verallgemeinerung der<br />
kommen: Der Mitarbeiter fühlt sich in seiner Freiheit eingeschränkt, da „über<br />
Überlegungen von Frankl (1972) darstellt: Menschen besitzen eine<br />
seinen Kopf hinweg“ entschieden wurde, und reagiert mit einer Blockadehaltung.<br />
„Sehnsucht nach Sinn“; sie stellen sich also immer die „Wozu“-Frage, wenn<br />
ihnen der Sinn von bestimmten Dingen nicht unmittelbar ersichtlich ist.<br />
Letztlich hat die Umsetzung des Prinzips der Autonomie und Partizipation<br />
b) Transparenz durch Information und Kommunikation<br />
sehr viel mit dem Menschenbild der Führungskraft zu tun: inwieweit sie bereit<br />
Eng mit dem vorigen verbunden ist das Prinzip der Transparenz: Die<br />
ist, loszulassen, Aufgaben zu delegieren, den Mitarbeiter groß werden zu lassen<br />
und nicht jeden Schritt ängstlich zu kontrollieren.<br />
Führungskraft muss ihre Mitarbeiter über ihren Arbeitsbereich hinaus (!) informieren,<br />
denn nur wer ausreichend informiert ist, kann sich zukunftsorientiert<br />
und verantwortlich verhalten. Dabei genügt es nicht, Transparenz nur durch<br />
d) Konstruktive Rückmeldung (Lob und Korrektur/Kritik)<br />
einseitiges Informieren zu erreichen; entscheidend ist vielmehr Kommunikation,<br />
also der Dialog (vgl. Frey, 1996 a, b; 1998). Der nicht informierte<br />
Ergebnisse zu den Lerntheorien. Konstruktives Feedback geben zu können<br />
Dass Lob und Korrektur zentrale Motivationsfaktoren sind, zeigen uns die<br />
Mitarbeiter wird weniger zu Anstrengungen am Arbeitsplatz bereit sein und<br />
setzt aber eine entsprechende Kompetenz bei Führungspersonen und<br />
eher in die innere Kündigung gehen.<br />
Mitarbeitern voraus. Dies gilt sowohl für die Lobkomponente (Lob als der<br />
wichtigste Motivator) als auch für Kritik- und Korrekturgespräche, mit denen<br />
c) Autonomie und Partizipation<br />
Zielvereinbarungen kontrolliert und eingehalten werden. Es geht darum, sich<br />
Transparenz alleine wird auf die Dauer nicht viel bewirken können, wenn den<br />
zu verständigen und nicht zu verletzen: „Der Ton macht die Musik“, d.h., das<br />
Mitarbeitern nicht auch Möglichkeiten der Mitwirkung gegeben werden.<br />
Kritikgespräch muss konstruktiv, sach- und verhaltens-, aber nicht persönlichkeitsbezogen<br />
sein. Es sollte dabei auch die Fähigkeit der Diplomatie geför-<br />
Analog hierzu hat die kontrolltheoretische Forschung gezeigt, dass<br />
Erklärbarkeit nur wenig positive Effekte hervorbringt, wenn keine<br />
dert werden – diplomatische Vorgesetzte, die „durch die Blume“ konstruktiv<br />
Beeinflussbarkeit gegeben ist (vgl. Osnabrügge, Stahlberg & Frey, 1985). Ist<br />
loben und kritisieren können, werden sicherlich auch besser schwierige<br />
jedoch die Möglichkeit der Partizipation gegeben, so erhöht sich die<br />
Mitarbeiter fördern können. Durch konstruktives Feedback kann viel Potenzial<br />
Identifikation (Antoni, 1999).<br />
für Motivation und Kreativität freigesetzt werden. Deutsche Führungskräfte<br />
loben zu wenig und kritisieren entweder zu wenig (wegen fehlender<br />
Partizipationsmöglichkeiten erhöhen aber nicht nur die Kompetenz des<br />
Zivilcourage) oder aber zu destruktiv. Konstruktives Feedback – unabhängig<br />
Mitarbeiters zur Problemerkennung und Problemlösung, sondern zugleich<br />
davon, ob Lob oder Kritik – ist einer der zentralen Schlüssel zum Erfolg.<br />
auch seine Akzeptanz für die gefundenen Problemlösungen: Forschungen<br />
Wichtig ist aber auch, dass Lob und Kritik nicht nur von oben nach unten vermittelt<br />
werden, sondern dass auch der Mitarbeiter ermuntert wird, die für<br />
von Tom Tyler (1994) über „prozedurale Gerechtigkeit“ zeigen, dass auch<br />
dann, wenn eine Entscheidung letztlich den Interessen des Mitarbeiters<br />
Motivation und Kreativität besonders wichtigen Verhaltensweisen bei der<br />
zuwiderläuft, die Identifikation mit dieser Entscheidung höher ist, wenn er<br />
Führungsperson zu loben bzw. konstruktiv zu kritisieren.<br />
50 51
4<br />
4<br />
e) Gutes Betriebsklima und fachliche und soziale Einbindung<br />
g) Zielklarheit und Zielvereinbarungen<br />
Dem Mitarbeiter muss ein Gefühl der sozialen und emotionalen Integration im<br />
Ziele dürfen keine diffuse Vorstellung bleiben. Führungsperson und Mitarbeiter<br />
Betrieb gegeben werden, damit vor allem seinem Bedürfnis nach positiven<br />
müssen gemeinsam klare und messbare Ziele vereinbaren. Führen durch<br />
Sozialbeziehungen Rechnung getragen wird. Er hat dann die Möglichkeit,<br />
Zielvereinbarungen (nicht Zieldiktat) bedeutet, dass jeder Mitarbeiter die<br />
neben einer personalen auch eine soziale Identität zu entwickeln – ein sehr<br />
Messlatte kennt und die Oberziele des Unternehmens in spezifische Ziele für<br />
bedeutsamer Aspekt, wie auch die umfangreichen Forschungen im Rahmen<br />
die Abteilung, die Gruppe, den Einzelnen usw. transformiert werden. Weiß der<br />
der Theorie der sozialen Identität (vgl. hierzu z.B. Tajfel, 1978; 1981) zeigen.<br />
Mitarbeiter nicht, was wirklich von ihm erwartet wird, so spricht das für ein<br />
Der Aspekt der sozial-emotionalen Integration ist deshalb besonders relevant,<br />
Versagen der Führungskraft. Zielvereinbarung statt Zieldiktat ist eine notwendige<br />
Bedingung für Engagement. Selbstverständlich sollten auch auf höherer<br />
weil er einen Schutz gegen krank machende Faktoren darstellt. Je weniger<br />
der Mitarbeiter sich am Arbeitsplatz wohlfühlt (z.B. durch schlechte Beziehung<br />
zum Vorgesetzten, zu Kollegen oder durch Überforderung), desto<br />
in welche Richtung sie sich verändern muss, um den Mitarbeiter bzw. das<br />
Ebene Zielvereinbarungen mit der Führungsperson darüber getroffen werden,<br />
geringer ist seine Belastbarkeit. Führungskräfte haben deshalb eine ganz<br />
Team besser zur Entfaltung zu bringen.<br />
wichtige Funktion: Sie sind mit dafür verantwortlich, dass das Betriebsklima<br />
stimmig ist und sich die Mitarbeiter wohlfühlen. Es soll dem Mitarbeiter bei der<br />
Durch gemeinsame Zielvereinbarung soll chronische Unter- oder Überforderung<br />
vermieden und effiziente Förderung erzielt werden (vgl. Locke & Latham,<br />
Arbeit regelrecht gut gehen.<br />
1990 a und b; Brandstätter, 1998). Gerade der Goalsetting-Ansatz von Locke<br />
f) Passung und Eignung am Arbeitsplatz<br />
zeigt, dass die Vorgabe konkreter, quantifizierbarer Ziele sowohl informative<br />
Auch eine vollständige fachliche und soziale Einbindung nützt wenig, wenn<br />
wie motivationale Vorteile hat: Der Mitarbeiter weiß, welche Ziele er erreichen<br />
die Fähigkeiten und Fertigkeiten des Mitarbeiters auf der einen und die<br />
soll, und ist auch motiviert, diese (realistische) Messlatte zu überspringen.<br />
Anforderungen und Gegebenheiten des Arbeitsplatzes auf der anderen Seite<br />
nicht zusammenpassen: Oft sitzen hervorragende Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen<br />
am falschen Platz oder im falschen Team und können ihre<br />
sogenannten 10%-Lösungen eher zum Ziel führt als zu hohe, nicht erreich-<br />
Dabei hat sich oft erwiesen, dass eine Politik der kleinen Schritte oder der<br />
Fähigkeiten nicht optimal umsetzen. Dadurch kommt es zu Gefühlen von<br />
bare Ziele. Also: Der Mitarbeiter muss sehen, dass die Messlatte noch übersprungen<br />
werden kann, dass das gesteckte Leistungs- oder Verhaltensziel für<br />
Unter- oder Überforderung und zu Unzufriedenheit auf Seiten der Mitarbeiter<br />
und der Vorgesetzten. Deshalb ist darauf zu achten, dass der Mitarbeiter ein<br />
ihn persönlich erreichbar ist.<br />
Team und einen Arbeitsplatz besetzt, das/der seinen Komfortzonen, also seinen<br />
Neigungen und Interessen entspricht.<br />
h) Prinzip der positiven Wertschätzung<br />
Die Führungskraft muss jedem Mitarbeiter hohe persönliche Wertschätzung<br />
Letztlich gilt: Wer Tätigkeiten ausführt, die ihn interessieren, wird sich engagieren<br />
und sich z.B. auch in der Freizeit produktive Gedanken über neue<br />
Lieferanten von Serviceleistungen betrachten. Dort wo der Mitarbeiter sich als<br />
entgegenbringen, ihn quasi als einen wichtigen internen Kunden bzw.<br />
Problemlösungen machen. Dies belegen z.B. vielfältige Forschungen im<br />
Nummer fühlt, wird er auch kein Engagement entwickeln. Viele Führungskräfte<br />
führen über Angst, Druck, ja gar Verletzungen, entweder um Mit-<br />
Rahmen der Interessenstheorie (Prenzel, 1992). Interesse wiederum wird vor<br />
allem dann geweckt, wenn die tatsächlichen Talente und Neigungen des<br />
arbeiter untertänig zu machen und zu blindem Gehorsam anzuleiten, oder<br />
Mitarbeiters angesprochen werden, also eine Passung vorhanden ist.<br />
aber um ihre Macht zu demonstrieren. Wer aber selbst wenig Selbstwert<br />
52 53
4<br />
4<br />
besitzt, wird auch Probleme haben, anderen positive Wertschätzung entgegenzubringen.<br />
Deshalb ist es wichtig, den Führungskräften ihrerseits sehr<br />
viel Selbstvertrauen durch Kommunikation, Partizipation, Zielvereinbarung,<br />
Lob usw. zu vermitteln.<br />
und prozedurale Fairness aus der Sicht des Mitarbeiters nur suboptimal<br />
umgesetzt worden sind, muss er das Gefühl haben, er ist echt, ehrlich und<br />
umfassend informiert worden.<br />
Schließlich spielt interaktionale Fairness auch eine zentrale Rolle, das heißt:<br />
Wie wird aus der Sicht des Mitarbeiters mit ihm umgegangen? Respektvoll,<br />
Das Prinzip der positiven Wertschätzung geht zurück auf die Ideen der humanistischen<br />
Schule von Rogers (1959). Menschen haben eine Sehnsucht nach<br />
Achtung, Respektierung und positiver Wertschätzung, sie wollen geliebt oder<br />
wertgeschätzt werden, zumindest von solchen Personen, die sie selbst gerne<br />
wertschätzen möchten. Ist diese Wertschätzung nicht vorhanden, wenden<br />
würdevoll, mit Wertschätzung? Oder wird er als Schulmädchen oder Schuljunge<br />
abgekanzelt, fühlt er sich als Nummer behandelt usw.? Die Forschung<br />
zeigt hier eindeutig, dass die Wahrnehmung interaktionaler Fairness, das<br />
heißt die Interaktion auf gleicher Augenhöhe, ganz zentral für das Vertrauen<br />
und letztlich die Motivation und Leistung des Mitarbeiters ist.<br />
Menschen Selbstverteidigungsstrategien an (z.B. Abwertung des Gegenübers),<br />
um ihren eigenen Selbstwert zu schützen, was im Arbeitsbereich Demotivation<br />
zur Folge hat. Man kann die These vertreten, dass erhöhte Wertschöpfung auf<br />
Dauer nur durch erhöhte Wertschätzung erreicht werden kann.<br />
j) Persönlichkeitsentfaltung und menschengerechte Arbeitsbedingungen<br />
Mitarbeiter möchten jedoch nicht ständig nur vereinbarte Ziele erfüllen; sie<br />
möchten sich dabei auch in ihren Kompetenzen weiterentwickeln (Bedürfnis<br />
nach Kompetenz) und, wenn sie die Ziele erfüllen oder übererfüllen, auch<br />
i) Prinzip Fairness<br />
In der Fairnessliteratur gibt es vier Arten von Fairness, nämlich Ergebnisfairness,<br />
prozedurale Fairness, informationale Fairness und interaktionale Fairness. Der<br />
Mitarbeiter muss das Gefühl haben, dass bei Sach- und Personalentscheidungen<br />
sowie im Umgang mit ihm fair gehandelt wird. Sicherlich wird<br />
der Mitarbeiter mit den Ergebnissen nicht immer übereinstimmen, vor allem<br />
Aufstiegsmöglichkeiten besitzen. Jeder Mitarbeiter sollte daher die Möglichkeit<br />
erhalten, sich gemäß seinen Fähigkeiten, persönlichen Talenten und<br />
Interessen weiterzuentwickeln. Bei entsprechender Qualifikation und Leistung<br />
sollte ein Aufstieg im Unternehmen ermöglicht werden oder – weil dies durch<br />
die Verflachung von Hierarchien immer schwieriger wird – eine Kompetenzbzw.<br />
Verantwortungserweiterung möglich sein.<br />
dann, wenn sie nicht seinen Interessen entsprechen. Wahrscheinlich wird er oft<br />
auch nicht mit dem zufrieden sein, was er investiert hat, und dem, was er erhält.<br />
Gerade wenn Ergebnisfairness aus der Sicht des Mitarbeiters nicht gewährleistet<br />
Beim Prinzip der Persönlichkeitsentfaltung und menschengerechter<br />
Arbeitsbedingungen geht es um<br />
ist, ist die oben angesprochene prozedurale Fairness umso wichtiger: Das<br />
heißt, es muss per Hol- und Bringschuld klar sein, warum eine Entscheidung<br />
Schädigungslosigkeit und Erträglichkeit der Arbeit<br />
gefällt wurde. In diesem Zusammenhang ist es ganz wichtig, dass der Mitarbeiter<br />
Ausführbarkeit<br />
„Voice“ – also eine Stimme – hat und angehört wird, so dass er seine Meinung<br />
Zumutbarkeit<br />
kundtun kann, wenn er schon nicht an der Entscheidung teilhat. Allein dadurch,<br />
Beeinträchtigungsfreiheit<br />
dass der Mitarbeiter Gehör findet, ist er oftmals bereit, Entscheidungen mitzutragen<br />
Handlungs- und Tätigkeitsspielraum<br />
und umzusetzen, die er eigentlich nicht befürwortet hat.<br />
Beteiligung der Arbeitenden an der Gestaltung<br />
Neben der prozeduralen Fairness ist die sogenannte informationale Fairness<br />
Zufriedenheitsförderliche Arbeitsbedingungen<br />
wichtig, wie wir schon unter dem Stichwort Transparenz durch Information<br />
Persönlichkeitsförderlichkeit<br />
und Kommunikation angesprochen haben. Vor allem wenn Ergebnisfairness<br />
Sozialverträglichkeit<br />
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4<br />
4<br />
Somit geht es um die Umsetzung von Kriterien, wie sie vor allem Hacker<br />
l) Gutes Vorbild der Führungsperson (menschlich und fachlich)<br />
(1998), aber auch Hackman und Oldham (1980) gefordert haben; diese besagen:<br />
Arbeit soll so geregelt werden, dass Persönlichkeitsentfaltung möglich ist<br />
fachlicher Kompetenz und menschlicher Integrität bewusst sein. Nur dadurch<br />
Führungspersonen müssen sich ihrer Funktion als Vorbild im Sinne hoher<br />
und die Aspekte Ganzheitlichkeit und Vielseitigkeit verwirklicht sind.<br />
können sie ein Klima des Vertrauens schaffen. Dazu gehören Aufrichtigkeit<br />
und die Fähigkeit, Wort und Tat in Übereinstimmung zu bringen. Nur dort, wo<br />
k) Prinzip der situativen Führung und des androgynen Führungsstils<br />
ein menschliches Vorbild vorhanden ist, wird der Mitarbeiter sich letztlich<br />
Gegenüber bestimmten Personen und in bestimmten Situationen bedarf es<br />
engagieren. Es ist nie nur eine Sache (der Arbeitsinhalt), die intrinsisch motiviert,<br />
sondern es sind Personen, die begeistern und motivieren. Bei der Arbeit<br />
der direktiven Führung, d.h. relativ klarer, teilweise sogar autoritärer<br />
Entscheidungen und Verhaltensweisen; in anderen Situationen und bei anderen<br />
Personen mag die Strategie „Samthandschuh“ adäquat sein; in wieder<br />
stark von der Person des Englischlehrers abhängig. Sind sich alle Füh-<br />
ist es nicht anders als in der Schule: Die Begeisterung für Englisch ist sehr<br />
anderen Situationen sind Zwischenformen angemessen. Manche Mitarbeiter<br />
rungspersonen bewusst, welche Verantwortung sie diesbezüglich als Vorbild<br />
muss man mit Samthandschuhen anfassen, weil sie vielleicht empfindliche,<br />
haben? Eine Person mit Vorbildfunktion sollte sich also mehrmals im Jahr fragen:<br />
Sind Wort und Tat bei mir in Übereinstimmung? Entspricht mein<br />
aber höchst talentierte Menschen sind, andere verstehen dagegen nur eine<br />
sehr klare Sprache. Bestimmte Situationen erfordern ausführliche<br />
Verhalten den Hochglanzbroschüren unserer Firma? Was würden Sie tun,<br />
Diskussionen und Partizipation, andere Situationen verlangen schnelle<br />
wenn Sie in meiner Position wären? Wo bin ich Flaschenhals, wo bin ich<br />
Entscheidungen und weniger Partizipation. Daher muss die Führungsperson<br />
Edelsachbearbeiter, wo bin ich gar Killer von Kreativität und Motivation?<br />
lernen, situativ zu führen, d.h. sich je nach Situation und je nach Gegenüber<br />
unterschiedlich zu verhalten.<br />
m) Prinzip der fairen, anreizbetonten Vergütung<br />
Wichtig ist bei all diesen Varianten aber ein Höchstmaß an allgemeiner persönlicher<br />
Wertschätzung. Zur situativen Führung gehört auch die Umsetzung<br />
ihrer Leistung materiell unterbewertet fühlen. Spitzenleistungen verlangen<br />
Personen werden in die innere Kündigung gehen, wenn sie sich entsprechend<br />
androgynen Führungsverhaltens (unter androgyn versteht man jemanden, der<br />
auch Spitzenvergütungen. Die jeweilige Vergütung muss begründet werden<br />
sowohl typisch weibliche wie typisch männliche Führungsverhaltensweisen<br />
und muss einen Verstärker darstellen.<br />
zeigt). Zu den typisch maskulinen Führungsverhaltensweisen zählen z.B.:<br />
Härte zeigen können, Nein sagen können, Zivilcourage zeigen können,<br />
Natürlich soll damit nicht von einem Menschenbild ausgegangen werden, bei<br />
Durchsetzungsvermögen. Zu den typisch femininen Führungsverhaltensweisen<br />
gehören z.B.: Fragen stellen können, zuhören können, andere<br />
nur durch extrinsische, also von außen einwirkende Verstärker (und hierzu<br />
dem die Führungskraft den Mitarbeiter als Reiz-Reaktions-Maschine sieht, die<br />
groß werden lassen können, sich selbst zurückstellen können, Gefühle positiver<br />
und negativer Art zeigen können, sich als Mentor fühlen. Berth (1998) hat<br />
Mitarbeiter, der für eine Tätigkeit autonom (also aus sich selbst heraus) moti-<br />
zählen auch monetäre Anreize) beeinflusst wird. Jedoch stellen auch für einen<br />
festgestellt: Je mehr feminine Führungseigenschaften in Dienstleistungsunternehmen<br />
umgesetzt werden, desto höher ist das Innova-<br />
aus dem Modell der Arbeitszufriedenheit von Herzberg (1966) wissen. Eine<br />
viert ist, materielle Vergütungen einen wichtigen „Hygienefaktor“ dar, wie wir<br />
tionspotenzial. Nur eine androgyne Führungspersönlichkeit führt ein Team –<br />
gute Bezahlung kann zwar keine Arbeitszufriedenheit bewirken, aber dort, wo<br />
sei es in der Wirtschaft oder in einer sozialen Organisation – zum Erfolg, vor<br />
sie nicht gegeben wird, kommt es zu Arbeitsunzufriedenheit. Ebenso gilt: Es<br />
allem dann, wenn die Mitarbeiter schon ein Höchstmaß an Mündigkeit<br />
wäre eine Illusion zu glauben, dass materielle Belohnung alleine auch dann<br />
gewohnt sind.<br />
langfristig zu einem funktionierenden Verbesserungswesen führt und<br />
56 57
4<br />
4<br />
Mitarbeiter zu Unternehmern im Unternehmen macht, wenn andere relevante<br />
Prinzipien missachtet werden. Wenn sich die Mitarbeiter jedoch ungerecht<br />
entlohnt fühlen, so werden sie kaum besondere Anstrengungen unternehmen<br />
und Verbesserungsideen beisteuern.<br />
Leistung muss mit Menschenwürde verbunden sein. Dort, wo durch<br />
Führungsverhalten und Unternehmenskultur das Leistungsverhalten von<br />
Menschen nicht belohnt wird, wo gar Menschenwürde verletzt wird, wo der<br />
Mensch nur als Nummer gilt, klein gemacht wird usw., ist natürlich die<br />
Belastbarkeit wesentlich geringer (Frey, 1996 a, b; 1998). Insofern hat jede<br />
Organisation durch ihre Unternehmenskultur und das vorherrschende<br />
Führungsverhalten einen unmittelbaren Einfluss darauf, inwieweit sich die<br />
Mitarbeiter im Unternehmen wohlfühlen und auch in schwierigen Situationen<br />
belastbar und engagiert sind, ohne dass dadurch gleich eine Work-Life-<br />
Imbalance entsteht.<br />
Fazit<br />
Die vorgestellten Führungsprinzipien laufen im Kern auf ethikorientierte<br />
Führung und eine partnerschaftliche Unternehmenskultur hinaus. Gerade<br />
Mittelstandsunternehmen, die familienorientiert sind, fühlen sich ohnehin dieser<br />
Unternehmens- und Führungskultur verpflichtet. Sie haben nahen Kontakt<br />
zum Mitarbeiter, sie wollen, dass ihre Firma auch in den nächsten<br />
Generationen überlebt.<br />
Jede Firmenübergabe ist jeweils eine neue Chance, das eigene<br />
Führungsverhalten neu zu bestimmen. Wichtig ist, dass in den ersten<br />
Monaten klar gemacht wird, in welche Richtung man führen will, wie man mit<br />
Menschen umgeht. Die Philosophie wäre „Tough on the issue, soft on the<br />
person“, also hartnäckig und klar in den Zielen, Standards, Spielregeln und<br />
Erwartungen, aber fair und human im Umgang.<br />
Ethikorientierte Führung und eine partnerschaftliche Unternehmenskultur bieten<br />
am ehesten die Chance, den Zielkonflikt zwischen hohen Kundenerwartungen,<br />
hoher Wettbewerbssituation, hohem Druck für Innovationen<br />
und der Notwendigkeit, als Firma erfolgreich zu sein, zu vereinbaren. Es sind<br />
letztlich der Mitarbeiter und die Führungskraft, die in ihre Arbeit Herzblut<br />
investieren, die darüber entscheiden, ob eine Firma langfristig erfolgreich ist<br />
oder nicht. Machen sie Dienst nach Vorschrift oder haben sie innerlich gekündigt,<br />
dann wird sich dieses in zwei, drei Jahren auf die Wettbewerbsfähigkeit<br />
der Firma auswirken. Richtiges Führen ist deshalb die wichtigste Aufgabe<br />
eines Unternehmers, denn allein kann der Firmeninhaber oder Geschäftsführer<br />
den Erfolg nicht erreichen. Eine Unternehmensnachfolge bietet<br />
deshalb immer eine große Chance und stellt eine Herausforderung dar, das<br />
Thema professioneller Führung erneut anzugehen.<br />
Diese in vielen Mittelstandsfirmen verbreitete Führungs- und Unternehmenskultur<br />
geht einher mit der Philosophie, dass die Umsetzung humanitärer<br />
Prinzipien Hand in Hand mit ökonomischem Erfolg geht. Wissenschaftliche<br />
Befunde zeigen, dass nur Mitarbeiter, die ernst genommen und als<br />
Partner behandelt werden, langfristig motiviert sind und innovativ handeln.<br />
Dort, wo Führung Mitarbeiter instrumentalisiert, sie klein macht, wo Wort und<br />
Tat nicht übereinstimmen, bewirkt sie Dienst nach Vorschrift oder innere<br />
Kündigung. Der Mitarbeiter reagiert nach der Devise: „Wenn der Chef glaubt,<br />
er führt, tue ich so, als ob ich arbeite…“.<br />
58 59
4<br />
4<br />
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Über die Autoren:<br />
Dieter Frey ist seit 1993 Professor für Sozialpsychologie an der Ludwig-<br />
Maximilians-Universität in München und ist im Moment Dekan der Fakultät für<br />
Psychologie und Pädagogik an der LMU.<br />
Frey studierte Sozialwissenschaften (Psychologie, Ökonomie, Pädagogik und<br />
Soziologie) in Mannheim und Hamburg. Nach dem Diplom 1970 bis zur<br />
Habilitation 1978 war er Mitarbeiter am interdisziplinären Sonderforschungsbereich<br />
der Universität Mannheim über Entscheidungsforschung.<br />
Von 1978 bis 1993 lehrte er an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als<br />
Professor für Sozial- und Organisationspsychologie und 1988/89 an der<br />
Graduate Faculty der New School for Social Research in New York.<br />
Neben seiner Professur in München ist er Lehrbeauftragter an der Hochschule<br />
St. Gallen (Nachdiplomstudium), Dozent und seit 2003 auch Akademischer<br />
Leiter der Bayerischen Elite-Akademie, Mitglied der Bayerischen<br />
Akademie der Wissenschaften, Gutachter der deutschen Forschungsgemeinschaft<br />
sowie Mitglied im Beirat von mehreren Fachzeitschriften und<br />
wissenschaftlichen Verlagen. 1998 ernannte ihn die Deutsche Gesellschaft für<br />
Psychologie zum Psychologie-Preisträger des Jahres.<br />
Claudia Peus ist an der Ludwig-Maximilians-Universität München seit 2007<br />
als Projektleiterin des im Rahmen der Exzellenz-Initiative geschaffenen LMU<br />
Center for Leadership and People Management tätig. Sie habilitiert sich im<br />
Bereich der Führungsforschung. Zuvor absolvierte sie einen zweijährigen<br />
Forschungsaufenthalt an den Universitäten Harvard und Massachusetts<br />
Institute of Technology (Sloan School of Management) in den USA. Dabei<br />
wurde sie von der Studienstiftung des Deutschen Volkes unterstützt. Zuvor<br />
war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Sozial- und<br />
Wirtschaftspsychologie der LMU München, wo sie 2005 ihre Promotion<br />
abschloss. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören neben Führung auch<br />
Innovation und Frauen in Führungspositionen. Die Erkenntnisse ihrer wissenschaftlichen<br />
Arbeit vermittelt Frau Peus im Rahmen von Trainings und<br />
Coachings an Führungskräfte sozialer wie kommerzieller Organisationen.<br />
Silke Weisweiler hat Diplom-Psychologie und Pädagogik (M. A.) an den<br />
Universitäten in München, Oldenburg und Regensburg studiert. Bis Anfang<br />
2007 war sie Stipendiatin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für<br />
Sozialpsychologie an der Universität Regensburg. Seit mehreren Jahren ist<br />
Frau Weisweiler als Trainerin und Beraterin im Bereich der Personalentwicklung<br />
für verschiedene renommierte Firmen tätig. Seit 2007 ist sie in<br />
dem im Rahmen der Exzellenzinitiative geschaffenen LMU Center for<br />
Leadership and People Management unter der Leitung von Prof. Frey an der<br />
Ludwigs-Maximilians-Universität tätig. Ihre Interessen in Forschung und<br />
Praxis liegen in den Bereichen Lernkulturen und Evaluation sowie bei den<br />
Themen Umgang mit Zeit und Kommunikation.<br />
Frey ist Autor von ca. 400 wissenschaftlichen Artikeln, Buchbeiträgen und<br />
Büchern. Den Schwerpunkt seiner Arbeit sieht er darin, Theorie und Praxis zu<br />
verbinden und einen Transfer zwischen Universität und Wirtschaft zu fördern.<br />
62 63
Dr. Frank Zurlino<br />
5<br />
Starke Innovationskulturen brauchen<br />
starke Leitbilder<br />
Unternehmen, die sich im Wettbewerb behaupten wollen, kämpfen an vielen<br />
Fronten: Verhandlungen mit Kunden und Lieferanten werden immer härter,<br />
Loyalitäten schwinden, Ansprüche steigen. Das Unternehmen, das heute<br />
nicht richtig aufgestellt ist und nicht permanent nach Verbesserungen sucht,<br />
ist morgen nicht mehr im Spiel. Doch erfolgreiche Produkte und Strategien<br />
werden immer schneller kopiert, Geschäftsprozesse weltweit standardisiert.<br />
Das Geschäftssystem von Unternehmen, deren Mechanik, wird zunehmend<br />
austauschbar.<br />
Das Einzige, was nicht kopierbar ist und gleichzeitig den Nährboden für<br />
immer wieder neue erfolgreiche Produkte, Services und Geschäftsmodelle<br />
darstellt, ist die Innovationskultur eines Unternehmens. Und sie ist auch ein<br />
wesentlicher Differenzierungsfaktor im Kampf um die besten Köpfe. Eine<br />
anerkannte Innovationskultur ist der stärkste Magnet, wenn es darum geht,<br />
die echten Talente und High Potentials zu gewinnen und zu halten.<br />
Innovationskultur – der ungehobene Schatz<br />
Ob in einem Unternehmen eine gute oder eine schlechte Innovationskultur<br />
herrscht, wird von zwei verschiedenen Menschen wahrscheinlich auch unterschiedlich<br />
bewertet werden. Die Bandbreite der Art der Wahrnehmung reicht<br />
hier von subjektiven Eindrücken bis zum Versuch, nur objektivierbare Ergebnisse<br />
als Bewertungsmaßstab zuzulassen. Selbstverständlich können immer<br />
die „Outputfaktoren“ des Innovationsprozesses herangezogen werden, beispielsweise<br />
die Neuproduktrate oder der Return on Innovation. Das greift aber<br />
in Bezug auf Innovationskultur zu kurz. Hilfreich sind Einschätzungen von<br />
CEOs und anderen Innovationsverantwortlichen, die gerade ihre ersten Wochen<br />
bei neuen Unternehmen verbracht und die viele Gespräche mit<br />
Führungskräften und Mitarbeitern geführt haben. Auf welche Merkmale haben<br />
sie geachtet, anhand welcher Fragen haben sie sich ein Bild über die Innovationskultur<br />
gemacht? Wir fassen die wesentlichen Kriterien zusammen:<br />
64 65
5<br />
5<br />
Sind den Mitarbeitern die Vision des Unternehmens, die Innovationspositionierung<br />
und die grundsätzlichen strategischen Stoßrichtungen<br />
klar? Identifizieren sich die Mitarbeiter mit Vision,<br />
Unternehmen und Produkten?<br />
Sind die Mitarbeiter „umtriebig“ mit Markt und Wissenschaft vernetzt?<br />
Denken sie „im Kopf des Kunden“?<br />
Kommunizieren sie offen und initiativ ihre Ideen, wo noch neue Lösungsansätze<br />
zu verfolgen sein könnten?<br />
Setzt das Unternehmen spezifische und wirksame Anreize für Innovationen,<br />
wie werden sie angenommen?<br />
Haben die Mitarbeiter ein klares Verständnis für den gesamten Innovationsprozess<br />
und die Supply Chain? Sind sie im Unternehmen entlang<br />
dieser Kernprozesse vernetzt?<br />
Verstehen sich die Mitarbeiter als „Dienstleister“, auch im Verhältnis zu<br />
ihren internen Kunden?<br />
Welche Formen der Arbeitsorganisation herrschen vor? Fördert das<br />
Raumkonzept schnelles, bereichsübergreifendes Arbeiten?<br />
Verspüren die Mitarbeiter genügend Freiräume für kreatives Handeln?<br />
Wie bewerten sie die Umsetzungsstärke des Unternehmens?<br />
Wie ist das Führungsverständnis und das Rollenverständnis in der<br />
Organisation ausgeprägt?<br />
Beschäftigen sich die Mitarbeiter in hohem Maße mit organisatorischen<br />
Problemen im Unternehmen?<br />
Existieren Plattformen für Kommunikation und Erfahrungssammlung<br />
auch außerhalb des fachlichen Arbeitsgebietes?<br />
Visionen entfesseln Leidenschaft – oder auch nicht<br />
Ein Unternehmen, das erkannt hat, dass Innovationskultur nicht nur ein zentraler<br />
Parameter für die Steigerung der Innovationskraft ist, sondern DER<br />
Parameter an sich, wird sich mit der entsprechenden Sorgfalt auch dem<br />
Thema Vision widmen. Denn die Vision steht am Anfang der unternehmerischen<br />
Selbstfindung. Was will unser Unternehmen leisten? Wofür steht unser<br />
Unternehmen? Wie können wir unsere gemeinsame Überzeugung in Worte<br />
packen? Und vor allem: Welche Ausrichtung, welche Vision setzt die Energie<br />
unserer Mitarbeiter nachhaltig frei?<br />
Nur wer das Seil kennt, an dem gezogen werden soll, kann seinen Beitrag<br />
dazu leisten. Diese auf den ersten Blick relativ banale Aussage hat es in<br />
sich. Welches Unternehmen kann schon von sich sagen, dass es eine kommunizierte<br />
Vision oder ein kommuniziertes Mission Statement hat, das<br />
es schafft, gleichermaßen den Unternehmenssinn zu verbildlichen wie die<br />
Leistungsbereitschaft seiner Mitarbeiter dauerhaft zu mobilisieren und ihr<br />
Engagement zu entfesseln.<br />
Das wesentliche Qualitätsmerkmal einer Vision, die Ziel und Leitplanke für Innovationen<br />
ist, zeigt sich in einem Bild künftiger Geschichte, oder moderner<br />
ausgedrückt: der „Story“, die sowohl den Eigentümern die Richtung für das<br />
zukünftige Geschäft aufzeigt als auch den Mitarbeitern des Unternehmens die<br />
Chance gibt, Ideen, Stolz, Leidenschaft und Leistungsbereitschaft zu erzeugen.<br />
Aber welche Leitmotive können diesen Anspruch erfüllen? Und: Kann eine<br />
tragfähige Vision für Innovation „konstruiert“ werden? Sehen wir uns einige<br />
Beispiele an:<br />
Für eine stimmige Bewertung der Innovationskultur ist natürlich wichtig, ob<br />
„Motorola-Produkte sind ein Bestandteil des täglichen Lebens.<br />
sich das Unternehmen in einer Erfolgssituation befindet, gerade „harte Zeiten“<br />
Unsere Vision ist es, das Leben in vier Bereichen zu vereinfachen: Zu<br />
oder eine Restrukturierung hinter sich hat oder sich möglicherweise in einem<br />
Hause, in der Arbeitswelt, im Automobil und für jeden Menschen individuell.<br />
Die Lösungen zielen darauf ab, eine nahtlose Kommunikation<br />
Verschmelzungsprozess mit einem anderen Unternehmen befindet.<br />
Die Güte der Innovationskultur ist für Innovationskraft und Unternehmenserfolg<br />
von wesentlicher Bedeutung. Das wird von den meisten Unterbindet<br />
die Stärken von drahtloser Kommunikation, Breitbandtechnik,<br />
zu ermöglichen – wo und wann immer es möglich ist. Motorola vernehmensverantwortlichen<br />
grundsätzlich erkannt. Woran es noch fehlt, sind<br />
Internet und Multimedia.“<br />
konkrete Ansatzpunkte, diesen „weichen“ Erfolgsfaktor fördernd zu gestalten.<br />
Motorola<br />
66 67
5<br />
5<br />
Diese Vision gibt eine klare Richtung vor. An ihr kann sich jeder Motorola-<br />
Lebensqualität von Menschen verbessern zu helfen, wird neben der Richtungsgebung<br />
auch eine Motivation gelegt. Die Identifikation mit dem Unter-<br />
Mitarbeiter ausrichten. Jede Beobachtung, jede Handlung kann unter Fragestellungen<br />
betrachtet werden, die leicht aus dieser Vision abgeleitet werden<br />
nehmen und der Richtung, in die es geht, fällt so leicht. Allen Mitarbeitern wird<br />
können. Mit Blick auf das Innovationsgeschehen bedeutet dies, für jedes<br />
der Nutzen deutlich, den Qiagen für alle leisten will. Mit der Chance zur<br />
Kommunikationsbedürfnis eine technische Lösung zu entwickeln oder bereits<br />
Identifikation aller Mitarbeiter mit dem Unternehmen setzt Qiagen damit einen<br />
parat zu haben. Was nicht in die Vision passt, gehört nicht zu den Aufgaben<br />
klaren Stimulus für eine tragfähige Innovationskultur.<br />
des Unternehmens.<br />
Gute und wirklich mobilisierende Leitbilder eines Unternehmens können somit<br />
„Unser Handeln ist darauf ausgerichtet, Lebensmittel gesünder zu<br />
recht schnell erkannt werden:<br />
produzieren. Auf rein natürliche Art, ohne jegliche Zusatzstoffe.“<br />
Sinnstiftender Zukunftsbezug: Die Vision zeigt den Platz und die Identität des<br />
Frosta<br />
Unternehmens in der Zukunft. Und zwar so, dass sie für den Mitarbeiter und<br />
andere am Innovationsgeschehen Beteiligte sinngebend ist. Das „Warum“<br />
Frosta hat sich den Trend hin zur gesünderen Ernährung auf die Fahnen<br />
steht im Vordergrund, und weniger das „Was“ oder das „Wie“. Eine typische<br />
geschrieben. Gesunde Ernährung aus schonend und umweltbewusst angebauten<br />
und erzeugten Lebensmitteln. Mitarbeiter können in dieser Vision<br />
bewerber in unseren Kernmärkten sein“. Dieser Anspruch ist zweifelsohne<br />
„Warumlose“ Vision ist etwa „Wir wollen ein führender, profitabler Wett-<br />
mühelos ein starkes Leitbild für ihre tägliche Arbeit sehen. Die Vision ist Sinn<br />
betriebswirtschaftlich ein absolutes Muss. Er berührt aber kaum einen Mitarbeiter.<br />
Die Frage ist vielmehr: Was tut unser Unternehmen direkt oder indi-<br />
stiftend, und sie führt dazu, dass viele Handlungsnormen aus ihr abgeleitet<br />
werden können. Ein Lieferant, der diese Kriterien nicht erfüllen kann oder will,<br />
rekt, damit die „Welt ein besserer Platz“ wird? Vor allem Visionen, die diesen<br />
wird als Kontraktpartner überhaupt nicht in Frage kommen. Ein Mitarbeiter,<br />
Kontext aufnehmen, haben das Potenzial, Leidenschaft für Innovationen<br />
der gesunde Ernährung und biologisch reine Lebensmittel nicht für wichtig<br />
zu erzeugen.<br />
hält, wird sich auf Dauer in diesem Unternehmen nicht etablieren können. Für<br />
Rahmensetzung: Die Vision reflektiert die gesellschaftliche und die gesamtwirtschaftliche<br />
Einbettung, die Grundwerte des Unternehmens und die Wett-<br />
die anderen wirkt das Leitbild motivierend. Richtung und Stärke sind in der<br />
Vision von Frosta enthalten.<br />
bewerbsarena, die zukünftig beschritten werden soll. Sie ist damit<br />
Rechtfertigung, Vorgabe und Leitplanke für strategische Stoßrichtungen und<br />
„Wir verbessern die Lebensqualität. Durch unsere Arbeit gelingen<br />
für Unternehmensgrundsätze.<br />
unseren Kunden bahnbrechende Erfolge in den Bereichen<br />
Zwang zur Veränderung: Die Vision gibt vor, wohin sich das Unternehmen<br />
Forschung, Entwicklung von Medikamenten, Molekulare Diagnostik<br />
entwickeln will. „Vom Komponentenhersteller zum Problemlöser“, oder „vom<br />
und in neuen Anwendungsgebieten.“<br />
Pharma-Unternehmen zum Health-Care-Unternehmen“.<br />
Qiagen<br />
Für Unternehmen, die eine neue Qualität ihrer Innovationskultur entwickeln<br />
Der Diagnostika-Hersteller Qiagen ist ein Problemlöser für die Analyse biologischer<br />
Proben. Das Leitmotiv ist daher umso erstaunlicher, als es die<br />
produzenten“ verstehen müssen. Das ist eine erste wichtige Voraussetzung<br />
wollen, heißt dies in der Konsequenz, dass sie sich auch als „Sinn-<br />
Identität und die Sinnstiftung in einen gesellschaftlichen Kontext stellt. Durch<br />
dafür, das Leuchtfeuer, die Richtungsmarkierung für Innovationen entfachen<br />
die Verknüpfung der Vision mit der Aussage, bei Erreichen der Ziele die<br />
zu können.<br />
68 69
5<br />
5<br />
Der Weckruf: Nur wenige Visionen können begeistern<br />
Mitreißende Visionen sind gestaltbar<br />
Bei näherem Hinsehen wird klar, dass die meisten Leitbilder rein wirtschaftlicher<br />
Natur sind – andersherum: „Wir tun, was wir jetzt tun, aber auf 15 Proaus<br />
schwierig, sich neu zu erfinden und die Frage zu beantworten, welche<br />
Jeder, der es versucht hat, kann es bezeugen: Es ist für Unternehmen durchzent<br />
höherem Niveau“ sind Visionen von eher untauglichem Zuschnitt. Sie<br />
Existenzberechtigung die eigene Organisation in ein paar Jahren noch haben<br />
beziehen sich auf reine Ergebnisgrößen wie Wettbewerbsposition, Wachstum,<br />
Marktanteile oder Umsatz und blenden Identitätsfragen völlig aus. Ententwicklung<br />
geschenkt werden.<br />
mag. Ein umso größeres Augenmerk muss daher dem Prozess der Visionssprechend<br />
wirkungslos prallen solche „Hoffnungsposten“ bei ihren<br />
Eine Vision kann durchaus aus unterschiedlichen Perspektiven gebildet werden.<br />
Die Formulierung einer Vision kann aus der Perspektive eines Produktes<br />
Adressaten ab.<br />
erfolgen, sie kann aber auch – wie gezeigt – viel weiter gefasst werden und<br />
Und: Viele Unternehmen verwechseln „Vision“ mit „Unternehmensgrundsätzen“,<br />
auch Corporate Values oder Code of Conduct genannt: Nahezu<br />
auch gesellschaftsrelevante Aspekte enthalten.<br />
jedes Unternehmen ist demnach innovativ, kundenorientiert, effizient und mitarbeiterorientiert.<br />
Das ist austauschbar, ohne Alternative und erzeugt daher<br />
Klassisch: Visionen „von oben“<br />
auch keinen Stimulus für eine neue Leistungskultur. Das sind keine wirksamen<br />
Visionen.<br />
der Vision oder der „Mission Statements“ in einem Top-down-Prozess statt.<br />
Unserer Beobachtung nach findet bei vielen Unternehmen die Formulierung<br />
Aber: Corporate Values sollen auch nicht das „Leuchtfeuer für Innovationen“<br />
Die Unternehmensführung begibt sich mit einer Reihe von Ideen in Klausur und<br />
sein, sie erfüllen eigentlich eine ganz andere Funktion: Visionen sollen allen<br />
konsultiert eventuell noch die nachgelagerte zweite Ebene in einem iterativen<br />
Mitarbeitern eine gemeinsame Marschrichtung geben. Je nach Art und<br />
Prozess. Nach der Formulierung von Vision und Unternehmensgrundsätzen<br />
Weise, wie die Vision gebildet und kommuniziert wurde, ist dies allein schon<br />
„im stillen Kämmerlein“ werden die Ergebnisse beschlossen und verkündet.<br />
eine starke Klammer im Unternehmen. Gut gefasste Corporate Values tun<br />
Die Kunst liegt weniger im Prozess selbst, auch wenn er typischerweise in vielen<br />
Runden abläuft, in denen sich die Unternehmensführung dem gemeinsa-<br />
das Gleiche auf einer etwas konkreteren Ebene. Sie sind Regeln, die einem<br />
Mitarbeiter „das Ethische“ des Unternehmens vermitteln und damit auch<br />
men Ergebnis nähert.<br />
dafür sorgen, dass es zu keinen inneren Konflikten kommt.<br />
„Bei uns ist das ist ein Rauf-und-runter-Prozess gewesen. Man hat<br />
Vorausgeschickt muss gesagt werden, dass es natürlich am Top-<br />
angefangen mit einer Version und die auf den Prüfstand gestellt. Das<br />
Management und den anderen Führungslinien des Unternehmens liegt, diese<br />
hat aber nicht zufrieden gestellt. Und so ging es in die nächste Runde,<br />
Corporate Values täglich auch vorzuleben. Wenn dies der Fall ist, entsteht<br />
bis jemand auf die Fragestellung kam, was denn unsere Kunden wirklich<br />
brauchen. Und so kamen wir schrittweise zu unserer Vision.“<br />
langfristig ein internes Normengeflecht, das es den Mitarbeitern des<br />
Unternehmens ermöglicht, innerhalb des Konzerns weitgehend problemlos<br />
Motorola<br />
zu wechseln. Egal an welcher Stelle, die zu Grunde liegenden Werte stimmen<br />
überein. Das ist für das Unternehmen Effizienz sichernd und für das<br />
Die Kunst liegt vielmehr darin, die „Zutaten“ bereitzulegen, die eine<br />
Individuum in dem Sinne motivierend, dass es weiß, in einem großen<br />
Visionsentwicklung jenseits von Standard-Kochrezepten erfordert. Es geht<br />
Werteverbund zu arbeiten.<br />
also im Kern darum, antizipativ in Bezug auf zukünftige gesellschaftliche und<br />
70 71
5<br />
5<br />
wirtschaftliche Entwicklungen zu arbeiten. Die zukünftige Identität des<br />
Nahrungsmittelindustrie dauerhaft verändern werden. „Frei von künstlichen<br />
Unternehmens ist dabei immer zu einem Teil Erbe, also vergangenheits- und<br />
Lebensmittelzusätzen“ heißt zusammengefasst die Vision, die den gesellschaftlichen<br />
Trend aufgreift und darauf aufbaut, Lebensmittel mit besseren Zutaten zu<br />
erfahrungsbestimmt; zum anderen fließen in das zukünftige Bild ebenso<br />
„Megatrends“, Wünsche, Träume und Ansprüche ein.<br />
produzieren. Das sogenannte Frosta-Reinheitsgebot wurde über zwei Jahre<br />
Ein Top-Manager muss das Gespür dafür haben, die großen Trends der<br />
diskutiert und definiert. Der Prozess lief auch deshalb so lange, weil alle<br />
Zukunft wahrzunehmen und das ganze Unternehmen immer wieder wie eine<br />
Vorlieferanten mit einbezogen werden mussten, die ihrerseits die Lebensmittel<br />
Magnetnadel darauf auszurichten. Was nutzt es, in einer veraltenden Technologie<br />
durch ständigen Input die Marktführerschaft zu verteidigen und dabei<br />
ser Ausrichtung nun eine klare und erfolgreiche Differenzierung von den<br />
nach den Vorgaben von Frosta anbauen mussten. Erreicht hat Frosta mit die-<br />
zu verschlafen, wenn neue Technologien die Kundenbegeisterung wecken.<br />
Wettbewerbern, denn nur der Markterfolg macht aus der Idee eine Innovation.<br />
Wer kauft heute noch eine Schreibmaschine? Und es gab Schreibmaschinenhersteller,<br />
deren Produkte nahezu perfekt waren!<br />
Innovationskultur als Nährboden weiterer Produktneuerungen zu setzen.<br />
Erreicht hat Frosta damit auch, einen neuen Impuls für die Ausrichtung der<br />
Mit der richtigen Formulierung der Vision und der richtigen, langfristigen „guidance“<br />
können die Mitarbeiter sensibilisiert werden, Leidenschaft dafür zu<br />
Der Anstoß von der Spitze ist oftmals entscheidend<br />
entwickeln, bei der Entwicklung zukunftsträchtiger Produkte und Dienstleistungen<br />
mit ihrem Unternehmen an der Spitze zu stehen.<br />
Gute Ideen gründen oftmals auf Leidenschaft Einzelner, oftmals sind sie das<br />
Ergebnis der Anstrengungen vieler. Obwohl Visionen keineswegs das natürliche<br />
Vorrecht großer Unternehmenslenker sind, lässt sich gleichwohl erken-<br />
Das Fernlicht: Pictures of the Future<br />
nen, dass oftmals einzelne Führungspersönlichkeiten für die Entwicklung<br />
Megatrends beeinflussen Unternehmen. Im Großen wie im Kleinen. Und wer<br />
einer Vision prägend waren. Mit einigen berühmten Namen verbinden sich<br />
sie erkennt, kann daraus erhebliche Informationen ziehen, wie das<br />
große Innovationen der Vergangenheit, die ganze Industriezweige begründeten:<br />
Werner von Siemens, der mit dem Zeigertelegramm die Telekommu-<br />
Unternehmen in der Zukunft aufgestellt sein muss.<br />
Volkswagen beispielsweise hat seinen Scheinwerfer auf Fernlicht gestellt,<br />
nikation ins Leben rief und mit der Erfindung des Dynamo den Zweig der<br />
wenn es um die Planung des zukünftigen Geschäfts und von Innovationen<br />
Elektrotechnik. Oder Carl Miele, der mit Buttermaschine und Waschmaschine<br />
geht: Volkswagen kann langfristig nur dann erfolgreich sein, wenn das<br />
den Grundstein für die Hausgeräteindustrie legte. Gemeinsam ist diesen<br />
Unternehmen „Teil der Lösung“ von Umweltfragen ist, so das Credo des<br />
Personen, dass sie mit Überzeugung und Leidenschaft bei der Sache waren<br />
Konzerns. Ein „Umweltradar“ und ein „Life Cycle Assessment“ sind die<br />
und überzeugt davon, eine Lösung für ihr Problem zu finden.<br />
methodischen Ansätze, zukünftige Entwicklungen zu erkennen und für die<br />
eigene Ausrichtung nutzbar zu machen.<br />
Arbeit mit der Basis: Visionen „von unten“<br />
Aber nicht nur Großkonzernen hilft es, auf Basis solcher Verfahren langfristig<br />
stabile Trends zu identifizieren und sich darauf auszurichten. Auch kleinere<br />
Aber sind es heute einzelne „Erfinder“, die die Innovationskultur prägen? Oder<br />
Unternehmen können auf den großen Veränderungen aufsetzen.<br />
ist es heute nicht eher die Breite der Organisation, die die Richtung weist?<br />
Ein Beispiel hierfür ist Frosta. Der Hersteller von Tiefkühlkost hat vor einigen<br />
Alternativ zur Vision „von oben“ gibt es einen weiteren Weg, eine<br />
Jahren mutig die Vision geändert, nachdem in der internen Diskussion festgestellt<br />
wurde, dass Gesundheit und Wellness Entwicklungen sind, die die<br />
Belegschaft. Diesen Weg hat beispielsweise die EnBW gewählt. Die<br />
Unternehmensvision zu bestimmen: unter weitgehendem Einbezug der<br />
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5<br />
5<br />
Energie Baden-Württemberg AG ist als eigenständiges Unternehmen verhältnismäßig<br />
jung. Entstanden ist es aus mehren Fusionen von Energiever-<br />
Präsent im Sinne von dauerhafter Sichtbarkeit? Es nutzt nichts, wenn die<br />
Sichtbarkeit: Sind Vision und die dazugehörigen Mission Statements präsent?<br />
sorgungsunternehmen im Süden Deutschlands. Durch die Fusionen trafen<br />
Vision in der Schublade des Geschäftsführers liegt. Sie muss auf der<br />
ganz unterschiedliche Unternehmens- und damit auch Innovationskulturen<br />
Homepage im Internet ganz vorne stehen, das Intranet durchziehen und an<br />
aufeinander.<br />
jeder denkbaren und undenkbaren Stelle im Unternehmen auf einmal da sein.<br />
Vitalität: Ist es eine kraftvolle Vision? Eine Vision, bei der die Mitarbeiter schon<br />
Im Jahr 2005 hat die EnBW einen Leitbildprozess aufgelegt und damit<br />
spürt, dass sie nach Umsetzung drängt?<br />
begonnen, die Leitbilder für unser zukünftiges Handeln zu entwickeln.<br />
Ernsthaftigkeit: Bei jeder sich bietenden Gelegenheit muss das Top-<br />
800 Mitarbeiter aus allen Teilen des Konzerns wurden in diesen Prozess<br />
einbezogen. 400 Führungskräfte und 400 Mitarbeiter wurden in<br />
Vision von der obersten Führungsebene genommen wird.<br />
Management auf die Vision Bezug nehmen und demonstrieren, wie ernst die<br />
Workshops zusammengebracht. Knapp 40 dieser Workshops mit<br />
Wiederholung: Wiederholung ist die Mutter des Wissens, sagt ein altes russisches<br />
Sprichwort. Und das gilt auch für Visionen. Das Wissen von der Vision,<br />
jeweils 20 bis 25 Personen wurden abgehalten. „Top-down war nur<br />
die Botschaft des Vorstandes, dass dies so gewollt ist. Der Prozess<br />
das Wissen um die Inhalte der Vision und das intrinsische Handeln danach<br />
der Leitbildfindung selbst war komplett bottom-up.“ Am Anfang gab<br />
werden gestärkt durch ständige Wiederholung. Führungskräftekontinuität ist<br />
es 260 Leitsätze für das Unternehmen. Aus diesen 260 Vorschlägen<br />
hier ein wichtiges Stichwort.<br />
wurden in einem iterativen Prozess von einer kleinen Kommission<br />
zehn Leitsätze extrahiert.<br />
„Wir sprechen über unsere Vision bei jeder sich bietenden<br />
Gelegenheit. Und Gelegenheiten gibt es viele: Betriebsversammlungen,<br />
Meetings, Ehrungen, Qualitätszirkel, Normenausschüsse und<br />
Egal, von welcher Perspektive aus die Vision formuliert ist, zentraler Punkt<br />
ist die Authentizität. Die klare Formulierung einer Vision präzisiert die<br />
so weiter und so fort. Es ist das Management, es sind die Führungskräfte,<br />
an denen sich das gesamte Unternehmen orientiert.<br />
Richtung für alle Mitarbeiter. Die Glaubwürdigkeit der Vision ist es, die die<br />
Stärke bestimmt, mit der alle am Seil des gemeinsamen Unternehmenserfolges<br />
ziehen.<br />
Innovationskultur auf Dauer unter keinem guten Stern.“<br />
Wenn es hier an Glaubwürdigkeit mangelt, stehen Vision und<br />
Motorola<br />
Leitbilder kraftvoll kommunizieren und verankern<br />
Sanktionen: Wer klar gegen die Vision handelt oder sich gegen sie stellt,<br />
Methoden, eine einmal formulierte Vision im Bewusstsein der Mitarbeiter zu<br />
behindert das Unternehmen. Unternehmen sollten also auch Möglichkeiten<br />
verankern, gibt es viele. Und nur in ihrer Gesamtheit können sie über die Zeit<br />
vorsehen, diese Handlungen zu unterbinden.<br />
ihre Wirkung entfalten. Über die bereits beschriebenen Qualitätsmerkmale<br />
einer Vision hinaus – sinnstiftender Zukunftsbezug, Zwang zur Veränderung,<br />
Initiierung: Informations-Kaskaden und Innovationstage<br />
Erfolgsorientierung – stehen einige Faktoren, die für eine nachhaltige Verankerung<br />
wichtig sind:<br />
Wenn eine Vision neu oder zum ersten Mal formuliert wurde, muss diese<br />
Führungskräfte-Commitment: Das Top-Management muss die Unternehmensvision<br />
leben. Nur diese Art der Kommunikation ist glaubwürdig.<br />
munikation und Feedback sind gefragt.<br />
Vision wirksam in das Unternehmen getragen werden. Persönliche Kom-<br />
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5<br />
5<br />
Besonders bewährt haben sich Informations-Kaskaden oder Informations-<br />
Pyramiden: Das Top-Management informiert also persönlich alle direkt zugeordneten<br />
Mitarbeiter z. B. im Rahmen einer speziellen Veranstaltung. Die aufnehmenden<br />
Führungskräfte wiederum informieren ihre direkten Mitarbeiter –<br />
solange, bis „der letzte Winkel“ des Unternehmens erreicht ist.<br />
Solche Informations-Kaskaden eignen sich oftmals als Initialzündung. Eine<br />
andere bewährte Plattform ist die Durchführung von unternehmensweiten<br />
Innovationstagen.<br />
Der 8. November ist bei Air Liquide jedes Jahr ein besonderer Tag. Denn<br />
an diesem Tag, dem Gründungstag des Unternehmens, gibt es eine<br />
besondere Feier. Air Liquide hat diesen Tag zum Innovationstag ernannt,<br />
der im ganzen Konzern weltweit gefeiert wird. Zur Förderung und Verbreitung<br />
innovativen Denkens und Handelns im gesamten Unternehmen<br />
prüfen das Management sowie die in jeder Tochtergesellschaft eingesetzten<br />
Innovationsmanager die im Jahr von den Mitarbeitern eingereichten<br />
Ideen und Vorschläge. Sie werten diese aus und sorgen dafür, dass die<br />
Erfolg versprechenden Ideen auch mit Nachdruck weitergetrieben werden. In<br />
den einzelnen Landesgesellschaften finden an diesem Tag Feierlichkeiten<br />
statt. Ideen werden auf lokaler Ebene prämiert. Die Mitarbeiter kommen auf<br />
die Bühne, die konzerninterne Kommunikationsabteilung sendet ihre<br />
Fotografen. Großer Rummel. Und jedem Mitarbeiter wird – jenseits formaler<br />
Kommunikationskanäle und „Wandhängungen“ der Vision – noch einmal verdeutlicht,<br />
worum es dem Unternehmen eigentlich geht, welche großen<br />
Innovationsleistungen die Mitarbeiter hervorgebracht haben, und vor allem:<br />
dass das Unternehmen das Thema Innovation wirklich ernst nimmt.<br />
Verstärkung: Innovationskommunikation<br />
Am Beispiel des ThyssenKrupp-Konzerns lässt sich die Wirksamkeit einer<br />
gezielten Innovationskommunikation gut veranschaulichen: Seit 2001 arbeitet<br />
das Unternehmen in gestaffelten Imagekampagnen konsequent daran, das<br />
von Tradition geprägte Außenbild durch neue Schlüsselthemen wie<br />
Innovationskraft, Zukunftsfähigkeit und Internationalität zu besetzen. Mit<br />
Erfolg: Anlegerumfragen attestieren dem Unternehmen heute, „innovativ“ zu<br />
sein und „in Zukunftsmärkten“ zu agieren. Damit ist das „Außenziel“ erreicht.<br />
Durch die Integration von Öffentlichkeitsarbeit und Mitarbeiterkommunikation<br />
wurden die Mitarbeiter gleichzeitig auf das neue, auf Innovation ausgerichtete<br />
Leitbild eingeschworen und konnten so als Multiplikatoren und Botschafter<br />
des Unternehmens gewonnen werden. Damit erreicht ThyssenKrupp auch<br />
das „Innenziel“, also die weitere Förderung einer starken Innovationskultur.<br />
Die Potenziale einer professionellen Innovationskommunikation zur Förderung<br />
von Innovationsimage und Innovationskultur sind heute noch nicht ausgereizt.<br />
Wollen Unternehmen nicht in die Falle laufen, das Thema zu oberflächlich<br />
anzugehen, sich damit in das Konzert der inflationären Nutzer des<br />
Innovationsbegriffs einzureihen und somit letztlich an Glaubwürdigkeit zu verlieren,<br />
gibt es nur einen Ausweg: „echte“ Innovationen als Vehikel zu nutzen<br />
und diese „griffig“ und anwendungsorientiert darzustellen. Letztlich zählt nur<br />
eines: Hilft das Leitbild, eine exzellente Innovationskultur zu schaffen? Ermutigt<br />
die Vision die innovativen Kräfte des Unternehmens, ihre Kreativität maximal<br />
zu entfalten? Letztendlich sind es die Mitarbeiter auf allen Ebenen, die ein<br />
Unternehmen ausmachen. Maschinen und technische Ausstattung sind totes<br />
Kapital, wenn nicht begeisterungsfähige und begeisterte Mitarbeiter ihre<br />
gesamte Kreativität auf die Unternehmensvision ausrichten.<br />
Eine hohe wahrgenommene Innovationskraft wird von allen Stakeholdern,<br />
insbesondere vom Kapitalmarkt, als höchst positiv, als wertsteigernd wahrgenommen.<br />
Unsere Untersuchungen, die das Innovationsimage börsennotierter<br />
Unternehmen mit deren Börsenkapitalisierung vergleichen, zeigen im<br />
Gesamtbild einen erkennbar positiven Zusammenhang. Innovationskultur und<br />
Innovationskommunikation verstärken sich somit gegenseitig.<br />
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5<br />
Harald Labbow<br />
6<br />
Über den Autor:<br />
Dr.-Ing. Frank Zurlino (*1963) hat an der TU Berlin Wirtschaftsingenieurwesen<br />
studiert und anschließend den Bereich F&E- und Technologieberatung der<br />
Fraunhofer-Gesellschaft maßgeblich weiterentwickelt. Darüber hinaus hat er<br />
an interdisziplinären Projekten der Akademie der Wissenschaften zu Berlin<br />
und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften mitgearbeitet.<br />
Seit 1995 ist er Berater und Geschäftsführender Partner bei der<br />
Internationalen Unternehmerberatung Droege & Comp. in Düsseldorf und<br />
unterstützt technologieorientierte Unternehmen in ihren Wachstums-, Organisations-<br />
und Effizienzprojekten.<br />
Unternehmen brauchen Werte: Warum<br />
Verstöße sanktioniert werden müssen<br />
Ist die Diskussion über Werte, Wertvorstellungen, Corporate Governance,<br />
CSR (Corporate Social Responsibility) noch steigerbar? Geht die Fieberkurve<br />
der Verstöße, Verletzungen, Ignoranz, täglichen Pressemeldungen und daraus<br />
resultierendem Kopfschütteln der Öffentlichkeit den gleichen Aufstiegswinkel?<br />
Tatsache ist, dass sich Unternehmen, Kommissionen, Institutionen, Kirchen<br />
und – Gott sei Dank – Schulen und die Familie seit Jahren mit dem Thema<br />
befassen. Es werden Werte diskutiert und definiert, Wertekataloge erstellt und<br />
veröffentlicht, Seminare für die Beschäftigten abgehalten, Mitarbeiterumfragen<br />
im großen Stil durchgeführt. Letztendlich ein riesiger zeitlicher, personeller<br />
und monetärer Aufwand.<br />
Werteverlust in der Gesellschaft<br />
Unstrittig ist, dass jeder von uns Leitplanken und Verhaltensrichtlinien benötigt,<br />
damit ein geordnetes, nach einheitlichen Vorstellungen strukturiertes<br />
Miteinander möglich ist. D. h. aber im Umkehrschluss auch, dass wir wohl<br />
nicht mehr in der Lage sind, aus uns heraus, aus unserer Erziehung und mit<br />
einem originären Wertebild zu erkennen, was richtig und was falsch ist. Was<br />
ist wichtig und was ist entscheidend für das Miteinander in Gesellschaft,<br />
Unternehmen, im sozialen Umfeld, ganz allgemein.<br />
Wenn das in unseren Ohren übertrieben klingt, so beschreibt es doch das<br />
Phänomen, dass wir die Regeln für unser aller Zusammenleben schriftlich<br />
niederlegen müssen, da es sonst wohl nicht funktioniert. Gesetze, Gebote,<br />
die 10 Gebote der Kirche reichen anscheinend nicht mehr aus. Unsere<br />
Gesellschaft, unsere soziale Umgebung hat also in der Vergangenheit etwas<br />
verpasst – irgendetwas ist in Vergessenheit geraten.<br />
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6<br />
6<br />
Wenn wir uns mal still in eine Ecke setzen, dann wissen wir auch ganz gut,<br />
was wir vergessen haben:<br />
Fairness<br />
Kollegialität<br />
Vertrauen<br />
Offenheit<br />
Ehrlichkeit<br />
Gemeinsamkeit<br />
Verlässlichkeit<br />
usw.<br />
Häufig sind Werte reine Theorie<br />
wie vor unantastbar. Leistung heilt jede Verletzung. Selbst der Spiegel, den<br />
Mitarbeiter in Meinungsumfragen ihrer Führungskraft vorhalten, ist blind. Was<br />
nützt die rote Ampel, wenn daraus nichts folgt? Wie oft darf die Ampel überfahren<br />
werden, bis einem der Führungs-Schein abgenommen wird?<br />
Warum Sanktionen sein müssen<br />
Der Effekt ist Frustration bei den Befragten und eine kollektive Nichtbeachtung<br />
der Werte. Muss also neben einem Wertebuch über ein<br />
Sanktionsreglement nachgedacht werden? „Wenn du den 8. Wert missachtest,<br />
gibt es Gehaltsreduzierung, Rückversetzung, Degradierung etc.“ oder<br />
eine Bewährung unter Auflagen, Seminare, intensives Begleiten durch Trainer,<br />
angeleitete Gruppenmediation.<br />
Also haben wir uns alle in unzähligen Arbeitsgruppen hingesetzt, PowerPoint-<br />
Manche Firmen haben diesen Weg beschritten, und das ist gut so!<br />
Tools bemüht...<br />
Konsequentes Handeln ist die Grundvoraussetzung zur Implementierung<br />
Auf dem Schreibtisch liegt nun das Exzerpt zum Wertehaus, das Werte-<br />
eines Wertehauses. Dabei kommt den Führenden eine eminent wichtige Rolle<br />
Booklet, die Corporate-Regeln. Manche Firmen machen die Einhaltung der<br />
zu. „Der Fisch stinkt vom Kopf her!“, ein von Mitarbeitern oft gebrauchter<br />
Werte sogar zum Bestandteil der Leistungsbeurteilung und Gehaltsfindung.<br />
Satz. Allerdings Vorwurf und Versteck zugleich. Wenn schon eben nichts eingehalten<br />
wird, warum dann von mir? Wenn auch derjenige nicht sanktioniert<br />
Dies ist ein notwendiger und richtiger Ansatz, Einhaltung und Umsetzung zu<br />
wird, der gegen das oberste Credo des Unternehmens verstößt, nur weil er<br />
beurteilen. Die jährliche Diskussion, das permanente Reflektieren über<br />
gute Zahlen hat, dann ist es vielleicht auch der richtige Weg für mich und<br />
Realität und Anspruch ist unabdingbare Notwendigkeit, wenn es um das<br />
meine Karriere, ebenso zu handeln. Und schon wird die Staubschicht wieder<br />
Leben und Arbeiten mit Werten geht. Warum aber verstauben auf unseren<br />
etwas dicker.<br />
Schreibtischen die Wertebücher? Warum werden sie nicht gelebt und fristen<br />
ihr Leben in Schränken und elektronischen Ablagesystemen? Die Ausreden<br />
Uns allen ist klar, das ist ein Irrweg. Das ist ein Gegeneinander und kein<br />
sind vielfältig: „Da kümmert sich keiner drum!“, „Ist ja nicht wichtig!“, „Die da<br />
Miteinander, hier regiert das Recht des Stärkeren, des Wertezersetzers.<br />
oben leben es uns nicht vor!“<br />
Also was tun? Es ist ein Dilemma und auch ein Widerspruch, wenn zur<br />
Einhaltung der Werte ein Sanktionsmechanismus benötigt wird. Werte einzuhalten<br />
ist keine Sache eines Top-Down-Ansatzes – im Gegenteil, es ist<br />
Konkret: Verletzungen des Wertekanons werden nicht sanktioniert. Und zwar<br />
auf keiner Hierarchieebene des Unternehmens. Wenn also die Führungskraft<br />
ein Prozess von unten nach oben. Werte müssen verständlich und allgemein<br />
gültig in unserer Kultur sein. Warum also ist es so schwer sie zu<br />
kein Vorbild ist, es für Fehlverhalten keinen Sanktionsmechanismus gibt, dann<br />
verpufft das Gutgemeinte. Der Leistungsträger, der jedes Jahr tolle Zahlen<br />
akzeptieren, sie umzusetzen und zu leben? Wo ist das Problem, oder besser,<br />
wer ist das Problem?<br />
abliefert, aber permanent gegen die Unternehmenswerte verstößt, ist nach<br />
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6<br />
6<br />
Auch für Werte ist Konsequenz angesagt<br />
Jeder Einzelne hat dafür Sorge zu tragen, dass die Werte eingehalten werden.<br />
Egal auf welcher Hierarchiestufe, egal mit welcher Ausbildung, egal mit welcher<br />
Leistungsbilanz. Sich hinter Ausreden zu verstecken ist zu einfach und<br />
verantwortungslos. Konsequentes Handeln im Unternehmen darf nicht nur für<br />
die Zahlenwelt gelten, es ist ein integraler Bestandteil der Unternehmensführung.<br />
Hauck & Aufhäuser Privatbankiers zählt zu den unabhängigen deutschen<br />
Privatbankhäusern. Im Vordergrund steht die ganzheitliche und persönliche<br />
Beratung, auf deren Basis maßgeschneiderte Lösungen für vermögende<br />
Privat- und Unternehmerkunden erarbeitet werden. Zu den Geschäftsschwerpunkten<br />
mit Unternehmern gehören neben der Verwaltung des<br />
Vermögens die Beratung auf den Gebieten Bilanzstrukturoptimierung,<br />
Absicherung von Zins- und Währungsrisiken, Mergers & Acquisitions sowie<br />
Unternehmens- und Vermögensnachfolgeregelungen.<br />
Wenn wir unsere Leistungsträger behalten wollen, wenn die Geschäftsführung<br />
selbst sich tatsächlich am Wertekanon messen lässt, dann<br />
sind Werte genauso wichtig wie gute Zahlen. Negative Beispiele hierzu lesen<br />
wir täglich in den Zeitungen. Erfolgreiche Unternehmen glänzen in der Öffentlichkeit<br />
mit beiden Faktoren. Scheuen wir uns also nicht davor, konsequent<br />
bei der Einhaltung unserer Werte zu handeln.<br />
Über den Autor:<br />
Harald Labbow, Jahrgang 1956, ist Bereichsleiter Unternehmerkunden bei<br />
Hauck & Aufhäuser Privatbankiers KGaA und, gemeinsam mit Andreas E. Mach,<br />
Sprecher des <strong>AlphaZirkel</strong>s.<br />
Nach dem Studium in Augsburg kam der Diplom-Ökonom 1982 als Trainee<br />
zur HypoVereinsbank, für die er im Anschluss an seine Ausbildung weitere 25<br />
Jahre tätig war. Für das Finanzinstitut leitete er diverse Niederlassungen im<br />
Firmenkundengeschäft, zuletzt in Augsburg. Seit seinem Wechsel zu Hauck<br />
& Aufhäuser Privatbankiers KGaA im Juli 2007 zeichnet er verantwortlich für<br />
das Unternehmerkundengeschäft der Privatbank mit Standorten in München<br />
und Frankfurt. Zielgruppe sind familiengeführte Unternehmen im mittelständischen<br />
Sektor.<br />
Zudem ist Labbow Vorsitzender des Kuratoriums für Controlling und<br />
Rechnungsprüfung an der Universität Augsburg und Mitglied des Kuratoriums<br />
dieser Universität.<br />
82 83
Christoph Freiherr von Nostitz<br />
7<br />
Sinneswandel bei der Einstellung von<br />
älteren Fach- und Führungskräften<br />
Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften auf allen Ebenen rückt<br />
Werte wie Erfahrung und Seniorität wieder in den Blickpunkt.<br />
Not macht erfinderisch und fördert klassische Tugenden, die in den<br />
Boomjahren bis 2001 kaum gefragt waren. In der Folgezeit wurde es ruhig auf<br />
dem Arbeitsmarkt und das Thema der Mitarbeitergewinnung und damit verbundener<br />
Werte stand nicht auf der Tagesordnung. Dies hat sich nun deutlich<br />
geändert.<br />
Die Herausforderungen der demographischen Entwicklung West- und<br />
Osteuropas sind zwischenzeitlich allseits als Herausforderung anerkannt und<br />
veranlassen Unternehmen aller Größenklassen, nach Auswegen zu suchen.<br />
Zum einen werden Langfriststrategien ersonnen. Gleichzeitig ist die Not aber<br />
schon jetzt akut und drückt aktuell auf so manche Unternehmensentwicklung.<br />
Viele Betriebe berichten davon, dass Aufträge nicht angenommen<br />
werden können, da geeignete Mitarbeiter fehlten, um die Chancen für<br />
Wachstumspotentiale zu nutzen.<br />
Einige Beispiele zeigen, dass sich sowohl für ältere gewerbliche Mitarbeiter<br />
wie auch für gereifte Spezialisten und Führungskräfte in Top-Positionen neue<br />
Entwicklungen ergeben und sich bei entsprechender fachlicher Qualifizierung<br />
und persönlicher Eignung Perspektiven eröffnen, wie diese bis vor kurzem<br />
kaum denkbar waren.<br />
Die Firma Audi AG in Ingolstadt sieht das Thema pragmatisch unter dem<br />
Aspekt „Erfahrung als Chance“ und setzt für die Herstellung in der Fabrik in<br />
Neckarsulm, wo der Sportwagen R8 gefertigt wird, bewusst auf ältere, das<br />
heißt erfahrene Arbeitskräfte. Mehr als ein Drittel der dort beschäftigten<br />
Mitarbeiter ist über 40 Jahre alt.<br />
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7<br />
7<br />
Insgesamt möchte das Unternehmen Audi bis 2015 seine Gesamtproduktion<br />
um rund 60 % erhöhen. Dies soll ohne Ausweitung der Personalstärke erfolgen.<br />
Die Herausforderung, so Personalvorstand Werner Widuckel, besteht<br />
darin, dieses Ziel zu erreichen, ohne die Belegschaft zu erhöhen. Dieser<br />
Prozess wird von einem Anstieg des Durchschnittsalters auf 45 Jahre im Jahr<br />
2015 begleitet. Allein in der Produktion wird dann jeder dritte Mitarbeiter über<br />
50 Jahre alt sein. Das Alter verliert damit das Attribut „Defizitperspektive“.<br />
Personalentwicklung kann sich in einem solch dynamischen Umfeld nicht<br />
mehr an den bisher üblichen Altersgrenzen orientieren und muss bereits bei<br />
jungen Mitarbeitern beginnen. Dazu gehört auch das Bewusstmachen von<br />
gesundheitserhaltenden und -fördernden Themen durch Arbeitgeber.<br />
Neben der grundsätzlichen Frage der Verfügbarkeit von Arbeitskräften<br />
rücken, wie das Beispiel Audi zeigt, Werte wie Erfahrung und Seniorität wieder<br />
in das Gesichtsfeld bei der Planung und Gestaltung von Arbeitsplätzen.<br />
Organisationsformen mit einer Trennung von fachlicher und disziplinarischer<br />
Führung durch einen Matrix-Aufbau erfordern von Führungskräften zu allererst<br />
persönliche Autorität, die sich auch aus über die Jahre erwachsende<br />
nErfahrungen entwickelt. Das Projekt-Management ist in Matrix-Organisationen<br />
eine dominierende Steuerungsgröße und Herausforderung zugleich.<br />
Nur wer hier persönlich überzeugt, kann auch mit dem stumpfen Schwert der<br />
fachlichen Führungsverantwortung überzeugen und erfolgreich wirken.<br />
Seniorität als Grundlage für eine erfolgreiche Projektsteuerung prädestiniert<br />
ältere Fach- und Führungskräfte für vielfältige Themen und Verantwortungen.<br />
Gestaltung des Arbeitsumfeldes. Dogmen, wie in so manchen Großunternehmen,<br />
in denen, außer auf Geschäftsführungs- bzw. Vorstandsebene, kaum<br />
mehr Mitarbeiter in der Altersgruppe über 50 Jahren zu finden sind, behindern<br />
alle guten Vorsätze sowie Gestaltungsspielräume und verstellen den Blick für<br />
das Machbare und Notwendige, um Marktchancen zu nutzen.<br />
In Zeiten des Mangels an qualifizierten Arbeitskräften ist es zudem um so<br />
wichtiger, die eigenen Kapazitäten optimal auszuschöpfen. Dies beinhaltet vor<br />
allem, nicht jedem Auftrag nachzulaufen, sondern frühzeitig die attraktiven<br />
Anfragen und nachhaltigen Kundenpotenziale zu identifizieren und über eine<br />
qualifizierte Schlüsselkundenbetreuung die Unternehmensinteressen zu<br />
sichern. Für kleinere und mittelgroße Unternehmen bietet es sich an, mittels<br />
seniorer Arbeitskräfte gezielt diesen Anspruch umzusetzen.<br />
Dass dies auch in der Praxis zutrifft, spiegelt der Markt zusehends wider.<br />
Hatten ältere, noch so qualifizierte Fach- und Führungskräfte in den letzten<br />
Jahren vielfach kaum Chancen, eine angemessene oder anspruchsvolle neue<br />
Tätigkeit zu übernehmen, befasst sich so manches Unternehmen zwischenzeitlich<br />
mit der Altergruppe ab 45 Jahren als attraktivem Arbeitskräftereservat.<br />
Vor allem mittelgroße bis große mittelständische Unternehmen wenden sich<br />
bei ihrer Personalsuche zunehmend diesem Segment zu und formulieren<br />
gezielt damit verbundene Erwartungen bei entsprechenden Personalsuchen.<br />
Zugleich erweisen sich solche Unternehmen insgesamt als besonders stabile<br />
Partner gegenüber ihren Mitarbeitern.<br />
Zudem ist die Zielgruppe der gereiften Mitarbeiter oft frei von hierarchischen<br />
Ein Ventil für so mache gereifte Führungskraft, die in den letzten Jahren den<br />
Karriereüberlegungen. Sachthemen stehen bei ihnen weit mehr im<br />
eigenen Posten verloren hat, war das Interim-Management, also der Einsatz<br />
Vordergrund – während jüngere Nachwuchs-Stars gelegentlich vor lauter<br />
als Fach- und Führungskraft auf Zeit. In Deutschland wird die Zahl solcher<br />
Karriereplanung ihre eigentlichen Sachverantwortungen vergessen.<br />
Manager aktuell auf mehr als 3000 geschätzt. In der Regel verfügen Interims-<br />
Manager über mindestens 15 Jahre Berufserfahrung und übernehmen häufig<br />
Was für Großunternehmen gilt, trifft in veränderten Maßstäben auch für Kleinund<br />
Mittelstandsunternehmen zu. Einschränkungen auf Funktionen – Blaumann<br />
ziellen Projektanforderungen. Gerne wurden diese Manager in den zurücklie-<br />
Aufgaben als Geschäftsführer bzw. Vorstände, vielfach in Verbindung mit spe-<br />
oder Krawattenträger – gibt es kaum. Voraussetzung ist zunächst immer die<br />
genden Jahren auch für die Abwicklung unbequemer Aufgaben im Rahmen<br />
fachliche und persönliche Eignung und der beiderseitige Wille zur konstruktiven<br />
von Restrukturierungsmaßnahmen eingesetzt. Viele dieser häufig für eine<br />
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7<br />
7<br />
große Anzahl von Mitarbeitern schmerzlichen Prozesse sind heute abgeschlossen<br />
und haben die Manager auf Zeit in ihrem Erfahrungsschatz reifen<br />
lassen. Diese Erfahrungen qualifizieren so manchen Interims-Manager heute<br />
auch für eine Rückkehr in eine langfristig angelegte Führungsrolle.<br />
Ob Top-Spitzenkraft oder qualifizierte gewerbliche Mitarbeiter – alle<br />
Berufsgruppen erfordern individuelle Lösungen, und derer gibt es viele. Eine<br />
vorurteilsfreie Sichtweise und ein offenes Herangehen an Herausforderungen<br />
seitens aller Beteiligten eröffnen vielfältige Lösungen. Patentrezepte gibt es so<br />
wenige, wie es hilft, immer nur zu klagen. Es zeichnet schließlich den unternehmerisch<br />
geprägten Manager aus, dass er etwas unternimmt, um Lösungen<br />
zu schaffen, die Erfolg mit sich bringen.<br />
Die Personalberatungsgesellschaft Ising International Consulting ist als<br />
Mitbegründer seit 1986 Mitglied von I.I.C. Partners – Executive Search<br />
Worldwide, einer international führenden Personalberatung mit über 60 Büros<br />
in über 40 Ländern weltweit. Die Kernkompetenz des Unternehmens liegt in<br />
der individuellen und unabhängigen Beratung von inhabergeführten, börsennotierten<br />
und öffentlichen Unternehmen und Einrichtungen bei der Besetzung<br />
von Führungspositionen und Spezialisten in allen Funktionsbereichen der<br />
strategischen und operativen Unternehmensführung. I.I.C. Partners gehört zu<br />
den Top 10 der weltweit führenden Personalberatungsorganisationen.<br />
Über den Autor:<br />
Christoph Freiherr von Nostitz, Jahrganz 1957, ist geschäftsführender<br />
Gesellschafter und Sprecher der Partner der Personalberatungsgesellschaft<br />
Ising International Consulting. Den Einstieg in seine berufliche Laufbahn fand<br />
von Nostitz im Rahmen einer kaufmännischen Ausbildung beim international<br />
agierenden Logistikkonzern Kühne & Nagel, an die sich eine Mitarbeit in diesem<br />
Unternehmen in Rotterdam, Hamburg und München anschloss.<br />
Ab 1981 studierte er Betriebswirtschaft. Nach dem Diplomabschluss war<br />
von Nostitz ab 1985 für die Bayerische Vereinsbank tätig, unter anderem<br />
im Bereich Auslandskunden, was ihn zeitweise an den Finanzplatz<br />
New York führte.<br />
Im Jahr 1991 übernahm von Nostitz die Position als Mitglied der<br />
Geschäftsführung der Copex-Group. Sein Verantwortungsbereich umfasste<br />
primär die Ressorts Marketing, Vertrieb und Beteiligungsverwaltung. Bei der<br />
irischen Landesgesellschaft Copex Ltd., Shannon, bekleidete er zugleich die<br />
Position eines Deputy Directors. Außerdem wurde er in den Verwaltungsrat<br />
mehrerer Joint-Venture-Gesellschaften gewählt sowie in den Verwaltungsrat<br />
einer Liegenschafts- und Vermögensverwaltung. 2001 trat Christoph Freiherr<br />
von Nostitz in die Beratungsgesellschaft Ising International Consulting am<br />
Standort München ein.<br />
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Dr. Sven Mandewirth<br />
8<br />
Herausforderung Managemententwicklung<br />
im Mittelstand – Einflussmöglichkeiten auf<br />
die Unternehmenskultur<br />
1. Bedeutung der Managemententwicklung im Mittelstand<br />
Nach wie vor fällt mittelständischen Unternehmen eine effiziente und wirksame<br />
Managemententwicklung schwer. Dies betrifft die Gewinnung von Potenzialkandidaten<br />
als auch die dauerhafte Bindung und Entwicklung bis zur Übernahme<br />
von umfassender Führungsverantwortung. Die Tragweite ist dann besonders<br />
hoch, wenn es um Veränderungen in der Unternehmensspitze geht. Insbesondere<br />
bezüglich der Nachfolgeregelung steht der Mittelstand vor einer großen<br />
Herausforderung: Bei ca. 71.000 deutschen Familienunternehmen sind in<br />
den nächsten Jahren Entscheidungen zur Nachfolge zu treffen. Bis zum Jahr<br />
2012 werden – nach Schätzungen der Verbände – ca. 700.000 mittelständische<br />
Unternehmen unmittelbar vor der Aufgabe stehen, einen neuen und geeigneten<br />
Nachfolger zu finden. Es wird hochgerechnet, dass aktuell fast eine Millionen Arbeitsplätze<br />
in ca. 70.000 deutschen Familienunternehmen von einer erfolgreichen<br />
Nachfolge und damit auch von der Etablierung eines effektiven Managements<br />
oder alternativer Modelle abhängen. Damit zählt die Managemententwicklung<br />
zu den zentralen Herausforderungen für den Mittelstand. Da mittelständische<br />
Unternehmen weniger durch Organe und Gremien und viel mehr<br />
durch unternehmerisch handelnde Personen geführt werden, ist die Managemententwicklung<br />
erfolgskritisch für den Bestand des Unternehmens. Umsetzungsstärke,<br />
Flexibilität, Schnelligkeit und Risikoübernahme als Erfolgsfaktoren<br />
des Mittelstands kommen nur dann zum Tragen, wenn an der Spitze des<br />
Unternehmens Manager etabliert werden, die persönlich für diese Eigenschaften<br />
stehen und somit die Basis für die Verankerung von Unternehmenskultur legen.<br />
2. Einflussmöglichkeiten auf die Unternehmenskultur<br />
Unter dem Begriff der Unternehmenskultur wird allgemein die Gesamtheit von<br />
Werten, Normen, Einstellungen und Paradigmen im Unternehmen verstan-<br />
90 91
8<br />
8<br />
den, die auf das Zusammenspiel innerhalb der Organisation sowie auf den<br />
Auftritt nach außen einwirkt. Während frühere Organisationsmodelle den<br />
Kulturaspekt noch weitgehend ausblenden, unterstreichen moderne<br />
Organisationstheorien das Verhalten von Führungskräften und Mitarbeitern<br />
als wichtigen Bestandteil des Gesamtbildes einer Organisation im Innen- und<br />
Außenverhältnis. Eine zentrale Rolle spielt hierbei der unternehmensindividuelle<br />
Verhaltenskodex zur unternehmensinternen und -externen Festlegung<br />
leitungsaufgaben und die Rolle des Kapitalgebers personell vereint sind.<br />
Gerade in diesen Fällen spielt die unternehmensinterne und -externe<br />
Reflexion der Persönlichkeit des Top-Managements eine wesentliche Rolle in<br />
Bezug auf das spezifische Kulturbild. Darüber hinaus existiert eine Reihe von<br />
Möglichkeiten zur Beeinflussung von Unternehmenskultur durch Managemententwicklung<br />
im Mittelstand, die entlang von drei wesentlichen Kernherausforderungen<br />
systematisiert werden können:<br />
von Kommunikationsrichtlinien und Führungsgrundsätzen. Von einer starken<br />
und konsistenten Unternehmenskultur kann dann gesprochen werden, wenn<br />
Gewinnung und Bindung von Führungskräften<br />
es dem Führungskreis des Unternehmens gelingt, diesen Verhaltenskodex<br />
Integration und Entwicklung von Führungskräften<br />
möglichst konsistent, geschlossen und glaubwürdig an die Mitarbeiter bzw.<br />
Verankerung eines gemeinsamen Leitbildes für Veränderung<br />
an das Unternehmensumfeld zu transportieren. Anders formuliert: Wenn es<br />
nur unzureichend gelingt, die spezifische Unternehmenskultur im Kreis des<br />
Gewinnung und Bindung von Führungskräften<br />
Managements zu vermitteln, wird auch die weitere Multiplikation schwer fallen.<br />
Die Managemententwicklung und die Verankerung von Unternehmenskultur<br />
sind somit eng miteinander verzahnt. Die Sinnfrage nach der Prägung<br />
von Unternehmenskultur oder die Frage nach dem Verzicht auf die<br />
Verankerung von Unternehmenskultur schließen sich dabei aus. Ein<br />
Unternehmen kann nur darüber befinden, wie die Unternehmenskultur aktiv<br />
beeinflusst werden soll, da sich auch ohne aktiven Einfluss eine Kultur entwickeln<br />
wird – allerdings mit größerem Risiko, dass hiermit nicht die Unternehmensziele<br />
unterstützt werden.<br />
Bei der Gewinnung von Führungskräften sind mittelständische Unternehmen<br />
gegenüber Konzernen tendenziell im Nachteil. Gründe hierfür liegen in der<br />
geringeren Bekanntheit mittelständischer Unternehmen sowie in den vermeintlich<br />
schlechteren Karriere- und Vergütungschancen. Hier liegt jedoch die<br />
wesentliche Herausforderung für die Gewinnung von Führungskräften. Je klarer<br />
die Ertragskraft des Unternehmens aufgezeigt werden kann und je präziser<br />
sich Karrierechancen bis hin zur Unternehmensführung aufzeigen lassen,<br />
desto eher wird sich ein potenzieller Kandidat für die Vorteile des mittelständischen<br />
Unternehmens entscheiden, die es hervorzuheben gilt. Hierzu zählen<br />
Im Mittelstand herrscht – im Vergleich zu Großunternehmen – aufgrund der<br />
Unternehmensgröße und der geringen Anzahl an Hierarchiestufen eine vermeintlich<br />
größere Transparenz bezüglich des Einflusses des Managements<br />
auf die Unternehmenskultur. Vermeintlich deshalb, weil die Anzahl der<br />
Personen, die Leitbilder vermitteln, geringer ist und sich deshalb die<br />
Abhängigkeit der Unternehmenskultur von einzelnen handelnden Personen<br />
erhöht. Damit kommt der Managemententwicklung als Treiber für<br />
Unternehmenskultur in mittelständischen Unternehmen eine besonders hohe<br />
Bedeutung zu. Dort wo Führung direkter und weniger hierarchisch funktioniert,<br />
stellt das Management selbst einen wesentlichen Teil der Unternehmenskultur<br />
dar. Das wird zusätzlich verstärkt, wenn Unternehmensz.<br />
B. ein geringeres Maß an Fremdbestimmung, schnelle Durchsetzung und<br />
Umsetzung von Entscheidungen sowie transparente persönliche Beziehungen.<br />
Es ist fast überflüssig zu erwähnen, dass diese Kernbotschaften mit<br />
höchster Wirksamkeit nur durch den Inhaber oder die Geschäftsführung<br />
selbst transportiert werden können: Die Gewinnung von Führungskräften im<br />
Mittelstand ist Chefsache! Umso mehr ist das Personalmanagement gefordert,<br />
potenzielle Kandidaten gezielt zu identifizieren, präzise zu recherchieren<br />
und den Rekrutierungsprozess professionell zu gestalten. Bezüglich der<br />
Berücksichtigung von Einflussmöglichkeiten auf die Unternehmenskultur<br />
durch die Rekrutierung von Management-Nachwuchs muss differenziert werden.<br />
Mittelständische Unternehmen, deren Kultur bewusst Freiräume für<br />
92 93
8<br />
8<br />
dezentrale Entwicklung und Umsetzung eröffnet (z. B. Internetunternehmen),<br />
Lücken für potenzielle Nachfolgen schließen und eine „Grundversorgung“ mit<br />
sollten Einstellungskriterien wie Eigenständigkeit und Kreativität höher<br />
Managementkapazitäten sicherstellen. Zudem zeigen Erfahrungen in Unternehmen<br />
eine gesteigerte Dynamik im Verhalten der Führungskräfte, bedingt<br />
gewichten und auch bewusst fachliche Heterogenität zulassen. Unternehmen<br />
in traditionellen Branchen mit starker Unternehmenskultur und hoher<br />
durch die Veränderung des Prozesses und der damit verbundenen Objektivitätssteigerung<br />
in Fragen der Besetzung von Top-Positionen.<br />
Kohärenz sollten Kriterien wie Integrationsfähigkeit und persönliche<br />
Kompatibilität hervorheben. Zwar kann ein gewisser Grad an „Andersartigkeit“<br />
jede Unternehmenskultur positiv beeinflussen, eine zu starke Abweichung<br />
kann jedoch zu mangelnder Akzeptanz im Management-Team führen.<br />
das unternehmensspezifische Leitbild und die darauf aufbauenden positions-<br />
Die Grundlage für die Bewertung für das Potenzial von Führungskräften bildet<br />
spezifischen Kriterien zur Leistungsbeurteilung. Hiermit besteht die Chance,<br />
Integration und Entwicklung von Führungskräften<br />
Unternehmenskultur in einem formalen Rahmen und karrierewirksam zu verankern.<br />
Über die Festlegung und die Gewichtung der Kriterien kann hier<br />
Führungskräfteentwicklung findet auf Basis der individuellen Potenzialidentifikation<br />
sowie des Entwicklungsbedarfs statt und wird in einem regel-<br />
Fähigkeiten hinaus – an Management-Fähigkeiten und -Grundeinstellungen<br />
unmissverständlich definiert werden, was das Unternehmen – über fachliche<br />
mäßigen Zielvereinbarungs- und Feedback-Prozess organisiert. In Abhängigkeit<br />
von den Ergebnissen werden Führungskräfte-Entwicklungsinstrumente<br />
Kriterien wie „Mobilität“, „Flexibilität“ und „Innovationsfähigkeit“ die<br />
(„Spirit“) erwartet. So können z. B. mit den entsprechend gewichteten<br />
eingesetzt wie z. B. Trainings, Assessments, Jobrotation, Auslandsentsendungen<br />
und Projekteinsätze. Auch hier ist der Mittelstand strukturell im<br />
und technologieorientierten Unternehmenskultur ausgedrückt werden. Durch<br />
Anforderungen an das Management in einer internationalen, dynamischen<br />
Nachteil, da systematische Führungskräfteentwicklung mit administrativem<br />
Betonung von Kriterien wie z. B. „Regionales Netzwerk“, „Integrationsfähigkeit“<br />
und „Standortentwicklung“ spiegelt sich ein Kulturumfeld wider, das<br />
Aufwand verbunden ist und mangels kritischer Masse nicht zu jeder Zeit alle<br />
Entwicklungsinstrumente bereitgestellt werden können. Dennoch lässt sich<br />
z. B. für regional oder lokal orientierte Dienstleistungsunternehmen typisch ist.<br />
mit dem konsequenten Einsatz vergleichsweise einfacher Instrumente eine<br />
hohe Wirkung erzielen. Zentral ist hierbei die „Seitensicht“ auf Potenzialkandidaten,<br />
um zu verhindern, dass Führungskräfte hauptsächlich durch<br />
Verankerung eines gemeinsames Leitbildes für Veränderung<br />
langjährige persönliche Beziehungen in der Hierarchie nachrücken. „Seitensicht“<br />
bedeutet in dem Zusammenhang, dass der Entwicklungsbedarf aus<br />
sätzliche Verankerung einer Unternehmenskultur, sondern können auch<br />
Instrumente der Managemententwicklung unterstützen nicht nur die grund-<br />
unterschiedlichen Perspektiven im Unternehmen beleuchtet wird. Dies kann<br />
Signale im Fall einer gezielten Mobilisierung der Führungsmannschaft setzen.<br />
in Form eines internen Gremiums organisiert und um eine unternehmensexterne<br />
Perspektive (z. B. Change Trainer oder Personalberater) ergänzt wer-<br />
Integrationen oder Portfolioumstrukturierungen kann es erforderlich sein, die<br />
In Situationen mit einschneidenden Veränderungen wie z. B. bei Post-Mergerden.<br />
Zur Unterstützung können beispielsweise Portfoliomethoden eingesetzt<br />
Veränderungsbereitschaft an sich als wesentlichen Baustein der Unternehmenskultur<br />
herauszustellen. Dies ist z.B. dann erforderlich, wenn mittel-<br />
werden, um zu differenzieren, wer für Top-Positionen in Frage kommt<br />
(„Promotable“) oder wessen Potenzial in Frage gestellt werden muss<br />
ständische Unternehmen erstmalig einen intensiven Änderungsprozess<br />
(„Marginals“). Der effektive Nutzen resultiert vor allem aus dem konstruktiven<br />
durchlaufen, der für die Führungskräfte auch die Aufgabe von Komfortzonen<br />
Dialog über individuelle Leistungsträger und den daraus präzise abgeleiteten<br />
und die Konfrontation mit neuen Wettbewerbssituationen bedeutet. Beispiele<br />
Entwicklungsmaßnahmen und Feedbacks. Mit diesem Vorgehen lassen sich<br />
hierfür können veränderte Mobilitätsanforderungen, neue Kompetenzfelder<br />
94 95
8<br />
8<br />
oder interner Wettbewerb mit Führungskräften, z. B. im Zuge von Unternehmenszusammen-schlüssen<br />
sein. Gemäß dem typischen Verlauf einer<br />
„Veränderungskurve“ folgt der Kommunikation von Veränderung in der Regel<br />
eine Phase der Reaktanz, in der die Veränderungen überkritisch und vor dem<br />
Hintergrund der eigenen Vorteilhaftigkeit angezweifelt werden. Spätestens in<br />
dieser Phase ist es extrem wichtig, die Veränderungsbereitschaft von<br />
Führungskräften als integralen Bestandteil der Unternehmenskultur aktiv einzufordern<br />
und zur Mitgestaltung der Veränderung aufzurufen. Teilweise ist zu<br />
beobachten, dass es im Vorfeld von einschneidenden Entscheidungen zum<br />
Schulterschluss zwischen betroffenen Mitarbeitern und Führungskräften<br />
kommt, wenn weite Teile des Managements nicht in den Entscheidungsprozess<br />
eingebunden sind und die Kommunikation zwischen oberen und unteren<br />
Als Beispiel dient ein technologieorientiertes, ehemals marktführendes<br />
Unternehmen, dessen Bilanz unter anderem durch immens gestiegene<br />
Entwicklungskosten in Schieflage geraten ist. Hier kam es darauf an, eine<br />
ergebnisorientierte Kultur zu etablieren, um zu verhindern, dass weiter in<br />
defizitären und kostenintensiven Entwicklungsprojekten gearbeitet wird. So<br />
war es in einem ersten Schritt erforderlich, eine große Anzahl von Projekten<br />
jenseits der Marktreife zu streichen. Dies bedeutete für viele Entwickler das<br />
Loslassen von „Herzblut-Projekten“ und ein Projektmanagement vor allem<br />
unter Kosten- und Ergebnisgesichtspunkten. Die nachhaltige Bereitschaft<br />
hierzu konnte nur über einen Change-Prozess erreicht werden, der eine<br />
Veränderungskultur mit Fokus auf Ergebnisbeitrag und Marktorientierung<br />
etabliert hat.<br />
Führungsebenen abgerissen ist.<br />
3. Umsetzung kulturprägender Leadership-Prinzipien<br />
Gerade in Veränderungssituationen zeigt sich die Belastbarkeit der<br />
Unternehmenskultur. Es zeigt sich, ob das Einzelinteresse im Vordergrund<br />
steht oder der gemeinsam getragene Wille zur Substanzerhaltung im<br />
Unternehmen. Letztendlich wird auch die Authentizität von Führungskräften<br />
und die vorherrschende Kommunikationskultur auf den Prüfstand gestellt. Ist<br />
die Glaubwürdigkeit des Top Managements bereits in Zweifel gezogen und<br />
die Kommunikation über verschiedene Ebenen hinweg wenig wirksam, so<br />
Es gibt Beispiele mittelständischer Unternehmen, die sich der Herausforderung<br />
einer Neuausrichtung der Managemententwicklung unter expliziter<br />
Berücksichtigung der gegenwärtigen Unternehmenskultur gestellt haben.<br />
Auch wenn die Voraussetzungen im Einzelfall unterschiedlich und die<br />
Lösungsansätze spezifisch sind, so lassen sich erfolgreiche Ansätze differenziert<br />
nach drei Phasen aufzeigen:<br />
kann aus der Veränderungssituation schnell eine interne Krise werden. Im<br />
Phase 1: Bestandsaufnahme und Bewertung<br />
Gegensatz hierzu überstehen Unternehmen mit einer stabilen Unternehmenskultur<br />
Phase 2: Pilotierung<br />
und funktionierenden Kommunikationskaskaden eine Umbruch-<br />
Phase 3: Operative Umsetzung und Monitoring<br />
situation tendenziell besser. Die Wirkung auch dieser Zusammenhänge ist im<br />
Mittelstand deutlich stärker als im Großkonzern. Durch die direktere Führung,<br />
Phase 1: Bestandsaufnahme und Bewertung<br />
die engere Vernetzung der Mitarbeiter und die häufige Fokussierung auf wenige<br />
„Leitfiguren“ im Unternehmen sind die Auswirkungen einer unzureichenden<br />
Veränderungskultur in Umbruchzeiten deutlich schneller und heftiger zu<br />
spüren. Daher empfiehlt es sich, Change-Instrumente, wie z.B. Dialogforen<br />
oder Führungskräfte-Workshops, rechtzeitig zu planen und gezielt einzusetzen.<br />
Hierdurch werden Dialogsituationen zwischen Top-Management und<br />
den übrigen Führungskräften geschaffen, die für die Gestaltung und Überarbeitung<br />
der Kernbotschaften des Unternehmens genutzt werden können.<br />
Im ersten Schritt kommt es zunächst auf die präzise Beschreibung zukünftiger<br />
Anforderungen an das Management an. Hierbei sind die strategischen<br />
Herausforderungen des Unternehmens zu beschreiben (z. B. Expansion im<br />
Ausland) und wesentliche operative Anforderungen zu definieren (z. B. Verlagerung<br />
der Produktion und Ausbau des Vertriebsnetzes), um auf dieser Basis<br />
die konkreten Anforderungsprofile für das Management abzuleiten<br />
(z. B. Branchen- und Auslandserfahrung, Umsetzungsstärke etc.). Im nächs-<br />
96 97
8<br />
8<br />
ten Schritt erfolgt die Spiegelung an den vorhandenen Managementkapazitäten<br />
sowie an vorhersehbaren Entwicklungen im Management<br />
klare Ableitung von Kernbotschaften und Leistungskriterien aus den mittel-<br />
Neben einer gezielten Einbindung in der Entwicklungsphase ist vor allem die<br />
(z. B. Nachfolgebedarf, Erweiterung der Geschäftsführung etc.). Zur Einschätzung<br />
des Managementpotenzials können bekannte Instrumente, wie<br />
Bedeutung. Auch hier gilt: Akzeptanz und Verinnerlichung ist Voraussetzung<br />
und langfristigen Anforderungen an das Unternehmen von zentraler<br />
Management Audit oder Management Assessment, die Aussagefähigkeit<br />
für die Beeinflussung der Unternehmenskultur durch Managemententwicklung<br />
– und umgekehrt. Daher ist es wichtig, an zentralen Stellen im Unter-<br />
steigern. Gegenstand der Betrachtung sollte darüber hinaus auch der<br />
Prozess der Managemententwicklung sein, um sicherzustellen, dass der Soll-<br />
nehmen für Akzeptanz in Bezug auf die Veränderungen im Managementwicklungsprozess<br />
zu sorgen. Dies gelingt in moderierten Workshops, in<br />
Ist-Abgleich auch zukünftig stattfindet und abgeleitete Maßnahmen konsequent<br />
umgesetzt werden. In einem dritten Schritt werden die gegenwärtige<br />
denen die entsprechenden Kernbotschaften und Leistungskriterien vorgestellt<br />
Unternehmenskultur und die Einflussmöglichkeiten auf die Managemententwicklung<br />
beschrieben. Hierbei hat es sich als zielgerecht erwiesen, die<br />
Aufgabe des Personalmanagements, für die Moderation der Pilot-Workshops<br />
und in einem ersten Durchlauf angewendet werden. Die Vorbereitung ist eine<br />
erforderlichen Managemententwicklungs-Maßnahmen hinsichtlich ihrer<br />
kann ggf. externe Unterstützung hinzugezogen werden.<br />
Unterstützung durch die aktuelle Unternehmenskultur zu überprüfen und<br />
gegebenenfalls zu verändern. So wird es beispielsweise wenig erfolgreich<br />
Phase 3: Operative Umsetzung und Monitoring<br />
sein, ausländische Führungskräfte für das Unternehmen dauerhaft zu gewinnen,<br />
wenn dem Unternehmen der „Stallgeruch“ einer national orientierten<br />
Diese Phase beinhaltet die operative Umsetzung der Maßnahmen zur<br />
Unternehmenspolitik anhaftet.<br />
Vorbereitung und Durchführung der individuellen Maßnahmen zur Managemententwicklung.<br />
Hierzu zählen zum einen Maßnahmen wie Auslandsentsendung,<br />
das Aufsetzen von Trainings-/Coaching-Programmen sowie die<br />
Phase 2: Pilotierung<br />
regelmäßige Aufnahme von Feedbacks und Entwicklungsfortschritten. Zum<br />
Liegen konkrete Ziele zur Verbesserung der Managemententwicklung vor<br />
anderen betrifft die Umsetzung auch das Management von komplexen<br />
und sind die Anforderungen an die Weiterentwicklung der Unternehmenskultur<br />
definiert, so empfiehlt es sich, die zentralen Kern-<br />
hierbei nicht nur der reine „Vollzug“, sondern die Sicherstellung einer nach-<br />
Prozessen wie z.B. der Regelung der Unternehmensnachfolge. Ergebnis ist<br />
botschaften zunächst in einem kleinen Kreis ausgewählter Leistungsträger<br />
haltig wirksamen Unternehmenskultur. Hierbei gilt es eine Vielzahl von<br />
des Unternehmens vorzustellen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass eine<br />
Instrumenten einzusetzen. Nach der erfolgreichen Multiplikation von Kernbotschaften<br />
und daraus resultierenden Anforderungen an alle Führungs-<br />
Unternehmenskultur nicht stabsmäßig geplant und mit exaktem Timing<br />
verändert werden kann. Weiterentwicklung von Unternehmenskultur<br />
ebenen sollte sich die zielgerichtete Beeinflussung der Unternehmenskultur<br />
bedeutet vor allem Verinnerlichung von Leitlinien und Multiplikation über<br />
auch in konkreten Maßnahmen widerspiegeln. Hierbei ist an den Auftritt in<br />
Kommunikation und authentisches Verhalten. Auch die Ableitung von<br />
internen und externen Medien, an konkrete Führungskräfte-Entwicklungsprogramme<br />
sowie an erforderliche Incentive-Systeme zu denken. In der<br />
Leistungskriterien für die Managemententwicklung ist ein sensibler<br />
Vorgang, da hiermit der Bewertungsmaßstab für eine langjährige Karriereentwicklung<br />
verändert wird. Es muss unbedingt der Eindruck aus Sicht von<br />
Taten folgen zu lassen. Die folgende Checkliste soll eine Auswahl möglicher<br />
Umsetzung gilt es, dem Anspruch an die Gestaltung der Unternehmenskultur<br />
Leistungsträgern vermieden werden, dass kurz vor dem Zieleinlauf die<br />
Maßnahmen zur Beeinflussung der Unternehmenskultur durch Managemententwicklung<br />
aufzeigen:<br />
Spielregeln verändert werden.<br />
98 99
8<br />
8<br />
Gewinnung und Bindung von Führungskräften<br />
Kulturkonforme Selbstdarstellung des Unternehmens in Imagebroschüren<br />
und Stellenanzeigen<br />
Leitlinien für Rekrutierungsgespräche<br />
Verankerung kulturprägender Anforderungen an das Management im<br />
Arbeitsvertrag (z. B. Mobilität, Leistungs- und Umsetzungsorientierung,<br />
Commitment auf Unternehmensziele etc.)<br />
Gestaltung der Anreiz- und Incentive-Programme (z. B. Bonusprogramme,<br />
Firmenwagenregelungen, Events etc.)<br />
Entwicklung von Beteiligungsmodellen für das Management<br />
Integration und Entwicklung von Führungskräften<br />
On-boarding- und Mentorenprogramme unter dem Aspekt der Vermittlung<br />
von Unternehmenskultur<br />
Feedback- und Review-Gespräche zur Sicherstellung des „Cultural Fit“<br />
Verankerung kulturprägender Anforderungen in den Instrumenten der<br />
Personalentwicklung (Training, Jobrotation, Talent-Pooling,<br />
internationale Einsätze etc.)<br />
Individual-Coaching<br />
Seitensicht verschiedener Parteien im Unternehmen bei Beurteilung des<br />
Entwicklungspotenzials<br />
Verankerung eines gemeinsamen Leitbildes für Veränderung<br />
Dialogforum mit allen Führungskräften des Unternehmens zur<br />
Ermöglichung eines Hierarachie-übergreifenden Austauschs über<br />
zukünftige Anforderungen<br />
Formulierung von kulturprägenden Kernbotschaften im Kreis des Top-<br />
Managements<br />
Verprobung und Adjustierung der Kernbotschaften mit ausgewählten<br />
Leistungsträgern in Workshops<br />
Kaskadenförmige Kommunikation von kulturbeeinflussenden<br />
Änderungen durch die gesamte Organisation<br />
Systematische Gewinnung von Multiplikatoren für kulturellen Wandel<br />
4. Fazit/Ausblick<br />
Managemententwicklung ist ein wesentlicher Stellhebel zum Erhalt und zum<br />
Ausbau der unternehmerischen Substanz und der Kultur eines mittelständischen<br />
Unternehmens. Die strategische Relevanz, unternehmensspezifische<br />
Rahmenbedingungen sowie die persönliche Betroffenheit der Entscheider<br />
machen die Managemententwicklung unter Kulturaspekten zu einem sensiblen,<br />
aber erfolgskritischen Thema. Insbesondere in einschneidenden Veränderungssituationen<br />
kommt es darauf an, dass Kernbotschaften zum<br />
Selbstverständnis des Unternehmens sowie zu den Rollen des Managements<br />
mit der richtigen Methodik entwickelt und kommuniziert werden. Dies schafft<br />
die Basis für Akzeptanz und intrinsische Motivation bei Leistungsträgern im<br />
Management – eine Grundvoraussetzung für erfolgreiche Weiterentwicklung<br />
und Wandel. Daher ist es unumgänglich, Entscheidungen im Rahmen der<br />
Managemententwicklung bis zur Umsetzung strukturiert anzugehen und professionell<br />
zu unterstützen.<br />
Über den Autor:<br />
Dr. Sven Mandewirth ist Partner der internationalen Unternehmerberatung<br />
Droege & Comp. und leitet dort das Competence Center Organisation und<br />
Personal.<br />
Sven Mandewirth berät mittelständische Unternehmen und Konzerne in<br />
Themen wie Umbau der Zentrale, Weiterentwicklung des Personalmanagements<br />
und Mobilisierung der Führungsmannschaft. Das Spektrum<br />
umfasst die Entwicklung von Leitbildern und Zielkonzepten bis zur operativen<br />
Umsetzung von Prozess-, Struktur- und Systemanpassungen. Aufgrund der<br />
Internationalität der Kunden liegt ein weiterer Schwerpunkt auf der Gestaltung<br />
von internationalen Führungsstrukturen und Standortoptimierungen.<br />
100 101
Romana Traichel<br />
9<br />
Unternehmenskultur ist auch Streitkultur –<br />
Vermeidung von Streit durch frühzeitige<br />
Regelung der Risiken<br />
Grundlage der Unternehmenskultur sind die von den Mitgliedern des Unternehmens<br />
gemeinsam getragenen Grundüberzeugungen, Werte und Einstellungen.<br />
Sie bestimmen maßgeblich, wie sich das Unternehmen selbst sowie<br />
seine Umwelt sieht und wie es von Letzterer wahrgenommen wird. Dabei gehört<br />
zur Unternehmenskultur auch der Umgang mit Streit zwischen den Gesellschaftern,<br />
denn dieser kann die drei Hauptströmungen der Unternehmenskultur<br />
– Unternehmensziele, Mitarbeiterzufriedenheit und Kundenorientierung –<br />
empfindlich stören. Gerade in Familienunternehmen besteht dabei ein hohes<br />
Konfliktpotenzial, da familiäre und Einzelinteressen mit gesellschaftsrechtlichen<br />
oftmals diametral aufeinander prallen. Um sowohl den Streit innerhalb der Familie<br />
als auch innerhalb des Gesellschafterkreises zu vermeiden, werden Probleme<br />
daher nur zu oft unter den Teppich gekehrt, zu regelnde Risiken bewusst übersehen<br />
und deshalb nicht geregelt oder aber nur einseitig geregelt, ohne die<br />
Regelung den anderen Gesellschaftern gegenüber zu kommunizieren. Kommt<br />
es dann zum Ernstfall, ist sehr häufig Streit die Folge.<br />
Es ist nicht zu leugnen, dass ein erheblicher Anteil des bestehenden Konfliktpotenzials<br />
auf die oftmals nur unzulängliche Kommunikation innerhalb der Familie<br />
oder des Gesellschafterkreises zurückzuführen ist. Dieser Beitrag soll sich jedoch<br />
nicht mit der Frage der Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit beschäftigen,<br />
denn dafür ist den Gesellschaftern Hilfe von erfahrenen Psychologen<br />
oder Pädagogen anzuraten. Wir widmen uns stattdessen zwei Risikofeldern aus<br />
dem familien- und erbrechtlichen Bereich, die durch eine frühzeitige rechtliche<br />
Regelung so entschärft werden können, dass Streit gar nicht erst aufkommt.<br />
1. Risiko „Ehe“<br />
Wie nachstehend dargestellt, ergeben sich für den Unternehmer sowohl während<br />
des Bestehens der Ehe als auch im Falle ihres Scheiterns erhebliche<br />
102 103
9<br />
9<br />
wirtschaftliche Konsequenzen, die immer noch sehr oft übersehen werden.<br />
Die anwaltliche Praxis zeigt eindrucksvoll, dass Unternehmer und Unternehmerinnen<br />
sich des Spannungsfelds Ehe-Unternehmen nicht bewusst sind<br />
oder die damit verbundenen Risiken aus ihrem Bewusstsein verdrängen.<br />
Dies gilt insbesondere für den Fall der ersten Eheschließung. Erfahrungsgemäß<br />
werden „Schutzvorkehrungen“ in Form von Eheverträgen bei einer<br />
zweiten Heirat viel häufiger getroffen, meist nachdem sich das Risiko aus<br />
der gescheiterten ersten Ehe regelmäßig sowohl wirtschaftlich als auch<br />
streittechnisch vollumfänglich verwirklicht hat.<br />
Viele lehnen den Abschluss eines Ehevertrags ab oder ziehen einen solchen<br />
erst gar nicht in Betracht. Grund ist in erster Linie die Vorstellung der Ehegatten,<br />
ihre Ehe werde erst durch den Tod geschieden werden. Die Möglichkeit<br />
einer Scheidung wird trotz einer Scheidungsrate im Bundesdurchschnitt<br />
von 50% und mehr 1 gekonnt ignoriert. Beherrschend sind hingegen<br />
Gedanken wie beispielsweise: „wir gehören zu den anderen 50%“ oder „bei<br />
uns wird schon alles gut gehen“. Daneben wird der Abschluss eines Ehevertrags<br />
oftmals durch antiquierte Ansichten verhindert. Nicht selten wird<br />
der Ehegatte, der den Abschluss eines Ehevertrags zumindest in Betracht<br />
zieht, bereits davor zurückschrecken, diesen Wunsch zu kommunizieren,<br />
da er davon ausgeht, der andere Teil werde das Verlangen nach einem Ehevertrag<br />
als mangelndes Vertrauen sowohl gegenüber ihm selbst als auch in<br />
den Bestand der Ehe interpretieren. Es wird bereits ein Streit im Vorfeld der<br />
Ehe befürchtet und um diesem aus dem Weg zu gehen, auf einen Ehevertrag<br />
verzichtet.<br />
Wird die Ehe ohne Ehevertrag geschlossen, unterliegen die eherechtlichen<br />
Beziehungen ausschließlich den gesetzlichen Regelungen. Solange die Ehe<br />
„funktioniert“ wird sich, das potenzielle Risiko „Ehe“ regelmäßig nicht realisieren,<br />
da das meiste Gefahrenpotenzial den Fall des Scheiterns der Ehe<br />
betrifft. Doch sogar während des Bestehens einer „funktionierenden“ Ehe<br />
können infolge der gesetzlichen Regelungen, beispielsweise der gesetzlichen<br />
normierten Verfügungsverbote, Konflikte auftreten, die allzu häufig<br />
zum Streit führen.<br />
1.1 Verfügungsverbot nach § 1365 Bürgerliches Gesetzbuch<br />
Das häufig unterschätzte Streitpotenzial des in § 1365 des Bürgerlichen<br />
Gesetzbuchs normierten Verfügungsverbots soll anhand des nachfolgenden<br />
Beispielsfalls eindrucksvoll illustriert werden:<br />
Der Ehemann (E) ist neben seinem Vater und seinem Bruder gleichberechtigter<br />
Gesellschafter eines Familienunternehmens. Er hält einen<br />
Gesellschaftsanteil von 33%, der ca. 95% des Vermögens des E ausmacht.<br />
E ist in erster Ehe verheiratet und hat keinen Ehevertrag<br />
geschlossen, so dass er im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft<br />
lebt. E möchte nunmehr seinen Gesellschaftsanteil an<br />
die beiden Mitgesellschafter veräußern und sich aus dem Familienunternehmen<br />
zurückziehen. Seine Ehefrau sieht durch die Veräußerung<br />
des Gesellschaftsanteils die Einnahmequelle der Familie versiegen<br />
und stimmt deshalb der Veräußerung nicht zu.<br />
§ 1365 BGB stellt eine Ausnahme vom Grundsatz dar, dass im Rahmen der Zugewinngemeinschaft<br />
während des Bestehens der Ehe jeder Ehegatte über das<br />
ihm gehörende Vermögen frei verfügen kann. § 1365 Abs. 1 S. 1 BGB verlangt<br />
die Einwilligung eines Ehegatten für Verpflichtungen des anderen Ehegatten, über<br />
sein Vermögen im Ganzen zu verfügen. Anders als der Wortlaut der Vorschrift<br />
vermuten ließe, werden von § 1365 BGB nicht nur Rechtsgeschäfte erfasst, mit<br />
denen sich der der Ehegatte dazu verpflichtet, über 100% seines Vermögens zu<br />
verfügen, sondern auch solche, in denen er lediglich über ca. 90% seines Vermögens<br />
verfügt. Andernfalls würde § 1365 BGB nie zur Anwendung kommen,<br />
da dem Ehegatten bei einer wörtlichen Auslegung „Vermögen im Ganzen“ nicht<br />
einmal ein Bleistift verbleiben dürfte. § 1365 BGB verfolgt den Zweck, sowohl<br />
einen eventuell späteren Zugewinnausgleichsanspruch zu sichern, als auch der<br />
Familie die wirtschaftliche Lebensgrundlage zu erhalten. Um diese Ziele möglichst<br />
effektiv erreichen zu können, bleiben bei der Beurteilung, ob eine Verfügung über<br />
das Vermögen im Ganzen vorliegt, vertragliche Gegenleistungen, z.B. der für den<br />
Gesellschaftsanteil erzielte Kaufpreis, außer Betracht. Grund hierfür ist, dass die<br />
vertragliche Gegenleistung zumeist in Geld besteht und dieses sich erfahrungsgemäß<br />
schneller „verflüchtigt“ als werthaltige Beteiligungen an einer Gesellschaft.<br />
104 1 http://www.efg-hohenstaufenstr.de/downloads/tabellen/scheidungen_eheschliessungen.htm<br />
105
9<br />
9<br />
Bezogen auf vorstehendes Beispiel würde dies bedeuten, dass der<br />
Ehemann seinen Gesellschaftsanteil nur dann wirksam veräußern kann,<br />
wenn eine entsprechende Zustimmung seiner Ehefrau vorliegt, da der<br />
Gesellschaftsanteil ca. 95% des Vermögens des Ehemanns ausmacht und<br />
somit die Veräußerung des Gesellschaftsanteils – nach zuvor dargelegten<br />
Grundsätzen – zu einer Verfügung über sein Vermögen im Ganzen führt. Ob<br />
der Rückzug des Ehemanns aus dem Familienunternehmen auf die von ihm<br />
geplante Weise möglich ist, hängt damit maßgeblich vom Wohlwollen seiner<br />
Ehefrau ab. Da die Ehefrau der Veräußerung nicht zustimmt, kann der<br />
Ehemann seinen Gesellschafteranteil nicht wirksam veräußern und das von<br />
ihm angedachte Ziel nicht verwirklichen. Offensichtlich verfolgt der Ehemann<br />
hier einen anderen beruflichen Werdegang, als seine Ehefrau für ihn vorgesehen<br />
hat. Streit in der Ehe ist damit vorprogrammiert. Sollte der Ehemann<br />
darüber hinaus den anderen Gesellschaftern sein Ausscheiden quasi fest<br />
zugesagt haben, so wird der familiäre Streit darüber hinaus in den Kreis der<br />
Gesellschafter hineingetragen.<br />
1.2 Zugewinnausgleich<br />
Wie bereits angedeutet, realisiert sich das Risiko „Ehe“ regelmäßig in<br />
besonders schwerem Maße, wenn die Ehe scheitert und geschieden wird.<br />
Vor allem zu diesem Zeitpunkt entfaltet der gesetzliche Güterstand der<br />
Zugewinngemeinschaft seine wesentlichen Wirkungen, da der während der<br />
Ehezeit erzielte Vermögenszuwachs ausgleichspflichtig wird. Beispiel:<br />
Die Ehegatten leben im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft<br />
und hatten bei Eheschließung keinerlei Anfangsvermögen.<br />
Der Ehemann erbt während der Ehe die Beteiligung an<br />
einem Unternehmen. Diese hat im Zeitpunkt des Erbfalls einen Wert<br />
in Höhe von 1 Million Euro. Dank seiner guten Unternehmensführung<br />
und sparsamer Entnahmen wächst das Unternehmen in den<br />
Folgejahren. Bei Scheidung der Ehe hat die Beteiligung einen Wert<br />
von 10 Millionen Euro. Demgegenüber hat die Ehefrau während der<br />
Ehe kein Vermögen gebildet.<br />
Zwar sieht das Gesetz in § 1365 Abs. 2 BGB die Möglichkeit vor, die erforderliche<br />
Zustimmung des Ehegatten durch eine gerichtliche Zustimmung<br />
Zugewinn auszugleichen. Unter Zugewinn ist der Betrag zu verstehen, um<br />
Wird die Zugewinngemeinschaft durch Scheidung beendet, so ist der<br />
ersetzen zu lassen, sofern der Ehegatte die Zustimmung ohne ausreichenden<br />
Grund verweigert. Die Vorschrift hat in der Praxis jedoch nahezu keine<br />
(§ 1373 BGB).<br />
den das Endvermögen eines Ehegatten sein Anfangsvermögen übersteigt<br />
Relevanz, da die Rechtsprechung einen ausreichenden Grund bereits dann<br />
bejaht, wenn die Gefahr besteht, dass ein potenzieller Zugewinnausgleichsanspruch<br />
nicht mehr realisiert werden kann. Dies dürfte bei Ver-<br />
Verbindlichkeiten bei Eintritt des Güterstandes – hier der Eheschließung – ge-<br />
Anfangsvermögen ist das Vermögen, das einem Ehegatten nach Abzug der<br />
fügungen über das Vermögen im Ganzen oder einem erheblichen Teil<br />
hört. Das Anfangsvermögen kann allenfalls den Wert 0 erreichen (§ 1374 Abs.1<br />
regelmäßig der Fall sein, so dass das Gericht die erforderliche Zustimmung<br />
HS. 2 BGB). Es darf hingegen nie von einem negativen Anfangsvermögen ausgegangen<br />
werden. Zum Anfangsvermögen gehört gemäß § 1374 Abs. 2 BGB<br />
nicht ersetzen wird.<br />
auch solches Vermögen, das nach Eintritt des Güterstandes – hier während der<br />
Der Streit kann jedoch bereits im Vorfeld durch eine ehevertragliche<br />
Ehezeit – von Todes wegen oder mit Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht, durch<br />
Vereinbarung vermieden werden, indem die Ehegatten die Anwendbarkeit<br />
Schenkung oder als Ausstattung erworben wurde. Man spricht insoweit von<br />
des § 1365 BGB ausschließen und bestimmen, dass jeder Ehegatte über sein<br />
privilegiertem Vermögen.<br />
Vermögen gänzlich frei verfügen kann. Dabei kann eine dahingehende<br />
Vereinbarung auch auf bestimmte Vermögenswerte wie beispielsweise<br />
Endvermögen ist das Vermögen, das einem Ehegatten nach Abzug der Verbindlichkeiten<br />
bei der Beendigung des Güterstandes gehört (§ 1375 Abs.1<br />
Gesellschaftsbeteiligungen beschränkt werden.<br />
106 107
9<br />
9<br />
S. 1 BGB). Der Güterstand ist mit Eintritt der Rechtskraft der Scheidung beendet,<br />
so dass grundsätzlich dieser Zeitpunkt für die Berechnung des Endvermögens<br />
maßgeblich wäre. Gemäß § 1384 BGB wird dieser Zeitpunkt jedoch auf<br />
den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags vorverlagert, um<br />
Manipulationen des Endvermögens in der kritischen Phase der Rechtshängigkeit<br />
des Scheidungsantrags vorzubeugen. Das Endvermögen kann ebenso wie das<br />
Anfangsvermögen als minimalsten Wert den Wert 0 annehmen (vgl. § 1375<br />
Abs. 1 S. 2 BGB).<br />
Für die Berechnung des Zugewinnausgleichs wird folglich zunächst der<br />
Zugewinn eines jeden Ehegatten gesondert ermittelt. Die so errechneten Zugewinne<br />
werden sodann miteinander verglichen. Übersteigt der Zugewinn<br />
des einen Ehegatten den Zugewinn des anderen, so steht die Hälfte des<br />
Überschusses dem anderen Ehegatten als Ausgleichsforderung, sog. Zugewinnausgleich,<br />
zu (§ 1378 Abs. 1 BGB).<br />
Für vorstehendes Beispiel ergibt sich demnach folgende Lösung:<br />
Da der Ehemann die Unternehmensbeteiligung geerbt hat, ist sie als privilegiertes<br />
Vermögen dem Anfangsvermögen zuzurechnen. Das Anfangsvermögen<br />
beträgt mithin 1 Million Euro 2 . Das Endvermögen beläuft sich auf 10 Millionen<br />
Euro, so dass der Ehemann durch die Wertsteigerung der Unternehmensbeteiligung<br />
einen Zugewinn in Höhe von 9 Millionen Euro erzielt hat.<br />
Das Anfangs- und Endvermögen der Ehefrau beträgt jeweils 0 Euro, folglich<br />
hat sie keinen Zugewinn erzielt. Der Ehemann muss mithin 4,5 Millionen Euro<br />
als Zugewinnausgleich an seine Ehefrau zahlen. Zur Begleichung des Anspruchs<br />
der Ehefrau ist der Ehemann regelmäßig darauf angewiesen, entsprechende<br />
Entnahmen aus dem Unternehmen zu tätigen. Die so abfließende<br />
Liquidität fehlt dem Unternehmen wiederum für neue Investitionen.<br />
Der Ehemann wird als Unternehmer daher regelmäßig versuchen, den Wert<br />
seine Beteiligung so gering wie möglich anzugeben. Hingegen wird die<br />
Ehefrau auf eine möglichst hohe Bewertung des Unternehmensanteils drängen,<br />
da sich somit ihre Zugewinnausgleichsforderung erhöht.<br />
Grundsätzlich ist der Marktwert der Beteiligung maßgebend, soweit er feststellbar<br />
ist. Gerade bei kleineren und mittleren Familienunternehmen lässt sich<br />
ein solcher Wert jedoch oft nicht klar feststellen. Lässt sich ein Marktwert<br />
nicht ermitteln, wird auf einen fiktiven Verkehrswert der Beteiligung abgestellt.<br />
Dieser setzt sich sowohl aus dem Ertrags- als auch Substanzwert des<br />
Unternehmens sowie dem Goodwill zusammen. Diese Berechnungsmethode<br />
kann zu einer hohen Bewertung der Beteiligung führen, unabhängig davon,<br />
ob ein entsprechender Betrag bei der Veräußerung der Beteiligung tatsächlich<br />
erzielt werden könnte. Etwaige im Gesellschaftsvertrag enthaltene Bewertungsklauseln,<br />
die für verschiedene Fälle des Ausscheidens eines Gesellschafters<br />
Abfindungsansprüche regeln, werden von der Rechtsprechung<br />
im Rahmen der Ermittlung des Zugewinnausgleichs nicht anerkannt. Der Gesellschaftsanteil<br />
wird unabhängig von derartigen Klauseln bewertet.<br />
Einflussnahmen, die zu einer niedrigeren Bewertung des Gesellschaftsanteils<br />
führen, sind daher schwierig! Es besteht nur ein enger Spielraum, etwa im<br />
Rahmen des Bewertungskriteriums Goodwill. Obwohl die unterschiedlichen<br />
Bewertungen regelmäßig im Vergleich zum Gesamtwert nur marginal auseinander<br />
liegen werden, zeigt gerade die Erfahrung aus der anwaltlichen Praxis,<br />
dass diesbezüglich oftmals ein erbitterter Streit entsteht, da der Ehemann<br />
„sein Unternehmen“ schützen, die Ehefrau aber gleichzeitig auf nichts verzichten<br />
möchte, was ihr nach dem Gesetz rechtmäßig zusteht.<br />
Um Streit insoweit zu vermeiden, empfiehlt es sich, zumindest hinsichtlich der<br />
Unternehmensbeteiligung eine ehevertragliche Vereinbarung zu treffen. Diese<br />
kann beispielsweise dahingehend ausgestaltet sein, dass die Unternehmensbeteiligung<br />
nicht in den Zugewinnausgleich fällt. Dabei sollte an eine diesbezügliche<br />
vertragliche Regelung insbesondere auch gedacht werden, wenn die<br />
Unternehmensbeteiligung geerbt wird und die Ehegatten bis dahin im gesetzlichen<br />
Güterstand gelebt haben.<br />
1.3 Auskunftsansprüche<br />
Auch die einem Ehegatten zustehenden Auskunftsansprüche, sei es im Rahmen<br />
der Durchführung des Zugewinns, sei es bei der Ermittlung von Unterhaltsansprüchen,<br />
sind hinsichtlich ihres Risikofaktors nicht zu unterschätzen.<br />
108 2 Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurde auf eine Indexierung der Vermögenswerte verzichtet.<br />
109
9<br />
9<br />
Für viele Gesellschaften ist die vertrauliche Behandlung interner Informationen<br />
betreffend die wirtschaftliche Situation, Kalkulation, stille Reserven und Bewertung<br />
von Ressourcen von erheblicher Bedeutung. Die Rechtsprechung<br />
hat jedoch für den Auskunftsanspruch im Rahmen des Zugewinnausgleichs<br />
entschieden, dass, sofern ein Gesellschaftsanteil zum Endvermögen des<br />
anderen Ehegatten gehört, der Auskunftsanspruch auch den Anspruch auf<br />
Vorlage der Bilanzen, Gewinn- und Verlustrechnungen sowie des Gesellschaftsvertrags<br />
mit umfasst. Für eine Gesellschaft, die nicht nach den handelsrechtlichen<br />
Vorschriften zur Offenlegung verpflichtet ist, steht eine solche<br />
Verpflichtung des Gesellschafters im Gegensatz zu den eigenen Geheimhaltungsinteressen<br />
und sollte deshalb durch eine entsprechende ehevertragliche<br />
Regelung vermieden werden. Dies kann, wie bereits im Rahmen des<br />
Zugewinnausgleichs dargelegt, etwa dadurch erfolgen, dass der Gesellschaftsanteil<br />
nicht in den Zugewinnausgleich fällt. Es besteht dann kein Auskunftsbedürfnis<br />
hinsichtlich des Gesellschaftsanteils, da er für die Ermittlung<br />
des Zugewinnausgleichs bedeutungslos ist.<br />
1.4 Möglichkeiten zur Minimierung des Risikos „Ehe“<br />
Viele Risiken und Konfliktfelder können bereits im Vorfeld durch den Abschluss<br />
einer ehevertraglichen Vereinbarung beseitigt und so Streit vermieden<br />
werden. Positive Antriebsfeder für eine Entscheidung pro Ehevertrag sollten<br />
nachfolgende Überlegungen sein:<br />
Der Abschluss eines Ehevertrags ist in keiner Weise geeignet, das Gelingen<br />
oder Nichtgelingen einer Ehe zu beeinflussen. Sein Vorhandensein gibt<br />
aber Sicherheit und eine verlässliche Grundlage für die Vermögensauseinandersetzung,<br />
sollte es zur Scheidung kommen.<br />
Den Ehegatten steht es insoweit frei, anstelle der Zugewinngemeinschaft den<br />
Güterstand der Gütertrennung zu wählen. Es muss jedoch beachtet werden,<br />
dass durch die Wahl eines dieser Güterstände vielleicht die Risiken der<br />
Zugewinngemeinschaft ausgeschlossen werden können, gleichzeitig bergen<br />
sie aber ganz eigene Risiken in sich, deren Darstellung den Umfang des vorliegenden<br />
Beitrags sprengen würde. In der Praxis wird deshalb bevorzugt die<br />
sog. modifizierte Zugewinngemeinschaft vertraglich vereinbart. Grundlage<br />
sind insoweit die gesetzlichen Regelungen zur Zugewinngemeinschaft, die<br />
jedoch nach den Bedürfnissen der Ehegatten modifiziert werden.<br />
In der Vergangenheit tendierten Unternehmer, die die Notwendigkeit eines<br />
Ehevertrags erkannten,dazu, im Ehevertrag sämtliche güterrechtlichen<br />
Folgen, angefangen vom Zugewinnausgleich über den nachehelichen<br />
Unterhalt bis hin zum Versorgungsausgleich, vollumfänglich auszuschließen.<br />
Zu einem derartigen Totalausschluss der güterrechtlichen Folgen kann heute<br />
im Hinblick auf die noch im Fluss befindliche Rechtsprechung des<br />
Bundesverfassungsgerichts sowie Bundesgerichtshofs zur Inhaltskontrolle<br />
von Eheverträgen nicht mehr geraten werden. Da der Ehevertrag Risiken vermeiden<br />
und nicht selbst zu einem werden soll, ist es angezeigt, die ehevertraglichen<br />
Regelungen innerhalb der von der Rechtsprechung bislang gesetzten<br />
Parameter zu halten.<br />
Demnach darf die Vertragsfreiheit der Parteien nicht dazu führen, dass der<br />
Schutzzweck der gesetzlichen Regelungen durch vertragliche Vereinbarungen<br />
beliebig unterlaufen wird. Dies ist der Fall, wenn eine offensichtlich<br />
einseitige und durch die individuelle Gestaltung der Ehe nicht gerechtfertigte<br />
Lastenverteilung entsteht, die dem belasteten Ehegatten auch unter<br />
Berücksichtigung der Interessen des anderen Ehegatten unzumutbar ist.<br />
Eine frühzeitige Regelung eröffnet meistens die Möglichkeit, eine optimale<br />
Die Belastung des einen Ehegatten wiege dabei umso schwerer, je unmittelbarer<br />
die vertragliche Abbedingung der gesetzlichen Regelung in den<br />
Lösung zu finden. Unabhängig von einem bereits schwelenden oder gar<br />
schon bestehenden Konflikt kann eine allen Interessen gerecht werdende<br />
„Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts“ eingreife. Der Zugewinnausgleich,<br />
Lösung leichter gefunden werden. Die Verhandlungssituation wird nicht<br />
der die größten wirtschaftlichen Risiken für ein Familienunternehmen birgt,<br />
durch persönliche Ressentiments, die regelmäßig Folge eines Konflikts<br />
gehört nach dem derzeitigen Stand der Rechtsprechung nicht zum Kernbereich<br />
des Scheidungsfolgenrechts, da die Ehe nicht unbedingt zugleich<br />
sind, belastet.<br />
110 111
9<br />
9<br />
eine Wirtschaftsgemeinschaft sein muss. Dies zeigt bereits die vom Gesetz<br />
vorgesehene Möglichkeit, durch Wahl der Gütergemeinschaft oder Gütertrennung<br />
den Zugewinnausgleich auszuschließen. Er kann folglich abbedungen<br />
oder derart modifiziert werden, dass die Unternehmensbeteiligung nicht<br />
in den Zugewinnausgleich fällt.<br />
Entscheiden sich die Ehegatten für einen Ehevertrag, um den angesprochenen<br />
Risiken vorzubeugen, so ist zu bedenken, dass der Ehevertrag der notariellen<br />
Form bedarf. Eine lediglich privatschriftliche Vereinbarung kann hingegen<br />
keine Rechtswirkungen entfalten.<br />
2. Risiko „Pflichtteilsrecht“<br />
Ebenso wie das Risiko „Ehe“ wird das Risiko „Pflichtteilsrecht“ nur selten<br />
wahrgenommen. Grund hierfür mag der Gedanke vieler Unternehmer sein, sie<br />
müssten sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht mit ihrer eigenen<br />
Vergänglichkeit auseinander setzen. Dabei lassen sie die Möglichkeit eines<br />
plötzlichen Ablebens etwa infolge eines Unfalls gänzlich außer Acht und<br />
bedenken nicht, dass es dann an einer bewusst gestalteten, für das Unternehmen<br />
risikoarmen Nachfolgeregelung fehlt.<br />
falls sogar alle in das Unternehmen, aber mit unterschiedlichen Beteiligungen<br />
einrücken, leidet regelmäßig auch die Unternehmenskultur.<br />
Wie sehr Pflichtteilsansprüche den zum Erbenkreis gehörenden<br />
Unternehmensnachfolger und damit mittelbar das Unternehmen belasten<br />
können, zeigt folgendes Beispiel:<br />
Unternehmer A ist neben seiner Ehefrau E und seinem Sohn X persönlich<br />
haftender Gesellschafter einer OHG. Neben seinem Sohn X<br />
hat A noch zwei weitere Kinder Y und Z, die jedoch nicht an der<br />
Gesellschaft beteiligt sind. Mit seiner Ehefrau E hat A einen Ehevertrag<br />
geschlossen, in dem der Zugewinnausgleichsanspruch im Falle der<br />
Beendigung des Güterstandes ausgeschlossen wurde. Das<br />
Vermögen des A besteht dabei fast ausschließlich aus der<br />
Gesellschaftsbeteiligung.<br />
A bestimmt durch Testament, dass Erben seine gesetzlichen Erben X,<br />
Y und Z zu gleichen Teilen sein sollen. Y soll dabei den Gesellschaftsanteil<br />
an der OHG erhalten. Der Wert des Gesellschaftsanteils beträgt<br />
1,5 Millionen Euro. Die Ehefrau E wurde nicht bedacht, da sie einen<br />
notariellen Erbverzicht erklärt hatte.<br />
Setzt sich der Unternehmer mit der Problematik auseinander, so scheut er<br />
Nach der testamentarischen Verfügung des A wird er von X, Y und Z zu gleichen<br />
Teilen und somit je 1/3 beerbt. Der Anteil eines jeden Erben am<br />
sich oft, die von ihm getroffene Nachfolgeregelung zu kommunizieren, um<br />
einem Streit zwischen den Erben über eine eventuelle Bevorzugung bzw.<br />
Gesamtnachlass beträgt somit 500.000,- Euro. Y, der den Gesellschaftsanteil<br />
Benachteiligung aus dem Weg zu gehen. Eine entsprechende Regelung wird<br />
erhält, hat folglich 1 Million Euro mehr erhalten, als ihm am Nachlass zusteht.<br />
von ihm vielmehr einseitig im Testament getroffen werden, ohne dass andere<br />
Diesen Betrag muss er gegenüber den anderen Miterben X und Z zum<br />
hiervon Kenntnis erlangen. Nimmt der Unternehmer dann auch noch keine<br />
Ausgleich bringen. Y ist somit einer Zahlungsverpflichtung in Höhe von 1 Million<br />
Euro ausgesetzt. Sofern Y neben dem Gesellschaftsanteil über kein<br />
rechtsberatende Hilfe in Anspruch, so kann sich die von ihm getroffene<br />
Nachfolgeregelung schnell als wirtschaftliches Desaster für das Unternehmen<br />
erhebliches Vermögen verfügt, wird er nicht in der Lage sein, die Miterben<br />
darstellen, wenn sich die Nachfolger mit erheblichen Pflichtteils- oder<br />
auszuzahlen. Es bleibt dann nur die Liquidation der OHG oder der Verkauf<br />
Erbschaftssteueransprüchen sehen. Der Streit zwischen Erben ist vorprogrammiert.<br />
Durch fehlende vernünftig strukturierte Regelungen wird der Streit<br />
wünscht ist. Bestehen die Miterben auf hohe Ausgleichszahlung, ohne sich<br />
des Gesellschaftsanteils, was gerade in Familienunternehmen meist uner-<br />
folglich nur auf einen späteren Zeitpunkt, nämlich nach den Tod des Unternehmers,<br />
verlagert. Bei einem Streit unter den Nachfolgern, die gegebenen-<br />
sen, wird jedoch häufig nur der Verkauf als einziger Ausweg bleiben.<br />
auf eine entsprechende Stundung oder Ratenzahlungsvereinbarung einzulas-<br />
112 113
9<br />
9<br />
Der Erblasser kann diesem Risiko etwa dadurch begegnen, dass er durch<br />
letztwillige Verfügung von Todes wegen den Ausgleich durch die Anordnung<br />
eines Vorausvermächtnisses ausschließt.<br />
finanziellen Belastung des Gesellschafters Y und mittelbar der Gesellschaft<br />
dar, andererseits kann auch noch dieser Betrag Gesellschaften mit einer nur<br />
sehr dünnen liquiden Finanzdecke in Bedrängnis bringen.<br />
Ein Vorausvermächtnis liegt vor, wenn dem Vermächtnisnehmer zusätzlich zu<br />
seinem Erbteil ein Vermögensvorteil zugewendet wird, den er sich nicht auf<br />
seinen Erbteil anrechnen lassen muss.<br />
Bereits hieran zeigt sich, dass der Erblasser durch eine geschickte testamentarische<br />
Verfügung das Risiko eines Liquiditätsabflusses senken kann. Einen<br />
Streit unter den Erben wird er so aber wohl kaum verhindern können. Gerade<br />
Hätte der Unternehmer A in obigem Beispielsfall testamentarisch verfügt,<br />
dass Y den Gesellschaftsanteil als Vorausvermächtnis erhalten soll, so ist er<br />
grundsätzlich gegenüber den Miterben nicht zum Ausgleich verpflichtet. Es<br />
besteht insoweit jedoch die Besonderheit, dass das Vermögen und damit der<br />
Nachlass des A allein in dem Gesellschaftsanteil besteht und darüber hinaus<br />
kein nennenswertes Vermögen vorhanden ist. Die Anordnung des Vorausvermächtnisses<br />
würde folglich dazu führen, dass X und Z zwar nicht enterbt<br />
würden, weil sie im Testament grundsätzlich als Erben benannt sind, de facto<br />
aber nichts aus dem Nachlass erhalten würden, mithin faktisch enterbt wären.<br />
benachteiligte Erben neigen oft dazu, ihren Pflichtteil bzw. Ausgleichsanspruch<br />
sodann auf einmal geltend zu machen, wohl wissend, dass sie hierdurch dem<br />
Erben am meisten schaden. Dem kann der Erblasser vorbeugen, indem er<br />
Auszahlungsmodalitäten, wie Stundungen und Ratenzahlungen, festlegt. Dem<br />
belasteten Gesellschaftererben ist es folglich möglich, die entsprechenden<br />
Mittel für die Ausgleichszahlung aus der Gesellschaft heraus nach und nach zu<br />
erwirtschaften. Auch kann der Erblasser bestimmen, wie der Wert des<br />
Gesellschaftsanteils zu ermitteln ist, beispielsweise anhand des Buchwerts,<br />
und so die Höhe des Ausgleichsanspruchs insgesamt beeinflussen.<br />
Da X und Z im Testament als Erben bedacht sind, steht ihnen kein Pflichtteilsanspruch<br />
zu. Der Erblasser könnte somit das Pflichtteilsrecht ad absurdum<br />
führen, indem er alle Pflichtteilsberechtigten als Erben einsetzt, aber<br />
letztlich seinen gesamten Nachlass als Vorausvermächtnis nur einem der<br />
Erben zuwendet. Da dies mit dem verfassungsrechtlich geschützten Pflichtteilsrecht<br />
unvereinbar ist, kann der Erblasser durch die Anordnung eines Vorausvermächtnisses<br />
Die bislang aufgezeigten Möglichkeiten führen nur dazu, den Ausgleichsanspruch<br />
so gering wie möglich zu halten und die finanzielle Belastung für<br />
den Gesellschaftererben besser zu verteilen. Weitaus effektiver ist es jedoch,<br />
auch um späteren Streit zwischen den Erben zu vermeiden, noch zu Lebzeiten<br />
einen notariellen Pflichtteilsverzicht zu vereinbaren.<br />
die Ausgleichspflicht nur in den Grenzen des Pflichtteils-<br />
rechts ausschließen. Die übergangenen Miterben müssen folglich zumindest<br />
3. Fazit<br />
das erhalten, was sie im Falle ihrer Enterbung als Pflichtteil erhalten hätten.<br />
Die bewusste Nichtregelung von Risiken sowie die Nichtkommunikation von<br />
Da E einen wirksamen Erbverzicht erklärt hat, ist sie bei der Ermittlung der<br />
Erbquoten nicht mehr zu berücksichtigen. X, Y und Z erben als Kinder des<br />
Erblassers A zu gleichen Teilen, d.h. zu jeweils 1/3. Die Pflichtteilsquote bestimmt<br />
sich nach der Hälfte des gesetzlichen Erbteils, mithin beträgt sie vorliegend<br />
1/6. X und Z hätten somit Anspruch auf 1/6 des Nachlasswerts.<br />
Y hätte folglich jeweils 250.000,- Euro zum Ausgleich zu bringen. Im Vergleich<br />
getroffenen Regelungen vermeidet Streit nur vordergründig. Realisiert sich<br />
das Risiko zu einem späteren Zeitpunkt, so lässt sich Streit regelmäßig nicht<br />
mehr vermeiden. Aufgrund fehlender vertraglicher Vereinbarung tritt die gesetzliche<br />
Regelung ein, die nur selten den individuellen Interessen aller Seiten<br />
gerecht wird. Die Folge ist leider allzu oft ein langer, erbitterter Streit zwischen<br />
den Beteiligten. Dieser belastet nicht nur die familiären Beziehungen, sondern<br />
zur Ausgleichspflicht bei einer bloßen Teilungsanordnung des Erblassers in<br />
mittelbar auch das Unternehmen, insbesondere dann, wenn die<br />
Höhe von insgesamt 1 Million Euro stellt dies eine erhebliche Reduzierung der<br />
Familienmitglieder ebenfalls am Unternehmen beteiligt sind.<br />
114 115
9<br />
Gerd Marxer und<br />
10<br />
Das Gesetz eröffnet eine Reihe von Gestaltungsmöglichkeiten. Durch individualvertragliche<br />
Vereinbarungen kann eine auf die persönlichen und unternehmerischen<br />
Interessen der Beteiligten zugeschnittene Regelung getroffen<br />
werden, die eine verlässliche Grundlage im Streitfall bietet und diesen grundsätzlich<br />
schnell zu beenden vermag und im Idealfalle erst gar nicht zum<br />
Entstehen kommen lässt. Eine Unternehmenskultur kann sich also durch eine<br />
Streitkultur auszeichnen, in der Streit von Beginn an durch entsprechende Regelungen<br />
und die Kommunikation derselben vermieden wird bzw. im Streitfall<br />
den Streit durch die klaren Vereinbarungen schnell beseitigt.<br />
Über die Autorin:<br />
Romana Traichel ist Rechtsanwältin, Fachanwältin für Erbrecht, Fachanwältin<br />
für Familienrecht und Partnerin der internationalen Rechtsanwaltssozietät<br />
Taylor Wessing, wo sie das Department Private Client leitet.<br />
Romana Traichel berät vermögende Privatpersonen in den Bereichen Erbrecht<br />
und Vermögensnachfolge sowie Familienrecht. Sie gestaltet seit vielen<br />
Jahren erbrechtliche Verfügungen unter besonderer Berücksichtigung etwaiger<br />
gesellschaftsrechtlicher Bezüge sowie steuerlicher Zielsetzungen. Sie ist<br />
als Testamentsvollstreckerin tätig. Schwerpunkt im Bereich des Familienrechts<br />
ist die Beratung vor dem Abschluss von Eheverträgen sowie die Verhandlung<br />
und Gestaltung von komplexen Scheidungsfolgenvereinbarungen.<br />
Sie ist in allen erbrechtlichen und familienrechtlichen Bereichen auch forensisch<br />
tätig. Aufgrund der Internationalität ihrer Mandanten liegt ein weiterer<br />
Schwerpunkt ihrer Tätigkeit im internationalen Privatrecht.<br />
Dr. Dominic Wader<br />
Corporate Governance – ein Thema<br />
für den Mittelstand<br />
1. Standards guter Unternehmensführung<br />
Der 2002 erstmalig veröffentlichte Deutsche Corporate Governance Kodex<br />
(„DCGK“) verfolgt als ein wesentliches Ziel, das deutsche System der Corporate<br />
Governance, insbesondere das Vorstand-Aufsichtsrat-Modell, gegenüber<br />
dem internationalen Kapitalmarkt zu erklären und damit vor allem ausländischen<br />
Anlegern einen besseren Einblick in das deutsche System der<br />
Unternehmensführung und -kontrolle zu geben. Insofern richtet sich der Kodex<br />
in erster Linie an börsennotierte Gesellschaften, die einmal jährlich dessen<br />
Einhaltung bzw. Abweichungen von den Empfehlungen des Kodex in<br />
einer sogenannten Entsprechenserklärung offen legen.<br />
In der Präambel des DCGK ist festgehalten, dass auch nicht börsennotierten<br />
Gesellschaften die Beachtung des DCGK empfohlen wird, auch wenn diese<br />
gesetzlich nicht zur Abgabe einer Entsprechenserklärung verpflichtet sind.<br />
Die Autoren des DCGK waren der Auffassung, dass dieser „in weiten Passagen<br />
allgemeingültige Standards guter Unternehmensführung enthält“, deren<br />
Beachtung für alle Unternehmen sinnvoll ist. Durch diese Empfehlung stellt<br />
der DCGK einen Bezug auch zu mittelständischen Unternehmen her.<br />
Die Ausführungen dieses Beitrags – Corporate Governance – ein Thema für den<br />
Mittelstand – beziehen sich vornehmlich auf den nicht börsennotierten Mittelstand.<br />
Unter mittelständischen Unternehmen werden daher im Folgenden vor<br />
allem Familienunternehmen und eigentümergeführte Unternehmen verstanden.<br />
Die Frage nach Ausstrahlungswirkungen des DCGK auf den Mittelstand soll<br />
im Folgenden detaillierter betrachtet werden. Hierzu werden zunächst die<br />
Strukturen und Bedürfnisse des Mittelstands dargestellt. Schließlich wird untersucht,<br />
ob die Beachtung von Teilen der DCGK-Empfehlungen für Unternehmen<br />
selbst dann von Vorteil ist, wenn keine unmittelbare Anwendungsverpflichtung<br />
besteht.<br />
116 117
10<br />
10<br />
In diesem Zusammenhang wird über die Diskussion der Anwendbarkeit von<br />
3. Transparenzanforderung an mittelständische Unternehmen<br />
Empfehlungen des DCGK auf mittelständische Unternehmen hinaus insbesondere<br />
auch auf den im Herbst 2004 vorgestellten Governance Kodex für<br />
3.1. Anforderungen von Kreditgebern und Mitarbeitern<br />
Familienunternehmen eingegangen.<br />
Eine wesentliche Motivation zur Erarbeitung des DCGK bestand darin, die<br />
Transparenz des deutschen Systems der Unternehmensführung und -kontrolle<br />
gegenüber dem Kapitalmarkt weiter zu erhöhen. Erhöhte Transparenz<br />
2. Struktur und Bedürfnisse des Mittelstands<br />
soll auch dem Ziel dienen, das Vertrauen von Anteilseignern und Dritten in<br />
Kapitalmarktorientierte Unternehmen in der Rechtsform der Aktiengesellschaft<br />
deutsche Aktiengesellschaften zu erhöhen und ihre Anlageentscheidung damit<br />
positiv zu beeinflussen. Allerdings sind nicht nur Kapitalmarktteilnehmer<br />
sind (meist) durch die Trennung von Eigentum und Management gekennzeichnet.<br />
Die Anteilseigner beauftragen spezialisierte Manager mit der Geschäftsführung.<br />
Diese wiederum sind den Eigentümern gegenüber zur Rechenschaft für<br />
und Mitarbeiter legen verstärkten Wert auf transparente Unternehmens-<br />
an einem transparenten Unternehmen interessiert. Auch Fremdkapitalgeber<br />
ihre Tätigkeit verpflichtet.<br />
führungs- und Kontrollstrukturen.<br />
Eine Trennung von Eigentum und Geschäftsführung liegt bei mittelständischen,<br />
Insbesondere durch die neue Eigenkapitalvereinbarung des Baseler Ausschusses<br />
für Bankenaufsicht (Basel II) spüren vor allem mittelständische<br />
nicht börsennotierten Unternehmen oft nicht vor. Viele mittelständische Unternehmen<br />
werden als Einzelunternehmen oder als Personengesellschaft geführt.<br />
Unternehmen eine Verschärfung der Kreditbedingungen. Die Banken haben<br />
In diesem Fall haften die Unternehmer häufig auch mit ihrem Privatvermögen gegenüber<br />
den Gläubigern des Unternehmens. Es ist folgerichtig, dass dann die<br />
jeweiligen Risikoeinschätzung mit Eigenkapital zu unterlegen. Alle Kredit-<br />
nach den Regeln des Basel-II-Abkommens ihre Kredite in Abhängigkeit der<br />
Rechtfertigung unternehmerischen Handelns gegenüber der Öffentlichkeit einen<br />
kunden sind nach modernen Methoden der Risikomessung und -steuerung<br />
geringeren Umfang einnehmen muss als bei börsennotierten Aktiengesellschaften.<br />
Die Transparenz nach außen – eines der wichtigen Ziele des DCGK – hat für<br />
Die Höhe der Eigenkapitalunterlegung hängt damit von der individuellen Bo-<br />
zu beurteilen.<br />
diese Gruppe von Unternehmen daher einen deutlich geringeren Stellenwert.<br />
nität des Kreditnehmers ab. Dies führt dazu, dass<br />
Darüber hinaus sind mittelständische Unternehmen durch flexiblere Strukturen<br />
die Informationsanforderungen an die Unternehmen hinsichtlich<br />
gekennzeichnet als börsennotierte Aktiengesellschaften. Sie treten im<br />
Umfang und Detaillierungsgrad deutlich ansteigen,<br />
Wirtschaftsleben in einer Vielzahl von Rechts- und Organisationsformen auf. Die<br />
Grundsätze der Unternehmensführung und -kontrolle können damit sehr viel<br />
neben dem reinen Zahlenwerk auch andere Kriterien, etwa<br />
schwerer in einem einheitlichen Regelwerk wie dem DCGK dargestellt werden.<br />
Unternehmenstransparenz, Unternehmensstruktur oder<br />
Ein solches Regelwerk muss flexibel genug sein, um die verschiedenen Facetten<br />
Personalqualität an Bedeutung gewinnen und<br />
des Mittelstands abbilden zu können.<br />
Ferner dürfen die Kosten eines solchen Regelwerkes nicht außer Acht gelassen<br />
die „entpersonalisierte“ Bewertung der Bonität bedeutsamer wird.<br />
werden. Gerade dem Mittelstand ist daran gelegen, keine neuen zusätzlichen<br />
Vorschriften erfüllen zu müssen, denen kein Nutzen gegenübersteht. Vielmehr<br />
Es ist zu erwarten, dass Unternehmen mit einer ungünstigen Risikoeinschätzung<br />
entweder höhere Kreditzinsen zu zahlen haben oder u.U. kein neues Ka-<br />
benötigt der Mittelstand flexible Lösungen. Dem kommt die Formulierung des<br />
DCGK, der nicht börsennotierten Unternehmen seine Befolgung nur empfiehlt,<br />
pital mehr bekommen werden. Die steigenden Anforderungen von Fremdkapitalgebern<br />
werden zu einer erhöhten Transparenz auch mittelständischer<br />
prinzipiell entgegen.<br />
118 119
10<br />
10<br />
Unternehmen führen (müssen). Allerdings sollte dabei nicht übersehen werden,<br />
dass die Bedeutung der Transparenz eines Unternehmens nicht zum<br />
Unternehmen<br />
4. Corporate Governance-Standards in mittelständischen<br />
alleinigen Wertmaßstab bei der Bewertung der Kreditwürdigkeit erhoben werden<br />
kann. Die Investition in ein ertragreiches und zukunftsträchtiges Unter-<br />
Unternehmen<br />
4.1 Umsetzungsmöglichkeiten des DCGK in mittelständischen<br />
nehmen ist für Kapitalgeber allemal attraktiver als die Investition in ein substanz-<br />
und ertragsloses Unternehmen, selbst wenn dieses noch so transparent<br />
sein mag.<br />
Unternehmen von denen börsenotierter Aktiengesellschaften in wesentlichen<br />
Neben der Feststellung, dass sich Struktur und Bedürfnisse mittelständischer<br />
Auch in Fragen der Steigerung der Anziehungskraft für qualifiziertes Personal<br />
Punkten unterscheiden, ist eine Anwendung des DCGK für mittelständische<br />
wird die Unternehmenstransparenz zu einem Thema für den Mittelstand. Auf<br />
Unternehmen überhaupt nur eingeschränkt denkbar. Empfehlungen des<br />
Dauer werden es wenig transparente Familiengesellschaften mit undurchsichtigen<br />
Führungs- und Entscheidungsstrukturen schwer haben, qualifizierte<br />
etwa dann nicht in mittelständischen Unternehmen umgesetzt werden, wenn<br />
DCGK, die sich an einzelne Organe bzw. deren Mitglieder richten, können<br />
Führungskräfte zu gewinnen bzw. auf Dauer an das Unternehmen zu binden.<br />
das Unternehmen überhaupt nicht über die jeweiligen Organe oder vergleichbare<br />
Gremien verfügt. Eine Personengesellschaft beispielsweise hat weder<br />
Diese Mitarbeiter wollen klare Strukturen und Unternehmensperspektiven aufgezeigt<br />
bekommen.<br />
eine Hauptversammlung noch einen Aufsichtsrat. Auch Empfehlungen zur<br />
Ausgestaltung der Mitbestimmung laufen möglicherweise ins Leere.<br />
Als Fazit bleibt: Die Grundausrichtung des DCGK, Unternehmen zu mehr<br />
Andererseits können z.B. Empfehlungen des DCGK zur Transparenz oder Rechnungslegung<br />
durchaus auf mittelständische Unternehmen übertragen werden.<br />
Transparenz zu bewegen, ist auch unter dem Aspekt zu verstehen, dass nicht<br />
nur Transparenz gegenüber dem Kapitalmarkt, sondern auch gegenüber<br />
anderen Stakeholdern, etwa Fremdkapitalgebern oder Mitarbeitern, empfehlenswert<br />
ist.<br />
4.2 Der Governance Kodex für Familienunternehmen<br />
Angesichts der begrenzten Umsetzbarkeit von Empfehlungen des DCGK in<br />
3.2. Corporate Governance als zukunftsorientiertes Handeln<br />
mittelständischen Unternehmen einerseits und der grundsätzlich auch für diese<br />
Unternehmen sinnvollen Festlegung von Corporate Governance-Standards andererseits,<br />
entstand der im Herbst 2004 der Öffentlichkeit präsentierte Gover-<br />
Für viele expandierende mittelständische Unternehmen stellt sich das Problem<br />
der Kapitalbeschaffung für die Finanzierung des weiteren Unternehmenswachstums.<br />
Wenn die bisherigen Familiengesellschafter den z.T. erhebl-<br />
haben namhafte Persönlichkeiten einen auf die spezifischen Bedürfnisse von<br />
nance Kodex für Familienunternehmen. Unter dem Vorsitz von Prof. Dr. May<br />
ichen Kapitalbedarf nicht aufbringen können, kann sich kurz- oder mittelfristig<br />
die Finanzierung über den Kapitalmarkt – etwa über Private-Equity-<br />
Der Governance Kodex für Familienunternehmen richtet sich vornehmlich an<br />
Familienunternehmen ausgerichteten Verhaltenskodex aufgestellt.<br />
Gesellschaften – als sinnvolle Alternative anbieten. In derartigen Fällen ist die<br />
mittelgroße und große Familienunternehmen mit mehreren Gesellschaftern.<br />
Beschäftigung mit Corporate Governance-Themen, u.a. der Prüfung der<br />
Im Gegensatz zum DCGK, der einerseits gesetzliche Anforderungen wiedergibt<br />
und andererseits Empfehlungen und Anregungen ausspricht, beschränkt<br />
Umsetzung (von Teilen) des Deutschen Corporate Governance Kodex, ratsam.<br />
Dadurch wird die schrittweise Heranführung an die Anforderungen, die<br />
sich der Kodex für Familienunternehmen auf das Aussprechen von Empfehlungen.<br />
Hinzu kommt, dass nicht vorgesehen ist, den Stand der Umsetzung<br />
an ein kapitalmarktorientiertes Unternehmen z.B. im Bereich der Unternehmenstransparenz<br />
gestellt werden, möglich.<br />
dieser Empfehlungen in einer – wie auch immer gearteten – Entsprechens-<br />
120 121
10<br />
10<br />
erklärung offen zu legen. Vor dem Hintergrund der aufgrund der Eigentümerstruktur<br />
geringeren Bedeutung der Transparenz nach außen erscheint<br />
nehmen sind als mittelstandsspezifische Corporate Governance-Standards<br />
Auch generelle Regelungen zur Mitarbeit von Familienmitgliedern im Unter-<br />
dieser weniger formalisierte Prozess der Festschreibung von Corporate<br />
zu bezeichnen und dienen – bei rechtzeitiger Festschreibung – der Steigerung<br />
Governance-Standards für mittelständische Unternehmen konsequent.<br />
der Transparenz sowie der Konfliktvermeidung. Die Antwort der Eigentümer<br />
Inhaltlich behandelt der Governance Kodex für Familienunternehmen schwerpunktmäßig<br />
die Bereiche der Unternehmensleitung und Unternehmenskon-<br />
Hände geben und sich auf Aufsichtsfunktionen beschränken, ist für die wei-<br />
auf die Frage, ob sie die Unternehmensleitung selbst ausüben oder in fremde<br />
trolle. Unter der Rubrik Unternehmensleitung werden Empfehlungen zur Anzahl<br />
tere Entwicklung des Unternehmens von zentraler Bedeutung. Der<br />
und Aufgabenverteilung der Geschäftsführer, zur Auswahl von Führungskräften<br />
Governance Kodex für Familienunternehmen stellt diesbezüglich klar, dass<br />
oder zur Sicherung der Führungsnachfolge ausgesprochen. Im Bereich der<br />
das Eigentum am Unternehmen keinen automatischen Anspruch auf Mitarbeit<br />
im Unternehmen oder eine bevorzugte Behandlung bei sonstigen<br />
Unternehmenskontrolle werden die Zusammensetzung und Aufgaben des<br />
Kontrollorgans sowie die Mitwirkungsrechte der Gesellschafter thematisiert.<br />
Vertragsbeziehungen (Dienstleistungsverträge, Mietverträge o.ä.) zwischen<br />
Die folgenden Abschnitte „Corporate Governance-Empfehlungen für den<br />
dem Gesellschafter und seinem Unternehmen begründet.<br />
Mittelstand“ beschreiben Problembereiche der Unternehmensführung und<br />
Die Ausgestaltung der Vergütung der Vorstandsmitglieder ist eines der<br />
-kontrolle, in denen – in Abhängigkeit von den jeweiligen Gegebenheiten – die<br />
Schwerpunktthemen des DCGK, während dem Governance Kodex für Familienunternehmen<br />
diesbezüglich nichts zu entnehmen ist. Der DCGK empfiehlt<br />
Festlegung von Corporate Governance-Standards erwägenswert erscheint,<br />
und untersucht, inwieweit dem DCGK einerseits und dem Governance Kodex<br />
zunächst fixe und variable Vergütungsbestandteile.<br />
für Familienunternehmen andererseits hierzu Hinweise zu entnehmen sind.<br />
Es dürfte auch in den meisten nicht börsennotierten Unternehmen üblich sein,<br />
Führungskräfte nicht ausschließlich über ein Fixgehalt zu entlohnen. Aus ökonomischer<br />
Sicht ist es nahe liegend, die Unternehmensführung an Erfolg und<br />
4.3 Corporate Governance-Standards für die Geschäftsführung<br />
Misserfolg des Unternehmens zu beteiligen. Die Beachtung dieser DCGK-<br />
Der Governance Kodex für Familienunternehmen enthält eigens einen Absatz<br />
Empfehlung dürfte also keine wesentlichen Veränderungen bringen. Die<br />
über die Auswahl von Mitgliedern der Geschäftsführung. Schwerpunkt dieses<br />
Ausgestaltung dieser erfolgsabhängigen Bezahlung spielt bei börsennotierten<br />
Abschnitts sind Empfehlungen, mit denen sichergestellt werden soll, dass an<br />
Unternehmen eine große Rolle. Es wird hierzu immer wieder betont, dass<br />
Mitglieder der Unternehmerfamilie die gleichen Anforderungen hinsichtlich der<br />
Aktienoptionen ein zeitgemäßes Instrument der Vergütung seien. Der DCGK<br />
Qualifikation für eine Aufgabe gestellt werden wie an familienexterne Bewerber.<br />
Die Besetzung von Führungspositionen dürfte bei Familienunternehmen<br />
als auch eine detaillierte Berichterstattung hierüber.<br />
empfiehlt sowohl die Umsetzung wertpapierorientierter Vergütungsmodelle<br />
regelmäßig großes Konfliktpotenzial beinhalten, weshalb entsprechende Empfehlungen<br />
des Kodex für Familienunternehmen ihre Berechtigung haben. Mit<br />
fehlenden Börsennotierung derartige Vergütungsmodelle nicht möglich. Den-<br />
Bei nicht börsennotierten mittelständischen Unternehmen sind aufgrund einer<br />
den Empfehlungen zur Harmonisierung der Anforderungen und Auswahlverfahren<br />
familieninterner und -externer Bewerber für Führungspositionen, zur<br />
am Kapital sinnvoll sein, um qualifizierte Mitarbeiter langfristig zu binden.<br />
noch kann auch für diese Unternehmen die Beteiligung des Managements<br />
Vermeidung vertraglicher Sonderrechte z.B. für Familienstämme oder zur<br />
Im Übrigen kann die Eigenkapitalbeteiligung qualifizierter Mitarbeiter auch einen<br />
Festschreibung einer Orientierung der Vergütung von Familienmitgliedern an<br />
Beitrag zur Lösung einer Nachfolgeproblematik bedeuten. Der DCGK empfiehlt<br />
Fremdvergleichen adressiert der Governance Kodex für Familienunternehmen<br />
Vorstand und Aufsichtsrat, gemeinsam für eine rechtzeitige Nachfolgeplanung<br />
wesentliche Problembereiche der Besetzung von Führungspositionen.<br />
der Vorstandsmitglieder zu sorgen. Bei vielen – oft familienbeherrschten –<br />
122 123
10<br />
10<br />
mittelständischen Unternehmen erweist sich gerade die Nachfolgeplanung als<br />
Unternehmen übertragen. Denn von qualifiziert besetzten Überwachungsorganen<br />
profitieren nicht nur kapitalmarktorientierte Unternehmen.<br />
sehr sensibler Bereich. Insofern ist es nicht überraschend, dass der<br />
Governance Kodex für Familienunternehmen in einem separaten Absatz<br />
Der Governance Kodex für Familienunternehmen empfiehlt daher explizit, auch<br />
Empfehlungen zum Thema Führungsnachfolge ausspricht. Neben der langfristigen<br />
Planung und rechtzeitigen Auswahl potenzieller Führungskräfte wird empchende<br />
Qualifikation sämtlicher Mitglieder des Kontrollorgans zu beachten, Ent-<br />
familienfremden Sachverstand in das Kontrollgremium zu integrieren, die ausreifohlen,<br />
auch den Prozess für die Übergabe der Führungsverantwortung frühzeitig<br />
festzulegen. Die rechtzeitige Nachfolgeplanung sollte auch die Erarbeitung<br />
und sicherzustellen, dass die Mitglieder des Kontrollorgans die für die verantworsendungsrechte<br />
einzelner Eigentümer oder Eigentümergruppen zu vermeiden<br />
eines Notfallplans beinhalten, der festlegt, was beim vorzeitigen bzw. ungeplanten<br />
Eintritt des Nachfolgefalls zu geschehen hat.<br />
tungsvolle Ausübung ihres Amtes notwendige Zeit zur Verfügung stellen können.<br />
Der Kodex für Familienunternehmen empfiehlt zudem – was bei einigen<br />
4.5 Weitere Corporate Governance-Standards für mittelständische<br />
Familienunternehmen sicherlich Konfliktpotenzial bedeuten wird – die Festlegung<br />
einer Altersgrenze, bei deren Erreichen Mitglieder der Geschäftsführung<br />
Unternehmen<br />
unabhängig von ihrem Willen aus ihrem Amt ausscheiden müssen.<br />
Der DCGK widmet sich ausführlich der Behandlung von Interessenkonflikten<br />
von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern, die im Rahmen ihrer Tätigkeiten<br />
4.4 Corporate Governance-Standards für das Kontrollgremium<br />
auftreten können. Die Bedeutung dieser Thematik ist nicht auf eine bestimmte<br />
Gruppe von Unternehmen beschränkt. So kann es sich bei Auftreten derartiger<br />
Erwägenswert ist für mittelständische Unternehmen die Einrichtung eines<br />
Fälle als vorteilhaft erweisen, dass frühzeitig Regelungen für die Behandlung<br />
Kontrollgremiums, z.B. eines Beirats, Verwaltungsrats, Aufsichtsrats oder Gesellschafterausschusses,<br />
auch wenn dieses Gremium je nach Rechtsform im<br />
vermeidung bzw. -beseitigung beitragen und hohe Kosten sowie ge-<br />
von Interessenkonflikten festgeschrieben wurden. Diese können zur Streit-<br />
Einzelfall rechtlich nicht vorgeschrieben ist. Neben der Kontrollfunktion dürfte<br />
schäftsschädigende Entwicklungen für das Unternehmen vermeiden. Derartige<br />
Regeln bieten sich auch zur Lösung von Konfliktfällen zwischen den<br />
vor allem die Beratung der Geschäftsführung in Fragen der Unternehmensausrichtung<br />
und -strategie eine wichtige Rolle in der Arbeit dieses Gremiums<br />
Eigentümern an, um unternehmensschädliche Streitigkeiten zu vermeiden.<br />
spielen. Der Governance Kodex für Familienunternehmen empfiehlt die<br />
Auch der Governance Kodex für Familienunternehmen empfiehlt daher, dass<br />
Einrichtung eines freiwilligen Kontrollorgans spätestens dann, wenn das<br />
bei der Auswahl von Mitgliedern des Kontrollgremiums darauf geachtet werden<br />
sollte, Interessenkonflikte zu vermeiden. Dies gelte insbesondere für Per-<br />
Familienunternehmen mehrere Gesellschafter hat. Größe und interne Organisation<br />
des Kontrollorgans sollen sich nach der Größe des Unternehmens und<br />
sonen, die wesentliche Geschäftsbeziehungen zum Unternehmen unterhalten.<br />
der Schwere der Aufgabe richten.<br />
Für die Besetzung von Aufsichtsräten empfiehlt der DCGK, auf die „zur ordnungsgemäßen<br />
Wahrnehmung der Aufgaben erforderlichen Kenntnisse, Fäsichtsrat<br />
die Effizienz seiner Tätigkeit regelmäßig überprüfen soll. Es bleibt<br />
Ebenfalls erwähnenswert ist die Empfehlung des DCGK, wonach der Aufhigkeiten<br />
und fachlichen Erfahrungen“ potenzieller Aufsichtsratsmitglieder zu<br />
letztlich den jeweiligen Gremien selbst überlassen, wie diese Selbstevaluierung<br />
ausgestaltet werden soll. Auch für diese Empfehlung gilt, dass es ent-<br />
achten. Darüber hinaus sollen die internationale Tätigkeit des Unternehmens,<br />
potenzielle Interessenkonflikte und eine festzulegende Altersgrenze bei der<br />
sprechenden Gremien mittelständischer Unternehmen offen steht, Umsetzungsmöglichkeiten<br />
im Einzelfall zu überprüfen und die Beratungs- und Über-<br />
Auswahl von Kandidaten berücksichtigt werden. Diese Empfehlungen lassen<br />
sich auf Aufsichtsräte oder vergleichbare Kontrollgremien mittelständischer<br />
wachungsaufgaben effizienter zu gestalten.<br />
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10<br />
10<br />
Der DCGK empfiehlt, Anteilseigner und Dritte unterjährig durch Zwischenberichte<br />
men für Patt-Situationen vorzusehen und die Notwendigkeit einstimmiger<br />
zu informieren. Während alle kapitalmarktorientierten Unternehmen zur<br />
Entscheidungen zumindest bei Unternehmen mit einer größeren Zahl von<br />
Zwischenberichterstattung gesetzlich verpflichtet sind, besteht diesbezüglich<br />
Gesellschaftern zu vermeiden.<br />
keine Verpflichtung für nicht kapitalmarktorientierte Unternehmen. Obwohl die<br />
Erstellung eines Zwischenberichts für ein Unternehmen mit zusätzlichem Aufwand<br />
verbunden ist, kann es dennoch sinnvoll sein, auch unterjährig genaue<br />
5. Ausblick<br />
Zahlen über die Unternehmensentwicklung zur Verfügung zu haben. Die Unternehmensleitung<br />
erhält so viel eher die Möglichkeit, auf Planungsabweichungen<br />
Der sog. „Mittelstand“ stellt sich hingegen als heterogene Gruppe von<br />
Der DCGK ist ausgerichtet an der Struktur börsennotierter Gesellschaften.<br />
zu reagieren und korrigierend einzugreifen. Gerade dann, wenn ein Unternehmen<br />
Unternehmen dar, deren Standards guter Unternehmensführung und -kontrolle<br />
sich schwer in einen einheitlichen Kodex fassen lassen.<br />
in Schwierigkeiten ist, ist die zeitnahe Berichterstattung essenziell.<br />
Darüber hinaus ergibt sich aus aktuellen Zwischenabschlüssen bzw. Unternehmensinformationen<br />
nicht nur ein Nutzen für die Unternehmensleitung.<br />
börsennotierte) mittelständische Unternehmen die Chance, verschiedene<br />
Der Deutsche Corporate Governance Kodex bietet gleichwohl auch für (nicht<br />
Auch aus Sicht eines Fremdkapitalgebers erscheint es wünschenswert,<br />
Themenkomplexe der Unternehmensführung und -kontrolle aufzugreifen und<br />
unterjährig auf aktuelle Unternehmenszahlen zurückgreifen zu können. Ein<br />
Strukturen festzulegen, die sich positiv auf die jeweilige Unternehmensentwicklung<br />
auswirken. Einen Leitfaden bildet diesbezüglich der Governance<br />
Zwischenbericht könnte dazu beitragen, die mit zunehmendem Abstand zum<br />
Abschlussstichtag steigende Unsicherheit bei den Kreditgebern mittelständischer<br />
Unternehmen zu beseitigen. Zur Beseitigung dieser Unsicherheit kann<br />
mittelständische Unternehmen transformiert und zum anderen Empfehlungen<br />
Kodex für Familienunternehmen, der zum einen Empfehlungen des DCGK auf<br />
auch beitragen, dass der Mittelstandsunternehmer seinen Kreditgeber unverzüglich<br />
über während des Jahres auftretende Entwicklungen informiert, die<br />
im DCGK nicht adressiert werden, wie z.B. Regelungen zur Mitarbeit der<br />
zu mittelstandsspezifischen Corporate Governance-Themen ausspricht, die<br />
positive oder negative Auswirkungen auf die Vermögens- und Finanzlage oder<br />
Eigentümerfamilien im eigenen Unternehmen. Gleichzeitig ist der Kodex für<br />
auf den allgemeinen Geschäftsverlauf haben (können).<br />
Fami-lienunternehmen allgemein genug gehalten, um die Grundaussagen auf<br />
Auch die Regelungen, die der DCGK zur Gleichbehandlung aller Investoren<br />
die jeweilige Situation eines Unternehmens anzupassen.<br />
einer Aktiengesellschaft enthält, lassen sich auf den Mittelstand übertragen.<br />
Eine breitere Aufmerksamkeit für Corporate Governance-Themen ist mittelständischen<br />
Unternehmen unbedingt nahe zu legen. Denn die Festlegung<br />
Börsennotierte Unternehmen sollen Informationen, die Finanzanalysten und<br />
vergleichbaren Adressaten mitgeteilt wurden, unverzüglich allen Aktionären<br />
von Leitlinien der Unternehmensführung und -kontrolle ist – wie angesprochen<br />
– nicht nur zur Sicherung einer nachhaltig positiven Unternehmens-<br />
zur Verfügung stellen. Für den Mittelständler würde dies bedeuten, Mitgesellschafter,<br />
die selbst nicht im Unternehmen arbeiten, oder mehrere Kreditgeber<br />
entwicklung unerlässlich. Zunehmend wird die Corporate Governance mittelständischer<br />
Unternehmen auch bei Fremdkapitalgebern – und damit im ge-<br />
alle gleichermaßen unverzüglich und vollständig über Entwicklungen im Unternehmen<br />
zu informieren.<br />
samten Feld der Unternehmensfinanzierung – verstärkte Aufmerksamkeit finden.<br />
Eine gute Corporate Governance könnte mittelständischen Unterneh-<br />
Weitere Ansatzpunkte für Corporate Governance-Standards in mittelständischen<br />
Unternehmen können Themenbereiche betreffen, die der DCGK nicht<br />
men daher auch eine Reduzierung der Kapitalkosten ermöglichen.<br />
thematisiert. So behandelt der Governance Kodex für Familienunternehmen<br />
ausführlich die Entscheidungsfindung im Gesellschafterkreis und empfiehlt,<br />
Sonderrechte einzelner Gesellschafter zu vermeiden, Auflösungsmechanis-<br />
126 127
10<br />
Dr. Christine Bortenlänger<br />
11<br />
Über die Autoren:<br />
Gerd Marxer ist Partner im Bereich Mittelstand der Ernst & Young AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft<br />
Steuerberatungsgesellschaft in München. Er verfügt<br />
über langjährige Erfahrung in der Prüfung mittelständischer, börsennotierter<br />
Gesellschaften, Kaufvoruntersuchungen (Due Diligence) im In- und<br />
Ausland sowie der Begleitung von Börsengängen. Nach dem Studium der<br />
Betriebswirtschaftslehre und einem Arbeitsaufenthalt von einem Jahr in Toronto/Kanada<br />
arbeitete Gerd Marxer zunächst fünf Jahre in Frankfurt am<br />
Main, danach in München als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater.<br />
Dr. Dominic Wader ist Wirtschaftsprüfer und Steuerberater. Er ist als Manager<br />
in der Grundsatzabteilung Wirtschaftsprüfung der Ernst & Young AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft<br />
Steuerberatungsgesellschaft in Stuttgart tätig<br />
und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Fragen der Rechnungslegung<br />
und der Corporate Governance.<br />
Inhabergeprägte Unternehmenskultur –<br />
ein Mehrwert für Aktionäre?<br />
Es könnte ein Widerspruch sein: Immer tiefer dringt der Kapitalmarkt ins<br />
geschützte Gehege der Familienunternehmen ein. Berater empfehlen ein kapitalmarktorientiertes<br />
Denken, Finanzinvestoren bieten ihre Dienste an, immer<br />
mehr Unternehmen gehen komplett an die Börse. Wer sich dieser Entwicklung<br />
verschließt, gilt rasch als Traditionalist. Wohl ihm, wenn er auf fremdes Geld<br />
nicht angewiesen sei, heißt es, aber wie lange noch? Das ist die eine Seite. Die<br />
andere lautet: Ausgerechnet Familienunternehmen, die sich typischerweise<br />
dem fremden Eigenkapital und seinen Gesetzmäßigkeiten wenigstens teilweise<br />
verschließen, haben an der Börse einen guten Ruf. Aktien von Firmen, an denen<br />
die Familie ein Viertel der Anteile oder mehr hält, schneiden in der Regel besser<br />
ab als die Papiere reiner Aktienunternehmen. Dies belegen diverse Studien und<br />
auch der Familienindex German Entrepreneurial Index (Gex).<br />
Ernst & Young mit Hauptsitz in Stuttgart ist eines der großen deutschen Prüfungs-<br />
und Beratungsunternehmen und beschäftigt rund 6.200 Mitarbeiter an<br />
22 Standorten. Ernst & Young ist damit die dritte große Kraft unter den deutschen<br />
Prüfungs- und Beratungsunternehmen. Das Dienstleistungsangebot<br />
umfasst Wirtschaftsprüfung, prüfungsnahe Beratung, Steuerberatung sowie<br />
Transaktions- und Immobilienberatung. Ernst & Young ist der Partner sowohl<br />
großer als auch mittelständischer Unternehmen. Das German Business Network<br />
(GBN) von Ernst & Young ist ein wertvoller Türöffner für mehr als 30 der<br />
interessantesten Märkte der Welt. Durch hervorragende Kontakte, umfassende<br />
Informationen und die Begleitung vor Ort unterstützen die deutschsprachigen<br />
GBN-Experten unsere Mandanten tatkräftig beim Erreichen ihrer Ziele<br />
im Ausland.<br />
Das junge Börsenbarometer, eingeführt am 3. Januar 2005, enthält alle eigentümerdominierten<br />
Unternehmen, die im Prime Standard an der Frankfurter<br />
Wertpapapierbörse gelistet sind (zur Zeit etwa 120) – allerdings nur solche,<br />
deren Börsengang nicht länger als zehn Jahre zurückliegt. Der Gex schlägt<br />
regelmäßig den Dax, allein 2007 lag er bis auf wenige Tage im März immer<br />
und meist weit über dem Dax. Neuerdings kann man auch noch einen zweiten<br />
Index heranziehen, den HAFix (Hauck & Aufhäuser Familienindex), der seit<br />
dem 1. November von der Baader Wertpapierhandelsbank berechnet und<br />
über die Börse München publiziert wird. Voraussetzung für die Aufnahme in<br />
den HAFix ist, dass ein oder mehrere private Aktionäre eine Sperrminorität<br />
von mindestens 25 Prozent der Anteile am Unternehmen halten.<br />
Überproportionale Wertsteigerung familiengeführter AGs<br />
Die Privatbank Hauck & Aufhäuser, bekanntermaßen selbst inhabergeführt,<br />
hat untersucht, wie sich Unterschiede in der Eigentümerstruktur auf die<br />
Wertentwicklung von Aktien niederschlagen. Bei einer Rückrechnung des<br />
128 129
11<br />
11<br />
HAFix über die vergangenen 15 Jahre ergibt sich eine Wertsteigerung von<br />
25,1 Prozent im Jahr, während der Dax nur 10,6 Prozent leistete. Ein tendenziell<br />
ähnliches Ergebnis gibt es beim Vergleich der europäischen Variante<br />
des HAFix mit dem Dow Jones Stoxx 50 Europa (19,5 zu 12,3 Prozent).<br />
Die Börse München begründet ihr Engagement in diesem Bereich mit der<br />
unzureichenden Wahrnehmung der inhabergeprägten Unternehmenskultur<br />
als Wertsteigerungspotenzial. Die große Bedeutung des Mittelstands in<br />
Deutschland wird an den Kapitalmärkten heute nicht ausreichend abgebildet.<br />
Dabei haben die Professoren Andersen und Reeb die Überlegenheit des inhaberkontrollierten<br />
Geschäftsmodells schon im Jahr 2003 und selbst für die<br />
USA nachgewiesen. Danach sind die Renditen auf das eingesetzte Eigenund<br />
Fremdkapital höher als bei managergeführten Aktiengesellschaften. Die<br />
inhaberkontrollierten Unternehmen haben eine um rund zehn Prozent höhere<br />
Bewertung. Und ihre Outperformance erhöht sich, wenn die Familie den<br />
Vorstandsvorsitzenden stellt.<br />
einsbank in München präsentiert hat. Die Besonderheiten des Familienunternehmens<br />
beginnen danach mit auf Kontinuität und den Erhalt des<br />
Vermögens und des Rufes der Familie ausgerichteten Unternehmenszielen;<br />
während bei Kapitalgesellschaften der Drang nach einer möglichst hohen<br />
Rendite vorherrscht und das Ziel, die häufig kurzfristigen Erwartungen der<br />
Anleger zu erfüllen. Sie setzen sich fort in einer bestandswahrenden Strategie,<br />
die die Absicherung gegen Gefahrenpotenziale und die kontinuierliche<br />
Anpassung an Prozesse bedeutet versus eines risikogetriebenen Engagements,<br />
das im Erfolgsfall die höhere Rendite verspricht – aber eben nur im<br />
Erfolgsfall. Und sie reichen bis zur Einbettung der Unternehmensführung in<br />
Familie, Gesellschaft und Region und das Denken in Zeiträumen von (mindestens)<br />
einer Generation.<br />
Kurz: Das Familienunternehmen ist eine soziale Institution, kein handelbares<br />
Gut, sein Interessenkreis sind die Mitarbeiter und Kunden und weniger die<br />
Anteilseigner. Wahrscheinlich ist genau dies das Erfolgsrezept, das die Aktien<br />
dieser Unternehmen so gut reüssieren lässt.<br />
Langfristiges Denken und hohe Flexibilität als Erfolgsfaktoren<br />
Über die Autorin:<br />
In der öffentlichen Diskussion immerhin ist ein Umdenken zu erkennen.<br />
Dr. Christine Bortenlänger ist seit 2000 Geschäftsführerin der öffentlich-rechtlichen<br />
Börse München und Vorstand der Bayerische Börse AG. Sie studierte<br />
Manche zeitweise zu hörenden Vorurteile gegen inhabergeführte Unternehmen<br />
kehren sich ins Gegenteil um. So wird das „unternehmerische Denken“ zunehmend<br />
als Gewinn verbucht, die Reaktionszeiten in den Betrieben sind kürzer,<br />
mit den Schwerpunkten Bankbetriebswirtschaftslehre und Systemforschung<br />
Betriebswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität in München<br />
der Mut zu wichtigen Innovationsentscheidungen wächst, übrigens auch der<br />
und promovierte 1996 zum Thema „Börsenautomatisierung – Effizienzpotenziale<br />
und Durchsetzbarkeit“.<br />
zur konsequenten Korrektur von Fehlentscheidungen. Man sollte hinzufügen:<br />
Auch das längerfristige Denken ist regelmäßig wertsteigernd – während das<br />
Von 1994 bis 1996 leitete sie ein internationales Forschungsprojekt für die<br />
kurzfristige Erfüllen von Quartalsprognosen allenfalls noch die Analysten begeistern<br />
kann. Längerfristig soll in diesem Zusammenhang keineswegs nur<br />
Anschließend war sie bis 1997 Projektverantwortliche für Electronic Business<br />
Deutsche Forschungsgemeinschaft zum Themenkreis „Elektronische Märkte“.<br />
heißen „mehr als ein Quartal“, denn was macht denn die Besonderheit des<br />
Networking/Electronic Commerce bei der Bayerischen Landesbank, München,<br />
und von 1997 bis 1998 Senior Consultant und Projektleiterin für<br />
Familienunternehmens wirklich aus?<br />
Strategie- und Organisationsprojekte im Finanzdienstleistungsbereich bei Dr.<br />
Die Strategie-Professorin Sabine Klein von der European Business School in<br />
Seebauer & Partner, München. 1998 übernahm sie dann die stellvertretende<br />
Oestrich-Winkel hat dazu ein Strukturmuster erstellt, das sie Ende Oktober<br />
Geschäftsführung der öffentlich-rechtlichen Börse München und verantwortete<br />
den Bereich Marketing und Öffentlichkeitsarbeit.<br />
beim „Expertenforum Mittelstand“ von Süddeutscher Zeitung und Hypo Ver-<br />
130 131
11<br />
Dr. Andreas Kloyer und<br />
12<br />
Christine Bortenlänger kann auf eine Vielzahl wissenschaftlicher Publikationen<br />
und redaktioneller Beiträge in der Fach- und Tagespresse verweisen. Zudem<br />
engagiert sie sich durch ehrenamtliche Mitgliedschaften, unter anderem als<br />
Mitglied des Kuratoriums der Bürgerstiftung Zukunftsfähiges München, als<br />
Mitglied des Senats der Deutschen Nationalstiftung, als Mitglied des Beirats<br />
der Eberle-Butschkau-Stiftung Alumni-Verein und als Vertreterin der Börse in<br />
der Finanzplatz-München-Initiative.<br />
Dr. André Körtgen<br />
Unternehmenskultur und Compliance<br />
Begrifflichkeit<br />
Unternehmenskultur ist die Gesamtheit von Normen, Werten und Überlieferungen,<br />
die sich in einem Unternehmen seit seiner Gründung zu einem<br />
Identität und Zusammenhalt stiftenden Kanon entwickelt und verdichtet<br />
haben. Normen, die das Handeln eines Unternehmens sowohl nach innen<br />
bzw. nach außen bestimmen, sind damit wesentlicher Bestandteil der Kultur<br />
eines Unternehmens. Compliance hingegen beschreibt die Maßnahmen, die<br />
in einem Unternehmen getroffen werden, um die Einhaltung von Normen zu<br />
gewährleisten. Diese Normen können als Normen mit ausschließlichem<br />
Innenbezug einerseits Bestandteil der Unternehmenskultur sein. Andererseits<br />
können Normen auch von außen an ein Unternehmen herangetragen werden,<br />
z.B. in Form von staatlichen Gesetzen, Regelungen eines Börsenplatzes oder<br />
aber auch als privatrechtlicher Vertrag. Die äußeren Normen sind die Regeln<br />
der Märkte, in denen sich ein Unternehmen bewegt.<br />
Berührungspunkte zwischen Unternehmenskultur<br />
und Compliance<br />
Während Unternehmen verschiedensten externen Normen unterworfen sind,<br />
ohne auf diese Einfluss nehmen zu können, sind sie bei der Gestaltung ihrer<br />
internen Normen weitgehend autonom. Die Autonomie findet ihre Grenzen dort,<br />
wo das interne und das externe Normenwerk denselben Sachverhalt betreffen,<br />
z.B. den Umgang mit Mitarbeitern, Datenschutz oder die Verwendung umweltschädlicher<br />
Substanzen in der Produktion. Um Konflikte zwischen Unternehmenskultur<br />
und Compliance zu erkennen, zu vermeiden oder notfalls aufzulösen,<br />
muss sich das Unternehmen einen Überblick über die Normen in den für das<br />
Unternehmen relevanten Märkten verschaffen und die Berührungspunkte zwischen<br />
diesen Märkten und den Aktivitäten des Unternehmens untersuchen.<br />
132 133
12<br />
12<br />
Ein Beispielfall<br />
Spannungsverhältnis zwischen Unternehmenskultur<br />
und Compliance?<br />
Die Ausprägungen dieser Marktberührungen können so vielfältig sein, wie es<br />
Unternehmen in all ihren Erscheinungsformen sind. Ein Unternehmen mit<br />
Besteht ein Spannungsverhältnis oder gar ein Widerspruch zwischen dem<br />
Mitarbeitern in Deutschland, einem Lieferanten in Frankreich und einem mit<br />
Wunsch nach einer eigenständigen Unternehmenskultur und den Anforderungen<br />
der Compliance?<br />
seinen Aktien an der New York Stock Exchange („NYSE“) gelisteten Kunden<br />
aus Großbritannien bewegt sich zum Beispiel zwangsläufig im Bereich der<br />
Ein Spannungsverhältnis wird man nicht in Abrede stellen können, da Normen<br />
arbeitsrechtlichen Normen Deutschlands: Für den Lieferantenvertrag mag die<br />
das unternehmerische Handeln grundsätzlich einschränken und damit vor unterschiedlichste<br />
Herausforderungen stellen. Einen Widerspruch gibt es hinge-<br />
Rechtsordnung Frankreichs teilweise abdingbar sein, zu Gunsten der Normen<br />
des deutschen Handelsrechts zum Beispiel. Der Vertrag muss sich aber zwingenden<br />
Vorschriften des französischen Umwelt-, Steuer- oder Export-<br />
und Märkte grundsätzlich durch Normen gestaltet und geschützt werden.<br />
gen nicht, da Märkte selbst ohne sanktionierte Normen nicht vorstellbar sind<br />
kontrollrechts unterordnen. Was den an der New Yorker Börse notierten<br />
Die Diskussion über Sinn und Angemessenheit einzelner Normen ist eine politische<br />
und geht über die eigentliche wirtschaftliche Aktivität eines Unterneh-<br />
Kunden aus Großbritannien angeht, so bringt dieser unvermeidliche Bestandteile<br />
der britischen Rechtsordnung, das Regelwerk der Securities Exchange<br />
mens und den Gegenstand dieser Darstellung hinaus.<br />
Commission und den Sarbanes Oxley Act („SOX“) in die Geschäftsbeziehung<br />
ein. Unser Unternehmen ist ein wesentlicher Lieferant dieses Kunden. Damit<br />
Sanktionierung von Normverstößen<br />
ist der Kunde in unserem Fall verpflichtet, neben der eigenen Beachtung der<br />
SOX-Regeln sicherzustellen, dass sich unser Unternehmen ebenfalls SOXcompliant<br />
verhält. Nur dann ist der Kunde unseres Unternehmens über seine<br />
gegen Vertragsnormen zu Vertragsstrafen führen. Verstöße gegen das Wirt-<br />
Verstöße gegen das Kartellrecht können zu massiven Geldbußen, Verstöße<br />
gesamte wesentliche Wertschöpfungskette selbst SOX-compliant. Mangelnde<br />
SOX-Compliance kann die Konsequenz haben, dass unser Unternehmen<br />
sequenzen haben, und wer in der Nahrungsmittelwirtschaft Hygienevorschaftsstrafrecht<br />
können für die beteiligten Personen sogar existentielle Kon-<br />
seinen Kunden verliert, obwohl es nicht selbst unmittelbar SOX unterliegt.<br />
schriften unterläuft, dem droht gar die Untersagung der unternehmerischen<br />
Daneben nimmt sich der Ärger, der unserem Unternehmen droht, wenn es<br />
Tätigkeit. Ein Spannungsverhältnis zwischen Unternehmenskultur und Compliance<br />
ergibt sich dann, wenn Widersprüche zwischen den inneren Normen<br />
per Stellenanzeige einen „dynamischen Bewerber für eine offene Position in<br />
einem jungen Team“ sucht, harmlos aus, obgleich hierbei direkt mehrfach<br />
eines Unternehmens und den äußeren Normen des Marktes bestehen.<br />
gegen das deutsche Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verstoßen wird.<br />
Die Wahl der falschen Argumente durch einen Einkäufer kann als Nötigung<br />
Compliance als Erfolgsbeitrag<br />
potenziell strafrechtliche Folgen haben. Ein Standardproblem stellt der<br />
Datenschutz dar, und spätestens beim Steuerrecht wird die enge Wechselwirkung<br />
unternehmerischer Aktivität mit von außen an das Unternehmen herchen,<br />
Bestechung von Angestellten des Vertragspartners oder das Inverkehr-<br />
Das Spannungsverhältnis wird durch die Rechtsverstöße, z.B. Preisabspraangetragenen<br />
Normen für jeden mit den Händen greifbar.<br />
bringen von nicht mehr zum Verzehr geeigneten Lebensmitteln geschaffen. Ist<br />
Insgesamt gilt: Die Regelungsdichte äußerer Normen nimmt ebenso zu wie<br />
das Unternehmen auf diese normverletzenden Praktiken angewiesen, ist die<br />
staatliche oder auch private Kontrollmaßnahmen zur Einhaltung dieser Normen<br />
Verletzung äußerer Normen also Bestandteil der Unternehmenskultur, können<br />
durch Unternehmen.<br />
mit der Forderung nach Einhaltung der Normen existenzbedrohende Konse-<br />
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quenzen für das Unternehmen verbunden sein. Ein Unternehmenskonzept, das<br />
unternehmensindividuellen Leitsätze durch die Unternehmensführung glaubhaft<br />
aber auf der Verletzung äußerer Normen beruht und dessen Erfolg darauf angewiesen<br />
ist, dass Normverstöße nicht verfolgt werden, kann keinen dauerhaften<br />
Allgemeinplatz, dass sich ein Unternehmen an Recht und Gesetz halten wolle,<br />
vorgelebt werden und ihren Niederschlag in konkreten Maßnahmen finden. Der<br />
Bestand haben. Zumindest das Bemühen, ein Geschäft im Einklang mit den<br />
ist so richtig wie wirkungslos, da die Einzelfragen oft nicht offensichtlich und<br />
Gesetzen zu führen, sollte daher selbstverständlicher Bestandteil jeder Unternehmenskultur<br />
sein und nicht als Widerspruch verstanden werden. Nicht jeder<br />
hinweg erfordern. Compliance muss also zum Tätigkeitsbereich sämtlicher<br />
häufig so komplex sind, dass sie eine offene Diskussion über alle Hierarchien<br />
Normenverstoß kann, bestimmte Normenverstöße aber müssen vermieden<br />
Mitarbeiter werden. Ist der Einsatz von Experten erforderlich, so müssen diese<br />
werden. Hier gilt, wie so oft, das Wesentlichkeitsprinzip.<br />
ihre Arbeit inmitten des Unternehmens tun, Zugang zu den relevanten<br />
Informationen haben und über ein hohes Maß an Unabhängigkeit bei der<br />
Erkennen und Definieren der Risikoschwerpunkte<br />
Wahrnehmung ihrer Aufgaben verfügen. Andererseits muss Compliance neben<br />
der Benennung von Risiken und Verstößen auch Lösungsmöglichkeiten erarbeiten,<br />
soll sie einen echten Mehrwert für das Unternehmen leisten.<br />
Doch wie setzt man das Bemühen um Compliance in Ergebnisse um? Was ist<br />
für ein Unternehmen wesentlich? Der angesichts der Vielzahl der Anknüpfungspunkte<br />
drohenden Komplexitätsfalle kann man entgehen, wenn man die für ein<br />
Compliance ist Unternehmenskultur<br />
Unternehmen individuell relevanten Risikoschwerpunkte feststellt. Können Qualitätsmängel<br />
der Produkte des Unternehmens Leib und Leben von Menschen gefährden?<br />
Droht ein Risiko von Schadensersatzklagen in den USA? Ist das Unter-<br />
Bestandteil der Unternehmenskultur und kann einen Beitrag zur Weiterentwick-<br />
Entspricht Compliance diesem Anspruch, so wird sie selbst lebendiger<br />
nehmen als Markenartikler besonders stark beeinträchtigt, wenn sein Ruf als<br />
lung des Unternehmens und seiner Kultur leisten. Unternehmen, die sich in der<br />
„Good Corporate Citizen“ schon wegen der Verletzung allgemein als zweitrangig<br />
Vergangenheit frühzeitig der Herausforderung der Umweltgesetze gestellt haben,<br />
sind aus diesem Prozess nicht selten als technologische Innovatoren her-<br />
erachteter Vorschriften auf dem Spiel steht? Kann eine Vielzahl kleinerer Verstöße<br />
ein Klumpenrisiko darstellen? Ein maßgeschneiderter Analyseprozess muss fest<br />
vorgegangen. Gleichwohl kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Stellen<br />
als Standard installiert und stetig weiterentwickelt werden. So kann das Erkennen<br />
und Beseitigen von Compliance-Risiken in einem kontinuierlichen Prozess<br />
ganzes Unternehmen haben kann. Jeder Wandel kennt Gewinner und Verlierer.<br />
neuer, unangenehmer Fragen wirtschaftlich nachteilige Konsequenzen für ein<br />
immer weiter verbessert und in der Unternehmenskultur verankert werden.<br />
Die Chancen, zu den Gewinnern zu zählen, steigen jedoch durch einen offenen<br />
Umgang mit der Herausforderung.<br />
Organisatorische Maßnahmen<br />
Fazit<br />
Der oben aufgestellte Anspruch, ein Unternehmen und seine Compliance-<br />
Risiken zu analysieren und zu verstehen, stellt eine originäre Aufgabe der Unternehmensleitung<br />
dar. Der Unternehmensleitung kann in größeren Unternehmen<br />
kultur sind nicht Folge von Compliance, sondern die Folge der Rechtsverstöße<br />
Risiken im Zusammenhang mit einer Compliance-freundlichen Unternehmens-<br />
zwar selten die alleinige Umsetzung zukommen, sie muss aber immer die<br />
des Unternehmens. Erfolg und Bestand eines Unternehmens sollten nicht von<br />
Vorreiterrolle übernehmen. Denn Compliance kann mit Zielkonflikten und Entscheidungen<br />
verbunden sein, die den Kernbereich des unternehmerischen<br />
kann zwar schmerzhaft sein, ist aber immer noch erfolgversprechender, als sein<br />
Rechtsverstößen abhängig sein. Seine Geschicke selber in die Hand zu nehmen<br />
Handelns betreffen. Compliance kann nur dann verwirklicht werden, wenn ihre<br />
Schicksal dem Zufall zu überlassen. Compliance ist Unternehmenskultur.<br />
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Über die Autoren:<br />
Dr. Andreas Kloyer, Jahrgang 1963, ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei<br />
SIBETH. Er verfügt über verschiedene Mandate in namhaften Aktiengesellschaften<br />
und ist Mitglied in mehreren internationalen wirtschaftsrechtlichen Vereinigungen<br />
und Wirtschaftskreisen. Nach seiner Promotion war Andreas Kloyer in renommierten<br />
deutschen und internationalen Wirtschaftskanzleien tätig, bevor er 1996 die<br />
Kanzlei Kloyer Barthmes Klar in München gründete, in der er bis 2001 als Partner<br />
tätig war. 2002 wurde er Partner bei Graf von Westfalen Bappert & Modest, bevor<br />
er 2005 in gleicher Funktion die Sozietät SIBETH mitbegründete.<br />
Andreas Kloyer ist schwerpunktmäßig in den Bereichen Mergers & Acquisitions,<br />
Bank- und Kapitalmarktrecht sowie Private Equity und Venture Capital tätig. Er<br />
berät außerdem Unternehmen bei der Strukturierung komplexer nationaler und<br />
internationaler Finanzierungen und bei der Gestaltung von Fondsstrukturen. Ein<br />
weiterer Schwerpunkt seiner Arbeit liegt auf dem Gesellschafts- und Unternehmensrecht<br />
sowie dem Themenkomplex Private and Public Placements. Andreas<br />
Kloyer ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen im Bereich Corporate & Finance.<br />
Dr. André Körtgen, Jahrgang 1968, ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei<br />
SIBETH. Nach Zulassung zur Anwaltschaft 1997 und Promotion war André<br />
Körtgen als Rechtsanwalt in den Bereichen Gesellschaftsrecht, Prozessführung<br />
und Kapitalmarktrecht tätig. Ende 2000 wechselte er in die Konzernrechtsabteilung<br />
der Siemens AG und betreute dort den Mobilfunk und das<br />
Kommunikationsgeschäft in den Bereichen Corporate und M&A sowie<br />
Venture-Capital-Aktivitäten. 2005 wechselte André Körtgen in die an BenQ<br />
veräußerte Siemens-Handysparte, um dort die Rechtsfunktion aufzubauen.<br />
Bis Ende 2006 war er als Leiter Recht und Compliance, General Counsel und<br />
Vice President von BenQ Mobile tätig. Anschließend unterstützte er bis Ende<br />
2007 den Aufbau der globalen Legal and Compliance-Funktion von Nokia<br />
Siemens Networks in der Funktion des Head of Legal and Compliance für den<br />
Bereich Radio Access, der größten Business Unit der Nokia Siemens<br />
Networks. Bei SIBETH kümmert sich André Körtgen vornehmlich um die<br />
Beratungsfelder M&A, Restrukturierungen und Mittelstand.<br />
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