Wie die Jümme zu ihrem Namen kam - Fiks.de
Wie die Jümme zu ihrem Namen kam - Fiks.de
Wie die Jümme zu ihrem Namen kam - Fiks.de
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Norbert <strong>Fiks</strong><br />
<strong>Wie</strong> <strong>die</strong> <strong>Jümme</strong> <strong>zu</strong><br />
<strong>ihrem</strong> <strong>Namen</strong> <strong>kam</strong>
Ein MaYa-Ebook<br />
© 2010 Norbert <strong>Fiks</strong>
3<br />
Betrachtet man auf alten Landkarten von Ostfriesland<br />
das Leda-<strong>Jümme</strong>-Gebiet, fällt auf, dass <strong>de</strong>r<br />
Fluss JÜMME darauf <strong>de</strong>n <strong>Namen</strong> „Leda“ trägt,<br />
während <strong>die</strong> heutige LEDA nicht benannt und gelegentlich<br />
gar nicht eingezeichnet ist. Der Name <strong>Jümme</strong> ist erst im<br />
späten 18. Jahrhun<strong>de</strong>rt belegbar. 1 Gleichwohl muss er aus<br />
sprachlichen Grün<strong>de</strong>n sehr viel älteren Ursprungs sein.<br />
Es stellt sich <strong>die</strong> Frage, wie <strong>die</strong>ses <strong>Namen</strong>swirrwarr <strong>zu</strong><br />
erklären ist.<br />
<strong>Wie</strong> auf fast allen<br />
Karten aus <strong>die</strong>ser<br />
Zeit ist das Leda-<br />
<strong>Jümme</strong>-Gebiet auf<br />
<strong>de</strong>r „Oost en<strong>de</strong><br />
West Vrieslandt<br />
Beschryvinghe“<br />
von 1568 sehr<br />
stark verzeichnet<br />
dargestellt.<br />
Nach heutigem Verständnis bil<strong>de</strong>n LEDA und JÜMME ein<br />
Doppelfluss-System. Es liegt im nordwestlichen Nie<strong>de</strong>rsachsen<br />
in <strong>de</strong>n Landkreisen Leer, Ammerland, Cloppenburg<br />
und Emsland und entwässert dort eine Fläche von<br />
rund 2200 Quadratkilometern in <strong>die</strong> EMS. Dabei gilt <strong>die</strong><br />
LEDA als Haupt- und <strong>die</strong> JÜMME als Nebenfluss.<br />
Die LEDA im Westen hat zwei Quellflüsse, <strong>die</strong> OHE und<br />
<strong>die</strong> MARKA. Die OHE entspringt zwischen <strong>de</strong>n emsländi-<br />
1<br />
Um <strong>die</strong> verschie<strong>de</strong>nen <strong>Namen</strong>sverwendungen besser unterschei<strong>de</strong>n<br />
<strong>zu</strong> können, sind <strong>die</strong> heutigen Flussnamen in Kapitälchen gesetzt,<br />
EMS, LEDA, JÜMME usw., alle Fluss- und Ortsnamen aus historischen<br />
Quellen in Anführungszeichen („Leda“, „<strong>Jümme</strong>“). Die kursive<br />
Form wird verwen<strong>de</strong>t, wenn es um <strong>die</strong> <strong>Namen</strong>sbe<strong>de</strong>utung geht.
4<br />
schen Ortschaften Börger und Spahn und fließt von dort<br />
in nordöstliche Richtung. Ohe ist vom althoch<strong>de</strong>utschen<br />
Wort aha (fließen<strong>de</strong>s Wasser) abgeleitet, das sich in vielfältiger<br />
Form als <strong>Namen</strong>sbestandteil von Gewässern erhalten<br />
hat. Wo <strong>die</strong> OHE südwestlich von Se<strong>de</strong>lsberg <strong>de</strong>n<br />
Küstenkanal und das Saterland erreicht, vereinigt sie sich<br />
mit <strong>de</strong>r MARKA.<br />
Dieser Zufluss entsteht in einem Moorgebiet westlich<br />
von Werlte. <strong>Wie</strong> <strong>de</strong>r aus Mark (Grenze) und aha <strong>zu</strong>sammengezogene<br />
Name an<strong>de</strong>utet, ist das Gewässer offenbar<br />
früher ein Grenzfluss gewesen. Noch heute bil<strong>de</strong>t <strong>die</strong><br />
MARKA auf einem kleinen Abschnitt <strong>die</strong> Grenze zwischen<br />
<strong>de</strong>m Emsland und <strong>de</strong>m Ol<strong>de</strong>nburger Münsterland (Landkreis<br />
Cloppenburg), eine politische Teilung, <strong>die</strong> im Mittelalter<br />
bereits zwischen <strong>de</strong>m Hasegau im Osten und <strong>de</strong>m<br />
Agradingongau im Westen bestand 2 .<br />
Vom Zusammenfluss von OHE und MARKA an trägt das<br />
Gewässer <strong>de</strong>n <strong>Namen</strong> SAGTER EMS (Sagter = Saterlän<strong>de</strong>r).<br />
Es fließt nach Unterquerung <strong>de</strong>s Küstenkanals in nördliche<br />
Richtung weiter. Wo <strong>de</strong>r DREYSCHLOOT in das Gewässer<br />
mün<strong>de</strong>t – an <strong>de</strong>r ebenfalls historischen Grenze zwischen<br />
Ostfriesland und <strong>de</strong>m Ol<strong>de</strong>nburger Münsterland –<br />
wird aus <strong>de</strong>r SAGTER EMS <strong>die</strong> LEDA. Von dort aus fließt sie<br />
nach Nordwesten, nimmt in <strong>de</strong>r Nähe von Amdorf <strong>die</strong><br />
JÜMME auf und mün<strong>de</strong>t nach wenigen Kilometern in <strong>die</strong><br />
EMS.<br />
Leda be<strong>de</strong>utet ursprünglich Gewässer, Leitung und hat<br />
nichts mit <strong>de</strong>r Königstochter <strong>die</strong>ses <strong>Namen</strong>s aus <strong>de</strong>r grie-<br />
2<br />
Klöver o. J., 31
5<br />
chischen Mythologie <strong>zu</strong> tun. Als La<strong>de</strong> ist <strong>de</strong>r Name bereits<br />
im 9. Jahrhun<strong>de</strong>rt belegt 3 .<br />
Die JÜMME entspringt als SOESTE – ein Name unbekannter<br />
Be<strong>de</strong>utung und Herkunft – in <strong>de</strong>r Nähe von Emstek<br />
(Landkreis Cloppenburg). Die SOESTE fließt bis Cloppenburg<br />
in westliche Richtung und wen<strong>de</strong>t sich dort nach<br />
Nor<strong>de</strong>n. Bei <strong>de</strong>r Ortschaft Kampe, wo von Osten <strong>die</strong><br />
LAHE kommt, unterquert sie <strong>de</strong>n Küstenkanal und fließt<br />
dann in nordwestlicher Richtung auf Barßel <strong>zu</strong>. Dort<br />
nimmt <strong>die</strong> SOESTE das NORDLOHER TIEF auf und wird <strong>zu</strong>m<br />
BARSSELER TIEF. In westliche Richtung fließend, erreicht<br />
das BARSSELER TIEF nach kurzer Strecke <strong>die</strong> Einmündung<br />
<strong>de</strong>s DREYSCHLOOTS, einer etwa 1,2 Kilometer langen künstlichen<br />
Verbindung <strong>zu</strong>r LEDA. Von dort an, wo <strong>die</strong> Grenze<br />
<strong>zu</strong>m ostfriesischen Landkreis Leer überquert wird, heißt<br />
<strong>de</strong>r Fluss offiziell JÜMME. Er fließt dann ein kurzes Stück<br />
nach Nor<strong>de</strong>n, knickt bei Detern nach Westen ab und<br />
nimmt das APER TIEF auf. An Stickhausen vorbei durchzieht<br />
<strong>de</strong>r Fluss in weiten Schleifen ein Jümmiger Hammrich<br />
genanntes Nie<strong>de</strong>rungsgebiet, bis er schließlich in <strong>die</strong><br />
LEDA mün<strong>de</strong>t.<br />
Die Kartenmacher und Chronisten früherer Epochen verfügten<br />
nicht über <strong>die</strong>se <strong>de</strong>taillierten Kenntnisse. Früheste<br />
Einblicke in das geografische Verständnis geben für Ostfriesland<br />
<strong>die</strong> Landkarten und Chroniken <strong>de</strong>s 16. Jahrhun<strong>de</strong>rts.<br />
Die ersten Karten <strong>de</strong>r Gegend stammten von nie<strong>de</strong>rländischen<br />
o<strong>de</strong>r belgischen Kartografen. Die „Caerte<br />
van oostlant“ <strong>de</strong>s Cornelis Anthoniszoon von 1543 zeigt<br />
„D. Lae. F“ als einen Fluss, <strong>de</strong>r von seiner Mündung in<br />
<strong>die</strong> EMS fast gradlinig nach Südosten an „Stickhus“ vor-<br />
3<br />
Altfridi Vita Sancti Liudgeri 1829, 413
6<br />
bei bis nach „Appen“ im Ammerland reicht. Ähnlich ungenau<br />
und schematisiert ist <strong>die</strong> Darstellung in <strong>de</strong>r „Oost<br />
en<strong>de</strong> West Vrieslandt Beschryvinghe“ eines unbekannten<br />
Urhebers, 1568 in Antwerpen gedruckt. Dort hat „De Loe<br />
fl.“, <strong>de</strong>r sich ebenfalls bis „Appen“ erstreckt, zwei Zuflüsse<br />
von Sü<strong>de</strong>n her, <strong>die</strong> sich als LEDA und BARSSELER<br />
TIEF <strong>de</strong>uten lassen. Sehr viel wirklichkeitsgetreuer stellt<br />
<strong>die</strong> „Pars Phrisiae orientalis et occi<strong>de</strong>ntalis“ <strong>de</strong>s Christian<br />
s'Grootens von 1564 das Leda-<strong>Jümme</strong>-Gebiet dar. Bei<strong>de</strong><br />
Flüsse sind auf <strong>die</strong>ser Karte erstaunlich genau wie<strong>de</strong>rgeben.<br />
Auf <strong>de</strong>r ersten in Ostfriesland entstan<strong>de</strong>nen Landkarte –<br />
„Frisia orientalis nova ed exacta <strong>de</strong>scripta“ von Laurentius<br />
Michaelis aus <strong>de</strong>m Jahr 1579 – ist das Flusssystem<br />
stark verzeichnet: Der Oberlauf <strong>de</strong>r EMS ist <strong>die</strong> Verlängerung<br />
<strong>de</strong>r LEDA bzw. <strong>de</strong>r JÜMME, <strong>die</strong> Fließrichtungen weichen<br />
wie <strong>die</strong> Ortslagen <strong>zu</strong>m Teil erheblich von <strong>de</strong>n tatsächlichen<br />
Gegebenheiten ab. So mün<strong>de</strong>t bei „Stichusen“<br />
ein von „Potzhusen“ heraufkommen<strong>de</strong>r Nebenfluss, <strong>de</strong>r<br />
vermutlich <strong>die</strong> SAGTER EMS darstellt, in <strong>die</strong> hier nicht näher<br />
bezeichnete JÜMME. Auch <strong>die</strong> Karte „Frisia<br />
Orientalis“ von Johannes Florianus (1595) stellt das Leda-<strong>Jümme</strong>-Gebiet<br />
ähnlich verzeichnet dar. Der „Lee flu.“<br />
erstreckt sich von <strong>de</strong>r Mündung in nordöstliche Richtung<br />
über „Appen“ hinaus ins Ammerland. Auf bei<strong>de</strong>n Karten<br />
fließt <strong>die</strong> JÜMME nördlich an Stickhausen vorbei; <strong>de</strong>r heutige<br />
Lauf an <strong>de</strong>r ehemaligen Festung ist ein künstlicher<br />
Durchbruch aus späterer Zeit.<br />
Die ebenfalls 1595 entstan<strong>de</strong>ne Karte „Typus Frisiae Orientalis“<br />
von Ubbo Emmius ist häufig nachgestochen wor<strong>de</strong>n<br />
und bil<strong>de</strong>t bis weit in das 18. Jahrhun<strong>de</strong>rt hinein <strong>die</strong>
7<br />
Grundlage <strong>de</strong>r meisten Ostfriesland-Karten. Emmius<br />
stellt LEDA und JÜMME richtig orientiert da, lässt sie aber<br />
namenlos. Nur in einigen Nachdrucken wird <strong>de</strong>r nördliche<br />
Arm <strong>de</strong>s Doppelflusses als „Leda“ bezeichnet. Das<br />
gesamte Gebiet südlich <strong>de</strong>s JÜMME-Arms wird von Emmius<br />
als „Averledingerland“ bezeichnet.<br />
Seine Kenntnisse vom Lauf <strong>de</strong>r „Leda“ fasst Emmius,<br />
<strong>de</strong>r von 1588 bis 1596 Rektor <strong>de</strong>r Latein-Schule in Leer<br />
war und anschließend nach Groningen ging, in seinem<br />
Geschichtswerk „Rerum Frisicarum historia“ von 1616 in<br />
Worte: „Stickhausen liegt ebenfalls an <strong>de</strong>r Leda, aber<br />
eine große Meile von <strong>de</strong>r Mündung entfernt.“ 4 Ähnlich<br />
sieht es Eggerik Beninga. Der gräfliche Drost <strong>de</strong>r Festung<br />
Leerort schreibt in seiner Mitte <strong>de</strong>s 16. Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />
in Mittelnie<strong>de</strong>r<strong>de</strong>utsch verfassten „Cronica <strong>de</strong>r Fresen“,<br />
dass „dat water, <strong>de</strong> La<strong>de</strong> genoempt, un na Sagelter, Fresoite<br />
und Ape strecket“, bei Leerort in <strong>die</strong> EMS mün<strong>de</strong>t 5 .<br />
Die Bezeichnung <strong>de</strong>r JÜMME als „Leda“ setzt sich in <strong>de</strong>n<br />
folgen<strong>de</strong>n Jahrhun<strong>de</strong>rten fort. Allerdings gibt es früh eine<br />
Ausnahme: Die zweite Fabricius-Karte „Oost-Frieslandt“<br />
von 1592/1613 nennt <strong>de</strong>n ansonsten namenlosen westlichen<br />
Flussteil schon „Lee fl.“, während <strong>de</strong>r östliche Teil<br />
nur in seinem Unterlauf südlich von Barßel als „Süsste<br />
fl.“ bezeichnet wird.<br />
4<br />
Emmius 1616, 29<br />
5<br />
Beninga 1961, 281b
8<br />
Die Leda fließt durch wenig besie<strong>de</strong>ltes Gebiet. Wo <strong>de</strong>r Dreyschloot (links)<br />
einmün<strong>de</strong>t, überquert <strong>de</strong>r Fluss <strong>die</strong> Grenze zwischen <strong>de</strong>m Ol<strong>de</strong>nburger<br />
Münsterland und Ostfriesland.<br />
Die anfängliche (literarische) <strong>Namen</strong>losigkeit <strong>de</strong>s südlichen<br />
Arms oberhalb <strong>de</strong>s Zusammenflusses bei Amdorf<br />
kann vielleicht damit erklären wer<strong>de</strong>n, dass er tatsächlich<br />
keinen allgemein gebräuchlichen <strong>Namen</strong> hatte, weil niemand<br />
da war, <strong>de</strong>r ihm einen <strong>Namen</strong> gegeben hätte. Der<br />
Fluss schlängelt sich noch immer durch kaum besie<strong>de</strong>ltes<br />
Gebiet, es liegen heute wie in <strong>de</strong>r Vergangenheit keine<br />
be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Orte an seinem Lauf, nur vereinzelte Gehöfte.<br />
Die nächste größere Ortschaft, <strong>die</strong> <strong>de</strong>r Fluss oberhalb<br />
von Leer berührt, ist Strücklingen im Saterland, das 1473<br />
erstmals urkundlich erwähnt wird 6 . Erst mit <strong>de</strong>r Besiedlung<br />
<strong>de</strong>s Saterlands ab <strong>de</strong>m Hochmittelalter nimmt <strong>die</strong><br />
Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r SAGTER EMS als Han<strong>de</strong>lsweg vor allem für<br />
Torf <strong>zu</strong>, wovon <strong>die</strong> Zollstation an <strong>de</strong>r Brücke bei Pots-<br />
6<br />
Klöver o. J., 52
9<br />
hausen zeugt. Dieses ostfriesische „Grenzdorf“, das<br />
ebenfalls am Ausgang <strong>de</strong>s Mittelalters entstan<strong>de</strong>n ist,<br />
zählt selbst heute kaum mehr als 30 Häuser.<br />
Gering bevölkert ist zwar auch das von <strong>de</strong>r „Leda“<br />
durchflossene Gebiet, aber immerhin liegen am Fluss<br />
<strong>die</strong>Ortschaft Detern und <strong>die</strong> Festung Stickhausen, <strong>die</strong> im<br />
Grenzgebiet <strong>zu</strong>m Ol<strong>de</strong>nburger Land im späten Mittelalter<br />
wichtige strategische Aufgaben hatten. Daneben war Detern<br />
als „Tor nach Ostfriesland“ von wirtschaftlicher Be<strong>de</strong>utung,<br />
weil es von dort schon im Hochmittelalter, <strong>de</strong>utlich<br />
früher als an <strong>de</strong>r SAGTER EMS, über das APER TIEF<br />
wirtschaftliche Verbindungen Richtung Ol<strong>de</strong>nburg und<br />
über das BARSSELER TIEF nach Friesoythe und Cloppenburg<br />
gab.<br />
Die „Beschreibung <strong>de</strong>s Hochfürstlichen ostfriesischen<br />
Amts Stickhausen in Ecclesiastic et Politics. . .“ von<br />
1734 7 ist das älteste erhaltene offizielle Dokument, das<br />
Auskunft über <strong>die</strong> Flussnamen gibt und <strong>zu</strong><strong>de</strong>m von einem<br />
Ortskundigen, <strong>de</strong>m auf <strong>de</strong>r Stickhauser Burg resi<strong>die</strong>ren<strong>de</strong>n<br />
Amtmann, verfasst wur<strong>de</strong>. Die Beschreibungen<br />
<strong>de</strong>r ostfriesischen Ämter gehen auf eine Anordnung von<br />
Fürst Georg Albrecht aus <strong>de</strong>m Jahr 1717 <strong>zu</strong>rück. Sie sollten,<br />
so <strong>de</strong>r Fürst, eine „historische Beschreibung, in ecclesiasticis<br />
et politicis, und zwar nach <strong>de</strong>m gegenwärtigen<br />
Zustand, nach Ihren respective Grentzen, Kirchen,<br />
da<strong>zu</strong> gehörigen Dörffern, Teich- und Siel-Achten und an<strong>de</strong>ren<br />
Umstän<strong>de</strong>n“ enthalten 8 . Weil bei einem Brand <strong>de</strong>s<br />
Stickhauser Amtsgebäu<strong>de</strong>s 1874 fast alle Akten zerstört<br />
7<br />
Nds. Staatsarchiv Aurich, Rep. 241, Nr. B 14e<br />
8<br />
Weßels, Standardquellen im Staatsarchiv Aurich (online)
10<br />
wur<strong>de</strong>n, ist <strong>die</strong> Beschreibung von 1734 eines <strong>de</strong>r wenigen<br />
überlieferten Dokumente <strong>de</strong>s Amts überhaupt.<br />
Im Kapitel „Von <strong>de</strong>nen Flüßen und übrigen notablen Gewäßer<br />
in Stickhausener Amt. . .“ heißt es gleich <strong>zu</strong> Anfang:<br />
„Durch Saaterland fließet ein Fluß, welcher in <strong>de</strong>r<br />
Wan<strong>de</strong>lung durch <strong>die</strong> Eems, mit <strong>de</strong>m Zunahmen Sa<strong>de</strong>r<br />
genannt wird, gehet Potzhausen vorbeÿ, all da man mittelst<br />
einer Brücke über <strong>de</strong>n Fluß nach Oberledingen führet<br />
und von dar ins Westen, bald allgemählig ins Nor<strong>de</strong>n<br />
sich wen<strong>de</strong>t, mithin <strong>zu</strong>r Rechten von Amdorf, beÿ Wilshausen,<br />
sich mit <strong>de</strong>r Lee<strong>de</strong> vermischet.“ Ausdrücklich<br />
wird erwähnt, dass „<strong>die</strong> Lee<strong>de</strong>. . . ihren Ursprung in<br />
Münsterland [nimmt], allwo sie <strong>zu</strong>erst Cloppenburg und<br />
Oÿte berühret, endlich Bassel, das letzte Dorff in Münsterland“.<br />
Zur Unterscheidung <strong>de</strong>r drei wichtigsten Flüsse im Amt<br />
Stickhausen verwen<strong>de</strong>t <strong>de</strong>r Verfasser <strong>de</strong>r Amtsbeschreibung<br />
neben „Saater Eems“ (LEDA) auch „Stickhauser<br />
Ems“ (JÜMME) und „<strong>die</strong> rechte Ems“ (EMS), so dass man<br />
<strong>de</strong>n Eindruck gewinnen kann, Ems sei mehr eine allgemeine<br />
Bezeichnung für Flüsse gewesen als <strong>de</strong>r Eigenname<br />
für einen bestimmten Fluss, so wie es in Ostfriesland<br />
noch heute für <strong>die</strong> Gewässernamen Ehe und Tief gilt. Das<br />
sorgt selbst in <strong>de</strong>r Amtsbeschreibung für Ungereimheiten.<br />
Es heißt im Kapitel „Von <strong>de</strong>n Fürstl. Län<strong>de</strong>reÿen“<br />
nämlich: „Es sind auch in <strong>die</strong>sen Amt zweÿ Brücke über<br />
<strong>die</strong> Eems an<strong>zu</strong>merken, alß eine <strong>zu</strong> Stickhausen, eine aber<br />
<strong>zu</strong> Potzhausen beÿ <strong>de</strong>r dortigen Zollstädte.“ Tatsächlich<br />
überquert <strong>die</strong> Brücke bei Stickhausen „<strong>die</strong> Lee<strong>de</strong>“, <strong>die</strong><br />
bei Potshausen aber <strong>die</strong> „Saater Ems“.
11<br />
In <strong>de</strong>r Amtsbeschreibung wird erstmals „<strong>die</strong> <strong>Jümme</strong>richer<br />
Hammerich“ – <strong>die</strong> von LEDA und JÜMME begrenzte<br />
Nie<strong>de</strong>rung zwischen Amdorf im Westen und Stickhausen<br />
bzw. Potshausen im Osten – erwähnt. Für <strong>die</strong>ses große<br />
Gebiet sind zwei „Teich Richter“ und zwei „Schloot<br />
Richter“ eingesetzt, <strong>die</strong> sich um <strong>die</strong> Deiche und <strong>die</strong> Entwässerung<br />
<strong>de</strong>s Gebiets kümmern. Wenige Jahre später –<br />
1749 – wird von J. H. Magott <strong>die</strong> sehr genau anmuten<strong>de</strong><br />
„Charte von <strong>de</strong>nen in <strong>de</strong>r Jünniger Hammerich belegenen<br />
königlichen Stücklan<strong>de</strong>n“ angefertigt. Auf ihr berührt <strong>de</strong>r<br />
„Leda Fluß“ <strong>die</strong> „Festung Stickhusen“.<br />
Im Jahr 1744 wird Ostfriesland nach <strong>de</strong>m Tod von Graf<br />
Carl Edzard von Preußen annektiert. 50 Jahre später verfasst<br />
<strong>de</strong>r Stickhauser Amtmann Rudolph Heinrich Karl<br />
von Glahn <strong>die</strong> „Statistisch Topografische Beschreibung<br />
<strong>de</strong>s Amtes Stickhausen“ 9 . Das Amt, schreibt er, „wird an<br />
zweyen Stellen durch <strong>die</strong> Ems o<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Soest u. Leda<br />
durchschnitten, welche res[pective] bey Detern und Vel<strong>de</strong>,<br />
Stickhausen, Spieker, Neuburg und Amdorff bis nach<br />
Wiltshausen, sodann an <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite Potshausen<br />
vorbey, auch bis nach Wiltshausen fließen, woselbst sie<br />
sich vereinigen und Tiackleger vorbey nach Ler und so<br />
weiter hin gehen“ – wobei hier mit „Ems“ <strong>die</strong> „Aper<br />
Ems“, also <strong>die</strong> JÜMME, gemeint ist, und <strong>de</strong>r Fluss „bey<br />
Potshausen“ noch im selben Abschnitt ausdrücklich als<br />
„<strong>die</strong> Leda“ bezeichnet wird. Verschie<strong>de</strong>ne <strong>Namen</strong> wer<strong>de</strong>n<br />
aber weiter synonym gebraucht. So heißt es an an<strong>de</strong>rer<br />
Stelle 10 über das Gebiet von Amdorf, wo JÜMME und<br />
LEDA <strong>zu</strong>sammenfließen, es habe „<strong>die</strong> Deiche teils an <strong>de</strong>r<br />
9<br />
Nds. Staatsarchiv Aurich, Rep. 241, Nr. B 41 (Amtsbeschreibung<br />
1794)<br />
10<br />
Amtsbeschreibung 1794, 70
12<br />
Die Campsche Karte von 1806 (Ausschnitt) ist <strong>die</strong> erste, <strong>die</strong> <strong>de</strong>n Fluss als<br />
„Iümme Fl.“ bezeichnet.<br />
Aper Ems gegen Loge und Nortmohr über, teils an <strong>de</strong>r<br />
Sagter Ems gegen <strong>die</strong> Oberledinger Hamriche liegen“.<br />
Auf Seite 4 <strong>de</strong>r Amtsbeschreibung ist erstmals <strong>de</strong>r Name<br />
„<strong>Jümme</strong>“ überliefert: „Vor Detern bey <strong>de</strong>r Schanze vereinigt<br />
sich das Aper Tief mit <strong>de</strong>m Fluß, welcher Stickhausen<br />
vorbey, ohne Zweifel vorher <strong>die</strong> <strong>Jümme</strong> geheißen haben<br />
muß, in<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Hammrich, worinnen Spieker, Neuburg,<br />
Amdorff, Wol<strong>de</strong> u. Terhey<strong>de</strong> belegen, <strong>de</strong>r Jümmiger<br />
Hammrich genennt wird. . .“<br />
Die erste Karte, <strong>die</strong> <strong>de</strong>n Doppel-Fluss als „Leda“ und<br />
„Iümme“ bezeichnet, ist <strong>die</strong> Campsche Karte von 1806 11 .<br />
Darauf sind auch <strong>die</strong> einzelnen Flussabschnitte als „Sa-<br />
11<br />
Neue Geographische Special Charte von <strong>de</strong>m Furstenthum Ostfries-<br />
und <strong>de</strong>m Harlingerland
13<br />
gelter Tief“, „Basseler Tief“ und „Soeste“ gekennzeichnet.<br />
Damit hat <strong>die</strong> heute übliche Bezeichnung Ein<strong>zu</strong>g in<br />
<strong>die</strong> Kartografie erhalten, <strong>die</strong> sich in kurzer Zeit durchsetzt.<br />
Spätere Karten, <strong>die</strong> statt „<strong>Jümme</strong>“ noch „Leda“<br />
schreiben, gibt es offenbar nicht.<br />
Anfang <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts wird das inzwischen entstan<strong>de</strong>ne<br />
<strong>Namen</strong>swirrwarr offensichtlich, ohne allerdings<br />
thematisiert <strong>zu</strong> wer<strong>de</strong>n. Fridrich Arends betrachtet in seinem<br />
<strong>de</strong>taillierten, 1818 erscheinen<strong>de</strong>n lan<strong>de</strong>skundlichen<br />
Werk über „Ostfriesland und Jever“ <strong>die</strong> „Leda“ sogar eigentlich<br />
als „dreiarmig“. Dritter Arm ist das APER TIEF.<br />
Die bei<strong>de</strong>n ostfriesischen Arme – also LEDA und JÜMME –<br />
wer<strong>de</strong>n „gewöhnlich ebenfalls <strong>die</strong> Ems genannt“, wobei<br />
zwischen <strong>de</strong>r „Sagelter Ems“ im Sü<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>r nördlichen<br />
„Basseler Ems“ unterschie<strong>de</strong>n wird. Arend führt sogar<br />
<strong>die</strong> Bezeichnungen „Leda“ und „Jumme“ für <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n<br />
Arme an, setzt allerdings irrtümlich <strong>die</strong> „Soest“ mit<br />
<strong>de</strong>r LEDA gleich. 12<br />
Willem Camp, <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n ostfriesischen Landstän<strong>de</strong>n<br />
mit <strong>de</strong>n Vermessungsarbeiten beauftragt wor<strong>de</strong>n ist, versteht<br />
<strong>die</strong> JÜMME als Hauptfluss, in <strong>de</strong>n <strong>die</strong> LEDA mün<strong>de</strong>t.<br />
Noch Otto Houtrouw stellt in seinen 1889 erschienenen<br />
„Wan<strong>de</strong>rungen“ fest: „Zuerst östlich, dann in Stickhauser<br />
Amt nördlich von ihr [<strong>de</strong>r Leda] hinfließend, wird uns<br />
<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re größere Fluß, <strong>die</strong> <strong>Jümme</strong>, o<strong>de</strong>r Soest, auch<br />
Basseler Ems begegnen, <strong>die</strong> man auch wohl als <strong>de</strong>n nördlichen<br />
und be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>ren Arm <strong>de</strong>r Leda bezeichnen<br />
kann.“ 13 Auch heute ist <strong>die</strong> JÜMME an ihrer Mündung<br />
<strong>de</strong>utlich breiter als <strong>die</strong> LEDA in <strong>die</strong>ser Stelle. Eine Not-<br />
12<br />
Arends 1818, 95 f.<br />
13<br />
Houtrow 1889, 165
14<br />
wendigkeit, klar zwischen Haupt- und Nebenfluss <strong>zu</strong> unterschei<strong>de</strong>n,<br />
bestand wohl erst, als ab Anfang <strong>de</strong>s<br />
20. Jahrhun<strong>de</strong>rts mit planmäßigen Wasserbau <strong>zu</strong>r Verbesserung<br />
<strong>de</strong>r Entwässerung und <strong>zu</strong>m Hochwasserschutz<br />
im Leda-<strong>Jümme</strong>-Gebiet begonnen wur<strong>de</strong>.<br />
Die ein<strong>de</strong>utigen Flussnamen, wie sie heute üblich sind,<br />
setzen sich offenbar in zwei Schritten durch: Zuerst wird<br />
in <strong>de</strong>r zweiten Hälfte <strong>de</strong>s 18. Jahrhun<strong>de</strong>rts Leda mit <strong>de</strong>m<br />
bis dahin namenlosen Flussabschnitt verbun<strong>de</strong>n, während<br />
<strong>die</strong> eigentliche „Leda“ nun überwiegend mit einem ihrer<br />
Synonyme bezeichnet wird. Das ist in <strong>de</strong>r Zeit, als Ostfriesland<br />
preußisch wird und sich eine neue Verwaltung<br />
<strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s bemächtigt. Es bietet sich an, einen direkten<br />
Zusammenhang zwischen <strong>die</strong>sen bei<strong>de</strong>n Tatsachen <strong>zu</strong><br />
vermuten, <strong>de</strong>nn <strong>die</strong> Än<strong>de</strong>rungen beziehen sich nur auf <strong>die</strong><br />
Flussabschnitte, <strong>die</strong> auf neuem preußischen Territorium<br />
liegen. Dafür gibt es aber keine Belege.<br />
Im Laufe <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts bekommt <strong>die</strong> alte „Leda“<br />
o<strong>de</strong>r „Aper Ems“ amtlich <strong>de</strong>n <strong>Namen</strong> JÜMME. Anlass und<br />
Verursacher sind nicht erkennbar. Erstaunlich ist je<strong>de</strong>nfalls,<br />
dass <strong>de</strong>r anscheinend aus <strong>de</strong>m Nichts aufgetauchte<br />
Name JÜMME sich innerhalb nur weniger Jahre durchsetzt.<br />
Das mag an <strong>de</strong>r großen Wirkung <strong>de</strong>r Campschen Karte<br />
gelegen haben, <strong>die</strong> auf <strong>de</strong>r ersten Neuvermessung Ostfrieslands<br />
seit Ubbo Emmius 200 Jahre <strong>zu</strong>vor beruht und<br />
von Behör<strong>de</strong>n und Wirtschaft sehnlichst erwartet wur<strong>de</strong><br />
14 . Es ist vielleicht auch ein Hinweis darauf, dass <strong>de</strong>r<br />
Name <strong>zu</strong>min<strong>de</strong>st <strong>de</strong>r am Fluss leben<strong>de</strong>n Bevölkerung<br />
nicht unbekannt war, son<strong>de</strong>rn nur nie in schriftlichen<br />
Quellen o<strong>de</strong>r auf Karten auftauchte.<br />
14<br />
Henninger et. al. 2005, 31 ff.
15<br />
Denn offenbar ist <strong>de</strong>r sonst nirgends überlieferte Name<br />
<strong>Jümme</strong> nicht jüngeren Ursprungs, son<strong>de</strong>rn scheint sehr<br />
alt <strong>zu</strong> sein. Viele noch heute gebräuchliche und meistens<br />
sehr kurze Flussnamen – Elbe, Weser, Ja<strong>de</strong>, Leda – gehören<br />
<strong>zu</strong> <strong>de</strong>n ältesten <strong>Namen</strong> überhaupt. In <strong>de</strong>r lateinischen<br />
Form Amisia ist <strong>de</strong>r Name Ems durch Autoren wie<br />
Plinius und Tacitus bereits aus <strong>de</strong>r Antike überliefert. Die<br />
Ursprung <strong>die</strong>ser Flussnamen reicht in <strong>die</strong> vorgermanische<br />
Zeit <strong>zu</strong>rück, und ihre Be<strong>de</strong>utungen sind häufig nur<br />
durch sprachwissenschaftliche Vergleiche mit Frühformen<br />
an<strong>de</strong>rer indoeuropäischer Sprachen <strong>zu</strong> erschließen.<br />
Bei jüngern Orts- und Flussnamen dagegen ist <strong>die</strong> <strong>Namen</strong>sbildung<br />
meist durchsichtig, weil <strong>die</strong> Bestandteile erkennbar<br />
sind und <strong>de</strong>ren Be<strong>de</strong>utung noch bekannt ist. Als<br />
Beispiel sei nur auf <strong>die</strong> Sagter Ems o<strong>de</strong>r das Barßeler<br />
Tief verwiesen.<br />
Mit <strong>Jümme</strong> tut sich allerdings auch <strong>die</strong> Sprachwissenschaft<br />
schwer. Selbst ausgewiesene Experten begeben<br />
sich auf schwanken<strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n, weil von <strong>de</strong>r ganzen langen<br />
Entwicklung <strong>de</strong>s <strong>Namen</strong>s von seiner ursprünglichen<br />
bis <strong>zu</strong>r heutigen Form nur das letzte Glied <strong>de</strong>r Kette bekannt<br />
ist.<br />
Es kommen zwei Erklärungen in Betracht: <strong>Jümme</strong> könnte<br />
eine Ableitung vom althoch<strong>de</strong>utschen gumpito, was Pfuhl<br />
o<strong>de</strong>r Teich be<strong>de</strong>utet, sein 15 . Davon hergeleitet sind unter<br />
an<strong>de</strong>rem das ober<strong>de</strong>utsche Wort Gumpe, eine Vertiefung<br />
im Bo<strong>de</strong>n eines Gewässers, und <strong>die</strong> nie<strong>de</strong>r<strong>de</strong>utsche Kumme<br />
(Schüssel) 16 , außer<strong>de</strong>m möglicherweise <strong>de</strong>r Ortsname<br />
15<br />
Remmers 2004, 118<br />
16<br />
Deutsches Wörterbuch Bd. 9, Spalte 1097 f.
16<br />
Gümmer (Ortsteil von Seelze bei Hannover) 17 . Sprachwissenschaftlich<br />
wäre ein Wechsel von anlauten<strong>de</strong>m G<br />
<strong>zu</strong> J möglich, Beispiele gibt es auch in Ostfriesland: Jemgum<br />
hieß um 900 Giminghem, Jarßum entstand über Ierzem<br />
aus Gerzhem 18 .<br />
Nach Ansicht von <strong>Namen</strong>sforscher Jürgen Udolph 19 (früher<br />
Inhaber <strong>de</strong>s Lehrstuhls für Onomastik an <strong>de</strong>r Universität<br />
Leipzig) ist <strong>Jümme</strong> aus indogermanisch *Jumina 20<br />
ab<strong>zu</strong>leiten. Es enthält <strong>die</strong> indogermanische Wurzel jumit<br />
<strong>de</strong>r Grundbe<strong>de</strong>utung fließen und <strong>de</strong>n ebenfalls indogermanischen<br />
Partizipialsuffix -meno-/-min-, <strong>de</strong>r sich<br />
<strong>zu</strong>m Beispiel in Ilmenau (Fluss bei Göttingen) fin<strong>de</strong>t.<br />
Gewässernamen, <strong>die</strong> mit Ju- beginnen und sich auf dasselbe<br />
Grundwort beziehen, sind in <strong>de</strong>r indoeuropäischen<br />
Sprachwelt weit verbreitet etwa Jura im Baltikum, Iuras<br />
in Thrakien o<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Jühn<strong>de</strong> bei Göttingen.<br />
<strong>Jümme</strong> hätte dann im weitesten Sinne <strong>die</strong> Be<strong>de</strong>utung bewässerte<br />
Gegend, was ja <strong>de</strong>n tatsächlichen Verhältnissen<br />
genau entspricht, <strong>zu</strong>mal <strong>de</strong>r Fluss bis <strong>zu</strong> seiner Ein<strong>de</strong>ichung<br />
in 20. Jahrhun<strong>de</strong>rt bei Hochwasser regelmäßig<br />
große Fläche überflutet hat.<br />
17<br />
Ohanski/Udolph 1998<br />
18<br />
Remmers 2004, 116<br />
19<br />
E-Mail an <strong>de</strong>n Verfasser vom 27.9.2006<br />
20<br />
Das Sternchen * be<strong>de</strong>utet in <strong>de</strong>r historischen Sprachwissenschaft,<br />
dass ein Wort nicht durch Urkun<strong>de</strong>n belegt ist, son<strong>de</strong>rn nur auf<br />
Grund an<strong>de</strong>rer Belege rekonstruiert wur<strong>de</strong>.
17<br />
Die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s <strong>Namen</strong>s <strong>Jümme</strong> ist ungeklärt.<br />
Vielleicht bietet <strong>de</strong>r Jümmiger Hammrich so etwas wie<br />
eine Antwort. Der Name ist erstmals durch <strong>die</strong> Amtsbeschreibung<br />
von 1734 belegt 21 . Amtmann von Glahn geht<br />
60 Jahre später von einem Zusammenhang mit <strong>de</strong>m Fluss<br />
aus 22 . Seine Vermutung, dass <strong>de</strong>r Fluss „ohne Zweifel<br />
vorher <strong>die</strong> <strong>Jümme</strong> geheißen haben muß“, könnte eine<br />
Analogiebildung <strong>zu</strong>m Paar Ems/Emsiger Hammrich sein.<br />
Allerdings ist Emsiger Hammrich nicht von Ems abgeleitet<br />
son<strong>de</strong>rn von Em<strong>de</strong>n. Es gibt in Ostfriesland eine große<br />
Zahl von Hammrichen, <strong>die</strong> formal alle gleich benannt<br />
sind: Barger Hammrich, Riepster Hammrich, Bun<strong>de</strong>r<br />
Hammrich, Gan<strong>de</strong>rsumer Hammrich usw. Ihnen ist gemeinsam,<br />
dass ihr Name von einem Ortsnamen abgeleitet<br />
ist. Denn es han<strong>de</strong>lt sich ursprünglich um <strong>die</strong> von <strong>de</strong>n<br />
Dorfbewohnern gemeinschaftlich genutzte Wei<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n<br />
21<br />
Nds. Staatsarchiv Aurich, Rep. 241, Nr. B 14e<br />
22<br />
Amtsbeschreibung 1794, 4
18<br />
Nie<strong>de</strong>rungen von EMS, LEDA und JÜMME. Hammrich (vom<br />
altfriesischen ham(m) = Grünland, Wei<strong>de</strong>, merk = Grenze)<br />
bezeichnet also eine Funktion 23 . Heut<strong>zu</strong>tage wird unter<br />
Hammrich <strong>die</strong> Nie<strong>de</strong>rung an sich verstan<strong>de</strong>n, weil es<br />
<strong>die</strong> ursprüngliche Funktion nicht mehr gibt. Zu <strong>de</strong>n wenigen<br />
Ausnahmen von <strong>die</strong>ser Art <strong>de</strong>r <strong>Namen</strong>sbildung, bei<br />
<strong>de</strong>nen das Bestimmungswort kein Ortsname ist, gehören<br />
<strong>de</strong>r Westerhammrich und <strong>de</strong>r Sü<strong>de</strong>rhammrich von Leer<br />
o<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Flur „Die obere niedrige Hammrich“ bei Nortmoor.<br />
Ein Hammrich-Name, bei <strong>de</strong>m das Bestimmungswort<br />
ein Gewässername ist, ist nicht bekannt.<br />
Einen Ort <strong>Jümme</strong> (o<strong>de</strong>r ähnlich), <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Jümmiger<br />
Hammrich seinen <strong>Namen</strong> gegeben haben könnte, hat es<br />
nicht gegeben. Weil <strong>die</strong>se Art <strong>de</strong>r <strong>Namen</strong>sbildung mit<br />
Hammrich erst im Hoch- und Spätmittelalters auftrat,<br />
müsste man ihn kennen, selbst wenn er zwischenzeitlich<br />
umbenannt wur<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r wüst gefallen und vergessen sein<br />
sollte. Das spricht dafür, dass Jümmiger Hammrich eine<br />
relativ späte Bezeichnung ist, <strong>die</strong> <strong>zu</strong> einer Zeit entstand,<br />
als man <strong>die</strong> Hintergrund für <strong>die</strong>se Art <strong>de</strong>r <strong>Namen</strong>sbildung<br />
und auch <strong>die</strong> ursprüngliche Funktion <strong>de</strong>s Hammrichs<br />
nicht mehr kannte. Denn im Vergleich mit an<strong>de</strong>ren<br />
Hammrichen ist <strong>de</strong>r Jümmiger Hammrich flächenmäßig<br />
sehr groß, viel <strong>zu</strong> groß für eine gemeinschaftlich genutzte<br />
Dorfwei<strong>de</strong>. Der Fluss als das dominieren<strong>de</strong> Element <strong>de</strong>r<br />
Landschaft wäre dann sicher <strong>de</strong>r erste Kandidat als <strong>Namen</strong>sgeber<br />
für das angrenzen<strong>de</strong> Nie<strong>de</strong>rungsgebiet gewesen.<br />
23<br />
Remmers 2004, 259
19<br />
Der Zusammenfluss von <strong>Jümme</strong>, <strong>die</strong> von Osten kommt, und Leda bei<br />
Wiltshausen auf einem Satellitenbild von Google Maps.<br />
Man könnte <strong>die</strong>s als weiteres Indiz dafür nehmen, dass<br />
<strong>de</strong>r Name <strong>Jümme</strong> zwar alt ist, aber weitgehend vergessen<br />
war. Im amtlichen und literarischen Sprachgebrauch wur<strong>de</strong><br />
er von Leda verdrängt, weil <strong>die</strong>ser „von <strong>de</strong>r Mündung<br />
aus“ bestimmt wur<strong>de</strong>. Das ist vielleicht <strong>die</strong> Antwort, allerdings<br />
eine unbefriedigen<strong>de</strong>.
20<br />
Quellen<br />
AMTSBESCHREIBUNG 1734: Beschreibung <strong>de</strong>s Hochfürstlichen ostfriesischen Amts Stickhausen<br />
in Ecclesiastic et Politics. 1734. – Nie<strong>de</strong>rsächsisches Staatsarchiv Aurich, Rep.<br />
241, Nr. B 14e (Abschrift: Helga Loeser, 2007)<br />
AMTSBESCHREIBUNG 1794: Statistisch Topografische Beschreibung <strong>de</strong>s Amtes Stickhausen<br />
angefertigt durch RHK v. Glahn, 1. November 1794. – Nie<strong>de</strong>rsächsisches Staatsarchiv<br />
Aurich, Rep. 241, Nr. B 41 (Abschrift: Helga Loeser, 2007)<br />
Literatur<br />
ALTFRIDI Vita Sancti Liudgeri – Pertz, Georg Heinrich: Scriptores rerum Sangallensium.<br />
Annales, chronica et historiae aevi Saxonici. Hannover 1829<br />
ARENDS, Fridrich: Ostfriesland und Jever. Drei Bän<strong>de</strong>. Em<strong>de</strong>n 1818/1819/1820 (Nachdruck<br />
Leer 1974)<br />
BENING, Eggerik: Cronica <strong>de</strong>r Freesen. Bearbeitet von L. Hahn, aus <strong>de</strong>m Nachlass<br />
hrsg. von H. Ramm. Aurich 1961<br />
BERGER, Dieter: Du<strong>de</strong>n, geografische <strong>Namen</strong> in Deutschland: Herkunft und Be<strong>de</strong>utung<br />
<strong>de</strong>r <strong>Namen</strong> von Län<strong>de</strong>rn, Städten, Bergen und Gewässern. Mannheim 1993.<br />
DEUTSCHES WÖRTERBUCH von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. 16 Bän<strong>de</strong> [in 32 Teilbän<strong>de</strong>n].<br />
Leipzig: S. Hirzel 1854-1960.<br />
http://germazope.uni-trier.<strong>de</strong>/Projects/WBB/ (abgerufen: 5. April 2010)<br />
EMMIUS, Ubbo: Rerum Frisicarum historia. Lei<strong>de</strong>n 1616.<br />
FESTAUSSCHUSS <strong>de</strong>r Vereine und Verbän<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> Detern (Hrsg.): Im Spiegel<br />
<strong>de</strong>r Jahrhun<strong>de</strong>rte. Detern, Stickhausen, Neuburg, Amdorf. Detern o. J. [1976]<br />
HENNINGER, Wolfgang et al. (Hrsg.): Die große handgezeichnete Campsche Karte von<br />
Ostfriesland von 1806. Hannover 2005.<br />
HOUTROUW, Otto G.: Ostfriesland, eine geschichtlich-ortskundige Wan<strong>de</strong>rung gegen<br />
En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Fürstenzeit. Aurich 1889 (Nachdruck Leer 1974).<br />
KLÖVER, Hanne: Spurensuche im Saterland. Ein Lesebuch <strong>zu</strong>r Geschichte einer Gemein<strong>de</strong><br />
friesischen Ursprungs im Ol<strong>de</strong>nburger Münsterland. Nor<strong>de</strong>n o. J. [1998].<br />
LANG, Arend W. : Kleine Kartengeschichte Frieslands zwischen Ems und Ja<strong>de</strong>. Nor<strong>de</strong>n<br />
o. J. [1992]<br />
OHANSKI, Uwe/UDOLPH, Jürgen: Die Ortsnamen <strong>de</strong>s Landkreises Hannover und <strong>de</strong>r<br />
Stadt Hannover. Bielefeld 1998.<br />
REMMERS, Arend: Von Aaltukerei bis Zwischenmooren. Die Siedlungsnamen zwischen<br />
Dollart und Ja<strong>de</strong>. Leer 2004.<br />
WESSELS, Paul: Standardquellen <strong>zu</strong>r Ortsgeschichte im Staatsarchiv Aurich<br />
http://www.ostfriesischelandschaft.<strong>de</strong>/ortschronisten/Aufsatze_und_Literatur/<br />
Standardquellen_im_Staatsarchi/standardquellen_im_staatsarchi.html (abgerufen:<br />
5. April 2010)