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Die Familie in Berlin - Herzfeld-online.de

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<strong>Die</strong> <strong>Familie</strong> <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />

Ludwigs Geschwister und se<strong>in</strong> Vater Jacob<br />

Gut vier Jahre nach se<strong>in</strong>er Taufe trat am 22. Mai 1842 Carl Adolph <strong>Herzfeld</strong> wie<strong>de</strong>rum <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />

Jerusalemer Kirche vor <strong>de</strong>n Altar, diesmal um sich mit Auguste Amalie Lemke, die am 27.<br />

Juli 1822 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> als älteste Tochter <strong>de</strong>s Friedrich Wilhelm Lemke und se<strong>in</strong>er Ehefrau<br />

Dorothea Charlotte Fri<strong>de</strong>rike, geb. Wernicke zur Welt gekommen war, trauen zu lassen.<br />

Zum Zeitpunkt <strong>de</strong>r Eheschließung war Idas Vater, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Beruf e<strong>in</strong>es Pelz- und<br />

Klei<strong>de</strong>rmachers ausgeübt hatte, bereits verstorben. - Uns s<strong>in</strong>d drei jüngere Schwestern <strong>de</strong>r<br />

Ehefrau Carls bekannt: Emilie Frie<strong>de</strong>rike Mathil<strong>de</strong> (geb. 14.12.1823), Albert<strong>in</strong>e Maria (geb.<br />

7.6.1827) und Maria Alberten (geb. 3.6.1828).<br />

Carl war <strong>in</strong>zwischen als Referendar am Königlichen Kammergericht, das <strong>in</strong> Sichtweite <strong>de</strong>r<br />

Jerusalemer Kirche an <strong>de</strong>r L<strong>in</strong><strong>de</strong>nstraße lag, tätig.<br />

Noch im selben Jahr, am 14. September 1842, wur<strong>de</strong><br />

Carl und Idas erstes K<strong>in</strong>d geboren, das am 26. Oktober<br />

1842 <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Jerusalemer Kirche auf die Namen Alw<strong>in</strong>e<br />

Emilie Fri<strong>de</strong>rike Hedwig getauft wur<strong>de</strong>. 1<br />

Ebenfalls im September <strong>de</strong>s Jahres 1842 nahm nach fast<br />

40jähriger Unterbrechung auch Samuel Josephson<br />

zusammen mit se<strong>in</strong>er Frau und <strong>de</strong>n K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn aus erster und<br />

zweiter Ehe wie<strong>de</strong>r <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Wohnsitz. Im<br />

September 1803 Henriette (Jitel), die Tochter <strong>de</strong>s Loeb<br />

Beer (Leib Segall) geheiratet. Aus dieser Ehe stammten die<br />

K<strong>in</strong><strong>de</strong>r Elle, Jacob und Jüttel. Am 12. Januar 1812 starb se<strong>in</strong>e Frau, vermutlich im K<strong>in</strong>dbett.<br />

Er heiratete darauf am 20. März 1813 <strong>de</strong>ren 18jährige Schwester Sche<strong>in</strong><strong>de</strong>l, die ihm die K<strong>in</strong><strong>de</strong>r<br />

Henriette, Philipp<strong>in</strong>e, Joseph, Bernhard, Moritz und Hertz gebar.<br />

Bevor er sich wie<strong>de</strong>r <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> nie<strong>de</strong>rließ, war er <strong>in</strong> Schlesien, 1830 erhielt er <strong>de</strong>n Bürgerbrief <strong>de</strong>r<br />

Stadt Breslau, ansässig gewesen. 2<br />

1 Zentralarchiv <strong>de</strong>r evangelischen Kirche <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />

2 Josephson, Samuel, geb. 4.1.1781 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, Kfm. aus Lissa<br />

Ehefrau: Henriette geb. Loebel Beer<br />

K<strong>in</strong><strong>de</strong>r: Ella - geb. 22. Febr. 1806 <strong>in</strong> Lissa<br />

Jacob - geb. 4. März 1809 <strong>in</strong> Lissa<br />

Jüttel - geb. 8. Mai 1811 <strong>in</strong> Lissa<br />

Samuel Josephson war <strong>in</strong> 1. Ehe verheiratet Sept. 1803<br />

<strong>in</strong> 2. Ehe verheiratet 20. März 1813 Naturalisationspatent vom 10. Januar 1815.<br />

1


Bereits wenige Monate nach se<strong>in</strong>er Ankunft <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Hauptstadt Preußens heiratete am 18. Februar<br />

1843 se<strong>in</strong>e älteste Tochter aus zweiter Ehe, die 26jährige Henriette, <strong>de</strong>n 51jährigen Kaufmann<br />

Samuel London, Sohn <strong>de</strong>s Emanuel, aus Lissa. Bei <strong>de</strong>r Hochzeit war ansche<strong>in</strong>end auch Ludwig<br />

<strong>Herzfeld</strong>, wie wir aus e<strong>in</strong>em späteren Brief Henriettes an ihn entnehmen können, anwesend.<br />

"Bei unserer Berl<strong>in</strong>er Reise vor 2 1/2 Jahren versprachen Sie, mich e<strong>in</strong>mal zu besuchen, bis jetzt s<strong>in</strong>d Sie aber<br />

Ihren Versprechungen noch nicht nachgekommen, suchen Sie es doch recht bald e<strong>in</strong>mal möglich zu machen.<br />

Leben Sie recht wohl, und wenn Sie nach Berl<strong>in</strong> schreiben, grüßen Sie bestens von Ihrer Sie achten<strong>de</strong>n<br />

Schwäger<strong>in</strong> H. London. Me<strong>in</strong> Mann u. K<strong>in</strong>dchen empfehlen sich bestens.<br />

Lissa. d 10.4.47<br />

Samuel Josephson lebte bis zu se<strong>in</strong>em To<strong>de</strong> am 30. Dezember 1855 mit se<strong>in</strong>er Frau <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />

Neuen Friedrichstraße 78, wo auch zunächst die K<strong>in</strong><strong>de</strong>r wohnten. 3 Se<strong>in</strong> Sohn Joseph, <strong>de</strong>r am<br />

2.10. 1848 4 <strong>de</strong>n Bürgerbrief <strong>de</strong>r Stadt Berl<strong>in</strong> erhielt, ließ sich als Mehl- und Vorkosthändler <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />

Dragonerstr. 22 nie<strong>de</strong>r. Auch er trug sich mit Heiratsabsichten: Ludwigs ältere Schwester Bertha<br />

war ihm versprochen. So sie<strong>de</strong>lte auch Bertha zusammen mit <strong>de</strong>n übrigen Geschwistern En<strong>de</strong><br />

1843 von Guhrau nach Berl<strong>in</strong> über. 5<br />

(Verzeichnis, <strong>de</strong>r aufgrund e<strong>in</strong>es Naturalisationspatents <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />

VIII; HA, J 1, Bd. Nr.12, S. 36)<br />

wohnen<strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>nfamilien. GStA Berl<strong>in</strong>,<br />

Samuel Josephson, Kaufmann, geb. 4. Januar 1781,<br />

Heirat 1813 : Sche<strong>in</strong><strong>de</strong>l, geb. S(e)gall<br />

früher Lissa, seit 1. Sept. 1842 Berl<strong>in</strong><br />

Naturalisationspatent d.d. Berl<strong>in</strong> 10. Januar 1815<br />

K<strong>in</strong><strong>de</strong>r: Henriette (Jette) - geb. 24. Mai 1817<br />

Philipp<strong>in</strong>e - geb. 10. März 1818<br />

Joseph - geb. 16. März 1819<br />

Bernhard (Baer) - geb. 16. Januar 1822<br />

Moritz (Moses) - geb. 3. Mai 1825<br />

Hertz - geb. 14. März 1827<br />

(GStA Berl<strong>in</strong>, HA VIII, 3 1, Bd. 16. <strong>Die</strong> Abkürzung SGal be<strong>de</strong>utet: zum Stamme Levi gehörig, daraus leitete<br />

sich später <strong>de</strong>r Name Segall ab. Henriettes (Jette) und Sche<strong>in</strong><strong>de</strong>ls (Sophie) Vater war also e<strong>in</strong> Levit.)<br />

Posen, d. 21. Dez. 1802 das Gesuch <strong>de</strong>s Schutzju<strong>de</strong>n Samuel Joseph zu Berl<strong>in</strong>, um die Erlaubnis zur<br />

Verheiratung mit <strong>de</strong>r Tochter <strong>de</strong>s Schutzju<strong>de</strong>n Loebel Baer zu Lissa und zu se<strong>in</strong>em Etablissement daselbst. Dem<br />

Ersuchen wur<strong>de</strong> am 29. Juni 1803 stattgegeben. (GStA Berl<strong>in</strong>, H II, Gen.Dir. Südpreußen VI, Ortschaften,<br />

Nr.1519 Lissa 1802-1805.)<br />

3 Im Berl<strong>in</strong>er Wohnungsanzeiger ist dagegen die Neue Friedrichstr. 79 ausgewiesen. Samuel Josephsons Witwe<br />

Sophie (Sche<strong>in</strong><strong>de</strong>l) wohnte später <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Krausnickstr. 19.<br />

4 Josephson, Joseph, Brennereiverwalter - Mehl u. Vorkosthdlr., N. Friedr.str. 78, geb. Lissa 16.3.1819, 2 Rtl.<br />

1.3. f.N.B.H., heir. 28.7.1844 Bertha, To.d.Kfm. Jacob <strong>Herzfeld</strong> aus Guhrau (25-26) V.:Hdlsm. = Samuel<br />

Josephson, Nr.2296. (J.B.B. 2.10.1943, Nr. 2221, S.416)<br />

5 Jacob <strong>Herzfeld</strong>, Kommissionswarenhändler (Witwer)<br />

geb. 3. Dezember 1789 (nach protokollarischer Angabe).<br />

K<strong>in</strong><strong>de</strong>r: Wilhelm<strong>in</strong>e geb. 18. August 1821<br />

Ellw<strong>in</strong>e geb. 8. Juli 1828<br />

Louise geb. 20. April 1833<br />

Albert Leopold geb. 23. April 1835<br />

2


Bertha schreibt Anfang 1844 an ihren Vater Jacob, <strong>de</strong>r sich ansche<strong>in</strong>end zu diesem Zeitpunkt bei<br />

se<strong>in</strong>em Sohn Ludwig, <strong>de</strong>ssen Bestätigung als Referendar durch <strong>de</strong>n Kultusm<strong>in</strong>ister v. Mühler im<br />

Juni 1843 erfolgt wor<strong>de</strong>n war, <strong>in</strong> Glogau aufhielt.<br />

Lieber Vater<br />

mir 33 tlr e<strong>in</strong>geschickt und e<strong>in</strong>e Quittung darüber verlangt. Ich bitte Dich sehr endlich <strong>de</strong>n Brief an ihn bald nach<br />

Guhrau besorgen, auch <strong>de</strong>n an Heytemeier von Josephson bald abzugeben, <strong>de</strong>rselbe hat an Josephson<br />

geschrieben daß er ihn wenn er ihm nicht <strong>in</strong> 14 Tagen das Geld e<strong>in</strong>schickt verklagt Josephson hat <strong>de</strong>shalb an ihn<br />

geschrieben Lieber Vater Ich wollte Dich bitten Dich doch e<strong>in</strong>mal bei <strong>de</strong>r Frau Dr. Weitze zu erkundigen, ob sie<br />

das Geld für <strong>de</strong>n Lotteriegew<strong>in</strong>n ungefähr 20 tlr, nicht erhalten hat Ich hatte <strong>de</strong>nselben an sie angewiesen und<br />

<strong>de</strong>nselben gebeten das Geld <strong>in</strong> Geld Anweisung hierher zu schicken, damit ich mir das Postporto schicken Es ist<br />

nun schon lange her, ich wun<strong>de</strong>re mich daß ich es noch nicht erhalten habe. Ich spiele das Los mit H. Gottfried<br />

weiter und habe sie gebeten, bei je<strong>de</strong>r Ziehung das Geld für mich zu bezahlen Erkundige Dich doch e<strong>in</strong>mal bei<br />

ihr, ob alles <strong>in</strong> Richtigkeit ist, von hier aus macht es mir zu viel Porto.<br />

Schreibe uns recht bald.<br />

Bertha<br />

Es wird also die Heirat Berthas neben <strong>de</strong>r schlechten wirtschaftlichen Situation <strong>in</strong> <strong>de</strong>r sich Jacob<br />

befand, und se<strong>in</strong> angegriffener Gesundheitszustand die Ursache dafür gewesen se<strong>in</strong>, daß Jacob<br />

Guhrau verließ und se<strong>in</strong>en Wohnsitz <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> nahm. <strong>Die</strong> <strong>Familie</strong> wartete aber auch noch aus<br />

e<strong>in</strong>em an<strong>de</strong>ren Grund auf die Ankunft <strong>de</strong>s Vaters: Am 18. März 1844 hatte Ida, die Frau Karls,<br />

e<strong>in</strong>en Sohn zur Welt gebracht <strong>de</strong>r nun im Dabeise<strong>in</strong> <strong>de</strong>s Großvaters am 1. Mai getauft wer<strong>de</strong>n<br />

sollte. Robert Bail, <strong>de</strong>r Freund Ludwigs, berichtete darüber: "In Berl<strong>in</strong> haben wir bis dato recht<br />

wenig mitgemacht, <strong>de</strong>nn man muß wirklich zu sehr arbeiten, aber wir s<strong>in</strong>d doch wöchentlich<br />

e<strong>in</strong>mal bei Ihren Schwestern gewesen und haben jetzt öfters Carl besucht, namentlich seit <strong>de</strong>r<br />

kle<strong>in</strong>e Junge da ist, <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>e beson<strong>de</strong>re Gunst hat, weil er Gambr<strong>in</strong>us getauft wer<strong>de</strong>n soll was die<br />

Mutter doch nicht zugeben will. Scha<strong>de</strong> daß Sie nicht mit Ihrem Alten kommen, um <strong>de</strong>n Jungen<br />

taufen zu helfen, <strong>de</strong>sto fi<strong>de</strong>ler wollen wir aber an <strong>de</strong>r bevorstehen<strong>de</strong>n Hochzeit se<strong>in</strong>. Ihren Alten<br />

grüßen Sie vielmals von mir, es wer<strong>de</strong>n schon die Stun<strong>de</strong>n bis zu se<strong>in</strong>er Ankunft gezählt; und ich<br />

hoffe nicht <strong>de</strong>r letzte zu se<strong>in</strong>, <strong>de</strong>r ihn <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> begrüßen wird."<br />

In <strong>de</strong>r Taufe, die wie<strong>de</strong>rum <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Jerusalemer Kirche stattfand, erhielt <strong>de</strong>r Knabe nicht <strong>de</strong>n<br />

Namen <strong>de</strong>s Schutzpatrons <strong>de</strong>r Bierbrauer Gambr<strong>in</strong>us son<strong>de</strong>rn die Namen Emil Ludwig Georg<br />

<strong>Herzfeld</strong>. 6 Unter <strong>de</strong>n Taufpaten befand sich e<strong>in</strong> Referendar Limann, <strong>de</strong>r zusammen mit Carl beim<br />

Johanne Ida geb. 25. April 1839<br />

früher: Guhrau, Staatsbürgerbrief Attest <strong>de</strong>s Magistrats zu Guhrau vom 26. April 1844, <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> seit 1844,<br />

Verfügung vom 15. Oktober 1844.<br />

(GStA Berl<strong>in</strong>, HA VIII, J 1, Bd. 16: Liste <strong>de</strong>rjenigen Staatsbürger, welche das Staatsbürgerrecht <strong>in</strong> <strong>de</strong>n<br />

auswärtigen Prov<strong>in</strong>zen <strong>de</strong>r Monarchie genommen und sich <strong>de</strong>mnächst <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> nie<strong>de</strong>rgelassen haben. Nr. d.<br />

<strong>Familie</strong> 100, Nr. d. Person 254.)<br />

6 Wir f<strong>in</strong><strong>de</strong>n ihn im Berl<strong>in</strong>er Adreßbuch (1889/89) wie<strong>de</strong>r: <strong>Herzfeld</strong>, Georg, Dr. med. pr. Arzt Kurfürstenstr.<br />

15/16 pt. W.<br />

3


Kammergericht tätig war - er sollte sich später beson<strong>de</strong>rs für Jacob verwen<strong>de</strong>n - und Ludwig<br />

<strong>Herzfeld</strong>, <strong>de</strong>r, falls er sich nicht nur als Pate <strong>in</strong>s Taufbuch hatte e<strong>in</strong>tragen lassen, von Glogau<br />

angereist war; Pf<strong>in</strong>gsten je<strong>de</strong>nfalls hielt er sich <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> auf.<br />

So wird er auch zusammen mit <strong>de</strong>n <strong>Familie</strong>nmitglie<strong>de</strong>rn und se<strong>in</strong>em Freun<strong>de</strong> Bail an <strong>de</strong>r<br />

Hochzeit se<strong>in</strong>er Schwester Bertha mit Joseph Josephson teilgenommen haben. <strong>Die</strong> Trauung<br />

wur<strong>de</strong> am 28. Juli 1844 durch <strong>de</strong>n Rabb<strong>in</strong>atsassessor Oett<strong>in</strong>ger vollzogen, <strong>de</strong>ssen Persönlichkeit<br />

von J.B. Heymann wie folgt geschil<strong>de</strong>rt wird:<br />

Endlich begrüßen wir das ehrwürdige Rabb<strong>in</strong>at, damals vertreten durch <strong>de</strong>n Rabb<strong>in</strong>atsverwalter Oett<strong>in</strong>ger (Reb<br />

Jaakauw Jaußeif) und <strong>de</strong>n Rabb<strong>in</strong>ats-Assessor E. Rosenste<strong>in</strong> (Reb Elchonon). Oett<strong>in</strong>ger war e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r bravsten<br />

und würdigsten Männer und e<strong>in</strong>. großer Talmud-Gelehrter, ebenso wenig selbst- als gew<strong>in</strong>nsüchtig. Er hatte<br />

ke<strong>in</strong>e K<strong>in</strong><strong>de</strong>r, sorgte aber für se<strong>in</strong>e und se<strong>in</strong>er Frau Nichten, die bei ihm erzogen wur<strong>de</strong>n, gleichsam wie für se<strong>in</strong>e<br />

eigenen, und er wur<strong>de</strong> dar<strong>in</strong> von se<strong>in</strong>er sehr würdigen Frau unterstützt. Es war e<strong>in</strong>e beson<strong>de</strong>re Freu<strong>de</strong> zu scheu,<br />

wie das Ehepaar noch <strong>in</strong> ihrem hohen Alter — sie feierten sogar ihre gol<strong>de</strong>ne Hochzeit — sich gegenseitig mit Liebe<br />

und Zärtlichkeit begegneten. Bei allen guten Eigenschaften, die <strong>de</strong>r Mann besaß, war er aber am allerwenigsten<br />

geeignet, <strong>de</strong>m Amte e<strong>in</strong>es Rabb<strong>in</strong>ats-Verwalters vorzustehen und man nannte ihn ironisch: Rabb<strong>in</strong>atsverweser,<br />

d. h. e<strong>in</strong>er, <strong>de</strong>r das Rabb<strong>in</strong>at verwesen läßt. Er war e<strong>in</strong> schwacher ängstlicher Mann, <strong>de</strong>r sich leicht <strong>in</strong>s<br />

Bockshorn jagen und von je<strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r es darauf anlegte, überrumpeln ließ. Machten ihm Freun<strong>de</strong> hierüber<br />

Vorstellungen, so antwortete er: „Ich werre mich: mit die Leut nischt zänken.“ Er ließ daher alles gehen, wie es<br />

g<strong>in</strong>g und verlor bald se<strong>in</strong>e ganze Autorität. Zweimal im Jahre hielt er <strong>in</strong> <strong>de</strong>r großen Synagoge nachmittags e<strong>in</strong>en<br />

Kanzelvortrag (Deroschoh) und zwar an Schabbath haggadol und an Schabbath Schuwah <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

ungezwungenen jüdisch-<strong>de</strong>utschen Jargon. Der größte Teil <strong>de</strong>r Synagogenbesucher kam h<strong>in</strong>, um sich zu<br />

amüsieren. Denn nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Rhetor ungefähr 1/2 Stun<strong>de</strong> lang über die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Tages gesprochen hatte,<br />

teils vernehmbar, teils <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Bart murmelnd, hielt er plötzlich e<strong>in</strong> und sagte: „Nu losen wer schmuußen a Bissel<br />

Schmaatesch,“ d. im. ungefähr: Jetzt wollen wir uns e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> wenig mit e<strong>in</strong>em gelehrten Vortrage<br />

beschäftigen. Hier begann nun eigentlich das Amüsement. Kaum war das gelehrte Thema begonnen, und die<br />

Explikation gefolgt, als schon e<strong>in</strong> polnischer Waul-Lerner mit langem Bart und dito Peiaus hervorsprang und<br />

e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>wurf machte, wodurch‘ sich sofort e<strong>in</strong> großer Pilpul (e<strong>in</strong>e Dialektik) entspann, <strong>in</strong><strong>de</strong>m sich noch e<strong>in</strong><br />

halbes Dutzend solcher polnischen Jü<strong>de</strong>n daran beteiligten. Oett<strong>in</strong>gers Vorgänger im Amte, <strong>de</strong>r vorher erwähnte<br />

Meyer Simon Weyl war klüger und ließ sich auf e<strong>in</strong>en gelehrten Streit nicht e<strong>in</strong>, son<strong>de</strong>rn erwi<strong>de</strong>rte <strong>de</strong>mjenigen,<br />

<strong>de</strong>r damit anfangen wollte: „Lieber Freund, wollt Ihr mit mir disputieren, so kommt <strong>in</strong> me<strong>in</strong>e Wohnung o<strong>de</strong>r <strong>in</strong><br />

(las Beth hamidrasch, hier habe ich ke<strong>in</strong>e Lust dazu.“ Oett<strong>in</strong>ger ließ sich aber immer auf die Beantwortung <strong>de</strong>r<br />

Kontradiktion e<strong>in</strong>, und wenn mehrere Waul-Lerner ihn zu gleicher Zeit anfielen, da hatte er oft Mühe, sich aus<br />

<strong>de</strong>m rabulistischen Chaos herauszuw<strong>in</strong><strong>de</strong>n. Mit e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>zelnen wur<strong>de</strong> er leichter fertig, <strong>de</strong>nn e<strong>in</strong>em solchen<br />

sagte er immer, <strong>in</strong><strong>de</strong>m er h<strong>in</strong>ter <strong>de</strong>m Kathe<strong>de</strong>r hervorsprang mit etwas heftigen Worten:<br />

„Redt kaane Narrschkeit!“ Der Mann ließ sich aber nicht belehren und wi<strong>de</strong>rsprach aufs neue. Da ward ihm mit<br />

etwas mil<strong>de</strong>ren Worten gesagt: „Geit (Gehet) Ihr se<strong>in</strong>dt a Narr“ (Ihr seid e<strong>in</strong> Narr). Gab er sich aber dann noch<br />

nicht zufrie<strong>de</strong>n, so wen<strong>de</strong>te sich <strong>de</strong>r Kanzelredner lachend an das Publikum mit <strong>de</strong>m Bemerken:<br />

„Der Jüd konn nischt lernen!“ Während nun e<strong>in</strong> solcher Kontradiktor mit <strong>de</strong><strong>in</strong> Rhetor stritt, hatte sich von <strong>de</strong>n<br />

Waullernern e<strong>in</strong>e Gruppe gebil<strong>de</strong>t, <strong>in</strong> welcher sich wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong> Streit entspann, wer von <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Männern recht<br />

habe, und dieser Streit wur<strong>de</strong> zuletzt so laut, daß <strong>de</strong>r Kanzelredner nicht mehr zu Worte kommen konnte. Er hielt<br />

daher e<strong>in</strong>e Weile e<strong>in</strong>, holte aus <strong>de</strong>r Tasche e<strong>in</strong>e silberne Dose, nahm ganz gemütlich e<strong>in</strong>e Prise, strich sich recht<br />

behaglich <strong>de</strong>n Bauch und sagte lachend zum Publikum: „Konn ich mich <strong>de</strong>rweil e bischen oobruhen!“ Wer solche<br />

Szene nicht selbst gesehen hat, <strong>de</strong>r glaubt es nicht, und <strong>de</strong>r Gelehrte Bensew <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em hebräischen Wörterbuch<br />

Ozar Haschoraschim bezeichnet e<strong>in</strong>en solchen nicht immer an richtigem Orte angebrachten Pilpul sehr treffend<br />

als Bilbul (Wirrwarr). Zum Schlusse knüpfte Oett<strong>in</strong>ger se<strong>in</strong>e Worte wie<strong>de</strong>r an die vorher abgebrochene Re<strong>de</strong><br />

an. 7<br />

7 A.H. Heymann, Lebenser<strong>in</strong>nerungen, Nach se<strong>in</strong>er Nie<strong>de</strong>rschrift im Auftrage se<strong>in</strong>er K<strong>in</strong><strong>de</strong>r herausgegeben von<br />

He<strong>in</strong>rich Löwe. Berl<strong>in</strong> 1909,<br />

4


<strong>Die</strong> Beziehungen zwischen <strong>de</strong>n <strong>Familie</strong>n Josephson und <strong>Herzfeld</strong> sche<strong>in</strong>en bereits zuvor sehr<br />

eng gewesen zu se<strong>in</strong> und noch auf Guhrauer, wenn nicht sogar Golluber Tage zurückzureichen.<br />

Es ist <strong>de</strong>shalb nicht verwun<strong>de</strong>rlich, daß außer Bertha auch e<strong>in</strong> an<strong>de</strong>res <strong>Herzfeld</strong>-Mädchen,<br />

vielleicht die jüngere Schwester Wilhelm<strong>in</strong>e, mit e<strong>in</strong>em Josephson verheiratet war, <strong>de</strong>nn im Jahre<br />

1851 f<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich im Berl<strong>in</strong>er Wohnungsanzeiger die E<strong>in</strong>tragung: Josephson, geb. <strong>Herzfeld</strong>, verw.<br />

Assessor, Oranienstr. 146. 8 Aber auch aus <strong>de</strong>r Verwandtschaft <strong>de</strong>s oben erwähnten Freun<strong>de</strong>s<br />

Rudolph Bail, e<strong>in</strong> Sohn <strong>de</strong>s Direktors <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rschlesischen Eisenbahn, hat jemand e<strong>in</strong>e<br />

Josephson, vielleicht Philipp<strong>in</strong>e, die Schwester <strong>de</strong>s Joseph, geheiratet, <strong>de</strong>nn auf <strong>de</strong>m jüdischen<br />

Friedhof an <strong>de</strong>r Schönhauser Allee ist das K<strong>in</strong>d Laura Josephson, gest. 8.12.1854, außereheliche<br />

Tochter <strong>de</strong>r Witwe Bail, geb. Josephson, begraben.<br />

An <strong>de</strong>r prekären wirtschaftlichen Lage Jacobs sollte sich auch <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> nichts än<strong>de</strong>rn, das wird<br />

zunächst aus se<strong>in</strong>en Briefen an Ludwigs Freund Kosmehl <strong>de</strong>utlich:<br />

Hochwür<strong>de</strong>n<br />

Geerter Herr!<br />

In <strong>de</strong>m ich <strong>in</strong> Geldverlegenheiten b<strong>in</strong>, so ersuche ich Sie hiermit umgehend, solches zu besorgen. Dr. Trautler<br />

grüßt Sie vielmal.<br />

In Erwartung, daß Sie me<strong>in</strong>er Bitte nachkommen wer<strong>de</strong>n, zeichnet sich mit aller Achtung<br />

Euer<br />

Hochwohlwür<strong>de</strong>n<br />

ganz ergebenster<br />

Berl<strong>in</strong>, d. 20/10. 44<br />

Jacob <strong>Herzfeld</strong><br />

Herrn<br />

Kosmehl Beuthen<br />

Nach vielen Glückwünsche zu <strong>de</strong>m jüngst angetretenen neuen Jahre b<strong>in</strong> ich so frei, Sie hiermit höflichst zu<br />

ersuchen, mir umgehend, wenn es Ihnen möglich zu machen ist, Geld zukommen zu lassen. In Erwartung<br />

<strong>de</strong>ssen, zeichnet sich mit aller Ihr ergebenster Freund<br />

Berl<strong>in</strong>, d. 14/1. 45 Jacob <strong>Herzfeld</strong> 9<br />

8 Es besteht die Möglichkeit, daß Joseph Isaac, <strong>de</strong>n wir 1778 <strong>in</strong> Neumark/ Westpreußen f<strong>in</strong><strong>de</strong>n, e<strong>in</strong> Sohn <strong>de</strong>s<br />

Isaac Joseph aus Lissa (1725) ist. Vgl. die Stammtafel im Kapitel '<strong>Die</strong> Synagoge'.<br />

9 Da sich die Briefe im Nachlass von Ludwig <strong>Herzfeld</strong> fan<strong>de</strong>n, können wir davon ausgehen, wie auch an an<strong>de</strong>rer<br />

Stelle bezeugt, daß er se<strong>in</strong>en Vater Jacob unterstützte.<br />

5


Aber auch das Viertel, <strong>in</strong><br />

<strong>de</strong>m er sich ebenso wie<br />

Joseph Josephson nie<strong>de</strong>rgelassen<br />

hatte, verweisen<br />

auf se<strong>in</strong>e schlechten f<strong>in</strong>anziellen<br />

Verhältnisse.<br />

Zunächst wohnte Jacob <strong>in</strong><br />

<strong>de</strong>r Großen Hamburger Str.<br />

41, direkt neben <strong>de</strong>r<br />

Sophien- kirche, unweit <strong>de</strong>s<br />

alten von <strong>de</strong>m Wiener<br />

Exulanten Moses Riess im<br />

Jahre 1671 begrün<strong>de</strong>ten<br />

jüdischen Friedhofs.<br />

Der wur<strong>de</strong> flankiert von<br />

<strong>de</strong>m um die<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rtwen<strong>de</strong><br />

errichteten Gebäu<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

jüdischen Knabenschule,<br />

das heute wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

Ausbildung e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en<br />

Zahl jüdische Gymnasiasten dient und <strong>de</strong>m nicht mehr erhaltenen jüdische Altersheim, das<br />

während <strong>de</strong>r Naziherrschaft die Sammelstelle fungierte, von <strong>de</strong>r aus die Deportation von 80 000<br />

Berl<strong>in</strong>er Ju<strong>de</strong>n <strong>in</strong> die Gaskammern erfolgte, begrenzte das Areal. Dementsprechend machte<br />

auch vor <strong>de</strong>n Toten nicht halt: ihre Gebe<strong>in</strong>e wur<strong>de</strong>n beim Anlegen e<strong>in</strong>es Splittergrabens<br />

herausgerissen, die Grabste<strong>in</strong>e zertrümmerte o<strong>de</strong>r zum Abstützen <strong>de</strong>r Seitenwän<strong>de</strong> benutzt.<br />

Heute e<strong>in</strong>e öffentliche Grünanlage, rechteckig, begrenzt durch e<strong>in</strong>e hohe Mauer, vor <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>zelne<br />

Bruchstücke, <strong>de</strong>r ursprünglich 3000 Grabste<strong>in</strong>e liegen, kümmerliche Reste, die uns Kun<strong>de</strong> von<br />

<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>st blühen<strong>de</strong>n jüdischen Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> geben.<br />

<strong>Die</strong> Rasenflächen wer<strong>de</strong>n von e<strong>in</strong>em Pfad aus Bruchste<strong>in</strong>platten unterbrochen, <strong>de</strong>r auf e<strong>in</strong>en<br />

verloren dastehen<strong>de</strong>n, schlichten weißen Grabste<strong>in</strong> h<strong>in</strong> läuft, <strong>de</strong>r auf die vermutete<br />

Ruhestätte <strong>de</strong>s Begrün<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>r jüdischen Aufklärung und Urhebers <strong>de</strong>r Emanzipation, <strong>de</strong>s<br />

Philosophen Moses Men<strong>de</strong>lssohn, verweist. 10<br />

10 Auf <strong>de</strong>m Friedhof an <strong>de</strong>r Großen Hamburger Straße ruhten<br />

Samuel David <strong>Herzfeld</strong>, gest. 28. Juni 1790 und se<strong>in</strong>e Frau<br />

Süßchen <strong>Herzfeld</strong>, gest. 23. Februar 1815<br />

Schönchen <strong>Herzfeld</strong>, Frau d. Ruben Goldschmidt, gest. 17. Febr. 1806<br />

Jacob Behrend <strong>Herzfeld</strong>, gest. 5. Nov. 1795 und se<strong>in</strong>e Frau<br />

Hen<strong>de</strong>l <strong>Herzfeld</strong>. - E<strong>in</strong>e verwandtschaftliche Beziehung diesen <strong>Herzfeld</strong>s zu unserer <strong>Familie</strong> konnte bisher<br />

nicht nachgewiesen wer<strong>de</strong>n.<br />

6


<strong>Die</strong> Große Hamburger Straße wur<strong>de</strong> als<br />

Tor zum Scheunenviertel bezeichnet, das<br />

se<strong>in</strong>en Namen <strong>de</strong>n rund um vor die<br />

Stadttore verlegten Scheunen, Ställe und<br />

Lagerschuppen verdankte, und die bis<br />

weit <strong>in</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rt h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> manchen<br />

Straßen und Gassen, <strong>in</strong> <strong>de</strong>ren Höfen<br />

Vieh gehalten wur<strong>de</strong>, das schäbige<br />

Aussehen e<strong>in</strong>e überlebten Dorfes gaben.<br />

Hier wohnten, als Jacob <strong>Herzfeld</strong> sich<br />

nie<strong>de</strong>rließ, neben Ju<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>n<br />

östlichen Prov<strong>in</strong>zen, arme Leute<br />

Holzhauer, Torfträger und ‘Unratweiber’,<br />

<strong>de</strong>ren wichtige Tätigkeit erst mit <strong>de</strong>r<br />

E<strong>in</strong>führung <strong>de</strong>r Kanalisation e<strong>in</strong> En<strong>de</strong><br />

fand.<br />

Dazu kamen Dirnen und alles mögliche<br />

an<strong>de</strong>re Ges<strong>in</strong><strong>de</strong>l, das sich hier schreiend<br />

herumzankte und -prügelte. Im Jahre 1846 wies Berl<strong>in</strong> nach e<strong>in</strong>er statistischen Aufstellung ja<br />

schon 2000 Verbrecher, ebensoviel Obdachlose sowie etwa 8000 Bettler und an<strong>de</strong>re<br />

fragwürdige Existenzen auf ..." 11<br />

11 Ernst Engelbrecht, Krim<strong>in</strong>alkommissar und Leiter <strong>de</strong>r Streif- und Fahndungsmannschaft <strong>de</strong>s Berl<strong>in</strong>er<br />

Polizeipräsidiums, zitiert nach: Eike Geisel, Im Scheunenviertel, Berl<strong>in</strong> 1981 (2. Aufl.), S.12.<br />

7


Seit Beg<strong>in</strong>n <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts zwängten sich <strong>in</strong> diesem Viertel die noch halbbäuerliche<br />

Massen, die für <strong>de</strong>n Industrialisierungsprozess habituell geformt, gedrillt wer<strong>de</strong>n mussten,<br />

wofür die militärischen Namen <strong>de</strong>r Dragoner-, Artillerie-, L<strong>in</strong>ien-, und Grenadierstraße<br />

be<strong>de</strong>utungsschwanger stan<strong>de</strong>n.<br />

8


In diesen Straßen, die um die Jahrhun<strong>de</strong>rtwen<strong>de</strong> und beson<strong>de</strong>rs nach <strong>de</strong>m Ersten<br />

Weltkrieg die Hauptschlaga<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s vorherrschen<strong>de</strong>n ost -(europäischen) - jüdischen<br />

Lebens bil<strong>de</strong>n sollten, lebte Jakob mit se<strong>in</strong>en m<strong>in</strong><strong>de</strong>rjährigen K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn und die <strong>Familie</strong> Joseph<br />

Josephsons. Jacob war wohl zeitweilig bei se<strong>in</strong>em Schwiegersohn untergekommen, so<br />

f<strong>in</strong><strong>de</strong>n wir ihn <strong>in</strong> <strong>de</strong>r L<strong>in</strong>ienstraße 106, wo auch e<strong>in</strong> weiterer Josephson, bei <strong>de</strong>m es sich,<br />

falls Joseph Josephson zu diesem Zeitpunkt bereits <strong>in</strong> die U.S.A. ausgewan<strong>de</strong>rt seien sollte,<br />

um <strong>de</strong>n Kommisair Isaac Josephson, e<strong>in</strong> Sohn <strong>de</strong>s Abraham <strong>in</strong> Prenzlau, <strong>de</strong>r zusammen mit<br />

se<strong>in</strong>er Frau Betty und <strong>de</strong>n K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn seit 1827 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> ansässig war und dort 1834 das<br />

Bürgerrecht erhielt 12 , han<strong>de</strong>ln dürfte, se<strong>in</strong> Domizil hatte. Es mag se<strong>in</strong>, daß Jacob <strong>in</strong> dieser<br />

Wohnung auch im Februar 1850 starb.<br />

12 Spätestens seit 1827 war <strong>de</strong>r 1793 od. 1791 <strong>in</strong> Prenzlau geborene Isaac Josephson <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> ansässig. Zuvor<br />

hatte er <strong>in</strong> Brieg und <strong>in</strong> Prenzlau, wo wir Verwandte d. Josephsons, die <strong>Familie</strong> Herz Berendt, f<strong>in</strong><strong>de</strong>n, gewohnt.<br />

Mit se<strong>in</strong>er Frau Charlotte, geb. Löwenberg, die Ehe wur<strong>de</strong> 1822 geschlossen, hatte er e<strong>in</strong>e Reihe von<br />

K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn. Bekannt s<strong>in</strong>d uns Betty(*21.Febr.1827), Henriette (*16. Jan.1829), Albert (*9.0kt. 1830) und<br />

Nanette (*30.Aug. 1832). - Isaac Josephson, <strong>de</strong>r zunächst afs Fe<strong>de</strong>rposenfabrikant, später als Commissio nair für<br />

Landgüter bezeichnet wird, wohnte 1851 <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Oranienburger Str. 20, später <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Johannisstr. 12 (1866). Das<br />

Berl<strong>in</strong>er Bürgerrecht erhielt er am 26.6.1834, unter <strong>de</strong>r Nr. 1416 <strong>de</strong>r J.B.B. f<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich folgen<strong>de</strong> E<strong>in</strong>tragung:<br />

Josephson, Isaac, Fe<strong>de</strong>r posenfabr., Rosenthaler Str. 45, geb. Prenzlau 7.9.1791, Bg. Prenzlau 3.2.1813, seit<br />

1826 <strong>in</strong> B. als Werkmeister, verh. seit 10J.,Frau u. 4 K<strong>in</strong><strong>de</strong>r, Vermögen 500 Rtl., 1 Rtl. f.d.A., gest. nach 1858.<br />

Vater.: Abraham Josephson, Stbgr. (A.Km. 2366),Kfm., gest.Prenzlau.<br />

9


Rathaus <strong>de</strong>r Bürgerbrief <strong>de</strong>r Stadt überreicht.<br />

Aber wir haben etwas<br />

vorgegriffen. Zunächst mel<strong>de</strong>te<br />

sich Jacob im Oktober 1844 bei<br />

<strong>de</strong>n Berl<strong>in</strong>er Behör<strong>de</strong>n, dort<br />

legte er das Staatsbürger Attest<br />

<strong>de</strong>s Magistrats von Guhraus<br />

vor, das vom 26. April <strong>de</strong>s<br />

Jahres datiert war. 13<br />

Am 19. Februar 1845 erhielt er<br />

dann das Berl<strong>in</strong>er Bürgerrecht<br />

14<br />

, wie es bereits Samuel<br />

Josephson am 21. Juni 1844<br />

erhalten hatte 15 und es <strong>de</strong>ssen<br />

Sohn Bernhard Baer am 16.<br />

Juni 1846 noch bekommen<br />

sollte. 16<br />

In <strong>de</strong>r alten Synagoge <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />

Hei<strong>de</strong>reuthergasse musste<br />

Jacob aus diesem Anlass<br />

se<strong>in</strong>en Bürgereid leisten,<br />

danach wur<strong>de</strong> ihm im Berl<strong>in</strong>er<br />

13 Vgl. Anm. 4.<br />

14 J.B.B., Nr. 2372, 19.2.1845: <strong>Herzfeld</strong>, Jacob, bisher Bg. u. Schnittw. hdlr. zu Guhrau - Kommissionsw.hdlr.,<br />

Zimmerstr. 89, geb. Gollup (Gollub) Dezember 1789, 6 Rtl. 1.3 f. N.B.H., später evtl. Jahresbeitrag, gest. nach<br />

18848; V.: Rabb<strong>in</strong>er, gest.<br />

15 Vgl. Anm. 3.<br />

16 Josephson, Bernhard Baer, Hdlgsd. - Kommissionsw.hdlr., Rosethaler Str. 28, geb. Lissa 16.1.t822, 5 Rtl. 11.3<br />

f. N.B.H,V.: B.Bg. u. Courtier = Joseph Josephson, Nr.2296.<br />

10


E<strong>in</strong>ige Wochen zuvor hatte Bertha e<strong>in</strong>em Knaben das Leben geschenkt, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Namen se<strong>in</strong>es<br />

Urgroßvaters bzw. se<strong>in</strong>es Onkels 'Ludwig' erhielt.<br />

Aber auch bei Carl und Ida hatte sich Nachwuchs e<strong>in</strong>gestellt, im Juli 1845 wur<strong>de</strong> ihr zweiter Sohn<br />

geboren, <strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Taufe, die am 27. Juli 1845 <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Jerusalemerkirche stattfand, die Namen<br />

Albert Eigard Wilhelm Conrad 17 erhielt. Taufpaten waren: <strong>de</strong>r Kammergerichtsassessor Limann,<br />

Graf E<strong>in</strong>sie<strong>de</strong>l und die Tante <strong>de</strong>s Täufl<strong>in</strong>gs, die 17jährige Schwester Idas.<br />

Jacob war von <strong>de</strong>r Großen Hamburger Straße <strong>in</strong> das Haus se<strong>in</strong>es Schwiegersohnes <strong>in</strong> die<br />

Dragonerstrasse 22 gezogen. Trotz <strong>de</strong>r Erteilung <strong>de</strong>s Bürgerbriefs am 19. Februar 1845 war se<strong>in</strong><br />

Aufenthalt <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Stadt nicht gesichert, <strong>de</strong>nn im Falle e<strong>in</strong>er Verfehlung o<strong>de</strong>r etwaiger<br />

Verschuldung konnte die Aufenthaltsgenehmigung für Berl<strong>in</strong> entzogen wer<strong>de</strong>n.<br />

Im Dezember 1845 kam es zu Jacobs Verhaftung, er wur<strong>de</strong> <strong>in</strong> das Schuldgefängnis verbracht,<br />

e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>richtung, die <strong>in</strong> Preußen bzw. <strong>de</strong>m Nord<strong>de</strong>utschen Bun<strong>de</strong> erst 1868 abgeschafft wur<strong>de</strong>.<br />

Ansche<strong>in</strong>end han<strong>de</strong>lte es sich bei De la Barre, ansche<strong>in</strong>end e<strong>in</strong>e Gläubiger, hatte gegen Jacob<br />

Personalarrest beantragt .<br />

<strong>Die</strong> Tochter Bertha berichtet an ihren Bru<strong>de</strong>r:<br />

Lieber Ludwig !<br />

17 <strong>Die</strong>ser Conrad wan<strong>de</strong>rte nach Amerika aus, galt <strong>in</strong> <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> lange als verschollen, soll 1876, so Großonkel<br />

Albert, Musikprofessor <strong>in</strong> Chicago gewesen se<strong>in</strong>.<br />

11


Schon längst hätten wir an Dich geschrieben, aber wir hofften immer Dir gleichzeitig anzeigen zu können, daß <strong>de</strong>r<br />

Vater wie<strong>de</strong>r frei sei, Du wirst wohl durch Madame Hallste<strong>in</strong>, und welche es die Dorchchen geschrieben hat 18 ,<br />

erfahren haben, daß <strong>de</strong> la Barre 19 aus Stett<strong>in</strong> wie<strong>de</strong>r auf Personalarrest angetragen hat, und <strong>de</strong>r Vater bef<strong>in</strong><strong>de</strong>t<br />

sich bereits 14 Tage <strong>in</strong> Haft. Du kannst Dir unsere Bestürzung und Trostlosigkeit <strong>de</strong>nken. Es war abends 10 Uhr,<br />

<strong>de</strong>r Vater wollte gera<strong>de</strong> zu Bett gehen, da kamen zwei Excutors, und er mußte bald mit ihnen gehen. <strong>Die</strong> Atteste<br />

von Guhrau aus, die <strong>de</strong>r Vater vorgezeigt hat, haben ihm nichts genützt. Unsere Hoffnung beruht jetzt darauf, daß<br />

<strong>de</strong>r Vater von <strong>de</strong>m hiesigen Kreisphysikus Dr., Caspar e<strong>in</strong> Attest erhalten wird, G. Limann, <strong>de</strong>r e<strong>in</strong> Verwandte von<br />

<strong>de</strong>mselben ist, hat mit ihm gesprochen, doch wissen wir noch nicht, wie es ausfallen wird.<br />

Sollte dieses auch nicht helfen, so haben wir schon gedacht, ob wir uns an Ludwig Michaelis wen<strong>de</strong>n sollen, daß<br />

er sich bei <strong>de</strong> la Barre, <strong>de</strong>r ihm, da er oft <strong>in</strong> Stett<strong>in</strong> ist, gewiß bekannt ist, für <strong>de</strong>n Vater verwen<strong>de</strong>n soll. Was<br />

me<strong>in</strong>st Du dazu ? Schreibe uns recht bald, ob Du vielleicht irgend e<strong>in</strong>en Rat weißt.<br />

Es grüßen Dich alle vielmals.<br />

Berl<strong>in</strong>, d. 19. Dezember 1845 De<strong>in</strong>e Dich lieben<strong>de</strong> Schwester<br />

Bertha Josephson<br />

Dem Brief ist e<strong>in</strong> Postskriptum <strong>de</strong>r Schwester Wilhelm<strong>in</strong>e beigefügt:<br />

Lieber Ludwig<br />

Was De<strong>in</strong>e Wäsche anbetrifft, so f<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich die Serviette hier noch vor, auch habe ich Dir gar ke<strong>in</strong>e von <strong>de</strong>n<br />

neuen Socken geschickt. Nächstens schicke ich Dir alles, was fertig ist. Bis jetzt war es mir nicht möglich sie<br />

fertig zu machen, da e<strong>in</strong>e solche Störung wie<strong>de</strong>r bei uns vorgefallen ist. Sobald ich wie<strong>de</strong>r <strong>in</strong> Ruhe se<strong>in</strong> wer<strong>de</strong>,<br />

besorge ich Dir gleich alles hier. Lebe wohl u. erfreue recht bald mit e<strong>in</strong>em Schreiben De<strong>in</strong>e<br />

Dich lieben<strong>de</strong> Schwester W. <strong>Herzfeld</strong><br />

<strong>Die</strong> K<strong>in</strong><strong>de</strong>r grüßen Dich alle herzlich.<br />

<strong>Die</strong> Klärung <strong>de</strong>r Angelegenheit zog sich bis <strong>in</strong>s neue Jahr 1846 h<strong>in</strong>:<br />

Lieber Ludwig !<br />

Du wirst Dich wun<strong>de</strong>rn, wie<strong>de</strong>r so lange ohne Antwort geblieben zu se<strong>in</strong>, doch hätte ich Dir gern bestimmte<br />

Auskunft gegeben und wartete <strong>de</strong>shalb immer noch e<strong>in</strong>en Tag. Das Gericht hat so lange mit <strong>de</strong>r Auffor<strong>de</strong>rung an<br />

<strong>de</strong>n Kreisphysikus Kaspar gezögert und nun s<strong>in</strong>d es schon wie<strong>de</strong>r 8 Tage, daß <strong>de</strong>rselbe beim Vater war, und es<br />

ist noch immer ke<strong>in</strong>e Entscheidung da; doch haben wir gestern durch G. Limann die tröstliche Nachricht erhalten,<br />

daß se<strong>in</strong> Onkel ihm gesagt hätte, er habe <strong>de</strong>n Vater freigesprochen. Wir hoffen also jetzt, daß <strong>de</strong>r Vater <strong>in</strong> diesen<br />

Tagen nach Hause kommen wird, sobald es geschieht, wer<strong>de</strong>n wir Dir schreiben. Sollte <strong>de</strong>r Vater <strong>de</strong>nnoch durch<br />

das Gericht nicht freigesprochen wer<strong>de</strong>n, so müßten wir dann sehen, ob es auf an<strong>de</strong>re Art möglich ist.<br />

Das Geld, lieber Ludwig, bestehend <strong>in</strong> 55 tlr haben wir erhalten und haben dann, wie Du's bestimmt, ;7 tlr an Carl<br />

und 3 tlr an die ... gegeben. Ich habe ... vom Gericht e<strong>in</strong>e Zuschreibung erhalten <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Sache von Schmigelsky<br />

nämlich, d. 19. Dezember, e<strong>in</strong>en Term<strong>in</strong>, wo ich die Richtigkeit <strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rung beschwören soll. Der Schwur ist so<br />

18 Dorothea Plato war mit Madame Hallste<strong>in</strong> bekannt.<br />

19 Wieso <strong>de</strong>r Antrag auf Arrest von Stett<strong>in</strong> aus gestellt wur<strong>de</strong>, erklärt sich aus <strong>de</strong>m Wohnsitz <strong>de</strong>s Gläubigers.<br />

12


gestellt, daß er nicht weniger Geld erhalten habe, daß die 40 tlr von Sarsiles Plato auf e<strong>in</strong>e frühere Rechnung<br />

waren und da8 nicht für 87 tlr Ware mit dabei se<strong>in</strong>.<br />

<strong>Die</strong> ersten bei<strong>de</strong>n Punkte haben ganz ihre Richtigkeit, doch glaube ich, daß damals etwas Ware zu <strong>de</strong>r<br />

For<strong>de</strong>rung gerechnet wur<strong>de</strong>, wie viel, weiß ich nicht. Könnte ich nicht nur die ersten bei<strong>de</strong>n Sachen beschwören<br />

und erklären, daß ich mich nicht mehr genau er<strong>in</strong>nerte, ob nicht Ware dazu geliefert wor<strong>de</strong>n sei; so wolle ich<br />

diesen letzten Punkt nicht beschwören, und es könnten damit 87 tlr von dieser For<strong>de</strong>rung abgerechnet, und wir<br />

könnten auf diese 87 tlr e<strong>in</strong>e neue Klage e<strong>in</strong>reichen, wenn auch die Kosten, die aus dieser Klage von 87 tlr<br />

entstehen wür<strong>de</strong>n. O<strong>de</strong>r me<strong>in</strong>st Du, daß ich ohne E<strong>in</strong>wendungen beschwören soll, wenn etwa sonst die ganze<br />

Klage nicht gültig wäre. Schreibe mir nur recht bald darüber Antwort, es ist sehr unangenehm, daß Schmigelsky<br />

erst solche W<strong>in</strong>kelzüge macht.<br />

Josephson ist schon mehrere Tage verreist, und ich weiß nicht, ob er vor <strong>de</strong>m Term<strong>in</strong> zurückkommt.<br />

Der Vater und all die unsrigen grüßen Dich vielmal. Ich hoffe, Dir bald anzeigen zu können, daß <strong>de</strong>r Vater frei ist;<br />

wenn er auf diese Weise frei käme, wäre es freilich am besten da er doch dann für die Zukunft gesichert wäre.<br />

Schreibe recht bald<br />

De<strong>in</strong>er Dich lieben<strong>de</strong>n Schwester Bertha Josephson<br />

Berl<strong>in</strong> d. 8ten Januar 1846<br />

Me<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Ludwig, <strong>de</strong>r, beiläufig gesagt, schon e<strong>in</strong> prächtiger Junge ist, hat mich sehr viel gestört, darum s<strong>in</strong>d<br />

so viele Klexe.<br />

Schmigelsky gab mir doch, als ich von Guhrau wegg<strong>in</strong>g 30 tlr und schickte nach Berl<strong>in</strong> 50 tlr auf <strong>de</strong>n Sche<strong>in</strong> von<br />

250 tlr, ohne dabei zu bemerken, daß es nicht das bare Geld se<strong>in</strong> sollte. Könnte ich nicht dann aber so gut<br />

angeben, daß ich dieses Geld auf die Ware rechnen wollte, 80 wäre doch <strong>de</strong>r Rest von 170 tlr bares Geld, Doch<br />

schreib mir, ob Du me<strong>in</strong>st, daß ich gar nichts bemerken soll und <strong>de</strong>n Eid <strong>in</strong> <strong>de</strong>r vorgeschriebenen Formel leisten.<br />

Vermutlich wur<strong>de</strong> Jacob noch im Januar aus <strong>de</strong>r Haft entlassen.<br />

Aus e<strong>in</strong>em Brief von ihm erfahren, <strong>in</strong> die Grenadierstraße gezogen und hatte <strong>de</strong>n jüngsten Sohn<br />

Albert an <strong>de</strong>m renommierten Gymnasium zum Grauen Kloster e<strong>in</strong>geschult.<br />

Berl<strong>in</strong> d. 4. April 1846<br />

Lieber Ludwig !<br />

De<strong>in</strong> mir sehr Wertes von 31. v.M. nebst Inhalt ist mir am 2ten M gewor<strong>de</strong>n; ich habe sogleich De<strong>in</strong>e Briefe an<br />

Carl und Samon besorgt, vom letzten erhältst Du hier e<strong>in</strong>liegend e<strong>in</strong>e Quittung über die gesandten 10 tlr. Von<br />

Bernhard Josephson wer<strong>de</strong> ich nichts erhalten.<br />

Bei Josephson ist es noch als wie Du uns verlassen hast. Sie s<strong>in</strong>d sämtlich alle noch wohl. Gestern s<strong>in</strong>d wir nach<br />

Grandirstraße No. 20 gezogen. Sehr lieb wür<strong>de</strong> es mir se<strong>in</strong>, wenn Du von Stock <strong>de</strong>n Rest e<strong>in</strong>ziehen könntest, da<br />

ich sehr beschäftigt b<strong>in</strong>.<br />

Unseren Albert habe ich nach <strong>de</strong>n Grauen Kloster, wo er nach 6a gekommen ist, gebracht.<br />

Sechs Oberhem<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong> ich Dir gelegentlich anfertigen lassen. An Eduard Bock habe ich mit <strong>de</strong>r heutigen Post<br />

geschrieben. Noch viele Begrüßung an Fraule Dorothea Plato nebst <strong>Familie</strong> Hallste<strong>in</strong>, von unseren Sämmtlichen<br />

b<strong>in</strong> ich wie immer<br />

De<strong>in</strong> Dich herzlich lieben<strong>de</strong>r Vater<br />

Jacob <strong>Herzfeld</strong><br />

13


Im darauf folgen<strong>de</strong>n Jahr wur<strong>de</strong> Jacob wie<strong>de</strong>r Großvater. Am 8. Januar 47 bekamen Carl<br />

und Ida ihr viertes K<strong>in</strong>d, diesmal wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong> Mädchen, das <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Taufe, die am 23. Januar<br />

d.J. <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Jerusalemer Kirche stattfand, die Namen Adolph<strong>in</strong>e Bertha Maria erhielt. Taufpate<br />

war wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Assessor Limann, sowie <strong>de</strong>r Hofmedicus Dr. Michaelis und e<strong>in</strong> Dr.<br />

Schweitzer.<br />

Aber auch bei <strong>de</strong>n Josephsons stellte sich <strong>in</strong> diesem Jahr Nachwuchs e<strong>in</strong>. Bertha brachte<br />

e<strong>in</strong>en Knaben zur Welt, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Namen Albert erhielt.<br />

Carl und Ludwig <strong>Herzfeld</strong><br />

im<br />

Revolutionsjahr 1848/49<br />

Prolog<br />

Das verlängerte Wochenen<strong>de</strong> über Christi Himmelfahrt bietet die Möglichkeit e<strong>in</strong>en Abstecher nach<br />

Berl<strong>in</strong> zu machen. Übernachtung im Hotel Delta an <strong>de</strong>r Potsdamer Straße, nicht allzu weit entfernt von<br />

<strong>de</strong>r Preußischen Staatsbibliothek und <strong>de</strong>r imposanten Baustelle am Potsdamer Platz , <strong>de</strong>ssen<br />

zukünftige Gestalt bereits markant hervortritt, entfernt. Me<strong>in</strong> Blick gleitet über die Baumsilhouette <strong>de</strong>s<br />

Tiergartens , h<strong>in</strong>ter <strong>de</strong>r, vom Abendhimmel abgehoben, die Konturen <strong>de</strong>r neue Kuppel <strong>de</strong>s<br />

Reichstages sichtbar wird.<br />

E<strong>in</strong> Jahr bevor am 23. Mai 1999 die Bun<strong>de</strong>sversammlung im Reichstag zur Wahl <strong>de</strong>s<br />

Bun<strong>de</strong>spräsi<strong>de</strong>nten zusammentritt, hat das mächtige Gebäu<strong>de</strong> se<strong>in</strong>e endgültige Gestalt gefun<strong>de</strong>n. <strong>Die</strong><br />

Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland wird dann ihr fünfzigjähriges Bestehen feiern und wenn auch mit<br />

zeitlicher Verspätung hoffentlich <strong>de</strong>r 1848er Revolution ge<strong>de</strong>nken, auf <strong>de</strong>ren Tagesordnung vor 150<br />

Jahren die Freiheit und E<strong>in</strong>heit <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Volkes auf <strong>de</strong>mokratischer Grundlage stan<strong>de</strong>n, I<strong>de</strong>en<br />

die erst jetzt voll realisiert wer<strong>de</strong>n konnten, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em gesellschaftlich und was die Gebietsstruktur<br />

anbelangt relativ homogenen Bun<strong>de</strong>sstaat, nach <strong>de</strong>m das alles dom<strong>in</strong>ieren<strong>de</strong> Preußen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e<br />

Prov<strong>in</strong>zen aufgelöst wor<strong>de</strong>n war.<br />

14


Nach me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung wur<strong>de</strong> fahrlässig versäumt, diesen Jahrestag zur I<strong>de</strong>ntitätsstiftung mit <strong>de</strong>r<br />

neuen „Berl<strong>in</strong>er Republik“ zu nutzen.<br />

Vor me<strong>in</strong>er Reise vertiefte ich mich wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> Robert Spr<strong>in</strong>gers „Berl<strong>in</strong>s Straßen, Kneipen und<br />

Clubs im Jahre 1848“, 3 die zwei Jahre nach <strong>de</strong>n revolutionären Ereignissen erschien und sicher das<br />

Studium etlicher Publikationen, die aus Anlaß dieses Ereignisse <strong>in</strong> diesem Jubiläumsjahr auf <strong>de</strong>n<br />

Markt geworfen wer<strong>de</strong>n, überflüssig macht.<br />

Vor e<strong>in</strong>igen Wochen fiel mir zusätzlich e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Schrift „Der Spruch <strong>de</strong>s Berl<strong>in</strong>er Kriegsgerichts<br />

gegen die am 22. und 24. Mai 1849 Verhafteten: Lehrer Gercke und Koch, Assessor Gubitz und<br />

<strong>Herzfeld</strong>, Dr. Wal<strong>de</strong>ck, Dr. Weiß, Buchdruckereibesitzer Berends, Partikulier Schönemann, Justizrath<br />

Pfeiffer und Thierarzt Mecklenburg“ 4 <strong>in</strong> die Hän<strong>de</strong>. Sie rief mir wie<strong>de</strong>r Carl <strong>Herzfeld</strong>s aktive<br />

Beteiligung an <strong>de</strong>r 1848 er Revolution <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung.<br />

Ich nutzte also e<strong>in</strong>en me<strong>in</strong>er Berl<strong>in</strong>aufenthalte, um zahlreiche Stätten <strong>de</strong>s Geschehens abzugehen<br />

und e<strong>in</strong>en Abriß <strong>de</strong>r Ereignisse an <strong>de</strong>nen Carl <strong>Herzfeld</strong> <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> und se<strong>in</strong> Bru<strong>de</strong>r Ludwig im<br />

schlesischen Sagan beteiligt waren, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er erweiterten Fassung nie<strong>de</strong>rzuschreiben.<br />

Personalien<br />

Carl <strong>Herzfeld</strong>, <strong>de</strong>r ältere Bru<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Ludwig, wur<strong>de</strong> am 23. Januar 1816 als Isaac, Sohn <strong>de</strong>r jüdischen<br />

Eheleute Jacob und Liebchen <strong>Herzfeld</strong> 5 , im schlesischen Guhrau unweit <strong>de</strong>r Grenze zum Herzogtum<br />

Posen geboren. Carl besuchte zusammen mit se<strong>in</strong>em jüngeren Bru<strong>de</strong>r Ludwig das Evangelische<br />

Gymnasium <strong>in</strong> Glogau. Nach Ablegung <strong>de</strong>s Abiturs, schrieb er sich am 22. Oktober 1836 an <strong>de</strong>r<br />

juristische Fakultät <strong>de</strong>r Friedrich-Wilhelm-Universität <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> e<strong>in</strong>.<br />

Dort hörte er im W<strong>in</strong>tersemester 1836/37 Logik und Metaphysik bei Henn<strong>in</strong>g, Institutionen u. Altrecht<br />

<strong>de</strong>s Römischen Rechtes sowie Juristische Enzyklopädie bei Klenze, ferner alt<strong>de</strong>utsche Mythologie bei<br />

Hagen. Im Sommersemester 1837 belegt er Römische Rechtsgeschichte bei Klenze, Pan<strong>de</strong>kten und<br />

Erbrecht bei Rudorff und Völkerrecht bei Gans. Im folgen<strong>de</strong>n W<strong>in</strong>tersemester Kirchen- und<br />

Bauernrecht bei Röstell, Deutsches Privatrecht bei Hohmeyer, Geme<strong>in</strong>es Strafrecht bei Klenze und<br />

Krim<strong>in</strong>alprozeßrecht bei Heffter. In diese Zeit fällt auch se<strong>in</strong> Übertritt zum Christentum zusammen mit<br />

se<strong>in</strong>em Bru<strong>de</strong>r Ludwig, <strong>de</strong>r sich zu Beg<strong>in</strong>n <strong>de</strong>s W<strong>in</strong>tersemester ebenfalls <strong>in</strong> <strong>de</strong>r juristischen Fakultät<br />

hatte e<strong>in</strong>schreiben lassen, ließ er sich am 14. Februar 1838 <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Jerusalmer Kirche taufen. Unter<br />

<strong>de</strong>n Taufpaten befand sich neben se<strong>in</strong>em Kommilitonen Carl Adoph Müller und <strong>de</strong>m Spediteur Erbsch<br />

e<strong>in</strong>er se<strong>in</strong>er Professoren, <strong>de</strong>r Strafrechtler Clemens August Klenze.<br />

Im Sommersemester 1938 setzte er se<strong>in</strong>e Studien mit <strong>de</strong>m Geme<strong>in</strong>en- und Preußischen Civilrecht bei<br />

Heffter sowie bei Gans mit Staatsrecht fort. Das darauf folgen<strong>de</strong> Semester bestritt er bei Homeyer mit<br />

Preußischen Landrecht, Deutscher Reichs- und Rechtsgeschichte und Alt<strong>de</strong>utschen Gerichtswesen.<br />

3 Robert Spr<strong>in</strong>ger, Berl<strong>in</strong>’s Strassen, Kneipen und Clubs im Jahre 1848, Berl<strong>in</strong> 1850. Bei Friedrich Gerhard.<br />

4 Der Spruch <strong>de</strong>s Berl<strong>in</strong>er Kriegsgerichts gegen die am 22. Und 24. Mai Verhafteten: Lehrer Gercke und Koch,<br />

Assessoren Gubitz und <strong>Herzfeld</strong>, Dr. Wal<strong>de</strong>ck, Dr. Weiß, Buchdruckereibesitzer Berends, Partikulier<br />

Schönemann, Justizrath Pfeiffer und Thierarzt Mecklenburg. Von <strong>de</strong>n Verurtheilten selbst beleuchtet. Berl<strong>in</strong>. Bei<br />

Friedrich Gerhard. 1849.<br />

5 Sie war e<strong>in</strong>e Tochter <strong>de</strong>s Lew<strong>in</strong> Hertz Hertzfeldt aus Flatow.<br />

15


Im Abschlußsemester im Sommer 1839 sah man ihn - noch e<strong>in</strong>mal bei Hohmeyer - Deutsches<br />

Privatrecht hören. Carls Leistungen wur<strong>de</strong>n von se<strong>in</strong>en Professoren durchgehend mit „sehr fleißig“<br />

und „ausgezeichnet fleißig“ beurteilt.<br />

Nach <strong>de</strong>m Abschluß se<strong>in</strong>es Studiums ließ sich Carl Adolph <strong>Herzfeld</strong> am 22. Mai 1842 mit Ida Amalie<br />

Lemke, die am 27. Juli 1822 als älteste Tochter <strong>de</strong>s Friedrich Wilhelm Lemke und se<strong>in</strong>er Ehefrau<br />

Dorothea Charlotte Fri<strong>de</strong>rike, geb. Wernicke das Licht <strong>de</strong>r Welt erblickt hatte, trauen. <strong>Die</strong> Hochzeit<br />

fand wie bereits die Taufe <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Jerusalemer Kirche statt.<br />

Als Carl mit Ida die Ehe schloß, war se<strong>in</strong> Schwiegervater , <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Beruf e<strong>in</strong>es Pelz- und<br />

Klei<strong>de</strong>rmachers ausgeübt hatte, bereits verstorben.<br />

Uns s<strong>in</strong>d drei jüngere Schwestern <strong>de</strong>r Ehefrau Carls namentlich bekannt: Emilie Frie<strong>de</strong>rike Mathil<strong>de</strong><br />

(geb. 14. 12.1823), Albert<strong>in</strong>e Maria (geb. 7.6.1827) und Maria Albert<strong>in</strong>e (geb. 23.6.1828). Carl war<br />

nun, nach <strong>de</strong>m er se<strong>in</strong>e Auskultatur abgeschlossen hatte, als Referendar am Kammergericht <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />

L<strong>in</strong><strong>de</strong>nstraße unweit <strong>de</strong>r Jerusalemer Kirche tätig. Das Gebäu<strong>de</strong> beherbergt heute das Berl<strong>in</strong><br />

Museum.<br />

Noch im selben Jahr, am 14. September 1842, wur<strong>de</strong> Carl und Idas erstes K<strong>in</strong>d geboren, das am 26.<br />

Oktober 1842 <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Jerusalemer Kirche auf die Namen Alw<strong>in</strong>e Emilie Fri<strong>de</strong>rike Hedwig getauft wur<strong>de</strong>.<br />

Am 18. März 1844 brachte Ida, die Frau Carls, e<strong>in</strong>en Sohn zur Welt, <strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Taufe, die <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />

Jerusalemer Kirche vollzogen wur<strong>de</strong>, die Namen Emil Ludwig Georg <strong>Herzfeld</strong> erhielt. Unter <strong>de</strong>n<br />

Taufpaten befand sich e<strong>in</strong> Referendar Limann, <strong>de</strong>r zusammen mit Carl beim Kammergericht tätig war<br />

und Ludwig <strong>Herzfeld</strong>, <strong>de</strong>r kurz vor Pf<strong>in</strong>gsten aus Glogau angereist war.<br />

Im Juli 1845 wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r zweite Sohn geboren, <strong>de</strong>r am 27. Juli 1845 auf die Namen Albert Eigard<br />

Wilhelm Conrad getauft wur<strong>de</strong>. Taufpaten waren: <strong>de</strong>r Kammergerichtsassessor Limann, Graf<br />

E<strong>in</strong>sie<strong>de</strong>l und die Tante <strong>de</strong>s Täufl<strong>in</strong>gs Maria Albert<strong>in</strong>e, die 17jährige Schwester Idas. Am 8. Januar 47<br />

bekamen Carl und Ida ihr viertes K<strong>in</strong>d, diesmal wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong> Mädchen. <strong>Die</strong> Taufe <strong>de</strong>r kle<strong>in</strong>en Adolph<strong>in</strong>e<br />

16


Bertha Maria fand am 23. Januar d.J. <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Jerusalemer Kirche statt. Paten waren <strong>de</strong>r Assessor<br />

Limann, sowie <strong>de</strong>r Hofmedicus Dr. Michaelis und e<strong>in</strong> Dr. Schweitzer.<br />

Im Jahr darauf, 1848, vor e<strong>in</strong>hun<strong>de</strong>rtundfünfzig Jahren, g<strong>in</strong>gen am 18. März die Berl<strong>in</strong>er auf die<br />

Barrika<strong>de</strong>n, um für <strong>de</strong>mokratische Rechte, um für e<strong>in</strong>e Verfassung zu kämpfen. <strong>Die</strong> Ereignisse <strong>in</strong> <strong>de</strong>n<br />

verschie<strong>de</strong>nen Teilen Deutschlands, sei es nun <strong>in</strong> Wien, Frankfurt, Dres<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Berl<strong>in</strong>, ließen wohl<br />

kaum e<strong>in</strong>en Menschen gleichgültig.<br />

Aber beschränken wir uns bei unseren Betrachtungen auf die Ereignisse <strong>in</strong> Preußen, <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re<br />

auf Berl<strong>in</strong>, wo Carl se<strong>in</strong>en Wohnsitz hatte und auf das schlesischen Sagan, wo Ludwigs<br />

Lebensschwerpunkt lag. 6 Dabei soll versucht wer<strong>de</strong>n, e<strong>in</strong>ige Schlaglichter auf das Verhältnis <strong>de</strong>r<br />

<strong>Herzfeld</strong>-Brü<strong>de</strong>r Carl und Ludwig zu <strong>de</strong>n revolutionären Ereignissen zu werfen.<br />

Das revolutionäre Geschehen <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />

In Preußen regierte Friedrich Wilhelm IV., <strong>de</strong>r Romantiker auf <strong>de</strong>m Thron, <strong>de</strong>r bereits <strong>in</strong> <strong>de</strong>r ersten<br />

Märzhälfte <strong>de</strong>s Jahres 1848 unter <strong>de</strong>m Druck <strong>de</strong>r Ereignisse <strong>in</strong> Deutschland sich bereit gefun<strong>de</strong>n,<br />

hatte <strong>de</strong>r Verfassungspartei wichtige Zugeständnisse zu machen. „E<strong>in</strong> königliches Patent vom 18.<br />

März vollzog <strong>de</strong>n Übergang Preußens zum konstitutionellen System und übernahm zugleich die<br />

wesentlichen For<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>heitsbewegung: <strong>de</strong>utsche Nationalversammlung, <strong>de</strong>utsche<br />

Wehrverfassung, Bun<strong>de</strong>sflotte und Han<strong>de</strong>lse<strong>in</strong>heit. E<strong>in</strong>e Massenkundgebung vor <strong>de</strong>m Schloß jubelte<br />

<strong>de</strong>m König zu. Als man im Schlosshof Soldaten erblickte, wur<strong>de</strong> man misstrauisch und rief: Fort mit<br />

<strong>de</strong>m Militär. Als dieses <strong>de</strong>n Schlossplatz räumen wollte und dabei auf noch heute ungeklärte Art zwei<br />

Schüsse losg<strong>in</strong>gen, fühlte man sich verraten. Jetzt kam es zum Barrika<strong>de</strong>nbau und zum bewaffneten<br />

Wi<strong>de</strong>rstand.“ 7<br />

. Bereits vor <strong>de</strong>n blutigen Ereignissen <strong>de</strong>s 18. März 1848, war es wie etwa bei <strong>de</strong>r „Zelten“-<br />

Versammlung am 16. März zu bewaffneten E<strong>in</strong>satz <strong>de</strong>s Militärs, zu Ste<strong>in</strong>würfen und Barrika<strong>de</strong>nbau<br />

von Seiten <strong>de</strong>r Bevölkerung und sich anschließen<strong>de</strong>n Demonstrationen Unter <strong>de</strong>n L<strong>in</strong><strong>de</strong>n gekommen.<br />

Ob Carl <strong>Herzfeld</strong>s sich bereits hier o<strong>de</strong>r unter <strong>de</strong>n Versammelten auf <strong>de</strong>m Schlosshof befand, wo am<br />

18. März, als die bei<strong>de</strong>n wohl ungezielter Schüsse fielen, die die Barrika<strong>de</strong>nkämpfe auslösten, wissen<br />

wir nicht.<br />

„<strong>Die</strong> am frühen Nachmittag e<strong>in</strong>setzen<strong>de</strong>n Kämpfe mobilisierten e<strong>in</strong>er großen Teil <strong>de</strong>r Berl<strong>in</strong>er<br />

Bevölkerung. Angehörige aller bürgerlichen Berufe, Arbeiter und auch Stu<strong>de</strong>nten, vorwiegend jedoch<br />

Handwerker waren daran beteiligt. <strong>Die</strong> Zahl <strong>de</strong>r aktiven Barrika<strong>de</strong>nkämpfer wird auf etwa 3-4000<br />

geschätzt, die <strong>de</strong>r Helfer und Sympathisanten auf „viele Zehntausend“. ‘Man kann sich nicht<br />

verbergen’, so berichtete <strong>de</strong>r russische Gesandte nach Petersburg, ‘daß <strong>de</strong>r allergrößte Teil <strong>de</strong>r<br />

6 In <strong>de</strong>m hier zu schil<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n Zeitabschnitt fällt auch se<strong>in</strong>e Verlobung mit Marie Clement<strong>in</strong>e Wüsthoff.<br />

7 Wilhelm Mommsen, Größe und Versagen <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Bürgertums, E<strong>in</strong> Beitrag zur politischen Bewegung<br />

<strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts, <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re zur Revolution 1848/49, 2. Aufl., München 1964, S. 64.<br />

17


Bürger an <strong>de</strong>m Aufstand teilgenommen hat; sogar die Hausbesitzer begünstigten, bevor die Truppen<br />

vordrangen, <strong>de</strong>n Barrika<strong>de</strong>nbau und das Aufreißen <strong>de</strong>s Straßenpflasters; Pflasterste<strong>in</strong>e wur<strong>de</strong>n von<br />

Frauen und kle<strong>in</strong>en K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn auf das Dach <strong>de</strong>r Häuser getragen... Je<strong>de</strong>r von uns me<strong>in</strong>t das wil<strong>de</strong><br />

18


Geschrei <strong>in</strong> dieser Nacht noch zu hören. Alle Bürger glaubten an Verrat und verwünschten <strong>de</strong>n<br />

König.’“ 8<br />

Der später als Bibliograph und Orientalist berühmt gewor<strong>de</strong>ne Moritz Ste<strong>in</strong>schnei<strong>de</strong>r (1816-1907)<br />

schrieb se<strong>in</strong>er Braut am 20. März 1848 nach Prag über die Vorgängen <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>. 9<br />

„Me<strong>in</strong>e teure Auguste!<br />

Ich glaube nicht, daß es an diesem Tage <strong>in</strong> Susa an<strong>de</strong>rs ausgesehen habe als<br />

hier wenn das Buch Esther mehr als e<strong>in</strong> persisch jüdischer Roman ist. Berl<strong>in</strong> hat 6<br />

Tage bedurft, um an <strong>de</strong>n Tag zu br<strong>in</strong>gen, was bereits unter <strong>de</strong>r Hülle längst<br />

vorbereitet lag. Verlange ke<strong>in</strong>e Schil<strong>de</strong>rung von E<strong>in</strong>zelheiten bis aufs Mündliche,<br />

ich kann hier nur die Hautzüge h<strong>in</strong>werfen.<br />

Sonnabend um 2 hiess es: Constitution, M<strong>in</strong>isterwechsel u.s.w.; die<br />

Bürger<strong>de</strong>putation zog vor das Schloss, <strong>de</strong>m König e<strong>in</strong> Lebehoch zu br<strong>in</strong>gen ich<br />

selbst mit De<strong>in</strong>em Briefe und wiener gleichen Nachrichten von Zunz (die Prager<br />

Petition hatte ich schon Donnerstag <strong>in</strong> <strong>de</strong>r schlesischen Zeit. gelesen) zu<br />

Schöneberg zu Tische eilend, trank eben ,,Freiheit, Verbrü<strong>de</strong>rung". Da heisst es<br />

um 3 1/2 Uhr: die Lä<strong>de</strong>n s<strong>in</strong>d geschlossen, das Militär schiesst auf die Bürger<br />

u.s.w.!<br />

Ich renne <strong>de</strong>n kle<strong>in</strong>en Weg nach Hause, und um 4 Uhr hatte Berl<strong>in</strong> mehrere 100<br />

Barrika<strong>de</strong>n! Auch mich hättest Du Ste<strong>in</strong>e tragen und Blocke wälzen sehen können.<br />

In<strong>de</strong>ss hiess es, es sei das zufällige Losgehen 2er Gewehre auf <strong>de</strong>m Schlossplatze<br />

Grund <strong>de</strong>s Missverständnisses. Augenzeugen behaupten, dass man auf die Bürger<br />

e<strong>in</strong>gehauen habe. -<br />

<strong>Die</strong> Sache ist noch nicht erklärt. Genug, die Erbitterung hatte <strong>de</strong>n höchsten Grad<br />

erreicht, und als um 41/2 Uhr das Militär anf<strong>in</strong>g, sich <strong>in</strong> die verbarricadirten Strassen<br />

zu begeben, fand es an vielen Punkten e<strong>in</strong>e unerwartet hel<strong>de</strong>nmässige Verteidigung<br />

<strong>de</strong>r Bürger, namentlich Schützen, und Stu<strong>de</strong>nten. Man glaubt allgeme<strong>in</strong>, dass <strong>de</strong>r<br />

Pr<strong>in</strong>z von Preussen auf Vorschreiten <strong>de</strong>s Militärs mit Kartätschen und Granaten<br />

gedrungen. <strong>Die</strong> Verteidiger mussten sich grossenteils selbst die Waffen erobern .<br />

Um 12 Uhr hörte das Schiessen <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Nähe e<strong>in</strong> wenig auf, und gegen I Uhr<br />

schlief ich e<strong>in</strong>.<br />

Gestern früh war <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Umgebung das Militär Meister <strong>de</strong>s Platzes h<strong>in</strong>gegen<br />

bald darauf <strong>de</strong>r commandiren<strong>de</strong> General Möllendorf <strong>in</strong> Hän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Schützen, die ihn<br />

zu erschiessen drohten. Gegen 11 Uhr rückte das Militär zurück. Heute ist ke<strong>in</strong> Mann<br />

hier zu sehen . Schloss und alle Wachen s<strong>in</strong>d von Bürgern besetzt, e<strong>in</strong>em Manne,<br />

<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>ige Stu<strong>de</strong>nten durch Verrat ans Militär ums Leben brachte, wur<strong>de</strong>n alle<br />

Möbel, Geld etc. auf öffentlicher Strasse verbrannt,, e<strong>in</strong>em an<strong>de</strong>ren <strong>de</strong>r La<strong>de</strong>n<br />

gestürmt, - von <strong>Die</strong>bstahl und Raub nirgends die Re<strong>de</strong>! Heute vormittag konnte nur<br />

die Überschrift ,,Nationaleigentum" und das Zure<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Gebil<strong>de</strong>ten das Hotel <strong>de</strong>s<br />

Pr<strong>in</strong>zen von Preussen vom Demolieren retten; e<strong>in</strong>e Tricolorfahne (Deutsch) weht<br />

herab. Gestern Abend Illum<strong>in</strong>ation und fortwähren<strong>de</strong>s Freu<strong>de</strong>nschiessen, s<strong>in</strong>gen<strong>de</strong><br />

Ban<strong>de</strong>n.<br />

Schwer<strong>in</strong> und Auerswald, bekannt durch Opposition <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Kammer, s<strong>in</strong>d bereits<br />

M<strong>in</strong>ister; alle alten wer<strong>de</strong>n durch liberalere ersetzt. Aber diese Umwandlung Berl<strong>in</strong>s<br />

kostet manchen Märtyrer Leben und Gesundheit. Hun<strong>de</strong>rte, Militär und Civil, s<strong>in</strong>d<br />

gefallen o<strong>de</strong>r verwun<strong>de</strong>t. Man bereitet e<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>es Leichenbegängnis und<br />

Denkmal vor, und von ,,Jud" o<strong>de</strong>r ,,Christ" ist gottlob nicht mehr die Re<strong>de</strong>. In 4<br />

Wochen müssen Preussens Ju<strong>de</strong>n emanzipirt se<strong>in</strong>, <strong>de</strong>nn das Volk emanzpirt sie<br />

bereits. Wer hat jetzt Gedanken an sich? Der Berl<strong>in</strong>er Pöbel hat <strong>in</strong> diesen Tagen<br />

e<strong>in</strong>en gewaltigen Culturfortschritt gemacht, die Folgen <strong>de</strong>r letzten Vorgange <strong>in</strong> aller<br />

Welt s<strong>in</strong>d unübersehbar! Wohlan me<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d, lass uns wie<strong>de</strong>r zum Leben<br />

erwachen, nun kann unsrer Zusammenkunft wohl kaum noch etwas h<strong>in</strong><strong>de</strong>rlich<br />

se<strong>in</strong>. Hoffentlich wer<strong>de</strong>n wir jetzt eher Hütten bauen. Schon am 2. April kommen<br />

die Stän<strong>de</strong> hier zusammen, ich aber möchte Dich am 8.<strong>in</strong> Prossnitz sehen .Ob ich<br />

mich jetzt noch sträube, e<strong>in</strong>e Stelle - natürlich ke<strong>in</strong>e blosse Rabb<strong>in</strong>erstelle o<strong>de</strong>r dgl.<br />

8<br />

Günter Richter, Zwischen Revolution und Reichsgründung (1848-1870), <strong>in</strong>: Wolfgang Ribbe (Hrsg.),<br />

Geschichte Berl<strong>in</strong>s, Zweiter Band, Von <strong>de</strong>r Märzrevolution bis zur Gegenwart, 2. Aufl., München 1988, S.615.<br />

9<br />

Julius H. Schoeps <strong>Die</strong> Märzrevolution 1848 im Spiegel <strong>de</strong>s Briefwechsels zwischen Moritz<br />

Ste<strong>in</strong>schnei<strong>de</strong>r Ste<strong>in</strong>schnei<strong>de</strong>r und Auguste Auerbach, <strong>in</strong> Jahrbuch <strong>de</strong>s Instituts für Deutsche<br />

Geschichte, Universität Tel-Aviv, Bd. XIV 1985, S.342ff<br />

19


<strong>in</strong> Oesterreich anzunehmen, hängt von Umstän<strong>de</strong>n ab; dgl. diesmal s<strong>in</strong>d die<br />

Wiener so schon vorangegangen, dass ,,die preussische Landwehr kaum<br />

nachkommen kann"! Ich schrieb es Freitag nach Prossnitz. Ich wünschte, Du<br />

schriebst ihnen sogleich <strong>de</strong>n Haupt<strong>in</strong>halt dieses Briefes, ehe beunruhigen<strong>de</strong><br />

Nachrichten h<strong>in</strong>kommen.<br />

Schreibe mir rasch De<strong>in</strong>en Entschluss, die Zeit geht jetzt rasch<br />

darum auch<br />

Adieu.<br />

Nach <strong>de</strong>m 18. März, <strong>de</strong>m Tag <strong>de</strong>r Barrika<strong>de</strong>nkämpfe, traf man sich im Hotel <strong>de</strong> Russie, " Aufregung,<br />

Gereiztheit, Rathlosigkeit und wirres Durche<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rlaufen, e<strong>in</strong> verworrenes Getöse hallte <strong>in</strong> <strong>de</strong>m<br />

engen Raum. Es roch nach Cigarren und Aufregung... <strong>Die</strong> Debatte drehte sich um das Begräbnis <strong>de</strong>r<br />

gefallenen Barrika<strong>de</strong>nkämpfer, welche am nächsten Tage bestattet wer<strong>de</strong>n sollte." Neben e<strong>in</strong>er Reihe<br />

von Persönlichkeiten unter <strong>de</strong>nen sich auch Carl <strong>Herzfeld</strong> befand, trat <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re Georg Jung<br />

hervor, <strong>de</strong>r wie Carl Gerichtsassessor war, er verkün<strong>de</strong>te die Absicht, am Grabe <strong>de</strong>r Gefallenen zu<br />

sprechen. Am 22. März wur<strong>de</strong> die 183 Barrika<strong>de</strong>ntoten im Friedrichsha<strong>in</strong> bestattet.<br />

<strong>Die</strong> politische Re<strong>de</strong> am Grabe hielt Georg Jung, er for<strong>de</strong>rte Gleichheit vor Recht und Gesetz <strong>de</strong>nn<br />

"<strong>de</strong>r Reiche hat neben <strong>de</strong>m Armen auf <strong>de</strong>r Barrika<strong>de</strong> gestan<strong>de</strong>n“. Noch waren die politischen<br />

Differenzen <strong>in</strong>nerhalb <strong>de</strong>r "revolutionären Bewegung" durch <strong>de</strong>n geme<strong>in</strong>samen Demonstrationszug,<br />

an <strong>de</strong>m etwa 20.000 Menschen teilnahmen, am Tage zuvor hatte König Friedrich Wilhelm IV, <strong>de</strong>n<br />

Toten se<strong>in</strong>e Reverenz erwiesen, ver<strong>de</strong>ckt wor<strong>de</strong>n.<br />

20


Das politische und <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re auch das revolutionäre Geschehen wur<strong>de</strong>n auch von e<strong>in</strong>er Reihe<br />

von Klubs getragen.<br />

„<strong>Die</strong> politischen Hauptrichtungen <strong>de</strong>s Berl<strong>in</strong>er Nachmärz wur<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n gemäßigten Liberalen und<br />

ihren Gegnern, <strong>de</strong>n radikalen Demokraten bestimmt. Letztere eröffneten das politische Vere<strong>in</strong>sleben<br />

durch die Gründung <strong>de</strong>s "Politischen Klubs", <strong>de</strong>r anfangs noch als Sammelpunkt <strong>de</strong>r gesamten<br />

Märzbewegung gedacht war. <strong>Die</strong> Liberalen antworteten mit <strong>de</strong>r Gegengründung e<strong>in</strong>es<br />

"Konstitutionellen Klubs" und zwangen damit ihre Rivalen, <strong>de</strong>n e<strong>in</strong><strong>de</strong>utigen Parte<strong>in</strong>amen<br />

"Demokratischer Klub" anzunehmen. <strong>Die</strong> bei<strong>de</strong>n Vere<strong>in</strong>e beherrschten weitgehend die politische<br />

Öffentlichkeit <strong>in</strong> <strong>de</strong>r ersten Phase nach <strong>de</strong>r Revolution.“<br />

<strong>Die</strong> Konservativen antworteten Mitte Mai mit <strong>de</strong>r Gründung <strong>de</strong>s "Preußenvere<strong>in</strong>", <strong>de</strong>r unter „<strong>de</strong>r<br />

Devise "Mit Gott für König und Vaterland" die Vertreter <strong>de</strong>r sich formieren<strong>de</strong>n Konterrevolution umsich<br />

sammelte. Auch die Arbeiterschaft begann sehr bald e<strong>in</strong> eignes Vere<strong>in</strong>sleben zu entwickeln,<br />

umworben von <strong>de</strong>n Demokraten, die sich anfangs noch als Schirmherren und politische Vormün<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>r Arbeiter verstan<strong>de</strong>n."<br />

Von nun an stan<strong>de</strong>n sich jedoch die Vertreter <strong>de</strong>r konstitutionellen Richtung , die am 21. März 1848<br />

bei Milentz <strong>de</strong>n Konstitutionellen Klub gegrün<strong>de</strong>t hatten, <strong>de</strong>r die Mehrheit <strong>de</strong>s Bürgertums h<strong>in</strong>ter sich<br />

wußte, <strong>de</strong>n Vertretern e<strong>in</strong>er radikal-<strong>de</strong>mokratische Richtung, <strong>de</strong>n "Jacob<strong>in</strong>ern", zu <strong>de</strong>nen auch Carl<br />

<strong>Herzfeld</strong> zählte, die sich im Demokratischen Klub zusammengefun<strong>de</strong>n hatte, gegenüber.<br />

Über die Gründungsversammlung im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Reorganisation und Umbenennung <strong>de</strong>s<br />

Politischen <strong>in</strong> "Demokratischen Klub", die <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Reiterbu<strong>de</strong> am Dönhoffplatz stattfand, berichtet<br />

Robert Spr<strong>in</strong>ger : "Der weite Raum <strong>de</strong>r Reitbahn mit <strong>de</strong>n roh gearbeiteten amphitheatrischen Sitzen,<br />

<strong>de</strong>r mehrere Tausend Menschen fassen konnte, war so gedrängt voll, daß im wahren S<strong>in</strong>ne <strong>de</strong>s<br />

Wortes ke<strong>in</strong> Apfel zur Er<strong>de</strong> fallen konnte. Ab und zu g<strong>in</strong>g die Rotte Monike", sie bestand aus e<strong>in</strong>igen<br />

radikalen Stu<strong>de</strong>nten unter <strong>de</strong>nen sich auch e<strong>in</strong>ige befan<strong>de</strong>n, die am 18. März 1848 die<br />

Masch<strong>in</strong>enbauer unter die Waffen gerufen und auch auf <strong>de</strong>n Barrika<strong>de</strong>n gekämpft hatten -"um das<br />

äußere Terra<strong>in</strong> zu rekognosticieren" und von <strong>de</strong>r Reaktion angeheuerten Schlägertrupps wie "<strong>de</strong>n<br />

etwa e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gen<strong>de</strong>n Pfer<strong>de</strong>schlächtern o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Söldl<strong>in</strong>gen <strong>de</strong>n E<strong>in</strong>gang zu wehren". An die<br />

Spitze <strong>de</strong>s Präsidiums wur<strong>de</strong> Georg Jung gewählt, <strong>de</strong>r, wie bereits erwähnt die politische Re<strong>de</strong> an<br />

<strong>de</strong>n Gräbern <strong>de</strong>r Barrika<strong>de</strong>ntoten gehalten hatte. Se<strong>in</strong> Stellvertreter war Eichler, "<strong>de</strong>r durch se<strong>in</strong>e<br />

<strong>de</strong>rbe populäre Sprache und durch leidlichen Takt wohl dazu" geeignet war. Neben Carl <strong>Herzfeld</strong>, "<strong>de</strong>r<br />

se<strong>in</strong>e Erholung von <strong>de</strong>n juridischen Repositorien <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Politik suchte, aber <strong>de</strong>n Rechtsbo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s<br />

Landrechts nie ganz verlieren konnte" s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Reihe mehr o<strong>de</strong>r m<strong>in</strong><strong>de</strong>r bekannter Persönlichkeiten<br />

zu nennen, die zum politischen Freun<strong>de</strong>skreis gehörten. Robert Spr<strong>in</strong>ger hat sie aus eigner Kenntnis<br />

mit wenigen Worten jeweils prägnant charakterisiert: "Ottensoser, <strong>de</strong>r immer nur sprach, wenn er wie<br />

e<strong>in</strong> Quäker begeistert war, was aber ke<strong>in</strong>eswegs selten e<strong>in</strong>traf. Hätte se<strong>in</strong>e Beredsamkeit nicht zu viel<br />

von se<strong>in</strong>er Phantasie und <strong>de</strong>r aufgeblasenen Übertreibung e<strong>in</strong>es Handlungsdieners an sich gehabt<br />

und wäre se<strong>in</strong>e Be<strong>de</strong>utentheit von <strong>de</strong>n übrigen Demagogen, die e<strong>in</strong>em unstudirten Kaufmannsdiener<br />

unmöglich Berühmtheit zugestehen konnten, nicht bei je<strong>de</strong>r Gelegenheit <strong>in</strong>s Lächerliche gezogen<br />

wor<strong>de</strong>n, so hätte Ottensosser durch unverkennbares Talent e<strong>in</strong>e wichtige Rolle spielen können...<br />

Wyß, <strong>de</strong>r allmählich <strong>in</strong>'s Feuer gerieth, wie se<strong>in</strong>e Zunge geschmeidiger wur<strong>de</strong>; <strong>de</strong>r lange, hellblon<strong>de</strong><br />

Saß; Reich, <strong>de</strong>r Kle<strong>in</strong>e, <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>e Armee von Rehbergern h<strong>in</strong>ter sich träumte. Er hatte e<strong>in</strong>e Boxernatur<br />

21


und suchte mit Je<strong>de</strong>m Hän<strong>de</strong>l. Karbe, <strong>de</strong>r Greis, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n lieben Gott zum Barrika<strong>de</strong>nkämpfer machte",<br />

L<strong>in</strong><strong>de</strong>n-Müller, "<strong>de</strong>ssen re<strong>de</strong>n populär wie Knoblauchwürste und berauschend wie fe<strong>in</strong>er<br />

Kümmelschnaps waren", Monike, "<strong>de</strong>r wie e<strong>in</strong> Keil etwas schwerfällig, aber doch spaltend traf“,<br />

Berner, "<strong>de</strong>r jung, frisch und roth politisierte", Lange, "mit <strong>de</strong>m Uckermärker Dialekt und <strong>de</strong>r<br />

entschie<strong>de</strong>nen republikanischen Sehnsucht", Hoppe, "<strong>de</strong>r konfus sprach, aber richtig fühlte. Er sah<br />

aus wie e<strong>in</strong> Neger, <strong>de</strong>r eifrig Theologie studirt hat", Buhl mit <strong>de</strong>r Jungfernstimme und <strong>de</strong>n satyrischen<br />

Ausfällen... Ste<strong>in</strong>, <strong>de</strong>r dicke Aktuarius im rothbraunen Paletot und weißem Filz, <strong>de</strong>r parlamentarische<br />

Re<strong>de</strong>n zur Beför<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Verdauung zu halten schien; Schramm <strong>de</strong>r spätere Präsi<strong>de</strong>nt, <strong>de</strong>m die<br />

Worte für die schnellen Gedanken zu langsam waren; Bergenroth, e<strong>in</strong> großer, hübscher Mann, von<br />

entschie<strong>de</strong>ner Ges<strong>in</strong>nung, <strong>de</strong>r sich nie vordrängte. Se<strong>in</strong>e Re<strong>de</strong>fertigkeit war unbe<strong>de</strong>utend, größer<br />

se<strong>in</strong>e Wirksamkeit für die <strong>de</strong>mokratischen Wahlen <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Prov<strong>in</strong>zen; Salis e<strong>in</strong> <strong>de</strong>rber<br />

Schweizer;Förster, äußerlich still, beson<strong>de</strong>rs thätig <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Commissionen; Dr. Voigtlän<strong>de</strong>r, e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es<br />

schmächtiges Männchen, <strong>de</strong>ssen Gesicht von <strong>de</strong>r Schulklassenluft gebleicht war. Er trat immer<br />

schüchtern auf, und als er e<strong>in</strong>st die Stärke <strong>de</strong>r Armee, welche Berl<strong>in</strong> cernirte, im ängstlichen<br />

Flüsterton mittheilte, reif er wahre Heiterkeit hervor... Van Arken, <strong>de</strong>n man, wie die Venus `a belles<br />

fesses, von h<strong>in</strong>ten sehen mußte. Er hatte e<strong>in</strong>e orig<strong>in</strong>elle Art, die Rockschöße über e<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r zu<br />

22


schlagen, wenn er sich zum Sprechen erhob. Zuweilen trat Graf Pfeil auf, e<strong>in</strong>e hohe Gestalt mit scharf<br />

geprägtem Gesicht. Als die Verfassungsklage geprüft wur<strong>de</strong>, schleu<strong>de</strong>rte er e<strong>in</strong>ige Kraftworte,<br />

hantierte dabei wie e<strong>in</strong> Held <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kl<strong>in</strong>gerschen Schauspiele und verließ dann unter rauschen<strong>de</strong>m<br />

Beifall die Tribüne." Später erweiterte sich <strong>de</strong>r Kreis um Hexamer, e<strong>in</strong>en Mediz<strong>in</strong>er, Oppenheim, "e<strong>in</strong>e<br />

kle<strong>in</strong>e fe<strong>in</strong>e Gestalt, mit hübschem rothwangigen Gesicht und schwarzem Backenbarte." <strong>Die</strong> bei<strong>de</strong>n<br />

letzt genannten waren "zwei re<strong>in</strong>e Demokraten, die <strong>de</strong>n Unterthanenverstand, woran ihr Altmeister<br />

Hegel als Hofphilosoph wirklich geglaubt hatte, zur politischen Kritik an und für sich herausgebil<strong>de</strong>t<br />

hatten; <strong>de</strong>r vollwangige Edgar Bauer, <strong>de</strong>m die Mag<strong>de</strong>burger Kasemattenluft merkwürdig gut<br />

bekommen war; er hielt die Republik so nothwendig wie Bairisch Bier; Arnold Ruge mit <strong>de</strong>m<br />

erdfarbigen Seume-Gesicht, <strong>de</strong>r <strong>in</strong> Halle die Keule geführt, <strong>in</strong> Paris die Lärmtrompete geblasen hatte<br />

und nun <strong>in</strong> mit Berl<strong>in</strong>er Pflasterste<strong>in</strong>en warf. <strong>Die</strong> philosophischen Doctr<strong>in</strong>äre konnten ihm nicht<br />

verzeihen, daß er, <strong>de</strong>r Heros <strong>de</strong>r Hallischen Jahrbücher, sich auf die Tribüne neben Ottenosser stellte.<br />

Er paßte auch nicht dorth<strong>in</strong>, <strong>de</strong>nn se<strong>in</strong>e Re<strong>de</strong> war nichts weniger als populär. <strong>Die</strong> Thätigkeit <strong>de</strong>s<br />

Clubs wur<strong>de</strong> fortwährend <strong>in</strong> Anspruch genommen; die Reaction sorgte dafür. Was gab es nicht Alles<br />

zu überwachen, zu protestiren, zu <strong>de</strong>monstriren und zu verwünschen. <strong>Die</strong> Wahlkandidaten mußten<br />

vorgeschlagen und das Programm verfasst und berathen wer<strong>de</strong>n. Das M<strong>in</strong>isterium wollte die<br />

Revolution verleugnen, dagegen mußte man empörte Re<strong>de</strong>n halten. <strong>Die</strong> Polen wur<strong>de</strong>n geschrappnelt<br />

und gebrandmarkt, das gab alle<strong>in</strong> zu sechs aufgeregten Abendsitzungen Stoff. <strong>Die</strong> armen Polen, die<br />

noch aus <strong>de</strong>n Gefängnissen e<strong>in</strong>en Klageschrei an die Berl<strong>in</strong>er Stu<strong>de</strong>nten richteten, sie fan<strong>de</strong>n eben<br />

lei<strong>de</strong>r nur die größte Sympathie im <strong>de</strong>mocratischen Club! E<strong>in</strong>e große Volks<strong>de</strong>monstration gegen das<br />

rechtsbo<strong>de</strong>nstabile M<strong>in</strong>isterium mußte nach <strong>de</strong>r Stätte <strong>de</strong>r erschlagenen Märzhel<strong>de</strong>n geführt wer<strong>de</strong>n.<br />

<strong>Die</strong> Regierung legte e<strong>in</strong>en Verfassungsentwurf vor, um <strong>de</strong>n es sich nicht gelohnt hätte, e<strong>in</strong>e<br />

Märzrevolution zu machen; das gab Veranlassung zu famoser Aufregung, zu volkssouveräner<br />

Entrüstung.“ 8<br />

8 Robert Spr<strong>in</strong>ger, a.a.O., S.77f.<br />

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<strong>Die</strong> meisten Volksversammlungen, auch Ausgangspunkt für Demonstrationen wur<strong>de</strong>n, <strong>in</strong> <strong>de</strong>n sich die<br />

"volkssouveräne Entrüstung" manifestierte, fan<strong>de</strong>n im Tiergarten auf e<strong>in</strong>em freien Platz vor <strong>de</strong>n<br />

Kaffeehäusern, die die Zelte genannt wur<strong>de</strong>n, statt. An <strong>de</strong>m Ort, wo e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnes Orchester freitags<br />

für die musikalische Unterhaltung <strong>de</strong>r Gäste sorgte, tummelten sich Tag aus Tag e<strong>in</strong>, die Vertreter <strong>de</strong>r<br />

verschie<strong>de</strong>nen politischen Clubs. "<strong>Die</strong> ver<strong>de</strong>ckten Orchestersitze <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Mitte wur<strong>de</strong>n zur Tribüne<br />

benutzt, <strong>de</strong>r freie run<strong>de</strong> Platz war mit Tausen<strong>de</strong>n von Zuhörern angefüllt und von Marketen<strong>de</strong>rbu<strong>de</strong>n<br />

umgrenzt, <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Zeltenräumen saßen <strong>Die</strong>jenigen, welche die Volksre<strong>de</strong>n lieber von fern und Bier und<br />

Kaffee <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Nähe prüften, vom Bran<strong>de</strong>nburger Thore her rollten zahlreiche Droschken, auf <strong>de</strong>r nahen<br />

Spree glitten die lustigen Gon<strong>de</strong>ln nach Moabit, <strong>de</strong>ssen Auen man jenseits erblickte, die Fenster <strong>de</strong>s<br />

Schlosses Bellevue bl<strong>in</strong>kten im Sonnensche<strong>in</strong> durch die schattigen Alleen <strong>de</strong>s Thiergartens, von ferne<br />

gewahrte man die grüne Schloßkuppel und die Kirchthurmspitze von Charlottenburg." 10<br />

Aber nicht nur auf <strong>de</strong>r "Rednertribühne o<strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Zelten war Carl <strong>Herzfeld</strong> zu f<strong>in</strong><strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn auch<br />

bei Hippel, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er jener We<strong>in</strong>stuben, die bereits im Vormärz zum Treffpunkt <strong>de</strong>r politischen<br />

"Avantgar<strong>de</strong>" wur<strong>de</strong>n, ohne die e<strong>in</strong>e Politisierung und Radikalisierung <strong>de</strong>r Öffentlichkeit nicht <strong>de</strong>nkbar<br />

gewesen wäre. Mitte <strong>de</strong>r 30er Jahre zählte man ungefähr hun<strong>de</strong>rt Konditoreien <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, dazu kamen<br />

noch zwanzig bis dreißig We<strong>in</strong>stuben, unter <strong>de</strong>nen" neben <strong>de</strong>r genannten, <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re Lutter (&<br />

Wegner), Mitscher & Caspari, Kirchof, Gerold und Habel zu nennen wären. <strong>Die</strong> bekanntesten<br />

L<strong>in</strong>kshegelianer, die sich bereits vor <strong>de</strong>r Revolution <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Hippelschen We<strong>in</strong>stube trafen, waren Bruno<br />

Bauer, Max Stirner und Ludwig Buhl. Robert Spr<strong>in</strong>ger hat <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er aus <strong>de</strong>r Mitte <strong>de</strong>s vergangenen<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rts stammen<strong>de</strong>n Charakterisierung <strong>de</strong>r Urväter doktr<strong>in</strong>är-sozialistischer Herrschaft, das<br />

Menschenverachten<strong>de</strong> dieser Verfechter e<strong>in</strong>er von <strong>de</strong>m Kopf auf die Füße gestellten Hegelschen<br />

Philosophie, die <strong>de</strong>n Satz "Alles Bestehen<strong>de</strong> ist vernünftig" <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grundsatz "Alles Bestehen<strong>de</strong> ist<br />

Sch-" umwan<strong>de</strong>lten, erfaßt. "<strong>Die</strong>se Leute, welche vorgeben, für die Menschheit wirken zu wollen,<br />

erkennen doch we<strong>de</strong>r Menschheit noch Menschlichkeit an; Persönlichkeiten respectiren sie<br />

grundsätzlich gar nicht, aber nicht, weil sie dieselben <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>e unterordnen, son<strong>de</strong>rn weil sie ihre<br />

eigne Person über alle an<strong>de</strong>ren erheben wollen. Von solchen Volksbeglückern ist ke<strong>in</strong> Heil zu<br />

erwarten. <strong>Die</strong> Kämpfer für die Menschenrechte können Atheisten se<strong>in</strong>, aber sie müssen an die<br />

Wahrheit und Tugend glauben; sie müssen Geistesgröße und Seelena<strong>de</strong>l haben. Sprecht aber mit<br />

Jenen von Wahrheit, so fragen sie 'Was heißt das ?' sprecht ihnen von Tugend, so nennen sie euch,<br />

verächtlich lächelnd, 'blöds<strong>in</strong>nig,' Seelena<strong>de</strong>l erklären sie für Sch- und Geistesgröße schreiben sie<br />

sich selber nur zu. Es gibt e<strong>in</strong>en Standpunkt, von <strong>de</strong>m die Weltwirren so großartig ersche<strong>in</strong>en, daß die<br />

e<strong>in</strong>zelnen Menschen zu Milben wer<strong>de</strong>n, aber dann erkennt auch <strong>de</strong>r Betrachten<strong>de</strong>n se<strong>in</strong>e eigne<br />

Nichtigkeit; so lange aber man sich selber noch für e<strong>in</strong>e Größe hält, ist eben so unlogisch, wie<br />

arrogant, ke<strong>in</strong>en An<strong>de</strong>ren neben sich anerkennen zu wollen." Nach <strong>de</strong>m 18. März 1848 erweiterte sich<br />

<strong>de</strong>r Kreis immer mehr, so fan<strong>de</strong>n sich auch die "Koryphäen" <strong>de</strong>s Demokratischen Klubs hier e<strong>in</strong>:<br />

Meyen, Bergenroth, Ottensosser, Hoppe, Jung, "<strong>de</strong>r wegen <strong>de</strong>r schnell gewonnen Popularität<br />

beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>r Gegenstand <strong>de</strong>s Nei<strong>de</strong>s wur<strong>de</strong>", Ste<strong>in</strong>, "<strong>de</strong>r gegen die Demokratie <strong>de</strong>r Rehberger<br />

immer e<strong>in</strong>e halb schmerbäuchige, halb büreaukratische Opposition bil<strong>de</strong>te; wenn er se<strong>in</strong>en weißen<br />

Quäker und <strong>de</strong>n Paletot von zwei<strong>de</strong>utig brauner Farbe abgelegt hatte, und bei<strong>de</strong> Arme auf <strong>de</strong>n Tisch<br />

10 Robert Spr<strong>in</strong>ger, a.a.O., S. 109f.<br />

25


stemmte, sah Hippel kläglich nach <strong>de</strong>r Wand, als wür<strong>de</strong> er noch irgendwo müssen durchbrechen<br />

lassen. Massaloup, Eichler, <strong>de</strong>r je<strong>de</strong>n Abend e<strong>in</strong> Opfer <strong>de</strong>r Grobheit for<strong>de</strong>rte; er suchte sich bald<br />

e<strong>in</strong>en, <strong>de</strong>n er verschlang, war aber dann das gemüthlichste Haus, wie die Riesenschlange, wenn sie<br />

verdaut." 11<br />

Edgar Bauer und die Rotte Monicke, die <strong>in</strong>zwischen auch bei Hippel e<strong>in</strong> und aus g<strong>in</strong>gen, haben wir<br />

bereits erwähnt. Es fehlten auch nicht die früheren Zeltenredner, "darunter <strong>de</strong>r Greis Karbe, <strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />

Kneipe selten viel von sich hören ließ; , L<strong>in</strong><strong>de</strong>nmüller, se<strong>in</strong>e Gefängnislei<strong>de</strong>n naiv-humoristisch<br />

erzählend; <strong>Herzfeld</strong>, Schaßler; <strong>in</strong> <strong>de</strong>r letzten Zeit noch Mey; <strong>de</strong>r Communist Weitl<strong>in</strong>g; <strong>de</strong>r Schriftsetzer<br />

Born; die Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mokratischen Congresses, darunter Hexamer, Ruge und Oppenheim." 12<br />

Von <strong>de</strong>n anwesen<strong>de</strong>n Zeitungskorrespon<strong>de</strong>nten und Redakteuren wären zu nennen: "Kalisch, Dohm,<br />

Treuherz, Röttger, Bisky, Todt", Ste<strong>in</strong>thal, Heilberg und Wetzel.<br />

Hier bei Hippel wur<strong>de</strong>n <strong>de</strong>mokratische Beschlüsse gefaßt, man "<strong>de</strong>battierte, warf Spione heraus,<br />

rapportierte Straßenkrawalle, feierte die wichtigsten Momente <strong>de</strong>r 'Anarchie' durch honette Bowlen;<br />

sich selber nur zu. Es gibt e<strong>in</strong>en Standpunkt, von <strong>de</strong>m die Weltwirren so großartig ersche<strong>in</strong>en, daß die<br />

e<strong>in</strong>zelnen Menschen zu Milben wer<strong>de</strong>n, aber dann erkennt auch <strong>de</strong>r Betrachten<strong>de</strong>n se<strong>in</strong>e eigne<br />

Nichtigkeit; so lange aber man sich selber noch für e<strong>in</strong>e Größe hält, ist eben so unlogisch, wie<br />

arrogant, ke<strong>in</strong>en An<strong>de</strong>ren neben sich anerkennen zu wollen." Nach <strong>de</strong>m 18. März 1848 erweiterte sich<br />

<strong>de</strong>r Kreis immer mehr, so fan<strong>de</strong>n sich auch die "Koryphäen" <strong>de</strong>s Demokratischen Klubs hier e<strong>in</strong>:<br />

Meyen, Bergenroth, Ottensosser, Hoppe, Jung, "<strong>de</strong>r wegen <strong>de</strong>r schnell gewonnen Popularität<br />

beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>r Gegenstand <strong>de</strong>s Nei<strong>de</strong>s wur<strong>de</strong>", Ste<strong>in</strong>, "<strong>de</strong>r gegen die Demokratie <strong>de</strong>r Rehberger<br />

immer e<strong>in</strong>e halb schmerbäuchige, halb büreaukratische Opposition bil<strong>de</strong>te; wenn er se<strong>in</strong>en weißen<br />

Quäker und <strong>de</strong>n Paletot von zwei<strong>de</strong>utig brauner Farbe abgelegt hatte, und bei<strong>de</strong> Arme auf <strong>de</strong>n Tisch<br />

stemmte, sah Hippel kläglich nach <strong>de</strong>r Wand, als wür<strong>de</strong> er noch irgendwo müssen durchbrechen<br />

lassen. Massaloup, Eichler, <strong>de</strong>r je<strong>de</strong>n Abend e<strong>in</strong> Opfer <strong>de</strong>r Grobheit for<strong>de</strong>rte; er suchte sich bald<br />

e<strong>in</strong>en, <strong>de</strong>n er verschlang, war aber dann das gemüthlichste Haus, wie die Riesenschlange, wenn sie<br />

verdaut." 13<br />

Edgar Bauer und die Rotte Monicke, die <strong>in</strong>zwischen auch bei Hippel e<strong>in</strong> und aus g<strong>in</strong>gen, haben wir<br />

bereits erwähnt. Es fehlten auch nicht die früheren Zeltenredner, "darunter <strong>de</strong>r Greis Karbe, <strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />

Kneipe selten viel von sich hören ließ; , L<strong>in</strong><strong>de</strong>nmüller, se<strong>in</strong>e Gefängnislei<strong>de</strong>n naiv-humoristisch<br />

erzählend; <strong>Herzfeld</strong>, Schaßler; <strong>in</strong> <strong>de</strong>r letzten Zeit noch Mey; <strong>de</strong>r Communist Weitl<strong>in</strong>g; <strong>de</strong>r Schriftsetzer<br />

Born; die Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mokratischen Congresses, darunter Hexamer, Ruge und Oppenheim." 14<br />

Von <strong>de</strong>n anwesen<strong>de</strong>n Zeitungskorrespon<strong>de</strong>nten und Redakteuren wären zu nennen: "Kalisch, Dohm,<br />

Treuherz, Röttger, Bisky, Todt", Ste<strong>in</strong>thal, Heilberg und Wetzel.<br />

Hier bei Hippel wur<strong>de</strong>n <strong>de</strong>mokratische Beschlüsse gefaßt, man "<strong>de</strong>battierte, warf Spione heraus,<br />

rapportierte Straßenkrawalle, feierte die wichtigsten Momente <strong>de</strong>r 'Anarchie' durch honette Bowlen;<br />

dazu die enge <strong>de</strong>s Raumes, das abwechseln<strong>de</strong> Ersche<strong>in</strong>en <strong>de</strong>r Colporteure - die alles konnte e<strong>in</strong>en<br />

11 Robert Spr<strong>in</strong>ger, a.a.O., S. 238.<br />

12 Ebd., S. 238f.<br />

13 Robert Spr<strong>in</strong>ger, a.a.O., S. 238.<br />

14 Ebd., S. 238f.<br />

26


unschuldigen Prov<strong>in</strong>zialen, <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>mal aus Neugier<strong>de</strong> dorth<strong>in</strong> gegangen war, Kolik und Haarsträuben<br />

verursachen." 15<br />

En<strong>de</strong> April 1848 waren <strong>de</strong>r Nationalversammlung gegen Zahlung e<strong>in</strong>er angemessenen Miete die<br />

Räume <strong>de</strong>r S<strong>in</strong>gaka<strong>de</strong>mie für ihre Sitzungen überlassen wor<strong>de</strong>n. 16<br />

Anfang Oktober sie<strong>de</strong>lten die Abgeordneten <strong>de</strong>r Nationalversammlung von <strong>de</strong>r S<strong>in</strong>gaka<strong>de</strong>mie <strong>in</strong> das<br />

Schauspielhaus am Gendarmenmarkt über. Zu <strong>de</strong>n entschie<strong>de</strong>nsten Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r äußersten L<strong>in</strong>ken<br />

gehörten Wal<strong>de</strong>ck, Temme, Jung, d’Ester, Reichenbach, Berends und Reuter, politische<br />

Ges<strong>in</strong>nungsgenossen Carl <strong>Herzfeld</strong>s. Wal<strong>de</strong>ck und Berends wer<strong>de</strong>n wir im Jahr darauf zusammen mit<br />

Carl auf <strong>de</strong>r Anklagebank vor <strong>de</strong>m Kriegsgericht f<strong>in</strong><strong>de</strong>n, auf e<strong>in</strong>en an Carl <strong>Herzfeld</strong> gerichteten Brief<br />

d’Esters wird sich <strong>de</strong>r Ankläger stützen.<br />

In <strong>de</strong>n nächsten Wochen sollten die Wiener Ereignisse <strong>de</strong>n Tenor <strong>de</strong>r politischen Verhandlungen<br />

bil<strong>de</strong>n. Am 23. Oktober traten die kaiserlichen Truppen gegen die revolutionäre Hauptstadt an und<br />

eroberten Wien nach e<strong>in</strong>wöchigen blutigen Kampf. <strong>Die</strong> Konservativen ausgenommen war man sich<br />

über alle Parteigrenzen h<strong>in</strong>weg <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ig, <strong>de</strong>n Freiheitskampf <strong>de</strong>r Wiener zu unterstützen. Da<br />

militärisch je<strong>de</strong> Hilfe zu spät kam, blieb als e<strong>in</strong>zige Alternative <strong>de</strong>r Versuch auf die preußische<br />

Regierung Druck auszuüben, zu <strong>in</strong>tervenieren o<strong>de</strong>r die Frankfurter Zentralgewalt aufzufor<strong>de</strong>rn,<br />

e<strong>in</strong>zugreifen. Entsprechen<strong>de</strong> Anträge wur<strong>de</strong>n am 31. Oktober <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Nationalversammlung beraten.<br />

"Wie schon im Juni war die Versammlung von Menschenmassen umlagert. <strong>Die</strong> Bürgerwehr<br />

15 Ebd., S. 239.<br />

16 Am 21. April war noch als Karfreitagsaufführung <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>ster Besetzung, an <strong>de</strong>r möglicherweise auch noch<br />

Raphael <strong>Herzfeld</strong>, <strong>de</strong>r Vetter von Carl und Ludwig mitgewirkt hatte, Grauns „Der Tod Jesu“ zu Gehör gebracht<br />

wor<strong>de</strong>n.<br />

27


marschierte zum Schutz <strong>de</strong>r Abgeordneten auf, konnte aber Angriffe auf e<strong>in</strong>ige Volksvertreter nicht<br />

verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rn. Wie<strong>de</strong>r kam es zu blutigen Kämpfen zwischen Bürgerwehr und Demonstranten." 17<br />

<strong>Die</strong> Reaktion<br />

Friedrich Wilhelm IV. nutzte die Gelegenheit, um die "Eiterbeule Berl<strong>in</strong>", so se<strong>in</strong>e Worten,<br />

aufzustechen. Entsprechend <strong>de</strong>m bereits am 11. September im Kreise <strong>de</strong>r "Kamarilla" entworfenen<br />

Kampfprogramms zur E<strong>in</strong>leitung <strong>de</strong>r Gegenrevolution wur<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>r Berufung e<strong>in</strong>es neuen<br />

M<strong>in</strong>isteriums unter Leitung <strong>de</strong>s Kavalleriegenerals Bran<strong>de</strong>nburg <strong>in</strong> die Tat umgesetzt , die<br />

protestieren<strong>de</strong> Nationalversammlung vertagt und, angeblich zu ihrer eignen Sicherheit nach<br />

Bran<strong>de</strong>nburg verlegt. Mit <strong>de</strong>m Argument <strong>de</strong>s Sicherheitsrisikos war zugleich "das Pr<strong>in</strong>zip <strong>de</strong>r<br />

Bürgerbewaffnung offiziell diskreditiert wor<strong>de</strong>n. Der E<strong>in</strong>marsch <strong>de</strong>r seit Wochen um Berl<strong>in</strong><br />

konzentrierten Armee<strong>in</strong>heiten stand unmittelbar bevor. <strong>Die</strong> Nationalversammlung rief zum passiven<br />

Wi<strong>de</strong>rstand auf, da <strong>de</strong>r Kommandant <strong>de</strong>r Bürgerwehr Rimpler e<strong>in</strong>räumen mußte, daß er mit <strong>de</strong>n ihm<br />

zur Verfügung stehen<strong>de</strong>n schwachen Kräften, die Stadt nicht verteidigen könne. So konnte also am<br />

10. November die Armee ungeh<strong>in</strong><strong>de</strong>rt durch das Bran<strong>de</strong>nburger Tor e<strong>in</strong>rücken: "13.000 Soldaten mit<br />

60 Geschützen. Abgesehen von lebhaften Unmutsäußerungen <strong>de</strong>s Straßenpublikums blieb die Stadt<br />

ruhig".<br />

<strong>Die</strong> Bürgerwehr löste sich auf, Rimpler legte se<strong>in</strong> Amt nie<strong>de</strong>r und die Listen wur<strong>de</strong>n verbrannt. „<strong>Die</strong>se<br />

Maßregel sollte die Entwaffnung h<strong>in</strong><strong>de</strong>rn, welcher man sich nicht freiwillig unterziehen wollte. In <strong>de</strong>r<br />

Nacht kamen die Bürgerwehrofficiere <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Jägerstraße zusammen und beriethen unter <strong>de</strong>m Vorsitze<br />

<strong>de</strong>s Actuarius Thiele die nächst zu thuen<strong>de</strong>n Schritte, von <strong>de</strong>r L<strong>in</strong>ken waren Wal<strong>de</strong>ck, Berends,<br />

d’Ester und Bauer zugegen. <strong>Die</strong> Me<strong>in</strong>ungen waren sehr getheilt, fast alle stimmten aber <strong>in</strong> <strong>de</strong>m<br />

Punkte übere<strong>in</strong>, daß die Waffen nicht abgegeben wer<strong>de</strong>n sollten.“ 18<br />

17 Günter Richter, a.a.O., S. 635.<br />

18 Robert Spr<strong>in</strong>ger, a.a.O., S. 246.<br />

28


Am 12. November wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Belagerungszustand über Berl<strong>in</strong> verhängt, und die vollziehen<strong>de</strong><br />

Gewalt <strong>in</strong> die Hän<strong>de</strong> Wrangels, <strong>de</strong>s kommandieren<strong>de</strong>n Generals, gelegt. Alle politischen Vere<strong>in</strong>e<br />

wur<strong>de</strong>n geschlossen, das Versammlungsrecht drastisch e<strong>in</strong>geschränkt, die Polizeistun<strong>de</strong> auf 22<br />

Uhr festgesetzt. Gleichfalls wur<strong>de</strong> nicht nur gegen die Revolutionäre son<strong>de</strong>rn auch gegen die<br />

gemäßigte Presse vorgegangen, alle Zeitungen und Druckschriften unterlagen e<strong>in</strong>er beson<strong>de</strong>ren<br />

Genehmigungspflicht. <strong>Die</strong> Berl<strong>in</strong>er Bürgerwehr wur<strong>de</strong> für aufgelöst erklärt und die Häuser nach<br />

Waffen durchsucht. "<strong>Die</strong> Truppen besetzten, mit gela<strong>de</strong>nen Gewehren versehen, <strong>de</strong>n Hahn <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />

Mittelruh, die Straßen und holten die Waffen aus <strong>de</strong>n Häusern. <strong>Die</strong> Sergeanten <strong>de</strong>r Polizei-<br />

Commissarien dienten fast überall als Anweiser; am Thätigsten jedoch waren die Weiber, welche<br />

die Gewehre <strong>de</strong>r Männer selber überbrachten o<strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Hausthüren stan<strong>de</strong>n, und die Soldaten<br />

an e<strong>in</strong>zelne Bewohner wiesen, bei <strong>de</strong>nen sie Waffen vorhan<strong>de</strong>n wußten; e<strong>in</strong>e solche Anweisung<br />

hatte dann e<strong>in</strong>e gewaltsame Durchsuchung <strong>de</strong>r Zimmer zur Folge, dazu wirbelten die Trommeln<br />

für die Demokratie." 16 20.000 Gewehre wur<strong>de</strong>n <strong>in</strong>sgesamt beschlagnahmt. Stadtfrem<strong>de</strong> wur<strong>de</strong>n<br />

sorgfältigen Kontrollen unterzogen und mit Ausweisung bedroht. E<strong>in</strong> Freund Ludwig <strong>Herzfeld</strong>s<br />

berichtet am 15. November aus <strong>de</strong>r preußischen Hauptstadt nach Sagan:<br />

"Ihres Auftrages habe ich mich zwar sofort erledigt, aber bis jetzt noch ke<strong>in</strong>e weitere Nachricht von mir geben<br />

können, weil ich verreist war; und wahrsche<strong>in</strong>lich hätten sie auch noch e<strong>in</strong> Weilchen warten müssen, wenn ich<br />

nicht wegen <strong>de</strong>r Belagerung von Berl<strong>in</strong> zurückgeeilt wäre. Denn sämtliche Bahnhöfe s<strong>in</strong>d gesperrt gewesen bis<br />

vor kurzer Zeit, <strong>de</strong>shalb wur<strong>de</strong> auch mir me<strong>in</strong> E<strong>in</strong>tritt verwehrt. Bis nach Potsdam kam ich zwar glücklich, dort<br />

kam mir aber e<strong>in</strong> donnern<strong>de</strong>s 'Halt' entgegen und nach kurzer Visitation wur<strong>de</strong> ich ohne Aufenthalt nach Berl<strong>in</strong><br />

beför<strong>de</strong>rt. So b<strong>in</strong> ich glücklich wie<strong>de</strong>r hier, wo <strong>de</strong>r Absolutismus durch Bajonette wie<strong>de</strong>r zu herrschen angefangen<br />

16 Robert Spr<strong>in</strong>ger, a.a.O., S. 247<br />

29


hat, und Personen an <strong>de</strong>r Staatsregierung stehen, die durch die Nationalversammlung bereits <strong>de</strong>s Hochverrats<br />

angeklagt s<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong>e furchtbare Erbitterung bricht aus <strong>de</strong>r Seele e<strong>in</strong>es je<strong>de</strong>n, e<strong>in</strong>e dumpfe Schwüle liegt über <strong>de</strong>r<br />

ganzen Stadt, die durch die zahlreichen Trabanten total geknechtet wird. Heute früh s<strong>in</strong>d aus <strong>de</strong>m Hause e<strong>in</strong>fach<br />

die Waffen abgeholt wor<strong>de</strong>n, doch nicht alle, son<strong>de</strong>rn e<strong>in</strong>e be<strong>de</strong>utsame Anzahl ist zurückgeblieben, da die<br />

Soldaten nie die Treppen h<strong>in</strong>aufgestiegen s<strong>in</strong>d, son<strong>de</strong>rn stets auf <strong>de</strong>n Hausfluren blieben. Zahlreiche starke<br />

Patrouillen durchziehen zu allen Tageszeiten die Straßen, die Kugel im Lauf und stören je<strong>de</strong> kle<strong>in</strong>e Versammlung<br />

auf <strong>de</strong>r Straße, die sich doch wegen <strong>de</strong>r Cirkulation so leicht bil<strong>de</strong>t. So etwas habe ich nicht erwartet, als ich<br />

Berl<strong>in</strong> am 3ten October verließ. <strong>Die</strong> Reaktion ist furchtbar noch e<strong>in</strong>mal aufgetreten, ich glaube, um e<strong>in</strong>en Kampf<br />

auf Leben und Tod zu beg<strong>in</strong>nen. In Berl<strong>in</strong> liegt die Entscheidung momentan nicht so sehr als <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Prov<strong>in</strong>z, <strong>de</strong>nn<br />

die Stadt ist ganz strategisch besetzt und e<strong>in</strong>e furchtbare Anzahl von Feuerschleu<strong>de</strong>rn ist nicht vergebens<br />

mitgebracht wor<strong>de</strong>n. Das Verhalten dagegen <strong>de</strong>r ganzen Berl<strong>in</strong>er Bürgerschaft ist wür<strong>de</strong>voll, ernst, ignorierend.<br />

<strong>Die</strong> Camerilla hat durch ihre willkürlichen, frechen Anordnungen und Vorgriffe e<strong>in</strong>en Konflikt gesucht, die<br />

Bürgerschaft hat ihn vermie<strong>de</strong>n durch ruhige, ernste Haltung. Wir müssen <strong>de</strong>n Kelch bis zur Hefe leeren, bis die<br />

Entscheidung kommt. Alle Tage erwartet man dieselbe und bei je<strong>de</strong>m Lärm auf <strong>de</strong>r Straße, glaube ich schon die<br />

Kanonen spielen zu hören. <strong>Die</strong> Bauschüler s<strong>in</strong>d aus <strong>de</strong>r Bauschule plötzlich vertrieben wor<strong>de</strong>n, die<br />

Zeichentische, Mo<strong>de</strong>lle etc. umgeworfen und besetzt wor<strong>de</strong>n. Aber unter <strong>de</strong>n Truppen selbst rühren sich e<strong>in</strong>ige<br />

und ich glaube, daß nur die Erhebung e<strong>in</strong>es Bataillons nötig ist, um ganze Regimenter zu e<strong>in</strong>er beistimmten<br />

Erklärung, nicht am Kampf teilnehmen zu wollen, zu br<strong>in</strong>gen. So stehen die Verhältnisse jetzt, aber vielleicht<br />

schon, ehe Sie <strong>de</strong>n Brief bekommen, kann an<strong>de</strong>rs entschie<strong>de</strong>n se<strong>in</strong>.<br />

Den übrigen Raum benutze ich, um Erkundigungen von Ihnen über Sagan e<strong>in</strong>zuziehen, weniger über politische<br />

als vielmehr häusliche Angelegenheiten. Wonach ich mich zuerst erkundige, wer<strong>de</strong>n Sie wohl wissen, und bei <strong>de</strong>r<br />

nächsten Gelegenheit, die sich darbietet, bitte ich Sie, mich e<strong>in</strong> wenig zu be<strong>de</strong>nken. <strong>Die</strong> übrigen Personen<br />

kümmern mich wenig und das unpolitische wie weibliche Leben <strong>in</strong> Sagan noch weniger, beson<strong>de</strong>rs da ich <strong>in</strong> <strong>de</strong>m<br />

Ort b<strong>in</strong>, wo so wichtige, so große Entscheidungen vor sich gehen sollen."<br />

<strong>Die</strong> e<strong>in</strong>zige be<strong>de</strong>utsame Wi<strong>de</strong>rstandsaktion g<strong>in</strong>g von <strong>de</strong>r Berl<strong>in</strong>er Nationalversammlung aus. Vom<br />

Militär verfolgt, wechselte sie ihre Sitzungslokale täglich. "General Wrangel wollte ihre Ohnmacht<br />

<strong>de</strong>utlich hervortreten lassen, sie <strong>de</strong>r Lächerlichkeit preisgeben und somit zur Aufgabe zw<strong>in</strong>gen.<br />

Unter <strong>de</strong>m Druck dieser provozieren<strong>de</strong>n Taktik beschloss die Versammlung am 15.11.<br />

unmittelbar vor ihrer gewaltsamen Aufhebung durch das Militär, das Land zu e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en<br />

Steuerverweigerung aufzurufen: das M<strong>in</strong>isterium sei nicht berechtigt, 'über Staatsgel<strong>de</strong>r zu<br />

verfügen und Steuern zu erheben, solange die Nationalversammlung nicht ungestört <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> ihre<br />

Beratungen fortzusetzen vermag.’“ 17 E<strong>in</strong> Versuch sich <strong>in</strong> Bran<strong>de</strong>nburg neu zu konstituieren,<br />

misslang unter an<strong>de</strong>rem auch, weil Abgeordnete <strong>de</strong>r L<strong>in</strong>ken die Nationalversammlung<br />

beschlussunfähig machten. Ursprünglich war mit <strong>de</strong>m Gedanken gespielt wor<strong>de</strong>n, von dort die<br />

Republik auszurufen. Wie aus e<strong>in</strong>em Brief <strong>de</strong>s Freun<strong>de</strong>s Meyer vom 23. November an Ludwig<br />

<strong>Herzfeld</strong> zu entnehmen ist, hatten bei<strong>de</strong> sich <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> treffen und von dort aus nach Bran<strong>de</strong>nburg<br />

fahren wollen, um an diesem "Staatsakt" teilzunehmen.<br />

Lieber <strong>Herzfeld</strong><br />

17 Günter Richter, a.a.O., S.637.<br />

30


Me<strong>in</strong>em Dir neulich gegebenen Versprechen gemäß, zeige ich Dir hiermit an, daß ich morgen Freitagabend nach Berl<strong>in</strong> reise<br />

und dort e<strong>in</strong>ige Tage verbleiben will, ich rechne bestimmt auf De<strong>in</strong>e Begleitung. Solltest Du aber nicht sofort abkommen können,<br />

so wirst Du mir doch bald folgen. Ich <strong>de</strong>nke wir reisen auch dann nach Bran<strong>de</strong>nburg, und wohnen am Montag <strong>de</strong>r Erklärung <strong>de</strong>r<br />

Republik bei. Je<strong>de</strong>nfalls spreche ich Dich noch morgen Abend <strong>in</strong> Sagan auf <strong>de</strong>m Bahnhof. <strong>Die</strong> <strong>Familie</strong> Bail läßt Dich grüßen.<br />

Auf Wie<strong>de</strong>rsehen<br />

Sagan 23/11. 48<br />

De<strong>in</strong><br />

Freund Meyer<br />

Am 6. Dezember 1848 oktroyierte Friedrich Wilhelm IV. e<strong>in</strong>e Verfassung. Preußen war jetzt<br />

konstitutionelle Monarchie. Der Artikel 67 gewährte das allgeme<strong>in</strong>e Wahlrecht.<br />

Ludwig <strong>Herzfeld</strong>s staatsrechtliche Vorstellungen<br />

<strong>Die</strong> Verb<strong>in</strong>dung zu <strong>de</strong>n Berl<strong>in</strong>er politischen Kreisen wird, da Ludwig <strong>Herzfeld</strong>s Lebensmittelpunkt<br />

<strong>in</strong>zwischen wie<strong>de</strong>r <strong>in</strong> Schlesien lag, nur locker gewesen se<strong>in</strong>. Zwar lebten seit 1844 se<strong>in</strong>e Geschwister<br />

zusammen mit <strong>de</strong>m Vater <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Hauptstadt, auch blieb er über se<strong>in</strong>e Tätigkeit bei <strong>de</strong>r<br />

Nie<strong>de</strong>rschlesischen Eisenbahn und die Freundschaft mit Robert Beil, <strong>de</strong>m Sohn, <strong>de</strong>s Inhabers <strong>de</strong>r<br />

Gesellschaft, mit Berl<strong>in</strong> verbun<strong>de</strong>n. Dazu mußte er zwischenzeitlich auch <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> aufhalten, um am<br />

Kammergericht se<strong>in</strong>e Assessorprüfung abzulegen. Jedoch hielten ihn neben <strong>de</strong>n vielen<br />

Freundschaften <strong>in</strong> Glogau und Sagan <strong>in</strong>zwischen auch zärtliche Ban<strong>de</strong> im nie<strong>de</strong>rschlesischen Raum.<br />

Im Revolutionsjahr 1848 hatte er Marie Clement<strong>in</strong>e Wüsthoff kennengelernt und sich alsbald mit ihr<br />

verlobt. Dazu kam, daß er im Spätsommer 1847 <strong>in</strong> Sagan e<strong>in</strong>e vakant gewor<strong>de</strong>ne Justizratsstelle, die<br />

zu besetzten gewesen war, hatte übernehmen können.<br />

<strong>Die</strong> neue Tätigkeit ließ ihm auch genügend Zeit, sich nebenher politisch zu betätigen. Se<strong>in</strong>e<br />

politischen Ambitionen <strong>in</strong> Sagan nach Ausbruch <strong>de</strong>r bürgerlichen Revolution im März 1848 lassen sich<br />

im späten Frühjahr nachweisen. Am 1. Mai 1848 richtete er e<strong>in</strong> Schreiben an <strong>de</strong>n Kgl. Landrat <strong>de</strong>s<br />

Kreises, <strong>de</strong>n Grafen Dohna, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m er wegen "verschie<strong>de</strong>ner Verstöße" gegen die Vorschriften <strong>de</strong>s<br />

Wahlgesetzes vom 8. April 1848 bei <strong>de</strong>n Urwahlen für die Versammlung zur Vorbereitung <strong>de</strong>r<br />

preußischen Verfassung protestierte. Auch sche<strong>in</strong>t er <strong>in</strong> Sagan <strong>de</strong>n Demokratischen Klub mit<br />

begrün<strong>de</strong>t zu haben.<br />

Im Spätherbst 1848 zog Ludwig <strong>Herzfeld</strong> <strong>in</strong> Sagan die Konsequenzen aus <strong>de</strong>r oben geschil<strong>de</strong>rten<br />

politischen Entwicklung. Er machte sich für e<strong>in</strong>e Reorganisation <strong>de</strong>s <strong>in</strong> Sagan bestehen<strong>de</strong>n<br />

"Demokratischen Vere<strong>in</strong>s" stark. Zu diesem Zweck lud er als Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s <strong>in</strong>terimistischen<br />

Vorstan<strong>de</strong>s zusammen mit Kleiber am 30. November 1848 zur Mitglie<strong>de</strong>rversammlung e<strong>in</strong>:<br />

"Am Sonnabend, <strong>de</strong>n 2. Dezember d. J., abends 7 Uhr f<strong>in</strong><strong>de</strong>t im Morgensternschen Gartensaal e<strong>in</strong>e<br />

Versammlung <strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s hiesigen <strong>de</strong>mokratischen Vere<strong>in</strong>s statt, <strong>in</strong> welcher nächst <strong>de</strong>n<br />

wichtigsten Tagesfragen, hauptsächlich die Reorganisation <strong>de</strong>s Vere<strong>in</strong>s, das anzunehmen<strong>de</strong><br />

Programm zur Besprechung gebracht wer<strong>de</strong>n soll. Dr<strong>in</strong>gend wünschenswert ist es, daß die jetzigen<br />

Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Vere<strong>in</strong>s sich recht zahlreich e<strong>in</strong>f<strong>in</strong><strong>de</strong>n, es wird aber auch gern gesehen, wenn<br />

aufrichtige Freun<strong>de</strong> e<strong>in</strong>er wahren unbeschränkten, durch redliche Mittel zur erstreben<strong>de</strong>n<br />

31


Volksfreiheit, <strong>de</strong>nen an e<strong>in</strong>er ruhigen Verständigung über das, was jetzt aller Herzen bewegt, gelegen<br />

ist, die Versammlung zu besuchen."<br />

Aus <strong>de</strong>m neuen Grundsatzprogramm, das aus Ludwig <strong>Herzfeld</strong>'s Fe<strong>de</strong>r stammte, treten uns <strong>de</strong>ssen<br />

rechtsphilosophische Anschauungen <strong>de</strong>utlich entgegen. „Der am hiesigen Orte unter <strong>de</strong>m Namen <strong>de</strong>s<br />

<strong>de</strong>mokratischen bisher bestan<strong>de</strong>nen Vere<strong>in</strong>, hat sich nicht <strong>de</strong>r Sympathien <strong>de</strong>r gutges<strong>in</strong>nten<br />

E<strong>in</strong>wohner zu erfreuen gehabt. <strong>Die</strong> Ursache darf ich als bekannt voraussetzen.- Überschreitungen<br />

e<strong>in</strong>zelner, die von ke<strong>in</strong>em Vernünftigen gebilligt wer<strong>de</strong>n können, zwecklose und mutwillige Störungen<br />

<strong>de</strong>r gesetzlichen Ordnung, <strong>de</strong>r h<strong>in</strong> und wie<strong>de</strong>r auch unlautere Motive zum Grun<strong>de</strong> gelegen haben<br />

mögen, kommunistische Bestrebungen s<strong>in</strong>d hier wie an<strong>de</strong>rwärts, auf Rechnung <strong>de</strong>r Demokratie<br />

geschrieben, dazu benutzt wor<strong>de</strong>n, ihre Anhänger zu verdächtigen. <strong>Die</strong> wahre, echte Demokratie will<br />

die Freiheit aller, die Gleichheit aller vor <strong>de</strong>m Gesetz; und das Gesetz erkennt sie als Schranke <strong>de</strong>r<br />

Freiheit an. Nicht die Willkür; <strong>de</strong>r bloßen rohen Gewalt, komme sie von oben o<strong>de</strong>r von unten, wird sie<br />

immer entgegentreten müssen, am allerwenigsten aber dul<strong>de</strong>n können, daß <strong>de</strong>r Name <strong>de</strong>r Demokratie<br />

gemißbraucht wer<strong>de</strong> zu Attentaten auf das Recht; wir wollen gern <strong>de</strong>r Despotie dieses Mittel<br />

überlassen. Heftige Gärung br<strong>in</strong>gt zunächst die Hefe oben auf; man darf daher auch im politischen<br />

Leben nicht über Ersche<strong>in</strong>ungen, wie die ange<strong>de</strong>uteten, sich nicht wun<strong>de</strong>rn, und wer e<strong>in</strong>e bessere<br />

Zukunft erstrebt, nicht verzweifeln. Es will fast <strong>de</strong>n Ansche<strong>in</strong> gew<strong>in</strong>nen, als auch jetzt <strong>in</strong> unserem<br />

Vaterlan<strong>de</strong> die Parteien auf bei<strong>de</strong>n Seiten von ihrer bisherigen Lei<strong>de</strong>nschaftlichkeit zu e<strong>in</strong>er<br />

vernünftigen Mäßigung zurückkehren wollen. <strong>Die</strong>ser günstige Augenblick muß benutzt wer<strong>de</strong>n, um<br />

e<strong>in</strong>e Verständigung zum Heile Aller herbeizuführen, und es kann dies zweckmäßig <strong>in</strong> politischen<br />

Vere<strong>in</strong>en geschehen.<br />

<strong>Die</strong> bisherige Wirksamkeit <strong>de</strong>s hiesigen <strong>de</strong>mokratischen Vere<strong>in</strong>s ist ke<strong>in</strong>e solche gewesen, welche<br />

e<strong>in</strong>em solchen Zwecke entsprechen könnte; aus diesen und an<strong>de</strong>ren nachher noch beson<strong>de</strong>rs zu<br />

erwähnen<strong>de</strong>n formellen Grün<strong>de</strong>n, muß er jetzt vollständig neu konstituiert wer<strong>de</strong>n. Ich habe es<br />

übernommen dieses Werk zu leiten und halte es <strong>de</strong>shalb vor allem für notwendig, von me<strong>in</strong>en<br />

persönlichen Ansichten Rechenschaft zu geben: <strong>Die</strong> Freiheit <strong>de</strong>s Menschen ist e<strong>in</strong> natürlicher<br />

Zustand, sobald mehrere Menschen nebene<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r leben, müssen sie <strong>de</strong>n Gebrauch ihrer<br />

natürlichen Freiheit regeln durch bestimmte Gesetze; diese Gesetze dürfen ihnen aber nicht durch<br />

an<strong>de</strong>re aufgezwungen wer<strong>de</strong>n, sie selbst müssen sich ihre Gesetze geben.<br />

<strong>Die</strong> Völker s<strong>in</strong>d zwar meist, wie uns die bisherige Geschichte lehrt, durch e<strong>in</strong>zelne Regenten<br />

geschützt wor<strong>de</strong>n, und an<strong>de</strong>re sogenannte republikanische Staatsformen haben nur ausnahmsweise<br />

Bestand gehabt; überall aber f<strong>in</strong><strong>de</strong>n wir das Streben <strong>de</strong>s Volkes nach e<strong>in</strong>er Teilnahme an <strong>de</strong>r<br />

Gesetzgebung und Regierung, und diese ist notwendig zu se<strong>in</strong>em Glücke, weil sie sonst nicht frei<br />

s<strong>in</strong>d. Da, wo sie e<strong>in</strong>e solche Teilnahme nicht im genügen<strong>de</strong>n Maße gehabt haben, ist dieses<br />

Verhältnis benutzt wor<strong>de</strong>n, um die natürliche Freiheit unter <strong>de</strong>r Form von Gesetzen ohne Not zu<br />

beschränken; so oft diese Beschränkungen fühlbar und drückend wur<strong>de</strong>n, ist <strong>de</strong>ren Beseitigung<br />

erstrebt wor<strong>de</strong>n, durch friedliche Vere<strong>in</strong>barungen, wie durch Revolutionen...<br />

<strong>Die</strong> menschlichen D<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d unvollkommen, unvollkommen s<strong>in</strong>d die Gesetze, welche das Privatrecht<br />

regeln, unvollkommen wird auch je<strong>de</strong> Verfassung se<strong>in</strong>, welche die politischen Rechte <strong>de</strong>s Volkes<br />

sichert. - <strong>Die</strong> Form <strong>in</strong> <strong>de</strong>r dies geschieht, gestaltet sich notwendig an<strong>de</strong>rs nach <strong>de</strong>n äußeren<br />

Zufälligkeiten und <strong>de</strong>m <strong>in</strong>neren Bedürfnis; die Nationalität <strong>de</strong>r Völker, das Klima, unter <strong>de</strong>m sie<br />

32


wohnen, die Beschäftigung, <strong>de</strong>r sie sich widmen, die je<strong>de</strong>smalige Zeit haben E<strong>in</strong>fluß darauf; unter<br />

je<strong>de</strong>r Form also kann e<strong>in</strong> befriedigen<strong>de</strong>r Zustand erreicht wer<strong>de</strong>n.<br />

<strong>Die</strong>se I<strong>de</strong>en haben mich geleitet, als ich für <strong>de</strong>n neu zu begrün<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n <strong>de</strong>mokratischen Vere<strong>in</strong> <strong>in</strong><br />

Übere<strong>in</strong>stimmung mit <strong>de</strong>n übrigen Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s e<strong>in</strong>stweiligen Vorstan<strong>de</strong>s das folgen<strong>de</strong><br />

Programm aufgestellt habe:<br />

Der <strong>de</strong>mokratische Vere<strong>in</strong> zu Sagan stellt sich die Aufgabe, die politischen Verhältnisse <strong>de</strong>r<br />

Gegenwart behufs <strong>de</strong>r allgeme<strong>in</strong>en Belehrung und Verständigung zur Erörterung zu br<strong>in</strong>gen und<br />

durch Verbreitung se<strong>in</strong>er Ansichten für Wahrung <strong>de</strong>r Rechte <strong>de</strong>s Volkes zu sorgen; er hofft die<br />

geistige und materielle Wohlfahrt <strong>de</strong>s Volkes durch Vere<strong>in</strong>barung e<strong>in</strong>er freien Verfassung auf<br />

beson<strong>de</strong>rer Grundlage zwischen <strong>de</strong>ssen regieren<strong>de</strong>m Fürstenhause und <strong>de</strong>n Vertretern <strong>de</strong>s Volkes<br />

und wird diesem beson<strong>de</strong>rs se<strong>in</strong>e Weiterarbeit <strong>in</strong> <strong>de</strong>r bezeichneten Weise widmen, ebenso aber auch<br />

allen Verletzungen <strong>de</strong>s Privatrechts entgegentreten, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m er gegen alle kommunistischen<br />

Bestrebungen als gänzlich unvertretbar und diesen Zwecken wi<strong>de</strong>rsprechend, sich verwahrt und<br />

hierbei von <strong>de</strong>r Überzeugung ausgeht, daß die Wohlfahrt aller Volksklassen nur durch ... politische<br />

Freiheit und Sicherung <strong>de</strong>s Privatrechts herbeigeführt und erhalten wer<strong>de</strong>n kann. Ich wie<strong>de</strong>rhole, daß<br />

wir e<strong>in</strong>en vollkommenen Zustand auf dieser Er<strong>de</strong> niemals erreichen wer<strong>de</strong>n; menschliche Irrtümer<br />

wer<strong>de</strong>n uns immer gefangen halten, und die Schranken, welche allem menschlichen Glück beschert<br />

s<strong>in</strong>d, wer<strong>de</strong>n auch unsere Freiheit begrenzen; aber das Streben nach Vollkommenheit, nach <strong>de</strong>r<br />

erkannten Wahrheit ist es, welches die <strong>in</strong>nere Befriedigung gewährt, und schon <strong>in</strong> diesem Streben<br />

liegt die Freiheit. -<br />

Ewig wahr bleibt eben daraus <strong>de</strong>r Ausspruch unseres Dichters:<br />

Der Mensch ist frei<br />

geschaffen<br />

ist frei<br />

und wär er<br />

<strong>in</strong> Ketten geboren!<br />

Deutlich stehen diese Ausführungen im Gegensatz zur konservativen Staatsauffassung; <strong>de</strong>r Staat wird<br />

nicht organisch aufgefaßt, auch wenn die historischen Bed<strong>in</strong>gtheiten bei <strong>de</strong>r Ausbildung <strong>de</strong>r jeweiligen<br />

Staatsform gewürdigt wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Staat ist e<strong>in</strong>e menschliche E<strong>in</strong>richtung, die nicht nach<br />

absolutistischen, son<strong>de</strong>rn nach konstitutionellen Grundsätzen zu ordnen ist, <strong>in</strong> <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>zelne<br />

politische Rechte hat. Der Staat baut sich auf e<strong>in</strong>er Vertragsgeme<strong>in</strong>schaft <strong>de</strong>s E<strong>in</strong>zelnen auf. Der<br />

Staatsgedanke ruht auf <strong>de</strong>m Vertrage, <strong>de</strong>n die Individuen geschlossen haben. Über die Motive, die<br />

zur Bildung dieser E<strong>in</strong>richtung führen, gibt es unterschiedliche Ansichten, Ludwig <strong>Herzfeld</strong> sche<strong>in</strong>t <strong>in</strong><br />

<strong>de</strong>r Tradition Immanuel Kants zu stehen, für ihn stehen Recht und Vernunft im Mittelpunkt.<br />

Etwas unklar bleibt die Stellung <strong>de</strong>s Monarchen. Mit <strong>de</strong>r Auffassung <strong>de</strong>s Staats als e<strong>in</strong>er von<br />

Menschen geschlossenen Vertragsgeme<strong>in</strong>schaft kollidiert <strong>de</strong>r Gedanke, daß <strong>de</strong>r Träger <strong>de</strong>r<br />

Staatsgewalt se<strong>in</strong> Amt Gott verdankt. Se<strong>in</strong>e Gewalt hätte nach liberaler Auffassung <strong>in</strong> letzter L<strong>in</strong>ie <strong>in</strong><br />

<strong>de</strong>m Willen <strong>de</strong>s Volkes se<strong>in</strong>en Ursprung, <strong>de</strong>r König wäre <strong>de</strong>r Mandatar, <strong>de</strong>r Beauftragte <strong>de</strong>s Volkes.<br />

Es f<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich jedoch <strong>in</strong> <strong>de</strong>m Programmentwurf die Passage, " daß die geistige und materielle<br />

Wohlfahrt <strong>de</strong>s Volkes durch Vere<strong>in</strong>barung e<strong>in</strong>er freien Verfassung auf beson<strong>de</strong>rer Grundlage<br />

33


zwischen <strong>de</strong>ssen regieren<strong>de</strong>m Fürstenhause und <strong>de</strong>n Vertretern <strong>de</strong>s Volkes " zu sichern sei. Es treten<br />

hier die eigenständigen Rechte <strong>de</strong>s Volkes , <strong>de</strong>n eigenständigen Rechten <strong>de</strong>r Krone gegenüber. E<strong>in</strong>e<br />

Verfassungskonstruktion, die zwischen <strong>de</strong>m liberalen und <strong>de</strong>m Denken <strong>de</strong>s konservativen<br />

Staatstheoretikers Friedrich Julius Stahl 18 die Waage hält. Im Unterschied zum parlamentarischen<br />

Pr<strong>in</strong>zip bestand das monarchische Pr<strong>in</strong>zip für Stahl dar<strong>in</strong>, "daß die fürstliche Gewalt <strong>de</strong>m Rechte nach<br />

undurchdrungen über <strong>de</strong>r Volksvertretung stehe, und daß <strong>de</strong>r Fürst thatsächlich <strong>de</strong>r Schwerpunkt <strong>de</strong>r<br />

Verfassung, die positiv gestalten<strong>de</strong> Macht im Staate, <strong>de</strong>r Führer <strong>de</strong>r Entwicklung bleibe". Von e<strong>in</strong>er<br />

Überordnung <strong>de</strong>s monarchischen Pr<strong>in</strong>zips kann bei Ludwig <strong>Herzfeld</strong> ke<strong>in</strong>e Re<strong>de</strong> se<strong>in</strong>. Eher kommen<br />

I<strong>de</strong>en <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Naturrechts<strong>de</strong>nkens , <strong>de</strong>m die politische Spitze fehlte, die <strong>in</strong> <strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rung hätte<br />

gipfeln müssen: Weg mit diesen Obrigkeiten, son<strong>de</strong>rn das sagte: Es ist anzunehmen, daß die<br />

Menschen durch e<strong>in</strong>en stillschweigen<strong>de</strong>n Vertrag <strong>in</strong> diese bestehen<strong>de</strong> Obrigkeit <strong>de</strong>r Fürsten, <strong>in</strong> diese<br />

Gesetze gewilligt haben und darum s<strong>in</strong>d sie rechtmäßig, bei ihm zum tragen.<br />

<strong>Die</strong> im Programm nie<strong>de</strong>rgelegten gemäßigten konstitutionellen Vorstellungen, rühren sicherlich auch<br />

aus <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> das Scheitern <strong>de</strong>r weitgespannten <strong>de</strong>mokratischen Blütenträume.<br />

Gerüchten er wolle sich selbst zur Wahl stellen, tritt er am 28. Dezember 1848 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er "Erklärung"<br />

entgegen: "Es ist die Art und Weise, wie ich <strong>in</strong> neuster Zeit me<strong>in</strong>e politischen Ansichten öffentlich<br />

ausgesprochen und zur Geltung zu br<strong>in</strong>gen mich bemüht habe, mehrfach das Motiv unterlegt wor<strong>de</strong>n,<br />

daß ich mich um die Stelle e<strong>in</strong>es Abgeordneten für die nächste Volksvertretung bewerben wollte. Ich<br />

wür<strong>de</strong> mich sehr glücklich schätzen, wenn mir me<strong>in</strong>e Verhältnisse künftig e<strong>in</strong>mal gestatteten, nach<br />

e<strong>in</strong>er hohen Ehre, <strong>de</strong>r höchsten, welche überhaupt e<strong>in</strong> wahrer Patriot erreichen kann, zu streben und<br />

wenn mir solche durch das Vertrauen me<strong>in</strong>er Mitbürger zu Teil wür<strong>de</strong>, dürfte dies auch ke<strong>in</strong> unedler<br />

und ta<strong>de</strong>lnswerter Ehrgeiz se<strong>in</strong>, für jetzt liegt mir aber jene Absicht ganz fern und dürfte schon <strong>de</strong>shalb<br />

nicht die Triebfe<strong>de</strong>r me<strong>in</strong>er Handlungen se<strong>in</strong>, weil ich noch gar nicht e<strong>in</strong>mal das gesetzliche Alter von<br />

dreißig Jahren habe, ohne welches ke<strong>in</strong> Preuße Abgeordneter wer<strong>de</strong>n kann.<br />

Wahlen unter <strong>de</strong>m Kriegsrecht<br />

18 Friedrich Julius Stahl (1802-1861) stammte aus Heid<strong>in</strong>gsfeld (= <strong>Herzfeld</strong>), er war wie Ludwig <strong>Herzfeld</strong> vom<br />

Ju<strong>de</strong>ntum zum Christentum konvertiert. Stahl wur<strong>de</strong> zum maßgeblichen konservativen Staatstheoretiker.<br />

34


<strong>Die</strong> Auflösung <strong>de</strong>r Nationalversammlung, die Friedrich Wilhelm am 5. Dezember vornahm entsprach<br />

<strong>de</strong>n Wünschen <strong>de</strong>r Rechten, <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r Kamarilla um die Gebrü<strong>de</strong>r Gerlach und <strong>de</strong>n jungen<br />

Bismarck. Weniger sagte ihnen jedoch zu, daß die oktroyierte Verfassung so liberal ausfiel. „<strong>Die</strong><br />

Gesandten <strong>de</strong>r kle<strong>in</strong>en <strong>de</strong>utschen Höfe fürchteten ernsthaft, das ‘<strong>de</strong>mokratische’ Vorpreschen<br />

Preußens setzte ihre eignen Verfassungen stärksten Zweifeln aus. In Wien begriff man gar nichts<br />

mehr: ‘Wie ist es mögliche, fragte man, „daß die Regierung im Vollbesitz ihrer Macht<br />

e<strong>in</strong>e Verfassung gibt, die bis auf wenige Bestimmungen kaum von <strong>de</strong>r aufgelösten Versammlung hatte<br />

liberaler gegeben wer<strong>de</strong>n können, mit <strong>de</strong>r man auf die Dauer je<strong>de</strong> Regierung für unmöglich hielt?’“<br />

Seit <strong>de</strong>m Herbst 1848 hatte sich Friedrich Wilhelm IV. Innerlich damit abgefun<strong>de</strong>n <strong>in</strong> „<strong>de</strong>r Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Not“<br />

Gewalt anzuwen<strong>de</strong>n. <strong>Die</strong> Oktroyierung e<strong>in</strong>er Verfassung stellte e<strong>in</strong>en Akt <strong>de</strong>r Gewalt dar. „<strong>Die</strong> oktroyierte<br />

Verfassung ist als jene ‘retten<strong>de</strong> Tat’ bezeichnet wor<strong>de</strong>n, dank <strong>de</strong>ren die schmucke preußische Fregatte wie<strong>de</strong>r<br />

Kurs aufgenommen habe und dabei ‘auf jener großen Grundströmung’ dah<strong>in</strong> gefahren sei, die ‘seit <strong>de</strong>n Tagen<br />

<strong>de</strong>s Großen Kurfürsten und Friedrich <strong>de</strong>s Großen getragen habe. Der Entschluß, die Verfassung - so wie sie war<br />

- zu diesem Zeitpunkt zu oktroyieren, ist wie die Verfassung selbst ‘das Resultat e<strong>in</strong>es Kompromisses<br />

gleicherweise zwischen König und M<strong>in</strong>isterium wie zwischen M<strong>in</strong>isterium und Kamarilla, aber auch e<strong>in</strong><br />

Kompromiß <strong>in</strong>nerhalb <strong>de</strong>s M<strong>in</strong>isteriums selbst’ gewesen.“ Bereits am 5. Dezember hatte <strong>de</strong>r König die<br />

Auflösung <strong>de</strong>r Nationalversammlung angeordnet. Das Vere<strong>in</strong>barungspr<strong>in</strong>zip wird <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Verordnung als obsolet<br />

erklärt und das Gottesgna<strong>de</strong>ntum bekräftigt: „Wir, Friedrich Wilhelm u.s.w. haben aus <strong>de</strong>m beifolgen<strong>de</strong>n<br />

Berichte Unseres Staatsm<strong>in</strong>isteriums über die letzten Sitzungen <strong>de</strong>r zur Vere<strong>in</strong>barung <strong>de</strong>r Verfassung berufenen<br />

Versammlung zu Unserem tiefen Schmerz die Überzeugung gewonnen, daß das große Werk, zu welchem diese<br />

Versammlung berufen ist, mit <strong>de</strong>rselben, ohne Verletzung <strong>de</strong>r Wür<strong>de</strong> unserer Krone und ohne Bee<strong>in</strong>trächtigung<br />

<strong>de</strong>s davon unzertrennlichen Wohles <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s, nicht länger fortgeführt wer<strong>de</strong>n kann.“<br />

Trotz <strong>de</strong>r oben zum Ausdruck gebrachten Befürchtungen, über die oktroyierte liberale ‘Charte Wal<strong>de</strong>ck’ waren<br />

aus konservativer Sicht zum Teil unbegrün<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>nn es wur<strong>de</strong>n doch erhebliche Än<strong>de</strong>rungen vorgenommen.<br />

Dabei fielen <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re „jene Bestimmungen <strong>in</strong>s Gewicht, die von e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>utlichen Distanz zu <strong>de</strong>n<br />

Märzverheißungen und Errungenschaften geprägt s<strong>in</strong>d: die Wie<strong>de</strong>re<strong>in</strong>führung <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe, die<br />

Wie<strong>de</strong>rherstellung <strong>de</strong>s absoluten Vetorechts, die Verschiebung <strong>de</strong>s Verfassungsei<strong>de</strong>s <strong>de</strong>s Königs, <strong>de</strong>s<br />

Beamtentums und <strong>de</strong>r Armee bis nach <strong>de</strong>r Revision <strong>de</strong>r Verfassung, die Beseitigung <strong>de</strong>r Volkswehr, die<br />

Beseitigung <strong>de</strong>r Offizierswahl bei <strong>de</strong>r Landwehr und vor allem das Notverordnungsrecht, nach <strong>de</strong>m Gesetze und<br />

35


Verordnungen nur verb<strong>in</strong>dlich waren, ‘wenn sie zuvor <strong>in</strong> <strong>de</strong>r vom Gesetz vorgeschrieben Form bekannt gemacht<br />

wor<strong>de</strong>n s<strong>in</strong>d. Wenn die Kammern nicht versammelt s<strong>in</strong>d können <strong>in</strong> dr<strong>in</strong>gen<strong>de</strong>n Fällen, unter Verantwortlichkeit<br />

<strong>de</strong>s ganzen Staatsm<strong>in</strong>isteriums, Verordnungen mit Gesetzeskraft erlassen wer<strong>de</strong>n, dieselben s<strong>in</strong>d aber <strong>de</strong>n<br />

Kammern bei ihrem nächsten Zusammentritt zur Genehmigung sofort vorzulegen.’“ <strong>Die</strong>ser<br />

Notverordnungsartikel sollte später bei <strong>de</strong>r Oktroyierung <strong>de</strong>s Dreiklassenwahlrechts noch e<strong>in</strong>e große Rolle<br />

spielen. Bereits bei <strong>de</strong>r Kriegsgerichsverhandlung gegen Wal<strong>de</strong>ck, <strong>Herzfeld</strong> u.a. kam er zur Anwendung und<br />

stand im Zentrum bei <strong>de</strong>r Diskussion <strong>de</strong>s Urteils. 19<br />

Zunächst war es jedoch <strong>de</strong>n liberalen <strong>de</strong>mokratischen Kräften, <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re auch aufgrund <strong>de</strong>s<br />

beibehaltenen Allgeme<strong>in</strong>en Wahlrechts, möglich, sich bei <strong>de</strong>n Wahlen zur zweiten Kammer, die im<br />

Januar 1849 stattfan<strong>de</strong>n, weitgehend durchzusetzen. Carl <strong>Herzfeld</strong> berichtet über die Entwicklung <strong>in</strong><br />

Berl<strong>in</strong> am 15. Januar an se<strong>in</strong>en Bru<strong>de</strong>r: "Alles <strong>in</strong>trigiert auf die Wahl, nichts als Wahlen, Verfassung,<br />

Revision, Vere<strong>in</strong>barung und Gott weiß nur für Uns<strong>in</strong>n mehr. Ich <strong>de</strong>nke das nächste Jahr wird über<br />

Frankreich und uns neue welterschüttern<strong>de</strong> Ereignisse br<strong>in</strong>gen, und <strong>de</strong>m ganzen Treiben e<strong>in</strong>e neue<br />

Richtung geben. Ich glaube nicht an Ruhe . - Ich habe heute zum ersten Mal me<strong>in</strong>e öffentliche<br />

Funktion ausgeübt." Was also nur noch blieb, war die Hoffnung auf e<strong>in</strong>e neue Revolution <strong>in</strong><br />

Frankreich, diese Hoffnung wur<strong>de</strong> von vielen überzeugten Demokraten geteilt, o<strong>de</strong>r vielleicht die<br />

Weltrevolution wie Karl Marx und se<strong>in</strong>e Freun<strong>de</strong> me<strong>in</strong>ten.<br />

Bei <strong>de</strong>n Wahlen konnten die Liberalen große Erfolge verzeichnen und Carl <strong>Herzfeld</strong> schreibt am 24.<br />

Januar 1849: "In politicis hat bei <strong>de</strong>n Wahlen <strong>de</strong>r Wahlmänner die Demokratie gesiegt. <strong>Die</strong> Wahlen<br />

s<strong>in</strong>d zum großen Teil radikal ausgefallen. In me<strong>in</strong>em und <strong>de</strong>m Nachbarbezirk habe ich <strong>de</strong>r radikalen<br />

Partei vorgestan<strong>de</strong>n und sie organisiert. In Folge <strong>de</strong>ssen ich selbst nebst 6 me<strong>in</strong>er Gefolgschaft zu<br />

Wahlmännern gewählt s<strong>in</strong>d. Der 8. ist e<strong>in</strong> Mann <strong>de</strong>r Mitte und durch e<strong>in</strong> Versagen me<strong>in</strong>er Partei<br />

durchgekommen."<br />

Aber wie aus e<strong>in</strong>em zwei Tage später datierten Brief zu entnehmen ist, schätzt er die Lage, trotz <strong>de</strong>s<br />

Erfolgs, realistisch e<strong>in</strong>: "Deswegen sieht übrigens die Sache <strong>de</strong>r Demokratie nicht so glänzend aus.<br />

Antim<strong>in</strong>istriell s<strong>in</strong>d die Wahlen durchweg ausgefallen, aber <strong>de</strong>mokratisch nur zum kle<strong>in</strong>en Teile. Alle<br />

Welt verwechselt die antim<strong>in</strong>istrielle mit <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mokratischen Partei... Ich muß schließen und<br />

bemerken, daß auch ich <strong>de</strong>r Me<strong>in</strong>ung b<strong>in</strong>, daß nur e<strong>in</strong>e neue Revolution uns helfen kann. Wann dies<br />

e<strong>in</strong>treten wird, wer<strong>de</strong>n kle<strong>in</strong>e Zufälligkeiten bestimmen, nicht aber das Bewußtse<strong>in</strong> <strong>de</strong>s Volkes, <strong>de</strong>nn<br />

das hat ke<strong>in</strong>es." In <strong>de</strong>r Nachschrift fügt er h<strong>in</strong>zu: "<strong>Die</strong> <strong>de</strong>utschen Grundrechte wer<strong>de</strong>n <strong>in</strong> Preußen nicht<br />

publiziert, und Camphausen hat se<strong>in</strong>en Posten <strong>in</strong> Frankfurt als Bevollmächtigter nie<strong>de</strong>rgelegt."<br />

Berl<strong>in</strong> hatte also oppositionell gewählt, und es fan<strong>de</strong>n sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>r neuen Kammer fast alle<br />

Abgeordneten <strong>de</strong>r "L<strong>in</strong>ken" aus <strong>de</strong>r Nationalversammlung. „<strong>Die</strong> Kont<strong>in</strong>uität zum Revolutionsjahr war<br />

also nicht völlig unterbrochen, sie schien sogar beim Zusammentreten <strong>de</strong>r Kammer neu aufzuleben<br />

und kam vor allem am 3. April zum Ausdruck, als neben <strong>de</strong>m Parlament auch <strong>de</strong>r Berl<strong>in</strong>er Magistrat<br />

und die Stadtverordneten unter <strong>de</strong>m Jubel <strong>de</strong>r Bevölkerung die aus Frankfurt angereiste<br />

Kaiser<strong>de</strong>putation begrüßten, die <strong>de</strong>m preußischen König die Wür<strong>de</strong> e<strong>in</strong>es <strong>de</strong>utschen Erbkaisers<br />

antragen sollte. Der König lehnte die ihm angetragene Kaiserwür<strong>de</strong> ab, auch löste er die zweite<br />

preußische Kammer auf, als die am 21. April die Reichsverfassung annahm und die Aufhebung <strong>de</strong>s<br />

Belagerungszustan<strong>de</strong>s for<strong>de</strong>rte. Im Gegensatz zu <strong>de</strong>n durch diese Ereignisse ausgelösten blutigen<br />

Aufstän<strong>de</strong>n <strong>in</strong> großen Teilen Deutschlands blieb es <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> relativ ruhig, nur am 27. April fielen bei<br />

e<strong>in</strong>er Demonstration, die im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Reichsverfassungskampagne stand, am<br />

Dönhoffplatz Schüsse. <strong>Die</strong> Presse berichtete von 4 Toten und 14 Verwun<strong>de</strong>ten. Der<br />

36


Belagerungszustand wur<strong>de</strong> verschärft, was wohl auch mit <strong>de</strong>n bevorstehen<strong>de</strong>n Neuwahlen im<br />

Zusammenhang stand.<br />

Carl <strong>Herzfeld</strong> versuchte zusammen mit etlichen Ges<strong>in</strong>nungsgenossen die <strong>de</strong>mokratischen Kräfte neu<br />

zu formieren, um effizienter, nach e<strong>in</strong>er vorhersehbaren Kammerauflösung <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Wahlen agieren zu<br />

können. Zu <strong>de</strong>n Reorganisationsmaßnahmen gehörte, daß „an die Stelle <strong>de</strong>s Lokal-Komitee’s, das<br />

nach vollen<strong>de</strong>ter Wahl <strong>de</strong>r Wahlmänner sich auflöste, traten aus <strong>de</strong>n vier größeren Wahlbezirken <strong>de</strong>r<br />

Stadt die Komitee’s zusammen, welche von <strong>de</strong>n zur volksthümlichen Partei gehören<strong>de</strong>n Wahlmännern<br />

für die Dauer <strong>de</strong>r Wahlmanns-Versammlungen erwählt wor<strong>de</strong>n waren. <strong>Die</strong>se vier vere<strong>in</strong>igten<br />

Komitee’s , welche übrigens zum großen Theil aus <strong>de</strong>nselben Personen bestan<strong>de</strong>n, die das Lokal-<br />

Komitee für volksthümliche Wahlen gebil<strong>de</strong>t hatten, und e<strong>in</strong>e Aen<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Namens nicht für nöthig<br />

hielten, entwarfen auf <strong>de</strong>n <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Wahlmanns-Versammlungen ausgesprochenen Wunsch e<strong>in</strong>en Plan<br />

zur Organisation <strong>de</strong>r Volkspartei für die Zeit nach Aufhebung <strong>de</strong>s Belagerungszustan<strong>de</strong>s, um von<br />

vorn here<strong>in</strong> neben e<strong>in</strong>er festen Verb<strong>in</strong>dung unter <strong>de</strong>n Männern freier Ges<strong>in</strong>nung zugleich e<strong>in</strong>en Damm<br />

gegen das im Sommer v. J. hervorgetretene Treiben e<strong>in</strong>zelner sogenannter Demokraten<br />

anzubahnen.“ 20<br />

Das Kriegsgericht<br />

Etliche Bezirksvertreter hatten sich am 21. Mai, wegen <strong>de</strong>s herrschen<strong>de</strong>n Belagerungszustan<strong>de</strong>s <strong>in</strong><br />

<strong>de</strong>r Wohnung <strong>de</strong>s Stadtrates Runge getroffen, um e<strong>in</strong>en Vorstand zu wählen. Es wur<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r<br />

Gymnasiallehrer Gercke, <strong>de</strong>r Stadtrat Runge, Dr. Wal<strong>de</strong>ck, Justizrath Pfeiffer und <strong>de</strong>r<br />

Buchdruckereibesitzer Berends <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Vorstand berufen, ferner war die Wahl auch auf Carl <strong>Herzfeld</strong><br />

und e<strong>in</strong>en Abwesen<strong>de</strong>n gefallen, „aber noch nicht vollständig proklamirt, als e<strong>in</strong> Polizeibeamter e<strong>in</strong>trat<br />

37


und trotz <strong>de</strong>s Protestes <strong>de</strong>s Stadtraths Runge alle Anwesen<strong>de</strong>n zwang, <strong>de</strong>ssen Wohnung zu<br />

verlassen.“ 21<br />

Darauf lud <strong>de</strong>r Gymnasiallehrer Gehrcke mehrere Personen zu e<strong>in</strong>em Treffen am Abend <strong>de</strong>s 22. Mai<br />

<strong>in</strong> <strong>de</strong>r Konversationshalle am Döhnhoffplatz e<strong>in</strong>. „In <strong>de</strong>m umhergesandten Zettel hatte <strong>de</strong>r<br />

Gymnasiallehrer Gercke die unter <strong>de</strong>n E<strong>in</strong>gela<strong>de</strong>nen bef<strong>in</strong>dlichen sogenannten Vorsitzen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r<br />

Volksvere<strong>in</strong>e ... ersucht, im Verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rungsfalle Stellvertreter zu schicken, da es sich um e<strong>in</strong>e wichtige<br />

Besprechung han<strong>de</strong>le, ohne jedoch etwas über e<strong>in</strong>en bestimmten Zweck h<strong>in</strong>zuzufügen“. Neben <strong>de</strong>n<br />

Lehrern Koch und Gerüche, Carl <strong>Herzfeld</strong>, Dr. Wal<strong>de</strong>ck, Dr. Weiß, Berends, <strong>de</strong>m Partikulier<br />

Schönemann, Pfeiffer und <strong>de</strong>m Tierarzt Mecklenburg hatten sich <strong>de</strong>r Lehrer <strong>de</strong>r Apotheker Bernard,<br />

<strong>de</strong>r Lehrer Stei<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r Fabrikant Schildknecht, <strong>de</strong>r Baumeister Petersen und „e<strong>in</strong> nur Letzterem<br />

bekannter Herr“ e<strong>in</strong>gefun<strong>de</strong>n.<br />

<strong>Die</strong> Unterhandlungen wur<strong>de</strong>n durch das E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gen von Polizisten <strong>in</strong> Zivil unterbrochen. Auf <strong>de</strong>ren<br />

Verlangen händigte Gercke e<strong>in</strong> vor ihm liegen<strong>de</strong>s Notizbuch aus, zerriß aber e<strong>in</strong>en Brief, <strong>de</strong>ssen<br />

Fetzen von e<strong>in</strong>em herbeigerufenen Konstabler aus <strong>de</strong>r Hand gewun<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>n. Wegen<br />

Wi<strong>de</strong>rstan<strong>de</strong>s gegen die Staatsgewalt wur<strong>de</strong> daraufh<strong>in</strong> Gercke verhaftet. In <strong>de</strong>r Anklageschrift nahm<br />

sich <strong>de</strong>r Vorfall wie folgt dargestellt: „Bei ihrem E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> das erwähnte Zimmer <strong>de</strong>r Conversations-<br />

Halle vernahmen die Beamten e<strong>in</strong> lautes Gespräch und ihre Aufmerksamkeit wur<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>n zuerst<br />

genannten Lehrer Gercke gerichtet, <strong>in</strong><strong>de</strong>m dieser e<strong>in</strong> Notizbuch und e<strong>in</strong> Papier, welcher vor ihm auf<br />

<strong>de</strong>m Tisch gelegen, schleunig an sich nahm.<br />

Aufgefor<strong>de</strong>rt, bei<strong>de</strong>s auszuliefern, leistete er, h<strong>in</strong>sichts <strong>de</strong>s Notizbuchs, Folge, die Herausgabe <strong>de</strong>s<br />

Schreibens aber verweigerte er, unter <strong>de</strong>m Vorwan<strong>de</strong>, daß dies e<strong>in</strong> Privatbrief sei. Als die<br />

Auffor<strong>de</strong>rung erneuert wur<strong>de</strong>, zerriß er <strong>de</strong>n Brief, und als endlich die Beamten e<strong>in</strong>schritten, um sich<br />

die Stücke, welcher er <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Hand hielt, zu bemächtigen, leistete er <strong>de</strong>rmaßen Wi<strong>de</strong>rstand, daß Jene<br />

Gewalt anwen<strong>de</strong>n mußten. <strong>Die</strong> Stücke <strong>de</strong>s Briefes kamen <strong>in</strong><strong>de</strong>ssen sämmtlich <strong>in</strong> ihre Hän<strong>de</strong>, und<br />

durch <strong>de</strong>ren Zusammensetzung war <strong>de</strong>r ganze Inhalt <strong>de</strong>s Schreibens ermittelt.<br />

Dasselbe lautet:<br />

Geehrter Herr!<br />

Sie haben während Ihres Aufenthaltes <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> die hiesige Stimmung h<strong>in</strong>länglich kennen gelernt, um zu begreifen, daß Berl<strong>in</strong><br />

im gegenwärtigen Augenblicke sich nicht an die Spitze <strong>de</strong>r Bewegung, wenn auch nur <strong>de</strong>r Mark Bran<strong>de</strong>nburg, stellen wird. <strong>Die</strong><br />

Stimmung ist gedrückt; noch liegt uns <strong>de</strong>r passive Wi<strong>de</strong>rstand entnervend <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Glie<strong>de</strong>rn. Das Panier, um das sich die<br />

Bewegung jetzt schaaren muß, ist die <strong>de</strong>utsche Sache, und - trotz aller Mängel - die Reichsverfassung; was dazu beiträgt, daß<br />

Berl<strong>in</strong> diesmal nicht die Initiative ergreifen wird, da, wie Sie wissen, hier ursprünglich gar ke<strong>in</strong>e Sympathien für Frankfurt und die<br />

Reichsverfassung vorhan<strong>de</strong>n waren.<br />

Auch hier begreift man <strong>in</strong><strong>de</strong>ssen jetzt, daß mit <strong>de</strong>r Reichsverfassung auch die Freiheit fällt, und wird <strong>de</strong>shalb im Kampfe für<br />

dieselbe nicht zurückstehen, wenn nur von Außen her e<strong>in</strong> energischer Vorstoß erfolgt.<br />

<strong>Die</strong> Volkspartei ist, soweit es <strong>de</strong>r Belagerungszustand möglich macht, organisirt und han<strong>de</strong>lt <strong>in</strong> Uebere<strong>in</strong>stimmung; doch<br />

wür<strong>de</strong>n alle energischen Maßregeln, die man ergreifen möchte, um <strong>de</strong>r Sache e<strong>in</strong>e entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Wendung zu geben, theils<br />

am Belagerungszustan<strong>de</strong>, theils aber und beson<strong>de</strong>rs an <strong>de</strong>r gedrückten Stimmung <strong>de</strong>r Bevölkerung selbst scheitern, wie alle<br />

Versuch, die angestellt s<strong>in</strong>d, h<strong>in</strong>länglich beweisen, und namentlich <strong>de</strong>r Umstand, daß die letzten Maßregeln <strong>de</strong>r Regierung<br />

ke<strong>in</strong>e größere Aufregung, hervorgebracht haben. E<strong>in</strong>e Erhebung ist gegenwärtig unmöglich, und <strong>de</strong>nnoch müssen die östlichen<br />

Prov<strong>in</strong>zen Preußens, und namentlich das bisher ganz unthätige Bran<strong>de</strong>nburg e<strong>in</strong> Lebenszeichen von sich geben, soll die<br />

21 Ebd., S. 5.<br />

38


<strong>de</strong>utsche Sache nicht verloren gehen, <strong>in</strong><strong>de</strong>m es sonst <strong>de</strong>n Ansche<strong>in</strong> gew<strong>in</strong>nt, als wären die alten Prov<strong>in</strong>zen wenigstens soweit<br />

mit <strong>de</strong>r Regierung e<strong>in</strong>verstan<strong>de</strong>n, daß sie dieselbe ohne kräftigen Wi<strong>de</strong>rstand gewähren lassen. Ist e<strong>in</strong>e siegreiche Erhebung<br />

unwahrsche<strong>in</strong>lich und unmöglich, so müssen wir wenigstens bemüht se<strong>in</strong>, die Unterdrückungsmittel <strong>de</strong>r Erhebung <strong>in</strong> an<strong>de</strong>ren<br />

Gegen<strong>de</strong>n <strong>in</strong> Schach zu halten.<br />

E<strong>in</strong> Bran<strong>de</strong>nburgischer Städtetag sche<strong>in</strong>t unausführbar, und - Wir for<strong>de</strong>rn Sie daher auf, von Frankfurt aus e<strong>in</strong>en Congreß<br />

sämmtlicher Vere<strong>in</strong>e <strong>de</strong>r Prov<strong>in</strong>z, die an <strong>de</strong>r Reichsverfassung festhalten wollen, sobald als möglich zu berufen, um über die zu<br />

ergreifen<strong>de</strong>n Maßregeln Beschluß zu fassen. Ist freilich nicht zu erwarten, daß <strong>de</strong>r Congreß ungeh<strong>in</strong><strong>de</strong>rt stattf<strong>in</strong><strong>de</strong>n wird; ist<br />

selbst im Falle, daß er stattf<strong>in</strong><strong>de</strong>t, von se<strong>in</strong>en Beschlüssen ke<strong>in</strong> unmittelbares Resultat zu hoffen: so wird doch e<strong>in</strong>iges mit<br />

Sicherheit erreicht. <strong>Die</strong> bis jetzt <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Mark zersplitterte Bewegung bekommt e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche Richtung, die Aufregung wird<br />

sowohl durch das Verbot, als durch das Zusammenkommen <strong>de</strong>s Congresses vermehrt, die Regierung wird beschäftigt, und ihr<br />

E<strong>in</strong>schreiten an an<strong>de</strong>ren Orten gelähmt, die Stimmung im Südwesten Deutschlands, die gegen Berl<strong>in</strong> und Preußen sehr<br />

erbittert ist, wird gehoben.<br />

Sollten Sie mit uns e<strong>in</strong>verstan<strong>de</strong>n se<strong>in</strong>, so schlagen wir die Pf<strong>in</strong>gstwoche als die geeignetste Zeit für <strong>de</strong>n Congreß vor.<br />

Genehmigen Sie die Versicherung unserer aufrichtigen Hochachtung.<br />

Berl<strong>in</strong>, <strong>de</strong>n 19. Mai 1849.<br />

Der Vorstand <strong>de</strong>s Gesammt-Auschusses <strong>de</strong>r berl<strong>in</strong>er Volkspartei.<br />

Der Lehrer Gercke wur<strong>de</strong> sofort verhaftet; se<strong>in</strong>e Papiere sowie 59 scharfe Patronen und e<strong>in</strong><br />

Zündhütchen, die man <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Wohnung gefun<strong>de</strong>n hatte, beschlagnahmt.<br />

Von <strong>de</strong>m Oberbefehlshaber <strong>de</strong>r Marken wur<strong>de</strong> die Verhaftung <strong>de</strong>r vierzehn an<strong>de</strong>ren Personen<br />

veranlaßt, die am 24. Mai erfolgte. Auch hier wur<strong>de</strong>n e<strong>in</strong>ige Waffen gefun<strong>de</strong>n und Papier<br />

beschlagnahmt. <strong>Die</strong> Verhafteten wur<strong>de</strong>n <strong>in</strong> das Gefängnis <strong>de</strong>r Stadtvogtei gebracht. „Von hier aus<br />

wur<strong>de</strong>n die Verhafteten an <strong>de</strong>mselben Abend <strong>in</strong> das Militär-Arresthaus transportiert und dort, zum<br />

Theil im F<strong>in</strong>stern, <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>e enge Zellen gebracht, <strong>in</strong> <strong>de</strong>nen die Meisten wegen Mangels eigner Betten<br />

auf e<strong>in</strong>em Strohsack die Nacht zubr<strong>in</strong>gen mußten.“ 22<br />

<strong>Die</strong> Zustän<strong>de</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Gefängnissen schil<strong>de</strong>rt Robert Spr<strong>in</strong>ger e<strong>in</strong>drucksvoll: „Nach e<strong>in</strong>em unerquicklichen<br />

Schlummer gehst du am an<strong>de</strong>ren Morgen, ..., <strong>in</strong> jenes ehrwürdige Haus am Molkenmarkte. Man weist dich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>es <strong>de</strong>r kle<strong>in</strong>en<br />

gemüthlichen Zimmer, die nach <strong>de</strong>m Krögel h<strong>in</strong>aus liegen; e<strong>in</strong> Crim<strong>in</strong>algerichtsrath theilt dir mit, <strong>in</strong><strong>de</strong>m er mit argloser Miene so<br />

obenh<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Aktenstoß überblättert, das wegen e<strong>in</strong>es von dir verfaßten Artikels e<strong>in</strong>e Voruntersuchung gegen dich e<strong>in</strong>geleitet<br />

sei, die Anklage lautet auf Majestätsbeleidigung. Du wirst vernommen und da bei e<strong>in</strong>er Verurtheilung <strong>de</strong>r $. 199. Th. II. Tit. 20 <strong>in</strong><br />

Anwendung kommen, das Strafmaß also weit über e<strong>in</strong> Jahr reichen wür<strong>de</strong>, wirst du gleich verhaftet und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>es <strong>de</strong>r älteren<br />

Crim<strong>in</strong>algefängnisse gebracht, --<br />

Wohnung, Kost und Kleidung; recht schöne Wohnungen, sehen sich an wie Paläste, nur daß die Portcullis und Eichenthüren<br />

und Gitter vor <strong>de</strong>n Fenstern haben, mit e<strong>in</strong>igen hun<strong>de</strong>rt Zimmerchen, 6 Fuß lang, 6 Fuß breit und 5 Fuß hoch, -- wohl <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r<br />

nur 4 ¾ mißt. – Ei man muß sie gewöhnen, sich niedriger zu tragen. Und Vorhänge recht soli<strong>de</strong> Vorhänge haben diese<br />

Kab<strong>in</strong>chen; sie s<strong>in</strong>d von Eisen, und die Fußbo<strong>de</strong>n von Ste<strong>in</strong>, recht kühl im Sommer. Wir haben Köpfe gesehen, die vom Nor<strong>de</strong>n<br />

herabkamen, die vom Sü<strong>de</strong>n heraufkamen; so kalt, so spru<strong>de</strong>lheiß, so ungestüm; aber nach zwei Mal vier und zwanzig Stun<strong>de</strong>n<br />

waren sie so stille, so mäuschenstille!“—<br />

<strong>Die</strong> Hausvogteigefängnisse für die politischen „Verbrecher“ s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>gegangen, seit<strong>de</strong>m die Gleichheit <strong>de</strong>r Staatsbürger vor <strong>de</strong>m<br />

Gesetze ausgesprochen ist. Mit dieser Gleichheit, wie sie gehandhabt wird, züchtigt man die Demokraten, <strong>de</strong>nen man sie zu<br />

verdanken hat. Anstatt die Gefängnisse zu verbessern, und <strong>de</strong>n geme<strong>in</strong>en Verbrecher <strong>de</strong>rselben Behandlung theilhaft zu<br />

machen, welche früher <strong>de</strong>r politische genoß, lässt man Letzteren <strong>in</strong> gleicher Qual mit Jenem. Es unterliegt aber ke<strong>in</strong>em Zweifel,<br />

daß <strong>de</strong>m Wegelagerer e<strong>in</strong> Strohsack e<strong>in</strong>e Wohlthat, <strong>de</strong>m Manne von fe<strong>in</strong>erer Lebensart aber e<strong>in</strong> Marterlager ist; daß<br />

<strong>de</strong>mjenigen, welcher sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Kloaken <strong>de</strong>s Lasters gewälzt hat, <strong>de</strong>r Dunst <strong>de</strong>r menschlichen Exkremente, welche sich neben<br />

ihm bef<strong>in</strong><strong>de</strong>n, gar ke<strong>in</strong>e Beschwer<strong>de</strong>n verursacht, während er <strong>de</strong>m gebil<strong>de</strong>ten Manne Ekel und Schw<strong>in</strong><strong>de</strong>l erregt. – Man<br />

gestattet dir zwar e<strong>in</strong>ige Vergünstigungen: e<strong>in</strong> eignes Bett, eigene Beköstigung, Taback und Lectüre, aber erst, nach<strong>de</strong>m das<br />

Gericht nach langen Zögern se<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>willigung dazu gegeben hat; und wenn du diese Vergünstigungen nicht wie<strong>de</strong>r verlieren<br />

22 Ebd., S. 6.<br />

39


willst, so rathen wir dir, <strong>de</strong><strong>in</strong>en Kopf nicht an <strong>de</strong>r doppelt vergitterten Luke blicken zu lassen, wozu du vielleicht veranlaßt<br />

wer<strong>de</strong>n könntest durch die Absicht, etwas weniger st<strong>in</strong>ken<strong>de</strong> Luft (st<strong>in</strong>kend ist sie überall).“ 23<br />

Das erste Verhör erfolgte am Abend <strong>de</strong>s dritten bei e<strong>in</strong>igen erst am Morgen <strong>de</strong>s vierten Tages. Über<br />

<strong>de</strong>m entstan<strong>de</strong>nen Kompetenzkonflikt, ob das Krim<strong>in</strong>algericht o<strong>de</strong>r das Kriegsgericht zuständig sei,<br />

verzögerte sich die weiteren Verhöre um fast 14 Tage. Schließlich wur<strong>de</strong> Anklage erhoben.<br />

<strong>Die</strong> Anklage berief sich auf die Bekanntmachung <strong>de</strong>s Militärbefehlshabers Wrangel vom 12.<br />

November 1848, <strong>in</strong> <strong>de</strong>r es u.a. hieß: „Alle Klubs und Vere<strong>in</strong>e zu politischen Zwecken s<strong>in</strong>d<br />

geschlossen“. Der Oberauditeur Schlitte, <strong>de</strong>r die Anklage vortrug legte als Beweis zwei Brief vor, die<br />

an Carl <strong>Herzfeld</strong> gerichtet, sich beim Mitangeklagten Schönemann gefun<strong>de</strong>n wor<strong>de</strong>n waren. <strong>Die</strong> Briefe<br />

waren unterzeichnet vom Central-Ausschuß d’Ester, Reichenbach und Hexamer, im ersten hieß es 24 :<br />

„Bürger! Wenn die Ereignisse <strong>de</strong>r letzten Monate für die Demokratie Deutschlands e<strong>in</strong>en unwi<strong>de</strong>rsprechlichen Beweis geliefert<br />

haben, so ist es für die Nothwendigkeit e<strong>in</strong>er strengen Organisation unsrer Partei, gegenüber <strong>de</strong>r wohl organisierten, mit Geld<br />

und Thatkraft und Discipl<strong>in</strong> ausgestatteten Reaction. Das Bedürfnis e<strong>in</strong>er solchen Organisation <strong>de</strong>r Deutschen Demokratie hat<br />

<strong>de</strong>n zweiten <strong>de</strong>mokratischen Congress <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> hervorgerufen.<br />

Es versammeln sich 240 Abgeordnete <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mokratischen Partei; von ihnen wur<strong>de</strong> e<strong>in</strong>e Organisationsplan beschlossen, und<br />

wir als Centralausschuß mit <strong>de</strong>r Ausführung und Leitung dieses Planes betraut. <strong>Die</strong> Bewegungen, welche darauf <strong>in</strong> Preußen<br />

begannen, und <strong>in</strong> Belagerungszustand, Ueberziehung <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s durch mobile Kolonnen, <strong>in</strong> massenhafte Verfolgung und<br />

E<strong>in</strong>kerkerung <strong>de</strong>r Demokraten ausg<strong>in</strong>gen, waren zur Ausführung jener Partei-Organisation wenig geeignet.<br />

Der Centralausschuß ist <strong>in</strong><strong>de</strong>ß <strong>in</strong> <strong>de</strong>r nachfolgen<strong>de</strong>n Zeit und bis jetzt bemüht gewesen, die durch die ungünstigen Verhältnisse<br />

zerrissene Organisation wie<strong>de</strong>r anzuknüpfen und glaubt nun dah<strong>in</strong> gelangt zu se<strong>in</strong>, daß wir mit Aussicht auf Erfolg e<strong>in</strong>en<br />

allgeme<strong>in</strong>en Ruf an die Deutsche Demokratie, e<strong>in</strong>en Mahnruf zu Organisation ergehen lassen können. Wir thun dies hiermit,<br />

<strong>in</strong><strong>de</strong>m wir die gedruckten Beschlüsse <strong>de</strong>s 2. Demokratischen Congresses, welcher das <strong>de</strong>mokratische Organisationsgesetz<br />

enthält, überschicken und Euch zur Ausführung <strong>de</strong>sselben auffor<strong>de</strong>rn. Wir thun dies mit <strong>de</strong>r Zuversicht, daß Ihr mit uns erkannt<br />

habt: die Zeit <strong>de</strong>r kle<strong>in</strong>en Be<strong>de</strong>nken ist vorüber; es gilt jetzt rasche und entschie<strong>de</strong>ne Entschlüsse, und daß Ihr dies<br />

Organisations-Gesetz zu <strong>de</strong>m Eurigen macht.<br />

Wenn es um <strong>de</strong>n Sieg <strong>de</strong>r Demokratie und nicht um Phrasen und Diskussionen zu thun ist, wird nicht Anstand nehmen dies<br />

Gesetz ausführen. Es muß aber diese Ausführung streng und genau geschehen. Wer sich dazu nicht fähig glaubt, wird <strong>de</strong>r<br />

Organisation e<strong>in</strong>en großen <strong>Die</strong>nst erweisen, wenn er sich ihr nicht anschließt; <strong>de</strong>nn e<strong>in</strong>e Sche<strong>in</strong>-Organisation ist ver<strong>de</strong>rblicher<br />

und gefahrvoller als ke<strong>in</strong>e. Ja wir nehmen ke<strong>in</strong>en Anstand, es auszusprechen: es muß zu e<strong>in</strong>er Entschie<strong>de</strong>nheit <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>mokratischen Partei kommen. Wer nicht Selbstverleugnung, die Energie und Entschie<strong>de</strong>nheit besitzt, <strong>de</strong>r ist überhaupt nicht<br />

fähig, e<strong>in</strong>er organisirten Partei zu dienen, <strong>de</strong>r wird eher <strong>de</strong>n Sieg erschweren und ihre Zwecke vereiteln... Und so for<strong>de</strong>rn wir<br />

noch e<strong>in</strong>mal Euch auf, thätig zu se<strong>in</strong> und nach Euren Kräften <strong>in</strong> <strong>de</strong>m geme<strong>in</strong>samen Kampfe für die Partei Euren Pflichten streng<br />

nachzukommen, und vor Allem mit Muth voranzugehen. Wer an se<strong>in</strong>em Siege verzweifelt, <strong>de</strong>r hat <strong>de</strong>n Sieg im Voraus verwirkt.<br />

Br<strong>in</strong>gt die <strong>de</strong>mokratischen Heuler zum Schweigen, und ruft mit uns: es lebe die Demokratie.“<br />

Der zweite Brief lautete:<br />

Bürger! Wir haben heut e<strong>in</strong>e Zuschrift an die <strong>de</strong>mokratischen Vere<strong>in</strong>e <strong>de</strong>r Mark erlassen, <strong>in</strong> Begleitung e<strong>in</strong>er Anzahl<br />

Durchschriften. <strong>Die</strong> Lücken <strong>de</strong>r Lithographien wer<strong>de</strong>t Ihr mit <strong>de</strong>m Namen <strong>de</strong>r Vere<strong>in</strong>e ausfüllen. Es betrifft die Durchführung <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>mokratischen Organisation. <strong>Die</strong> Ereignisse dieses Jahres müssen uns organisirt und gerüstet f<strong>in</strong><strong>de</strong>n. Wir empfehlen Euch<br />

daher die volle Entwicklung aller Thätigkeiten, zu <strong>de</strong>nen Euch Eure Stellung <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Organisation verpflichtet.<br />

Wir wer<strong>de</strong>n nun e<strong>in</strong>zelne Maßregeln, die zu ergreifen s<strong>in</strong>d, vorschlagen. <strong>Die</strong> für die Kreiskassen e<strong>in</strong>laufen<strong>de</strong>n Mittel wer<strong>de</strong>n<br />

Euch <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Stand setzen, durch geeignete Emmissäre die <strong>de</strong>mokratische Organisation auf <strong>de</strong>njenigen Stand zu br<strong>in</strong>gen, <strong>de</strong>n<br />

die Wichtigkeit <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>r Hauptstadt erfor<strong>de</strong>rt.<br />

Wir empfehlen Euch für diese Emmissäre namentlich folgen<strong>de</strong> Gesichtspunkte: 1) die Abfassung e<strong>in</strong>es Verzeichnisses <strong>de</strong>r<br />

namhaften Demokraten mit genauer Angabe <strong>de</strong>r Adressen. 2) Beschaffung zuverlässiger Adressen <strong>de</strong>rjenigen Demokraten,<br />

<strong>de</strong>ren Namen bekannt s<strong>in</strong>d, um Brieferbrechung auf <strong>de</strong>r Post zu vermei<strong>de</strong>n. 3) Anfertigung von Listen <strong>de</strong>rjenigen Gast- und<br />

Wirthshäuser, welche sich zur Verbreitung von Flugschriften eignen. 4) Anfertigung e<strong>in</strong>es Verzeichnisses <strong>de</strong>r constitutionellen<br />

23 Robert Spr<strong>in</strong>ger, a.a.O., S. 181f.<br />

24 Der Spruch <strong>de</strong>s Berl<strong>in</strong>er Kriegsgerichts ..., a.a.O., S. 13f.<br />

40


Vere<strong>in</strong>e, die e<strong>in</strong>e mehr o<strong>de</strong>r weniger <strong>de</strong>mokratische Färbung haben. 5) Aufstellung e<strong>in</strong>es Verzeichnisses <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mokratischen<br />

Blätter <strong>de</strong>r Mark.<br />

Über diese Punkte wünschen wir nun baldige Auskunft, und ersuchen Euch nach <strong>de</strong>m gegenwärtigen Stan<strong>de</strong> Eurer Kenntnisse,<br />

alsbald e<strong>in</strong>en Bericht abzufassen und uns zu überschicken. Abdrücke <strong>de</strong>r Rundschreiben an Eure Vere<strong>in</strong>e, welche Ihr nach $ 9<br />

allen Kreisausschüssen mitzutheilen habt, erbitten wir <strong>in</strong> 20 Exemplaren. Wir empfehlen Euch dr<strong>in</strong>gend die baldige Berufung<br />

e<strong>in</strong>es Kreis-Congresses, damit die Parteien consolidirt wer<strong>de</strong>n. <strong>Die</strong> Erfolge, welche die Partei jetzt bei <strong>de</strong>n Wahlen errungen<br />

hat, wer<strong>de</strong>n das Bedürfnis e<strong>in</strong>er Organisation rege gemacht haben. <strong>Die</strong> Zeit ist also jetzt günstig. In <strong>de</strong>r Ueberzeugung, daß Ihr<br />

nicht ermangeln wer<strong>de</strong>t, diesen Anfor<strong>de</strong>rungen zu genügen, und <strong>in</strong> Erwartung baldiger Nachrichten, grüßen Euch brü<strong>de</strong>rlich<br />

D’Ester, Reichenbach, Hexamer.<br />

Der Oberauditeur Schlitte beantragte „gegen Gercke auf zwei Jahr, gegen die Vorstands-Mitglie<strong>de</strong>r<br />

Pfeiffer, <strong>Herzfeld</strong>, Wal<strong>de</strong>ck und Berends auf neun Monat’ und gegen die übrigen Angeklagten auf<br />

sechs Monat Gefängnis zu erkennen“<br />

41


Das Urteil <strong>de</strong>s Kriegsgerichts erg<strong>in</strong>g nach mehrstündiger Beratung, man hatte sich um 21.30 Uhr<br />

zurückgezogen und kam gegen 2.00 Uhr früh zur Urteilsverkündung. E<strong>in</strong>leitend begrün<strong>de</strong>t <strong>de</strong>s Gericht<br />

im e<strong>in</strong>zelnen se<strong>in</strong>e Zuständigkeit um dann fortzufahren: „<strong>in</strong> Erwägung, daß die Angeschuldigten<br />

Stei<strong>de</strong>, Schildknecht und Petersen nicht erwiesen, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Vere<strong>in</strong> zu politischen Zwecken gestan<strong>de</strong>n<br />

zu haben, und dar<strong>in</strong> noch nach <strong>de</strong>m 16. Mai thätig gewesen zu se<strong>in</strong>, wogegen bei <strong>de</strong>n übrigen<br />

Angeschuldigten, nach genauer Prüfung aller Beweise für die Anklage und für die Vertheidigung, von<br />

<strong>de</strong>n Richtern die Ueberzeugung geschöpft wor<strong>de</strong>n ist, daß sie noch nach <strong>de</strong>m 16. Mai , und<br />

namentlich am 22. Mai sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Konversationshalle am Dönhofsplatz zu politischen Zwecken<br />

versammelt haben, daß <strong>de</strong>r Angeschuldigte Gercke noch beson<strong>de</strong>rs durch <strong>de</strong>n von ihm entworfenen<br />

42


und zur Berathung bestimmten Brief von lan<strong>de</strong>sverrätherischer Ten<strong>de</strong>nz, welcher noch nicht zur<br />

Berathung gekommen war, vor <strong>de</strong>n übrigen Angeschuldigten beschwert wird, wogegen ihm e<strong>in</strong>e<br />

thätliche Wi<strong>de</strong>rsetzlichkeit gegen Abgeordnete <strong>de</strong>r Obrigkeit nicht zur Last fällt;<br />

<strong>in</strong> Erwägung endlich, daß bei Anwendung <strong>de</strong>r Strafe <strong>de</strong>n übrigen Angeklagten außer Gercke <strong>de</strong>r<br />

erlittene Untersuchungs-Arrest <strong>in</strong> Anrechnung zu br<strong>in</strong>gen ist; aus diesen Grün<strong>de</strong>n erkennt das<br />

Kriegsgericht für Recht:<br />

daß erstens <strong>de</strong>r Lehrer Gercke wegen Uebertretung e<strong>in</strong>es im Interesse <strong>de</strong>r öffentlichen Sicherheit<br />

erlassenen Verbots mit e<strong>in</strong>jähriger Gefängnisstrafe zu belegen, <strong>de</strong>r Anschuldigung <strong>de</strong>r thätlichen<br />

Wi<strong>de</strong>rsetzlichkeit jedoch nicht für schuldig zu erklären sei,<br />

Zweitens die Angeschuldigten Schönemann, <strong>Herzfeld</strong>, Gubitz, Berends, Weiß, Dr. Wal<strong>de</strong>ck, Pfeiffer,<br />

Koch, Mecklenburg wegen Uebertretung e<strong>in</strong>es im Interesse <strong>de</strong>r öffentlichen Sicherheit erlassenen<br />

Verbots mit dreimonatlicher Gefängnisstrafe zu belegen, ihnen jedoch <strong>de</strong>r erlittene Untersuchungs-<br />

Arrest anzurechnen sei.<br />

Drittens die Angeschuldigten Stei<strong>de</strong>, Schildknecht und Petersen <strong>de</strong>r Uebertretung e<strong>in</strong>es im Interesse<br />

<strong>de</strong>r öffentlichen Sicherheit erlassenen Verbots für nicht schuldig zu erklären seien. 25<br />

Von Seiten <strong>de</strong>r Angeklagten wur<strong>de</strong>n die Zuständigkeit <strong>de</strong>s Gerichts und das ergangenen Urteil <strong>in</strong><br />

Frage gestellt. <strong>Die</strong> Kritik an <strong>de</strong>r Zuständigkeit <strong>de</strong>s Gerichts umfaßte im Wesentlichen drei Ebenen.<br />

Zum e<strong>in</strong>em wur<strong>de</strong> die Grundlagen für <strong>de</strong>n Erlaß <strong>de</strong>r Martial-Verordnung vom 10. Mai 1849, mit <strong>de</strong>r die<br />

Kriegsgerichte ihre Legitimation ableiteten bestritten. „<strong>Die</strong> Geschichte kannte bisher ke<strong>in</strong>e Zeit, <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />

man Kriegs- und Aufruhr-Zustän<strong>de</strong> f<strong>in</strong>giert hätte, um die politische Ges<strong>in</strong>nung E<strong>in</strong>zelner zu verfolgen.“<br />

26 Zum andren wird die Gültigkeit <strong>de</strong>r oktroyierten Verfassungsurkun<strong>de</strong>, aus <strong>de</strong>r u.a. das Gericht se<strong>in</strong>e<br />

Zuständigkeit <strong>de</strong>duzierte, <strong>in</strong> Zweifel gezogen, so lange „die zu berufenen Kammern“ nicht wie<br />

vorgesehen, sie e<strong>in</strong>er Revision unterzogen hätten. Ebenso wird die Suspendierung <strong>de</strong>r or<strong>de</strong>ntlichen<br />

Gerichtsbarkeit (Artikel 7) verworfen, da we<strong>de</strong>r Krieg- noch Aufruhr herrschten. Kritisiert wird auch die<br />

Handhabung <strong>de</strong>s bereits weiter oben erwähnte Artikel 105, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Regierung die Möglichkeit bot<br />

ihren Verordnungen Gesetzeskraft zu verleihen: „Daß das Staatsm<strong>in</strong>isterium auf Grund dieses Artikels<br />

die Befugnisse<strong>in</strong> Anspruch nimmt, alle Gesetze, die Verfassung selbst abzuän<strong>de</strong>rn, hat es mehrfach<br />

und namentlich durch die Abän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Verfassung garantirten Wahlgesetzes gezeigt. <strong>Die</strong>s<br />

muß im Allgeme<strong>in</strong>en, so <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re h<strong>in</strong>sichtlich <strong>de</strong>r Verordnung vom 10. Mai verne<strong>in</strong>t wer<strong>de</strong>n.“ 27<br />

Vermißt wird auch e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>haltliche Konkretisierung, welche Straftatbestän<strong>de</strong> unter die Kompetenz <strong>de</strong>s<br />

Kriegsgericht fielen. Lediglich die Bestimmung, daß die diejenigen, welche e<strong>in</strong> im Interesse <strong>de</strong>r<br />

öffentlichen Sicherheit erlassenen verbot übertreten, könne herangezogen wer<strong>de</strong>n. „Nur <strong>de</strong>r<br />

Nachweis, daß es sich um e<strong>in</strong>en solchen Fall han<strong>de</strong>le, konnte das Kriegsgericht - wenn man von<br />

se<strong>in</strong>em gesetzlichen Bestehen absehen will - se<strong>in</strong>e Kompetenz darthun. <strong>Die</strong>ser Nachweis war aber<br />

auf e<strong>in</strong>leuchten<strong>de</strong> Weise nicht zu führen und das Kriegsgericht ergriff <strong>de</strong>n leichtesten Ausweg, für<br />

se<strong>in</strong>e Kompetenz gar ke<strong>in</strong>e Grün<strong>de</strong> anzuführen, dagegen durch Anführung e<strong>in</strong>iger ansche<strong>in</strong>en<strong>de</strong>r<br />

Grün<strong>de</strong> se<strong>in</strong> rechtliches Bestehen darzuthun, statt dieses Ausdrucks aber sofort <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r ‘Kompetenz’<br />

zu substituieren. Trotz<strong>de</strong>m war die Inkompetenz auch nach <strong>de</strong>r Verordnung vom 10. Mai klar.“<br />

25 Ebd., S. 25f.<br />

26 Der Spruch <strong>de</strong>s Berl<strong>in</strong>er Kriegsgerichts ..., a.a.O. S. 26<br />

27 Ebd., S. 29<br />

43


Nach<strong>de</strong>m nochmals auf die Ger<strong>in</strong>gfügigkeit <strong>de</strong>s Delikts (die Zusammenkunft <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Konservationshalle<br />

habe mit beabsichtigten Partei-Organisation <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Zusammenhang gestan<strong>de</strong>n) verwiesen wur<strong>de</strong>,<br />

kommen die Angeklagten zu <strong>de</strong>m Schluß:<br />

„1) das Kriegsgericht bestand nicht zu Recht.<br />

2) Dasselbe war je<strong>de</strong>nfalls <strong>in</strong>kompetent, <strong>de</strong>n vorliegen<strong>de</strong>n Fall zu entschei<strong>de</strong>n.<br />

3) <strong>Die</strong> <strong>de</strong>m Erkenntnisse zum Grun<strong>de</strong> gelegte Bekanntmachung <strong>de</strong>s Generals v. Wrangel vom 12.<br />

November v. J. hat ke<strong>in</strong>e verb<strong>in</strong>dliche Kraft.<br />

4) <strong>Die</strong> Verurtheilten haben selbst die <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Bekanntmachung vom 12. November v. J. enthaltenen<br />

Bestimmungen nicht übertreten.“ 28<br />

Während <strong>de</strong>r Haft Carls und se<strong>in</strong>er politischen Freun<strong>de</strong> wur<strong>de</strong> am 30. Mai 1849 das<br />

Dreiklassenwahlrecht oktroyiert und <strong>in</strong> <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Wochen die Versammlungs- und Pressefreiheit<br />

e<strong>in</strong>geschränkt. Das Vorgehen gegen die führen<strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r L<strong>in</strong>ksliberalen muß im<br />

Zusammenhang mit diesen Maßnahmen gesehen wer<strong>de</strong>n.<br />

Das Zentralkomitee <strong>de</strong>r Berl<strong>in</strong>er Demokraten rief zum Wahlboykott auf, <strong>de</strong>r im überwiegen<strong>de</strong>n Teil <strong>de</strong>r<br />

Monarchie Resonanz fand. In Berl<strong>in</strong> jedoch gaben 46% <strong>de</strong>r 76 900 Urwähler bei <strong>de</strong>n Wahlen am 17.<br />

Juli ihre Stimme ab. <strong>Die</strong> konservative Partei konnte ihre Mandate verdoppeln, unter <strong>de</strong>n gewählten<br />

Abgeordneten "befand sich ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger Repräsentant <strong>de</strong>r l<strong>in</strong>ken Fraktion von 1848".<br />

<strong>Die</strong> Juliwahl von 1849 markiert <strong>de</strong>n beg<strong>in</strong>nen<strong>de</strong>n Abstieg <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mokratischen Bewegung. So wur<strong>de</strong><br />

das auch von <strong>de</strong>r konservativen Seite gesehen und so hob man am Tage nach <strong>de</strong>r Kammerwahl <strong>de</strong>n<br />

Belagerungszustand für die preußische Hauptstadt auf.<br />

E<strong>in</strong>e Reihe weiter Maßnahmen engte <strong>de</strong>n Spielraum <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mokratischen Vere<strong>in</strong>e erheblich e<strong>in</strong>. So<br />

die „Verordnung über die Verhütung e<strong>in</strong>es die gesetzliche Freiheit und Ordnung gefähr<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />

Mißbrauchs <strong>de</strong>s Versammlungs- und Vere<strong>in</strong>igungsrechts“ vom 29. Juli 1849, die die Anwesenheit <strong>de</strong>r<br />

Polizei bei je<strong>de</strong>r Sitzung o<strong>de</strong>r Versammlung vorschrieben und die Versammlung wegen ungesetzlicher<br />

Debatten auflösen konnte. Daneben trat e<strong>in</strong>e Zusatzverordnung, die es <strong>de</strong>r Frem<strong>de</strong>npolizei<br />

ermöglichte, an <strong>de</strong>n Berl<strong>in</strong>er Bahnhöfen verdächtige Reisen zu kontrollieren und ihre Anwesenheit <strong>in</strong><br />

<strong>de</strong>r Stadt durch die Ausgabe von „Aufenthaltskarten“ zu überprüfen. Zusätzlich war durch e<strong>in</strong>e bereits<br />

am 30. Juni 1849 erlassene Verordnung war für ganz Preußen die präventive Pressezensur<br />

e<strong>in</strong>geführt wor<strong>de</strong>n.<br />

Als sichtbar wur<strong>de</strong>, daß die Vere<strong>in</strong>e trotz <strong>de</strong>r rigi<strong>de</strong>n Bestimmungen versuchten ihre organisatorische<br />

Basis <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Art und Weise wie sie bereits im Jahr zuvor von Carl <strong>Herzfeld</strong> und se<strong>in</strong>en politischen<br />

Freun<strong>de</strong>n anvisiert wor<strong>de</strong>n war, zu stärken, wur<strong>de</strong> auf Betreiben <strong>de</strong>s Berl<strong>in</strong>er Polizeipräsi<strong>de</strong>nten<br />

H<strong>in</strong>ckel<strong>de</strong>y, das preußische Vere<strong>in</strong>sgesetz am 11. März 1850 erlassen, das zur „Aufrechterhaltung <strong>de</strong>r<br />

öffentlichen Sicherheit“ die Verb<strong>in</strong>dung von Vere<strong>in</strong>en durch Komitees, Ausschüsse o<strong>de</strong>r Zentralorgane<br />

verbot und gegenseitigen Schriftwechsel zum Zwecke <strong>de</strong>r Organisation untersagte.<br />

Unter <strong>de</strong>m Druck dieser Pressionen verloren die <strong>de</strong>mokratischen Vere<strong>in</strong>e Berl<strong>in</strong>s im Verlaufe <strong>de</strong>s<br />

Jahres 1850 ihre Basis.<br />

28 Ebd., S. 36.<br />

44<br />

Epilog


<strong>Die</strong> Straßennamen und Straßenzüge wie Zimmer-, L<strong>in</strong><strong>de</strong>n-, Markgrafen-, Jerusalemer Straße, wo Carl<br />

<strong>Herzfeld</strong> se<strong>in</strong> Domizil hatte und e<strong>in</strong> Drittel se<strong>in</strong>es Lebens verbrachte, s<strong>in</strong>d noch vorhan<strong>de</strong>n. Welche<br />

Auswirkungen die politische Aktivitäten auf se<strong>in</strong>en beruflichen Wer<strong>de</strong>gang hatten, vermögen wir nicht<br />

zu sagen. Im Jahre 1859 ist er noch <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> nachweisbar, er wohnte zu diesem Zeitpunkt <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />

Besselstrasse Nr. 8. 29 Dann ließ er sich als Rechtsanwalt und Notar <strong>in</strong> Insterburg nie<strong>de</strong>r und wur<strong>de</strong><br />

später Justizrath beim Oberlan<strong>de</strong>sgericht Königsberg. Er starb im Alter von 65 Jahren.<br />

Von se<strong>in</strong>en K<strong>in</strong><strong>de</strong>r war <strong>de</strong>r Sohn Georg als Geh. Sanitätsrat <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> ansässig. Hedwig war mit e<strong>in</strong>em<br />

Maurach verheiratet. Alw<strong>in</strong>e, verehelichte Wilhelmi, hatte zwei K<strong>in</strong><strong>de</strong>r, die Tochter Käthe war mit <strong>de</strong>m<br />

Reichgerichtsrat Eichelbaum verheiratet. Der <strong>in</strong> Amerika verschollene Konrad, entpuppte sich später<br />

als Musikprofessor <strong>in</strong> Chicago.<br />

Auch e<strong>in</strong>ige Stätten, die im Zusammenhang mit <strong>de</strong>n Ereignissen mit Revolution von 1849/49 wie die<br />

S<strong>in</strong>gaka<strong>de</strong>mie, das Königliche Theater am Gendarmenmarkt, <strong>de</strong>r Deutsche Dom, vor <strong>de</strong>m die<br />

Märzgefallenen aufgebahrt waren, s<strong>in</strong>d leicht zu f<strong>in</strong><strong>de</strong>n. Dem Schlossplatz und <strong>de</strong>m Berl<strong>in</strong>er Schloß ,<br />

<strong>de</strong>m Streit über e<strong>in</strong>en möglichen Wie<strong>de</strong>raufbau müsste e<strong>in</strong> eignes Kapitel gewidmet wer<strong>de</strong>n.<br />

An<strong>de</strong>re s<strong>in</strong>d von <strong>de</strong>r Landkarte verschwun<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n Dönhoffplatz <strong>de</strong>ckt <strong>de</strong>r Asphalt e<strong>in</strong>er jener<br />

überbreiten stal<strong>in</strong>istisch-staatssozialistischen Marg<strong>in</strong>alen; daß die John-Forster-Dulles Allee im<br />

Tiergarten, <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>r Kongresshalle etwas mit <strong>de</strong>n Zelten zu tun hat, darauf kommt man erst<br />

nach <strong>in</strong>tensiven Studium gesamtberl<strong>in</strong>er Kahlschlagromantik, was Gebäu<strong>de</strong> und Straßenbezeichnungen<br />

anbelangt. Von <strong>de</strong>r We<strong>in</strong>stube Hippel ke<strong>in</strong>e Spur, sie muß sich irgendwo <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />

Dorotheenstraße befun<strong>de</strong>n, ebensowenig vom Hotel <strong>de</strong> Russie unter <strong>de</strong>n L<strong>in</strong><strong>de</strong>n.<br />

Nun sche<strong>in</strong>t man sich doch im Frühherbst <strong>de</strong>s Jahres 1998 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> <strong>de</strong>r Begebenheiten vor<br />

e<strong>in</strong>hun<strong>de</strong>rtundfünfzig Jahren er<strong>in</strong>nern zu wollen: <strong>de</strong>r Zugang zum L<strong>in</strong><strong>de</strong>ntunnel soll geschlossen, <strong>de</strong>r<br />

Platz neben <strong>de</strong>r Neuen Wache neu gestaltet wer<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>n Namen <strong>de</strong>r Revolution von 1848 tragen.<br />

Ludwig <strong>Herzfeld</strong>s Brautstand<br />

Sagan<br />

Lieber <strong>Herzfeld</strong><br />

29 1842 - <strong>Herzfeld</strong> 117, Auskultator, Adlerstr.5<br />

1843 - <strong>Herzfeld</strong>, C.A. Kammerg. Referendar, Zimmerstr.89<br />

1848 - <strong>Herzfeld</strong>, C.A., Markgrafenstr. 30<br />

1851 - <strong>Herzfeld</strong>, C.A., Kammerg. Assessor, Jerusalemer Str. 13, Nm. 2-3<br />

1854 - <strong>Herzfeld</strong>, C.A., L<strong>in</strong><strong>de</strong>nstr.61<br />

1859 - <strong>Herzfeld</strong>, C.A., Besselstr. 8, 2-3<br />

45


Rosen verläßt morgen Sonnabend Abend mit <strong>de</strong>m letzten Zuge Glogau. Wir begleiten ihn bis Quaitz, von wo ab<br />

wir mit ihm nach Dahlkau gehen und dort übernachten wollen. Am an<strong>de</strong>ren Morgen fahren wir nach Sprottau,<br />

Sagan u. am Abend mit <strong>de</strong>m letzten Zuge nach Glogau zurück.<br />

Es ist nun allseitig <strong>de</strong>r Wunsch ausgesprochen, Dich bei <strong>de</strong>r Gelegenheit <strong>in</strong> Dalkau zu sehen, und Du wirst daher<br />

auch verstehen, mit <strong>de</strong>m letzten Zuge nach Quaitz u. von dort nach Dalkau zu kommen. Zu <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> lege ich<br />

e<strong>in</strong> Freibillet bei, und erlebe bestimmt auch <strong>de</strong>n Verbrauch <strong>de</strong>sselben. Ich habe vorgestern nicht e<strong>in</strong>mal Abschied<br />

von Dir nehmen können. E<strong>in</strong>mal war <strong>de</strong>r Dr. dazwischen u. dann wollte <strong>de</strong>r Zug eben abgehen. Auf Wie<strong>de</strong>rsehen.<br />

Gl. d. 16/7. 47<br />

De<strong>in</strong> Meyer<br />

Ich habe gestern p. Couvert e<strong>in</strong>en hier an De<strong>in</strong>e Adresse zugegangenen Brief <strong>de</strong>m Notar zu ... an Dich<br />

übersandt, welchen Du wohl erhalten haben wirst. M.<br />

Nie<strong>de</strong>rschlesische Zweigbahn<br />

Me<strong>in</strong> lieber <strong>Herzfeld</strong><br />

<strong>Die</strong> gestern <strong>in</strong> aller Stille vollzogene Verlobung unsererseits mit Fräule<strong>in</strong> Ulrike Bail, <strong>de</strong>r ältesten Tochter <strong>de</strong>s<br />

praktischen Arztes, Eisenbahn Direktor H. Dr. Bail, beehrt sich ergebenst anzuzeigen, mit <strong>de</strong>m Bemerken, daß<br />

diese Nachricht nicht weiter erzählt wer<strong>de</strong>n darf, da sie vorläufig noch geheim gehalten wer<strong>de</strong>n soll.<br />

Ich bitte mir mit umgehen<strong>de</strong>n Zuge zu sagen, ob Du Actien Dir selbst <strong>in</strong> Sagan besorgt hast, o<strong>de</strong>r ob sie für Dich<br />

<strong>de</strong>poniert wer<strong>de</strong>n sollen. Im ersteren Falle muß niemand davon wissen, und es ist nötig, daß ich dieselben<br />

schleunigst erhalte, es könnte sonst Unannehmlichkeit daraus entstehen. Sollte es nicht möglich se<strong>in</strong>, dort Actien<br />

aufzutreiben, so wer<strong>de</strong>n 20 für Dich durch Lehfeldt e<strong>in</strong>gesandt wer<strong>de</strong>n.<br />

Auf baldige Nachricht wartet<br />

Glg 15/1 48<br />

De<strong>in</strong><br />

F. Meyer<br />

Me<strong>in</strong> Lieber Herr Assessor<br />

Verabre<strong>de</strong>termaßen zeige ich Ihnen hiermit an, daß ich morgen mit <strong>de</strong>m Vormittagszuge nach Berl<strong>in</strong> reise und<br />

mich freuen wer<strong>de</strong> Sie auf <strong>de</strong>m Bahnhofe <strong>in</strong> Sagan zu treffen<br />

Ihr<br />

Glogau d. 18/4. 48 aufrichtiger Beil<br />

Im Auftrage <strong>de</strong>r Mun<strong>de</strong>lschen Eheleute ergeht hierdurch an <strong>de</strong>n Assessor <strong>Herzfeld</strong> die Anzeige, daß morgen früh<br />

um 10 Uhr e<strong>in</strong>e Ladung Menschen von Glogau nach Dalkau per Wagen, e<strong>in</strong>e an<strong>de</strong>re Ladung um 10 Uhr per<br />

Eisenbahn eben dah<strong>in</strong> abgeht. Mit <strong>de</strong>r Anzeige erhält p. <strong>Herzfeld</strong> die dienstliche Or<strong>de</strong>r, sich bei Vermeidung <strong>de</strong>r<br />

gesetzlichen Strafe morgen <strong>in</strong> Dalkau e<strong>in</strong>zuf<strong>in</strong><strong>de</strong>n. -<br />

Glogau, Mittwoch am 19ten April 1848 Im Auftrage Ed. Bock<br />

Lieber <strong>Herzfeld</strong><br />

46


Du kannst mir e<strong>in</strong>en großen Gefallen tun. Erschrick nicht, es ist diesmal ke<strong>in</strong>e Penny - Anlage. -Ich muß nämlich<br />

Sonntag auf e<strong>in</strong>ige Tagen Frankfurt fahren und es wür<strong>de</strong> mir sehr lieb se<strong>in</strong>, wenn Du so gut wärst und mir auf 8<br />

Tage 1 wo möglich aber 2 De<strong>in</strong>er Oberhem<strong>de</strong>n leihen könntest. Ich wür<strong>de</strong> Dich bitten für <strong>de</strong>n Fall <strong>de</strong>r Gewährung<br />

me<strong>in</strong>er Bitte, dieselben o<strong>de</strong>r dasselbe an Hf. Sei<strong>de</strong>l auf <strong>de</strong>m Bahnhofe zu sen<strong>de</strong>n. -<br />

Was sonst uns hier angeht, so ist es langstielig wie immer.-<br />

Mit <strong>de</strong>r Eisenbahn nahen sich me<strong>in</strong>e Unterhandlungen ihrem seeligen En<strong>de</strong>. Der Dr. muß messen lassen, will<br />

aber wie<strong>de</strong>r <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ganz neuen Orig<strong>in</strong>albriefe nicht mehr als 50t für die Mühe geben, ich thue es aber nicht<br />

unter 80 rth und er wird sich nun wohl e<strong>in</strong>en an<strong>de</strong>ren Feldmesser suchen, <strong>de</strong>m er dann wenigstens 90 rth geben<br />

muß. Was mich betrifft, ich b<strong>in</strong> gedocken. Me<strong>in</strong>e Rechnung beträgt für <strong>de</strong>n Preis von 80rth für die Mühe -<br />

234 rth 9sgl. Me<strong>in</strong>e Vorschüsse s<strong>in</strong>d:<br />

also Verlust: 9sgr.<br />

Ich schließe unter Wie<strong>de</strong>rholung me<strong>in</strong>er Bitte mit 1000 Grüßen.<br />

Lebe wohl<br />

Glogau 19/5 48 De<strong>in</strong> tr.<br />

Ed. Bock<br />

Lieber <strong>Herzfeld</strong><br />

Morgen <strong>Die</strong>nstag Vormittag 10 Uhr bewegt sich von hier p. Eisenbahn die Mädchenschule nach Dalkau. Ihr<br />

schließen sich größere Mädchen und überhaupt fast alle E<strong>in</strong>wohner Glogaus an. Auch die Bailsche <strong>Familie</strong><br />

sammt sämtlichen Schwiegersöhnen (wirklichen und Geheimen) s<strong>in</strong>d dabei. Durch Stimmen E<strong>in</strong>heit ist es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

außeror<strong>de</strong>ntlichen Sitzung gestern <strong>de</strong>r Beschluß gefaßt wor<strong>de</strong>n, daß Du, allenfalls durch Zwangsmittel,<br />

angehalten wer<strong>de</strong>n sollst, das Fest mit De<strong>in</strong>er Gegenwart zu verherrlichen. Bei De<strong>in</strong>er bekannten<br />

Ges<strong>in</strong>nungstüchtigkeit auf breiter Grundlage und <strong>in</strong> Betracht, daß Dalkau die Wiege De<strong>in</strong>es Glücks ist, auch die<br />

Folgen unberechenbar für Tonnen, zweifele ich nicht daran, daß Du willig Dich <strong>de</strong>r getroffenen Bestimmung<br />

unterwerfen und morgen <strong>de</strong>n bestaubten Aktentisch verlassen wirst, um eilen<strong>de</strong>n Fußes <strong>de</strong>m Ort <strong>de</strong>r Freu<strong>de</strong><br />

entgegenzugehen. Aber Du sollst auch fahren u. ich lege Dir e<strong>in</strong> Konzept dazu bei. Vielleicht kommst Du bis<br />

Glogau und siehst <strong>de</strong>n Auszug Dir mit an. Nun wie Du willst. - Für schmackhaft und lecker zu bereitete Speisen<br />

sowie für Getränke ist bestens gesorgt.<br />

Ich wer<strong>de</strong> dann auch Dir me<strong>in</strong>e (großartigen) Pläne <strong>in</strong> Bezug auf Pf<strong>in</strong>gstreisen ... mitteilen, <strong>de</strong>nn ich muß u. will<br />

diese Angel. endlich geordnet wissen.<br />

Glg 5/6 48<br />

De<strong>in</strong><br />

Meyer<br />

Vielleicht kommt noch e<strong>in</strong>er o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rer von Sagan mit.<br />

47


Im Besitz <strong>de</strong>s von Euer Hochwohlgeborenen mir verehrten, für mich sehr schätzbaren Geschenkes, statte ich<br />

me<strong>in</strong>en wärmsten <strong>in</strong>nigsten Dank hiermit ganz ergebenst ab, und mir gütigst zu erlauben, daß ich bei rechter<br />

Gelegenheit solchen mündlich gegen Hoch<strong>de</strong>nselben aussprechen darf.<br />

Mit <strong>de</strong>r größten Hochachtung<br />

Euer Hochwohlgeboren<br />

Glogau ganz ergebenster <strong>de</strong>n 6ten Juni 1848 Blaschke<br />

Julius Kl<strong>in</strong>dt<br />

Hedwig Kl<strong>in</strong>dt<br />

geb. Engelken<br />

als Neuvermählte<br />

Breslau d. 10.Juni 1848<br />

Lieber <strong>Herzfeld</strong><br />

De<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>ladung kann ich nicht Folge leisten, weil ich nicht wohl b<strong>in</strong>, ich habe etwas Cholera und viel Schnupfen;<br />

auch Eichner ist lei<strong>de</strong>nd und Chappuis schon lange nicht mehr <strong>in</strong> Glogau.<br />

Dazu kommt, daß morgen Abend (Freitag 7 Uhr) <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Loge Cosmehl zu Ehren e<strong>in</strong> Aben<strong>de</strong>ssen veranstaltet<br />

wird, <strong>de</strong>m ich gern völlig genesen beiwohnen möchte. Ich hoffe, daß Du dabei nicht fehlen, und noch e<strong>in</strong>ige<br />

Saganer mitbr<strong>in</strong>gen wirst. Du hast übrigens versprochen, bald hierher auf e<strong>in</strong>ige Tage zu kommen, und da ich<br />

gleich nach <strong>de</strong>m ersten September nach Berl<strong>in</strong>, Dres<strong>de</strong>n u.a. reise, so wür<strong>de</strong> es gut se<strong>in</strong>, wenn wir über diese<br />

48


Reise, die Du je<strong>de</strong>nfalls wie<strong>de</strong>r mitantreten mußt, vorher uns noch gründlich beraten. Auch wird Emilie<br />

Dannwöhler uns bald wie<strong>de</strong>r verlassen.<br />

Grüße die Saganer und laß Dich morgen sehen bei<br />

De<strong>in</strong>em Meyer 24/8 48<br />

Me<strong>in</strong> lieber <strong>Herzfeld</strong>!<br />

Du wür<strong>de</strong>st mir e<strong>in</strong>en außeror<strong>de</strong>ntlichen Gefallen tun, wenn Du mir durch Überbr<strong>in</strong>ger "Göthes Faust u, Less<strong>in</strong>gs<br />

Nathan d. W." schicktest. In e<strong>in</strong>igen Wochen br<strong>in</strong>ge ich Dir die Bücher gut gehalten selbst zurück. Solltest Du<br />

heute nicht im Stan<strong>de</strong> se<strong>in</strong>, auf me<strong>in</strong>e Bitte e<strong>in</strong>zugehen, so will ich Sonnabends die Botenfrau zu Dir schicken.<br />

Freilich wären mir heute die Bücher lieber.<br />

Lebe wohl ! Es grüßt Dich herzlich<br />

De<strong>in</strong><br />

Ober-Gorb d. 7/9. 48<br />

A. Glotz<br />

Lieber <strong>Herzfeld</strong>!<br />

Vergeblich haben wir am 12. Sept. auf Dich gewartet. Wir glaubten, daß Du auch ohne beson<strong>de</strong>re E<strong>in</strong>ladung<br />

De<strong>in</strong>en Geburtstag <strong>in</strong> unserem Hause zu feiern kommen wür<strong>de</strong>st; und wissen uns nicht zu <strong>de</strong>uten, was Dich<br />

abgehalten hat; - wünschen aber alle Dich, während ich und Emilie noch hier s<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong>mal hier zu sehen; daher<br />

ergeht hiermit die freundliche E<strong>in</strong>ladung, wenn möglich morgen Vormittag bei uns e<strong>in</strong>zutreffen, hier zu schlafen u.<br />

vielleicht e<strong>in</strong>e Partie mit uns zu machen. In froher Hoffnung, Dich hier zu sehen, bleibe ich <strong>in</strong><strong>de</strong>ssen,<br />

wie immer<br />

De<strong>in</strong> tr. Freund u. Bru<strong>de</strong>r Robert Bail<br />

Lieber Herr Assessor!<br />

Morgen reist Chappuis nach Margon<strong>in</strong> <strong>de</strong>n Ort se<strong>in</strong>er Bestimmung ab, wenn es geht kommen Sie doch heute<br />

Abend her, er wür<strong>de</strong> sich sehr freuen, wer weiß wann wir e<strong>in</strong>mal wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en Abend zusammen verleben. Grüße<br />

kann ich nicht bestellen, da ich sie alle überraschen wollte. Meier erwarten wir heute.<br />

d. 1lth. Nov. 48 Emilie Bail<br />

Guter Herr Assessor<br />

Es ist mir wirklich sehr lieb, daß sich mir heute e<strong>in</strong>e Gelegenheit darbietet, beiliegen<strong>de</strong> Gegenstän<strong>de</strong> nach Sagan<br />

zu schicken, die durch <strong>de</strong>r Lev<strong>in</strong>tal unbedachtsames E<strong>in</strong>packen verunglückt s<strong>in</strong>d.<br />

Der Scha<strong>de</strong>n ist nicht erheblich, es ist mir auch nur um Verdruß zu vermei<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn, wie ich hoffe, wird durch die<br />

Geschicklichkeit <strong>de</strong>s Hoftapeziers alles hergestellt wer<strong>de</strong>n können. <strong>Die</strong> Engelmann soll nur alles zur Böttchern<br />

tragen u. ihn bitten, mir alles sobald als möglich zu machen. Und Sie, lieber Herr Assessor, ersuche ich <strong>de</strong>m<br />

Boten das Körbchen mit <strong>de</strong>n Blumen u. die gläsernen Vasen auf <strong>de</strong>m Fenster <strong>in</strong> unserer Stube mitzugeben.<br />

Aufrichtig bedauere ich, daß wir jetzt nicht Hausgenossen s<strong>in</strong>d, u. wie gern hätte ich auch gestern manches mit<br />

<strong>de</strong>m Freun<strong>de</strong> besprochen, <strong>de</strong>r Herz u. Umsicht vere<strong>in</strong>t; nur <strong>de</strong>n Freund vermiß ich hier, u. es wollte mir bange<br />

wer<strong>de</strong>n, wenn ich dachte, daß ich se<strong>in</strong>er Zusprache und se<strong>in</strong>en Vorlesungen gänzlich entgehen sollte, es gibt<br />

49


aber nichts Vollkommenes u. ich b<strong>in</strong> zufrie<strong>de</strong>n, wenn ich dann u. wann was höre, und möchte es jetzt vor allem<br />

was Erwünschtes se<strong>in</strong>, das ist me<strong>in</strong> herzlichster Wunsch, mit <strong>de</strong>m ich zeichne<br />

Ihre<br />

ergebenste Freund<strong>in</strong> (vmtl.Glogau, o.D.)<br />

M. Gerlach<br />

Guter Herr Assessor,<br />

Abermals muß ich Ihre Güte <strong>in</strong> Anspruch nehmen, ich lege e<strong>in</strong>en Brief an die Ma. Wolf bei, <strong>de</strong>r zur Post beför<strong>de</strong>rt<br />

wer<strong>de</strong>n soll, u. e<strong>in</strong>en nach Gorpe, <strong>de</strong>n ich aber offen mitschicke, u. <strong>de</strong>r nur abgeht, wenn Sie vollkommen<br />

e<strong>in</strong>verstan<strong>de</strong>n s<strong>in</strong>d, daß die Damen Freitags here<strong>in</strong> kommen. E<strong>in</strong> O'blatt u. Post... habe ich auch dazu gegeben.<br />

In <strong>de</strong>r Hoffnung Sie morgen zu sehen, alles an<strong>de</strong>re mündlich, mit vollkommenster Hochachtung<br />

(o.D.)<br />

Ihre ergebene Gerlach<br />

Guter Herr Assessor<br />

Nach <strong>de</strong>m herzlichsten guten Morgen frage ich darauf an, ob vielleicht Briefe an mich e<strong>in</strong>gegangen, u. ob Sie<br />

etwas aus Gorpe gehört haben, wo ich je<strong>de</strong>nfalls Nachricht erwarten kann.<br />

Hier habe ich mich schon so e<strong>in</strong>gerichtet, daß ich heute die Freu<strong>de</strong> haben konnte, all die lieben Me<strong>in</strong>igen bei mir<br />

zum Kaffee zu haben, wozu ich Kuchen gebacken, von <strong>de</strong>m ich mir erlaube, e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Probe beizulegen. Da es<br />

Streuselkuchen ist, <strong>de</strong>r mir zwar nicht so geraten wie manchmal schon.<br />

Mit <strong>de</strong>m freundlichsten Gruß (o.D.)<br />

Maria Gerlach<br />

Geehrter Herr und Freund<br />

Da ich me<strong>in</strong>er Bitte zu Folge e<strong>in</strong>er schriftlichen Mitteilung von Ihnen entgegensehen konnte, so war es wohl<br />

verzeihlich, daß ich Ihren Brief an me<strong>in</strong>en Mann, <strong>de</strong>r noch nicht von Tribusch zurück ist, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m Wahne er sei an<br />

mich, aufmachte.<br />

Es wäre mir e<strong>in</strong>e große Freu<strong>de</strong> gewesen, sollten Sie me<strong>in</strong>en Wunsch erfüllen können, u. mir etwas für <strong>de</strong>n Albert<br />

empfehlen.<br />

Ich will <strong>de</strong>n Albert zu Weihnachten mit e<strong>in</strong>em guten neuen Dichter beschenken u. hatte mir dazu Ihre Wahl u.<br />

Bestimmung erbeten. Wie es aber sche<strong>in</strong>t, ist gar ke<strong>in</strong>e Zeit mehr für die Bitten und Wünsche alter, früherer<br />

Freun<strong>de</strong> u. Bekannten, doch gebe ich die Hoffnung nicht so leicht auf, was ich e<strong>in</strong>mal erkannt als gut. -O<strong>de</strong>r hatte<br />

ich mich doch so ganz und gar geirrt<br />

Was aber <strong>in</strong> aller Welt haben Sie gemacht, die ganze sogenannte vornehme Damenwelt ist bereit, gegen Sie zu<br />

Fel<strong>de</strong> zu ziehen, ich glaube es aber nicht, was mir erzählt wur<strong>de</strong>, es wird ja zuviel gelogen, so wird die Sache<br />

wenigstens gewiß nicht gewesen se<strong>in</strong>.<br />

Sie sollen <strong>de</strong>m Schaidt geraten haben, die Damen aus <strong>de</strong>m Wansbischen Lokal rauszuschmeißen die an<strong>de</strong>ren<br />

Käufern <strong>de</strong>n Platz wegnehmen. <strong>Die</strong>se, Ihre Worte zu <strong>de</strong>m Schaidt, will man gehört haben, sie gehen von Mund<br />

zu Mun<strong>de</strong>. Ich teile Ihnen diese Stadtgeschichte mit gutem Grun<strong>de</strong> mit, erstlich können Sie Ihre Verteidigung<br />

besser führen, <strong>de</strong>nn Sie wer<strong>de</strong>n angegriffen, u. zweitens wird die Fama geschäftig se<strong>in</strong>, es <strong>in</strong> Gorpe mitzuteilen<br />

u. wohl wie<strong>de</strong>r vergrößert u. <strong>de</strong>m können Sie zuvorkommen.<br />

50


Wahrlich es ist mir lieb davon zu se<strong>in</strong> von diesen verworrenen Kreisen u. ich sehne mich auch nicht im ger<strong>in</strong>gsten<br />

zurück. Ich b<strong>in</strong> mit <strong>de</strong>r Buchhandlung Hallste<strong>in</strong> sehr zufrie<strong>de</strong>n u. da lebe ich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er freundlichen gemütlichen<br />

<strong>Familie</strong> so still und glücklich, freilich b<strong>in</strong> ich auch etwas krank, was ja aber alle W<strong>in</strong>ter me<strong>in</strong> Loos schon lange ist.<br />

Ich habe heut e<strong>in</strong>en langen Brief an die Fr. Camurri* geschrieben, natürlich aber ke<strong>in</strong> Wort von <strong>de</strong>m Klatsch, <strong>de</strong>n<br />

ich doch auch Ihnen nur <strong>in</strong> <strong>de</strong>r besten Absicht mitgeteilt habe. Da ich ke<strong>in</strong>e Freund<strong>in</strong> von <strong>de</strong>rgleichen b<strong>in</strong>, u. mich<br />

also nur aus re<strong>in</strong>er Gutmütigkeit jetzt damit belaste.<br />

Mit freundlichem Gruß<br />

Maria Gerlach<br />

+ Sie haben doch <strong>de</strong>n Band von Börnes-Schriften richtig erhalten ?<br />

* Fr. Camurri - Ludwig <strong>Herzfeld</strong>s spätere Schwiegermutter. - Der Brief ist undatiert er muß Nov./Dez. 1848<br />

geschrieben wor<strong>de</strong>n se<strong>in</strong>.<br />

Me<strong>in</strong> lieber <strong>Herzfeld</strong><br />

Als ich heute früh von Berl<strong>in</strong> kommend, Sagan passierte, ersuchte ich .Schopp Dir sagen zu lassen, daß ich<br />

wie<strong>de</strong>r nach Glogau zurückgekehrt b<strong>in</strong> und für 2 Tage verweilen wer<strong>de</strong>; ich ließ Dich gleichzeitig ersuchen, wenn<br />

Du morgen Zeit und Lust hättest, nach Glogau zu kommen. <strong>Die</strong>sen Wunsch hege ich noch, aber dr<strong>in</strong>gen<strong>de</strong><br />

Geschäfte o<strong>de</strong>r Angelegenheiten habe ich mit Dir nicht zu verhan<strong>de</strong>ln, es sei <strong>de</strong>nn, daß Du im Stan<strong>de</strong> wärst, mir<br />

e<strong>in</strong>e 1/4 Million Preuß. Cour. zu leihen, versteht sich gegen e<strong>in</strong>en guten Z<strong>in</strong>s. Wie ich höre(von Rudolph, <strong>de</strong>r von<br />

Sagan heute früh nach Sprottau geht), trittst Du heute als Liebhaber auf; ich wür<strong>de</strong> Dich sonst vom heutigen<br />

Logenball unterrichtet haben.<br />

Montag o<strong>de</strong>r <strong>Die</strong>nstag fahre ich nach Berl<strong>in</strong> zurück.<br />

De<strong>in</strong> Vater, <strong>de</strong>n ich gestern noch gesprochen habe, nach <strong>de</strong>m De<strong>in</strong> Brief ihm bereits frühe ausgehändigt war, läßt<br />

Dich grüßen.<br />

Lebe wohl, es grüßt Dich<br />

De<strong>in</strong> Meyer d. 13/ 12<br />

Bereits <strong>in</strong> mehreren Briefen wur<strong>de</strong> die Verb<strong>in</strong>dung Ludwigs zu Marie Clement<strong>in</strong>e Wüsthoff und<br />

ihrer <strong>Familie</strong> auf <strong>de</strong>m Gut Obergorpe angesprochen. Recht bald nach<strong>de</strong>m sie sich im<br />

Frühsommer 1848 kennen gelernt hatten, muss die Verlobung stattgefun<strong>de</strong>n haben. Auf Ludwigs<br />

Brautstand spielt ansche<strong>in</strong>end Dorothea Plato <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Brief aus Prag an:<br />

Me<strong>in</strong> lieber Ludwig !<br />

Nur De<strong>in</strong> neuer Stand also war vermögend, <strong>de</strong>n Zauber zu lösen, <strong>de</strong>r Dich be<strong>in</strong>ah e<strong>in</strong> Jahr <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Ban<strong>de</strong>n halt;<br />

endlich habe ich e<strong>in</strong> paar Zeilen, die ich mir längst wünschte, <strong>in</strong> me<strong>in</strong>en Hän<strong>de</strong>n, Kommen also vor allem me<strong>in</strong>e<br />

besten Glückwünsche, ich freue mich unendlich! Wenn De<strong>in</strong>e Wahl e<strong>in</strong>e gute ist.<br />

51


De<strong>in</strong> Schicksal im beruflichen auch ist also <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Jahre gera<strong>de</strong>, das ist Dir bekannt, darum bitte ich Dich recht<br />

sehr, teile mir durch Küsters über De<strong>in</strong> jetziges Verhältnis mit, ganz beson<strong>de</strong>rs, ob Du recht bald die Stelle<br />

erhalten wirst.<br />

Mir geht es gut, nur betrübt es mich stets sehr, von Berl<strong>in</strong> nur Trauriges zu erfahren, Nicht helfen zu können wie<br />

ich gerne wollte. Wenn Du nach Glogau kommst, grüße Madame Hallste<strong>in</strong>, sie beklagte sich schon mehrere Male<br />

bei mir, daß Du sie gar nicht mehr aufsuchst, Ich hoffe ganz gewiß recht bald e<strong>in</strong>en ausführlichen Brief von Dir zu<br />

erhalten, täusche nicht<br />

Prag, d. 22. Nov. 1848<br />

De<strong>in</strong>e Dich lieben<strong>de</strong> Tante<br />

Dorothea<br />

Wen<strong>de</strong>n wir uns nun <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> <strong>de</strong>r Braut zu:<br />

Marie Clement<strong>in</strong>es Großvater, Johann Friedrich Wüsthoff (geb. 8. Dezember 1752 <strong>in</strong> Kolberg,<br />

gest. 30. September 1819 <strong>in</strong> Nie<strong>de</strong>rmednitz, war zur Zeit Nettelbecks, mit <strong>de</strong>n er auch befreun<strong>de</strong>t<br />

war, <strong>in</strong> Kolberg Regimentschirug. Er heiratete am 28. April 1799 Johanne Charlotte Wilhelm<strong>in</strong>e<br />

(geb. 23. Januar 1773), e<strong>in</strong>e Tochter <strong>de</strong>s Kriegsrats Bech.<br />

<strong>Die</strong> Eheleute Wüsthoff besaßen das Gut Nie<strong>de</strong>rmednitz bei Sagan, das Obergorpe benachbart<br />

war. Sie hatten e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>zigen Sohn, Robert Wüsthoff (geb. 11. März 1800, gest. 3. Dezember<br />

1838), <strong>de</strong>r am 14. Mai 1826 die Mitbesitzer<strong>in</strong> von Obergorpe Johanne Amalie Clement<strong>in</strong>e v.<br />

Thielenfeld (geb. 29.12.1796 <strong>in</strong> Kemnitz, gest. 1875 <strong>in</strong> Halle/S.) heiratete. Robert Wüsthoff<br />

52


verkaufte dann Nie<strong>de</strong>rmednitz. Se<strong>in</strong>e Mutter lehnte es ab, bei <strong>de</strong>n K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn zu wohnen und lebte<br />

nach <strong>de</strong>m Verkauf <strong>de</strong>s Gutes <strong>in</strong> Kottwitz bis zu ihrem To<strong>de</strong> im Jahre 1859.<br />

Robert und Clement<strong>in</strong>e Wüsthoff hatten vier K<strong>in</strong><strong>de</strong>r: Neben Ludwigs Braut, Marie Clement<strong>in</strong>e<br />

(geb. 5. Dez. 1830), noch e<strong>in</strong>e Tochter, Agnes, (Agnes Beissert, geb. 24.7.1835, gest. 24. 3.<br />

1910 <strong>in</strong> Halle/S.) und <strong>de</strong>n Sohn He<strong>in</strong>rich (geb. 3.3.1833, gest. 1. 11. 1901 <strong>in</strong> Sioux City, U.S.A.)<br />

sowie <strong>de</strong>n Sohn Oskar (geb. 1873, gest., <strong>in</strong> Utah, U.S.A.).<br />

<strong>Die</strong> Gestalt von Robert Wüsthoff, <strong>de</strong>m Vater Maries, tritt uns <strong>in</strong> <strong>de</strong>m Brief e<strong>in</strong>es Freun<strong>de</strong>s von<br />

Ludwig, Bock, <strong>de</strong>r wohl mit <strong>de</strong>m Pastor Bock i<strong>de</strong>ntisch seien dürfte, <strong>de</strong>r dann im Oktober 1849<br />

Ludwig und Marie traute, entgegen:<br />

Lieber Bru<strong>de</strong>r!<br />

Daß ich heute wegen Rheuma das Zimmer hüten muß, ist recht gut, <strong>de</strong>nn so erübrige ich armer Geplagter, Andy<br />

liegt schon 6 Wochen, e<strong>in</strong>e Stun<strong>de</strong> für Sie, süßer und... süßer, nicht nur wegen <strong>de</strong>r schönen Ananas, die mir wohl<br />

<strong>de</strong>n halben W<strong>in</strong>ter versüßen soll, son<strong>de</strong>rn weil Sie Bräutigam s<strong>in</strong>d, und Ihre Braut sehr hübsch und liebenswürdig<br />

nicht nur se<strong>in</strong> soll, son<strong>de</strong>rn se<strong>in</strong> muß, wenn sie nur e<strong>in</strong>e A<strong>de</strong>r von Mutter und Vater hat. Und weil die Jeßner mir<br />

sehr, sehr liebe Freun<strong>de</strong> gewesen s<strong>in</strong>d, nehme ich an Ihrer Verb<strong>in</strong>dung um so <strong>in</strong>niger Teil. Mit tiefer Wehmut b<strong>in</strong><br />

ich Sommer durch Mednitz und die Gorpe gefahren, wo ich sonst <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Häusern guter Menschen heimatlich war,<br />

die jetzt fast alle tot s<strong>in</strong>d, und wenn es Sport gewesen wäre, nach e<strong>in</strong>em bekannten Gesichte umzuschauen so<br />

suchte me<strong>in</strong> Auge wenigstens auf <strong>de</strong>m Mednitzer Berge, ob noch e<strong>in</strong> Kirschbaum von <strong>de</strong>n von mir dah<strong>in</strong><br />

gelieferten vorhan<strong>de</strong>n sei, aber <strong>de</strong>r Poststillion fuhr so rasch, und zunächst <strong>de</strong>r Straße stan<strong>de</strong>n so viele Bäume,<br />

daß mir auch diese ger<strong>in</strong>ge Befriedigung versagt war.<br />

Vater Wüsthoff war e<strong>in</strong> selten gescheiter Mann, verbun<strong>de</strong>n mit ausgezeichnetem Humor und e<strong>in</strong>er<br />

unerschöpflichen Komik, und das kann nur e<strong>in</strong> Mensch verb<strong>in</strong><strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r auch e<strong>in</strong>e seltene Herzensgüte besitzt.<br />

Dabei e<strong>in</strong> Athlet von blühen<strong>de</strong>r Gesundheit, und e<strong>in</strong> Jüngl<strong>in</strong>g gegen uns Männer, daß er oft äußerte, er begreife<br />

nicht, wie wir an ihm, <strong>de</strong>m noch so jungen uns hängen könnten. Und wie lange schläft er schon.<br />

Doch das ist Mißton <strong>in</strong> ihre Bräutigamslust. Und doch kann ich mir nicht wehren, <strong>in</strong> diesem Augenblick bei<br />

me<strong>in</strong>em herrlichen Wüsthoff zu se<strong>in</strong>, Für mich ist die Zeit se<strong>in</strong>er Entfernung, ich habe ke<strong>in</strong> Mednitz und Gorp<br />

gekannt ohne ihn, sollte ich es wie<strong>de</strong>rsehen, so wür<strong>de</strong> me<strong>in</strong> Auge und me<strong>in</strong> Herz doch vor allem ihn suchen, und<br />

sich e<strong>in</strong>sam fühlen. Wenige, schnelle M<strong>in</strong>uten,<br />

wir Sterblichen nennen sie Jahre, wan<strong>de</strong>rn wir über über <strong>de</strong>n Staub, welcher uns morgen be<strong>de</strong>ckt. Wenige hol<strong>de</strong><br />

Gestalten treten uns freundlich entgegen, schmiegen sich traulich an uns, s<strong>in</strong>ken uns liebend ans Herz. Dreimal<br />

krähet <strong>de</strong>r Hahn, und was wir umarmen ist Asche, arm und leer ist das Herz, das sich reich gefühlt. Also habe ich<br />

an <strong>de</strong>r Stätte vorüberziehend, wo se<strong>in</strong>e Hülle ruht, <strong>de</strong>m Lieben, noch heute um ihn trauernd, zugerufen.<br />

Den Hammer habe ich aus <strong>de</strong>r Hand gelegt, und mochte ihn wohl nicht wie<strong>de</strong>r nehmen. Der rohe Geist <strong>de</strong>r Zeit<br />

und die losgelassene Lei<strong>de</strong>nschaft bricht auch <strong>in</strong> die stillen Hallen und treibt die wahre Freiheit und die Liebe aus.<br />

Lebe ich und bleibe gesund, tue ich, was schon das vorige Mal me<strong>in</strong> Wille war, ich komm zu Euch und feiere<br />

me<strong>in</strong>en Geburtstag bei Euch unter treuen Herzen, was bis dah<strong>in</strong> noch geschieht. Wüßte ich nur etwas von<br />

me<strong>in</strong>em Hermann <strong>de</strong>r Anfang September Kronstadt verlassen haben muß und nun <strong>in</strong> <strong>de</strong>m unglücklichen Ungarn<br />

pilgert, wenn noch pilgert. Gott befohlen rufe ich ihm nach <strong>in</strong> unbekannte Fernen h<strong>in</strong>über, aber bange ist mir doch<br />

53


sehr nach ihm. Komme ich nach Sagen, sollen Sie mir recht viel von <strong>de</strong>n Gorpern erzählen. Für heute herzliche<br />

Grüße dorth<strong>in</strong> und allen Lieben <strong>in</strong> Sagan. Auf Regen folgt Sonnensche<strong>in</strong>, <strong>de</strong>r alte Gott lebt noch, und es muß<br />

auch wie<strong>de</strong>r besser wer<strong>de</strong>n. Das ist Bräutigamsmut, <strong>de</strong>r auch zur roten Fahne schwört, aber nicht zur blutroten,<br />

son<strong>de</strong>rn zur rosenfarbenen <strong>de</strong>r Hoffnung. Gut gehe es Ihnen und mich lasse <strong>de</strong>r Höchste noch die gute Hoffnung<br />

erleben und Sie dann als erfahrenen Hausvater besuchen.<br />

Ihr treuer B. Bock<br />

<strong>de</strong>n 17. Sept. abends (während es draußen stürmt)<br />

Robert Wüsthoff, <strong>de</strong>r Vater, ist Marie Clement<strong>in</strong>e <strong>in</strong> lebhafter Er<strong>in</strong>nerung geblieben. Im Jahre<br />

l897, drei Jahre vor ihrem eignen Lebensen<strong>de</strong>, schreibt sie:<br />

" Nun taucht <strong>in</strong> me<strong>in</strong>en Er<strong>in</strong>nerungen die Lei<strong>de</strong>nszeit <strong>de</strong>s Vaters auf - er war e<strong>in</strong> grosser, starker Mann, sche<strong>in</strong>bar<br />

von guter Gesundheit und mit Körperkräften ausgestattet Doch da stellte sich das Gichtweh, wie man es damals<br />

nannte, e<strong>in</strong>. Furchtbare Schmerzen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r rechten Hüfte; die durch allerlei Gewaltmittel sollten beseitigt wer<strong>de</strong>n.<br />

Erst wur<strong>de</strong>, wie immer damals, zum weisen Schäfer gefahren, <strong>de</strong>r vielleicht mit se<strong>in</strong>en Salben und Pechpflastern<br />

und Streichen noch nicht das Schlimmste verbrach. Da dies aber nicht half, g<strong>in</strong>g man zu e<strong>in</strong>em berühmten<br />

Doktor, <strong>de</strong>r ordnete dann e<strong>in</strong> Haarseil an. Es wur<strong>de</strong> <strong>in</strong>s Fleisch e<strong>in</strong> viereckiges Loch mit glühen<strong>de</strong>n Eisen<br />

gebrannt und um die Wun<strong>de</strong> immer eiternd zu erhalten, täglich e<strong>in</strong>e Partie Pfer<strong>de</strong>haar immer e<strong>in</strong> Stückchen<br />

weiter gezogen - die Schmerzen waren entsetzlich, aber Hülfe kam nicht. Da endlich schickte wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong><br />

berühmter Arzt <strong>de</strong>n Vater nach Karlsbad, von wo er aber ebenso krank wie<strong>de</strong>rkam. Jetzt endlich kam man auf<br />

Teplitz und da erklärte me<strong>in</strong> Vater, er müsse mich mitnehmen zur L<strong>in</strong><strong>de</strong>rung se<strong>in</strong>er Schmerzen. Ich war drei<br />

Jahre alt und wur<strong>de</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Wagen voll Matratzen, <strong>in</strong> welchem er liegend fuhr, ihm zu Häupten gesetzt und<br />

habe ihn wohl mit me<strong>in</strong>em Geplau<strong>de</strong>r die zwei langen Reisetage aushalten helfen. Zu me<strong>in</strong>er Pflege und<br />

Bedienung wur<strong>de</strong> unser Schäfer He<strong>in</strong>rich mitgenommen, <strong>de</strong>r auch sonst unser Faktotum war - er schlachtete<br />

alles Vieh, kurirte es auch, buk das Brot und <strong>de</strong>n Kuchen, kurz, er war unentbehrlich. E<strong>in</strong> zweiter Wagen barg das<br />

Gepäck und auch die Mutter. Wir übernachteten und kamen <strong>de</strong>n zweiten Tag Abends <strong>in</strong> Teplitz an. Von dort habe<br />

ich nur schwache Er<strong>in</strong>nerungen - e<strong>in</strong>mal, dass unsere Pfer<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Schlossberg h<strong>in</strong>unter durchgegangen s<strong>in</strong>d, und<br />

e<strong>in</strong>mal, dass ich weggelaufen war, um mir Bobbons zu kaufen und dass mich dann, <strong>de</strong>r Vater mit<br />

abgeschraubtem Pfeifenrohr durchgeprügelt hat. Der Vater ist übrigens <strong>in</strong> Teplitz fast ganz von se<strong>in</strong>en Lei<strong>de</strong>n<br />

geheilt wor<strong>de</strong>n. Er konnte wie<strong>de</strong>r gehen und se<strong>in</strong>e Amtsgeschäfte besorgen - da aber, im Jahre 1838, wie er<br />

eben <strong>de</strong>n Magaz<strong>in</strong>bau vollen<strong>de</strong>t, kam er aus Gross-Kle<strong>in</strong>itz von e<strong>in</strong>er Kommission krank zurück - er phantasirte<br />

schon beim Abendbrot und es brach e<strong>in</strong> Nervenfieber aus. <strong>Die</strong> Aerzte wussten ke<strong>in</strong>en Rath, man ja auch damals<br />

noch nicht so geeignete Mittel gegen das Fieber und die treuste Pflege <strong>de</strong>r Mutter und <strong>de</strong>r Tante Lange, die<br />

damals seit e<strong>in</strong>em halben Jahre <strong>in</strong> unserem Hause war, konnte <strong>de</strong>n Tod nicht abhalten, <strong>de</strong> <strong>de</strong>n 3. Dezember<br />

1838 e<strong>in</strong>trat. Noch am Tage vorher s<strong>in</strong>d wir K<strong>in</strong><strong>de</strong>r an se<strong>in</strong>em Lager gewesen, und er hat uns noch ermahnt zum<br />

Fleiss und zum Guten - und, liebe K<strong>in</strong><strong>de</strong>r, so schwach daran me<strong>in</strong>er Er<strong>in</strong>nerung ist, - so habe ich doch sie me<strong>in</strong><br />

Lebelang festgehalten und <strong>in</strong> allen be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Momenten me<strong>in</strong>es Lebens sah ich <strong>de</strong>n sterben<strong>de</strong>n Vater vor mir<br />

und glaubte se<strong>in</strong>e Worte zu hören: „ weicht nicht ab vom Guten.“ Auch e<strong>in</strong> Briefchen habe ich noch, was er aus<br />

Kle<strong>in</strong>itz geschrieben:<br />

Me<strong>in</strong>e lieben K<strong>in</strong><strong>de</strong>r!<br />

Ich wer<strong>de</strong> mich freuen Euch bei me<strong>in</strong>er Rückkehr gesund wie<strong>de</strong>r zu f<strong>in</strong><strong>de</strong>n und zu hören, das ihr gut gefolgt habt.<br />

Durch Fleiss im Lernen, Folgsamkeit und Liebe zu e<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r könnt ihr <strong>de</strong>r Mutter und mir Freu<strong>de</strong> machen und uns<br />

die Sorgen vergelten, die ihr uns macht<br />

54


Euer Vater Wüsthof Kle<strong>in</strong>itz, <strong>de</strong>n 2.May 1838, An Marie , He<strong>in</strong>rich,<br />

Agnes Geschwister Wüsthoff. Oskar, <strong>de</strong>r damals e<strong>in</strong> Jahr alt war,<br />

wird nicht genannt. <strong>Die</strong>ses auf Sei<strong>de</strong>npapier geschriebene Briefchen<br />

habe ich mir immer wie e<strong>in</strong>e Reliquie aufgehoben.<br />

Der Großvater <strong>de</strong>r Braut mütterlicherseits hieß Thiele von<br />

Thielenfeld; er wur<strong>de</strong> am 24. Februar 1752 <strong>in</strong> Görlitz<br />

geboren und studierte <strong>in</strong> Leipzig Theologie. Er war dann <strong>in</strong><br />

Schlesien auf e<strong>in</strong>em Gute Hauslehrer und heiratete die auf<br />

e<strong>in</strong>em Nachbargut ansässige Charlotte Wilhelm<strong>in</strong>e<br />

Dorothea, verwitwete von Wolf<strong>in</strong>gen, geb. von Zeschau<br />

aus <strong>de</strong>m Hause Jessen (geb. 12. April 1754 <strong>in</strong> Jessen,<br />

gest. 12. Mai 1834 <strong>in</strong> Obergorpe). Ihr erster Mann, <strong>de</strong>n sie<br />

1770 geheiratet hatte, starb 1778, die <strong>Familie</strong> von Zeschau, aus <strong>de</strong>r sie stammte, gehörte zum<br />

Meißnischen Ura<strong>de</strong>l, <strong>de</strong>r am 3L. März 1206 zuerst urkundlich erwähnt ist.<br />

<strong>Die</strong> Schwestern von Maries Großmutter waren Eleonore Sophie Henriette (geb. 12. 3. 1740 <strong>in</strong><br />

Jessen, gest. 9. 8. 1787 <strong>in</strong> Drehnow), die mit e<strong>in</strong>em Herrn von Berge und Johanne Christ<strong>in</strong>e Elise<br />

(geb. 1742, gest. 1826 <strong>in</strong> Obergorpe), die mit e<strong>in</strong>em Herrn von Knobelsdorf, Herrn auf<br />

Obergorpe, verheiratet war. Letztere heiratete nach <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> dieses ersten Mannes e<strong>in</strong>en Herrn<br />

von Haugwitz. <strong>Die</strong> Tante Haugwitz blieb <strong>in</strong> bei<strong>de</strong>n Ehen k<strong>in</strong><strong>de</strong>rlos. <strong>Die</strong> Großmutter Maries,<br />

Charlotte Wilhelm<strong>in</strong>e, besaß die Güter Kemnitz, Jerschke und Jelz. Durch die Kriegszeiten<br />

kamen die Güter sehr herunter. Thiele, <strong>de</strong>r im Jahre 1792 vom Kaiser Leopold <strong>in</strong> <strong>de</strong>n A<strong>de</strong>lsstand<br />

erhoben wor<strong>de</strong>n war und sich jetzt Thiele von Thielenfeld nennen konnte, verkaufte sie <strong>in</strong> Jahre<br />

1810 spottbillig und zog nach Lübben im Spreewal<strong>de</strong>, Dort geriet die <strong>Familie</strong> <strong>in</strong> größte Not, so<br />

daß die bei<strong>de</strong>n Töchter Henriette und Clement<strong>in</strong>e durch Sticken von weißen Klei<strong>de</strong>rn Geld<br />

verdienen mußten. - Im Jahre 1821 nahm die k<strong>in</strong><strong>de</strong>rlose Tante Haugwitz<br />

ihre Schwester Charlotte Wilhelm<strong>in</strong>e mit <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Töchtern Henriette, u. Clement<strong>in</strong>e, die später<br />

Maries Mutter wer<strong>de</strong>n sollte, zu sich nach Obergorpe. Von <strong>de</strong>n drei Söhnen waren zwei, Carl und<br />

Oscar, im Befreiungskriege gegen Napoleon als Offiziere geblieben, während <strong>de</strong>r jüngste<br />

Leopold, Jurist gewor<strong>de</strong>n war.<br />

Nach <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Tante Haugwitz erbten ihre bei<strong>de</strong>n<br />

Nichten Henriette und Clement<strong>in</strong>e je zur Hälfte Obergorpe<br />

(etwa 1200 Morgen groß, nahe bei Sagan). Henriette<br />

heiratete dann <strong>de</strong>n Major von Greiffenberg auf Gosda,<br />

während Clement<strong>in</strong>e sich 1826 mit Robert Wüsthoff<br />

verheiratete.<br />

Maries Mutter, Clement<strong>in</strong>e (geb. 29. Dezember 1797 <strong>in</strong><br />

Kemnitz, gest. 1875 <strong>in</strong> Halle/S.), heiratete e<strong>in</strong>ige Jahre nach<br />

<strong>de</strong>m To<strong>de</strong> ihres Mannes Robert Wüsthoff <strong>de</strong>n<br />

55


Lan<strong>de</strong>sältesten von Camurry. Marie berichtet <strong>in</strong> ihren Lebenser<strong>in</strong>nerungen über <strong>de</strong>n Stiefvater:<br />

„Wie unser Vater 4 Jahre tot war - ich zählte damals 12 Jahre, entschloss sich unsere Mutter, <strong>de</strong>m Baron v.<br />

Camurri die Hand zu reichen - wie sie sagte und glaube, um uns K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en Vater zu geben. Camurri<br />

hatte Forstfach studiert, es aber nie zu e<strong>in</strong>er Anstellung gebracht und lebte nun mit se<strong>in</strong>er Schwester Therese bei<br />

<strong>de</strong>m Stiefbru<strong>de</strong>r F<strong>in</strong>kenste<strong>in</strong> <strong>in</strong> Nie<strong>de</strong>rgorpe. Er


sehe ich mich genötigt, Sie mit e<strong>in</strong>er ergebenen Bitte zu behelligen.<br />

Der Kämmerer Hensig <strong>in</strong> Sagan hat von Görlitz aus 175 t. <strong>in</strong> Staatsschuldsche<strong>in</strong>en erhalten, die mir gehören;<br />

haben Sie bitte die Güte, sich diese e<strong>in</strong>händigen zu lassen, bei Wiesenthal so gut als es nach <strong>de</strong>m Cours geht,<br />

umzusetzen; nur von <strong>de</strong>m Betrage Montag <strong>de</strong>n 13 th . D. Vormittag 10 Uhr auf <strong>de</strong>m Land- u. Stadtgericht 92 t., <strong>in</strong><br />

me<strong>in</strong>em Namen, als Z<strong>in</strong>sen für das auf Gorb e<strong>in</strong>getragene Kapital gegen Quittung zahlen zu lassen. Das übrige<br />

Geld sowie die am 1. Januar an fällig gewesenen Coupons bitte ich, vorläufig behalten zu wollen, bis wir uns<br />

entwe<strong>de</strong>r hier o<strong>de</strong>r <strong>in</strong> Sagan sehen.<br />

Wir grüßen herzlich, nur mit <strong>de</strong>r Bitte me<strong>in</strong>e heutige Handschrift entschuldigen zu wollen,<br />

nenne ich mich mit echter Hochachtung<br />

Ihr ganz ergebener Freund<br />

O. Gorb d. 12/1. 1849 Bar. Camurry<br />

Lieber <strong>Herzfeld</strong>,<br />

nur diese paar Zeilen, me<strong>in</strong>e Frau reist Montag nach Sorau und wird <strong>Die</strong>nstagnachmittag gegen 4 Uhr im Ritter<br />

St. Georg e<strong>in</strong>en Augenblick nur anhalten, im Falle Sie Marie sehen wollen.<br />

Ihr aufrichtiger Freund Bar. Camurry<br />

O’ Gorb, <strong>de</strong>n 19. 1. 1849.<br />

Im Februar 1849 wur<strong>de</strong> Ludwig von se<strong>in</strong>em Freund Meyer aufgefor<strong>de</strong>rt, die Braut mit ihren Eltern<br />

<strong>in</strong> Glogau vorzustellen.<br />

Lieber <strong>Herzfeld</strong><br />

Soeben liegt mir e<strong>in</strong> Circular vor, welches zu e<strong>in</strong>er Donnerstag, <strong>de</strong>n 15ten Abend 7 Uhr <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Loge<br />

stattf<strong>in</strong><strong>de</strong>n<strong>de</strong>n musikalischen Abendunterhaltung nebst Soupé e<strong>in</strong>la<strong>de</strong>t.<br />

Vielleicht benutzt Du diese Gelegenheit, um De<strong>in</strong>e Braut mit ihren Eltern vorzustellen. Der Fastnachtsball wird<br />

wahrsche<strong>in</strong>lich erst En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Monats stattf<strong>in</strong><strong>de</strong>n.<br />

Für die Eltern De<strong>in</strong>er Braut dürfte die musikalische Soirée mehr Anziehen<strong>de</strong>s haben, und ich wür<strong>de</strong> Dir raten,<br />

diese Angelegenheit nicht unbenutzt vorübergehen zu lassen.<br />

Wahrsche<strong>in</strong>lich wer<strong>de</strong> ich En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Monats nach Berl<strong>in</strong> reisen und also nicht anwesend se<strong>in</strong>, wenn <strong>de</strong>r Ball<br />

gegeben wird, was mir wenigstens nicht angenehm wäre. Fasse daher schnell e<strong>in</strong>en Entschluß und eile zu uns.<br />

Es versteht sich von selbst, daß Du diesmal sowie <strong>in</strong> allen künftigen Fällen bei mir absteigst und wohnst. Me<strong>in</strong>e<br />

Frau hat bereits die Frem<strong>de</strong>nbetten im grünen Schlafsaal aufgerichtet, wo neben e<strong>in</strong>er angenehmen Aussicht,<br />

alle Bequemlichkeit für e<strong>in</strong>en verzogenen Junggesellen sich vere<strong>in</strong>igen.<br />

Neben <strong>de</strong>m Empfangssaal ist auch für e<strong>in</strong> grand befo<strong>in</strong> gesorgt. Cosmehl kann lei<strong>de</strong>r wohl nicht kommen, da die<br />

Zeit zu kurz ist, ihn zu benachrichtigen. Se<strong>in</strong>e Louise ist 8 Tage lang bei uns gewesen u. hat mit uns <strong>de</strong>n<br />

Eisenbahn-Beamten-Ball besucht. Sie hat uns gesagt, daß ihre Vermählung im Mai auf Cosmehls Andr<strong>in</strong>gen<br />

bestimmt stattf<strong>in</strong><strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>. An <strong>de</strong>rselben Stelle, wo sie ruhte, wird De<strong>in</strong> sorgenvolles Haupt sich künftig<br />

nie<strong>de</strong>rlegen. Scha<strong>de</strong>, daß De<strong>in</strong>e Braut nicht bei uns logieren kann. Das geht aber nicht, <strong>de</strong>nn das Schloß,<br />

welches <strong>de</strong>n grünen Salon von <strong>de</strong>m Empfangszimmer absperrt, und <strong>in</strong> welchem sie wohnen müßte, wür<strong>de</strong><br />

De<strong>in</strong>em <strong>Die</strong>trich nicht wi<strong>de</strong>rstehn ...<br />

Ich bitte mir, wenn irgend möglich, bis morgen Abend Antwort aus, weil ich, wenn Du nicht kommst,<br />

wahrsche<strong>in</strong>lich nicht gehen wer<strong>de</strong>, sonst aber noch Gäste e<strong>in</strong>la<strong>de</strong>n will. Me<strong>in</strong>e Frau wäscht - zum ersten Male,<br />

läßt aber trotz<strong>de</strong>m grüßen. Sonst nichts Neues.<br />

57


Gl. d. 13/2. 49<br />

De<strong>in</strong> treuer Freund Meyer<br />

Wir können davon ausgehen, daß Ludwig <strong>Herzfeld</strong> die freundliche E<strong>in</strong>ladung annahm.<br />

Herrn<br />

Ober Lan<strong>de</strong>s Gerichts Assessor<br />

frei, bald abzugeben,<br />

Sagan<br />

Hochverehrter Herr Assessor !<br />

Gewiß erwarten Sie etwas an<strong>de</strong>res als e<strong>in</strong>en Mahnbrief von mir und doch kann ich nicht umh<strong>in</strong>, Sie an e<strong>in</strong>, mir<br />

früher gegebenes Versprechen zu er<strong>in</strong>nern und zu bitten, daß sie morgen o<strong>de</strong>r doch übermorgen, als <strong>de</strong>n<br />

Montag, zu uns kommen, da Ihr Freund Chappuis hier ist. Er kam gestern zu me<strong>in</strong>er Freu<strong>de</strong> hierher und will <strong>de</strong>n<br />

Montag Abend nach Wahlstadt fahren, er hat <strong>de</strong>n Wunsch ausgesprochen Sie zu sehen, daher bitte ich Sie<br />

herzlich, machen Sie ihm die Freu<strong>de</strong>, wodurch Sie mich zur größten Dankbarkeit verpflichten wür<strong>de</strong>n.<br />

Me<strong>in</strong> Chappuis weiß nicht, daß ich Ihnen schreibe, sonst wür<strong>de</strong> er Sie gewiß grüßen lassen.<br />

Sollten Sie bereits Ihrem Fräule<strong>in</strong> Braut versprochen haben, <strong>de</strong>n morgen<strong>de</strong>n Tag bei ihr zu verleben, so erhalten<br />

Sie von ihr gewiß die Erlaubnis, übermorgen zu uns zu kommen. Empfehlen Sie mich ich ihr auf auf das<br />

Herzlichste. Mit <strong>de</strong>r Hoffnung ke<strong>in</strong>e Fehlbitte getan zu haben, muß ich schließen, und füge noch h<strong>in</strong>zu, daß Sie<br />

e<strong>in</strong> Nachtlager bei uns bereit f<strong>in</strong><strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Sollte Ihre Zeit es nicht erlauben zu kommen, was ich nicht fürchten<br />

will, dann erhalte ich wohl Antwort.<br />

Mit Hochachtung erlaube ich mich zu nennen<br />

Ihre<br />

Golgau <strong>de</strong>n 17ten Feb. 1849<br />

Freund<strong>in</strong><br />

Bertha Bail<br />

Im April 1849 läßt sich Ludwig <strong>Herzfeld</strong> als Königlicher Rechtsanwalt und Notar <strong>in</strong> Sprottau<br />

nie<strong>de</strong>r.<br />

58


Am 23. Oktober <strong>de</strong>sselben Jahres heiratet er „<strong>in</strong> aedibus privatis zu Obergorpe mit Dimissoriale durch <strong>de</strong>n Herrn<br />

Pastor Bock aus Glogau ... die Jungfrau Clement<strong>in</strong>e Marie Wüsthoff, älteste Tochter <strong>de</strong>s Verstorbenen<br />

Oekonomie-Kommissarius und Rittergutsbesitzer Herrn Robert Wüsthoff zu Obergorpe.“<br />

E<strong>in</strong> zeitgenössischer Bericht über die Hochzeit liegt uns nicht vor. 50 Jahre später am Tage <strong>de</strong>r<br />

G9l<strong>de</strong>nen Hochzeit er<strong>in</strong>nert sich die Schwester <strong>de</strong>r Braut, Agnes:<br />

„Was war das damals für e<strong>in</strong> Leben, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m sonst so stillen Dorfe und wie froh war das Brautpaar, als nach<br />

Überw<strong>in</strong>dung so mancher H<strong>in</strong><strong>de</strong>rnisse <strong>de</strong>r Hochzeitstag so herrlich schön anbrach ... Schwester Marie war <strong>de</strong>r<br />

Liebl<strong>in</strong>g aller <strong>in</strong> Obergorpe. Ich weiß es noch wie heut’ als sie nach <strong>de</strong>r Hochzeit <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Reisewagen e<strong>in</strong>stiegen,<br />

<strong>de</strong>r sie nach Sprottau br<strong>in</strong>gen sollte. Nicht nur wir, auch das ganze Dorf stand um <strong>de</strong>n Wagen und manche<br />

Abschiedsträne wur<strong>de</strong> verstohlen von <strong>de</strong>n gebräunten Wangen <strong>de</strong>r guten Obergorper Dorfgenossen abgewischt.“<br />

Kosmehl, <strong>de</strong>r alte Schulfreund, später Super<strong>in</strong>ten<strong>de</strong>nt <strong>in</strong> Görlitz, sang beim Morgenspaziergang<br />

o<strong>de</strong>r zum Abschied, die Zeitzeugen s<strong>in</strong>d sich da nicht e<strong>in</strong>ig, mit mächtiger Stimme „aus <strong>de</strong>m<br />

Wal<strong>de</strong>sgrün“:<br />

Wach auf du gol<strong>de</strong>nes Morgenroth und grüße me<strong>in</strong>e Braut,<br />

Daß sie <strong>de</strong>s Himmels Seligkeit <strong>in</strong> Rosenwölcken schaut,<br />

Wach auf, wach auf, und grüße me<strong>in</strong>e Braut!<br />

Ihr Frühl<strong>in</strong>gsrosen, geht zur ihr, ihr Engelsköpfchen fliegt,<br />

Daß ihr die Welt, wenn sie erwacht, <strong>in</strong> Rosenschimmer liegt.<br />

Ach du me<strong>in</strong> Herz, flieg h<strong>in</strong> zu ihr, sag ihr <strong>in</strong> diesem Lied,<br />

Wie all me<strong>in</strong> Glück an diesem Tag <strong>in</strong> Rosen aufgeglüht.<br />

60


Wir wissen nicht, wer von Ludwigs Geschwistern unter <strong>de</strong>n Gästen war, und ob <strong>de</strong>r Vater Jacob<br />

an <strong>de</strong>n Hochzeitsfeierlichkeiten teilnahm; vielleicht war er aus gesundheitlichen Grünen<br />

verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rt, <strong>de</strong>nn nicht ganz vier Monate später schied er <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> aus <strong>de</strong>m Leben.<br />

7 Der A<strong>de</strong>lsbrief bef<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich <strong>in</strong> Besitz von Ria <strong>Herzfeld</strong> Berl<strong>in</strong>.<br />

8) Er war später Justizrat <strong>in</strong> Frankfurt/O.<br />

9) Greiffenbergs<br />

.<br />

Das Schicksal <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> bis zu Jacobs<br />

Tod 1850<br />

Der Friedhof Schönhauser Allee<br />

Aus <strong>de</strong>m sich abzeichnen<strong>de</strong>n Scheitern <strong>de</strong>r bürgerlichen Revolution und <strong>de</strong>n mit ihr verbun<strong>de</strong>nen<br />

Hoffnungen auf Emanzipation, die <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re von <strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>n angestrebt wur<strong>de</strong>, hatte bereits<br />

im Herbst 1848 Ludwig <strong>Herzfeld</strong>s Schwager Joseph Josephson die Konsequenzen gezogen, er<br />

wan<strong>de</strong>rte zusammen mit se<strong>in</strong>em Bru<strong>de</strong>r Baer <strong>in</strong> die U.S.A. aus. <strong>Die</strong>sem Weg sollten <strong>in</strong> <strong>de</strong>n<br />

Monaten darauf noch viele Emigranten wie etwa <strong>de</strong>r im Zusammenhang mit <strong>de</strong>m geplanten<br />

Sturm auf das Neusser Zeughaus steckbrieflich gesuchte Joseph <strong>Herzfeld</strong>, <strong>in</strong> <strong>de</strong>ssen Vaterhaus<br />

auch Ferd<strong>in</strong>and Lassalle verkehrte, gehen.<br />

Joseph Josephson konnte <strong>in</strong> <strong>de</strong>n U.S.A. nur schwer Fuß fassen, so daß <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> Ludwigs<br />

Schwester Bertha mit ihren K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn völlig mittellos dastand. Wen<strong>de</strong>n wir uns nun <strong>de</strong>m Schicksal<br />

von Ludwigs <strong>Familie</strong> <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> zu:<br />

61


Lieber Ludwig,<br />

Du mußt entschuldigen, wenn ich Dich bitte mir die tlr., die es für das Kleid machte, noch bis zum Sonntag zu<br />

schicken, ich hatte sie mir von Herrn Nissen geborgt und ihm gesagt, daß ich sie ihm noch vor Weihnachten, zu<br />

welcher Zeit er das Geld braucht, zurückgeben wür<strong>de</strong>. Auch wür<strong>de</strong> ich Dich bitten, wenn es Dir irgend möglich ist,<br />

mir t2 1/3 tlr. zu schicken; ich möchte gern je<strong>de</strong>m von <strong>de</strong>n Unseren etwas schenken, damit <strong>de</strong>r Weihnachtsabend<br />

nicht so freudlos vergeht, auch muß ich me<strong>in</strong> <strong>Die</strong>nstmädchen beschenken.<br />

Ich hatte nur das Geld dazu bestimmt, und ich habe ke<strong>in</strong> an<strong>de</strong>res, sonst hätte ich Dich nicht belästigt.<br />

Von me<strong>in</strong>em Mann habe ich noch immer ke<strong>in</strong>en Brief, ich hoffe täglich e<strong>in</strong>en zu erhalten.<br />

Viele Grüße von Allen.<br />

Berl<strong>in</strong>, <strong>de</strong>n 22. Dezember 1848<br />

De<strong>in</strong>e Dich lieben<strong>de</strong> Schwester Bertha Josephson<br />

Lieber Ludwig<br />

Es tut mir leid, daß ich Dich belästigen muß und Dich bitten, das Geld, was Du <strong>de</strong>n Unserigen gibst, recht bald zu<br />

schicken, me<strong>in</strong> Geld ist nun völlig zu En<strong>de</strong>, da ich für Carl schon <strong>de</strong>n vorigen Monat ausgelegt habe, es hat auch<br />

diesen Monat noch nichts gegeben und ich habe diesen Monat beson<strong>de</strong>rs viel ausgegeben, da die Miete, <strong>de</strong>r<br />

Lohn für das Mädchen und ... an<strong>de</strong>re Ausgaben zum Neujahr waren. Du glaubst nicht, lieber Ludwig, wie<br />

unangenehm es ist, sich das Geld immer zu for<strong>de</strong>rn, da Gaben nehmen an sich schon etwas sehr Schmerzliches<br />

und Nie<strong>de</strong>rbeugen<strong>de</strong>s ist, ich wünschte, ich wäre im Stan<strong>de</strong> die Unserigen zu erhalten, ich wür<strong>de</strong> gar nicht von<br />

Nieman<strong>de</strong>m etwas for<strong>de</strong>rn. Es ist sehr schlimm, daß <strong>de</strong>r Vater sogar Nichts verdient und sie so gänzlich auf Euch<br />

angewiesen s<strong>in</strong>d, wenn auch erst noch e<strong>in</strong> paar Jahre vorüber waren, dann wird sich vielleicht je<strong>de</strong>s se<strong>in</strong> Bares<br />

selbst verdienen können. Wilhelm<strong>in</strong>e hatte es gewiß schon längst getan, aber sie muß doch <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren wegen<br />

im Hause bleiben. Im Februar hoffe wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en Brief von me<strong>in</strong>em Mann zu erhalten.<br />

Den 9ten Januar kam e<strong>in</strong> Brief von Bernhard an die Eltern, wobei mir me<strong>in</strong> Mann mitteilte, doch konnte er mir<br />

über se<strong>in</strong> Geschäft noch weiter nichts mitteilen, er läßt Dich grüßen, ich habe am 18ten wie<strong>de</strong>r an ihn<br />

geschrieben.<br />

62


<strong>Die</strong> Unsrigen .., auch ich grüße Dich und De<strong>in</strong>e liebe Braut viel mal.<br />

Berl<strong>in</strong>, <strong>de</strong>n 18. Januar 1849 De<strong>in</strong>e Dich lieben<strong>de</strong> Schwester<br />

Bertha Josephson<br />

Aber nicht nur Bertha trat als Bittsteller<strong>in</strong> auf, ebenso befand sich Carl <strong>in</strong> Geldnöten:<br />

Berl<strong>in</strong>, <strong>de</strong>n 15. Januar 1849<br />

Lieber Ludwig,<br />

so leid es mir tut, daß Du mir jetzt nicht mit Geld hast helfen können und so kritisch me<strong>in</strong>e Lage auch für <strong>de</strong>n<br />

Augenblick ist, da ich nun von Tag zu Tag me<strong>in</strong> Dase<strong>in</strong> friste, so habe ich doch (Vorne)haltungen getroffen, daß<br />

ich bis En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Monats die Sache halten kann. Ich rechne aber mit Bestimmtheit darauf, daß Du mir En<strong>de</strong><br />

dieses Monats o<strong>de</strong>r doch Anfang Februar mit <strong>de</strong>n restlichen 100 tlr. unter die Arme greifst. Wenn wir doch <strong>in</strong><br />

Californien wären am Fe<strong>de</strong>rflusse, wo es nichts als Gold gibt<br />

Berl<strong>in</strong>, <strong>de</strong>n 24. Januar 1849<br />

Lieber Ludwig,<br />

<strong>de</strong>r Tag <strong>de</strong>r Zahlung me<strong>in</strong>er Lebensversicherungsprämie rückt mit Riesenschritten heran und es ist mir bis jetzt<br />

nicht möglich gewesen, das mir Fehlen<strong>de</strong> aufzutreiben. Ich wen<strong>de</strong> mich daher noch e<strong>in</strong>mal an Dich mit <strong>de</strong>r Bitte,<br />

mir spätestens bis zum 30. o<strong>de</strong>r 31. Januar 100 tlr zu schicken, je<strong>de</strong>nfalls auch umgehend mir zu schreiben, ob<br />

ich solches erwarten darf.<br />

Berl<strong>in</strong>, <strong>de</strong>n 26.1.1849<br />

Lieber Ludwig,<br />

ich danke für die übersandten 50 tlr. Me<strong>in</strong>e Lage ist für jetzt e<strong>in</strong>e sehr trübe. Ich habe gegen 650 tlr. Honorar<br />

ausstehen, von welcher Summe ich trotz Mahnung bis jetzt sehr wenig e<strong>in</strong>bekommen habe. All me<strong>in</strong> Silberzeug,<br />

<strong>de</strong>r Schmuck <strong>de</strong>r Frau und me<strong>in</strong>e Uhr s<strong>in</strong>d versetzt wor<strong>de</strong>n, um die häuslichen Bedürfnisse und die Ausgaben zu<br />

Weihnachten und Neujahr zu bestreiten. Nun soll ich 150 tlr. für die Lebensversicherung zahlen. Ich habe durch<br />

ungeheure Mühe<br />

50 tlr. aufgetrieben, dazu von Dir 50 tlr. jetzt erhalten, b<strong>in</strong> also im Besitz von 100 tlr. Wo ich die letzten 50 tlr.<br />

hernehmen soll, weiß ich nicht, und wenn ich nicht bis zum 1. Februar bezahle verliere ich die alten E<strong>in</strong>zahlungen<br />

und me<strong>in</strong> Recht aus <strong>de</strong>r Versicherung. Ich wen<strong>de</strong> mich <strong>de</strong>shalb noch e<strong>in</strong>mal an Dich mit <strong>de</strong>r Bitte, mir bis zum<br />

31ten die qu. 50 tlr. o<strong>de</strong>r wieviel weniger Du irgend kannst zu schicken. Solltest Du nicht im Stan<strong>de</strong> se<strong>in</strong>, mir die<br />

ganzen 50 tlr., die mir fehlen, vorzuschießen, nun so muß ich allenfalls selbst nötigen Hausrat versetzen, wie<br />

wohl dies mir vor me<strong>in</strong>em <strong>Die</strong>nstpersonal im höchsten Gra<strong>de</strong> unangenehm wäre. Ich wür<strong>de</strong> mich beeilen, Dir <strong>in</strong><br />

<strong>de</strong>n nächsten Monaten das Vorgeschossene zurückzuerstatten, da ich im Februar, wenn ke<strong>in</strong>e Gel<strong>de</strong>r kommen<br />

63


<strong>de</strong>n Weg <strong>de</strong>r Klage und Beschwer<strong>de</strong> betreten will, wodurch ich hoffe bald Geld zu erhalten. Wenn Du also auch<br />

jetzt nicht sehr bei Kasse bist, so wür<strong>de</strong>st Du mir e<strong>in</strong>e große Verlegenheit ersparen und Dir vielleicht bis zum<br />

30ten noch etwas Geld <strong>in</strong> Sagan anschaffen können. Wenn Du <strong>de</strong>n Brief <strong>de</strong>n 30ten zur Post gibst, so erhalte ich<br />

ihn <strong>de</strong>n 3lten früh, und dies ist frühzeitig genug. Ist es aber Dir ganz unmöglich mir noch weiter zu helfen, was ich<br />

<strong>in</strong><strong>de</strong>ssen aus De<strong>in</strong>em Schreiben nicht unbed<strong>in</strong>gt annehmen kann, so gib mir unbed<strong>in</strong>gt Nachricht davon. Wenn<br />

ich irgend jemand hier <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> hätte, bei <strong>de</strong>m ich Kredit rechnen könnte, wür<strong>de</strong> ich Dich gewiß nicht <strong>in</strong> Anspruch<br />

nehmen. Du kannst also versichert se<strong>in</strong>, daß ich nichts mehr als die unerträglichsten Mittel hab, um mir Geld zu<br />

verschaffen.<br />

An Berthas prekärer f<strong>in</strong>anzieller Lage än<strong>de</strong>rte sich bis zum Frühjahr 1849 nichts.<br />

Lieber Ludwig!<br />

Schon eher hätten wir <strong>de</strong>n Brief De<strong>in</strong>er Braut beantwortet, doch wartete ich täglich auf e<strong>in</strong>en Brief von me<strong>in</strong>em<br />

Mann und wollte nicht eher schreiben, bis ich Dir dies anzeigen könnte, doch habe ich lei<strong>de</strong>r vergebens gewartet,<br />

<strong>de</strong>r Dampfer ist angekommen und hat mir ke<strong>in</strong>en Brief mitgebracht, ich muß nun noch wenigstens 14 Tage<br />

warten, da nur zweimal <strong>de</strong>s Monats Nachricht kommt, ich b<strong>in</strong> recht sehr besorgt, daß mich me<strong>in</strong> Mann diesmal so<br />

lange ohne Nachricht läßt, wenn nur nichts Schlimmes vorgefallen ist, sobald ich e<strong>in</strong>en Brief erhalte, wer<strong>de</strong> ich es<br />

Dir anzeigen. Man lebt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em fortwähren<strong>de</strong>n Bangen, wenn ich nur diese Zeit erst überstan<strong>de</strong>n hätte. Wenn es<br />

Dir möglich wäre, mir <strong>in</strong> diesem Monat etwas Geld zu schicken, wäre es mir sehr lieb, ich hatte gerechnet, von<br />

me<strong>in</strong>em Mann jetzt zu erhalten.<br />

Dorchen aus Prag läßt Dich grüßen, sie hat <strong>in</strong> diesen Tagen geschrieben, es geht ihr gut.<br />

Wir grüßen Dich alle vielmals.<br />

Berl<strong>in</strong>, <strong>de</strong>n 6ten März 1849 Bertha Josephson<br />

Lieber Ludwig!<br />

Gestern habe ich e<strong>in</strong>en Brief von me<strong>in</strong>em Mann erhalten, ich schicke ihn Dir und er hat mir diesmal ke<strong>in</strong> Geld<br />

schicken können, er wird es bei <strong>de</strong>m nächsten Brief schicken, ich bitte Dich daher um e<strong>in</strong>en Vorschuß, sobald<br />

das Geld von me<strong>in</strong>em Mann kommt, schicke ich es Dir zurück. Es fällt mir sehr schwer, Dich lieber Ludwig, zu<br />

belästigen, da ich weiß, daß Du selbst sehr knapp bei Geld bist, ich habe es auch me<strong>in</strong>em Mann, <strong>de</strong>m ich gestern<br />

schon Antwort geschrieben, mitgeteilt und ihn gebeten, mir sobald als möglich, das Geld zu schicken, daß ich es<br />

Dir wie<strong>de</strong>rgeben kann. Ich möchte Dich wenigstens um 50 tlr. bitten, da ich zum 1. April Miete und Lohn bezahlen<br />

muß, ich wür<strong>de</strong> Dich sehr bitten, wenn Du mir bald etwas schicken könntest, da ich auch gar ke<strong>in</strong> Geld mehr<br />

habe und Carl mir jetzt nichts geben kann. Ich hoffe En<strong>de</strong> April o<strong>de</strong>r Anfang Mai von me<strong>in</strong>em Mann zu erhalten<br />

und Du erhältst es dann bald, ich weiß, daß es Dir gewiß auch schwerfällt, aber ich habe hier Nieman<strong>de</strong>n, bei<br />

<strong>de</strong>m ich mir leihen könnte. Lieber Ludwig, ich bitte Dich, mir <strong>de</strong>n Brief von me<strong>in</strong>em Mann bald wie<strong>de</strong>r zu schicken.<br />

Wir grüßen Dich sowie De<strong>in</strong>e Braut vielmals.<br />

<strong>de</strong>n 14ten März 1849 De<strong>in</strong>e Dich lieben<strong>de</strong> Schwester Bertha Josephson<br />

Lieber Ludwig !<br />

64


De<strong>in</strong> Brief hat uns recht verstimmt, es ist doch sehr traurig, daß es uns Allen auf e<strong>in</strong>mal nicht gehen will, ich muß<br />

zusehen, wie ich mich diesen Monat durchschlage, vielleicht bekomme ich im Mai Geld von me<strong>in</strong>em Mann, ich<br />

habe alles versetzt was nur möglich war, das Bett hab ich bei allem Muß nicht verkaufen können, unter <strong>de</strong>r Hand<br />

kann man e<strong>in</strong>en solchen Gegenstand gar nicht loswer<strong>de</strong>n. Carl hat mir auf De<strong>in</strong>e 100 tlr. ke<strong>in</strong> Geld geben<br />

können, er sagt für <strong>de</strong>n Augenblick könnte er es Dir nicht zahlen. Mir war er etwas schuldig, darauf hat er mir<br />

etwas gegeben, für diesen Monat hat er <strong>de</strong>n Unserigen auch noch nichts geben können, er glaubt Mitte April Geld<br />

anzurechnen, das er ihnen geben will.<br />

Lieber Ludwig, ich bitte Dich sehr, wenn Du es nur möglich machen könntest, Du De<strong>in</strong> Teil, was Du ihnen gibst,<br />

schicken könntest, da sie nichts haben, was zu Geld gemacht wer<strong>de</strong>n kann, und wenn ich auch alles, was ich<br />

habe mit Freu<strong>de</strong>n teile, so habe ich ja lei<strong>de</strong>r so wenig, daß es lange nicht reicht. <strong>Die</strong> Miete ist noch nicht bezahlt<br />

und das ist doch etwas durchaus Notwendiges.<br />

Schreibe uns nur recht bald, wie es mit De<strong>in</strong>em Verhältnis steht, vielleicht än<strong>de</strong>rt es sich noch<br />

zum Guten. Das ist wohl e<strong>in</strong>e schlechte Rolle <strong>in</strong> Sprottau? 12)<br />

Schreib es uns nur.<br />

Wir grüßen Dich und De<strong>in</strong>e Braut, hoffentlich s<strong>in</strong>d die ihrigen wie<strong>de</strong>r gesund. Recht bald e<strong>in</strong>em Brief von Dir<br />

entgegen sehend,<br />

b<strong>in</strong> ich De<strong>in</strong>e Dich lieben<strong>de</strong> Schwester<br />

Bertha Josephson<br />

Berl<strong>in</strong>, <strong>de</strong>n 9ten April 1849<br />

Wann genau Bertha zusammen mit <strong>de</strong>n K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn ihrem Mann <strong>in</strong> die Vere<strong>in</strong>igten Staaten gefolgt, ließ sich bisher<br />

nicht genau ermitteln . Es wird vermutlich im Jahr 1850 gewesen se<strong>in</strong>. Joseph Josephson lebte nach <strong>de</strong>m To<strong>de</strong><br />

Berthas (vor 1876) im Haushalt se<strong>in</strong>es Sohnes Albert <strong>in</strong> Brooklyn:<br />

Albert Josephson 33 Prussia Fa. Hungary<br />

Stock Broker<br />

Flora Josephson (Wife) 22 KY Fa. Hungary<br />

Keep<strong>in</strong>g House<br />

Joseph Josephson 60 Prussia Fa. Prussia<br />

Stock Broker<br />

Bertha Josephson 9<br />

65


Der Tod <strong>de</strong>s Vaters<br />

Das Sterbeprotokoll ist uns überliefert:<br />

Berl<strong>in</strong> Amtsgericht Mitte<br />

Sterbefälle<br />

AS 5422 Seite 67 re Jg. 1850, Nr. 33<br />

Laut Verhandlung vom 5 ten März 1850<br />

vol. IV fol. 68 <strong>de</strong>r Acten, To<strong>de</strong>sfälle <strong>de</strong>r<br />

Ju<strong>de</strong>n betreffend, ist <strong>de</strong>r zur jüdischen Religionsgesellschaft<br />

<strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n gehörige Kaufmann<br />

Jacob <strong>Herzfeld</strong> am zwanzigsten Februar<br />

achtzehn hun<strong>de</strong>rt Fünfzig Nachts zwölf Uhr<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Alter von sieben und fünfzig Jahren<br />

am Blutbrechen hierselbst verstorben.<br />

E<strong>in</strong>getragen: Berl<strong>in</strong> am fünften März achtzenh<br />

hun<strong>de</strong>rt Fünfzig<br />

(gez.) Dittrich<br />

Richter<br />

(gez) Wen<strong>de</strong>l<br />

Protocollführer<br />

Vermutlich waren Bertha und die jüngeren Schwestern, vielleicht auch Carl und die<br />

Schwiegertochter Ida sowie die Enkelk<strong>in</strong><strong>de</strong>r anwesend als Jacob starb. Mit Sicherheit<br />

befan<strong>de</strong>n sich Carl, Louise und <strong>de</strong>r Sohn Albert <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>. Letzterer war es vielleicht, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />

Kaddisch, das jüdische Totengebet, über se<strong>in</strong>en Vater sprach:<br />

"Isgadal wiskadasch ... erhöht und geheiligt sei Se<strong>in</strong> Name im Weltall, das Er erschaffen hat<br />

nach Se<strong>in</strong>em Willen. Se<strong>in</strong> Reich komme, so lange euch Leben und Tag gegeben und beim<br />

Leben <strong>de</strong>s ganzen Hauses Israel..."<br />

66


Der kurze Trauerzug wird sich über <strong>de</strong>n Alexan<strong>de</strong>rplatz zum Friedhof Schöhauser Allee<br />

bewegt haben. - Gleich nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Leichnam <strong>in</strong>s offene Grab gelegt wor<strong>de</strong>n war,<br />

bestreute man ihn mit Erdklumpen. Wie<strong>de</strong>rum erklang <strong>de</strong>r Kaddisch, von e<strong>in</strong>em <strong>de</strong>r Söhne<br />

o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>em nahestehen<strong>de</strong>n männlichen Verwandten gesprochen.<br />

Im Juli <strong>de</strong>s darauf folgen<strong>de</strong>n Jahres ließ sich <strong>de</strong>r letzte von Jacobs männlichen Nachkommen,<br />

Albert Leopold <strong>Herzfeld</strong>, am 27. Januar 1851 <strong>in</strong> <strong>de</strong>r dicht bei <strong>de</strong>r alten Synagoge gelegenen<br />

Marienkirche taufen.<br />

ALBERT HERZFELD<br />

*24. 4. 1835 <strong>in</strong> Guhrau + 1862 im Skagerrak<br />

<strong>Die</strong> weiblichen Nachkommen blieben ansche<strong>in</strong>end – <strong>in</strong>zwischen ist diese Vermutung belegt – alle<br />

<strong>de</strong>m Ju<strong>de</strong>ntum verbun<strong>de</strong>n. Von drei Töchtern wissen wir mit Sicherheit, daß sie jüdische Männer<br />

67


geheiratet haben. Bertha <strong>de</strong>n Joseph Josephson, Louise William Falk, <strong>de</strong>r später <strong>in</strong> Wien<br />

ansässig war und Ida <strong>de</strong>n Leopold Oberwarth. Alw<strong>in</strong>e blieb ledig.<br />

Berthas Nachkommen <strong>in</strong> <strong>de</strong>n USA blieben jüdisch.<br />

Nach Mitteilung <strong>de</strong>r Israeltischen Kultusgeme<strong>in</strong><strong>de</strong> Wien ist „am 7. März Luise Falk, geb. am<br />

20.4.1833 <strong>in</strong> Gurau, Schlesien, an Gefäßkalkung gestorben und am 7. Mai 1917, William Falk, geboren am<br />

28. Sept. 1833 <strong>in</strong> Posen, damals Preussen, an Lungenentzündung. Bei<strong>de</strong> liegen auf <strong>de</strong>m alten Teil <strong>de</strong>r<br />

jüdischen Abteilung <strong>de</strong>s Wiener Zentralfriedhofs“.<br />

Auch <strong>in</strong> <strong>de</strong>r nachfolgen<strong>de</strong>n Generation wird <strong>de</strong>r Trend, dass die Frauen <strong>de</strong>m Ju<strong>de</strong>ntum<br />

verbleiben sichtbar. Der Sohn aus <strong>de</strong>r Ehe zwischen Luise und William Falk, <strong>de</strong>r am 25. Feb.<br />

1859 geborene Generalauditor He<strong>in</strong>rich Falk hat sich erst später römisch-katholisch taufen<br />

lassen. Se<strong>in</strong>e Schwester Hedwig, geb. 3. März 1861, war ebenfalls mit e<strong>in</strong>em Ju<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m<br />

Rechtsanwalt Josef Pick verheiratet. Sie starb am 3. Feb.1941. Sie ist im „Verzeichnis über das<br />

Vermögen von Ju<strong>de</strong>n nach <strong>de</strong>m Stand vom 27. April 1938“ zu f<strong>in</strong><strong>de</strong>n.<br />

Auf die <strong>Familie</strong>n Josephson und Falk wird weiter unter ausführlich e<strong>in</strong>gegangen.<br />

<strong>Die</strong> jüngste Tochter Jacobs, Ida Johanne, heiratete am 11.6.1867 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> Leopold<br />

Oberwarth. Bei<strong>de</strong> s<strong>in</strong>d auf <strong>de</strong>m jüdischen Friedhof <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>-Weißensee begraben.<br />

68


Wilhelm<strong>in</strong>e (* 18.8.1821 <strong>in</strong> Guhrau, gest. vor 1876 <strong>in</strong><br />

Brooklyn) wan<strong>de</strong>rte ansche<strong>in</strong>end zusammen mit<br />

ihrer Schwester Bertha <strong>in</strong> die U.S.A. aus. Bei ihr<br />

könnte es sich um die im Jahre 1851 im Berl<strong>in</strong>er<br />

Adressbuch aufgeführte Josephson, geb. <strong>Herzfeld</strong>,<br />

verw. Assessor, Oranienstr. 146 han<strong>de</strong>ln. Auch sie<br />

wird mit Sicherheit im Ju<strong>de</strong>ntum verblieben se<strong>in</strong>. Über<br />

ihr Schicksal ist uns kaum etwas bekannt. Lediglich<br />

Albert <strong>Herzfeld</strong> berichtet <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en „ Er<strong>in</strong>nerungen für<br />

K<strong>in</strong><strong>de</strong>r und Enkel“ (1929): „Im Jahre 1866 war me<strong>in</strong>es<br />

Vaters Schwester Wilhelm<strong>in</strong>e (aus Amerika) <strong>in</strong> Teplitz im Ba<strong>de</strong>.<br />

Sie floh mit allen Ba<strong>de</strong>gästen vor <strong>de</strong>r preußischen Armee, und<br />

zwar nach Sprottau. Der Eisenbahnverkehr muß also trotz <strong>de</strong>s<br />

Krieges ungestört gewesen se<strong>in</strong>. Sie kam <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Nacht an und<br />

fuhr mit <strong>de</strong>m Sprottauer Fuhrmann Stensch ... <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Nacht<br />

nach Mückendorf. Der Fuhrmann zog heftig an <strong>de</strong>r<br />

pneumatischen Kl<strong>in</strong>gel <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Halle, die von Anfang an nicht gekl<strong>in</strong>gelt hatte. Es war e<strong>in</strong>e von me<strong>in</strong>er Mutter arg<br />

verspottete Erf<strong>in</strong>dung... <strong>Die</strong> Kl<strong>in</strong>gel verstand zu wenig von Physik o<strong>de</strong>r die Abdichtung genügte nicht. Je<strong>de</strong>nfalls<br />

nahm die pneumatische Kl<strong>in</strong>gel auch <strong>in</strong> jener Nacht ke<strong>in</strong>e Rücksicht auf me<strong>in</strong>e Tante Wilhelm<strong>in</strong>e. Da es nicht<br />

kl<strong>in</strong>gelte fuhr Stensch nach Hause. <strong>Die</strong> Tante blieb bis zum Morgen auf <strong>de</strong>r Bank <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Halle sitzen.<br />

Glücklicherweise war es e<strong>in</strong>e warme Sommernacht. Am nächsten Morgen wur<strong>de</strong> sie durch das Hausmädchen<br />

ent<strong>de</strong>ckt und dabei festgestellt, daß sie nur hätte zu kl<strong>in</strong>ken brauchen, um die Tür zu öffnen. Auf 3 Seiten, von <strong>de</strong>r<br />

Halle, von <strong>de</strong>r Veranda und von <strong>de</strong>r Küche aus waren die Türen unverschlossen.“<br />

Bei e<strong>in</strong>em Besuch <strong>in</strong> Florenz suchte ich auch die Synagoge und das angeglie<strong>de</strong>rte Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>büro auf. Hier fand<br />

ich me<strong>in</strong>e These, daß sich nur die männlichen <strong>Herzfeld</strong>s taufen ließen und die weiblichen jüdisch blieben erneut<br />

bestätigt. Alw<strong>in</strong>e, die Schwester <strong>de</strong>s Ludwig <strong>Herzfeld</strong> , geboren am 8. Juli 1828 <strong>in</strong> Guhrau, sie war später<br />

Sprachlehrer<strong>in</strong> <strong>in</strong> Florenz, verstarb am. 23. Okt. 1919 und wur<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>m jüdischen Friedhof, Via Caciolle 13,<br />

Firenze Nova - Quadrato 5 - Fila III, Porto 8 begraben. Auf diesem Friedhof f<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich auch noch e<strong>in</strong> Toni<br />

<strong>Herzfeld</strong> (gest. 1914) und e<strong>in</strong> Maurice <strong>Herzfeld</strong>. <strong>Die</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> kolportierte Geschichte, Jacob <strong>Herzfeld</strong> habe<br />

e<strong>in</strong>en <strong>Familie</strong>nukas erlassen , <strong>de</strong>r es <strong>de</strong>n Töchtern untersagte, jüdisch zu heiraten, erweist sich als Fiktion.. Zwar<br />

blieb Alw<strong>in</strong>e ledig, aber Bertha, Louise und Ida haben Ju<strong>de</strong>n geheiratet.<br />

„Montag, 30. Juni 1997<br />

Ich fuhr heute zum jüdischen Friedhof, um Alw<strong>in</strong>es Grab aufzusuchen.<br />

Als ich die h<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>er großen Mauer und durch e<strong>in</strong> eisernes Tor gesicherte Anlage betrat, g<strong>in</strong>g e<strong>in</strong><br />

Regenschauer nie<strong>de</strong>r. <strong>Die</strong> Friedhofswärter<strong>in</strong>, die we<strong>de</strong>r Deutsch noch Englisch verstand, wohl selbst <strong>de</strong>n Regen<br />

scheuend, stattete mich mit e<strong>in</strong>em Regenschirm aus und wies mir <strong>de</strong>n Weg. Trotz langen Suchens, die Sonne<br />

kam wie<strong>de</strong>r hervor und brannte mir auf <strong>de</strong>n Buckel, konnte ich das Grab nicht f<strong>in</strong><strong>de</strong>n . Als mir e<strong>in</strong> Gärtner, <strong>de</strong>r<br />

überhängen<strong>de</strong> Äste von Feigenbäumen absägte, reife Früchte lagen zermatscht am Bo<strong>de</strong>n, auch ke<strong>in</strong>e Auskunft<br />

geben konnte, wandte ich mich Hilfe heischend <strong>in</strong> das Wärtelhaus zurück. Nun bequemte die Dame sich, <strong>in</strong> ihrer<br />

Kartei nachzusehen und mit <strong>de</strong>m Büro <strong>de</strong>r jüdischen Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> zu telefonieren, von <strong>de</strong>r me<strong>in</strong>e Angaben<br />

stammten, jedoch wur<strong>de</strong>n me<strong>in</strong>e Angaben nur bestätigt.<br />

Schließlich machte sie sich mit mir auf die Socken. Endlich wur<strong>de</strong> ich fündig(die Reihenangabe hatte nicht<br />

gestimmt) : E<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e, dünne Grabplatte aus Sandste<strong>in</strong>, <strong>de</strong>shalb bereits verwittert, die Oberfläche mit e<strong>in</strong>er<br />

69


leichten Moosschicht be<strong>de</strong>ckt, e<strong>in</strong> Namenszug nur schemenhaft erkennbar, lag auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n. Ich musste <strong>de</strong>r<br />

Versuchung wi<strong>de</strong>rstehen, sie <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Umhängetasche verschw<strong>in</strong><strong>de</strong>n zu lassen. Ich tastete mit <strong>de</strong>n F<strong>in</strong>gern die<br />

Buchstaben entlang, legte e<strong>in</strong> Blatt Papier darüber und fuhr mit e<strong>in</strong>em Bleistift über die grobe Fläche. Ke<strong>in</strong><br />

Zweifel - <strong>de</strong>r Name „<strong>Herzfeld</strong>“. Es han<strong>de</strong>lte sich um e<strong>in</strong> Armengrab, die Beerdigung hatte wohl die jüdische<br />

Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> ausgerichtet.“<br />

(Fußnote) - <strong>Die</strong>se <strong>Familie</strong>, <strong>in</strong> etlichen ihrer Zweige nicht unbetucht, hatte für ihre Toten, wie auch <strong>in</strong> Halle zu sehn ist, nur<br />

wenig übrig.<br />

Uns liegt e<strong>in</strong> Bericht <strong>de</strong>r Großnichte Dore <strong>Herzfeld</strong> (Schober) über ihren Besuch <strong>in</strong> Florenz aus <strong>de</strong>m<br />

Jahre 1906 vor:<br />

Nun kommt die italienische Reise dran. B<strong>in</strong> Vierteljahr vorher f<strong>in</strong><strong>de</strong>n wir <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Berlitz-Schule mit italienischem<br />

Unterricht an. Dann, wur<strong>de</strong> die Reiseroute zusammengestellt, die -Rundreisehefte besorgt, mit <strong>de</strong>n heutigen<br />

Preisen verglichen war diese Fahrt, alles 2.Klasse, lächerlich billig. E<strong>in</strong>es Mittags fuhr unser Zug ab, auf <strong>de</strong>m<br />

Bahnsteig trafen wir e<strong>in</strong>en von Vaters Kollegen, <strong>de</strong>r auf die Bekanntgabe unseres Reiseziels sagte "glückliche<br />

Jugend". Und er hatte recht, wir fuhren mit offenen Augen und bereit, das schönste <strong>in</strong> uns aufzunehmen, ab. <strong>Die</strong><br />

Reise verlief glatt, erst durch die lieblichen mittel<strong>de</strong>utschen Wäl<strong>de</strong>r, dann durch die Nacht und tags durch Tirol<br />

und über <strong>de</strong>n Brenner. <strong>Die</strong> schone Fahrt, die man so gerne noch e<strong>in</strong>mal wie<strong>de</strong>rholen möchte, jetzt - wo uns<br />

Deutschen die ganze Welt verschlossen ist ! Dann kamen die italienischen Berge, nur mit zartem Laubwald<br />

bestan<strong>de</strong>n, auch dort g<strong>in</strong>g es nach <strong>de</strong>n vielen Brennertunneln durch viele Tunnel h<strong>in</strong>durch und nach 28 Stun<strong>de</strong>n kamen wir <strong>in</strong> Florenz<br />

an, wo uns Tante Alw<strong>in</strong>e mit e<strong>in</strong>er Droschke abholte und durch die schönen Florenzer Straßen fuhr, aber nicht umh<strong>in</strong> konnte, mit<br />

<strong>de</strong>m Droschkenkutscher am Schluß e<strong>in</strong> uns ganz neues Han<strong>de</strong>ln um <strong>de</strong>n Preis zu beg<strong>in</strong>nen. Ihre Wohnung war am In<strong>in</strong>g*<br />

Arno, e<strong>in</strong>er Straße, die <strong>de</strong>n Arno begleitete und e<strong>in</strong>en schönen Ausblick auf <strong>de</strong>n Piassale Michel Angelo bot. Unser Schlafzimmer<br />

g<strong>in</strong>g auf e<strong>in</strong>en Lichthof und nachts hatten wir manchmal die Mäusle<strong>in</strong> an unseren Bettvorhängen spazieren, ließen uns aber<br />

nicht stören. T. Alw<strong>in</strong>e war schon 83 Jahre alt, aber ungewöhnlich rüstig und geistig frisch. Sie war Sprachlehrer<strong>in</strong> gewesen und<br />

kannte dadurch viele gute <strong>Familie</strong>n, <strong>in</strong> <strong>de</strong>nen sie noch verkehrte und <strong>in</strong> <strong>de</strong>ren Häuser wir nun auch gela<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>n. Ich verstand<br />

das Italienisch sehr gut und Tante Alw<strong>in</strong>e war entsetzt, als sie merkte, daß ich <strong>de</strong>n Bericht über e<strong>in</strong>e schwere Geburt, <strong>de</strong>n e<strong>in</strong>e Bekannte<br />

ihr gegeben hatte, ihr wörtlich übersetzen konnte. Wir lernten dort richtig, wie gut Olivenöl schmeckt und manche italienischen<br />

Gerichte kennen. Im Hause wohnte e<strong>in</strong> Künstler, <strong>de</strong>ssen Tochter Giorg<strong>in</strong>a Giorgi uns <strong>in</strong>- und hauptsächlich außerhalb Florenz<br />

führte und mit <strong>de</strong>r wir italienisch sprechen konnten. Wir hatten e<strong>in</strong>en guten -Plan entworfen, nach <strong>de</strong>m wir an <strong>de</strong>n kostenlosen<br />

Tagen die Museen gründlichst studierten und die Kirchen und alles Er<strong>de</strong>nkliche besichtigten. Wir sahen unendlich viel Schönes<br />

und lernten richtig sehen, wenigstens <strong>de</strong>nke ich das. Wir waren am 3. April abgefahren und kamen <strong>in</strong> <strong>de</strong>n schönsten Frühl<strong>in</strong>g,<br />

bald <strong>in</strong> sommerliches Wetter, so daß an <strong>de</strong>n Häusern bis <strong>in</strong> m<strong>in</strong><strong>de</strong>stens e<strong>in</strong> Stockwerk die Glyz<strong>in</strong>ien und Teerosen blühten. Im<br />

Auftrage von Vater und Mutter kauften wir e<strong>in</strong>e klassische Marmorfigur - i lottateri die R<strong>in</strong>ger, die später auf e<strong>in</strong>er dazu<br />

angefertigten Säule unseren "Salon zierte. Auch für uns erstan<strong>de</strong>n rir ;]e e<strong>in</strong>en K<strong>in</strong><strong>de</strong>rkopf aus Alabaster. In <strong>de</strong>n<br />

Schaufenstern lagen wun<strong>de</strong>rschöne Schmucksachen, auch auf .er berühmten Brücke "ponte recchio" waren sie <strong>in</strong><br />

w<strong>in</strong>zigen Auslagen zu sehen, aber dafür hatten wir lei<strong>de</strong>r :e<strong>in</strong> Geld. Ziemlich am En<strong>de</strong> unseres Aufenthaltes kam<br />

Frau Weber (Justizrät<strong>in</strong>) mit Tru<strong>de</strong> auch, nach Florenz, wir mochten sie eigentlich nicht recht, aber -Frau W. r ar dort so<br />

nett, daß wir gern mit ihr e<strong>in</strong>en Droschkenausflug nach <strong>de</strong>r Gertosa machten, e<strong>in</strong>em Kloster lieblich auf e<strong>in</strong>em, Hügel<br />

gelegen.<br />

70


e<strong>in</strong>e -Bekannte von Tante Alw<strong>in</strong>e lud uns zu e<strong>in</strong>er Fahrt m eigenen Wagen zum Korso <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Casc<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>. B<strong>in</strong><br />

liebliches Wäldchen, durch das e<strong>in</strong>e breite Fahrbahn führte, auf <strong>de</strong>r die "mondäne Welt" sich an bestimmten<br />

Tagen nachmittags auf diese Weise e<strong>in</strong> Stelldiche<strong>in</strong> ab. Mit Griorg<strong>in</strong>a waren wir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em antiken Amphitheater, auf<br />

<strong>de</strong>r Fahrt <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Elektrischen/Lernten wir e<strong>in</strong>en Nürnberger Ingenieur kennen, <strong>de</strong>r me<strong>in</strong>te, uns sofort als Deutsche<br />

erkannt zu haben» es sollte e<strong>in</strong>e Schmeichelei e<strong>in</strong>. Im allgeme<strong>in</strong>en wur<strong>de</strong> man lieber für e<strong>in</strong>en Auslän<strong>de</strong>r gehalten,<br />

das heißt, e<strong>in</strong>er an<strong>de</strong>ren Nation angehörig, weil die Deutschen damals <strong>in</strong> <strong>de</strong>m Ruf stan<strong>de</strong>n, <strong>in</strong> <strong>de</strong>n<br />

unangebrachtesten Kostümen, mit Hucksack und Nagelschuhen o.a. <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Galerien und Hotels aufzutauchen und<br />

somit ihr Vaterland <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren schlecht vertraten.<br />

Tante Alp<strong>in</strong>e hatte e<strong>in</strong> altes Mädchen, die schon "Jahr-zehnte bei ihr war, Maria, die gut kochte und wenig aufräumte.<br />

In <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> <strong>in</strong> Halle wur<strong>de</strong> gesagt, Tante Alw<strong>in</strong>e hätte erzählt, da wür<strong>de</strong> behauptet, <strong>in</strong> Italien sei man. nicht sauber,<br />

aber sie wüsche ihre Gard<strong>in</strong>en alle 8 Jahre. Das Wohnzimmer war trotz<strong>de</strong>m sehr gemütlich mit altertümlich<br />

geschnitzten, dunklen wenigen Möbeln und Blumen. - Beson<strong>de</strong>rs gut schmeckten uns weiße Bohnen, die beim<br />

Verzehren mit Olivenöl übergossen ir<strong>de</strong>n, und gebratenes Fleisch mit Tunke, was für welches, weiß ich nicht mehr.<br />

<strong>Die</strong> Küche war ganz altertümlich mit e<strong>in</strong>em Rauchfang über <strong>de</strong>m großen Herd, wie im Märchen. Oben h<strong>in</strong>gen<br />

merkwürdige Gebil<strong>de</strong>, die uns zum Lachen reizten, beson<strong>de</strong>rs als Tante Alw<strong>in</strong>e von <strong>de</strong>m e<strong>in</strong>en behauptete, es sei<br />

e<strong>in</strong>e luftgetrocknete Zunge. Unser Lachen veranlaßte sie wohl, uns die Güte ihrer Ware zu zeigen und die Zunge<br />

wur<strong>de</strong> 48 Stun<strong>de</strong>n <strong>in</strong> Wasser gelegt und lange gekocht. Dann schmeckte sie allerd<strong>in</strong>gs <strong>de</strong>likat.<br />

Das Klo war ganz altmodisch "zum Durchfallen" von oben bis unten, es hatte e<strong>in</strong>en weißen Marmorsitz, auf <strong>de</strong>m<br />

e<strong>in</strong> Strohr<strong>in</strong>g lag, weil <strong>de</strong>r Marmor natürlich viel zu ka1t war. E<strong>in</strong>es Tages wur<strong>de</strong>n unten die Wässer (o<strong>de</strong>r sonst<br />

was?) gere<strong>in</strong>igt und das Klo durfte nicht benutzt wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>shalb führte uns Tante Alw<strong>in</strong>e zu e<strong>in</strong>em Arzt, Dr.<br />

Vonzetti - Junggeselle auch noch -, bei <strong>de</strong>m wir das Klo al'<strong>in</strong>ghlese - englisch - benutzen durften, das e<strong>in</strong>e<br />

normale Wasserspülung hatte. Das war wohl <strong>in</strong> Florenz aber noch nicht so verbreitet. Er wur<strong>de</strong>n also<br />

verschie<strong>de</strong>ntlich e<strong>in</strong>gela<strong>de</strong>n zum Tee mit herrlichem Kuchen, e<strong>in</strong>mal zum Abendbrot, wo es Spargel gab. Dort<br />

wer<strong>de</strong>n die Spargel nicht geschält, <strong>de</strong>shalb faßt man das En<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>n F<strong>in</strong>gern an, taucht e<strong>in</strong>e Spitze <strong>in</strong> Olivenöl<br />

und ißt nur so viel, wie von <strong>de</strong>m Stengel zart ist. Er schmeckt "wie e<strong>in</strong> Gedicht".<br />

15. Mai wur<strong>de</strong>n wir <strong>in</strong> Wien erwartet und wollten eigentlich gern alle<strong>in</strong> nach Venedig fahren. Tante Alw<strong>in</strong>e<br />

wollte aber mit e<strong>in</strong>er alten Bekannten uns begleiten, weil es angeblich <strong>in</strong> Italien für junge Mädchen schicklich<br />

war, alle<strong>in</strong> zu reisen. Wir waren von <strong>de</strong>m Plan nicht sehr begeistert und ließen sie es wohl auch etwas merken, was<br />

ja nicht sehr nett von uns war. So fuhren wir also zusammen los und lan<strong>de</strong>ten auf <strong>de</strong>m Bahnhof <strong>in</strong> Venedig, von <strong>de</strong>m<br />

man schnell an e<strong>in</strong>en Kanal kam, auf <strong>de</strong>m lustig die Gon<strong>de</strong>ln schaukelten, <strong>de</strong>ren Gondolieri<br />

laut und wortreich zum Mitfahren auffor<strong>de</strong>rten. Tante Alw<strong>in</strong>e han<strong>de</strong>lte e<strong>in</strong> bißchen, wir "gon<strong>de</strong>lten" los und<br />

wollten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ihr als billig und gut bekannten Pension nächtigen. Vorbei g<strong>in</strong>g es an alten Häusern und<br />

Palästen, unter <strong>de</strong>r Rialtobrücke h<strong>in</strong>durch und so fort, l<strong>in</strong>ks lag <strong>de</strong>r Markusplatz mit <strong>de</strong>m Dogenpalast, aber wir<br />

fuhren wer weiß woh<strong>in</strong> und es dunkelte schon, bis wir ausstiegen. Tante Alw<strong>in</strong>e zog an e<strong>in</strong>em alten Hause unten<br />

an e<strong>in</strong>em Kl<strong>in</strong>gelzug, aber niemand öffnete, und so mußten wir mit <strong>de</strong>r Gon<strong>de</strong>l, die vorsichtshalber gewartet hatte,<br />

zu e<strong>in</strong>er unbekannten Pension fahren, die nun gar nicht billig war. Sie war sehr hübsch gelegen und A..M. and ich<br />

fühlten uns sehr wohl, wir fan<strong>de</strong>n sie mit <strong>de</strong>n weißen Möbeln sehr elegant e<strong>in</strong>gerichtet. Nun zogen wir am nächsten<br />

Tag los, Tante Alw<strong>in</strong>e <strong>in</strong>teressierte sich glücklicher Weise nicht für ihr längst bekannte Kirchen und Paläste und so<br />

71


esichtigten wir alle<strong>in</strong> die Kirche Maria <strong>de</strong>lla Salute, die Markuskirche, <strong>de</strong>n Dogenpalast usw. und schlen<strong>de</strong>rten<br />

auf <strong>de</strong>n schmalen Gäßchen herum, die nur zum Gehen e<strong>in</strong>gerichtet waren. Damals war gra<strong>de</strong> <strong>de</strong>r berühmte<br />

Campa-nile-Glockenturm auf <strong>de</strong>m Markusplatz e<strong>in</strong>gestürzt und sollte erst wie<strong>de</strong>r aufgebaut wer<strong>de</strong>n. Alles war<br />

eigenartig und vieles überwältigend schön, noch dazu im Sonnensche<strong>in</strong> mit strahlend blauem Himmel. Mittags<br />

trafen wir uns, auch wohl meist zum Aben<strong>de</strong>ssen im "Gavaletto", e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en sehr bekannten Restaurant <strong>in</strong><br />

<strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>s Markusplatzes. Tante Alw<strong>in</strong>e hatte <strong>in</strong> .Florenz stets gesagt, Butter äße man <strong>in</strong> Italien nicht und als<br />

A.M. nun mal Butter (wozu weiß ich nicht mehr) bestellt hatte und Tante Alw<strong>in</strong>e sagte, bitte, gib mir doch etwas<br />

Butter, sagte Annemarie, die sehr spitz se<strong>in</strong> konnte: loh <strong>de</strong>nke, <strong>in</strong> Italien ißt man ke<strong>in</strong>e Butter. Damit und mit<br />

noch an<strong>de</strong>rem hatten wir sie offenbar so gekränkt, daß sie es aufgab, für unsere Tugend besorgt zu se<strong>in</strong>. Es war<br />

auch nicht nett von uns, <strong>de</strong>nn sie hatte In <strong>de</strong>n 6 Wochen wirklich gut für uns gesorgt, aber brieflich hat sie uns<br />

nichts entgelten lassen.<br />

E<strong>in</strong>es Tages fuhren wir zum Lido, hatten aber lei<strong>de</strong>r ke<strong>in</strong>en -Ba<strong>de</strong>anzug, <strong>de</strong>n hätten wir uns ,ja leihen können. Es war<br />

aber ke<strong>in</strong>e Ba<strong>de</strong>zeit und wir wären die E<strong>in</strong>zigen gewesen, die von <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Gästen aus <strong>de</strong>n Glasveran<strong>de</strong>n<br />

hätten kritisiert wer<strong>de</strong>n können, und das genierte uns, ,so kamen wir um <strong>de</strong>n ersehnten Genuß! - Als wir <strong>in</strong><br />

unserer Pension die teure Rechnung beglichen, kam Tante Alw<strong>in</strong>e empört zu uns, ihr hätten sie noch e<strong>in</strong><br />

Nachtgeschirr auf die Rechnung gesetzt, wo sie doch nie e<strong>in</strong>s benutzte! Das gab ihr <strong>de</strong>n Rest. - Wir<br />

verabschie<strong>de</strong>ten uns von <strong>de</strong>n 2 alten Damen und zogen alle<strong>in</strong> zum Dampfer, <strong>de</strong>r um Mitternacht <strong>in</strong> See stach...<br />

Der Friedhof an <strong>de</strong>r Schönhauser Allee<br />

Der Jüdische Friedhof an <strong>de</strong>r Schönhauser Allee ist e<strong>in</strong>e <strong>de</strong>r schönsten und stimmungsvollsten<br />

Begräbnisstätten, die ich kenne. Vor vier Jahren hatte ich ihn zum erstenmal betreten, um das<br />

Grab me<strong>in</strong>es Urururgroßvaters Jacob <strong>Herzfeld</strong> zu suchen.<br />

Dichtes Unterholz, das die Gräber überwucherte, umgestürzte o<strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> versunkene<br />

Ste<strong>in</strong>e, unleserliche Inschriften auf porösen Sandste<strong>in</strong>flächen erschwerten das Unterfangen.<br />

Auch bei me<strong>in</strong>en späteren Besuchen, zwar war das Unterholz <strong>in</strong>zwischen etwas gelichtet und<br />

etliche Grabste<strong>in</strong>e waren restauriert, hatte ich ke<strong>in</strong> G1ück. Ebenso blieben die Verzeichnisse <strong>de</strong>r<br />

Gräber, trotz e<strong>in</strong>es überraschen<strong>de</strong>n Fun<strong>de</strong>s im Heizungskeller <strong>de</strong>s Friedhofs Weißensee, für die<br />

betreffen<strong>de</strong>n Jahre verschollen.<br />

Nun machte ich mich wie<strong>de</strong>r - e<strong>in</strong>hun<strong>de</strong>rtneununddreißig Jahre nach <strong>de</strong>r Beisetzung Jacobs - auf<br />

<strong>de</strong>n Weg zur Schönhauser.<br />

72


E<strong>in</strong>ige Tage nach Ostern hatte mich e<strong>in</strong> Brief <strong>de</strong>s Schriftstellers Gerd Kern erreicht: Er hatte<br />

Jacobs letzte Ruhestätte gefun<strong>de</strong>n. <strong>Die</strong> Nachricht erregte mich, und so setze ich mich an me<strong>in</strong>em<br />

ersten freien Tag im Monat Mai <strong>in</strong> Hamburg <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Zug Richtung Berl<strong>in</strong>,<br />

Kaum am Bahnhof Zoologischer Garten e<strong>in</strong>getroffen, verstaute ich me<strong>in</strong> Gepäck im Schließfach<br />

und fuhr mit <strong>de</strong>r S-Bahn zum Grenzübergang Friedrichstraße. Menschenschlangen - Warten -<br />

Paß- und Zollkontrolle ... Weiter mit <strong>de</strong>r S-Bahn - am Alexan<strong>de</strong>rplatz umgestiegen <strong>in</strong> die U-Bahn -<br />

geht’s zum Friedhof an <strong>de</strong>r Schönhauser.<br />

Ich passiere das mir <strong>in</strong>zwischen gut bekannte Tor aus Eisengitterstäben. Be<strong>de</strong>cke das Haupt, die<br />

Leihgabe <strong>de</strong>s Friedhofswärters verschmähend, mit me<strong>in</strong>er Jerusalemer Kipa.<br />

Gleich neben <strong>de</strong>m E<strong>in</strong>gang, wo sich jetzt die Ge<strong>de</strong>nkstele für die Opfer <strong>de</strong>r<br />

nationalsozialistischen Vernichtung erhebt, befand sich e<strong>in</strong>st die vom Architekten Johann<br />

Hoen<strong>in</strong>ger entworfene Feier- und Leichenhalle.<br />

"Hier erfolgt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em geson<strong>de</strong>rten Raum die rituelle Waschung <strong>de</strong>s Toten (Tahara). Dazu wird <strong>de</strong>r Leichnam<br />

entklei<strong>de</strong>t und auf e<strong>in</strong>em Marmortisch durch begießen mit warmen Wasser gere<strong>in</strong>igt. Als Begründung bezieht<br />

man sich auf <strong>de</strong>n Ausspruch von Juda hachassid (im 12. Jahrhun<strong>de</strong>rt <strong>in</strong> Speyer lebend): 'Der Mensch wird bei <strong>de</strong>r<br />

Geburt gewaschen und ist re<strong>in</strong>. Darum soll er auch nach se<strong>in</strong>em Ableben geba<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n.' Anschließend wer<strong>de</strong>n<br />

die Haare gekämmt und <strong>de</strong>r Leiche die vorschriftsmäßig gefertigten Sterbegewän<strong>de</strong>r (Tachrich<strong>in</strong>) angelegt. <strong>Die</strong>se<br />

bestehen für alle Verstorbenen unterschiedslos aus e<strong>in</strong>em weißen Hemd, Be<strong>in</strong>kleid und Kopfbe<strong>de</strong>ckung. <strong>Die</strong>se<br />

aus Le<strong>in</strong>en gefertigte Kleidung soll nach <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> alle sozialen Unterschie<strong>de</strong> auslöschen und gleichzeitig<br />

Re<strong>in</strong>heit und E<strong>in</strong>fachheit symbolisieren. Männer wer<strong>de</strong>n außer<strong>de</strong>m <strong>in</strong> ihren Gebetsmantel (Tallit), <strong>de</strong>n sie zu<br />

Lebzeiten immer <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Synagoge anlegten, gehüllt, von <strong>de</strong>m aber zuvor die Schaufä<strong>de</strong>n (Zizit) entfernt wur<strong>de</strong>n.<br />

Anschließend legt man die Leiche <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>fachen Sarg (Aron). Dabei wird unter <strong>de</strong>n Kopf <strong>de</strong>s Verstorbenen<br />

e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Beutel mit Er<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>m Heiligen Land gelegt, damit so auch <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Diaspora die Heimkehr <strong>in</strong> die Er<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Vorväter ausgedrückt wird.<br />

73


<strong>Die</strong> Aufbahrung <strong>de</strong>s geschlossenen Sarges erfolgt <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Trauerhalle <strong>de</strong>s Friedhofes. Zur Ehre <strong>de</strong>s Toten und zur<br />

Tröstung <strong>de</strong>r H<strong>in</strong>terbliebenen wird e<strong>in</strong>e kurze Leichenre<strong>de</strong> (Hessped) gehalten. Dazu spricht <strong>de</strong>r Kantor o<strong>de</strong>r<br />

Rabb<strong>in</strong>er bestimmte Gebete (u.a. El mole rachamim ... Gott, Du bist voll Erbarmen ! ...). Unter <strong>de</strong>m Geleit <strong>de</strong>r an<br />

<strong>de</strong>r Feierlichkeit Teilnehmen<strong>de</strong>n wird dann <strong>de</strong>r Sarg zum Orte <strong>de</strong>r Beisetzung (Lewaja) getragen und dreimal<br />

abgesetzt, Dabei sprechen <strong>de</strong>r Rabb<strong>in</strong>er o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Kantor und die Begleiten<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n 91. Psalm ('Wer wohnt im<br />

Schutze <strong>de</strong>s Höchsten ...) Nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Sarg <strong>in</strong> die Gruft abgesenkt wur<strong>de</strong>, werfen alle Teilnehmer nache<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r<br />

drei Schaufeln Er<strong>de</strong> <strong>in</strong> die Grube und sagen 'Ki afar atta w'el afar taschuw' - 'Von Staub bist Du und zum Staub<br />

kehrst Du zurück . 1<br />

Ich nehme an, daß die hier geschil<strong>de</strong>rten Vorbereitungen für die Beisetzung Jacobs im Jahre<br />

1850 noch <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Wohnung Grenadierstraße vorgenommen wur<strong>de</strong>n.<br />

Dicht neben <strong>de</strong>r erwähnten Ge<strong>de</strong>nkstele f<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich das Erbbegräbnis <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> Landshoff o<strong>de</strong>r<br />

Levy, gemeißelt auf schwarzen Granit begegnet uns hier zuerst <strong>de</strong>r Name <strong>Herzfeld</strong>:<br />

Jonas <strong>Herzfeld</strong>, geb. 25. 6. 1817, gest. 21. 12. 1878 Nathalie <strong>Herzfeld</strong>, geb. Landshoff, geb. 13.1.1820, gest. 27. 2. 1877.<br />

Ob e<strong>in</strong>e verwandtschaftliche Beziehung zu unserer <strong>Familie</strong> besteht, weiß ich nicht zu sagen.<br />

Nicht weit von dieser Grabstelle bef<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich <strong>de</strong>r Ste<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Anna <strong>Herzfeld</strong> geb. Caro, geb. 9.7.<br />

1851, gest. 6.11. 1879.<br />

Ich biege nach l<strong>in</strong>ks auf <strong>de</strong>n parallel zur Schönhauser Allee verlaufen<strong>de</strong>n Hauptweg e<strong>in</strong>, <strong>de</strong>r von<br />

<strong>de</strong>n wie<strong>de</strong>rhergestellten Grabmälern <strong>de</strong>r Ehrenreihe geschmückt wird.<br />

Vorbei an <strong>de</strong>r Ruhestätte <strong>de</strong>s Rabb<strong>in</strong>ers Jacob Joseph Oett<strong>in</strong>ger (1780 bis 1860), <strong>de</strong>r 1844<br />

Bertha <strong>Herzfeld</strong> mit Joseph Josephson traute, <strong>de</strong>r vielleicht auch unseren Jacob auf se<strong>in</strong>em<br />

letzten Weg begleitete, und am Doppelgrab <strong>de</strong>r befreun<strong>de</strong>ten liberalen Politiker Eduard Lasker<br />

(1829 - 1884) und Ludwig Bamberger (1823-1899). Der Blick fällt auf das Grab Ludwig Geigers<br />

(1848-1919), <strong>de</strong>s be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Literaturhistorikers, und die Gräber von A<strong>de</strong>lheid Zunz (1802 -<br />

1874), <strong>de</strong>ren Salon fast e<strong>in</strong> halbes Jahrhun<strong>de</strong>rt lang <strong>de</strong>m <strong>in</strong>tellektuellen jüdischen Berl<strong>in</strong> das<br />

1 Alfred Etzold, Joachim Fait u.a. (Hersg.), Jüdische Friedhöfe <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, Berl<strong>in</strong> 1987, S.16.<br />

74


Gepräge gab, und Dr. Leopold Zunz (1794-1886), <strong>de</strong>m Begrün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Wissenschaft vom<br />

Ju<strong>de</strong>ntum. - In <strong>de</strong>n 30er Jahren <strong>de</strong>s vergangenen Jahrhun<strong>de</strong>rts verkehrte im Hause Zunz<br />

freundschaftlich <strong>de</strong>r spätere braunschweigische Lan<strong>de</strong>srabb<strong>in</strong>er und Wirtschaftshistoriker Levy<br />

<strong>Herzfeld</strong>, <strong>de</strong>r Zunz auch se<strong>in</strong>e Dissertation 'Chronologia judicum et primorum regum hebraeorum'<br />

widmete. A<strong>de</strong>lheid Zunz ("liebe Frau Doctor<strong>in</strong>") vertraute er se<strong>in</strong>e großen und kle<strong>in</strong>en Sorgen an.<br />

Weiter bewege ich mich zur nördlichen Friedhofsbegrenzung, um e<strong>in</strong>en Blick auf <strong>de</strong>n<br />

Grabste<strong>in</strong>sockel - die Platte ist verschwun<strong>de</strong>n 2 nur e<strong>in</strong>e Aufnahme <strong>de</strong>s Grabes , die aus <strong>de</strong>n 20er<br />

Jahren dieses Jahrhun<strong>de</strong>rts stammt, existiert noch - e<strong>in</strong>es Mannes zu werfen, <strong>de</strong>r ebenfalls<br />

se<strong>in</strong>en Platz <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Ehrenreihe hätte f<strong>in</strong><strong>de</strong>n sollen: Dr. Jeremias Jacob Wolff, geb. am 3. 2. 1759<br />

<strong>in</strong> Harzgero<strong>de</strong>, promovierte am 8.3.1780 <strong>in</strong> Gött<strong>in</strong>gen zum Dr. med., 1782 erhielt er se<strong>in</strong>e<br />

Approbation für Berl<strong>in</strong>. 3 In Nachfolge von Marcus Herz wur<strong>de</strong> er 1803 zum Leiter <strong>de</strong>s<br />

2 Bei me<strong>in</strong>em Besuch im Oktober 1989 auf <strong>de</strong>m Friedhof habe ich Teile <strong>de</strong>r Platte gefun<strong>de</strong>n,<br />

3 In <strong>de</strong>n Gött<strong>in</strong>ger Universitätsmatrikeln wird Jeremias Jacob Wolff als 'Offenbachiensis’ bezeichnet. Se<strong>in</strong> Vater<br />

Jacob <strong>Herzfeld</strong> wird unter <strong>de</strong>n Offenbacher Subscribenten <strong>de</strong>r Men<strong>de</strong>lssohnschen Bibelübersetzung aufgeführt.<br />

75


Jüdischen Krankenhause bestellt und später zum Geh. Hofrat ernannt. Er starb am 4. 7. 1833.<br />

Se<strong>in</strong> Vater Jacob <strong>Herzfeld</strong> (Herzveldt), Sohn <strong>de</strong>s Arztes Issachar Beer aus Heizfeld<br />

(Heid<strong>in</strong>gsfeld), war während <strong>de</strong>s 7jährigen Krieges vorübergehend nach Harzgero<strong>de</strong> geflüchtet<br />

und hatte sich zwei Jahre später e<strong>in</strong>ige Zeit <strong>in</strong> Offenbach und Amsterdam aufgehalten.<br />

Er starb hochbetagt am 5.11.1794 und wur<strong>de</strong>, wie bereits oben erwähnt, auf <strong>de</strong>m Friedhof Große<br />

Hamburger Straße bestattet. Se<strong>in</strong>e Tochter Recha, die Schwester von Dr. Jeremias Wolff, war<br />

mit Abraham Schlochau verheiratet. 4<br />

Rechter Hand davon bef<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich das Feld D. In <strong>de</strong>r Nahe <strong>de</strong>r Ruhestätte <strong>de</strong>s Leutnants<br />

Hermann Hirsch, außer Major Burg <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>zige jüdische Offizier auf <strong>de</strong>m Friedhof Schönhauser<br />

Allee, stoße ich auf das Doppelgrab <strong>de</strong>s Kaufmanns Elias <strong>Herzfeld</strong>, geb. am 11. Feb. 1787, gest.<br />

24. Jan. 1865 od. 67 und se<strong>in</strong>er Ehefrau Henriette geb. Behrend (an an<strong>de</strong>rer Stelle 'Baer'<br />

geschrieben). Henriette war am 28. August 1800 geboren wor<strong>de</strong>n und starb "am 8. März 1863<br />

um acht Uhr abends im Alter von 62 Jahren an Entkräftung“. 5<br />

Elias und Henriette stammten aus Nordhausen, das nicht allzu weit von Harzgero<strong>de</strong> entfernt liegt.<br />

<strong>Die</strong> Tochter Ida hatte 1848 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> <strong>de</strong>n aus Hannover stammen<strong>de</strong>n Jacob Cohn geheiratet.<br />

E<strong>in</strong>ige Tage vor Elias war (vermutlich) se<strong>in</strong> Sohn "Robert <strong>Herzfeld</strong> aus Nordhausen ... am 19.<br />

Januar 1867 um sechs e<strong>in</strong> Viertel Uhr abends <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Alter von 33 Jahren an <strong>de</strong>r Abzehr<br />

4 Vgl. oben das Kapitel „Herkunft und K<strong>in</strong>dheit“.<br />

5 GStA Berl<strong>in</strong>, Rep. VIII, J 1, Bd. (1863), S.34.<br />

76


verstorben". 6 Der Name Robert dürfte für Ruben stehen. Sollte diese Annahme richtig se<strong>in</strong>,<br />

können wir e<strong>in</strong>e verwandtschaftliche Beziehung zu <strong>de</strong>m im Jahre 1810 <strong>in</strong> Ellrich/Harz, unweit von<br />

Nordhausen gelegen, wohnen<strong>de</strong>n Ruben <strong>Herzfeld</strong> vermuten. Aus <strong>de</strong>ssen Ehe mit Frie<strong>de</strong>rike geb.<br />

Levi stammt <strong>de</strong>r bereits oben erwähnte braunschweigische Lan<strong>de</strong>srabb<strong>in</strong>er Levi <strong>Herzfeld</strong><br />

(geb.28. Dez., gest. 1810 ,11.März 1884). 7<br />

6 GStA Berl<strong>in</strong>, Rep. VIII, J 1, Bd. (1867), S.184<br />

7 Zu Levi <strong>Herzfeld</strong> Wer<strong>de</strong>gang vgl.: Kurt Wilhelm, Levi <strong>Herzfeld</strong>, Der erste jüdische Wirtschaftshistoriker, <strong>in</strong>:<br />

Brunsvicensia Judaica, Braunschweiger Werkstücke, Bd.35, Braunschweig 1966, S. 59ff.<br />

Der Schriftsteller Gerd Kern schrieb mir am 6.11.1989 zur <strong>Familie</strong> <strong>de</strong>s braunschweigischen<br />

Lan<strong>de</strong>srabb<strong>in</strong>ers:"Dazu fand ich e<strong>in</strong>e Notiz, die ich vor Jahren auf e<strong>in</strong>em Zettel <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Privatbibliothek e<strong>in</strong>es<br />

Bekannten <strong>in</strong> West-Berl<strong>in</strong> machte.<br />

'HERZ CUSEL <strong>in</strong> Ellrich, <strong>de</strong>r 1726 geboren, seit 1762 dort e<strong>in</strong> Haus besaß, am 23. 7. 1763 als 'publiquer<br />

Bedienter' nämlich Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>cassirer vor 1793 gestorben se<strong>in</strong> muß. -Se<strong>in</strong>e Witwe starb ca. 1803.<br />

Der Sohn RUBEN HERZ erhielt 1799 die Conzession als Extraord<strong>in</strong>airer und <strong>de</strong>n Trausche<strong>in</strong> zur Ehe mit se<strong>in</strong>er<br />

Cous<strong>in</strong>e Ritchel.<br />

Ruben <strong>Herzfeld</strong> starb 7. 3.1831 <strong>in</strong> Ellrich.<br />

Er heiratete <strong>in</strong> Nordhausen FRIEDERIKE LEVY (Lev<strong>in</strong>) aus Nordhausen. Bei<strong>de</strong> hatten 8 K<strong>in</strong><strong>de</strong>r - 4 Söhne und<br />

vier Töchter:<br />

HERZ<br />

LEVY <strong>Herzfeld</strong> (geb.<br />

28.12.1810 <strong>in</strong> Ellrich,<br />

braunschw. Lan<strong>de</strong>srabb.<br />

CUSEL<br />

LIPMANN<br />

CAROLINE 00 Oppenheheimer, Bleichro<strong>de</strong><br />

SCHEINCHEN<br />

EVA 00 Warburg (Ellrich)<br />

GÜTCHEN 00 Frohnhausen<br />

<strong>in</strong> Ellrich<br />

Rubens Bru<strong>de</strong>r JOSEPH HERZFELD geb. Ellrich 15.8.1767 wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Stammvater <strong>de</strong>r Bleichero<strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>n<br />

<strong>Herzfeld</strong>.'<br />

Weiterh<strong>in</strong> schreibt e<strong>in</strong> mir Unbekannter <strong>in</strong> dieser Notiz: 'Meschulam <strong>Herzfeld</strong> habe ich noch gekannt; <strong>in</strong> Graetz<br />

geboren, lebte er als Kfm. <strong>in</strong> Sorau, kam oft zu me<strong>in</strong>en Eltern nach Hoyerswerda. Se<strong>in</strong> Neffe ist <strong>de</strong>r jetzige<br />

Vorsitzen<strong>de</strong> <strong>de</strong>s CV, Dr. Ernst <strong>Herzfeld</strong> <strong>in</strong> Essen.' "<br />

Durch diese Notizen wird e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung zu <strong>de</strong>n <strong>Herzfeld</strong>s im Posenschen hergestellt. Wir f<strong>in</strong><strong>de</strong>n im Jahre<br />

1834<br />

<strong>in</strong> <strong>de</strong>r Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> Graetz e<strong>in</strong>en MOSES MESCHOLEM und e<strong>in</strong>en SALOMON HERZFELD, <strong>de</strong>r erstere wird als<br />

Han<strong>de</strong>lsmann, <strong>de</strong>r letztere als Kaufmann bezeichnet. Aus dieser <strong>Familie</strong> od. e<strong>in</strong>er dieser <strong>Familie</strong>n stammen wohl<br />

<strong>de</strong>r jüdische Stadtverordnetenvorsteher A. <strong>Herzfeld</strong>, <strong>de</strong>r im Jahre 1904 zum 25. Mal <strong>in</strong> diesem Amt bestätigt<br />

wur<strong>de</strong>, davon erfolgte die Wahl 21 Mal e<strong>in</strong>stimmig (A. <strong>Herzfeld</strong> war auch Vorsteher <strong>de</strong>r Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>) und M.<br />

<strong>Herzfeld</strong>, <strong>de</strong>r 1870/71 am Feldzug gegen Frankreich teilnahm. Letzterer dürfte mit <strong>de</strong>m <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Notizen<br />

erwähnten Meschulam <strong>Herzfeld</strong> i<strong>de</strong>ntisch se<strong>in</strong>. ERNST SALOMON HERZFELD, von <strong>de</strong>m ebenfalls die Re<strong>de</strong><br />

war, wur<strong>de</strong> 1875 <strong>in</strong> Graetz geboren. Er war ab 1902 Rechtsanwalt <strong>in</strong> Posen-Stadt und von 1903 - 1936 <strong>in</strong><br />

Essen/Ruhr tätig. Ernst Salomon war eng mit <strong>de</strong>m Central Vere<strong>in</strong> <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Ju<strong>de</strong>n verbun<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>n Jahren<br />

1903-1923 war er <strong>de</strong>r Vorsitzen<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>sverban<strong>de</strong>s Rhe<strong>in</strong>land-Westfalen (Essen), seit 1924 Mitglied <strong>de</strong>s<br />

Hauptvorstan<strong>de</strong>s <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> und <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Zeit von 1936-1938 <strong>de</strong>r Vorsitzen<strong>de</strong> <strong>de</strong>s C.V. sowie Mitbegrün<strong>de</strong>r und<br />

Beiratsmitglied <strong>de</strong>r Reichsvertretung <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Ju<strong>de</strong>n <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> (1933 - 1938), außer<strong>de</strong>m war er<br />

Vorstandsmitglied und Vizepräsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r Synagogengeme<strong>in</strong><strong>de</strong> Essen. Dort wohnte er <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Schubertstr. 44, se<strong>in</strong><br />

Büro hatte er im Hansahaus am Hauptbahnhof. Salomon I. <strong>Herzfeld</strong> (geb. 14.2.1875 wie aus e<strong>in</strong>er an<strong>de</strong>ren<br />

Quelle zu entnehmen) war mit Klara Frankenste<strong>in</strong> verheiratet und hatte vier K<strong>in</strong><strong>de</strong>r. Im Jahre 1939 emigrierte er<br />

nach Paläst<strong>in</strong>a. Im Jahre 1948 starb er auf e<strong>in</strong>er Reise <strong>in</strong> Buenos Aires.<br />

<strong>Die</strong> Ellricher <strong>Herzfeld</strong>s sche<strong>in</strong>en mit <strong>de</strong>nen nur e<strong>in</strong>ige Kilometer entfernt <strong>in</strong> Nordhausen wohnen<strong>de</strong>n verwandt<br />

zu se<strong>in</strong>, auch dürften verwandtschaftliche Beziehungen zu <strong>de</strong>n Halberstädtern bestehn. Sollten sich diese<br />

Annahmen weiter verifizieren, können wir davon ausgehen, daß die Anfang <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts <strong>in</strong> Preußen und<br />

se<strong>in</strong>en Nachbarstaaten leben<strong>de</strong>n <strong>Herzfeld</strong>s e<strong>in</strong>en Klan bil<strong>de</strong>ten.<br />

77


Nun f<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich ebenfalls auf <strong>de</strong>m Friedhof Schönhauser <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>r Grabstelle von Recha<br />

Meyer, „<strong>de</strong>s würdigen Men<strong>de</strong>lssohn würdige Tochter", e<strong>in</strong> imposanter barocker Grabste<strong>in</strong>, nur die<br />

Seite mit <strong>de</strong>r hebräischen Inschrift schaut aus <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n: ...riel Heuzfeld, Sohn <strong>de</strong>s MRH<br />

Abraham S... ist da zu lesen. Vermutlich liegt hier <strong>de</strong>r Kaufmann Israel Heutzfeld, <strong>de</strong>r am 19.<br />

April 1830, <strong>in</strong> <strong>de</strong>r 9. Stun<strong>de</strong> starb, <strong>de</strong>r dürfte mit <strong>de</strong>m <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Glogauer Staatsbürgerliste von 1812<br />

aufgeführten i<strong>de</strong>ntisch se<strong>in</strong>. Israel Heutzfelds Frau Dore war ebenfalls e<strong>in</strong>e geborene Levy, unter<br />

<strong>de</strong>n K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn f<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich auch e<strong>in</strong> Knabe namens Ruben.<br />

.Auf e<strong>in</strong>e mögliche Beziehung zu Israel Heitzfeld <strong>in</strong> Glogau, gest. 1830 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> (nachstehend<br />

se<strong>in</strong> Grabste<strong>in</strong>) wur<strong>de</strong> bereits weiter oben h<strong>in</strong>gewiesen.<br />

78<br />

Samuel HERZFELD


Elias <strong>Herzfeld</strong><br />

geb. 11.Feb. 1787<br />

gest. 24. Jan. 1867<br />

<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>,<br />

dort Inhaber <strong>de</strong>r Fa.<br />

Eidam u. Co (1)<br />

Henriette geb.Baer<br />

(Behrendt)<br />

geb.28. Aug.1800<br />

gest. 8. März 1863<br />

Jeanette <strong>Herzfeld</strong><br />

geb. <strong>in</strong> Nordhausen<br />

00 26.2.1855<br />

<strong>Herzfeld</strong> mit Wilh<br />

Meno Burg<br />

geb. 1822 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>.<br />

Teilhaber <strong>de</strong>s<br />

Elias <strong>Herzfeld</strong><br />

Ida <strong>Herzfeld</strong> geb. 1826<br />

<strong>in</strong> Nordhausen<br />

00 3.11.1848<br />

mit Jacob Cohn<br />

geb. 31.12.1812<br />

<strong>in</strong><br />

Stoldt/ Han.<br />

Seraph<strong>in</strong>e <strong>Herzfeld</strong><br />

Geb. 30. März 1828<br />

<strong>in</strong> Nordhausen<br />

gest. 6. 10. 1912<br />

00 mit Hahn<br />

Robert <strong>Herzfeld</strong> geb.<br />

<strong>in</strong> Nordhausen<br />

gest. 19. Jan. 1867<br />

<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />

Stear<strong>in</strong>lichtfabrikaten<br />

August Wilhelm u. Otto<br />

Burg; <strong>de</strong>r Schwiegersohn,<br />

Teilhaber <strong>de</strong>r Fabrik, Alte<br />

Jacob Str.5<br />

Ludwig <strong>Herzfeld</strong><br />

geb. 13.02.1860<br />

gest. 16.10. 1939 <strong>in</strong><br />

Nordhausen<br />

Der Bankier Arnold<br />

<strong>Herzfeld</strong> beerdigt auf <strong>de</strong>m<br />

Friedhof Berl<strong>in</strong>-<br />

Weißensee<br />

stammt ebenfalls aus<br />

Nordhausen<br />

Frie<strong>de</strong>rike <strong>Herzfeld</strong><br />

geb. 13.11.1826<br />

gest. 17.8.1895<br />

<strong>in</strong> Nordhausen<br />

(falls sie ke<strong>in</strong>e Zwill<strong>in</strong>gsschwester<br />

von Ida ist,<br />

muss sie aus e<strong>in</strong>er an<strong>de</strong>ren<br />

Nordhauser <strong>Herzfeld</strong>-<br />

<strong>Familie</strong> stammen.)<br />

(beerdigt <strong>in</strong> Nordhausen?<br />

Könnte mit <strong>de</strong>m dort 1867<br />

bestatteten Robert<br />

<strong>Herzfeld</strong> i<strong>de</strong>ntisch se<strong>in</strong>;<br />

jedoch weicht das<br />

Geburtsdatum – 1817 –<br />

erheblich ab. Falsch<br />

gelesen?)<br />

Bemerkenswert ist, daß die erste Frau <strong>de</strong>s Samuel Josephson, <strong>de</strong>s Schwiegervaters unserer<br />

Bertha <strong>Herzfeld</strong>, Henriette geb. Loebel Beer hieß, ob daraus e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung zu Henriette<br />

<strong>Herzfeld</strong> geb. Baer abzuleiten ist, will ich dah<strong>in</strong>gestellt se<strong>in</strong> lassen.<br />

Zwei hohe, weiße Marmorstelen ragen im Feld D empor und reflektieren grell das Licht <strong>de</strong>r<br />

hervorbrechen<strong>de</strong>n Sonne.<br />

79


Hier s<strong>in</strong>d die Schwiegereltern von Bertha <strong>Herzfeld</strong>, die Eltern Joseph Josephsons, beerdigt. <strong>Die</strong><br />

Inschrift ist mühelos zu lesen:<br />

`<br />

Samuel J o s e p h s o n Sophie Josephson<br />

7 gest. 30. Dez. 1855 geb. Segall<br />

im Alter von geb. zu Lissa am 26. 4. 1795<br />

74 Jahren gest. 30. April 1876<br />

7<br />

Der Name Sophie steht dabei für Sche<strong>in</strong><strong>de</strong>l; vgl. dazu das Kapitel '<strong>Die</strong> Synagoge', <strong>in</strong> <strong>de</strong>m die <strong>Familie</strong><br />

Josephson ausführlich behan<strong>de</strong>lt wird.<br />

Auf <strong>de</strong>r <strong>in</strong> Hebräisch gehaltenen Rückseite <strong>de</strong>s Grabste<strong>in</strong>s von Samuel Josephson wird er als <strong>de</strong>r 'rabb<strong>in</strong>isch<br />

gelehrte' Samuel Broh bezeichnet. Der Bru<strong>de</strong>r se<strong>in</strong>es Vaters war Simon Samuel Aron (Broh). Dessen<br />

Enkeltochter, Bertha geb. Lev<strong>in</strong> (1835-1910) war mit <strong>de</strong>m Weißwarenhändler Hermann Borchardt (l830-<br />

1890) verheiratet. Aus dieser Ehe g<strong>in</strong>g als jüngstes von 6 K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r spätere Schriftsteller Georg Hermann<br />

Borchardt (geb. 7. 0kt. 17871, gest. 1943 <strong>in</strong> Auschwitz) hervor.<br />

Georg Hermann, unter diesem Namen publizierte er, war e<strong>in</strong> Schüler <strong>de</strong>s Askanischen Gymnasiums <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>,<br />

er wohnte <strong>in</strong> <strong>de</strong>r H1.-Geist-Str. 49, im Haus <strong>de</strong>s Tabakhändlers Praetorius.<br />

Bekannt wur<strong>de</strong> er durch se<strong>in</strong>e Romane, die im Bie<strong>de</strong>rmeier angesie<strong>de</strong>lt s<strong>in</strong>d, "Das Spielk<strong>in</strong>d, Jettchen Gebert<br />

und "<strong>Die</strong> Nacht <strong>de</strong>s Dr. <strong>Herzfeld</strong>" u.a. Da <strong>de</strong>n Figuren <strong>de</strong>s letztgenannten Romans nachweislich Personen aus<br />

<strong>de</strong>r Verwandtschaft Pate gestan<strong>de</strong>n haben, können wir annehmen, daß auch <strong>de</strong>r Romantitel "<strong>Die</strong> Nach <strong>de</strong>s Dr.<br />

<strong>Herzfeld</strong>" nicht zufällig gewählt wur<strong>de</strong>. Auch dies e<strong>in</strong> weiteres Indiz für <strong>de</strong>n engen Zusammenhang zwischen<br />

<strong>de</strong>n <strong>Familie</strong>n Josephson und <strong>Herzfeld</strong>.<br />

Aus <strong>de</strong>r hebräischen Inschrift <strong>de</strong>s Grabste<strong>in</strong>s von Sophie geht hervor, daß ihr Vater Leib Halevi (=SeGal, diese<br />

Abkürzung, die zum Eigennamen wur<strong>de</strong>, be<strong>de</strong>utet zum Stamme Levi gehörig) mit <strong>de</strong>m Vater <strong>de</strong>r 1. Frau von<br />

Samuel Josephson i<strong>de</strong>ntisch ist. Henriette und Sophie waren also Schwestern.<br />

80


In dieser Sektion <strong>de</strong>s Friedhofs bef<strong>in</strong><strong>de</strong>t auch <strong>de</strong>r Grabste<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es Mitglieds aus <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> <strong>de</strong>r<br />

Schwiegereltern von Louise <strong>Herzfeld</strong>, <strong>de</strong>r Tochter unseres Jacob aus 3. Ehe<br />

MEYER FALK<br />

geboren zu Posen am 15.Dezember 1802 gestorben zu Berl<strong>in</strong> am 21. Mai 1870 8<br />

Bevor ich mich nun endgültig auf <strong>de</strong>n Weg zu Jacobs Grab mache, werfe ich noch e<strong>in</strong>en Blick auf<br />

die<br />

letzte<br />

8 Meyer Falk wird vermutlich e<strong>in</strong> Bru<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Schviegervaters von Louise, Abraham Isaac Falk, se<strong>in</strong>.Vgl. <strong>de</strong>n<br />

Exkurs über die Falks <strong>in</strong> dieser Chronik <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> <strong>Herzfeld</strong>.<br />

81


Ruhestätte von Sara Schlochauer geb. Munk, 12. 7. 1788 - 25. 1. 1869. Sie wer die Mutter von<br />

Dr. Valent<strong>in</strong> Schlochauer, <strong>de</strong>r 1812 <strong>in</strong> Glogau zur Welt kam. Valent<strong>in</strong> heiratete am 29. 7. 1844,<br />

<strong>de</strong>m Tag, an <strong>de</strong>m Bertha <strong>Herzfeld</strong> mit Joseph Josephson getraut wur<strong>de</strong>, <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> Frie<strong>de</strong>rike, die<br />

Tochter <strong>de</strong>s Samuel Friedlän<strong>de</strong>r. <strong>Die</strong> Trauung nahm ebenfalls <strong>de</strong>r Rabb<strong>in</strong>atsassessor Oett<strong>in</strong>ger<br />

vor. 9<br />

<strong>Die</strong> Zuordnung fällt mir jedoch bei e<strong>in</strong>em an<strong>de</strong>ren Ste<strong>in</strong>, <strong>de</strong>r die segnen<strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong> e<strong>in</strong>es<br />

Kohanim trägt, nicht schwer: Bei Wolf Weisbach und Lea Weisbach geb. Falkenheim han<strong>de</strong>lt es<br />

sich um die Urgroßeltern von Freda Wuesthoff, <strong>de</strong>r Frau von Onkel Franz Wuesthoff (<strong>Herzfeld</strong>).<br />

9 Im Lissa-Kapitel b<strong>in</strong> ich ausführlicher auf die Beziehungen zu unserer <strong>Familie</strong> e<strong>in</strong>gegangen. Auf <strong>de</strong>m<br />

jüdischen Friedhof <strong>in</strong> Halle ist e<strong>in</strong>e Clara Friedlän<strong>de</strong>r geb. <strong>Herzfeld</strong> beerdigt.<br />

82


Werner Weisbach, <strong>de</strong>r Onkel Fredas, hat <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en<br />

Jugen<strong>de</strong>r<strong>in</strong>nerungen se<strong>in</strong>er Großmutter, die die<br />

Tochter e<strong>in</strong>es Rabb<strong>in</strong>ers aus Liegnitz war, e<strong>in</strong><br />

bleiben<strong>de</strong>s literaisches Denkmal gesetzt. Se<strong>in</strong><br />

Vater Valent<strong>in</strong> Weisbach, Fredas Großvater,<br />

wur<strong>de</strong> ebenfalls auf <strong>de</strong>m Friedhof Schönhauser<br />

Allee im Erbbegräbnis <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> Raphael, <strong>de</strong>r<br />

L<strong>in</strong>ie se<strong>in</strong>er Frau, beigesetzt. Erst nach langen<br />

Ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzungen mit <strong>de</strong>n Verwandten se<strong>in</strong>er<br />

Mutter konnte Werner Weisbach verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rn, daß<br />

die Leiche se<strong>in</strong>es Vaters exhumiert und auf <strong>de</strong>n<br />

Friedhof Weißensee überführt wur<strong>de</strong>. 10<br />

Genug <strong>de</strong>r Abschweifungen, nun die<br />

Schritte gezielt zu <strong>de</strong>n Gräbern <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> Liebermann gelenkt, nur e<strong>in</strong>ige Meter entfernt<br />

davon soll unser Jacob ruhen.<br />

Sofort fällt <strong>de</strong>r monumentale Marmorsakrophag Adolph Ritter Liebermann von Wahlendorfs<br />

<strong>in</strong>s Auge.<br />

In unmittelbarer Nachbarschaft bef<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich das<br />

Erbbegräbnis von Louis Liebermann (1819-1894), <strong>in</strong> <strong>de</strong>m<br />

auch se<strong>in</strong> Sohn, <strong>de</strong>r Maler Max Liebermann, 1935 bestattet wur<strong>de</strong>. <strong>Die</strong>ses Erbbegräbnis "ist e<strong>in</strong>e Schöpfung <strong>de</strong>s<br />

Architekten Hans Griesebach, <strong>de</strong>r zu <strong>de</strong>n bekanntesten Baumeistern <strong>de</strong>r Neurenaissance <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> zählte“. 11<br />

Das Grabmal besteht aus e<strong>in</strong>er Sandste<strong>in</strong>mauer über L-förmigen Grundriss. <strong>Die</strong> Arkatur von drei zu vier Achsen<br />

ist <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em historisieren<strong>de</strong>n Stil gehalten, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m sich die klassische Richtung <strong>de</strong>r Renaissance mit bestimmten<br />

10 Werner Weisbach, Und alles ist zerstoben. Er<strong>in</strong>nerungen aus <strong>de</strong>r Jahrhun<strong>de</strong>rtwen<strong>de</strong> Wien-Leipzig-Zürich<br />

1937, S.323 ff.<br />

11 Alfred Etzold u.a., a.a,O., S. 64<br />

83


Zügen <strong>de</strong>s Manierismus mischt Gleich rechts dah<strong>in</strong>ter, wo sich die Sandste<strong>in</strong>mauern schnei<strong>de</strong>n, bef<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich das<br />

Grab von Jacob <strong>Herzfeld</strong>.<br />

<strong>Die</strong> aggressive, schwefelhaltige Berl<strong>in</strong>er Luft verursacht die zunehmen<strong>de</strong> Erosion <strong>de</strong>s<br />

Grabste<strong>in</strong>s, trotz<strong>de</strong>m ist die Inschrift noch zu lesen:<br />

Hier ruht un... .....bter Vater<br />

JAKOB HERZFELD<br />

gestorben im ...... Lebensjahre<br />

am 20. Februar 1850<br />

Schweigend stehe ich da, als Nichtju<strong>de</strong>, <strong>de</strong>n Kopf mit <strong>de</strong>r Kipa gesenkt, me<strong>in</strong>e Lippen formen<br />

<strong>de</strong>n Kaddisch, <strong>de</strong>r vielleicht das erstemal Seit e<strong>in</strong>hun<strong>de</strong>rtneundreißig Jahren wie<strong>de</strong>r an diesem<br />

Grab gesprochen wird :<br />

84


Gepriesen und geheiligt sei Se<strong>in</strong> Name <strong>in</strong><br />

<strong>de</strong>r Welt, die er nach Se<strong>in</strong>em Willen erschaffen. Se<strong>in</strong> Reich errichte Er <strong>in</strong> eurem Leben und <strong>in</strong><br />

euren Tagen und während <strong>de</strong>s Lebens <strong>de</strong>s ganzen Hauses Israel. Drauf sprecht: Amen I<br />

Se<strong>in</strong> großer Name sei gepriesen, jetzt und <strong>in</strong> alle Ewigkeit!<br />

Gelobt, gepriesen, verherrlicht im vollen Ruhme und Glauben sei <strong>de</strong>r Name <strong>de</strong>s<br />

Allerhöchsten - gelobt sei Er - erhaben über je<strong>de</strong>n Lob-, Trost- und Segensspruch, die je <strong>in</strong><br />

<strong>de</strong>r Welt gesprochen.<br />

Darauf sprecht: Amen!<br />

<strong>Die</strong> Fülle <strong>de</strong>s Lebens und <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns komme vom Himmel Über uns und über ganz Israel.<br />

Darauf sprecht: Amen!<br />

Reicher Frie<strong>de</strong> komme vom Himmel und Leben über uns. Er br<strong>in</strong>ge Frie<strong>de</strong>n über uns und<br />

über das gesamte Volk Israel.<br />

Drauf sprecht: Amen !<br />

Me<strong>in</strong>e Augen suchen <strong>de</strong>n Weg nach e<strong>in</strong>em Ste<strong>in</strong> ab, ich greife mir e<strong>in</strong>en und lege ihn, <strong>de</strong>m<br />

alten Brauch entsprechend, auf das Grabmal Jacobs,<br />

.<br />

85


Nachwort<br />

Nun möchte ich als Begründung nicht e<strong>in</strong>e Soziologie <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> bzw. hier <strong>de</strong>r <strong>Herzfeld</strong>-<strong>Familie</strong><br />

entwerfen, auch nicht une<strong>in</strong>geschränkt die Aussage me<strong>in</strong>es Namensvorgängers Wolfgang<br />

<strong>Herzfeld</strong> (1859-1941), mit <strong>de</strong>m ich, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em To<strong>de</strong>sjahre 1941 geboren, das<br />

familiengeschichtliche Interesse teile, daß "Blut dicker ist als Wasser", übernehmen. Es waren<br />

neben <strong>de</strong>m allgeme<strong>in</strong>en Interesse an <strong>de</strong>r Geschichte auch ganz subjektive Faktoren, die mich zu<br />

e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>tensiven Beschäftigung mit <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> <strong>Herzfeld</strong> führten. Zum e<strong>in</strong>em dürfte unbewusst die<br />

Aufarbeitung <strong>de</strong>r Scheidung me<strong>in</strong>er Eltern e<strong>in</strong>e Rolle gespielt haben. Das Interesse zunächst nur<br />

latent vorhan<strong>de</strong>n, blieb erhalten, und wur<strong>de</strong> verstärkt durch das Interesse an e<strong>in</strong>em unbekannten<br />

Vater, <strong>de</strong>n ich als Dreizehnjähriger erstmals, auch da nur kurz, mit Bewußtse<strong>in</strong> gesehen hatte,<br />

und <strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>de</strong>n U.S.A. lebte.<br />

In <strong>de</strong>r Ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzung mit se<strong>in</strong>er Person und weltanschaulichen Position sollten zwei<br />

Motivationsstränge, sich mit <strong>de</strong>m Ju<strong>de</strong>ntum zu beschäftigen, zusammenkommen: Zum e<strong>in</strong>em<br />

blieb mir unverständlich, daß jemand, <strong>de</strong>r, falls ihm nur e<strong>in</strong> jüdischer Großelternteil mehr<br />

beschie<strong>de</strong>n gewesen, <strong>de</strong>r Liquidation anheim gefallen wäre, zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st verbal zu e<strong>in</strong>er<br />

antisemitischen E<strong>in</strong>stellung neigte und die Ten<strong>de</strong>nz <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er <strong>Familie</strong>ngeschichte, die jüdischen<br />

Vorfahren zu "germanisieren", unübersehbar war. Es mag se<strong>in</strong>, daß h<strong>in</strong>ter dieser Haltung die<br />

traumatischen Erfahrungen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r NS-Zeit mit <strong>de</strong>m Namen <strong>Herzfeld</strong> stan<strong>de</strong>n.<br />

Zum an<strong>de</strong>ren bot sich e<strong>in</strong>e "neutrale" Plattform, nach<strong>de</strong>m ich se<strong>in</strong>en ersten Entwurf zur<br />

<strong>Familie</strong>ngeschichte, die jüdischen Vorfahren betreffend, gelesen hatte, die nicht bewältigte<br />

Vergangenheit <strong>de</strong>r Scheidung me<strong>in</strong>er Eltern aufzuarbeiten.<br />

Wenn ich resümiere, was die Beschäftigung mit dieser Materie für mich persönlich brachte,<br />

danach wird ja heute immer wie<strong>de</strong>r gefragt, so will ich das mit Hilfe e<strong>in</strong>iger Reflexionen, die ich<br />

beim Besuch Freiburgs am Ostersonntag 1995 anstellte, tun:<br />

Von Ba<strong>de</strong>nweiler nach Freiburg e<strong>in</strong>en kurzen Abstecher zum Besuch <strong>de</strong>s Ostergottesdienstes im<br />

Münster. Trübe Er<strong>in</strong>nerungen, das regnerische Wetter sche<strong>in</strong>t sie zu unterstreichen, im<br />

Zusammenhang mit me<strong>in</strong>en Wan<strong>de</strong>rjahren - an an<strong>de</strong>rer Stelle darüber mehr. - <strong>Die</strong> Stadt steht <strong>in</strong><br />

Beziehung und verb<strong>in</strong><strong>de</strong>t mich mit zwei, drei Personen, die hier wirkten. Zum e<strong>in</strong>em mit Friedrich<br />

Me<strong>in</strong>ecke, <strong>de</strong>ssen "Weltbürgertum und Nationalstaat" zum Standardwerk <strong>de</strong>s Historismus wur<strong>de</strong>;<br />

zum an<strong>de</strong>ren mit Hans <strong>Herzfeld</strong>, <strong>de</strong>r bei Me<strong>in</strong>ecke studierte, nach <strong>de</strong>m Krieg kurze Zeit <strong>de</strong>n<br />

Lehrstuhl für neuere Geschichte <strong>in</strong> Freiburg <strong>in</strong>ne hatte, bis er Me<strong>in</strong>eckes Nachfolger an <strong>de</strong>r<br />

Freien Universität <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> wur<strong>de</strong>. Wenn mich me<strong>in</strong>e Er<strong>in</strong>nerung nicht trügt, war <strong>in</strong> <strong>de</strong>n wenigen<br />

Unterhaltungen, die mir mit Hans vergönnt waren, bei Aufgeschlossenheit wirtschafts- und<br />

sozialgeschichtlichen Ansätzen gegenüber, die Verwurzelung im Denken se<strong>in</strong>es Lehrers spürbar.<br />

Lesenswert s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> diesem Zusammenhang auch se<strong>in</strong>e Lebenser<strong>in</strong>nerungen, <strong>in</strong> <strong>de</strong>nen er<br />

ausführlich auf se<strong>in</strong>e Freiburger Studienzeit und die Vorlesungen und Übungen bei Me<strong>in</strong>ecke<br />

e<strong>in</strong>geht. Demgegenüber und im Gegensatz dazu - Franz Rosenzweig, <strong>de</strong>r ebenfalls bei Me<strong>in</strong>ecke<br />

86


studiert hatte, über Hegel promovierte und im Erleben <strong>de</strong>s I. Weltkrieges zum Kritiker an Hegels<br />

Totalitäts<strong>de</strong>nken und damit zum Gegner <strong>de</strong>r politischen Geschichte wur<strong>de</strong>. Hans <strong>Herzfeld</strong> für<br />

mich e<strong>in</strong> Repräsentant unserer <strong>Familie</strong>, von se<strong>in</strong>er Herkunft e<strong>in</strong> Vertreter <strong>de</strong>s assimilierten<br />

Ju<strong>de</strong>ntums und <strong>de</strong>s liberal-konservativen, bismarckisch-machtstaatlich geprägten Bürgertums.<br />

E<strong>in</strong> Bürgertum unabhängig, ob aus <strong>de</strong>m Ju<strong>de</strong>n- o<strong>de</strong>r Christentum stammend, als K<strong>in</strong>d <strong>de</strong>r<br />

Säkularisation se<strong>in</strong>e religiösen Wurzeln verleugnend, e<strong>in</strong> Bürgertum <strong>de</strong>m Franz Rosenzweig<br />

ebenfalls verbun<strong>de</strong>n war, <strong>de</strong>r aber letzten En<strong>de</strong>s im Zusammenhang mit <strong>de</strong>m I. Weltkrieg die<br />

Brüchigkeit dieser Weltanschauung erlebend, die gegenseitige Zerfleischung <strong>de</strong>r Völker im I.<br />

Weltkrieg als logische Folge <strong>de</strong>s philosophischen Totalitätssystems Hegelscher Provenienz<br />

erkennend, nun <strong>in</strong> se<strong>in</strong> philosophisches System wie<strong>de</strong>r religiöse Grundkategorien e<strong>in</strong>bezieht.<br />

Bereits im Jahre 1910 jedoch bestimmte Rosenzweig die "Religion im S<strong>in</strong>ne <strong>de</strong>s 20.<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rts" durch <strong>de</strong>n Gegensatz zur Geschichte. Daraus ist <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie zu entnehmen,<br />

daß die "Religion im S<strong>in</strong>ne <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts" <strong>in</strong> Rosenzweigs Augen offenbar gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Glaube an die Geschichte als Theodizee war. Wer die Urteile <strong>de</strong>s Geschichtsverlaufs als letzte<br />

Kriterien für jegliches Werturteil nimmt, verzichtet nämlich auf die Transzen<strong>de</strong>nz <strong>de</strong>r Ethik und<br />

vergisst, daß die Geschichte selbst e<strong>in</strong>em Werturteil unterliegen kann und soll. "Religion im S<strong>in</strong>ne<br />

<strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts" ist <strong>de</strong>mnach als persönliche Beziehung <strong>de</strong>s Menschen zu Gott zu<br />

verstehen, als For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Menschen nach se<strong>in</strong>er unersetzlichen Verantwortlichkeit, jenseits<br />

<strong>de</strong>r Logik, die ihn angeblich zu e<strong>in</strong>er bloßen Schachfigur auf <strong>de</strong>m anonymen Spielfeld <strong>de</strong>r<br />

Geschichte macht. Hier zeigt sich bereits die Kritik an <strong>de</strong>r Geschichtsauffassung Hegels.<br />

An dieser Stelle führt me<strong>in</strong> Rückweg zu e<strong>in</strong>em religiös fundierten Ju<strong>de</strong>ntum nicht über die<br />

väterlichen Vorfahren jüdischer Herkunft, <strong>de</strong>n assimilierten <strong>Herzfeld</strong>s, die <strong>in</strong> <strong>de</strong>r neuheidnisch<br />

<strong>de</strong>utschen bürgerlichen Kultur (als <strong>de</strong>ren Repräsentant Goethe angesehen wer<strong>de</strong>n kann)<br />

aufgehen, son<strong>de</strong>rn über die katholische Großmutter und Mutter bäuerlich-kle<strong>in</strong>bürgerlicher<br />

Herkunft. - Sicherlich hat e<strong>in</strong>e gewisse Distanz zur protestantisch-<strong>in</strong>nerweltlichen Gesellschaft<br />

("säkularisiertes Luthertum") bei mir dazu geführt, <strong>de</strong>n Geschichtsprozess unter ethischen<br />

Gesichtspunkten und die religiöse Dimension als eigenständige neben <strong>de</strong>r <strong>in</strong>nerweltlichhistorischen<br />

zu betrachten. Ironischerweise (o<strong>de</strong>r han<strong>de</strong>lt es sich um e<strong>in</strong>e Dialektik <strong>de</strong>r<br />

Geschichte ?) verb<strong>in</strong><strong>de</strong>t mich nun me<strong>in</strong>e katholische Mutter od. die Großmutter mit <strong>de</strong>m<br />

Ju<strong>de</strong>ntum, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m ich me<strong>in</strong>e ethischen Grundauffassungen wie<strong>de</strong>r ent<strong>de</strong>cke, und das Ju<strong>de</strong>ntum<br />

Franz Rosenzweigs mit <strong>de</strong>m Christentum, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r katholische Ritus <strong>de</strong>s Ostergottesdienstes ,<br />

die kollektive Form <strong>de</strong>s religiösen Lebens, für mich zum "sozialen Zeichen" wird, das sich auf<br />

e<strong>in</strong>e i<strong>de</strong>ale Realität bezieht, "die noch nicht existiert und wovon sie selbst nur " Annäherung,<br />

Antizipation ist." <strong>Die</strong> religiöse Geme<strong>in</strong>schaft verkörpert schon heute, jedoch <strong>in</strong> begrenzter,<br />

beson<strong>de</strong>rer Form, die utopische Realität e<strong>in</strong>er versöhnten Welt." Ausdruck und<br />

Vergegenwärtigung <strong>de</strong>r Erlösungstat und <strong>de</strong>r erlösten Welt (Ostern) vollzieht sich <strong>in</strong> und durch<br />

die Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>, die <strong>in</strong> <strong>de</strong>r communio <strong>de</strong>n auferstan<strong>de</strong>nen Herrn als Erstl<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>er erlösten<br />

Menschheit feiert. Also - ebenfalls nicht ohne Ironie - Rei<strong>de</strong>ntifikation mit <strong>de</strong>m Katholizismus<br />

durch <strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>n Rosenzweig.<br />

87


Aber auch an dieser Stelle möchte ich "me<strong>in</strong>e" im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Aufarbeitung <strong>de</strong>r<br />

Geschichte <strong>de</strong>r konvertierten und säkularisierten <strong>Herzfeld</strong>-<strong>Familie</strong> gemachten Ent<strong>de</strong>ckung<br />

"Emanuelle Lév<strong>in</strong>as" nicht unerwähnt lassen, <strong>de</strong>r die Gedanken Rosenzweigs weiterführend<br />

schreibt: "Das Ich ist <strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>r vor je<strong>de</strong>r Entscheidung schon erwählt ist, die ganze<br />

Verantwortung <strong>de</strong>r Welt zu tragen. Der Messianismus ist eben dieser Gipfel <strong>de</strong>s Se<strong>in</strong>s - die<br />

Umkehrung <strong>de</strong>s Se<strong>in</strong>s, das "<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Se<strong>in</strong> beharrt" -, <strong>de</strong>r <strong>in</strong> mir se<strong>in</strong>en Ausgang nimmt." Hier<br />

berührt sich, um zur Osterliturgie zurückzukehren, jüdisches mit christlichem Denken, zugleich<br />

wird die Differenz sichtbar. Nur ist die Differenz nicht allzu groß, nehmen wir <strong>de</strong>n Namen Christen<br />

(Christos = <strong>de</strong>r Gesalbte = Messias) ernst.<br />

<strong>Die</strong>se Gedanken zwischen abgenagten Lammknochen, e<strong>in</strong>em halbleeren Campariglas, We<strong>in</strong> und<br />

Brotkrumen zu Papier gebracht, fan<strong>de</strong>n beim sich anschließen<strong>de</strong>n Spaziergang durch die<br />

<strong>in</strong>zwischen sonnenbeschienenen Straßen Freiburgs <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Schaufensterauslage e<strong>in</strong>es<br />

Buchla<strong>de</strong>ns ihre Entsprechung: Franz Rosenzweigs "Stern <strong>de</strong>r Erlösung" präsentierte sich mir, es<br />

war wohl die gleiche Stelle, wo ich vor gut sechs Jahren <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Auslage "Totalität und<br />

Unendlichkeit" von Lev<strong>in</strong>as gefun<strong>de</strong>n hatte. So war beim weiteren Rundgang e<strong>in</strong> Blick auf die<br />

Universität , wo auch Husserl, Hei<strong>de</strong>gger und Jaspers gewirkt hatten, unverzichtbar.<br />

Epilogue<br />

Now I come to the reason for this exercise. It is not a sociology of the family (the <strong>Herzfeld</strong><br />

family), nor unreservedly the notion that "blood is thicker than water", which was stated by<br />

my namesake Wolfgang <strong>Herzfeld</strong> (1859-1941), who died the year I was born and with whom<br />

I share the <strong>in</strong>terest <strong>in</strong> family history.<br />

Apart from a general <strong>in</strong>terest <strong>in</strong> history there were also quite subjective factors which led me<br />

to an <strong>in</strong>tensive preoccupation with the <strong>Herzfeld</strong> family. One factor may be the unconscious<br />

reappraisal of the divorce of my parents. The <strong>in</strong>terest was <strong>in</strong>itially only dormant, but was<br />

preserved and strengthened by my <strong>in</strong>terest <strong>in</strong> an unknown father liv<strong>in</strong>g <strong>in</strong> the U.S.A, whom I<br />

was only aware of briefly see<strong>in</strong>g for the first time as a thirteen-year old.<br />

In the discussion of my father as a person and of his philosophy of life, two motivat<strong>in</strong>g<br />

themes should come together, both concerned with Jewishness: On the one hand, it was<br />

<strong>in</strong>comprehensible for me that someone, who, even if he only had one Jewish grandparent,<br />

should attempt to ignore the fact, ten<strong>de</strong>d, at least verbally, to an antisemitic attitu<strong>de</strong> and had<br />

an obvious ten<strong>de</strong>ncy to "germanize" the Jewish ancestors <strong>in</strong> his family history. It could of<br />

course be that beh<strong>in</strong>d this attitu<strong>de</strong> were the traumatic experiences dur<strong>in</strong>g the Nazi period for<br />

someone with the name <strong>Herzfeld</strong>.<br />

On the other hand, after I had read the first draft of his family history concern<strong>in</strong>g our Jewish<br />

ancestors, a "neutral" standpo<strong>in</strong>t was evi<strong>de</strong>nt whereby I could reappraise the past divorce of<br />

88


my parents, with which I had not yet come to terms.<br />

If I have to sum up what my <strong>in</strong>volvement with this subject has done for me personally, as I<br />

am repeatedly asked, then I wish to do this with the help of some reflections which I ma<strong>de</strong><br />

dur<strong>in</strong>g a visit to Freiburg on Easter Sunday 1995:<br />

From Ba<strong>de</strong>nweiler to Freiburg, a short trip to attend the Easter Service <strong>in</strong> the cathedral.<br />

Gloomy memories - the ra<strong>in</strong>y weather seems to emphasize them - <strong>in</strong> connection with my<br />

years of travel – more about this later. The city has a relationship to me and connects me with<br />

two, three people who worked here. One was Friedrich Me<strong>in</strong>ecke, whose "World Bourgeoisie<br />

and the Nation State" became the standard work of historicism; another was Hans <strong>Herzfeld</strong>,<br />

who studied un<strong>de</strong>r Me<strong>in</strong>ecke and had the chair <strong>in</strong> Contemporary History at Freiburg for a<br />

short time after the war before he succee<strong>de</strong>d Me<strong>in</strong>ecke at Berl<strong>in</strong>’s Free University. If my<br />

memory does not <strong>de</strong>ceive me, <strong>in</strong> the few conversations with Hans that were granted me, the<br />

<strong>in</strong>fluence of his teacher’s thoughts were noticeable regard<strong>in</strong>g the openness <strong>in</strong> accept<strong>in</strong>g<br />

different approaches to economic and social history.<br />

In this context, it is worth read<strong>in</strong>g his memoirs, <strong>in</strong> which he covers <strong>in</strong> <strong>de</strong>tail his Freiburg<br />

aca<strong>de</strong>mic life, lectures and sem<strong>in</strong>ars with Me<strong>in</strong>ecke. In contrast to this there is Franz<br />

Rosenzweig, who likewise studied with Me<strong>in</strong>ecke, atta<strong>in</strong>ed a doctorate on Hegel and <strong>in</strong><br />

experienc<strong>in</strong>g WW1 became a critic of Hegel’s all-<strong>in</strong>clusive th<strong>in</strong>k<strong>in</strong>g and with this, an<br />

opponent of political history. Hans <strong>Herzfeld</strong> is for me representative of our family: by orig<strong>in</strong><br />

he is a representative of assimilated Jewry and of the liberal-conservative middle class shaped<br />

by bismarckian state-power.<br />

Now an <strong>in</strong><strong>de</strong>pen<strong>de</strong>nt middle class aga<strong>in</strong> <strong>in</strong>clu<strong>de</strong>s religious basic categories <strong>in</strong> its philosophical<br />

system. Whether it orig<strong>in</strong>ated from Jewry or Christianity, as a child of secularization it <strong>de</strong>nied<br />

its religious roots, it was a middle class to which Franz Rosenzweig was connected; it f<strong>in</strong>ally<br />

experienced the brittleness of its world view with WW1, recogniz<strong>in</strong>g the reciprocal tear<strong>in</strong>g<br />

apart of peoples <strong>in</strong> WW1 as a logical consequence of a Hegelian philosophical total system.<br />

Already <strong>in</strong> 1910 Rosenzweig <strong>de</strong>f<strong>in</strong>ed "Religion <strong>in</strong> the 20th Century sense" through its contrast<br />

to history. From this the ma<strong>in</strong> th<strong>in</strong>g to be <strong>in</strong>ferred is that <strong>in</strong> Rosenzweig’s eyes " Religion <strong>in</strong><br />

the 19th Century sense" was obviously a belief <strong>in</strong> history as theodicy. Whoever takes the<br />

judgements of the historical process as the f<strong>in</strong>al criteria for any value judgement, ignor<strong>in</strong>g the<br />

transcen<strong>de</strong>nce of ethics, forgets that history itself can and should be subject to a value<br />

judgement. "Religion <strong>in</strong> the 20th Century sense" is therefore to be un<strong>de</strong>rstood as the personal<br />

relationship of Man with God, as a <strong>de</strong>mand on Man to assume his <strong>in</strong>dispensable<br />

responsibility, beyond the logic which apparently makes him a mere pawn on the anonymous<br />

play<strong>in</strong>g field of history. Here the criticism of Hegel’s historical view is evi<strong>de</strong>nt.<br />

At this po<strong>in</strong>t, my way back leads to a religiously foun<strong>de</strong>d Jewishness - not through my<br />

paternal ancestors of Jewish orig<strong>in</strong>, the assimilated <strong>Herzfeld</strong>s, who merge with German<br />

neopagan middle class culture (Goethe can be regar<strong>de</strong>d as their representative figure) - but<br />

through my catholic grandmother and mother of rural petit-bourgeois orig<strong>in</strong>. I am sure that a<br />

certa<strong>in</strong> distance from Protestant, <strong>in</strong>ner-world society ("secularized Lutherdom") led me to<br />

regard the historical process un<strong>de</strong>r ethical criteria and see the religious dimension as<br />

<strong>in</strong><strong>de</strong>pen<strong>de</strong>nt besi<strong>de</strong> the <strong>in</strong>ner-world historical dimension. Ironically (or is it a dialectic of<br />

history?) now my catholic mother/ grandmother connect me to Jewishness: by this I mean that<br />

I aga<strong>in</strong> discover my ethical basic pr<strong>in</strong>ciples, and Franz Rosenzweig’s Jewishness connects to<br />

Christianity, <strong>in</strong> that the Catholic rite of the Easter Mass, the collective form of religious life,<br />

89


ecomes a "social sign" for me, it refers to an i<strong>de</strong>al reality "that does not yet exist and about<br />

which it is but an approximation, an anticipation. "The religious community today embodies,<br />

albeit <strong>in</strong> limited, special form, the utopian reality of a reconciled world". Expression and<br />

imag<strong>in</strong>ation of the act of re<strong>de</strong>mption and of the re<strong>de</strong>emed world (Easter) takes place <strong>in</strong> and<br />

through the parish, which <strong>in</strong> communion celebrates the risen Lord as the first of a re<strong>de</strong>emed<br />

mank<strong>in</strong>d. Thus - likewise not without irony - rei<strong>de</strong>ntification with Catholicism occurs through<br />

the Jew Rosenzweig.<br />

But here I would also not like to leave unmentioned "my" Emanuelle Lév<strong>in</strong>as, whom I<br />

discovered <strong>in</strong> connection with my reappraisal of the history of the converted and secularized<br />

<strong>Herzfeld</strong> family. He writes, follow<strong>in</strong>g on from Rosenzweig’s thoughts: "The Self is that,<br />

which is already chosen before each <strong>de</strong>cision to carry the whole responsibility of the world.<br />

Messianism is this summit of Be<strong>in</strong>g - the reversal of Be<strong>in</strong>g, which "persists <strong>in</strong> its Be<strong>in</strong>g",<br />

which takes its outcome <strong>in</strong> me". Here, return<strong>in</strong>g to the Easter liturgy, Jewish and Christian<br />

th<strong>in</strong>k<strong>in</strong>g come together and at the same time their difference becomes visible. But the<br />

difference is not all that large, let us take the name Christian (Christos = the Lord’s Ano<strong>in</strong>ted<br />

= Messiah) seriously.<br />

Between gnawed lamb chops, a half-empty Campari glass, w<strong>in</strong>e and bread crumbs dropped on<br />

paper, followed by a walk through the now sunlit streets of Freiburg, these thoughts found<br />

correspon<strong>de</strong>nce <strong>in</strong> a bookshop w<strong>in</strong>dow: Franz Rosenzweig’s "Star of Re<strong>de</strong>mption" was on<br />

display, it could well have been the same place where I had seen "Totality and Inf<strong>in</strong>ity" by<br />

Lev<strong>in</strong>as a good six years before. So on resum<strong>in</strong>g my walk I could not miss tak<strong>in</strong>g a look at the<br />

university, where Husserl, Hei<strong>de</strong>gger and Jaspers had also worked.<br />

1 Jacob Jacobson (Hrsg.), Jüdische Trauungen <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> 1759-1813, Veröffentlichungen <strong>de</strong>r Historischen Kommission zu<br />

Berl<strong>in</strong>, Bd. 28, Quellenwerke Bd. 4, Berl<strong>in</strong> 1968, E<strong>in</strong>leitung S. XXX.<br />

2 Ebd.<br />

3 Vgl. Franz Schnei<strong>de</strong>r, Mitglied <strong>de</strong>r Hetzfel<strong>de</strong>r Flösserzunft, Heid<strong>in</strong>gsfeld e<strong>in</strong> altfränkisches Städtebild.<br />

Heid<strong>in</strong>gsfeld 1908, Nachdruck 1979, S. 3.<br />

4 Vgl. dazu: M. Braun, <strong>Die</strong> Abstammung und <strong>de</strong>r Name Ferd<strong>in</strong>and Lassalles, <strong>in</strong>: Monatsschrift für Geschichte<br />

und Wissenschaft <strong>de</strong>s Ju<strong>de</strong>ntums, 62. Jahrgang, NF 26. Jahrgang, Breslau 1918, S. 270-274. - E<strong>in</strong> weiterer<br />

Beleg, daß <strong>de</strong>r Name <strong>Herzfeld</strong> von Heid<strong>in</strong>gsfeld abgeleitet wur<strong>de</strong>, f<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich bei Bernhard Wachste<strong>in</strong>, <strong>Die</strong><br />

Inschriften <strong>de</strong>s alten Ju<strong>de</strong>nfriedhofs <strong>in</strong> Wien, 2. Teil: 1696-1783, Wien und Leipzig 1917, S. 419: ‘Wolfgang<br />

90


(Simeon Wolf). Er starb als Produktenhändler, 36 Jahre alt, am 18. Oktober 1814, se<strong>in</strong>e Frau Franziska (Frei<strong>de</strong>l)<br />

T. mhrr Lazar <strong>Herzfeld</strong>, 43 Jahre alt, am 4. Dezember 1818.’ Anm. 1: ‘Zu Lazar <strong>Herzfeld</strong> ... er stammt aus<br />

Heid<strong>in</strong>gsfeld, lebte <strong>in</strong> Pirnitz Mähren, hierauf <strong>in</strong> Wien. Das von ihm begrün<strong>de</strong>te Handlungshaus wur<strong>de</strong> von<br />

se<strong>in</strong>em Enkel Bernhard Wertheim ... unter <strong>de</strong>n Namen ‘Lazar <strong>Herzfeld</strong>ers Enkel’ fortgeführt.<br />

5 Bei Angehörigen <strong>de</strong>s Stammes Levi f<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich die Bezeichnung SeGal (zum Stamme Levi gehörig), auf <strong>de</strong>n<br />

Grabste<strong>in</strong>en <strong>de</strong>r Henkelkrug bald auf - bald neben <strong>de</strong>r Schüssel plaziert. Bei <strong>de</strong>n Kohanim, <strong>de</strong>r Priesterkaste, die<br />

ebenfalls <strong>de</strong>m stamme Levi entnommen wur<strong>de</strong>, lautet die Abkürzung K./Z., woraus die Namen Katz, Cohn u.a.<br />

resultieren; die Grabste<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>d mit segnen<strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n verziert.<br />

6 Levi heißt übersetzt ‘me<strong>in</strong>es Herzens’. Nach Gerhard Kessler (<strong>Die</strong> <strong>Familie</strong>namen <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n <strong>in</strong> Deutschland,<br />

Leipzig 1935) ist aus <strong>de</strong>m Väternamen Herz <strong>de</strong>r künstliche Ortsname <strong>Herzfeld</strong> gewor<strong>de</strong>n.<br />

7 Neben <strong>de</strong>n bereits oben genannten s<strong>in</strong>d das: Schönchen <strong>Herzfeld</strong> (Wwe. <strong>de</strong>s Samuel David), Bela Bamberg<br />

geb. <strong>Herzfeld</strong>, Sara <strong>Herzfeld</strong> und Israel Heutzfeld <strong>in</strong> Glogau (se<strong>in</strong>e <strong>Familie</strong> und <strong>de</strong>ren Nachkommen s<strong>in</strong>d nach<br />

1820 <strong>in</strong> Breslau ansässig und nennen sich ebenfalls <strong>Herzfeld</strong>), Judith <strong>Herzfeld</strong> <strong>in</strong> Breslau, <strong>in</strong> Zborowsky <strong>de</strong>n Isai<br />

Moses <strong>Herzfeld</strong> und <strong>in</strong> Nicolai <strong>de</strong>n Baruch <strong>Herzfeld</strong>, alle bis auf Schönchen s<strong>in</strong>d also <strong>in</strong> Schlesien ansässig. Im<br />

Fürstentum Halberstadt Ruben <strong>Herzfeld</strong> (Ellrich), schließlich <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Prov<strong>in</strong>z Posen <strong>de</strong>r Lehrer Moses <strong>Herzfeld</strong> <strong>in</strong><br />

Samter, <strong>in</strong> Buk <strong>de</strong>r Kaufmann Samuel <strong>Herzfeld</strong> und <strong>in</strong> Pu<strong>de</strong>witz e<strong>in</strong> Rabb<strong>in</strong>er H. Samuel <strong>Herzfeld</strong>. Für Posen<br />

liegen uns allerd<strong>in</strong>gs die Verzeichnisse erst aus <strong>de</strong>m Jahre 1834 vor.<br />

1 Der König <strong>de</strong>r Chasaren Butan trat im Jahre 740 zum Ju<strong>de</strong>ntum über.<br />

2 Slomo Netzer, Wan<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n und Neuansiedlung <strong>in</strong> Osteuropa, <strong>in</strong>: Michael Brocke (Hrsg.), Beter und<br />

Rebellen, Aus 1000 Jahren Ju<strong>de</strong>ntum <strong>in</strong> Polen, Frankfurt/M. 1983, S. 36.<br />

3 Shlomo Netzer, a.a.O./, S. 37.<br />

4 Ebd., S. 40.<br />

5 Shlomo Netzer, a.a.O., S. 44.<br />

6 He<strong>in</strong>rich Graetz, Volkstümliche Geschichte <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n, Bd. 3, 10. Auflage, Berl<strong>in</strong> 1922, S. 293.<br />

7 Michael Riff, Das osteuropäische Ju<strong>de</strong>ntum, <strong>in</strong>: Franz Bautz (Hrsg.), Geschichte <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n. Von <strong>de</strong>r<br />

biblischen Zeit bis zur Gegenwart, München 1983, S. 116.<br />

8 Shlomo Netzer, a.a.O., S. 46f.<br />

9 F.W.F. Schmitt, <strong>de</strong>r Kreis Flatow. In se<strong>in</strong>en gesammten Beziehungen, Thorn 1867, S. 122.<br />

10 Brenckenhoff an <strong>de</strong>n M<strong>in</strong>ister v. Hertzberg (17. Sept. 1772), zitiert nach : Max Bär, Westpreußen unter<br />

Friedrich <strong>de</strong>m Großen, Erster Teil - Darstellung, Leipzig 1909, S. 36.<br />

11 Otto Goerke, Der Kreis Flatow, Flatow 1918, S. 92f.<br />

12 Selma Stern, Der Preußische Staat und die Ju<strong>de</strong>n. Dritter Teil: <strong>Die</strong> Zeit Friedrich <strong>de</strong>s Großen. Erste Abtlg.<br />

Darstellung, Tüb<strong>in</strong>gen 1971, S. 73.<br />

13 Jacob Jacobson, Jüdische Trauungen, a.a.O., S. XXVI.<br />

14 Max Bär, a.a.O., S. 420f.<br />

15 Max Bär, a.a.O., S. 426.<br />

16 Ebd., S. 429.<br />

17 Ebd., S. 430.<br />

1 A. Blanke, Aus Schlochaus vergangenen Tagen, 2. Aufl., Schlochau 1926, S.94. Vgl. Auch S. 27 u. S. 80f.<br />

2 A. Blanke, a.a.O., S. 80f.<br />

3 A. Blanke, a.a.O., S. 90.<br />

4 <strong>Die</strong> Briefzitate stammen aus: Moses Men<strong>de</strong>lssohn, Brautbriefe, mit e. E<strong>in</strong>f., von Ismar Elbogen, Königste<strong>in</strong>/Ts.<br />

1985.<br />

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5 Ebd<br />

6 Moses Men<strong>de</strong>lssohn, Gesammelte Schriften, Nachdruck <strong>de</strong>r Ausgabe von 1863 <strong>in</strong> 7 Bdn., Hil<strong>de</strong>sheim 1972,<br />

Bd. i, S. 95f.)<br />

7 <strong>Die</strong> Personenstandsdaten s<strong>in</strong>d entnommen: Jacob Jacobson, Jüdische Trauungen <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> - 1759-1813 -,<br />

Veröffentlichungen <strong>de</strong>r Historischen Kommission (zu Berl<strong>in</strong>, Bd. 28, Berl<strong>in</strong> 1968, Nr. 206).<br />

Der nachfolgen<strong>de</strong> Text stammt aus: Karl Friedrich Klö<strong>de</strong>n, Von Berl<strong>in</strong> nach Berl<strong>in</strong>, Er<strong>in</strong>nerungen 1786-1824, Berl<strong>in</strong> 1976, S. 436 ff.<br />

8 Aus dieser Ehe g<strong>in</strong>g Wilhelm Caspari (geb. 28. 8. 1808, gest. 26. 6. 1866) hervor, von Beruf Indigohändler; er<br />

war ebenfalls mit e<strong>in</strong>er Goldschmidt (Ernest<strong>in</strong>e) verheiratet.<br />

9 Schönchen = Jeanette, Fr. D. Ruben Goldschmidt, T. d. Koppel <strong>Herzfeld</strong> aus Amsterdam, im Wochenbett gest.<br />

17. 2. 1806. Sie war e<strong>in</strong>e Nichte <strong>de</strong>s Samuel David <strong>Herzfeld</strong> <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>. Ihre K<strong>in</strong><strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r ehe mit Ruben<br />

Goldschmidt wur<strong>de</strong>n Christen: 1. Car, ursprünglich Jacob, geb. B. 3. 12. 1792 (T. 1. 8. 1825 = Carl Wilhelm G.),<br />

2. Eduard, ursprünglich Samuel, geb. B. 27. 1. 1794 (T. 28. 9. 1823 = Friedrich Eduard G.); 3. Louis,<br />

ursprünglich Lev<strong>in</strong>, geb. B. 22. 3. 1800 (T. 18. 5. 1829 = He<strong>in</strong>rich Ludwig G.); Ferd<strong>in</strong>and, ursprünglich Benone,<br />

geb. Berl<strong>in</strong> 17. 2. 1806 (T. 6. 1. 1826 = Robert Ferd<strong>in</strong>and G.); weiterh<strong>in</strong> ist noch e<strong>in</strong>e Tochter, Carol<strong>in</strong>e (geb. 9.<br />

2. 1796) zu erwähnen. Vgl. Jacob Jacobson, Jüdische Trauungen, a.a.O.;: Nr. 612, u. Anm. Zu Nr. 612.<br />

10 Jacob Koppel David Heizfeld = Jacob <strong>Herzfeld</strong> aus Amsterdam, gest. Vor 1789.<br />

11 Sanwil Bamberg = <strong>de</strong>r rabb<strong>in</strong>isch gelehrte Sanwil <strong>Herzfeld</strong>, Vorsteher <strong>de</strong>s Talmud-Thora-Institutes und <strong>de</strong>s<br />

Beth hamidrasch = Samuel David Hertzfeld, Ord. 238, geb. Heid<strong>in</strong>gsfeld (<strong>Herzfeld</strong>) im Würzburgischen ca.<br />

1733, Konz. 1. 8. 1764, gest. B. 28. 6. 1790. Samuel David war verheiratet mit Süssche, Tochter <strong>de</strong>s Moses<br />

Bamberg ( 13. 4. 1765). Süschen, geb. Ca. 1744 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, starb dort am 23. 2. 1815. Samuel David hatte also<br />

<strong>de</strong>n Namen se<strong>in</strong>es Schwiegervaters übernommen.<br />

12 Georg Hermann (eigentlich Georg Hermann Borchardt, am 7. Okt. 1871 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> geboren, emigrierte 1933<br />

nach Holland, wur<strong>de</strong> am 19. Nov. 1943 <strong>in</strong> Auschwitz ermor<strong>de</strong>t.<br />

13 Vgl. Das Kapitel „Synagoge“ das <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> Josephson gewidmet ist.<br />

14 An dieser Stelle muß das Haus Burgstrasse 28 (vorh. 27), von <strong>de</strong>m aus man e<strong>in</strong>en Blick auf das Berl<strong>in</strong>er<br />

Schloß hatte, und das <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>r Börse gelegen war, erwähnt wer<strong>de</strong>n. Im Jahre 1853 hatte es e<strong>in</strong>em<br />

Wilhelm Salomon Sobernheim gehört. Dessen Vater war Dr.med. Salomon Sobernheim <strong>in</strong> Posen, <strong>de</strong>r <strong>in</strong><br />

Deutschland erste Versuche mit <strong>de</strong>r Pockenschutz-Impfung machte, und e<strong>in</strong> Enkel <strong>de</strong>s Wilh. Sal. Sobernheim<br />

war <strong>de</strong>r HNO-Arzt Dr. Wilhelm Sobernheim, <strong>de</strong>r 1939 Selbstmord beg<strong>in</strong>g. Im Keller se<strong>in</strong>es Hauses fand man<br />

Bil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Vorfahren u.a. <strong>de</strong>s Jettchens Gebert, real Johanne Goldschmidt. Das Haus kam im Erbgang an die<br />

K<strong>in</strong><strong>de</strong>r e<strong>in</strong>es Joseph Herz feld, <strong>de</strong>r nach 1848 steckbrieflich wegen revolutionärer Umtriebe gesucht, <strong>de</strong>shalb <strong>in</strong><br />

die U.S.A., emigrierte (im Hause se<strong>in</strong>es Vaters Jonas <strong>Herzfeld</strong>, <strong>de</strong>r auch e<strong>in</strong>ige Jahre, um 1815, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m kle<strong>in</strong>en<br />

Ort Büttgen b. Neuß, wo me<strong>in</strong>e Frau Ruth fast zwanzig Jahre gewohnt hatte, lebte, verkehrte auch Ferd<strong>in</strong>and<br />

Lassalle, <strong>de</strong>ssen Mutter Rosalie <strong>Herzfeld</strong>, Tochter <strong>de</strong>s Abraham, aus Glogau war), an <strong>de</strong>n Dr. phil. Georg<br />

<strong>Herzfeld</strong>, <strong>de</strong>n Magistratsassessor Dr. Gustav <strong>Herzfeld</strong> (Wildpark b. Potsdam), Frau Marie (gen. Mamy)<br />

Vohsen, geb. <strong>Herzfeld</strong> und Frau Rosa (gen. Leonart} von <strong>de</strong>n Ste<strong>in</strong>en, geb. <strong>Herzfeld</strong> (Steglitz). Der genannte<br />

Gustav <strong>Herzfeld</strong> wur<strong>de</strong> als getaufter Ju<strong>de</strong> im K.Z. Theresienstadt umgebracht. Zur Verwandtschaft dieser<br />

<strong>Herzfeld</strong>s (vgl. Stammbaum) gehörten auch Wieland <strong>Herzfeld</strong>e und John Heartfield (= Helmut <strong>Herzfeld</strong>).<br />

Rosa Eleonore von <strong>de</strong>r Ste<strong>in</strong>en geb. <strong>Herzfeld</strong> war mit <strong>de</strong>m Baseler Schriftsteller von <strong>de</strong>n Ste<strong>in</strong>en verheiratet. Als<br />

Jüd<strong>in</strong> konnte sie <strong>de</strong>m Transport <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Vernichtungslager 1940 entgehen, weil sie <strong>in</strong> Freiburg <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em von <strong>de</strong>n<br />

Gengenbachern Franziskanner<strong>in</strong>nen geleitet Altersheim lebte. Sie war 1867 <strong>in</strong> Düsseldorf geboren und starb im<br />

Dezember 1944 <strong>in</strong> Basel, woh<strong>in</strong> sie nach <strong>de</strong>m Angriff auf Freiburg (27. November 1944) gebracht wer<strong>de</strong>n<br />

konnte.<br />

Vgl. zu diesem Zweig <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> <strong>Herzfeld</strong> im E<strong>in</strong>zelnen: Hans Seelig, Jonas <strong>Herzfeld</strong> (1793-1880) und<br />

Nachfahren <strong>in</strong> Wirtschaft, Kunst und Politik <strong>in</strong>: Neusser Jahrbuch für Kunst, Kulturgeschichte und<br />

Heimatkun<strong>de</strong>, Neuss 1987, S. 12 ff. Stefan Rohrbacher, Aus <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>nchronik <strong>de</strong>s Albert <strong>Herzfeld</strong>, <strong>in</strong>:<br />

Neusser Jahrbuch, Neuss 1988, S. 58 ff. Hugo Wei<strong>de</strong>nhaupt (Hrsg.), E<strong>in</strong> nichtarischer Deutscher, <strong>Die</strong><br />

Tagebücher <strong>de</strong>s Albert <strong>Herzfeld</strong> 1935-1939, Düsseldorf 1982.<br />

Brief von Leonore Mannchen, Tochter <strong>de</strong>s vorg., Albert <strong>Herzfeld</strong>, an <strong>de</strong>n Verfasser (13,1.19911.<br />

15 Vgl. Jacob Jacobson, Jüdische Trauungen, a.a.O., Nr. 621.<br />

16 DZA, Abteilung Merseburg, (<strong>in</strong>zwischen wi<strong>de</strong>r GstA Berl<strong>in</strong>), Gen.-Direct. Westpreußen u. Netzedistrikt,<br />

Mat., Tit. LIVII, Sect. 1. No. 2. , Blatt 79.<br />

17<br />

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18 Bernhard Brill<strong>in</strong>g, <strong>Die</strong> jüdischen Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>n Mittelschlesiens, Entstehung u. Geschichte, Stuttg., Berl<strong>in</strong>, Köln, Ma<strong>in</strong>z 1972, S. 105,<br />

Fußnote 10. Ortsakten Hundsfeld vol. 6.<br />

19 Vgl.. „Verzeichnis sämmtlicher <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Prov<strong>in</strong>z Schlesien - Breslauer Regierungs<strong>de</strong>partment bef<strong>in</strong>dlichen<br />

jüdischen Staatsbürger, Nr. 2436.<br />

20 Vgl. Selma Stern, Der preussische Staat und die Ju<strong>de</strong>n, Dritter Teil, 2. Akten, 2. Halbband, S. 1205ff.<br />

21 In <strong>de</strong>r Staatsbürgerliste <strong>de</strong>r Prov<strong>in</strong>z Posen f<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich folgen<strong>de</strong> Schreibweise: Schlochow (Munk); die<br />

Klammern wür<strong>de</strong>n wir heute wohl durch e<strong>in</strong>en B<strong>in</strong><strong>de</strong>strich ersetzen.<br />

22 Auf <strong>de</strong>m jüdischen Friedhof <strong>in</strong> Halle/S. bef<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich das Grab e<strong>in</strong>er Klara Friedlän<strong>de</strong>r geb. <strong>Herzfeld</strong>.<br />

23 Sara Heitzfeld (geb. 3. 5. 1772) könnte e<strong>in</strong>e Tochter <strong>de</strong>s Abraham Joachim Heitzfeld (<strong>Herzfeld</strong>), geb. 29. 12.<br />

1749, se<strong>in</strong>, obwohl das Datum <strong>de</strong>r Eheschließung zwischen Abraham und Frei<strong>de</strong> Castriel (geb. 24. 2. 1753 <strong>in</strong><br />

Glogau) dagegen zu sprechen sche<strong>in</strong>t, aber die Umrechnung <strong>in</strong> <strong>de</strong>n christlichen Kalen<strong>de</strong>r bereitete oft<br />

Schwierigkeiten. – Ebenso Bela Heitzfeld (<strong>Herzfeld</strong>), geb. 20. 2. 1783, gest. 2. 7. 1829, die mit Michael Samuel<br />

Bamberger geb. 10. 9. 1781) verheiratet war. (K<strong>in</strong><strong>de</strong>r: Heimann, geb. 4. 6. 1804; Jette, geb. 28. 9. 1805; Adolph,<br />

geb. 15. 9. 1807 und Jacob, geb. 1. 9. 1810.) Im Jahre 1812 lebten im Hausstand <strong>de</strong>s Abraham noch die Töchter<br />

Philipp<strong>in</strong>e (geb. 12. 6. 1794) und Rosalie (geb. 1. 1. 1796), die Mutter Ferd<strong>in</strong>and Lassalles. E<strong>in</strong> Sohn Bertriel,<br />

gest. 1830, liegt auf <strong>de</strong>m Friedhof an <strong>de</strong>r Schönhauser Allee <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> begraben.<br />

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