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Unser Universum – eine Lebensnische im ... - brunobinggeli.ch

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<strong>Unser</strong> <strong>Universum</strong> <strong>–</strong> <strong>eine</strong> <strong>Lebensnis<strong>ch</strong>e</strong> <strong>im</strong> Multiversum?<br />

Bruno Binggeli<br />

in: Evolution <strong>–</strong> Entwicklung und Dynamik in den Wissens<strong>ch</strong>aften (Oesterrei<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>er Wissens<strong>ch</strong>aftstag<br />

2009, Semmering), hrsg. G. Magerl und R. Neck, Böhlau Verlag, Wien 2010<br />

Das Jahr 2009 ist ni<strong>ch</strong>t nur ein Darwin-Jahr, sondern au<strong>ch</strong> ein “Internationales Jahr<br />

der Astronomie”. Der Anlass für letzteres ist ebenfalls ein (doppeltes) Jubiläum: Vor<br />

400 Jahren benutzte Galilei erstmals ein Teleskop für H<strong>im</strong>melsbeoba<strong>ch</strong>tungen und<br />

publizierte Kepler s<strong>eine</strong> Entdeckung der elliptis<strong>ch</strong>en Planetenbahnen. So ist es<br />

viellei<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t ganz unpassend, wenn au<strong>ch</strong> ein Astronom zu dieser Tagung etwas<br />

beitragen darf. Aber haben denn die beiden Gebiete, Evolutionsbiologie und<br />

Astronomie, überhaupt etwas miteinander zu tun, über die Tatsa<strong>ch</strong>e hinaus, dass au<strong>ch</strong><br />

die Objekte der Astronomie <strong>eine</strong>r natürli<strong>ch</strong>en Entwicklung unterliegen, wel<strong>ch</strong>e der<br />

Entwicklung des Lebens notwendig vorausgeht? Die Entdeckung extrasolarer<br />

Planeten vor 15 Jahren hat der Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> Leben, mögli<strong>ch</strong>erweise intelligentem<br />

Leben <strong>im</strong> <strong>Universum</strong> enormen Auftrieb verliehen, und “Astrobiologie” wird in den<br />

Augen vieler zu <strong>eine</strong>m der führenden Fors<strong>ch</strong>ungsgebiete des 21. Jahrhunderts, wenn<br />

ni<strong>ch</strong>t des 3. Jahrtausends werden. Do<strong>ch</strong> ändert diese Interdisziplinarität no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts an<br />

der bes<strong>ch</strong>ränkten, wenn au<strong>ch</strong> fundamentalen Rolle, die der Astronomie in diesem<br />

“Spiel” zugeda<strong>ch</strong>t ist: Das Weltall wird pr<strong>im</strong>är als Bühne verstanden, auf wel<strong>ch</strong>er si<strong>ch</strong><br />

in gewissen Nis<strong>ch</strong>en Leben entfalten kann. Erst wenn das Weltall als Ganzes<br />

betra<strong>ch</strong>tet wird, wird au<strong>ch</strong> diese Bühne lebendig und entpuppen si<strong>ch</strong> mögli<strong>ch</strong>e<br />

Parallelen zur Darwins<strong>ch</strong>en Lehre. Tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> zeigen neuere Konzepte der<br />

Kosmologie <strong>eine</strong> gewisse Verwandts<strong>ch</strong>aft mit denen der biologis<strong>ch</strong>en Evolution, und<br />

sie entfa<strong>ch</strong>en au<strong>ch</strong> dieselbe Kontroverse wie diese. In der Evolutionsbiologie geht es<br />

um die Passung des Lebens an die Welt, in der Kosmologie um die Passung der Welt<br />

an das Leben. Die bevorzugte Lösung der Wissens<strong>ch</strong>aft s<strong>ch</strong>eint <strong>im</strong> <strong>eine</strong>n wie <strong>im</strong><br />

andern Fall dieselbe zu sein: Zufall und Auswahl heissen die S<strong>ch</strong>lüsselbegriffe. Bevor<br />

i<strong>ch</strong> aber diese Parallelen aufzeige und diskutiere, mö<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong> die Entwicklung der<br />

H<strong>im</strong>melskörper <strong>im</strong> <strong>Universum</strong>, und die Entwicklung des <strong>Universum</strong>s als Ganzes, in<br />

aller Kürze skizzieren und die begriffli<strong>ch</strong>en Mögli<strong>ch</strong>keiten <strong>eine</strong>r “biologis<strong>ch</strong>en<br />

S<strong>ch</strong>au” des <strong>Universum</strong>s ausreizen. Als erstes erzähle i<strong>ch</strong> aus dem “Leben” der Sterne.<br />

1


Aus dem Leben der Sterne<br />

Begriffe wie Sterngeburt, Sternentwicklung, Sternpopulation zeigen die Beliebtheit<br />

biologis<strong>ch</strong>er Metaphern in der Astronomie. In alten Zeiten (vor der Neuzeit) war die<br />

Vorstellung an<strong>im</strong>ierter H<strong>im</strong>melskörper freili<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t bloss metaphoris<strong>ch</strong> gemeint.<br />

Selbst no<strong>ch</strong> bei Giordano Bruno sind die Gestirne als eigentli<strong>ch</strong>e Lebewesen zu<br />

verstehen, und erst mit dem Aufkommen des me<strong>ch</strong>anistis<strong>ch</strong>en Weltverständnisses <strong>im</strong><br />

18./19. Jahrhundert sind die H<strong>im</strong>melskörper zu Konfigurationen “toter” Materie<br />

geworden und gilt jegli<strong>ch</strong>e Biologisierung oder gar Vermens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>ung etwa des<br />

Sternenlebens (die aber no<strong>ch</strong> heute der Popularisierung dient, siehe unten) als<br />

psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Projektion, die allenfalls ein S<strong>ch</strong>munzeln erzeugt. Trotzdem ist es au<strong>ch</strong><br />

(und viellei<strong>ch</strong>t gerade) heute ni<strong>ch</strong>t völlig abwegig, na<strong>ch</strong> dem Leben der<br />

H<strong>im</strong>melskörper <strong>–</strong> makroskopis<strong>ch</strong>er Körper mit komplexer innerer Struktur und<br />

Dynamik au<strong>ch</strong> sie <strong>–</strong> zu fragen, denn die definitoris<strong>ch</strong>en Grenzen zwis<strong>ch</strong>en “toter” und<br />

“lebender” Materie sind na<strong>ch</strong> wie vor unklar und entspre<strong>ch</strong>end umstritten. Als die<br />

unverzi<strong>ch</strong>tbaren Hauptmerkmale des Lebens werden meist die Fähigkeit zur<br />

Fortpflanzung und gerade au<strong>ch</strong> die Fähigkeit zur biologis<strong>ch</strong>en Evolution <strong>im</strong> (neo-)<br />

darwinistis<strong>ch</strong>en Sinn genannt. Wenn wir nun also ganz offen und naiv an diese Frage<br />

herangehen, so sind es unter den Materie-Ansammlungen des Weltalls si<strong>ch</strong>er am<br />

ehesten die Sterne, bei denen <strong>eine</strong> Art biologis<strong>ch</strong>e Evolution prinzipiell vorstellbar<br />

wäre. Zumindest Sterne grosser Masse haben, vergli<strong>ch</strong>en mit dem Weltalter, <strong>eine</strong><br />

genügend kurze Lebensdauer, um als “Spezies” <strong>eine</strong> “phylogenetis<strong>ch</strong>e” Entwicklung<br />

dur<strong>ch</strong>laufen zu können. Bei den Galaxien, den Sternsystemen, ist das prinzipiell<br />

anders: diese sind nur einmal, und alle in der derselben Epo<strong>ch</strong>e der kosmis<strong>ch</strong>en<br />

Frühzeit entstanden (siehe unten), und sie können, wenn sie ni<strong>ch</strong>t mit<br />

Na<strong>ch</strong>bargalaxien zusammenstossen und vers<strong>ch</strong>melzen, praktis<strong>ch</strong> ewig leben. Die<br />

morphologis<strong>ch</strong>e Vielfalt der Galaxien ist zwar bedingt dur<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e<br />

physikalis<strong>ch</strong>e Anfangs- und “Umweltbedingungen”, aber es kann ni<strong>ch</strong>ts “vererbt”<br />

werden, weil es nur <strong>eine</strong> Generation von Galaxien gibt. Sterne hingegen gibt es in<br />

mehreren Generationen (die Anzahl hängt von der Sternmasse ab; die Sonne z.B. ist<br />

vermutli<strong>ch</strong> ein Stern dritter Generation).<br />

S<strong>ch</strong>auen wir uns also zunä<strong>ch</strong>st die “Ontogenese”, den individuellen Lebensweg <strong>eine</strong>s<br />

typis<strong>ch</strong>en Sterns an. Sterne entstehen in so genannten Molekülwolken, das sind<br />

grosse, turbulente Gas- und Staubkomplexe (siehe Abb. 1). In diesen gibt es kl<strong>eine</strong>re<br />

Gebiete, wo die Gasdi<strong>ch</strong>te zuweilen <strong>eine</strong>n gewissen kritis<strong>ch</strong>en Wert übersteigt. Dort<br />

kommt es zum Gravitationskollaps <strong>–</strong> <strong>eine</strong> Gaswolke fällt, zuerst <strong>im</strong> freien Fall, dann<br />

<strong>im</strong>mer langsamer in si<strong>ch</strong> zusammen, bis na<strong>ch</strong> hunderttausenden von Jahren Druck<br />

und Temperatur <strong>im</strong> Innern so gross geworden sind, dass si<strong>ch</strong> ein neues Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t<br />

zwis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>werkraft und thermis<strong>ch</strong>em Druck einstellt: ein Stern ist geboren. Auf<br />

diese Weise entstand vor 4,5 Mia Jahren au<strong>ch</strong> die Sonne <strong>–</strong> <strong>eine</strong> Gaskugel, hundert mal<br />

grösser als die Erde, <strong>im</strong> Zentrum 15 Mio Grad, an der si<strong>ch</strong>tbaren Oberflä<strong>ch</strong>e no<strong>ch</strong><br />

5500 Grad heiss. Die innere Struktur, die S<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tung von Di<strong>ch</strong>te und Temperatur, die<br />

beide steil na<strong>ch</strong> innen zunehmen, ergibt si<strong>ch</strong> aus dem lokalen hydrostatis<strong>ch</strong>en und<br />

thermis<strong>ch</strong>en Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t. Global ist ein Stern allerdings <strong>im</strong> Zustand<br />

grösstmögli<strong>ch</strong>en Unglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts <strong>–</strong> ein heisser, strahlender Punkt <strong>im</strong> leeren, kalten<br />

<strong>Universum</strong> (die kosmis<strong>ch</strong>e Hintergrundstemperatur beträgt nur 3 Grad über dem<br />

absoluten Nullpunkt!). Wir haben es also eher mit <strong>eine</strong>m Zustand des “stabilen<br />

Unglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts” zu tun <strong>–</strong> und genau dies <strong>ch</strong>arakterisiert natürli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> den Zustand<br />

der Lebewesen, deren Existenz nur dur<strong>ch</strong> <strong>eine</strong> lokale Umgehung des Gesetzes der<br />

2


Abb.1 Typis<strong>ch</strong>e Sternentstehungsregion in der kl<strong>eine</strong>n Magellans<strong>ch</strong>en Wolke. Bild: NASA<br />

Hubble Space Telescope (hubblesite.org/gallery/album/nebula/pr2007004a/)<br />

wa<strong>ch</strong>senden Entropie ermögli<strong>ch</strong>t wird. Bei den Sternen besorgt die Aufgabe der<br />

“Individuation” in erster Linie die Gravitation. Aber es brau<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong> etwas anderes,<br />

<strong>eine</strong> innere Energiequelle, um der S<strong>ch</strong>werkraft die Waage halten und das stabile<br />

Unglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t aufre<strong>ch</strong>t erhalten zu können.<br />

Das ist bekanntli<strong>ch</strong> der Prozess der Kernfusion <strong>–</strong> <strong>im</strong> Normalzustand <strong>eine</strong>s Sterns (wie<br />

gegenwärtig der Sonne) ist es die Energie freisetzende Vers<strong>ch</strong>melzung von vier<br />

Wasserstoffkernen (Protonen) in <strong>eine</strong>n Heliumkern. Dieser “lebenserhaltende”<br />

stellare “Stoffwe<strong>ch</strong>sel” (um die biologis<strong>ch</strong>e Analogie aufre<strong>ch</strong>t zu erhalten) führt nun<br />

aber au<strong>ch</strong>, dur<strong>ch</strong> die Aenderung der <strong>ch</strong>emis<strong>ch</strong>en Zusammensetzung, zu <strong>eine</strong>r<br />

allmähli<strong>ch</strong>en Umstrukturierung des ganzen Sterns. Na<strong>ch</strong> und na<strong>ch</strong> füllt si<strong>ch</strong> das<br />

zentrale Gebiet des Sterns, wo die Kernumwandlung dank hö<strong>ch</strong>ster Temperatur<br />

auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> stattfindet, mit “Heliumas<strong>ch</strong>e” an, und so muss si<strong>ch</strong> das Energie<br />

bringende Wasserstoffbrennen <strong>im</strong>mer mehr na<strong>ch</strong> aussen verlagern. Dies führt<br />

s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> zur Aufblähung des Sterns zum kühlen “Roten Riesen” [Aehnli<strong>ch</strong>keiten<br />

zur Entwicklung lebender Personen sind rein zufällig!]. Die Sonne wird dieses<br />

Entwicklungsstadium in ca. 7 Mia Jahren dur<strong>ch</strong>laufen, und ihre Oberflä<strong>ch</strong>e wird dabei<br />

fast bis zur Erde rei<strong>ch</strong>en. Während si<strong>ch</strong> aber die äussere Hülle des Sterns aufbläht,<br />

muss umgekehrt das heliumrei<strong>ch</strong>e Zentralgebiet <strong>im</strong>mer weiter s<strong>ch</strong>rumpfen. Es wird<br />

dabei <strong>im</strong>mer heisser, bis irgendwann die S<strong>ch</strong>wellentemparatur von ca. 100 Mio Grad<br />

übers<strong>ch</strong>ritten wird, bei wel<strong>ch</strong>er nun die “As<strong>ch</strong>e”, wenn au<strong>ch</strong> mit kl<strong>eine</strong>rem<br />

Energiegewinn, weiter verbrannt wird: Drei Heliumkerne vers<strong>ch</strong>melzen zu <strong>eine</strong>m<br />

Kohlenstoffkern (über die Zwis<strong>ch</strong>enstufe des Berylliumkerns, der aber sehr instabil<br />

ist, weswegen es praktis<strong>ch</strong> <strong>eine</strong>n Helium-Dreierstoss brau<strong>ch</strong>t). Währenddessen kann<br />

das Wasserstoffbrennen in den äusseren S<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten no<strong>ch</strong> <strong>eine</strong> Weile weitergehen, aber<br />

s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> kommt es zu Instabilitäten, die dazu führen, dass die Hülle des Sterns<br />

3


wegges<strong>ch</strong>leudert wird. Das Resultat ist ein s<strong>ch</strong>öner “Planetaris<strong>ch</strong>er Nebel”, der aber<br />

ni<strong>ch</strong>ts mit Planeten zu tun hat und au<strong>ch</strong> nur ein vorübergehendes Phänomen darstellt <strong>–</strong><br />

ein optis<strong>ch</strong>er “S<strong>ch</strong>wanengesang” des sterbenden Sterns. Der eigentli<strong>ch</strong>e Sternüberrest<br />

<strong>im</strong> Zentrum des Nebels ist ein “Weisser Zwerg”: weissglühend heiss, dabei ni<strong>ch</strong>t viel<br />

grösser als die Erde. Dieser kompakte Endzustand folgt aus dem Wegfall des inneren<br />

Drucks, sobald der “Ofen” <strong>im</strong> Sterninnern “aus” ist <strong>–</strong> der Stern kollabiert und drückt<br />

dabei den Kohlenstoff, die “As<strong>ch</strong>e” des Heliumbrennens, in <strong>eine</strong> diamantene<br />

Kristallstruktur. Weisse Zwerge glei<strong>ch</strong>en so erdgrossen Diamanten! <strong>–</strong> Ein edles Ende<br />

für <strong>eine</strong>n Stern, aber eigentli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ade für all den s<strong>ch</strong>önen Kohlenstoff <strong>im</strong><br />

gläsernen Sarg, der ja zu was ganz anderem dienen könnte… In der Tat: Wären alle<br />

Sterne sonnenähnli<strong>ch</strong>, es gäbe uns ni<strong>ch</strong>t. Zum Glück gibt es au<strong>ch</strong> masserei<strong>ch</strong>ere<br />

Sterne, deren grösserer S<strong>ch</strong>weredruck sehr viel höhere Temperaturen <strong>im</strong> Innern<br />

erzeugt, was nun zu <strong>eine</strong>r weiteren, energetis<strong>ch</strong> günstigen Verbrennung der “As<strong>ch</strong>e”<br />

führt. Kohlenstoff wird, um nur die Hauptkette zu nennen, zu Sauerstoff, Neon,<br />

Magnesium und Silizium weiter fusioniert <strong>–</strong> bis hin zu Eisen, das ni<strong>ch</strong>t mehr<br />

gewinnbringend verwertet werden kann und si<strong>ch</strong> als “S<strong>ch</strong>lacke” <strong>im</strong> Zentrum<br />

ansammelt. <strong>–</strong> Wieder s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t für den Kohlenstoff, würde man denken. Do<strong>ch</strong> die<br />

vollständige Verbrennung findet nur <strong>im</strong> Zentrum statt. In den äusseren S<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten<br />

finden wir, zwiebels<strong>ch</strong>alenartig, alle Stufen der Verbrennungskette vor, und von dort<br />

wird der Kohlenstoff den Weg ins Freie finden.<br />

S<strong>ch</strong>were Sterne brennen s<strong>ch</strong>neller und leben deshalb kürzer [Sterne sind eben au<strong>ch</strong><br />

nur Mens<strong>ch</strong>en!, so mö<strong>ch</strong>te man ausrufen]. Generell ist die ganze Sternentwicklung<br />

ni<strong>ch</strong>ts als ein verzögerter, von Zwis<strong>ch</strong>enstufen des stabilen Unglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts<br />

zeitweise unterbro<strong>ch</strong>ener Gravitationskollaps. Die Gravitation ist der Motor der<br />

ganzen Sternentwicklung, und sie gewinnt am Ende eigentli<strong>ch</strong> <strong>im</strong>mer <strong>–</strong> genauso<br />

gewinnt bei den Lebewesen die Entropie am Ende <strong>im</strong>mer, sobald die<br />

lebensnotwendigen Prozesse ausfallen. S<strong>ch</strong>were Sterne kollabieren zu no<strong>ch</strong><br />

kompakteren Gebilden als Weissen Zwergen: zu bloss no<strong>ch</strong> kilometergrossen<br />

“Neutronensternen” oder, bei vollständigem Kollaps, zu “S<strong>ch</strong>warzen Lö<strong>ch</strong>ern”. Aber<br />

ents<strong>ch</strong>eidend wi<strong>ch</strong>tig ist nun eben, dass ni<strong>ch</strong>t alles Material in der “Sternlei<strong>ch</strong>e”<br />

vers<strong>ch</strong>windet. Wiederum werden die äussern S<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten des Stern wegges<strong>ch</strong>leudert <strong>–</strong><br />

diesmal in <strong>eine</strong>r gigantis<strong>ch</strong>en Explosion. Die Ueberreste <strong>eine</strong>r sol<strong>ch</strong>en “Supernova”,<br />

ca. 1000 Jahre na<strong>ch</strong> dem Ereignis, sehen wir <strong>im</strong> Sternbild des Stiers als “Krebsnebel”.<br />

Das Gas dieses Nebels wird si<strong>ch</strong> über die Jahrtausende mit dem bereits vorhandenen,<br />

zwis<strong>ch</strong>en den Sternen fein verteilten Wasserstoffgas mis<strong>ch</strong>en und dieses somit mit<br />

den s<strong>ch</strong>weren Elementen, die <strong>im</strong> Sterninnern aus lei<strong>ch</strong>teren Elementen gebacken<br />

wurden, anrei<strong>ch</strong>ern.<br />

Und damit s<strong>ch</strong>liesst si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> der Lebenszyklus der Sterne, denn aus dem<br />

interstellaren Gas, das vom <strong>ch</strong>emis<strong>ch</strong>en Erbe der vergangenen Sterne dur<strong>ch</strong>setzt ist,<br />

können wieder neue Sterne entstehen. Der von Sterngeneration zu Sterngeneration<br />

monoton wa<strong>ch</strong>sende Gehalt s<strong>ch</strong>werer Elemente <strong>–</strong> : dies also wäre so etwas wie die<br />

Phylogenese, die Stammesges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Sterne. Und selbst die Fähigkeit zur<br />

Reproduktion, unabdingbares Kriterium der Definition des Lebens, kann den Sternen<br />

in gewisser Weise zuges<strong>ch</strong>rieben werden. Es sind gerade sol<strong>ch</strong>e Sternexplosionen, die<br />

das umgebende Gas zusammendrücken und lokal kollabieren lassen: Sterbende Sterne<br />

regen zu Sternentstehung an (dazu no<strong>ch</strong>mals Abb. 1, wo man deutli<strong>ch</strong> zu sehen<br />

vermeint, wie die neugeborenen Sterne <strong>eine</strong> Höhlung in das umgebende Gas<br />

drücken). Do<strong>ch</strong> zugegeben: es ist ni<strong>ch</strong>t so, dass ein Stern si<strong>ch</strong> <strong>eine</strong>m nä<strong>ch</strong>sten Stern<br />

4


individuell weitervererbt. Dazu sind Sterne viel zu einfa<strong>ch</strong>e Gebilde. Wo die<br />

physikalis<strong>ch</strong>en Bedingungen st<strong>im</strong>men, entsteht mit blinder Me<strong>ch</strong>anik ein Stern,<br />

dessen ganze weitere Entwicklung vollständig best<strong>im</strong>mt wird dur<strong>ch</strong> s<strong>eine</strong> Masse und<br />

<strong>ch</strong>emis<strong>ch</strong>e Zusammensetzung. Die darwinistis<strong>ch</strong>en Konzepte von Zufall und<br />

Anpassung dur<strong>ch</strong> Auswahl ma<strong>ch</strong>en für Sterne s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> do<strong>ch</strong> k<strong>eine</strong>n Sinn.<br />

Sternentwicklung ist also k<strong>eine</strong> biologis<strong>ch</strong>e Evolution, aber sie ist mit Si<strong>ch</strong>erheit <strong>eine</strong><br />

Voraussetzung für diese. Erst die Bildung s<strong>ch</strong>werer Elemente <strong>im</strong> Sterninnern, sowie<br />

deren Befreiung in katastrophalen Ereignissen, erlaubt die Bildung von Staubkörnern<br />

<strong>im</strong> interstellaren Raum. Die Staubkörner sammeln si<strong>ch</strong> später in “Protoplanetaren<br />

S<strong>ch</strong>eiben” um Sterne in der Geburtsphase herum an, wo sie si<strong>ch</strong> über <strong>eine</strong> Kette von<br />

Prozessen zu kl<strong>eine</strong>ren Brocken, und s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> zu ganzen Planeten<br />

zusammenballen können. Jedes Atom der Erde oder unseres Körpers, wenn es si<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t gerade um Wasserstoff (oder andere Lei<strong>ch</strong>tgewi<strong>ch</strong>te) handelt, ist so ein Erbe der<br />

Sternentwicklung. Das alte Wort, wona<strong>ch</strong> wir Kinder der Sterne sind, erhält dadur<strong>ch</strong><br />

<strong>eine</strong>n neuen Sinn.<br />

Na<strong>ch</strong>dem wir die Frage bei den Sternen verneint haben: <strong>–</strong> Lassen si<strong>ch</strong> viellei<strong>ch</strong>t die<br />

Planeten als Lebewesen verstehen? Zumindest <strong>im</strong> Fall der Erde, dieses ganz<br />

besonderen Planeten mit s<strong>eine</strong>r rei<strong>ch</strong>en Biosphäre, wurde diese Hypothese s<strong>ch</strong>on vor<br />

30 Jahren geäussert. Gemeint ist die ebenso bekannte wie umstrittene “Gaia-<br />

Hypothese” von James Lovelock. 1 Eine mögli<strong>ch</strong>e Fundamentalkritik an dieser<br />

Hypothese: dass der Erde die für alles Leben <strong>ch</strong>arakteristis<strong>ch</strong>e<br />

Reproduktionsmögli<strong>ch</strong>keit fehle, greift mögli<strong>ch</strong>erweise zu kurz: Die Erde (d.h. ihre<br />

intelligente Bewohners<strong>ch</strong>aft) s<strong>ch</strong>eint ja drauf und dran zu sein, mit Hilfe der<br />

Raumfahrtte<strong>ch</strong>nik “Sporen” auszusenden. Es wird s<strong>ch</strong>on seit längerer Zeit über die<br />

Mögli<strong>ch</strong>keit <strong>eine</strong>r regelre<strong>ch</strong>ten Kolonisation der ganzen Mil<strong>ch</strong>strasse spekuliert. 2 Wer<br />

weiss, mögen dur<strong>ch</strong> den Mens<strong>ch</strong>en (oder s<strong>eine</strong>n Na<strong>ch</strong>folger?) in ferner Zukunft die<br />

H<strong>im</strong>melskörper do<strong>ch</strong> zu Lebewesen werden, zumindest zu lebenden Kollektiven, wie<br />

wir sie von Ameisen- und Bienenstaaten her kennen. <strong>Unser</strong>e Vorstellungskraft rei<strong>ch</strong>t<br />

gegenwärtig dafür wohl einfa<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t aus.<br />

Kosmis<strong>ch</strong>e Kurzges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

Aber das Sti<strong>ch</strong>wort Mil<strong>ch</strong>strasse ist gefallen. Lassen Sie mi<strong>ch</strong> nun also rauszoomen in<br />

den Kosmos. Alles was wir bisher bespro<strong>ch</strong>en haben, spielt si<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong>sam vor<br />

unserer Haustüre ab. Wir befinden uns mit der Sonne, ca. 30 000 Li<strong>ch</strong>tjahre vom<br />

Zentrum entfernt, irgendwo am Rand dieser “Riesens<strong>ch</strong>necke” (siehe Abb. 2. Wie<br />

man sieht, kann i<strong>ch</strong> den Bezug zur Biologie ni<strong>ch</strong>t lassen; aber dass die Galaxien no<strong>ch</strong><br />

weniger Lebewesen sind als die Sterne, wurde ja s<strong>ch</strong>on eingangs klargestellt.) Die<br />

Mil<strong>ch</strong>strasse ist ein s<strong>ch</strong>eibenförmiges Gebilde (deswegen das mil<strong>ch</strong>ige Band am<br />

Na<strong>ch</strong>th<strong>im</strong>mel) und enthält ca. 100 Mia Sterne sowie ein interstellares Medium von<br />

Gas und Staub, in wel<strong>ch</strong>em si<strong>ch</strong> der oben bes<strong>ch</strong>riebene Lebenszyklus der Sterne<br />

abspielt. In der Abbildung sehen wir das Sternsystem in der Aufsi<strong>ch</strong>t <strong>–</strong> aber natürli<strong>ch</strong><br />

1 James Lovelock: Gaia: A New Look at Life on Earth, Oxford 1979; dt: Gaia: die Erde ist<br />

ein Lebewesen, Bern 1992<br />

2 z.B. Freeman Dyson: Innenansi<strong>ch</strong>ten. Erinnerungen in die Zukunft, Basel 1981, 220<strong>–</strong>232<br />

5


Abb. 2 <strong>Unser</strong>e Position in der Mil<strong>ch</strong>strasse, verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>t an der Spiralgalaxie Messier 74.<br />

Bild: NASA Hubble Space Telescope (hubblesite.org/gallery/album/galaxy/pr2007041a/).<br />

ist es ni<strong>ch</strong>t die Mil<strong>ch</strong>strasse, sondern irgend<strong>eine</strong> andere, ganz ähnli<strong>ch</strong>e Spiralgalaxie<br />

(mit der Nummer M74), von denen es da draussen w<strong>im</strong>melt. Do<strong>ch</strong> gibt es au<strong>ch</strong><br />

Galaxien, die symmetris<strong>ch</strong>er, einfa<strong>ch</strong>er, weniger tierartig aussehen. Die<br />

Formenvielfalt der Galaxien wurde dur<strong>ch</strong>aus na<strong>ch</strong> dem Vorbild der Biologie <strong>eine</strong>m<br />

Klassifikationssystem unterworfen. Heute sind die morphologis<strong>ch</strong>en Merkmale der<br />

Galaxien weitgehend physikalis<strong>ch</strong> parametrisiert. Trotzdem lässt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

behaupten, dass wir die Physik der Galaxien lückenlos verstehen <strong>–</strong> ganz <strong>im</strong> Gegenteil.<br />

Seit 70 Jahren existiert das Problem, dass man den internen Bewegugszustand der<br />

Galaxien ni<strong>ch</strong>t erklären kann. Die Sterne bewegen si<strong>ch</strong> viel zu s<strong>ch</strong>nell, gemessen an<br />

der S<strong>ch</strong>werkraft der si<strong>ch</strong>tbaren Materie in <strong>eine</strong>r Galaxie. Es ist, als ob no<strong>ch</strong><br />

zusätzli<strong>ch</strong>e, unsi<strong>ch</strong>tbare Materie, und zwar in sehr grossen Mengen, vorhanden wäre,<br />

wel<strong>ch</strong>e pr<strong>im</strong>är die Sterne in Bewegung versetzt. Die Standard-Hypothese besagt, dass<br />

diese “Dunkle Materie” tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> existiert. 3 Dana<strong>ch</strong> soll man si<strong>ch</strong> vorstellen, dass<br />

jede Galaxie glei<strong>ch</strong>sam nur die Spitze <strong>eine</strong>s Eisbergs, <strong>eine</strong>s dunklen Potentialtopfs,<br />

darstellt. Die S<strong>ch</strong>wierigkeit ist nur, dass die Natur dieser Materie gänzli<strong>ch</strong> unbekannt<br />

ist. Trotz grösster Anstrengungen der Exper<strong>im</strong>entalphysik konnten die hypothetis<strong>ch</strong>en<br />

Teil<strong>ch</strong>en dieser Materie bisher ni<strong>ch</strong>t gefunden werden. Der Frustration ni<strong>ch</strong>t genug,<br />

geistert seit einigen Jahren au<strong>ch</strong> das Konzept <strong>eine</strong>r no<strong>ch</strong> dominanteren “Dunklen<br />

Energie” herum, wel<strong>ch</strong>e die beoba<strong>ch</strong>tete bes<strong>ch</strong>leunigte Expansion des <strong>Universum</strong>s<br />

erklären soll. Obscurum per obscurius (das Dunkle dur<strong>ch</strong> etwas Dunkles erklären),<br />

mö<strong>ch</strong>te man mit den Al<strong>ch</strong>emisten sagen. 4 Dunkle Materie und Dunkle Energie sind<br />

zweifellos zur Zeit die besten Erklärungsmodelle für die genannten, rätselhaften<br />

3 z.B.: Dan Hooper: Dunkle Materie. Die kosmis<strong>ch</strong>e Energielücke, Heidelberg 2009<br />

4 zitiert von C.G. Jung in: Psy<strong>ch</strong>ologie und Al<strong>ch</strong>emie, Züri<strong>ch</strong> 1952<br />

6


Beoba<strong>ch</strong>tungen, aber es mehren si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die kritis<strong>ch</strong>en St<strong>im</strong>men, die das Problem<br />

bei unserem mangelnden Verständnis der S<strong>ch</strong>werkraft auf grossen Skalen verorten. 5<br />

Das Leben der Sterne ers<strong>ch</strong>liesst si<strong>ch</strong> uns dadur<strong>ch</strong>, dass wir in unserer Nähe (relativ<br />

gespro<strong>ch</strong>en!) Sterne in allen mögli<strong>ch</strong>en Entwicklungsstadien beoba<strong>ch</strong>ten können. Bei<br />

den Galaxien, die (wie bereits erwähnt) alle mehr oder weniger glei<strong>ch</strong>zeitig, vor<br />

vielen Milliarden Jahren entstanden sind, ist die Erfors<strong>ch</strong>ung der Entwicklung sehr<br />

viel s<strong>ch</strong>wieriger <strong>–</strong> aber ni<strong>ch</strong>t unmögli<strong>ch</strong>. Es kommt uns der Umstand zu Hilfe, dass<br />

si<strong>ch</strong> das Li<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t unendli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>nell ausbreitet (sondern eben “bloss” mit 300 000<br />

Km pro Sekunde). Dadur<strong>ch</strong> sehen wir alle H<strong>im</strong>melsobjekte prinzipiell in der<br />

Vergangenheit <strong>–</strong> den Mond, wie er vor <strong>eine</strong>r Sekunde, die Sonne, wie sie vor a<strong>ch</strong>t<br />

Minuten war, die Sterne, wie sie vor Jahren und Jahrtausenden waren, s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> die<br />

Galaxien, wie sie vor Jahrmillionen und Jahrmilliarden waren <strong>–</strong> so lange, wie eben<br />

das Li<strong>ch</strong>t von diesen Objekten jeweils brau<strong>ch</strong>t, um zu uns zu gelangen. Auf besonders<br />

tiefen, mehrere Tage lang beli<strong>ch</strong>teten Aufnahmen, wie dem berühmten “Hubble Deep<br />

Field”, erblicken wir Galaxien ebenfalls in allen Entwicklungsstadien <strong>–</strong> von nahen,<br />

mil<strong>ch</strong>strassenähnli<strong>ch</strong>en Gebilden, in <strong>im</strong>mer grössere Distanzen und deshalb <strong>im</strong>mer<br />

tiefere Vergangenheit vordringend, bis zu winzigen, seltsam aussehenden<br />

“Protogalaxien” in 10 Milliarden (Li<strong>ch</strong>t-) Jahren Distanz.<br />

Aus sol<strong>ch</strong>en Bildern lässt si<strong>ch</strong> die Entwicklung beispielsweise der Spiralgalaxien<br />

ablesen. Dana<strong>ch</strong> wa<strong>ch</strong>sen Spiralgalaxien zunä<strong>ch</strong>st aus ursprüngli<strong>ch</strong> kl<strong>eine</strong>ren<br />

Einheiten, <strong>eine</strong>r Art von “Zwerggalaxien” zusammen und akkretieren dann über lange<br />

Zeiträume aus ihrer Umgebung Gas, um s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> zu den grossen Feuerrädern zu<br />

werden, von denen wir <strong>eine</strong> unsere Mil<strong>ch</strong>strasse nennen. Aber woher stammen die<br />

ersten, ganz kl<strong>eine</strong>n Sternsysteme?<br />

Hier sind wir wieder in der glückli<strong>ch</strong>en Lage, dur<strong>ch</strong> direkte Beoba<strong>ch</strong>tungen in diese<br />

Frühphase der kosmis<strong>ch</strong>en Entwicklung vorstossen zu können. Ni<strong>ch</strong>t mit unseren<br />

optis<strong>ch</strong>en Teleskopen; denn nahe am Ursprung gibt es kein Li<strong>ch</strong>t der Sterne, das wir<br />

empfangen könnten; sondern was da beoba<strong>ch</strong>tet wird, mit Radioempfängern <strong>im</strong><br />

Mikrowellenberei<strong>ch</strong>, ist <strong>eine</strong> extrem s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>e Hintergrundstrahlung, die den ganzen<br />

Weltraum erfüllt. Sie entstand ca. 400 000 Jahre na<strong>ch</strong> dem Urknall, be<strong>im</strong> Uebergang<br />

des pr<strong>im</strong>ordialen Gases vom ionisierten in den atomaren Zustand. Dieser “kosmis<strong>ch</strong>e<br />

Mikrowellenhintergrund” ist fast perfekt isotrop, aber do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ganz. Wir<br />

beoba<strong>ch</strong>ten darin winzige Temperaturs<strong>ch</strong>wankungen um die mittelere Temperatur<br />

von 2.7 K herum. Dahinter verbergen si<strong>ch</strong> Di<strong>ch</strong>tes<strong>ch</strong>wankungen <strong>im</strong> dünn verteilten,<br />

damals no<strong>ch</strong> ca. 3000 K heissen Gas, die man heute auf uranfängli<strong>ch</strong>e<br />

Quantens<strong>ch</strong>wankungen (Zufallss<strong>ch</strong>wankungen also!) zurückführt, wel<strong>ch</strong>e dur<strong>ch</strong> <strong>eine</strong><br />

sog. Inflationäre Phase ganz kurz na<strong>ch</strong> dem Urknall auf <strong>eine</strong> makroskopis<strong>ch</strong>e Skala<br />

aufgeblasen wurden. Was hat <strong>eine</strong> sol<strong>ch</strong>e Di<strong>ch</strong>tes<strong>ch</strong>wankung zur Folge? Sie<br />

verlangsamt die Expansion des <strong>Universum</strong> in ihrem gravitationellen Einzugsgebiet,<br />

wodur<strong>ch</strong> der lokale Di<strong>ch</strong>tekontrast no<strong>ch</strong> grösser wird, was wiederum die Expansion<br />

no<strong>ch</strong> weiter abbremst, usw. Das Resultat ist also ein, dur<strong>ch</strong> die universelle Expansion<br />

zeitli<strong>ch</strong> zerdehnter, langsamer Gravitationskollaps, der s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> zur<br />

Galaxienbildung (bereits ca. 1 Milliarde Jahre na<strong>ch</strong> dem Urknall) und, über weiter<br />

gehende Fragmentation, zur Sternentstehung und somit zum no<strong>ch</strong> heute andauernden<br />

5 dazu gibt es viele Internet-Seiten, siehe z.B. www.astro.umd.edu/~ssm/mond/<br />

7


Lebenszyklus der Sterne führt. Jene Zufallss<strong>ch</strong>wankungen sind also die Ke<strong>im</strong>e der<br />

Strukturentstehung <strong>–</strong> und sie stehen an der Wurzel unserer Existenz.<br />

Abb. 3 Raum-Zeit-S<strong>ch</strong>ema der kosmis<strong>ch</strong>en Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te vom Big Bang bis heute. Bild aus B.<br />

Binggeli: Pr<strong>im</strong>um Mobile, Züri<strong>ch</strong> 2006.<br />

Die kosmis<strong>ch</strong>e Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te vom Urknall (vor ca. 14 Milliarden Jahren) bis heute,<br />

“abgerollt” auf die Tiefend<strong>im</strong>ension des Raumes dur<strong>ch</strong> die Endli<strong>ch</strong>keit der<br />

Li<strong>ch</strong>tges<strong>ch</strong>windigkeit <strong>–</strong> es ist die dem Beoba<strong>ch</strong>ter prinzipiell zugängli<strong>ch</strong>e “Raum-<br />

Zeit-Blase” <strong>–</strong> ist s<strong>ch</strong>ematis<strong>ch</strong> in Abb. 3 wiedergegeben. Wir erkennen darin no<strong>ch</strong>mals<br />

die eben bes<strong>ch</strong>riebene Sequenz der Strukturentstehung. Die eigentli<strong>ch</strong>e kosmis<strong>ch</strong>e<br />

Frühzeit, bis 400 000 Jahre na<strong>ch</strong> der Anfangssingularität, liegt für uns allerdings <strong>im</strong><br />

Dunkeln, denn die Materie war damals in <strong>eine</strong>m Plasma-Zustand <strong>–</strong> <strong>eine</strong> heisse, di<strong>ch</strong>te<br />

Teil<strong>ch</strong>ensuppe, in der es kein Dur<strong>ch</strong>kommen gab für das Li<strong>ch</strong>t. Hinter diesem<br />

“Vorhang”, der dur<strong>ch</strong> den kosmis<strong>ch</strong>en Mikrowellenhintergrund markiert wird, d.h.<br />

zeitli<strong>ch</strong> vor der Erzeugung dieser Hintergrundstrahlung, wurden nun glei<strong>ch</strong>sam die<br />

Karten für die Welt, in der wir leben, gemis<strong>ch</strong>t. Einen unvorstellbar kl<strong>eine</strong>n<br />

Sekundenbru<strong>ch</strong>teil na<strong>ch</strong> dem Zeitpunkt null (10 ho<strong>ch</strong> <strong>–</strong>36 Sekunden) muss aus <strong>eine</strong>r<br />

anfängli<strong>ch</strong>en Vakuumsenergie <strong>eine</strong> s<strong>ch</strong>lagartige Aufblähung des <strong>Universum</strong>s um<br />

<strong>eine</strong>n Faktor 10 ho<strong>ch</strong> 30 erfolgt sein <strong>–</strong> das ist die erwähnte Inflationäre Phase, bei<br />

wel<strong>ch</strong>er ni<strong>ch</strong>t nur die Quantenzufallss<strong>ch</strong>wankungen ins Makroskopis<strong>ch</strong>e gehoben,<br />

sondern überhaupt die Naturkräfte, wie wir sie kennen, bildli<strong>ch</strong> gespro<strong>ch</strong>en,<br />

8


auseinander gefaltet und die bekannten Teil<strong>ch</strong>ensorten in ihren Eigens<strong>ch</strong>aften fixiert<br />

wurden. 6<br />

Hier nun müssen wir einhaken, wenn wir verstehen wollen, warum die Welt so ist,<br />

wie sie ist <strong>–</strong> nämli<strong>ch</strong> der Entstehung und Entwicklung des Lebens “freundli<strong>ch</strong>”<br />

gesinnt. Damit kommen wir endli<strong>ch</strong> auf die Kernfrage unseres Themas zu spre<strong>ch</strong>en,<br />

die uns au<strong>ch</strong> in die Nähe Darwins bringen wird.<br />

Kosmis<strong>ch</strong>e Feinabst<strong>im</strong>mung: Zufall oder Notwendigkeit?<br />

Dass es Leben in der uns bekannten Form ni<strong>ch</strong>t überall <strong>im</strong> Weltall geben kann, ist<br />

klar. Die Erde ist offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ein ganz aussergewöhnli<strong>ch</strong>er Planet, wo eben alles<br />

“st<strong>im</strong>mt”, angefangen mit dem “ri<strong>ch</strong>tigen” Abstand zur Sonne, dem Rei<strong>ch</strong>tum an<br />

Wasser, Luft und anderen Stoffen, usw. Au<strong>ch</strong> wenn ni<strong>ch</strong>t ganz ausges<strong>ch</strong>lossen<br />

werden kann, dass es no<strong>ch</strong> anderswo in unserem Sonnensystem (konkret auf Mars<br />

und gewissen Jupitersatelliten) Leben gibt oder wenigstens gab, so wird es si<strong>ch</strong><br />

best<strong>im</strong>mt ni<strong>ch</strong>t um höhere (oder gar intelligente) Lebensformen handeln. Au<strong>ch</strong> die ca.<br />

400 bis heute (Ende 2009) entdeckten Exoplaneten in unserer galaktis<strong>ch</strong>en<br />

Na<strong>ch</strong>bars<strong>ch</strong>aft sind wohl lebensfeindli<strong>ch</strong>. 7 Aber das All ist grenzenlos, und die<br />

Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit dafür, dass es irgendwo da draussen, sei es in unserer oder <strong>eine</strong>r<br />

anderen, mögli<strong>ch</strong>erweise sehr weit entfernten Galaxie, erdähnli<strong>ch</strong>e Planeten gibt,<br />

unter denen man<strong>ch</strong>e Leben beherben mögen, viellei<strong>ch</strong>t sogar in grosser Zahl <strong>–</strong> diese<br />

Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit ist grösser als null, ja, seit Giordano Bruno (ebenfalls um 1600,<br />

wie Kepler und Galilei) gilt es für die meisten Mens<strong>ch</strong>en als ausgema<strong>ch</strong>t, dass wir<br />

ni<strong>ch</strong>t allein sind <strong>im</strong> Kosmos.<br />

Wenn wir über das “Wunder” des Lebens staunen, müssen wir also zunä<strong>ch</strong>st fragen,<br />

wie es zur Bildung erdähnli<strong>ch</strong>er Planeten, ja von Planeten überhaupt kommen konnte.<br />

Diese Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te haben wir oben bereits in groben Zügen skizziert: Die<br />

Planetenbildung ist ein Nebenprodukt der Sternentstehung; Sternentstehung <strong>eine</strong><br />

Folge der Galaxienbildung; Galaxienbildung das Resultat von zufälligen<br />

Di<strong>ch</strong>tes<strong>ch</strong>wankungen in der kosmis<strong>ch</strong>en Ursuppe. Diese Abfolge von Ereignissen, an<br />

deren Ende <strong>eine</strong> biologis<strong>ch</strong>e Evolution einsetzen kann, muss uns aber selber als<br />

wunderbar ers<strong>ch</strong><strong>eine</strong>n <strong>–</strong> denn was hätte ni<strong>ch</strong>t alles s<strong>ch</strong>iefgehen können! Bei der<br />

Lebensbes<strong>ch</strong>reibung der Sterne wurde s<strong>ch</strong>on da und dort, <strong>im</strong> Hinblick auf die<br />

Lebenstaugli<strong>ch</strong>keit des Weltalls, von glückli<strong>ch</strong>en Umständen gespro<strong>ch</strong>en. Und bei der<br />

kosmis<strong>ch</strong>en Frühges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te war die Rede von der Festlegung der Kräfte und Teil<strong>ch</strong>en<br />

der Natur <strong>–</strong> kurz der “Naturkonstanten” <strong>–</strong> in uranfängli<strong>ch</strong>er Zeit, wel<strong>ch</strong>e den weiteren<br />

Verlauf der kosmis<strong>ch</strong>en Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te wesentli<strong>ch</strong> best<strong>im</strong>men würde. Wie aber wurden<br />

die Naturkonstanten selbst gesetzt <strong>–</strong> wer oder was hat die Karten (für uns) gemis<strong>ch</strong>t?<br />

Diese Frage drängt si<strong>ch</strong> deshalb auf, weil wir wissen, dass kleinste Abwei<strong>ch</strong>ungen der<br />

Naturkonstanten von ihren gegenwärtigen Zahlenwerten jeweils <strong>eine</strong> völlig andere<br />

Welt hervorgebra<strong>ch</strong>t hätten, in wel<strong>ch</strong>er insbesondere Leben, vermutli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> in ni<strong>ch</strong>tirdis<strong>ch</strong>er<br />

Form, unmögli<strong>ch</strong> wäre. Das bekannteste Beispiel für diese Art von<br />

“Feinabst<strong>im</strong>mung” der Naturkonstanten ist die Bildung von Kohlenstoff <strong>im</strong> Innern<br />

6 siehe z.B. Alan Guth: Die Geburt des Kosmos aus dem Ni<strong>ch</strong>ts, Mün<strong>ch</strong>en 1999.<br />

7 siehe exoplanet.eu<br />

9


heisser Sterne. Wie weiter oben erwähnt, brau<strong>ch</strong>t es hierfür praktis<strong>ch</strong> <strong>eine</strong>n<br />

Dreierstoss von Heliumkernen, denn Beryllium, als Zwis<strong>ch</strong>enstufe aus zwei<br />

Heliumkernen gebildet, zerfällt in kürzester Zeit. Nun ist es so, dass die Fusion zweier<br />

Kerne sehr viel wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>er ist, wenn die Summe der Ruheenergien der beiden<br />

fusionierenden Kerne nur sehr wenig unterhalb der Energie <strong>eine</strong>s angeregten Zustands<br />

des fusionierten Kerns liegt. Eine sol<strong>ch</strong>e Resonanz ist bei der Bildung von<br />

Kohlenstoff <strong>im</strong> Spiel, wie Fred Hoyle bereits in den 50er Jahren bemerkte. 8 Hoyle<br />

überlegte si<strong>ch</strong>, dass die Vers<strong>ch</strong>melzung von Beryllium mit <strong>eine</strong>m dritten Heliumkern<br />

zu Kohlenstoff <strong>eine</strong> unmögli<strong>ch</strong> hohe Temperatur <strong>im</strong> Sterninnern erfordern würde <strong>–</strong><br />

wenn ni<strong>ch</strong>t Kohlenstoff ein angeregtes Energieniveau besässe, wel<strong>ch</strong>es “zufällig”<br />

gerade etwas höher liegt, als es der Ruheenergie von Beryllium plus Helium<br />

entspri<strong>ch</strong>t. Allein auf Grund der grossen Häufigkeit von Kohlenstoff wagte Hoyle<br />

vorherzusagen, dass es ein sol<strong>ch</strong>es Energieniveau geben müsste <strong>–</strong> und wenig später<br />

wurde es au<strong>ch</strong> tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> <strong>im</strong> Labor na<strong>ch</strong>gewiesen! Do<strong>ch</strong> das ist ni<strong>ch</strong>t alles.<br />

Kohlenstoff könnte sehr lei<strong>ch</strong>t mit <strong>eine</strong>m vierten Heliumkern zu Sauerstoff weiter<br />

fusionieren <strong>–</strong> womit dann der Kohlenstoff wieder aus dem Rennen wäre <strong>–</strong> , falls die<br />

Verhältnisse be<strong>im</strong> Sauerstoff ähnli<strong>ch</strong> lägen. Zu unserer Erlei<strong>ch</strong>terung stellen wir aber<br />

fest, dass <strong>eine</strong> sol<strong>ch</strong>e Resonanz be<strong>im</strong> Sauerstoffkern <strong>–</strong> wenn au<strong>ch</strong> äusserst knapp! <strong>–</strong><br />

verfehlt wird. Wodur<strong>ch</strong> aber werden die Energieniveaux der Kerne best<strong>im</strong>mt? Pr<strong>im</strong>är<br />

dur<strong>ch</strong> die relative Stärke der starken Kernkraft zur elektromagnetis<strong>ch</strong>en Kraft, und<br />

diese wiederum hängt von den Naturkonstanten ab. Aendern wir diese um winzige<br />

Beträge, so vers<strong>ch</strong>ieben si<strong>ch</strong> die Energiniveaux der Kerne und <strong>im</strong> <strong>Universum</strong> wird ein<br />

ganz anderes Stück gespielt. Die Bildung von Kohlenstoff , des Lebensstoffs par<br />

excellence, hängt also bu<strong>ch</strong>stäbli<strong>ch</strong> an <strong>eine</strong>m Faden!<br />

Nun kann man lei<strong>ch</strong>t einwenden, dass statt Kohlenstoff z.B. Silizium oder no<strong>ch</strong> was<br />

ganz anderes als Lebensstoff dienen könnte. Do<strong>ch</strong> selbst die Bildung irgend<strong>eine</strong>s<br />

Kerns wird unwahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>, wenn die Naturkonstanten irgendwel<strong>ch</strong>e Zahlenwerte<br />

haben könnten. Eine fals<strong>ch</strong>e Bewegung am Abst<strong>im</strong>mungsregler <strong>–</strong> und es gibt nur<br />

S<strong>ch</strong>warze Lö<strong>ch</strong>er, oder nur <strong>eine</strong> dünne Teil<strong>ch</strong>ensuppe. Wie gross die Toleranzmar<strong>ch</strong>e<br />

ist, innerhalb der si<strong>ch</strong> die Naturkonstanten um die tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> realisierten Werte<br />

herum bewegen dürfen, damit es annähernd <strong>eine</strong> Welt gibt, die der unsrigen glei<strong>ch</strong>t,<br />

ist zur Zeit ni<strong>ch</strong>t bekannt; aber es ist zu vermuten, dass sie extrem klein ist.<br />

Die Diskussion um die Feinabst<strong>im</strong>mung der Naturkonstanten und ihre Bedeutung für<br />

das Leben <strong>im</strong> <strong>Universum</strong> läuft seit längerer Zeit unter der Bezei<strong>ch</strong>nung<br />

“Anthropis<strong>ch</strong>es Prinzip”. 9 Das Prinzip verknüpft die Eigens<strong>ch</strong>aften des beoba<strong>ch</strong>tbaren<br />

<strong>Universum</strong>s ni<strong>ch</strong>t nur mit der Existenz von Leben allgemein (wie oben ausgeführt),<br />

sondern spezifis<strong>ch</strong> mit der Existenz <strong>eine</strong>s bewussten Beoba<strong>ch</strong>ters <strong>–</strong> denn<br />

offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> muss das <strong>Universum</strong> für die Entwicklung intelligenten Lebens geeignet<br />

sein, sonst wären wir s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>t und einfa<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t hier.<br />

8 siehe Barrow und Tipler: The Anthropic Cosmological Principle, Oxford 1986, 251<strong>–</strong>253<br />

9 Die Bezei<strong>ch</strong>nung wurde 1973 von Brandon Carter anlässli<strong>ch</strong> <strong>eine</strong>r Kosmologie-Konferenz<br />

eingeführt. Statt auf den Originalartikel verweise i<strong>ch</strong> auf das Standardwerk von John Barrow<br />

und Frank Tipler: The Anthropic Cosmological Principle, Oxford 1986, sowie die neueste<br />

Bestandesaufnahme des Prinzips in vielen Kapiteln des Konferenzbandes: Bernard Carr<br />

(Hrsg.): Universe or Multiverse?, Cambridge 2007.<br />

10


Es gibt zwei vers<strong>ch</strong>iedene Versionen des Anthropis<strong>ch</strong>en Prinzips:<br />

1. “S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>es” Anthropis<strong>ch</strong>es Prinzip (WAP): <strong>Unser</strong>e Position <strong>im</strong> <strong>Universum</strong><br />

(räumli<strong>ch</strong> wie zeitli<strong>ch</strong>) ist notgedrungen privilegiert dadur<strong>ch</strong>, dass sie mit<br />

unserer Existenz vereinbar ist.<br />

2. “Starkes” Anthropis<strong>ch</strong>es Prinzip (SAP): Das <strong>Universum</strong> muss so bes<strong>ch</strong>affen<br />

sein, dass in ihm die Entwicklung von (intelligentem, bewusstseinsfähigem)<br />

Leben in <strong>eine</strong>m gewissen Stadium s<strong>eine</strong>r Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te ermögli<strong>ch</strong>t wird.<br />

Das WAP will ledigli<strong>ch</strong> besagen, dass wir angesi<strong>ch</strong>ts all der Inhomogenitäten <strong>im</strong><br />

<strong>Universum</strong> dafür Sorge tragen müssen, dass lokale Eigens<strong>ch</strong>aften, die u.a. au<strong>ch</strong> mit<br />

unserer Existenz zu tun haben, ni<strong>ch</strong>t glei<strong>ch</strong> kosmis<strong>ch</strong> verallgem<strong>eine</strong>rt werden. Es geht<br />

hier also um die Vermeidung <strong>eine</strong>s biozentris<strong>ch</strong>en (anthropozentris<strong>ch</strong>en)<br />

Auswahleffekts in der Kosmologie. Viel eins<strong>ch</strong>neidender ist das SAP, denn das<br />

Wört<strong>ch</strong>en muss ist hier ni<strong>ch</strong>t, wie be<strong>im</strong> WAP, <strong>im</strong> Sinne <strong>eine</strong>s Rücks<strong>ch</strong>lusses auf die<br />

Vergangenheit, sondern <strong>eine</strong>r Vorausbest<strong>im</strong>mung der Zukunft, also teleologis<strong>ch</strong><br />

gemeint. Viele Philosophen lehnen das AP rundweg ab, denn in s<strong>eine</strong>r s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en<br />

Form ers<strong>ch</strong>eint es als Tautologie, unbestritten in s<strong>eine</strong>r Aussage, aber ohne jegli<strong>ch</strong>en<br />

Erkenntnisgewinn; in s<strong>eine</strong>r starken Form jedo<strong>ch</strong> als r<strong>eine</strong> Esoterik, bar jeder<br />

Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>keit. Es lässt si<strong>ch</strong> prinzipiell in Abrede stellen, dass jene kosmis<strong>ch</strong>en<br />

Koinzidenzen (z.B. in Zusammenhang mit der Kohlenstoff-Synthese, s.o.)<br />

erklärungsbedürftig sind. Die meisten Physiker neigen jedo<strong>ch</strong> zur Ansi<strong>ch</strong>t, dass hier<br />

dur<strong>ch</strong>aus ein Erklärungsbedarf vorliegt, was sie aber no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zwingt, “anthropis<strong>ch</strong><br />

zu argumentieren”. Physiker sind grundsätzli<strong>ch</strong> bestrebt, alle no<strong>ch</strong> so<br />

unwahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong><strong>eine</strong>nden Koinzidenzen als kausal-notwendiges Resultat der<br />

fundamentalsten physikalis<strong>ch</strong>en Realität (from first principles) zu erklären. Die<br />

Erfolge des inflationären Modells der Kosmologie wirken in dieser Hinsi<strong>ch</strong>t<br />

ermutigend. 10 So gibt es jene Physiker, die das AP (bzw. was es <strong>im</strong>pliziert) hö<strong>ch</strong>stens<br />

als letzte Zuflu<strong>ch</strong>tsmögli<strong>ch</strong>keit billigen, falls alle rein physikalis<strong>ch</strong>en<br />

Erklärungsmodelle versagen; aber au<strong>ch</strong> jene (inzwis<strong>ch</strong>en <strong>eine</strong> Mehrheit), die si<strong>ch</strong><br />

glei<strong>ch</strong>sam vom Zwang, alles auf <strong>eine</strong> letzthinige Aussenweltrealität zurückführen zu<br />

müssen, geradezu befreit fühlen und das Einbringen probabilistis<strong>ch</strong>er Argumente in<br />

die Bes<strong>ch</strong>reibung des Kosmos (ganz <strong>im</strong> Geist der Quantenme<strong>ch</strong>anik) k<strong>eine</strong>swegs als<br />

unwiss<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> betra<strong>ch</strong>ten. 11 Die Antwort dieser letzteren auf das AP, die <strong>im</strong><br />

Folgenden skizziert werden soll, ist jedenfalls so wenig unwissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> wie das<br />

(neo-) darwinistis<strong>ch</strong>e Konzept von Zufall und natürli<strong>ch</strong>er Selektion, mit dem sie<br />

tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> gewisse Aehnli<strong>ch</strong>keiten besitzt.<br />

Das s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>e und das starke Anthropis<strong>ch</strong>e Prinzip (WAP und SAP), wenn sie<br />

wirkli<strong>ch</strong> ernst genommen werden, <strong>im</strong>plizieren <strong>im</strong> Wesentli<strong>ch</strong>en bereits das folgende,<br />

10 Das Modell erklärt <strong>eine</strong> Reihe von sehr “unwahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>en” Eigens<strong>ch</strong>aften des<br />

<strong>Universum</strong>s, die vorher ganz spezielle, “künstli<strong>ch</strong>e” (deus-ex-ma<strong>ch</strong>ina-artige, oder eben<br />

“anthropis<strong>ch</strong>” motivierte) Anfangsbedingen zu erzwingen s<strong>ch</strong>ienen. Auf der andern Seite ist<br />

das Modell der kosmis<strong>ch</strong>en Inflation, in s<strong>eine</strong>r Weiterführung als “<strong>ch</strong>aotis<strong>ch</strong>e” Inflation,<br />

inzwis<strong>ch</strong>en Teil der Multiversum-Argumentation (s.u.).<br />

11 Die ganze Meinungsvielfalt zum Anthropis<strong>ch</strong>en Prinzip und zum Multiversum unter den<br />

führenden Physikern und Kosmologen findet si<strong>ch</strong> versammelt in Universe or Multiverse?<br />

(op.cit.).<br />

11


plakativ mit “Zufall versus Notwendigkeit” bzw. “Wissens<strong>ch</strong>aft versus Religion”<br />

bezei<strong>ch</strong>nete Paar von Erklärungsansätzen:<br />

1. “Zufall” (Wissens<strong>ch</strong>aft): Das <strong>Universum</strong> ist unendli<strong>ch</strong> gross, oder es gibt<br />

unendli<strong>ch</strong> viele Universen (“Multiversum”), so dass es zufällig irgendwo so<br />

sein wird wie hier. Die verblüffende Passung Mens<strong>ch</strong>-Kosmos ist ein r<strong>eine</strong>r<br />

Auswahleffekt.<br />

2. “Notwendigkeit” (Religion): Ob das <strong>Universum</strong> endli<strong>ch</strong> oder unendli<strong>ch</strong> ist, ob<br />

es <strong>eine</strong>s, viele oder unendli<strong>ch</strong> viele gibt: Das Leben bzw. das (mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e)<br />

Bewusstsein ist das Ziel der kosmis<strong>ch</strong>en Evolution (Teleologie, design).<br />

Uns<strong>ch</strong>wer erkennt man darin au<strong>ch</strong> die beiden grundsätzli<strong>ch</strong>en Positionen <strong>im</strong> Streit um<br />

die biologis<strong>ch</strong>e Evolution. Der zweite Ansatz entspri<strong>ch</strong>t der “kreationistis<strong>ch</strong>en”<br />

Ansi<strong>ch</strong>t, wona<strong>ch</strong> die Welt na<strong>ch</strong> Plan und Absi<strong>ch</strong>t so ges<strong>ch</strong>affen wurde, wie sie<br />

(geworden) ist. Für viele, selbst wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> denkende Theologen dient das AP,<br />

wel<strong>ch</strong>es sie stets zwingend als SAP zu (miss-) verstehen s<strong>ch</strong><strong>eine</strong>n, als <strong>eine</strong> Art<br />

moderner Gottesbeweis. Obwohl diese Mögli<strong>ch</strong>keit prinzipiell ni<strong>ch</strong>t entkräftet werden<br />

kann, sondern eben <strong>eine</strong> Sa<strong>ch</strong>e des Glaubens bleibt, ist die Vorgehensweise der<br />

Wissens<strong>ch</strong>aft grundsätzli<strong>ch</strong> <strong>eine</strong> andere: Hier versu<strong>ch</strong>t man, alles “Besondere” (also<br />

au<strong>ch</strong> unsere Existenz) als etwas “Gewöhnli<strong>ch</strong>es”, nämli<strong>ch</strong> letztli<strong>ch</strong> dem Zufall zu<br />

Verdankendes zu verstehen. Das geht meist einher mit <strong>eine</strong>r gewissen<br />

Denkökonomie, d.h. dem Bestreben, mit <strong>eine</strong>m Min<strong>im</strong>um an Annahmen<br />

auszukommen, was, <strong>im</strong> Sinne <strong>eine</strong>r wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Arbeitshypothese, von<br />

vornherein die Annahme <strong>eine</strong>s S<strong>ch</strong>öpfungsplans auss<strong>ch</strong>liessen würde. Der Preis<br />

unserer “Zufälligkeit”, unserer ungeplanten “Geworfenheit”, ist allerdings sehr ho<strong>ch</strong>:<br />

Man muss die Existenz unendli<strong>ch</strong> vieler vers<strong>ch</strong>iedener Universen postulieren, damit<br />

es zufällig ein, mit unserer Existenz verträgli<strong>ch</strong>es <strong>Universum</strong> gibt. Das ist nun au<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t gerade denkökonomis<strong>ch</strong>, aber das “Kopernikanis<strong>ch</strong>e Prinzip” oder “Prinzip der<br />

kosmis<strong>ch</strong>en Mediokrität”, wie es au<strong>ch</strong> genannt wird <strong>–</strong> <strong>im</strong> Kern eigentli<strong>ch</strong> ein Anti-<br />

Anthropozentrismus <strong>–</strong> geniesst in der Kosmologie <strong>eine</strong>n höheren Stellenwert als alle<br />

Denkökonomie (viellei<strong>ch</strong>t fäls<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>erweise, s.u.). Andererseits haben si<strong>ch</strong> die<br />

meisten Multiversum-Modelle unabhängig von AP-Argumenten aus theoretis<strong>ch</strong>en<br />

Ueberlegugen in der Teil<strong>ch</strong>enphysik heraus ergeben, was ihnen einige<br />

Galubwürdigkeit verleiht (au<strong>ch</strong> wenn die grundsätzli<strong>ch</strong>e Kritik <strong>eine</strong>r fehlendenen<br />

Falsifizierbarkeit der Multiversum-Hypothese bestehen bleibt).<br />

Im ersten Erklärungsansatz (s.o.) wird ni<strong>ch</strong>t nur das Multiversum erwähnt, sondern<br />

zunä<strong>ch</strong>st einfa<strong>ch</strong> die Mögli<strong>ch</strong>keit, dass das <strong>eine</strong> <strong>Universum</strong> unendli<strong>ch</strong> gross ist.<br />

Könnte dies s<strong>ch</strong>on <strong>eine</strong> Lösung für das kosmis<strong>ch</strong>e fine-tuning sein? Alle<br />

Beoba<strong>ch</strong>tungen deuten darauf hin, dass innerhalb des Si<strong>ch</strong>tbarkeitshorizonts unseres<br />

<strong>Universum</strong>s überall dieselben Naturkonstanten gelten. Eine Variation der<br />

Naturkonstanten bzw. der Eigens<strong>ch</strong>aften der Materie ist jedo<strong>ch</strong> prinzipiell<br />

erforderli<strong>ch</strong>, damit es zu <strong>eine</strong>m anthropis<strong>ch</strong>en Auswahleffekt kommen kann. Die<br />

“Auserwähltheit” muss also für das ganze übers<strong>ch</strong>aubare <strong>Universum</strong> gelten.<br />

Ausserhalb des Si<strong>ch</strong>tbarkeitshorizonts kann (und müsste au<strong>ch</strong>, dem Argument<br />

zuliebe) das <strong>Universum</strong> freili<strong>ch</strong> ganz andersartig sein. Aber das ist nur <strong>im</strong> Rahmen<br />

des (<strong>ch</strong>aotis<strong>ch</strong>en) inflationären Modells mögli<strong>ch</strong>, weil dort der Uebergang vom<br />

“fals<strong>ch</strong>en” in den “wahren” Vakuumszustand in vers<strong>ch</strong>iedenen domains, auf Skalen,<br />

die den Si<strong>ch</strong>tbarkeitshorizont weit übersteigen, ganz vers<strong>ch</strong>iede Naturkonstanten<br />

12


hervorgebra<strong>ch</strong>t haben könnte (das “klassis<strong>ch</strong>e” Friedmann-<strong>Universum</strong> basiert<br />

hingegen auf grenzenloser Homogenität). Dies gilt aber bereits als Version des<br />

Multiversums; wenn das Argument also funktionieren soll, muss das unendli<strong>ch</strong>e<br />

<strong>Universum</strong> ein Multiversum sein.<br />

Eine Variation der Naturkonstanten muss ni<strong>ch</strong>t unbedingt räumli<strong>ch</strong>, d.h. das<br />

Multiversum muss ni<strong>ch</strong>t unbedingt als Mannigfaltigkeit von “Parallelwelten”<br />

aufgefasst werden; es könnte si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> um <strong>eine</strong> zeitli<strong>ch</strong>e Abfolge von Universen<br />

handeln, in denen jeweils andere Gesetze oder Naturkonstanten gelten. Na<strong>ch</strong><br />

unzähligen “Versu<strong>ch</strong>en” würde <strong>eine</strong>s davon zufällig unseres <strong>–</strong> und uns hervorbringen.<br />

Diese Version von Multiwelten war lange Zeit, als repetitives ges<strong>ch</strong>lossenes<br />

Friedmann-Modell, unter dem Namen “Oszillierendes <strong>Universum</strong>”, sehr populär<br />

(jedem big crun<strong>ch</strong> würde ein neuer big bang, mit “neu gemis<strong>ch</strong>ten Karten”, folgen).<br />

Der gegenwärtige Kenntnisstand der kosmologis<strong>ch</strong>en Parameter lässt <strong>eine</strong> sol<strong>ch</strong>e<br />

Mögli<strong>ch</strong>keit jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr zu. 12<br />

Das derzeit meistdiskutierte Modell <strong>eine</strong>s Multiversums basiert auf <strong>eine</strong>m<br />

spekulativen Gebilde namens “Stringtheorie”. Darin sind die fundamentalsten Objekte<br />

k<strong>eine</strong> eind<strong>im</strong>ensionalen, also punktförmigen Teil<strong>ch</strong>en, sondern zweid<strong>im</strong>ensionale<br />

Fäden (strings). Diese Theorie <strong>im</strong>pliziert merkwürdigerweise, dass es, neben den vier<br />

bekannten, viele zusätzli<strong>ch</strong>e D<strong>im</strong>ensionen gibt, die allerdings wie krauses Haar in si<strong>ch</strong><br />

zusammengerollt (“kompaktifiziert”) sind. Diese Extrad<strong>im</strong>ensionen spannen nun (in<br />

<strong>eine</strong>r meistgenannten Bere<strong>ch</strong>nung) <strong>eine</strong>n gigantis<strong>ch</strong>en Parameterraum von 10 ho<strong>ch</strong><br />

500, also s<strong>ch</strong>ier unendli<strong>ch</strong> vielen vers<strong>ch</strong>iedenen so genannten (fals<strong>ch</strong>en)<br />

Vakuumszuständen auf <strong>–</strong> man spri<strong>ch</strong>t von string theory landscape, in bewusster<br />

Analogie zum evolutionsbiologis<strong>ch</strong>en Begriff der fitness landscape. Jeder dieser<br />

Vakuumszustände würde ein je vers<strong>ch</strong>iedenes, mit <strong>eine</strong>m je eigenen Set von<br />

Naturkonstanten ausgestatteten <strong>Universum</strong> zur Folge haben, und nur in <strong>eine</strong>r<br />

vers<strong>ch</strong>windend kl<strong>eine</strong>n Untermenge dieser Universen (der anthropic landscape)<br />

würde es für uns “st<strong>im</strong>men”. 13<br />

12 Eine ganz eigenartige Theorie, die in <strong>eine</strong> ähnli<strong>ch</strong>e Ri<strong>ch</strong>tung wie das oszillierende<br />

<strong>Universum</strong> stösst und ni<strong>ch</strong>t nur Aehnli<strong>ch</strong>keiten zur biologis<strong>ch</strong>en Evolution aufweist, sondern<br />

sogar bu<strong>ch</strong>stäbli<strong>ch</strong> als sol<strong>ch</strong>e verstanden werden will, wurde von Lee Smolin entwickelt in<br />

The life of the cosmos, Oxford 1997. Smolin geht davon aus, dass si<strong>ch</strong> ein <strong>Universum</strong><br />

reproduzieren kann über s<strong>eine</strong> S<strong>ch</strong>warzen Lö<strong>ch</strong>er. Was uns in diesem <strong>Universum</strong> wie <strong>eine</strong><br />

riesige Implosion ers<strong>ch</strong>eint (wenn Materie in diese Raum-Zeit-Singularitäten hineinstürzt),<br />

würde si<strong>ch</strong> in <strong>eine</strong>r andern D<strong>im</strong>ension (sozusagen am anderen Ende des Tunnels) wie <strong>eine</strong><br />

riesige Explosion darstellen, wie die Geburt <strong>eine</strong>s (neuen) <strong>Universum</strong>s in <strong>eine</strong>m Big Bang.<br />

S<strong>ch</strong>warze Lö<strong>ch</strong>er wären die Reproduktionsorgane <strong>eine</strong>s <strong>Universum</strong>s und erzeugten neue<br />

Universen mit je <strong>eine</strong>m neuen Set von Naturkonstanten (denn die Kopie wäre fehlerhaft, es<br />

gäbe sozusagen Mutationen). Nur diejenigen Universen würden si<strong>ch</strong> nun weiter vererben, in<br />

denen au<strong>ch</strong> wieder S<strong>ch</strong>warze Lö<strong>ch</strong>er gebildet werden (könnten) <strong>–</strong> Smolin nennt das<br />

Cosmological Natural Selection. S<strong>ch</strong>warze Lö<strong>ch</strong>er entstehen aber nur in <strong>eine</strong>m <strong>Universum</strong>,<br />

das unserem ziemli<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong>t, wo beispielsweise masserei<strong>ch</strong>e Sterne gebildet werden, die am<br />

Ende ihres Lebens S<strong>ch</strong>warze Lö<strong>ch</strong>er werden. <strong>Unser</strong>e eigene Existenz, das Leben allgemein,<br />

ers<strong>ch</strong>iene somit glei<strong>ch</strong>sam nur als Nebenprodukt dieses kosmis<strong>ch</strong>en Darwinismus!<br />

13 Leonard Susskind: The Cosmic Landscape: String theory and the illusion of intelligent<br />

design, New York 2006), siehe au<strong>ch</strong> Susskinds Beitrag in Universe or Multiverse? (op.cit.).<br />

Der Begriff der landscape selber stammt vom “kosmis<strong>ch</strong>en Darwinisten” Lee Smolin (siehe<br />

Fussnote weiter oben).<br />

13


Warum sollen aber diese vielen anderen Universen überhaupt realisiert sein? In<br />

Verbindung mit der kosmis<strong>ch</strong>en Inflation zeigt si<strong>ch</strong> eben, dass sie allesamt<br />

unvermeidli<strong>ch</strong> erzeugt werden, in <strong>eine</strong>m nie endenden Prozess, den man “ewige<br />

<strong>ch</strong>aotis<strong>ch</strong>e Inflation” getauft hat. 14 Die Grundidee hinter diesem Szenario ist folgende:<br />

Eine räumli<strong>ch</strong>e Inflation des <strong>Universum</strong>s erfolgt in der extrem kurzen Zeitspanne,<br />

während der es vom Energiezustand des “fals<strong>ch</strong>en” in den des “wahren” Vakuums<br />

“hinunter rollt”. Nun ist das aber k<strong>eine</strong> klassis<strong>ch</strong>e, glatt verlaufende Bewegung,<br />

sondern <strong>eine</strong>, die von Quantens<strong>ch</strong>wankungen dur<strong>ch</strong>setzt ist. Lokal kann die<br />

Energiedi<strong>ch</strong>te <strong>im</strong>mer wieder etwas “ho<strong>ch</strong> springen”, und dort wird die inflationäre<br />

Phase weiter fortgesetzt. Da die exponentiell verlaufende Inflation den “Verlust” an<br />

Gebieten, die bereits ganz <strong>im</strong> wahren Vakuum angekommen sind, mehr als<br />

kompensiert, dauert dieser Prozess ewig an. Man kann si<strong>ch</strong> dies als <strong>eine</strong><br />

unaufhörli<strong>ch</strong>e, <strong>ch</strong>aotis<strong>ch</strong>e Verzweigung von Blasen <strong>–</strong> oder sinnbildli<strong>ch</strong>er: ein<br />

unaufhörli<strong>ch</strong>es “Eierlegen” <strong>–</strong> vorstellen (siehe Abb. 4): Jede Blase oder jedes Ei<br />

repräsentiert ein Gebiet, wo das wahre Vakuum errei<strong>ch</strong>t wurde und die Inflation<br />

abges<strong>ch</strong>lossen ist (am Ende der Inflation besitzt ein sol<strong>ch</strong>es Gebiet tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> etwa<br />

die Grösse <strong>eine</strong>s Eis!) <strong>–</strong> und aus wel<strong>ch</strong>em si<strong>ch</strong> dann ein ganzes <strong>Universum</strong> entwickelt.<br />

Aber wegen der absurd vielen Mögli<strong>ch</strong>keiten <strong>eine</strong>s Vakuumszustands, wenn man der<br />

Stringtheorie folgt (siehe oben), ist es jedesmal ein ganz anderes, mit ganz anderen<br />

Naturkonstanten.<br />

Abb. 4 Die Verzweigung der inflationären Blasen. <strong>Unser</strong> <strong>Universum</strong> (Pfeil) hat si<strong>ch</strong> aus<br />

<strong>eine</strong>r dieser Blasen entwickelt. Na<strong>ch</strong> A. Linde, Scientific American Nov. 1994.<br />

14 Andrei Linde: The Self-Reproducing Inflationary Universe, Scientific American, Nov.<br />

1994; Alan Guth: Die Geburt des Kosmos aus dem Ni<strong>ch</strong>ts (op.cit.), Eternal inflation and its<br />

<strong>im</strong>plications (hep-th/0702178, Feb 2007).<br />

14


Dies also ist zur Zeit die meist akzeptierte “wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e” Antwort auf das<br />

Anthropis<strong>ch</strong>e Prinzip. Sie besagt in erster Linie, dass der “wunderbaren” Passung der<br />

Welt (des <strong>Universum</strong>s) an das Leben, an den Mens<strong>ch</strong>en, k<strong>eine</strong> (göttli<strong>ch</strong>e) Planung<br />

zugrunde liegen muss, sondern dass unser <strong>Universum</strong>, als <strong>eine</strong>s von unendli<strong>ch</strong> vielen<br />

vers<strong>ch</strong>iedenen Universen, <strong>–</strong> in dieser Si<strong>ch</strong>tweise <strong>–</strong> als Zufallsprodukt angesehen<br />

werden kann. Wenn es uns als speziell auf das Leben zuges<strong>ch</strong>nitten ers<strong>ch</strong>eint, so<br />

deswegen, weil wir in <strong>eine</strong>m au<strong>ch</strong> nur annähernd anders gearteten dieser<br />

Zufallsuniversen ni<strong>ch</strong>t existieren könnten. <strong>Unser</strong> <strong>Universum</strong> wäre so gesehen <strong>eine</strong><br />

“<strong>Lebensnis<strong>ch</strong>e</strong> <strong>im</strong> Multiversum” (wie unser Titel besagt), nur wäre diese<br />

<strong>Lebensnis<strong>ch</strong>e</strong> ni<strong>ch</strong>t die Folge <strong>eine</strong>r “natürli<strong>ch</strong>en Auslese” (<strong>im</strong> Sinne <strong>eine</strong>s<br />

dynamis<strong>ch</strong>en Anpassungsprozesses, <strong>eine</strong>s survival of the fittest), sondern <strong>eine</strong>r<br />

Auswahl, die wir als Beoba<strong>ch</strong>ter des <strong>Universum</strong>s, dur<strong>ch</strong> unsere blosse Existenz,<br />

bewirken. Damit sind au<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on die Aehnli<strong>ch</strong>keiten, aber au<strong>ch</strong> Unters<strong>ch</strong>iede zur<br />

biologis<strong>ch</strong>en (neo-darwinistis<strong>ch</strong>en) Evolutionstheorie bezei<strong>ch</strong>net. Die pr<strong>im</strong>äre<br />

Aehnli<strong>ch</strong>keit liegt in der These, dass der “Weg zu uns” (zeitli<strong>ch</strong> oder räumli<strong>ch</strong><br />

verstanden) ni<strong>ch</strong>t geplant, sondern zufallsbehaftet ist; was automatis<strong>ch</strong> den<br />

fru<strong>ch</strong>tlosen, hier ni<strong>ch</strong>t zur Diskussion stehenden Streit zwis<strong>ch</strong>en Kreationisten und<br />

Darwinisten auf die Kosmologie überträgt. Der pr<strong>im</strong>äre Unters<strong>ch</strong>ied hingegen liegt<br />

darin, dass die Auslese <strong>im</strong> Fall der Biologie zeitli<strong>ch</strong>, <strong>im</strong> Fall der Kosmologie aber<br />

azeitli<strong>ch</strong>, nämli<strong>ch</strong> (super-) räumli<strong>ch</strong> erfolgt.<br />

Dieser Unters<strong>ch</strong>ied lässt si<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> weiter zuspitzen. In der Kosmologie dreht si<strong>ch</strong><br />

alles um den Beoba<strong>ch</strong>ter. Was aber ist ein “Beoba<strong>ch</strong>ter”? Unausgespro<strong>ch</strong>en ist damit<br />

der Mens<strong>ch</strong> gemeint (oder allgem<strong>eine</strong>r “mens<strong>ch</strong>enähnli<strong>ch</strong>e” Wesen <strong>im</strong> Weltall); das<br />

ist das A <strong>im</strong> AP. Als Beoba<strong>ch</strong>ter könnten jedo<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> irgendwel<strong>ch</strong>e “niederen” Tiere<br />

fungieren; <strong>im</strong> Zusammenhang mit dem AP werden jedenfalls <strong>im</strong>mer nur die<br />

physis<strong>ch</strong>en Bedingungen für das Leben generell diskutiert, wie eben die Bedingung,<br />

dass die Bildung s<strong>ch</strong>werer Elemente mögli<strong>ch</strong> sein musste usw. Viele Kosmologen<br />

reden daher au<strong>ch</strong> lieber von “biophilistis<strong>ch</strong>er” als von “anthropis<strong>ch</strong>er”<br />

Argumentationsweise <strong>–</strong> in der Meinung, dass Leben automatis<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> intelligente<br />

Wesen wie den Mens<strong>ch</strong>en miteins<strong>ch</strong>liesse. Diesen Automatismus zu bezweifeln<br />

bedeutet ans<strong>ch</strong>eindend ni<strong>ch</strong>ts anderes, als die “Gret<strong>ch</strong>enfrage” zu stellen, was uns<br />

sofort wieder zu <strong>eine</strong>r Ents<strong>ch</strong>eidung für die <strong>eine</strong> oder andere der beiden<br />

Extrempositionen (“Zufall” oder “Design”) zwingt. Oder gibt es viellei<strong>ch</strong>t <strong>eine</strong>n<br />

“dritten Weg”?<br />

Paul Davies 15 mahnt uns zure<strong>ch</strong>t, dass der Mens<strong>ch</strong> mehr sei als ein blosser<br />

Beoba<strong>ch</strong>ter. Der Mens<strong>ch</strong> ist ni<strong>ch</strong>t nur fähig, das <strong>Universum</strong> zu beoba<strong>ch</strong>ten, sondern<br />

au<strong>ch</strong>, es intellektuell zu verstehen. Das ist ni<strong>ch</strong>t selbstverständli<strong>ch</strong>; wie Einstein so<br />

treffend formulierte: “Das ewig Unbegreifli<strong>ch</strong>e an der Welt ist ihre Begreifbarkeit”.<br />

Die Naturgesetze könnten beliebig kompliziert und undur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>aubar sein, ohne dass<br />

die physis<strong>ch</strong>en Grundlagen für das Leben dadur<strong>ch</strong> “gefährdet” wären. Seit Kants<br />

“Kritik der r<strong>eine</strong>n Vernunft” ist uns klar, dass Naturgesetze eigentli<strong>ch</strong> Denkgesetze<br />

sind. Erst dur<strong>ch</strong> unser Denken wird die sinnli<strong>ch</strong> wahrnehmbare Aussenwelt geordnet<br />

und strukturiert. Objektiv gegeben s<strong>ch</strong><strong>eine</strong>n bloss die Naturkonstanten zu sein, also<br />

die “aktuale Realisierung” dieser Naturgesetzte. Was aber, wenn das Denken viel<br />

“tiefer” rei<strong>ch</strong>t und au<strong>ch</strong> die Naturkonstanten no<strong>ch</strong> naturgesetzli<strong>ch</strong> (from first<br />

15 Paul Davies; Universes galore: where will it all end?. In: Universe or multiverse, op.cit.,<br />

481<strong>–</strong>505.<br />

15


principles) erfassen könnte? Wir haben oben s<strong>ch</strong>on erwähnt, dass einige hardliner<br />

unter den Physikern, die si<strong>ch</strong> der anthropis<strong>ch</strong>en Argumentationsweise (als “billiger<br />

Lückenbüsserlösung”) vers<strong>ch</strong>liessen, genau in dieser Ri<strong>ch</strong>tung weiter fors<strong>ch</strong>en.<br />

Gesetzt nun, dies gelänge: Würde diese vollkommene gedankli<strong>ch</strong>e Dur<strong>ch</strong>dringung der<br />

Welt ni<strong>ch</strong>t in letzter Konsequenz bedeuten, dass, in gut platonis<strong>ch</strong>er Manier, Denken<br />

und Sein dasselbe sind?<br />

Ein sol<strong>ch</strong>er “Kurzs<strong>ch</strong>luss” mag gegen jede sol<strong>ch</strong>e Bestrebung spre<strong>ch</strong>en und die<br />

Zuflu<strong>ch</strong>t zum Multiversum als vorteilhafter ers<strong>ch</strong><strong>eine</strong>n lassen. Do<strong>ch</strong> <strong>eine</strong> verwandte<br />

wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Hypothese, die ni<strong>ch</strong>t das Denken, sondern das Bewusstsein in den<br />

Mittelpunkt stellt, wurde allen Ernstes von k<strong>eine</strong>m Geringeren als John A. Wheeler<br />

entwickelt. 16 Wheeler beruft si<strong>ch</strong> auf die Quantenme<strong>ch</strong>anik und die Rolle des<br />

Beoba<strong>ch</strong>ters darin. Bekanntli<strong>ch</strong> wird in der Quantenme<strong>ch</strong>anik seit jeher darüber<br />

debattiert, ob der Kollaps der Wellenfunktion, der die äussere Wirkli<strong>ch</strong>keit erst<br />

fixiert, dur<strong>ch</strong> Bewusstseinsakte bewirkt oder mitbewirkt wird. Nun gibt es<br />

Exper<strong>im</strong>ente, die den S<strong>ch</strong>luss zulassen, dass si<strong>ch</strong> diese Wirkung, wo <strong>im</strong>mer sie ihren<br />

Ursprung hat, au<strong>ch</strong> in die Vergangenheit erstrecken kann. Wenn sie wirkli<strong>ch</strong> mit dem<br />

Bewusstsein (oder dem Unbewussten) des Beoba<strong>ch</strong>ters zu tun hat, liesse si<strong>ch</strong> in<br />

letzter Konsequenz vorstellen, dass ein Beoba<strong>ch</strong>ter <strong>–</strong> über s<strong>eine</strong>n Einfluss in die<br />

Vergangenheit <strong>–</strong> si<strong>ch</strong> und s<strong>eine</strong> Welt glei<strong>ch</strong>sam selber ers<strong>ch</strong>afft. Und auf das ganze<br />

<strong>Universum</strong> übertragen, könnte es bedeuten, dass “bewusste Beoba<strong>ch</strong>ter notwendig<br />

sind, damit das <strong>Universum</strong> überhaupt erzeugt wird” (man erinnere si<strong>ch</strong>, dass alles mit<br />

Quantens<strong>ch</strong>wankungen anfing!). Diese Aussage Wheelers ist bekannt unter dem<br />

Namen “Partizipatoris<strong>ch</strong>es Anthropis<strong>ch</strong>es Prinzip” (PAP), denn tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> haben wir<br />

hier ebenfalls <strong>eine</strong> Lösung des Problems der kosmis<strong>ch</strong>en Feinabst<strong>im</strong>mung, die<br />

radikalste, die man si<strong>ch</strong> denken kann: Wir hätten die “Hände” selber am Regler; aber<br />

es wäre ein ges<strong>ch</strong>lossener Regelkreis, Wheeler spri<strong>ch</strong>t vom <strong>Universum</strong> als <strong>eine</strong>m selfexited<br />

circuit.<br />

Für die meisten Physiker ist das PAP, wenn sie es denn überhaupt ernst zu nehmen<br />

gewillt sind (denn natürli<strong>ch</strong> sind damit fundamentale physikalis<strong>ch</strong>e Probleme<br />

verbunden), ledigli<strong>ch</strong> <strong>eine</strong> Variante des latent teleologis<strong>ch</strong>en SAP, und <strong>eine</strong> absurd<br />

anthropozentris<strong>ch</strong>e, blasphemis<strong>ch</strong>e obendrein. Zugunsten der wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

Offenheit und Freiheit muss man aber ehrli<strong>ch</strong> zugeben, dass das Bewusstsein (no<strong>ch</strong>)<br />

gänzli<strong>ch</strong> rätselhaft und unverstanden ist, den Beteuerungen der Neurologen, die das<br />

alles bloss auf das Feuern von Neuronen zurückführen, zum Trotz. Wir wissen ni<strong>ch</strong>t,<br />

wo die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Psy<strong>ch</strong>e beginnt und wo sie endet, wie sie mit der Aussenwelt<br />

genau zusammenhängt, wie sie mit ihr “vers<strong>ch</strong>ränkt” ist. Viellei<strong>ch</strong>t ist das postulierte<br />

Multiversum ledigli<strong>ch</strong> ein Spiegel der unergründli<strong>ch</strong>en kollektiv-mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />

“Innenwelt”, die alle nur denkbaren Realisierungsmögli<strong>ch</strong>keiten enthält, von denen<br />

jeden Augenblick nur <strong>eine</strong> “ausgewählt”, “ausgelesen” wird?<br />

16 John A. Wheeler: At home in the universe, Woodbury (NY) 1994, 292<br />

16


S<strong>ch</strong>lussbemerkung<br />

Sol<strong>ch</strong>e ans<strong>ch</strong><strong>eine</strong>nd ketzeris<strong>ch</strong>en Dinge sind, in der <strong>eine</strong>n oder anderen Weise, s<strong>ch</strong>on<br />

lange vorher geda<strong>ch</strong>t und geäussert worden, und zwar ni<strong>ch</strong>t zuletzt dur<strong>ch</strong> drei<br />

bedeutende österrei<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Denker und Wissens<strong>ch</strong>aftler, die i<strong>ch</strong> hier ni<strong>ch</strong>t unerwähnt<br />

lassen mö<strong>ch</strong>te. Es sind dies, mit (sehr steil) ansteigender Akzeptanz und Relevanz für<br />

unser Thema: Rudolf St<strong>eine</strong>r (1861<strong>–</strong>1925), Paul Kammerer (1880<strong>–</strong>1926) und<br />

Wolfgang Pauli (1900<strong>–</strong>1958). Rudolf St<strong>eine</strong>r, aufgewa<strong>ch</strong>sen hier am Semmering,<br />

Goetheanist und Begründer der Anthroposophie, stellte die Evolutionstheorie<br />

kurzerhand auf den Kopf; alles s<strong>ch</strong>ien ihm besser vom Mens<strong>ch</strong>en hergeleitet werden<br />

zu können. 17 Die tragis<strong>ch</strong>e Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des Wiener Biologen Paul Kammerer ist<br />

allbekannt. Ni<strong>ch</strong>t wegen s<strong>eine</strong>r lamarckistis<strong>ch</strong>en Exper<strong>im</strong>ente, für die er neuerdings<br />

rehabilitiert wird, gehört er hierher, sondern wegen s<strong>eine</strong>s “Gesetzes der Serie”. 18<br />

Kammerer versu<strong>ch</strong>te, s<strong>eine</strong> Beoba<strong>ch</strong>tungen unerklärli<strong>ch</strong>er Koinzidenzen dur<strong>ch</strong> ein<br />

akausales Prinzip zu formalisieren. Sein “Serialitätsprinzip” gilt als Vorläufer des<br />

“Syn<strong>ch</strong>ronizitätsprinzips”, das Jahrzehnte später von C.G. Jung, <strong>im</strong> Dialog mit<br />

Wolfgang Pauli, ausgearbeitet wurde. 19 Ein Fall von Syn<strong>ch</strong>ronizität liegt vor bei <strong>eine</strong>r<br />

spontanen und unverursa<strong>ch</strong>ten (akausalen), jedo<strong>ch</strong> sinngemässen Koinzidenz <strong>eine</strong>s<br />

inneren (psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en) mit <strong>eine</strong>m äusseren Ereignis. Zufall und Sinn ers<strong>ch</strong><strong>eine</strong>n darin<br />

wie die beiden Seiten <strong>eine</strong>r Medaille. Pauli setzte si<strong>ch</strong> intensiv mit der<br />

“Komplementarität” von Psy<strong>ch</strong>e und physis<strong>ch</strong>er Aussenwelt (von mind und matter)<br />

auseinander, wie sie ihm die Quantenphysik zu <strong>im</strong>plizieren s<strong>ch</strong>ien. 20 Dazu gehört<br />

au<strong>ch</strong> die Rolle des Zufalls und s<strong>eine</strong>r akausalen “Sinnhaftigkeit” in der biologis<strong>ch</strong>en<br />

Evolution. Wie viele Quantenphysiker war Pauli der rein (neo-) darwinistis<strong>ch</strong>en<br />

Interpretation der biologis<strong>ch</strong>en Evolution gegenüber skeptis<strong>ch</strong> eingestellt, ohne si<strong>ch</strong><br />

jedo<strong>ch</strong> <strong>eine</strong>r religiös-teleologis<strong>ch</strong>en Ansi<strong>ch</strong>t vors<strong>ch</strong>nell zu ergeben. 21 Mit Si<strong>ch</strong>erheit<br />

hätte er si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> <strong>im</strong> Zusammenhang mit der oben ausgebreiteten Diskussion um das<br />

Anthropis<strong>ch</strong>e Prinzip leidens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> um <strong>eine</strong>n “dritten Weg” bemüht, <strong>eine</strong>n Weg,<br />

der die Mitte hält zwis<strong>ch</strong>en Rationalismus und Mystizismus.<br />

Zum S<strong>ch</strong>luss sei no<strong>ch</strong> angemerkt, dass si<strong>ch</strong> der Autor dieser Zeilen dur<strong>ch</strong>aus bewusst<br />

ist, ni<strong>ch</strong>t unbedingt die Mehrheitsansi<strong>ch</strong>t s<strong>eine</strong>r Fa<strong>ch</strong>kolleginnen und Fa<strong>ch</strong>kollegen<br />

wiedergegeben zu haben; ein persönli<strong>ch</strong>er “Auswahleffekt” war unvermeidli<strong>ch</strong>. Sein<br />

Doppelgänger <strong>im</strong> Paralleluniversum hätte die Sa<strong>ch</strong>e vermutli<strong>ch</strong> ohnehin ganz anders<br />

dargestellt.<br />

17 siehe z.B. Johannes Hemleben: Rudolf St<strong>eine</strong>r und Ernst Haeckel, Stuttgart 1968, 154<strong>–</strong>164.<br />

18 Paul Kammerer: Das Gesetz der Serie: <strong>eine</strong> Lehre von den Wiederholungen <strong>im</strong> Lebensund<br />

Weltges<strong>ch</strong>ehen, Stuttgart 1919.<br />

19 C.G. Jung: Syn<strong>ch</strong>ronizität als ein Prinzip akausaler Zusammenhänge. In: C.G. Jung und<br />

Wolfgang Pauli: Naturerklärung und Psy<strong>ch</strong>e, Züri<strong>ch</strong> 1952.<br />

20 Dazu Ernst Peter Fis<strong>ch</strong>er: Brücken zum Kosmos: Wolfgang Pauli zwis<strong>ch</strong>en Kernphysik und<br />

Weltharmonie, Konstanz 2004, sowie Harald Atmanspa<strong>ch</strong>er und Hans Pr<strong>im</strong>as (Eds.):<br />

Recasting Reality: Wolfgang Pauli’s Philosophical Ideas and Contemporary Science, Berlin<br />

2009.<br />

21 Siehe Linda van Speybroeck: Exploring Pauli’s (Quantum) Views on Science and Biology,<br />

in: Atmanspa<strong>ch</strong>er und Pr<strong>im</strong>as: Recasting Reality, op.cit., 301<br />

17

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