Das Blättchen, Sonderausgabe 22. Oktober 2012. - Verlag für Berlin ...
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und 1683, dazwischen die Kreuzzüge, die wenig mit Ritterlichkeit und sehr viel mit Kriegsverbrechen<br />
der Europäer im Vorderen Orient zu tun hatten. Gleichzeitig waren es arabische Gelehrte,<br />
über die das Erbe der alten Griechen in das christliche Europa kam, woraus dann Renaissance<br />
und Aufklärung wurden. Nach der französischen Revolution wurden die Ideen von<br />
liberté, égalité und fraternité in der arabischen Welt euphorisch aufgenommen, man erhoffte<br />
sich eine Befreiung vom osmanischen Joch, Modernisierung und nationale Entwicklung. Die<br />
Kolonialisierung etwa Nordafrikas durch Frankreich zielte jedoch nicht auf Befreiung, sondern<br />
auf Unterdrückung. Die Menschen- und Bürgerrechte waren nicht <strong>für</strong> Muslime gedacht. Insofern<br />
wurde die Herrschaft der Europäer auch zu einer religiösen Herausforderung, die Religion<br />
der Ort, an dem die Unterdrückten Zuflucht suchen konnten.<br />
Zugleich haben die westlichen Mächte den Islamismus sehr bewusst als Instrument ihrer<br />
Herrschaftspraktiken benutzt. Im Kontext des Ost-West-Konflikts wurde der Islam als ideologische<br />
Gegenkraft im Nahen Osten gegen den „gottlosen Kommunismus“ eingesetzt wie auch gegen<br />
die national oder gar sozialistisch orientierten Kräfte in Ägypten unter Nasser, in Algerien<br />
sowie gegen die Baath-Parteien in Syrien und Irak. Die USA unterstützten die Muslimbrüder<br />
gegen den fortschrittsorientierten Nationalismus, Israel förderte die Hamas zwecks Unterminierung<br />
der palästinensischen PLO Arafats, die Gotteskrieger der Mudjahedin waren willkommene<br />
Verbündete gegen die sowjetischen Truppen in Afghanistan. Nach dem Ende des Kalten Krieges<br />
wurde daraus der neue große Feind gemacht.<br />
Der Vorteil des Buches von Werner Ruf ist, dass auch der politisch interessierte Leser, der<br />
nicht zu den Fachleuten in Sachen Nahost und Islam gehört, den Argumentationslinien sehr gut<br />
folgen kann. <strong>Das</strong> „Feindbild Islam“ ist Teil der Konstruktion des „Wir“ des heutigen Westens.<br />
Der NATO war mit dem Abtreten der Sowjetunion von der Bühne der Weltgeschichte der altböse<br />
Feind abhanden gekommen. Eigentlich hätte sie sich auflösen müssen. Nun schuf sie sich<br />
mit dem Islamismus den neuen großen Feind, der zugleich den Vorwand abgab zum „Krieg gegen<br />
den Terrorismus“, den der vormalige US-Präsident George W. Bush ausgerufen hatte, um<br />
seine völkerrechtswidrigen Kriege zu führen.<br />
Der US-Politologe Samuel P. Huntington hatte mit dem „Kampf der Kulturen“ die ideologische<br />
Folie geliefert, auf der die Feindbilder entwickelt werden konnten, die heute bis in unsere Bespitzelung<br />
im Alltag reichen. Da der Rassismus biologistischer Prägung mit dem deutschen Nationalsozialismus<br />
verunmöglicht war, lieferte Huntingtons kulturalistische Unvereinbarkeits-Theorie die<br />
Grundlage <strong>für</strong> die dauerhafte Abwertung der anderen, nicht-westlichen Kulturen und der in ihnen lebenden<br />
Menschen, vor allem des Islam und der Muslime. Der anhaltende Streit darum, ob sie denn<br />
nun „zu Deutschland“ gehören, oder nicht, ist ein Kennzeichen dessen.<br />
Der Islam steht im „Kampf der Kulturen“ stellvertretend <strong>für</strong> die Bedrohung „des Westens“<br />
durch „die Anderen“. Tatsächlich verbraucht „der Westen“ mit nur zwölf Prozent der Weltbevölkerung<br />
über 80 Prozent der weltweiten Ressourcen, ihm steht „der Rest“ – Originalton Huntington<br />
– der Menschheit unversöhnlich gegenüber. Dazu Ruf: „Genau dies dürfte der Grund sein,<br />
warum die großartigen Errungenschaften des Westens, Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit,<br />
<strong>für</strong> diesen Rest nicht gelten dürfen. Damit dies funktionieren kann, muss aber dieser<br />
Rest entmenschlicht werden.“ <strong>Das</strong> ist die nicht nur ideologische, sondern politische Funktion<br />
des „Feindbildes Islam“. Da die globalen Ressourcen nicht <strong>für</strong> alle reichen, wenn sich die<br />
derzeitige Lebensweise des Westens ausdehnt, muss diese Lebensweise eben gegen „die Anderen“<br />
verteidigt werden. Allerdings nennt es Ruf „grotesk“, dass „im Zeitalter der Globalisierung<br />
[...] der Internationalisierung des Kapitals die Ethnisierung und damit letztlich die Fragmentierung<br />
der Gesellschaft als Gegenstrategie entgegengesetzt wird“. <strong>Das</strong> ist nicht grotesk, sondern<br />
Moment der Herrschaftsstrategie des Kapitals: Wenn es selbst weltweit vernetzt ist, die Gegenkräfte<br />
aber kulturalistisch fragmentiert sind, herrscht es sich umso besser.<br />
Zu den besonderen Vorzügen des Bandes gehört, dass Werner Ruf die Akteure der Islamhetze<br />
in Deutschland detailliert namhaft macht. Dazu gehören Thilo Sarrazin, Henryk M. Broder,<br />
Ralph Giordano, CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt, Alice Schwarzer, die „Antideutschen“<br />
und die extreme Rechte. Gerade letztere hat „ihre enorme Chance erkannt“, die darin besteht,<br />
„demonstrativ Freundschaft und Solidarität mit Israel zu zeigen, um sich einerseits gegen<br />
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