Das Blättchen, Sonderausgabe 22. Oktober 2012. - Verlag für Berlin ...
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den Vorwurf des Faschismus zu verwahren und andererseits umso vehementer den Hass auf den<br />
Islam predigen zu können“. <strong>Das</strong> hat zu dem Phänomen geführt, dass die Islamhetze, die sich<br />
„inzwischen in die Poren der Gesellschaft eingenistet“ hat, heute das gesamte Spektrum der alten<br />
antisemitischen Vorurteile abdeckt, „die da reichen von ,kultureller Fremdheit’, oder der<br />
,Nicht-Integrierbarkeit’ bis zum ,Sozialschmarotzertum’.“<br />
<strong>Das</strong> Fazit bei Werner Ruf lautet: „In der globalisierten und daher multikulturellen Welt sind<br />
Frieden und Sicherheit im innerstaatlichen wie im internationalen Bereich nur dann zu gewährleisten,<br />
wenn [...] im globalen Haus Gerechtigkeit herrscht“.<br />
Werner Ruf: Der Islam – Schrecken des Abendlands. Wie sich der Westen sein Feindbild konstruiert.<br />
PapyRossa <strong>Verlag</strong> Köln 2012, 129 Seiten, 9,90 Euro<br />
Zwischenspiel – Tucholsky in Rheinsberg<br />
von Werner Liersch<br />
Tucholsky kam nicht wegen Frédéric nach Rheinsberg, aber ohne Frédéric wäre er nicht gekommen.<br />
Hätte das heitere Schloss am See gefehlt, hätte er sich etwas anderes gesucht. Ein tiefer<br />
Verehrer Preußens war er ja nicht gerade. Gefahren wäre er allerdings auf jeden Fall. Er hatte<br />
eine Verlobte, Kitty Frankfurter, und eine Geliebte, mit der er allein sein wollte. 1912 hieß seine<br />
Geliebte Else Weil und er war ein Jurastudent in <strong>Berlin</strong>, der schon etwas geschrieben hatte, aber<br />
noch nichts, das aus dem Namen Tucholsky den Namen Tucholsky machte, wie es nach dem<br />
Rheinsberg-Besuch passierte. Da schrieb er nämlich Rheinsberg. Ein Bilderbuch <strong>für</strong> Verliebte<br />
und dieses Bilderbuch ging so ziemlich durch die ganze Presse und fand reißenden Absatz. So<br />
charmant, wie Wölfchen und Claire im Bilderbuch, war noch kein Paar im Buch ins Bett gegangen.<br />
Im Leben sicher. Wölfchen schaut nachts aus dem Hotelzimmerfenster und schaut auf den<br />
Rheinsberger Obelisken, und das Laub der Bäume rauscht und Wölfchen denkt: Warum reagieren<br />
wir darauf wie auf etwas Schönes<br />
[…] Es ist doch nur ein durch Schallwellen fortgepflanztes Geräusch, und Claire seufzt im<br />
halbleeren Bett: Is niemand in mein klein Bettchen, und soll aber jemand dasein, und Klein Clärchen<br />
is ganz allein. Warum soll es mit Kurt und Else nicht ähnlich gewesen sein? So groß ist die dichterische<br />
Freiheit gar nicht. Unsere berechtigte Neugier, ob die Dichter wirklich erlebt haben, was sie uns<br />
zu lesen geben, befriedigen die anderen Teile des Buches besser, denn es enthält auch noch Ansichten<br />
von Rheinsberg wie philosophische Anschauungen des Autors. So kann man sich auch heute<br />
noch die von der Tourismusindustrie nicht gern gehörte Frage des Besuches stellen: War es eine<br />
Schönheit diese Landschaft?, die Tucholsky zurückhaltend beantwortet, aber so denn auch wieder,<br />
dass sich eine Reise lohnt: der Marktplatz schattig und still, das Schloss weiß, violett funkeln die<br />
Fensterscheiben, der zweite Friedrich nicht überall wie in Sanssouci hinter jeder Statue, der See die<br />
Uferlinien unendlich feingeschwungen, die hellblaue Fläche glänzt matt […] Sehssu mein Affgen,<br />
das is nun deine Heimat, sagt Claire und am Ende der drei Tage zelebriert sie im Boot liegend die<br />
Philosophie von Rheinsberg: … das kommt nie wieder! Heiter Glück verbreiten! Wir wollen uns Erinnerungen<br />
machen, die Funken sprühen!<br />
Der <strong>Berlin</strong>er Verleger Axel Juncker wies erst das Manuskript ab, dann gab er Tucholsky einen<br />
miserablen Vertrag und machte selbst mit dem von Kurt Szafranski illustrierten Buch ein<br />
Bombengeschäft. Tucholsky musste sich mit dem so genannten ideellen Gewinn trösten, aber in<br />
der Literatur und in <strong>Berlin</strong> ist er nun wer. Franz Kafka begegnet ihm in <strong>Berlin</strong> und trägt in sein<br />
Tagebuch als charakteristisch <strong>für</strong> den jungen <strong>Berlin</strong>er ein: Angst vor der Verwandlung ins Weltschmerzliche,<br />
wie er es an älteren <strong>Berlin</strong>ern seiner Richtung bemerkt hat, allerdings spürt er<br />
vorläufig nichts davon. 1921 guckt sich Tucholsky das Buch wieder an und meint, weil aber die<br />
Zeit läuft, würde sich, was zwischen den Zeilen eines Buches ausgedrückt ist, niemals länger als<br />
fünfzig Jahre halten.<br />
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