Artlab: Medienhöhle 1–x Abschlussbericht - projektklasse
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<strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong><br />
Modellversuch im Rahmen des BLK-Programms<br />
"Kulturelle Bildung im Medienzeitalter" (KuBiM)<br />
<strong>Abschlussbericht</strong><br />
vorgelegt von Prof. Lutz Dammbeck und Dr. Stefan Weber,<br />
September 2004<br />
Zuwendungsempfänger:<br />
Hochschule für Bildende Künste Dresden (HfBK)<br />
Land: Freistaat Sachsen<br />
Projektleitung: Prof. Lutz Dammbeck • Mail: lutz.dammbeck@hamburg.de<br />
Wissenschaftliche Begleitung: Dr. Stefan Weber • Mail: cyberwriter@utanet.at<br />
Förderkennziffer: A 6681 ASN02
2<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Seite<br />
1. Kurzdarstellung des Modellversuchs 4<br />
1.1 Zentrale Aufgabenstellung 4<br />
1.2 Zu den institutionellen und sozioökonomischen Voraussetzungen 8<br />
1.3 Planung und Ablauf des Vorhabens 16<br />
1.4 Zusammenarbeit mit anderen Stellen und Projekten 20<br />
1.5 Darstellung der wesentlichen Ergebnisse 21<br />
1.5.1 Offenheit 22<br />
1.5.2 Teamorientierung 24<br />
1.5.3 Projektorientierung 26<br />
1.5.4 Konkurrenz alte/neue Medien 27<br />
1.5.5 Konkurrenz Tafelbild/Bewegtbild 30<br />
1.5.6 Offene Zukunftsoptionen 32<br />
2. Der Beitrag von "<strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong>"<br />
zu den Zielen des KuBiM-Programms 35<br />
2.1 Zuordnung der Aktivitäten zu den Zielen von KuBiM 35<br />
2.2 Erläuterung der Maßnahmen und Reflexion der Erfahrungen 39<br />
2.3 Arbeiten, die zu keiner Lösung geführt haben 39<br />
3. Transfer und Verstetigung 41<br />
3.1 Transferkonzept und Dissemination 41<br />
3.2 Verbindung zu anderen Projekten,<br />
Nutzung der Ergebnisse nach Projektende 45<br />
3.3 Verwertbarkeit der Ergebnisse 46<br />
3.4 Erfolgte oder geplante Veröffentlichungen 47<br />
4. Anhang 1: Gesamtverzeichnis der Veranstaltungen 49<br />
4.1 Mediensalons 50<br />
4.2 Seminare 51<br />
4.3 <strong>Medienhöhle</strong>n 55
3<br />
5. Anhang 2: Die Medien(technik) und die Kunst.<br />
Ein medientheoretisch-medienphilosophischer Essay<br />
im Kontext von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> 59<br />
5.1 Kunst und Wissenschaft – Kunst als Wissenschaft? 59<br />
5.2 <strong>Medienhöhle</strong>n: Zur Autopoiesis mediengenerierter Wirklichkeiten<br />
und zur Frage nach dem Neuen der 'neuen Medien' 63<br />
5.3 Medienzeitalter: Makro-Trend Medialisierung? 69<br />
5.4 Medien – Kunst – Kultur 72<br />
5.5 Theorie – Technik – Praxis 74<br />
5.6 Fluchtpunkt: Das Netz 78<br />
6. Anhang 3: Statements des Studierenden N.N. zu <strong>Artlab</strong> 82<br />
Literaturverzeichnis 85
4<br />
"Keine technische Entwicklung kann die Zeichnung ablösen."<br />
(Alfred Hrdlicka in RÖTZER/ROGENHOFER 1991, 334) 1<br />
1. Kurzdarstellung des Modellversuchs<br />
1.1 Zentrale Aufgabenstellung<br />
"Kompetenzgewinnung inhaltlich und visuell an der Schnittstelle Kunst –<br />
Kommunikation – Neue Medien. Erlangung von Medienkompetenz der Bildenden Kunst<br />
im Verhältnis zu neuen Kommunikationsmitteln (Bezug 'neue' mit 'alten' Medien) [...]" –<br />
dies war eine der zentralen Zielvorgaben von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong>. Damit ist auch<br />
bereits eine der entscheidenden Problemstellungen angesprochen, die der<br />
Modellversuch bearbeiten sollte: Es ging um die zentrale Frage, inwieweit Studierende,<br />
die sich primär für die 'alten' bzw. 'klassischen' Medien interessieren bzw. primär mit<br />
diesen arbeiten wollen, sinnvoller Weise auch Medienkompetenz(en) in Bezug auf die<br />
'neuen Medien' vermittelt bekommen sollen bzw. inwieweit eine derartige Medien-<br />
Schulung im Hinblick auf ihre eigenen anstehenden Arbeiten, ihre Qualifikationen und<br />
Interessenslagen Sinn macht.<br />
Die Unterscheidung 'alte' versus 'neue Medien' wird hier nicht in einem streng<br />
medientheoretischen bzw. kommunikationswissenschaftlichen Sinne getroffen, sondern<br />
ist eher pragmatisch-empirisch an den gewachsenen Strukturen der Hochschule für<br />
Bildende Künste Dresden (im Folgenden immer: HfBK) orientiert: Mit 'alten Medien'<br />
werden im Folgenden primär jene Medien bezeichnet, die bereits vor der<br />
Elektrifizierung im 19. Jahrhundert und vor der Digitalisierung im 20. Jahrhundert<br />
bestanden haben und auch künstlerisch eingesetzt wurden: Derartige Medien wären also<br />
etwa der Pinsel oder der Meißel, derartige Medienprodukte das klassische Tafelbild<br />
(und dies im primär mimetisch-abbildenden Sinne) oder die Skulptur. Die Medien des<br />
Buchdrucks, deren Printwelten in der Retrospektive gerne als 'Gutenberg-Galaxis'<br />
bezeichnet werden, werden in dieser Definition von 'alten Medien' mit inkludiert. Die<br />
Grenze zwischen 'alten' und 'neuen Medien' wird mit dem Aufkommen der elektrischen<br />
1<br />
Dieses Zitat wird hier nicht unterschrieben, es sollte vielmehr als offene Frage gelesen werden,<br />
die <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> zu beantworten versuchte.
5<br />
(und später der digitalen) Apparaturen gezogen. Damit fällt die Ausbildung zum Maler,<br />
Zeichner, Druckgraphiker, Restaurator oder Bildhauer primär unter 'alte Medien', auch<br />
wenn freilich – etwa gerade im Bereich der Restaurierung – selbstverständlich auch<br />
neueste digitale Verfahren verwendet werden. – Bereits die Fotografie, später dann<br />
Kino und Film, und schließlich Fernsehen, Video und Computer wären somit die 'neuen<br />
Medien'.<br />
Die Frage, die <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> zugespitzt stellte, lautete in aller Drastik und<br />
Radikalität formuliert: Kann ein potenziell angehender Maler oder Zeichner, der eine<br />
Grundlagenausbildung in Komposition, Anatomie, figürlichem Zeichnen, Farbenlehre<br />
und ähnlichen Bereichen erhalten hat oder gerade erhält, auch von einem Kurs über<br />
'Photoshop', digitalen Schnitt, Web-Programmierung oder auch 'nur' Fotografie<br />
profitieren, und wenn ja: inwiefern und in welchen Dimensionen?<br />
Diese zentrale Aufgabenstellung von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> berührte damit<br />
gleichsam eine fast kunstphilosophische Frage, die auf eine mögliche Totalität des<br />
Medienbegriffs (zunächst im Sinne einer 'Wahl der technischen Mittel' verstanden)<br />
abzielt: Müssen angehende Maler, Zeichner oder Bildhauer zumindest einmal und<br />
irgendwie mit den neuen Medien wie Computer oder Internet in Berührung gekommen<br />
sein – oder genügt es, sie nur die 'alten Medien' zu lehren? Wie 'holistisch' bzw.<br />
ganzheitlich muss eine Kunsthochschule zu Beginn des 21. Jahrhunderts lehren? Ist eine<br />
Kunsthochschule immer auch gleich eine Medienhochschule, und damit eine<br />
Hochschule der alten und der neuen Medien? Sind Kunst und Medien in Opposition<br />
oder gar in einer Dichotomie zueinander stehend zu denken, in dem Sinne, dass die<br />
(klassische) Kunst das zeitüberdauernd Wahre und Schöne hervorbringt, während die<br />
Medien immer bloß auf den letzten Stand der technologischen Evolution verweisen und<br />
damit dem Künstler, der mit seinem Werk gerade das Hier und Jetzt zumindest in einem<br />
gewissen Sinne transzendieren will, letztlich immer ein wenig verdächtig und suspekt<br />
erscheinen müssen?<br />
Die Ausgangsfrage von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> und damit seine zentrale<br />
Aufgabenstellung soll noch einmal geschärft werden: In unserem gegenwärtigen<br />
Zeitalter der zunehmenden Massen- und Multimedialisierung, d.h. der zunehmenden<br />
ubiquitären Präsenz der (hyper-)kommerziellen Massenmedien, der Mobilisierung und<br />
Individualisierung der Endgeräte und diverser anderer Makro-Trends der
6<br />
Medienevolution herrschen grundsätzlich andere Bedingungen als – sagen wir es<br />
drastisch – im Zeitalter der Gründung der Kunstakademie Dresden am 6. Februar 1764.<br />
Die Medien-Evolution ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts längst nicht mehr nur<br />
evolutionär, sondern war gerade in den vergangenen zehn Jahren – Stichwort: Siegeszug<br />
des Internet und insbesondere von WWW und E-mail – eigentlich revolutionär. Und<br />
damit lautet die Frage: Hat sich eine Kunsthochschule – und hier: die HfBK mit ihrem<br />
traditionell und historisch gewachsenen Schwerpunkt auf Malerei – damit in irgendeiner<br />
Weise auseinanderzusetzen, und wenn ja: wie?<br />
Die Frage hat zumindest zwei Dimensionen: Einerseits eine hochschulpolitische bzw. -<br />
strategische, andererseits eine am Bedarf und damit letztlich auch 'arbeitsmarktpolitisch'<br />
orientierte. Hochschulpolitisch scheint im Hinblick auf die zunehmende Konkurrenz<br />
von Universitäten, Hochschulen, Akademien, Fachhochschulen, privaten Universitäten<br />
und diversen anderen zunehmend auch internationalisierten bzw. globalisierten<br />
Ausbildungsmöglichkeiten außer Frage zu sein, dass Hochschulen klare lokale<br />
Schwerpunkte und Akzente setzen müssen (Stichwort Profilbildung). Ein solcher<br />
Schwerpunkt wird sich zwangsläufig mit den historischen Traditionen und Kontexten<br />
vor Ort beschäftigen müssen (so setzt man etwa an der Universität Salzburg und an der<br />
Universität Mozarteum auf Grund der geographischen und historischen<br />
Rahmenbedingungen in Lehre und Forschung vermehrt auf – wen wundert's –<br />
Tourismus und Mozart). Dementsprechend kann es für Dresden keinesfalls anrüchig,<br />
unmodisch oder 'out' sein, sich auf seine Malertradition – von Canaletto bis zu A.R.<br />
Penck – zu besinnen, auf seine Landschaft oder die Spezifik der Farben oder einen<br />
vermeintlichen 'Dresdner Stil'. 2 Hochschulstrategisch und im Sinne der<br />
Schwerpunktbildung scheint die Entscheidung klar: Die HfBK hat einen Schwerpunkt<br />
in der Malerei, und diesen gilt es zu bewahren und auszubauen. Eine heuchlerische<br />
Distanzierung von der Tradition – nur, um nicht in den Geruch des 'Unmodischen' zu<br />
kommen – wäre wohl der ganz falsche Weg.<br />
Andererseits stellt sich die Frage nach dem Bedarf einer Medienausbildung an einer<br />
Hochschule, die den klassischen Kunst-Traditionen verpflichtet ist: Hier wäre – noch<br />
genauer, als dies im Rahmen des Modellversuchs geschehen ist und möglich war – zu<br />
prüfen, ob die Studierenden selbst im Zuge ihrer Grundlagenausbildung eine derart<br />
2<br />
Vgl. dazu auch die Debatten in PERES/SCHMIDT 1997.
7<br />
'holistische' Medien- und Kunstausbildung überhaupt erhalten wollen, die eben auch die<br />
neuen elektronischen bis digitalen Medien mit einbeziehen würde. Zur Diskussion<br />
müsste auch stehen, ob diese Grundlagenausbildung im Bereich der 'neuen Medien'<br />
substitutiv oder komplementär zum bisherigen Curriculum erfolgen sollte.<br />
An der HfBK ist eine erste wichtige Entscheidung in Bezug auf die Verortung der<br />
neuen Medien bereits vor <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> gefallen: Im Mai 2000 wurde eine<br />
Projektklasse Neue Medien unter der Leitung von Prof. Lutz Dammbeck eingerichtet.<br />
Der Modellversuch <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong>, der in der Folge am 1. Oktober 2000<br />
startete, stellte dann zugespitzt die Frage nach der Positionierung und Relationierung<br />
der möglichen Angebote im Rahmen dieser Medienklasse im Kontext der klassischen<br />
Ausbildung im Bereich der alten Medien. Dies war, wenn man so will, die zentrale<br />
Aufgabenstellung von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong>: zu prüfen, ob und inwieweit eine<br />
Ausbildung im Bereich der neuen Medien für potenziell alle Studierende an einer<br />
Kunsthochschule Sinn macht, die ihren traditionellen Schwerpunkt deutlich im Bereich<br />
der alten Medien hat, welche Dynamiken, Prozesse, Reibungen und Irritationen dabei<br />
entstehen, ob es zu Win-Win-Situationen zwischen Anwendern bzw. Vertretern alter<br />
und neuer Medien kommt oder vielmehr zu wechselseitigen Blockaden und<br />
Hemmnissen.<br />
Das eingangs aus dem Projektantrag zitierte Ziel der Medienkompetenz war dabei von<br />
zentraler Bedeutung: Damit ist nicht nur angesprochen, dass eine kritisch-künstlerische<br />
Position gegenüber den neuen Medien nur dann möglich und sinnvoll ist, wenn man<br />
diese Medien zumindest in ihren Grundzügen technisch kennen gelernt hat und<br />
beherrscht. Viele der herkömmlichen Technik-Phobien resultieren, wie selbstreflexive<br />
und -kritische Medienforschung immer wieder belegt hat, großteils aus der schlichten<br />
Unkenntnis oder der Nicht-Bereitschaft der 'Befallenen', sich mit den neuen und<br />
neuesten Technologien, die dann oft als hermetisch-unerreichbares Terrain erscheinen,<br />
auseinander zu setzen. Viele (kultur)kritische und (kultur)pessimistische<br />
Medientheorien von Adorno bis zu Postman haben ihren psychologischen Ursprung<br />
auch in einer gewissen Technik-Phobie, d.h. in einer pauschalen A-Priori-Ablehnung<br />
eines neu aufkommenden Mediums (in beiden genannten Fällen: des Fernsehens als ein<br />
Medium, das die Massen betrügt, das von deren wahren Bedürfnissen ablenkt oder<br />
durch welches sie sich 'zu Tode amüsieren'). Im Bereich der Kunst geht es darum, das
8<br />
Verhältnis von klassisch-alten zu neuen bis neuesten Medien ähnlich kritisch zu<br />
überprüfen: Es sollte nicht der Eindruck entstehen, dass jemand klassischer Maler oder<br />
Zeichner werden möchte, nur weil ihm/ihr Computergraphik zu mühsam ist oder weil<br />
er/sie schlichtweg in seiner/ihrer Ausbildung keine Möglichkeit erhalten hatte, mit<br />
digitalen Technologien zu arbeiten.<br />
Zwei Sichtweisen sind möglich: In einem 'holistischen Modell' einer Medienausbildung<br />
an einer Kunsthochschule steht am Anfang eine möglichst breite Vermittlung von<br />
Medientechniken und Technikkompetenzen, die dann auch a priori und immer schon<br />
den letzten Stand der Dinge mit einbeziehen würde, also naturgemäß auch neueste<br />
digitale Techniken und Verfahren – bis etwa zu Mixed- und Augmented-Reality-<br />
Systemen und dem semantischen Web, um nur zwei aktuelle und zukunftsweisende<br />
Forschungs- und Anwendungsfelder in den Bereichen Virtuelle Realität und<br />
Netzmedialität zu nennen.<br />
In einem 'reduktionistischen Modell' einer Medienausbildung an einer Kunsthochschule<br />
wäre dieser generalistisch-allumfassende Start nicht notwendig, weil es in der<br />
betreffenden Kunsthochschule bereits einen spezifischen Schwerpunkt gibt, von dem<br />
aus gestartet wird (etwa: Malerei und/oder Bildhauerei und/oder Bühnenbild und/oder<br />
Restaurierung).<br />
Es war die Frage und Aufgabenstellung von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong>, zu prüfen, ob<br />
und inwieweit ein holistisches Modell Sinn macht, ob und inwieweit dieses auch im<br />
Sinne eines qualitativen Sprungs, gleichsam 'emergent' installiert werden kann oder ob<br />
sich eine solche Installierung nicht auch an den gewachsenen Strukturen (auf)reibt. Die<br />
Antworten auf diese Fragen werden – siehe weiter unten – ambivalent ausfallen.<br />
1.2 Zu den institutionellen und sozioökonomischen Voraussetzungen<br />
Die institutionellen Voraussetzungen von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> an der HfBK<br />
Dresden können analytisch in mehrere Dimensionen gegliedert werden: Einerseits ist<br />
die historische Tradition der HfBK in die Analyse mit einzubeziehen, andererseits auch<br />
ihre gegenwärtige Verfasstheit und Struktur. Drittens muss auch die<br />
Institutionalisierung der Projektklasse Neue Medien im Jahr 2000 als entscheidende<br />
Determinante für <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> angesehen werden.
9<br />
Bereits 1680 wurde in Dresden eine "Zeichen- und Malerschule" gestiftet, im Jahr 1764<br />
schließlich wurde die "Allgemeine Kunst-Academie der Malerei, Bildhauer-Kunst,<br />
Kupferstecher- und Bau-Kunst" ins Leben gerufen. In ihrer wechselvollen Geschichte<br />
über die Jahrhunderte hinweg haben in der Akademie (bzw. ab 1950: Hochschule), die<br />
zu den ältesten Kunstakademien im deutschsprachigen Raum gehört, zahlreiche<br />
weltbekannte Künstler wie Canaletto, Caspar David Friedrich oder Gottfried Semper als<br />
Professoren gelehrt. Die lang anhaltende 'Malertradition' zieht sich wie ein roter Faden<br />
von Gotthardt Kuehl, Oskar Kokoschka und Otto Dix bis zu A.R. Penck. Im Zuge einer<br />
Standortbestimmung und expliziteren Selbstreflexion nach der Wende kam es in den<br />
vergangenen Jahren vermehrt zu kritischen Diskussionen über diese Traditionen (vgl.<br />
den Sammelband PERES/SCHMIDT 1997). Es wird u.a. erörtert, ob diese Tradition<br />
heute noch Kraft besitzt und Relevanz hat – die Urteile sind mitunter skeptisch bis<br />
pessimistisch, was aber aus einer gewissen Außenperspektive und Distanz heraus wenig<br />
verwundern mag (der eigene Lebensmittelpunkt bzw. die eigene geographische<br />
Herkunft erscheint alleine schon auf Grund der eigenen Vergangenheits-Bezüge wohl<br />
immer schon als Ort der Tradition und damit auch der Stagnation – nur ein Beobachter<br />
zweiter Ordnung mag diesen blinden Fleck erkennen). So bemerkt etwa Ralf Lehmann:<br />
"Realismus war jahrzehntelang das Aushängeschild für Dresdner Kunst. Dieses auch<br />
besonders von der Kunsthochschule vertretene Dogma ist gebrochen, eine gewisse<br />
Ratlosigkeit vorhanden." (LEHMANN 1997, 189)<br />
Oft wird in diesen und ähnlichen Diskussionen beklagt, dass hic et nunc kein<br />
einheitlicher 'Dresdner Stil', keine Schule mehr zu erkennen sei, dass es an 'großen<br />
Künstlern' oder herausragenden Talenten mangle etc. etc. Man mag nun im Kontext von<br />
<strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> auch die (vielleicht zunächst unverschämt klingende) Frage<br />
stellen, ob eine Ausbildung im Bereich der neuen Medien – und sei es auch nur als eine<br />
Art 'Kontrastfolie' – hier aus einer tatsächlichen oder vermeintlichen Stagnation der<br />
Malerei in Dresden heraus führen könnte: Ändern sich künstlerische Techniken,<br />
Fertigkeiten, Herangehensweisen und auch Themenstellungen durch die Konfrontation<br />
mit den Eigenlogiken moderner technologischer Apparate, oder sind dies – die Malerei<br />
und die Apparate – zwei unvereinbare Welten? Ein Zitat aus einer Podiumsdiskussion
10<br />
zur Frage nach der 'Dresdner Kunst' bringt die Ambivalenz dieser Problematik sehr<br />
schön auf den Punkt:<br />
"Das Problem ist [...] natürlich, daß in Dresden der Nachholbedarf unglaublich groß ist,<br />
also, daß die Leute Performances machen, mit Video arbeiten wollen usw. [...]<br />
Ich halte es aber auch, genau wie in der Museumspolitik, für wichtig, daß jede Schule<br />
doch auch ihren Charakter behält. Dresden hat eben seine Malertradition auch durch die<br />
lokale Umgebung." (Diskussionsbeitrag, zitiert aus PERES/SCHMIDT 1997, 227)<br />
Zu den institutionellen Voraussetzungen von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> gehörte genau<br />
der Versuch eines Meisterns dieses Spagats, eines 'bridging the gap': Sind neue Medien<br />
und Malereitradition überhaupt irgendwie vereinbar? Könnte auch durch eine<br />
produktive Reibung, Spannung oder Irritation aufregende und neue Kunst entstehen?<br />
Oder werden durch eine solche Konfrontation die Gräben noch größer, werden aus<br />
ohnedies schon dichotomischen Stellungen schließlich polarisierende Grabenkämpfe?<br />
Gibt es eine produktive oder eine destruktive Konkurrenz zwischen alten und neuen<br />
Medien, zwischen Malerei und PC, zwischen Zeichnen und Virtual Reality, zwischen<br />
Bildhauerei und dem Netz? Begründen die neuen Medien überhaupt einen<br />
technologischen Verbund, der mit den alten Medien etwas zu tun hat, oder 'gehören' sie<br />
kategorisch gar nicht an eine Kunsthochschule dieses Typs? – Nochmals muss erwähnt<br />
werden, dass die HfBK die Frage nach dem Stellenwert der neuen Medien bereits<br />
positiv beantwortet hat, da eine Projektklasse Neue Medien bereits vor <strong>Artlab</strong>:<br />
<strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> eingerichtet wurde. <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> stellte somit eine<br />
Zuspitzung und Radikalisierung der Positionierungs- und Relationierungsfrage im<br />
Kontext der Kunsthochschule dar.<br />
Mit diesen Überlegungen gerät die gegenwärtige Verfasstheit und Struktur der HfBK<br />
ins Blickfeld: Es gibt einen Studiengang 'Malerei • Grafik • Bildhauerei • andere<br />
bildnerische Medien', der sich in drei Fachklassen für 'Malerei • Grafik' und drei<br />
Fachklassen für Bildhauerei unterteilt. In diesem Studiengang (oder Fachbereich I)<br />
befinden sich auch eine Fachklasse für 'übergreifendes künstlerisches Arbeiten' sowie<br />
die Projektklasse Neue Medien. Ein zweiter Studiengang widmet sich dem Schwerpunkt<br />
Kunsttechnologie, Konservierung und Restaurierung von Kunst- und Kulturgut
11<br />
(gehörend zum Fachbereich II). Beide Studiengänge können auf 'USPs' verweisen: Der<br />
wissenschaftliche Studiengang für Kunsttechnologie, Konservierung und Restaurierung<br />
war bei seiner Gründung im Jahre 1974 eine der ersten Studienmöglichkeiten dieser Art<br />
in Deutschland, er zählt heute deutschlandweit zu den renommiertesten<br />
Ausbildungseinrichtungen dieser Art auf universitärem Niveau. Der Studiengang<br />
'Malerei • Grafik •Bildhauerei' hat die bereits erwähnte große Tradition, auf Grund derer<br />
sich zahlreiche Studierende in Dresden für ein Studium mit diesem Schwerpunkt<br />
entscheiden. Auch der Studiengang Bühnen- und Kostümbild kann mit einer wohl<br />
europaweit in dieser Form einzigartigen Verknüpfung von entwerfenden und<br />
umsetzenden Disziplinen im Theaterbereich einen deutlichen USP aufweisen.<br />
Schließlich sind auch der Fachhochschulstudiengang Theaterausstattung und der<br />
postgraduale Studiengang Kunst-Therapie an der HfBK zu finden (und letzterer ist, erst<br />
seit 1996 zugelassen, der erste in den neuen Bundesländern).<br />
Die einzelnen Studiengänge an der HfBK verfügen also allesamt über einen distinkten,<br />
jeweils variierenden USP und setzen damit einen jeweils deutlichen Akzent mit<br />
hinreichender Profilbildung. Hochschulpolitisch führt dies zu der Frage, wie sich die<br />
neuen Medien in einem solchen Gefüge positionieren könnten: Einerseits ist darauf<br />
hinzuweisen, dass die einzelnen Studiengänge an der HfBK nicht ausschließlich<br />
historisch gewachsene Strukturen sind, an denen mehr oder weniger seit Jahrzehnten,<br />
wenn nicht gar seit Jahrhunderten relativ starr und innovationsresistent festgehalten<br />
wird. Immerhin wurde der Studiengang Kunsttechnologie, Konservierung und<br />
Restaurierung 'erst' 1974 gegründet, und der postgraduale Studiengang Kunst-Therapie<br />
wurde 1993 zunächst sogar ebenfalls als Modellversuch genehmigt und erst 1996<br />
zugelassen. So gesehen wäre es also durchaus möglich und realistisch, auch die neuen<br />
Medien nach dem Modellversuch von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> ähnlich an der<br />
Hochschule zu verankern. Um eine Profilbildung im Bereich der neuen Medien – die<br />
etwa im Bereich des experimentellen Trickfilms angesiedelt werden könnte, aber auch<br />
z.B. im Sinne eines allgemeineren Schwerpunkts im Bereich Bewegtbild im Gegensatz<br />
zum klassischen Tafelbild (dazu ausführlicher weiter unten) – wird man andererseits<br />
aber nicht herumkommen, da es in Deutschland ja bereits mehrere Kunsthochschulen<br />
für Medien oder zumindest mit schwerpunkthafter Medienausbildung gibt.
12<br />
Die hochschulpolitische und auch institutionsinterne Frage, die mit <strong>Artlab</strong>:<br />
<strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> aufgeworfen wurde, ist aber nicht nur die nach der adäquaten<br />
Positionierung (eben auch im Sinne einer Schwerpunkt- und Profilbildung) einer<br />
Medienklasse, sondern vor allem die nach der curricularen Verankerung einer<br />
Ausbildung im Bereich der neuen Medien im Grundstudium für (nahezu) alle<br />
Studiengänge. Immer wieder wurde und wird von Seiten der HfBK betont, dass es nicht<br />
darum gehe, einen eigenen Studiengang zu den neuen Medien einzurichten (mit einem<br />
spezifischen Profil wäre dies jedoch m.E. langfristig durchaus eine denkbare Option).<br />
Vielmehr ist die Kernfrage jene, ob – wie oben bereits erwähnt – technische<br />
Kompetenzen im Bereich der neuen Medien an einer Kunsthochschule 'klassischen<br />
Zuschnitts' vermittelt werden sollten oder nicht.<br />
Diese Frage führt zur dritten Dimension des institutionellen Kontexts von <strong>Artlab</strong>:<br />
<strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong>: zur Einrichtung einer Projektklasse Neue Medien. Am 15.<br />
Dezember 1998 wurde Lutz Dammbeck auf den Lehrstuhl für Neue künstlerische<br />
Medien berufen. Mitte März 1999 erhielt Dr. habil. Gregor Stemmrich einen Ruf als<br />
Professor für Kunst des 20. Jahrhunderts mit Schwerpunkt Kunst der Gegenwart. Die<br />
HfBK setzte damit bereits zwei deutliche Akzente in Bezug auf Medien- und<br />
Gegenwartskunst. Am 9. Mai 2000 wurde die Projektklasse Neue Medien mit einem<br />
telepräsenten Vortrag von Prof. Peter Weibel (im Kontext der Veranstaltungsserie<br />
"influence") offiziell eröffnet. Gleich in der ersten Vortragsserie ging es deutlich um die<br />
Schwerpunkte Bewegtbild und Bildwissenschaft (also um jene Akzentverlagerung, die<br />
heute zunehmend unter iconic oder pictorial turn verhandelt wird) sowie um Kunst als<br />
kritischer Barometer aktueller Tendenzen in der Gesellschaft. Gerade mit Peter Weibels<br />
Statement und Vortrag war der Versuch angesprochen, eine Medienkunst zu etablieren,<br />
die nicht bloß affirmativ auf den letzten technologischen Schrei aufspringt (= Künstler<br />
als bloße PR-Agenten für Medientechnologie), sondern vielmehr kritisch und<br />
selbstreflexiv (Stichwort: 'Medien in den Medien') die soziale Funktion von<br />
Medientechnologie(n) beobachtet.<br />
Bedingung der Möglichkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit den neuen Medien<br />
ist jedoch die zumindest basale Kenntnis der dahinter liegenden Techniken und<br />
Technologien. Wenn eine Kunsthochschule gewillt ist, dass eine derartige kritische<br />
Auseinandersetzung stattfindet, dann muss sie sich auch um die adäquate
13<br />
medientechnische Ausbildung der Studierenden kümmern. (Und umgekehrt: Wenn sie<br />
zu dem Entschluss kommt, dass dies unter Rücksichtnahme auf ihr spezifisches Profil<br />
nicht erforderlich ist, dann ist eine derartige Medienausbildung nicht notwendig.)<br />
Diese Überlegungen führen (zurück) zu den soziokulturellen und sozioökonomischen<br />
Kontexten, in die der Modellversuch <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> eingebettet war.<br />
Zunächst ist in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, dass 'Medienkunst' kein neuer<br />
Begriff ist, sondern bereits seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts (und vielleicht<br />
sogar schon seit den Siebzigern) kursiert. Je nach technologischem Stand der Dinge<br />
wurden dann unterschiedliche Sub-Begriffe zur Markierung des Terrains verwendet:<br />
Videokunst in den achtziger Jahren, "Cyber-Art" mit Aufkommen der VR-Technologien<br />
zu Beginn der Neunziger, schließlich "Netzkunst" und spezifisch "Web-Art" ab ca.<br />
Mitte der Neunziger. Der allumfassende Begriff Medienkunst bezieht sich in seiner<br />
diskursiven Verwendung dabei sowohl auf ganz aktuelle Medientechnologien als auch<br />
immer wieder auf 'ältere' Medien wie Fotografie, Film und Fernsehen. Medienkunst<br />
meint in der Regel – als kleinster gemeinsamer Nenner – Kunst mit (und oft zudem auch<br />
über) Medien, wobei mit Medien dann in der Regel (elektro)technische (und später<br />
digitale) Apparate der Informationsvermittlung und/oder -konstruktion gemeint sind.<br />
Man kann versuchen, 'Medien' auf verschiedene Arten und Weisen dann weiter zu<br />
differenzieren, etwa über die Leitunterscheidungen alte Medien/neue Medien, analoge<br />
Medien/digitale Medien, reale Medien/virtuelle Medien, auditive Medien/visuelle<br />
Medien, Monomedien/Multimedien usw. usf. Es erscheint bereits an dieser Stelle nicht<br />
unwesentlich, dass im Rahmen von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> nicht von einem bloß auf<br />
Digitalmedien verengten Medienbegriff ausgegangen wurde, sondern auch analoge<br />
Apparate (wie etwa analoge Trickfilmtechnik oder analoge Fotografie) unter 'neue<br />
Medien' subsumiert wurden. Die Bandbreite neuer Medien bei <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong><br />
<strong>1–x</strong> beginnt also nicht erst beim Computer und der aufkommenden Digitalisierung,<br />
sondern setzt bereits bei den analogen Apparaten ein. Von besonderem didaktischem<br />
Interesse war dann konsequenter Weise auch die Konfrontation von analogen mit<br />
digitalen Medien.<br />
Der Projektantrag zu <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> war dabei noch in wesentlichen Teilen<br />
vom Community-Geist der frühen Netzkunst-Bewegung durchdrungen. Dort war unter<br />
anderem die Rede von einem periodischen "Mediencamp" oder gar einem
14<br />
"Medienfeldlager", bei dem sich ein kreativer Spirit alleine schon durch die Vielfalt der<br />
Gäste einstellen sollte:<br />
"Medienwissenschaftler, Kunsthistoriker, Kryptologen, Techniker, Filmemacher,<br />
Musiker, Hirnforscher – vor Ort präsent und virtuell zugeschaltet aus Orten in<br />
verschiedenen Teilen der Welt."<br />
"Ein pulsierender Nervenknoten im weltweiten Netz, der nach 'außen' zur Welt und dem<br />
globalen unendlichen Raum offen ist [...]. [...] Schlafmöglichkeiten und technischer<br />
Dauerbetrieb rund um die Uhr." (Quelle: Projektantrag)<br />
Solche Zielvorstellungen – ja fast schon Utopien – eines freien, ubiquitären und<br />
permanenten Festivals sind nicht von ungefähr an die Glanzzeiten der "ars electronica",<br />
des Linzer Festivals für Kunst, Technologie und Gesellschaft, angelehnt – wie vor allem<br />
bei "Im Netz der Systeme" (1987) beispielhaft durchexerziert. Es erscheint wichtig, auf<br />
solche Utopien einer Ent-Dualisierung von Realität und Virtualität sowie von<br />
Leben/Alltag und Kunst immer wieder hinzuweisen, auch wenn sie nur selten in dieser<br />
Form realisiert werden können.<br />
Der Community-Geist der frühen Netzkunst aus dem Projektantrag wich bei <strong>Artlab</strong>:<br />
<strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> schließlich konsequenter Weise praktisch-pragmatischen<br />
Überlegungen zur Sequenzierung und Modulierung von medientechnologischen<br />
Ausbildungsangeboten sowie zu ihrer Verdichtung in jährlich stattfindenden<br />
"<strong>Medienhöhle</strong>n". Konkret waren drei prinzipielle Module im Modellversuch <strong>Artlab</strong>:<br />
<strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> enthalten:<br />
1) Die sogenannten Mediensalons, d.h. Vorträge im Feld von Medientechnologie<br />
und Medienkunst sowie Präsentationen von Künstlern und ihren Werken<br />
(vorwiegend Einzeltermine);<br />
2) Seminare und Workshops, bei denen es fast ausschließlich um die Vermittlung<br />
und Anwendung medientechnologischer Kompetenzen ging; sowie<br />
3) die eigentlichen <strong>Medienhöhle</strong>n, ein jährliches Konglomerat aus Vorträgen und<br />
Diskussionsrunden, Ausstellungen, Performances und Filmen zu einem<br />
jeweiligen Generalthema bzw. am Anfang auch in Form von Personalen.
15<br />
Zu Beginn von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> Ende 2000 war die Virtualisierung der<br />
Realität der weithin bestimmende Makro-Trend einer zunehmend massenmediatisierten<br />
Gesellschaft. Die Krise der New Economy und der Zusammenbruch zahlreicher<br />
Dotcoms waren Mitte bis Ende 2000 in dieser Form noch nicht antizipierbar. Auch so<br />
erklären sich zu einem Gutteil die Techno-Euphorie und der deutliche Akzent auf<br />
Netzkunst im Projektantrag. Das Internet – und mit ihm Online-Publishing sowie<br />
Online-Werbung – waren die großen ökonomischen Hoffnungsfelder;<br />
medientheoretisch wurden Konturen einer 'Ökonomie der Aufmerksamkeit' und einer<br />
'Internet-Ökonomie' publiziert. Postmoderne Simulakra-Diskurse stammten zwar schon<br />
aus den frühen achtziger Jahren, waren aber immer noch relativ hoch im Kurs.<br />
Die zunehmend 'vercyberte' Welt bzw. der Pfad einer Virtualisierung der Realität erlitt<br />
seinen großen Schock mit dem 11. September 2001. Die Rückkehr des Realen hat in<br />
unmittelbarer Folge nicht nur Slavoj _i_ek ausgerufen – und keine Frage, nach einem<br />
derartigen Ereignis machte es medienphilosophisch wenig Sinn mehr, epistemologische<br />
Zweifel am Realitätsgehalt des 'Ereignisses an sich' anzumelden. Dass der Golfkrieg<br />
nicht stattfand, war vielleicht noch eine medienkritische Pointe Baudrillards. Dass es<br />
den 11. 9. nur als Medieninszenierung gegeben habe, wäre indes ein Kurzschluss. Die<br />
Rückkehr der Realität (so auch FOSTER 1996) bedeutete aber gerade nicht, auf die<br />
medienkritische Analyse massenmedialer Konstruktivitäts- und Fiktionalisierungs-<br />
Strategien zu verzichten. Diese Trendwende (von der Virtualität zurück zur Realität)<br />
markierte aber sehr wohl den epistemologischen Kontext von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong><br />
<strong>1–x</strong>, wobei im Rahmen des Modellversuchs auch immer wieder die Frage Realismus<br />
versus Konstruktivismus bei Vorträgen diskutiert wurde.<br />
Mittlerweile ist 'nüchterner Realismus' in der Cyber-Welt eingekehrt: Die großen<br />
virtuellen Seifenblasen sind geplatzt, aber die Virtualisierung der Realität geht dennoch<br />
weiter – allerdings nunmehr angereichert um eine Realisierung der Virtualität. Man<br />
bastelt wieder an Business Modellen in der Netz-Ökonomie, Paid-Content für die<br />
Content-Industrie wird diskutiert, und Online-Marketing ist wieder – oder ungebrochen<br />
– ein wichtiges Verkaufstool.<br />
Und die Kunst? Im Kunstsystem ist seit jeher immer schon auch vom Ende der Kunst<br />
die Rede. Das Ende der Netzkunst wurde verkündet, noch bevor sie sich auch nur<br />
ansatzhalber durchgesetzt hat. Die Begriffe flottieren frei: Medienkunst, Netzkunst,
16<br />
Web Art, Cyber Art, virtuelle Kunst, Kunst mit neuen Medien, auch Genetic Art, Bio-<br />
Kunst, Kontext-Kunst u.v.a. Aus heutiger Sicht kann nur festgestellt werden, dass etwa<br />
Festivals wie die "ars electronica" in Linz oder das EMAF in Osnabrück beweisen, dass<br />
die Medienkunst alles andere als 'tot' ist (zumindest quantitativ gesehen). Und auch<br />
qualitativ bezieht sie neue und neueste Technologien mit ein (zuletzt etwa Augmented<br />
Reality, Semantic Web oder Weblogs). Was die Inhalte anbelangt, ist hingegen m.E. ein<br />
nicht unbedenklicher Trend zur verstärkten Techno-Affirmativität abzulesen. Die<br />
Techno-Affirmativität großer Teile der gegenwärtigen Medienkunst steht der Techno-<br />
Skepsis der traditionellen Künste diametral entgegen. Genau in der Mitte zwischen<br />
diesen beiden Polen situiert sich <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong>: Es ging nicht nur um einen<br />
kritischeren, zumindest aber reflektierteren Umgang mit den neuen Medien, sondern<br />
immer auch um einen Abbau der Schwellenängste und Hemmnisse, die ihrer Nutzung<br />
relativ beharrlich entgegenstehen.<br />
1.3 Planung und Ablauf des Vorhabens<br />
Zu Beginn von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> stand nicht nur die Erkenntnis, dass in der<br />
aktuellen Kunstproduktion Hybridisierungs-Tendenzen zunehmen: "Ehemals distinkte<br />
Gattungen verschmelzen zu multi-medialen Hybriden und bilden ganz unterschiedliche<br />
Schnittstellen, Synergien und eine veränderte Ästhetik", schreibt etwa das Wiener<br />
Diskurs-Forum "depot" aktuell zum Auftakt seiner neuen Serie "Crossings. Neue<br />
Kategorien der Kunst" (Programmfolder, Herbst 2004). Diese sog. neuen Kategorien<br />
sind also ganz wesentlich von der Gestalt, dass sie eigentlich keine Kategorien mehr<br />
sind. Viele Künstler sind heute gleichzeitig DJs und Literaten, sie sind parallel Hacker<br />
und Musiker, sie 'tanzen auf mehreren Hochzeiten' bzw. 'spielen auf vielen Klaviaturen'.<br />
Der Hybrid-Künstler könnte in Zukunft zum neuen künstlerischen Prototyp werden: Ein<br />
Künstler wäre dann, wer zumindest zwei verschiedene Medientechnologien beherrscht<br />
(so wie es in früheren Zeiten auffallende Crossings zwischen Kunst und Wissenschaft<br />
gab: gute Musiker waren oft auch gute Mathematiker; Filmemacher besonders an<br />
Biologie interessiert usw.). An der HfBK wird diesem Trend zu einem Gutteil durch die<br />
Fachklasse für übergreifendes künstlerisches Arbeiten Rechnung getragen. Da Hybrid-<br />
Künstler sich oft auch mit neuen oder neuesten Technologien beschäftigen und diese
17<br />
mitunter auch subversiv einzusetzen verstehen, wäre es interessant, 'Hybrid-<br />
Künstlertum' mit Medienausbildung zusammen zu denken. Dies führt zu einem Konzept<br />
der künstlerischen "Grenzgänge" oder des – positiv konnotierten – "Dilettierens", das<br />
nicht nur zu Beginn der Projektklasse Neue Medien, sondern auch am Beginn von<br />
<strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> stand.<br />
Beides war für die HfBK ein Novum, und es war nicht möglich, auf vergangene<br />
Entwicklungen oder Präzedenzfälle zurückzugreifen. Ein Experiment in Form eines<br />
Modellversuchs birgt somit immer auch die Gefahr des Scheiterns. Dennoch ist das<br />
Vorhaben im Großen und Ganzen geglückt, was auch die tabellarische Auflistung aller<br />
Veranstaltungen (d.h. der <strong>Medienhöhle</strong>n, Seminare und Mediensalons) von 2000 bis<br />
2004 im Anhang 1 (Kapitel 4) beweist.<br />
Der Modellversuch <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> wurde von Prof. Lutz Dammbeck<br />
geleitet. Aus den Mitteln des Modellversuchs wurde die Halbtagsstelle (BAT-O IIa)<br />
einer Projektmanagerin finanziert (Harriet Maria Meining), zusätzlich stand dem<br />
Modellversuch der künstlerisch-technische Assistent der Projektklasse, Karsten Heim,<br />
zur Verfügung. Für weitere Aufgaben wurden studentische Hilfskräfte engagiert. Die<br />
eingeladenen Vortragenden und Seminarleiter waren durchwegs deutschlandweit bis<br />
international renommierte Künstler und Dozenten aus ihren jeweiligen Fachbereichen.<br />
Es ist darauf hinzuweisen, dass für einen dreijährigen Modellversuch dieser<br />
Komplexität ein Gesamtbudget von 424.994 DM keine Summe ist, mit der es von<br />
vornherein möglich ist, nachhaltige Strukturen aufzubauen (dieser Gesamtbetrag<br />
ermöglichte etwa auch nur die Finanzierung einer Halbtagskraft aus dem Topf des<br />
Modellversuchs, während Prof. Dammbeck und der künstlerisch-technische Assistent<br />
dem Modellversuch zusätzlich zu ihren eigentlichen dienstvertraglichen Pflichten zur<br />
Verfügung standen).<br />
Der Modellversuch <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> hatte seinen zentralen Nervenknoten im<br />
Raum der Projektklasse Neue Medien, einem adaptierten ehemaligen Maleratelier an<br />
der Brühlschen Terrasse. Von mehreren Mac-Rechnern bis zu einem Tonstudio standen<br />
hier alle notwendigen technischen Devices zur Verfügung.<br />
Die Mediensalons (Auflistung siehe Anhang 1) waren fast durchwegs sehr gut besucht<br />
und stießen auf erfreuliche Resonanz innerhalb und außerhalb der Hochschule. Im<br />
Durchschnitt nahmen pro Veranstaltung 40 bis 50 Besucher teil.
18<br />
Größer war die Fluktuation und die Bandbreite der Teilnehmerzahl bei den Seminaren:<br />
Ein Core-Team von ca. zwölf Studierenden nahm an vielen Seminaren teil, oft<br />
schwankte jedoch die Teilnehmeranzahl innerhalb eines Seminars beträchtlich.<br />
Es erwies sich als Vorteil wie auch als Nachteil, dass die allermeisten Veranstaltungen<br />
im Rahmen von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> offen für alle Studierenden aus dem<br />
Grundstudium waren. Einerseits hatten so beinahe alle die Möglichkeit, sich die neuen<br />
Technologien in Form von zahlreichen, aufeinander aufbauenden Seminaren<br />
anzueignen. Andererseits führte die offene Struktur der Lehrangebote auch zum Typus<br />
des 'Seminar-Flaneurs', der sich seine kritische Distanz zu den Medientechnologien<br />
behielt, weil er/sie kaum einmal bereit war, sich mit der Materie vertieft auseinander zu<br />
setzen.<br />
Im Zuge von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> wurde schon bald die Website<br />
http://www.<strong>projektklasse</strong>.de eingerichtet. 3 Sie bietet bis heute als virtuelles Archiv<br />
einen Überblick über alle Veranstaltungen im Rahmen des Modellversuchs. Mehrere<br />
Studierende präsentieren sich mit einer Auswahl ihrer Arbeiten und mit Lebensläufen.<br />
Zusätzlich finden sich Links zu Webseiten von den ersten Seminaren von <strong>Artlab</strong>:<br />
<strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong>. Verwiesen sei nur auf<br />
http://www.<strong>projektklasse</strong>.de/html/archiv/webdesign/www.neue-mediendresden.de/start/index.html,<br />
die Projektseite zum Seminar "Webdesign" (29. November<br />
2001 bis 16. Februar 2002), einer der Auftakt-Veranstaltungen des Modellversuchs.<br />
Auch zu Peter Dittmers "Affairen mit Apparaten" (18. April bis 25. Juli 2001) gibt es<br />
eine Überblicksseite unter http://www.<strong>projektklasse</strong>.de/html/archiv/dittmer/index.html.<br />
Im Zuge von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> fanden insgesamt vier "<strong>Medienhöhle</strong>n" statt,<br />
die erste 2001 mit dem Computer/Audio/Video/Lärm-Künstler Peter Dittmer 4<br />
(Ausstellung "Die Amme" – ein Projekt, das bis zum heutigen Tag immer weiter<br />
ausdifferenziert wurde, vgl. http://www.dieamme.de – sowie das oben bereits erwähnte<br />
Seminar "Affairen mit Apparaten") und die zweite 2002 ebenfalls in Form einer<br />
Personale mit dem international renommierten Medienkünstler und Filmemacher Harun<br />
Farocki unter dem Titel "Erkennen und Verfolgen". Die medientheoretischen wie -<br />
3<br />
4).<br />
4<br />
Und zwar als Ergebnis des Seminars "Webdesign" im Wintersemester 2001/2002 (siehe Kapitel<br />
Peter Dittmer, geboren 1958, hat ein Jahr Malerei und Grafik an der HfBK Dresden studiert.
19<br />
technologischen Hintergründe der dritten und vierten <strong>Medienhöhle</strong> werden im<br />
Folgenden exemplarisch etwas ausführlicher geschildert:<br />
Im dritten Jahr (2003) fand die dritte <strong>Medienhöhle</strong> in Form einer interdisziplinären<br />
Veranstaltung statt, die sich dem Generalthema "Gibt es eine Kunst jenseits des<br />
Bildes?" widmete. Das "jenseits" im Titel war dabei sowohl zeitlich als auch kategorial<br />
zu verstehen. In seiner zeitlichen Dimension fragte der Titel nach einer Kunst der<br />
Zukunft, die jenseits des klassischen Tafelbildes – und mit ihm verbunden: jenseits der<br />
klassischen Ideen und Ideale von Mimesis und Repräsentation – angesiedelt wäre: Wie<br />
würde diese aussehen, welche Funktion hätte sie, was würde sie (wenn überhaupt)<br />
darstellen? Da jedoch auch die Kunst des Bewegtbilds immer noch eine Bilderkunst ist,<br />
wird die Frage umso prekärer und futuristischer. Wäre eine Kunst nach dem Bild eine<br />
Kunst der sozialen Happenings, der Interventionen, oder gar eine politische Kunst des<br />
gestaltenden Eingriffs in die Gesellschaft? – Zweitens ging es aber auch um die Frage<br />
nach der kategorialen Verschiedenheit von Bild und Text, wie dies das Thema der<br />
linguistic turn- wie auch der pictorial turn-Debatten ist: Gibt es eine kategoriale<br />
Differenz von Sprache und Bild, oder aber ist alles Sprache (etwa die Sichtweise Lacans<br />
oder der non-dualistischen Philosophie Josef Mitterers) oder gar alles Bild<br />
(Vorstellungs- und Lautbilder als Bilder)?<br />
Der besondere Reiz und das durchaus kühne Experiment der Veranstaltung lag vor<br />
allem in der Zusammenarbeit zwischen Medienklasse und einer Fachklasse für Malerei<br />
– und damit in der Konfrontation von aktuellen bildtheoretischen Diskursen aus dem<br />
Bereich der Neuen Medien mit 17 Zeichnungen und Aquarellen von Schülern Ludwig<br />
Richters. Erneut waren damit die Fragen nach dem Verhältnis von 'alten' und 'neuen<br />
Medien', von klassischer Malereitradition und den Möglichkeiten digitaler<br />
Bildkonstruktion virulent. 5 Die thematischen Klammern "Feier des Bildes", "Flucht aus<br />
dem Bild" sowie "Bild – Text" korrespondierten mit den oben dargestellten<br />
Überlegungen. Auch aktuell treffen wir beide Denkbewegungen an: jene der<br />
Bildzentriertheit, des Bilder-Fetischismus wie auch jene der Bilderverweigerung, des<br />
Bildersturms, des Ikonoklasmus, der bekanntlich eine lange Geschichte aufweist.<br />
Wissenschaftlich waren deshalb im Kontext dieser <strong>Medienhöhle</strong> auch Vorträge zum<br />
5<br />
So hieß es auch im Programmheft zur <strong>Medienhöhle</strong> 2003: "Untersucht werden die Grenzlinien<br />
zwischen traditionellen künstlerischen Mitteln und neuen audiovisuellen und digitalen Medien an einer<br />
Kunsthochschule."
20<br />
Themenkontext Bild und Bildersturm sowie zu Realismus und Konstruktivismus in<br />
Kunst und Wissenschaft zu hören.<br />
Im vierten und letzten Jahr (2004) fand die vierte <strong>Medienhöhle</strong> zum resümierenden<br />
Generalthema "Medienausbildung an einer Kunsthochschule" statt. Dabei wurden nicht<br />
nur aus mehreren Seminaren ("Von Muybridge zu Matrix – und zurück" mit Lutz<br />
Garmsen, "Kunst mit Gerätschaften" und "Fotografisches Fundbüro" mit Thomas<br />
Bachler und Christoph Irrgang, "Flash_Kurs" mit Holger Lippmann sowie "Film und<br />
Musik " mit Peter Sempel) künstlerische Ergebnisse vorgeführt, es wurde auch eine<br />
mögliche Fortführung des Modellversuchs <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> beim Namen<br />
genannt. In den wissenschaftlichen Vorträgen ging es noch einmal um das<br />
Spannungsfeld von Kunst und Medien(theorie), ein besonderer Schwerpunkt der<br />
Veranstaltung lag auf dem Netz – sozialhistorisch wie computertechnisch.<br />
1.4 Zusammenarbeit mit anderen Stellen und Projekten<br />
Das Projekt <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> stand nicht nur während seiner gesamten<br />
Laufzeit in Kontakt und Informationsaustausch mit ähnlichen Projekten des KuBiM-<br />
Programms, wie etwa transmedien an der Hochschule für bildende Künste Hamburg<br />
oder auch KIT an der Kunsthochschule für Medien Köln. Speziell im Kontext der<br />
vierten <strong>Medienhöhle</strong> zum Generalthema "Medienausbildung an einer Kunsthochschule"<br />
(2004) wurde versucht, den Horizont explizit zu öffnen und die künstlerischen<br />
Ergebnisse und Erfahrungen anderer Kunsthochschulen in ähnlichen Bereichen zu<br />
diskutieren: Es wurden Filme des Lehr- und Forschungsbereichs Film/digitales Kino der<br />
HfbK Hamburg gezeigt; des weiteren wurden Arbeiten der Trickfilmklasse der<br />
Kunsthochschule für Medien Köln präsentiert. Schließlich wurden die<br />
Forschungsergebnisse des Modellprojekts "Visuelle Kompetenz im Medienzeitalter" der<br />
Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart vorgestellt und diskutiert.<br />
Der Teilnehmerkreis bei zahlreichen Mediensalons und insbesondere bei den<br />
<strong>Medienhöhle</strong>n bestand nicht nur aus Studierenden der HfBK Dresden, es nahmen<br />
überdies auch immer wieder Studierende der TU Dresden, der Hochschule für Musik<br />
"Carl Maria von Weber" Dresden sowie sogar der Hochschule für Grafik und<br />
Buchkunst Leipzig teil.
21<br />
Eine informelle Kooperation fand auch mit dem Cynet Art Festival und dem<br />
Medienreferenten der Stadt Dresden, Dr. Klaus Nikolai, statt. Eine Zusammenarbeit mit<br />
dem Internationalen Filmfest Dresden führte schließlich zur Präsentation von Arbeiten<br />
der Medienklasse im Rahmen des Internationalen Filmfestivals "NewYorkExpo" im<br />
Dezember 2004.<br />
Ein direkt vergleichbarer Modellversuch fand relativ parallel zu <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong><br />
<strong>1–x</strong> an der HfbK Hamburg statt: Während es dort sehr stark um das Aufbrechen des<br />
Antagonismus von Kunst und Medien (mit allen wechselseitig negativ besetzten<br />
Konnotationen) ging, war das Ziel des Dresdner Modellversuchs eine Heranführung der<br />
'alten' an die 'neuen Medien'. Dies ist eine kategorial unterschiedliche Zielsetzung,<br />
wenngleich beide Modellversuche vor der Folie Tradition/Innovation bzw.<br />
Tradition/Aktualität zu lesen sind.<br />
1.5 Darstellung der wesentlichen Ergebnisse<br />
Der Modellversuch <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> verfolgte zwei primäre Ziele: ein formalstrukturelles<br />
und ein inhaltlich-thematisches. Formal-strukturelles Ziel war es, zu<br />
überprüfen, inwieweit ein 'offenes' Curriculum, das sich an alle Studierende einer<br />
Kunsthochschule richtet – und gleichwohl von der Projektklasse Neue Medien ausgeht<br />
– Sinn macht. Inhaltlich-thematisches Ziel war es, zu überprüfen, inwieweit<br />
Studierende, die in den 'klassischen' bzw. 'alten Medien' ausgebildet werden, ein<br />
Interesse daran haben und in der Folge auch davon profitieren könnten, sich<br />
Kompetenzen im Bereich der neuen Medien(technologien) anzueignen. Beide Ziele, das<br />
formale wie das inhaltliche, sind miteinander logisch verknüpft: Die inhaltliche Anfrage<br />
nach dem Dialog von alten und neuen Medien kann nicht ohne ein offenes Curriculum<br />
beantwortet werden – und umgekehrt. Die generelle Frage von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong><br />
<strong>1–x</strong> lautete somit: Welchen Sinn macht eine offene Ausbildung im Bereich neuer<br />
Medientechnologien an einer Kunsthochschule klassischen Typs?<br />
Dabei soll jedoch eine derartige 'Kunsthochschule klassischen Typs' nicht von<br />
vornherein gleich mit tradierten bis überkommenen Konzepten von Künstler-<br />
Ausbildung assoziiert werden. Eine reflexartige Absage an sogenannte 'tradierte'<br />
künstlerische Werte wie Original, Schöpfergeist oder auch 'Werktreue' im Zuge einer
22<br />
postmodernen Huldigung der radikalen Kontingenz von Kunst ist m.E. nicht der Sinn<br />
der Sache. Vielmehr stellte sich ja gerade im Rahmen von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong><br />
die Frage nach einem produktiven (und auch sich wechselseitig irritierenden)<br />
Nebeneinander von alt und neu, von tradiert und avanciert, von klassisch und<br />
(post)modern, von analog und digital, von Künstlerindividuum und Teamarbeit, von<br />
abgeschlossenem Objekt (Produkt) und offenem Prozess, von (Inter-)Passivität und<br />
Interaktivität usw.<br />
Die folgende Darstellung der wesentlichen Ergebnisse von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong><br />
gliedert sich in sechs Unterpunkte: (1) Offenheit (der curricularen Struktur), (2)<br />
Teamorientierung (in den Seminaren), (3) Projektorientierung (in den Seminaren und<br />
Workshops), (4) Konkurrenz bzw. Schnittstelle alte/neue Medien, (5) Konkurrenz bzw.<br />
Schnittstelle Tafelbild/Bewegtbild sowie (6) Offene Zukunftsoptionen.<br />
1.5.1 Offenheit<br />
Die erprobte Offenheit des Curriculums bedeutete, dass jene Seminare und Workshops,<br />
die nicht auf bereits anderen, vorher angebotenen aufbauten, für alle Studierende des<br />
Grundstudiums aus allen Fachklassen offen waren. Nur mit dieser radikalen Offenheit<br />
konnte die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Ausbildung in alten und neuen Medien<br />
empirisch sinnvoll beantwortet werden.<br />
Das Ergebnis dieser Offenheit ist zwiespältig: Einerseits hatte zwar potenziell jeder<br />
Studierende der HfBK im Rahmen von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> die (in einem<br />
gewissen Sinne auch einmalige) Chance, sich relativ umfassende Kompetenzen im<br />
Bereich der neuen Medien – von Schnitt-Technik bis zu Flash-Animation – anzueignen.<br />
Andererseits führte diese 'basisdemokratische' Ausgangssituation zu einer relativ hohen<br />
Fluktuation der SeminarteilnehmerInnen. Mehrmals kam es auch zu einer relativ starken<br />
Abwanderung aus einem Seminar oder Workshop nach der ersten Einheit: entweder,<br />
weil die Erwartungshaltungen der Studierenden andere waren oder auch, weil die<br />
technischen Einstiegs-Voraussetzungen als unbewältigbar erschienen. Der Versuch, die<br />
Studierenden der Projektklasse Neue Medien mit den Studierenden der anderen<br />
Fachklassen zusammen zu führen, ist leider kaum geglückt. So nahmen etwa am ersten
23<br />
Kompaktseminar "Affären mit Apparaten" von Peter Dittmer nur zwei Studierende der<br />
Projektklasse teil.<br />
Dennoch ist das Experiment, mit <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> ein offenes Curriculum zu<br />
erproben, als wertvoll und wichtig einzuschätzen: Immerhin versuchen so gut wie alle<br />
Hochschulen derzeit, Alternativen zum rigiden – und gerade in Anbetracht der neuen<br />
integrativen Multi-Medien wohl auch partiell überkommenen – Meisterklassen-Modell<br />
zu testen (siehe etwa die Rijks Akademie Amsterdam). Summer Academies oder Artistsin-Residence-Modelle<br />
sind derzeit bei allen Versuchsanordnungen hoch im Kurs. Lehre<br />
und Lernen findet zunehmend in Kleingruppen, projekt- und teamorientiert sowie mit<br />
zeitlicher Befristung statt – aber innerhalb dieses zeitlichen Rahmens tendenziell frei<br />
und unverschult. Der konkrete Wert dieser Versuchsserien für eine Weiterentwicklung<br />
der Kunst lässt sich beim derzeitigen Stand der Dinge noch schwer einschätzen.<br />
Möglich erscheint es aber auch durchaus, dass nach einem Experimentieren mit offenen,<br />
flexiblen Strukturen wieder eine Rückkehr zu einem tendenziellen Meisterklassen-<br />
System (Stichworte: 'Guru-Modell', 'Lernen von den Besten') zu beobachten sein wird.<br />
Wie oben bereits erwähnt, soll nicht im Zuge einer A-Priori-Geringschätzung<br />
gewachsener Strukturen alles Tradierte reflexartig abgelehnt werden: der Original- und<br />
Werks-Begriff in der Kunst oder die Künstlerpersönlichkeit als Genie ebenso wie das<br />
Meisterklassen-System. Die Antwort kann so far wohl nur sein, dass unterschiedliche<br />
Modelle situativ in unterschiedlichen Kontexten zu präferieren sein werden.<br />
Im Kapitel "Problembeschreibung und Innovationsbedarf" heißt es im Pazzini-<br />
Gutachten unter der Überschrift "Überschreitung der institutionellen Grenzen":<br />
"Die neuen Medien lassen sich oft nicht in den Grenzen herkömmlicher Institutionen<br />
sinnvoll nutzen (z.B. Vernetzung), sie stellen andere Anforderungen an die<br />
Konstruktionen curricularer Abfolgen, sie stellen neue Anforderungen in bezug auf<br />
Arbeitsorganisation und Hierarchie in den Institutionen." (PAZZINI 1999, 21)<br />
Und weiter:<br />
"Angesichts der hohen Anforderungen an eine gleichermaßen didaktische, ästhetische<br />
und technologische Kompetenz lohnt daher z.B. die wissenschaftlich begleitete
24<br />
Erforschung der Konsequenzen für die überkommenen institutionellen Grenzen bei der<br />
intensiven Nutzung der neuen medialen Möglichkeiten und Institutionen übergreifenden<br />
Experimente." (Ebenda)<br />
Ein derartiges Institutionen übergreifendes didaktisch-technologisches Experiment war<br />
auch <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong>. Und damit ist schon die Frage nach der adäquaten<br />
Wissensvermittlung, nach einer Didaktik im Bereich der neuen Medientechnologien<br />
und schließlich nach der Vermittlung von 'Neue-Medien-Kompetenz' angesprochen.<br />
Diese sollte, wie <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> gezeigt hat, auf zumindest zwei<br />
Standbeinen fußen: Teamorientierung und Projektorientierung.<br />
1.5.2 Teamorientierung<br />
Die tendenzielle Ablösung der sich als autonom und schöpferisch tätig begreifenden<br />
Künstler-Persönlichkeit durch eine anti-individualistische, kontext- und soziokulturell<br />
orientierte Sichtweise ist ein wichtiger Topos in der gegenwärtigen Kunsttheorie (etwa<br />
WEIBEL 1996, KRIEGER 1997, FEUERSTEIN 1997 und WEBER 1999). Wie Kunst<br />
im Netzwerk von Kunstkritik, Institutionen der Kunst (wie Galerien oder Museen),<br />
Beobachtern zweiter Ordnung (wie Kunstkritikern oder Kuratoren), Institutionen der<br />
Kunstausbildung (wie Akademien oder Hochschulen) u.a. Kontextfaktoren entsteht, ist<br />
Gegenstand der genannten und zahlreicher anderer gegenwärtiger Monographien und<br />
Sammelbände. Der kleinste gemeinsame Nenner dieser Publikationen ist es, dass der<br />
Künstler selbst lediglich als Restgröße in einem relativ kontingenten Spiel zahlreicher<br />
Umwelt-Faktoren gesehen wird. Die ontologisch-realistische Frage, was Kunst ist, hat<br />
sich längst in die epistemologisch-konstruktivistische Frage gewandelt, wer oder was<br />
Kunst als Kunst konstruiert. Antworten können mit Pierre Bourdieu (Kunst als Feld)<br />
oder Niklas Luhmann (Kunst als Funktionssystem) gegeben werden, aber auch mit<br />
vielen anderen: Es kursieren Vorstellungen von Kunst als Kommunikationssystem (D. J.<br />
Krieger), von Kunst als Sprachspiel (so W. Zinggl in Anwendung des Begriffs von<br />
Wittgenstein) u.v.a. 6<br />
6<br />
Dazu kommen die bekannten Debatten rund um den "Tod des Autors" (Roland Barthes) und die<br />
Dekonstruktions-Versuche des Original-Begriffs, deren deutliche Spuren sich schon in der Kunst der<br />
sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts finden lassen (vgl. METZGER 1995).
25<br />
Die Kunstausbildung reagiert auf diese und ähnliche Überlegungen wiederum rekursiv<br />
mit einer Abkehr von einer individuenzentrierten Didaktik. Kunstproduktion im<br />
seminaristischen Lehrkontext ereignet sich zunehmend in Kleingruppen, d.h. im Team.<br />
Als nicht unbedeutendes Ergebnis von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> mag festgehalten<br />
werden, dass Teamorientierung gerade im Bereich der neuen Medien unerlässlich ist,<br />
weil sich die technologische Komplexität der Apparaturen und Programme kaum noch<br />
von einem einzigen Generalisten bewältigen lässt. 7<br />
Dabei ist der technologisch-apparative 'Zwang', im Team zu arbeiten oder auch mit<br />
'Nur-Technikern' zu kooperieren, freilich zu unterscheiden von einem Willen zum<br />
Kollektiv, um die Vorstellung von einem kreativ-autonomen Künstler-Genius<br />
intentional zu dekonstruieren: Gegenwärtige Debatten um die Dekonstruktion von<br />
Autorschaft in der Kunst (Stichworte: Appropriation, Sampling und Plunder Culture,<br />
vgl. aktuell BIDNER/FEUERSTEIN 2004) haben nicht unbedingt etwas mit dem<br />
Teamwork im Kontext der neuen Medien zu tun (und führen auch etwa in den<br />
Wissenschaften – dies sei nur am Rande angemerkt – zu eher bedenklichen Praxen,<br />
Stichworte Plagiarismus, Copy/Paste-Texte usw.).<br />
In der Mehrzahl der Seminare von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> wurde jedenfalls diese<br />
Teamorientierung sehr real gelebt – insbesondere etwa bei "Affären mit Apparaten"<br />
oder "Kunst mit Gerätschaften". Stellvertretend für zahlreiche Ergebnisse dieser<br />
Teamorientierung sei auf die Subprojekte des Kompakt-Seminars "Affären mit<br />
Apparaten" von Peter Dittmer verwiesen:<br />
Nach Neigung, Vorwissen und persönlichem Bezug bildeten sich im Verlauf der<br />
Veranstaltung innerhalb kürzester Zeit Kleingruppen von jeweils zwei bis drei Leuten,<br />
die gemeinsam an jeweiligen Modulprojekten (sog. "Projektobjekten") arbeiteten:<br />
• "Madonna HTTP", ein im Sprach- und Bildreservoir des Internet sowohl<br />
sammelndes als auch ordnendes und manipulierendes Instrument.<br />
7<br />
Dies zeigt sich gerade in der Netz- und Webkunst, bei der Kunstprojekte fast ausschließlich von<br />
einem Team an Webdesignern, Programmierern, Streaming-Experten, Content-Managern etc. entstehen<br />
und nicht mehr von einer einzigen, originären Person (vgl. auch die geschilderten Projekte und<br />
Erfahrungen in STATION ROSE 2000 oder FASSLER/HENTSCHLÄGER/WIENER 2003). Zur<br />
Teamorientierung gesellt sich zunehmend oft auch noch eine real-geographische Disloziertheit des<br />
Teams: Eine künstlerische Webkunst-Gruppe kann theoretisch über die ganze Welt verstreut sein.
26<br />
• "Fitness", ein geschlossener rechnerinterner Ansatz, der mit der durch<br />
Darstellungsarbeit erzeugten Temperatur im Rechner wiederum auf eben diese<br />
Darstellung rückwirkt.<br />
• "Gemütsschachtel", ein im allerersten Stadium sehr romantisches, auf medial<br />
vermittelte und manipulierte Interaktion zwischen Publikumsgruppen zielendes<br />
Konzept, das den Computer wieder auf seinen Schaltercharakter zurückführt.<br />
• Und als gemeinsamer, rein konzeptioneller Ansatz: "Shared Personality", eine<br />
Konstruktion von Mischpersönlichkeiten, die nur auf der Basis von<br />
stellvertretender, also quasi-wirklicher persönlicher Präsenz aufbaut und<br />
gleichzeitig bis dahin die Dynamik der Workshopgruppe am adäquatesten<br />
aufzunehmen schien.<br />
Diese vier Beispiele für kontextgesteuerte, kybernetisch-rekursive Rechner-Kunst<br />
zeigen, dass im Rahmen von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> die Frage des "Kunst-Machens"<br />
(RÖTZER/ROGENHOFER 1991) zu einer Frage der Teamorientierung wie auch der<br />
Teamfähigkeit wurde. Der Künstler, der mit den neuen Medien arbeitet, ist somit im<br />
Regelfall kein egomanischer Autist mehr, sondern ein im sozialen Kontext arbeitender<br />
und teamorientiert denkender Mensch.<br />
Hinzuweisen ist schließlich in diesem Zusammenhang noch darauf, dass auch die<br />
Website http://www.<strong>projektklasse</strong>.de/, erstellt im Rahmen des Seminars "Webdesign",<br />
zunächst auf Teamwork fußte.<br />
1.5.3 Projektorientierung<br />
Analog zum oben genannten Topos vom 'Verschwinden' des autonomen, schöpferischen<br />
Künstler-Genius in einem soziokulturellen Netzwerk oder zumindest in einem Akteure-<br />
Netzwerk wird im Rahmen aktueller Kunsttheorie-Debatten auch eine zweite<br />
Verschiebung immer wieder zentral diskutiert: die Überlagerung des (statischen,<br />
invarianten) Objekts (Produkts) durch den (dynamischen, variablen) Prozess. Prozessund<br />
Projektorientierung, d.h. die Arbeit an einer konkreten Fragestellung und auf ein<br />
konkretes Ziel hin orientiert, war eines der Haupt-Charakteristika von <strong>Artlab</strong>:<br />
<strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong>. Lediglich technologische Einführungsseminare haben sich (noch)<br />
nicht einem spezifischen (Kunst-)Projekt gewidmet, sondern es stand eine breite
27<br />
Einführung im Vordergrund. Die übrigen Seminare – etwa insbesondere auch "Das<br />
fotografische Fundbüro" oder " Light@Time" – gingen von einer sehr spezifischen<br />
Fragestellung, von einem Forschungsinteresse aus, das es im Rahmen des Seminars zu<br />
beantworten bzw. zu erkunden galt. Im Idealfall standen am Ende eines Seminars oder<br />
Workshops künstlerische Objekte als Ergebnis dieses Prozesses.<br />
Projekt- und Objektorientierung konstituieren gerade keinen Widerspruch (siehe auch<br />
Peter Dittmer). Oft wird der aktuellen (Medien-)Kunst eine zu starke Akzentuierung des<br />
Prozessualen vorgeworfen (kaum eine medienkünstlerische Performance, die sich nicht<br />
"work-in-progress" nennt). Dabei wird zweierlei vergessen: Zum einen ist daran zu<br />
erinnern, dass auch in anderen Funktionssystemen – wie etwa in der Wissenschaft – das<br />
Objekt/Produkt (etwa in Form einer Publikation, eines Buches) fast ausschließlich das<br />
Ergebnis eines vorher laufenden Projekts/Prozesses ist/war (etwa eines empirischen<br />
Forschungsprojekts oder einer Recherche-/Erhebungsphase). Nicht viel anders verfährt<br />
die Kunst, wie die Seminare "Affären mit Apparaten" oder "Das fotografische<br />
Fundbüro" eindrucksvoll demonstrierten. Zum anderen sollte nicht vergessen werden,<br />
dass tatsächlich zahlreiche Medienkunst-Werke a priori "works-in-progress" sind, weil<br />
ihre interaktive Dimension das Kunstwerk selbst durch jeden Kontakt mit dem<br />
Publikum ändert. Sobald das Medienkunst-Objekt selbst nicht statisch, sondern<br />
dynamisch ist (und vielleicht, wie in der Netz- und Webkunst, nicht lokal, sondern<br />
sogar noch disloziert), ist die Rede von einem work-in-progress grundsätzlich wohl<br />
berechtigt.<br />
Eine derartige Kunst verfolgt dann in der Regel auch nicht das Ziel der invarianten<br />
Wahrheit, sondern das der permanenten Veränderung, des Wandels. Mehrere<br />
Kunstwerke, die Resultate von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> sind, illustrieren dieses<br />
Kunst-Verständnis, wie auf der zu erstellenden DVD-Dokumentation wohl noch<br />
ersichtlich sein wird.<br />
1.5.4 Konkurrenz alte/neue Medien<br />
Im Pazzini-Gutachten heißt es unter der Überschrift "Analyse älterer mittels neuer<br />
Medien":
28<br />
"Besonders reizvoll erscheint auch das Problem der Rekonstruktion und Erschließung<br />
des Gebrauchs alter Medien mit den Möglichkeiten der neuen Medien. Oft lassen sich<br />
beispielsweise die Gesetzmäßigkeiten des Films mit den neuen Medien besser<br />
analysieren als mit den herkömmlichen." (PAZZINI 1999, 21)<br />
Auch diese Frage stand im Zentrum von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong>, insbesondere auch<br />
der theoretischen Debatten im Kontext der <strong>Medienhöhle</strong>n: Inwieweit führen die<br />
modernen digitalen Text/Bild-Technologien dazu, dass auch die 'älteren' Medien in<br />
einem anderen Licht gesehen werden? Diese Frage lässt sich dahingehend beantworten,<br />
dass es vor allem die neuen digitalen Medientechnologien sind, die den<br />
konstruktivistischen Aspekt medialer Bild- und Textproduktion hervorheben. Bei<br />
diesem Argument ist jedoch immer fein zwischen einem 'Immer-Schon' der<br />
Konstruiertheit durch Medialität und einer zunehmenden Konstruiertheit – gleichsam<br />
einem empirischen Trend – durch die neuen Medien zu unterscheiden.<br />
Den älteren Medien – wie Fotografie oder Film – wird tendenziell die Fähigkeit<br />
zugeschrieben, die Wirklichkeit zumindest unter den Bedingungen ihrer jeweiligen<br />
Medialität darstellen, repräsentieren zu können. Die neuen Medien stellen einerseits<br />
eine Verfeinerung dieses Repräsentations-Ideals dar (man denke nur an farbechte oder<br />
hochauflösende Bilder am PC oder bei HDTV), andererseits ermöglichen sie aber auch<br />
alle Arten und Weisen der Bild-Manipulation: Dem konstruktivistischen Aspekt ist<br />
prinzipiell Tür und Tor geöffnet (siehe etwa Photoshop). Im Zuge einer<br />
kontextorientierten, integrierten Medienausbildung und in Fortführung der<br />
Ausgangsidee von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> wäre eine Medienausbildung im Bereich<br />
der neuen Medien letztlich nicht ohne Epistemologie denkbar (wie auch in einigen<br />
<strong>Medienhöhle</strong>n-Vorträgen zu Konstruktivismus und Kybernetik erprobt). Das<br />
Realismus/Konstruktivismus-Problem in epistemologisch-philosophischer Hinsicht und<br />
die Frage nach der Nutzung alter/neuer Medien im Kunstkontext scheinen relativ<br />
untrennbar miteinander verknüpft zu sein:
29<br />
Tab. 1:<br />
Kopplung Realismus/Konstruktivismus<br />
mit alten/neuen Medien<br />
'Alte Medien':<br />
Zeichnung, Malerei,<br />
Fotografie (?), Film (?)<br />
Abbildung der Wirklichkeit<br />
Repräsentations-Modell<br />
Fremd-/Weltbezug<br />
Wahrheits-Orientierung<br />
MIMETISCHES Begriffsfeld<br />
Natur – Individuum – Original<br />
'Neue Medien':<br />
Fotografie (?), Film (?),<br />
Fernsehen, Computer, Netz<br />
Konstruktion der Wirklichkeit<br />
Generierungs/Herstellungs-Modell<br />
Autopoiesis<br />
Viabilitäts-Orientierung, Änderung<br />
POIETISCHES Begriffsfeld<br />
Kultur – Kontext – Kopie<br />
(Eigene Systematik S.W.)<br />
Dabei ist es nicht nur in obiger Aufstellung fraglich, ob die Medien Fotografie und Film<br />
nun zu den alten oder zu den neuen Medien gehören. Ihr apparativer Aspekt und die<br />
Möglichkeit zur technischen Reproduktion lassen beide eher als 'neue Medien'<br />
erscheinen. Wenn man hingegen die neuen Medien nur als digitale Medien versteht,<br />
dann wäre auch das Fernsehen, das derzeit noch analog betrieben wird, ein altes<br />
Medium (diese wenigen Gedanken zeigen erneut das Problem einer adäquaten<br />
Grenzziehung von alten und neuen Medien auf – im medientheoretischen Essay wird<br />
später dargelegt, dass eine strikte Grenzziehung empirisch unmöglich ist). 8<br />
Wie ändert sich aber nun das Wirklichkeits-Verständnis und damit das Verständnis von<br />
der Funktion der Kunst durch den Einsatz der neuen (jetzt primär: digitalen)<br />
Medientechnologien? Diese Frage wäre wissenschaftlich nur durch eine empirische<br />
Befragung der Studierenden von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> zu beantworten. Es ist an<br />
dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass das Angebot einer E-Mail-Befragung durch die<br />
Studierenden jedoch nicht angenommen wurde (bis auf eine Ausnahme, siehe Anhang<br />
3). Möglich wäre es, dies auch noch einmal mit Hilfe eines alternativen Kanals, etwa in<br />
8<br />
Über die logische Paradoxie (bzw. eigentlich Unmöglichkeit) eines radikal Neuen im Kunst-<br />
Kontext vgl. auch PERES 1997, 22 f. sowie LUHMANN 1995b.
30<br />
Form von Face-to-Face-Interviews oder als schriftliche Befragung im Rahmen eines<br />
Seminars, zu versuchen.<br />
Ziel von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> war es jedenfalls, etwaige Vorurteile und Barrieren<br />
auf Seiten der Vertreter und Anwender alter Medien und auf Seiten der Vertreter und<br />
Anwender neuer Medien abzubauen. Ein klassisches Vorurteil der Anwender alter<br />
Medien gegenüber den Anwendern neuer Medien ist es, dass diese keine genialen<br />
Künstler, sondern eben bloß Techniker, Bastler, Tüftler oder Ingenieure seien. Ein<br />
klassisches Vorurteil der Anwender neuer Medien gegenüber den Anwendern alter<br />
Medien ist es, dass diese anachronistische Kunst betreiben würden und sich mit den<br />
neuen Technologien lediglich nicht auskennen würden (ansonsten würden sie sie wohl<br />
auch einsetzen). Ziel von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> war es, diese beiden Vorurteile<br />
abzubauen zugunsten eines möglichen neuen, dialogischen und pro-aktiven<br />
Miteinanders.<br />
1.5.5 Konkurrenz Tafelbild/Bewegtbild<br />
Die Konkurrenz von alten und neuen Medien kann auch als Konkurrenz zwischen<br />
statischem Tafelbild und bewegten Bildern gelesen werden. Erneut sollte jedoch<br />
vermieden werden, einen zu starken Dualismus, d.h. eine Dichotomie oder gar eine<br />
Polarität zu sehen (immerhin besteht etwa auch jeder Film aus statischen Einzelbildern).<br />
Dennoch gab und gibt es theoretische Ansätze, die zwischen den klassischen<br />
Tafelbildern und den neuen bewegten Medienbildern gar eine Art 'Klassenkampf' um<br />
den rechten Kunst-Begriff heraufbeschwören wollen. Zu diesen gehört etwa Peter<br />
Weibels dennoch lesenswerte Theorie von der Beschleunigung der Bilder (WEIBEL<br />
1987). Darin schreibt er:<br />
"Der kulturelle Kampf um die Beschleunigung geht aber weiter. Während die<br />
Chronokraten in der Oper sitzen und Gemälde besitzen, weil sie eingestandenermaßen<br />
die Ästhetik der Ruhe, des Statischen, des Stabilen, die 'zeitlose' Kunst bevorzugen,<br />
erfreuen sich die Zeitknechte der bewegten Bilder. Malerei ist zur Salon- und Hofkultur<br />
der Zeitaristokraten geworden [...]." (WEIBEL 1987, 152)
31<br />
Und an anderer Stelle:<br />
"Die konservativen Zeitinseln namens Museen rücken in der Chronokratie<br />
logischerweise in das Zentrum der Kultur. Diese Museen sind klarerweise auch<br />
ausschließlich dem Tafelbild und der Skulptur gewidmet und haben keinen Platz für die<br />
bewegten Bilder, die Maschinen-, Wahrnehmungs- und Medienkunst, also für alle<br />
Formen fortschrittlicher Zeitkunst." (Ebenda, 155 f.) 9<br />
Derartige kulturkämpferische Töne würde man heute kaum noch explizit hören oder<br />
lesen. Eher wird der Grabenkampf zwischen klassischer Kunst und neuer Medienkunst<br />
im Stillen ausgetragen. Wenn es <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> gelungen ist, dass hier<br />
einige der wichtigen Debatten entlang dieser Trennlinien offen und manifest an einer<br />
Kunsthochschule geführt werden, dann hat das Projekt bereits einen Gutteil seines<br />
Zwecks erreicht. Eine endgültige 'versöhnliche' Antwort oder gar eine vollständige<br />
Aufnahme der Medienkunst in den Kanon klassischer Kunstformen kann hier freilich<br />
nicht proklamiert werden bzw. ist nicht in Sicht.<br />
Viel zu dynamisch entwickeln sich gegenwärtig die neuen Medientechnologien, als dass<br />
ein endgültiges Urteil möglich wäre: Viele Kunstwerke aus der Medienkunst lesen sich<br />
in der Retrospektive lediglich wie ein Zur-Schau-Stellen des zu einem jeweiligen<br />
Zeitpunkt technisch Möglichen und Machbaren. Viele technische Träger, Plattformen<br />
oder auch Software-Programme sind längst überholt oder vom Markt. Gegenwärtige<br />
Medienkunst beginnt sogar bereits, sich einer Kulturgeschichte der Digitalisierung zu<br />
widmen und frühe Personal Computers oder erste Software nostalgisch zu reinterpretieren.<br />
Alles ist im Fluss: Webkunst-Seiten verschwinden von Servern, werden<br />
geschlossen oder werden durch neue Tools oder Programm-Verbesserungen rasend<br />
schnell veraltet und flugs kaum noch besucht.<br />
Es ist eine der zentralen Fragen von Medienkunst(theorie), wie mit dieser Dynamik und<br />
Rasanz der Entwicklung umzugehen ist. Im Rahmen von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong><br />
konnten hier keine klaren Antworten gefunden werden (außer jener, dass ein Offline-<br />
9<br />
Peter Weibel schrieb diesen Text freilich rund zehn Jahre vor der Gründung des "Museums of<br />
the Future" durch die Linzer "ars electronica", eines Museums, das sich sehr wohl der neuen Medienkunst<br />
widmet (mit Schwerpunkten auf Interaktivität, Installationen und VR-Technologien).
32<br />
Produkt/eine DVD immer noch das derzeit beste Mittel zur Archivierung und<br />
Dokumentation darstellt).<br />
Die Frage nach Tafelbild versus Bewegtbild kann man auch dahingehend auflösen, als<br />
beide Oppositionsglieder von einem Bildbegriff ausgehen. Hiermit stellt sich aber noch<br />
nicht die Frage, die in <strong>Medienhöhle</strong> 3 gestellt wurde: nämlich jene nach einer Kunst<br />
jenseits des Bildes. Eine Kunst jenseits des Tafelbildes wie des bewegten Bildes wäre<br />
etwa eine reine Text- oder auch eine reine Datenkunst. 10<br />
Die Frage nach der Relationierung von Bild und Text, von Vorstellungsbild und<br />
Sprache betrifft letztlich nicht nur die Medienkünstler und Kunstwissenschaftler,<br />
sondern auch und vor allem Philosophen und Erkenntnistheoretiker, Bildwissenschaftler<br />
und Sprachwissenschaftler. Ein inter- und transdisziplinärer Polylog über diese Themen<br />
wäre auch ein möglicher Fluchtpunkt und eine mögliche Fortsetzung von <strong>Artlab</strong>:<br />
<strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong>. Diese Überlegung führt zu den derzeit noch offenen Zukunfts-<br />
Perspektiven.<br />
1.5.6 Offene Zukunftsoptionen<br />
Der Modellversuch hat nicht ganz ohne Hintergrund ein 'x' am Schluss seines Titels<br />
stehen: <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong>. Mit dem Auslaufen des Modellversuchs halten wir<br />
bei <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> 1–4. Das 'x' steht dabei nicht nur für die Offenheit der weiteren<br />
Medien-Evolution und für die Einsicht, dass die neuen Medien im Zuge der weiteren<br />
Konvergenz der Technologien und Plattformen und der weiter fortschreitenden<br />
Divergenz bzw. Segmentierung der Inhalte einen noch wichtigeren Stellenwert im<br />
Alltag wie in der Gesellschaft – und damit wohl auch in der Kunst – einnehmen werden.<br />
Das 'x' steht auch als Plädoyer für eine Nachhaltigkeit über den dreijährigen<br />
Modellversuch hinaus: Sollte <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> mehr als bloß 'ein Tropfen auf<br />
den heißen Stein' gewesen sein, dann stellt sich die drängende Frage, wie es denn mit<br />
den neuen Medien an der HfBK Dresden weitergehen soll. Soll die Projektklasse Neue<br />
Medien ein relativ hermetisches Dasein, abgekoppelt von den 'klassischen Künsten'<br />
10<br />
Wobei auch hier wieder, dies sei nur am Rande vermerkt, begriffliche Probleme auftauchen: Der<br />
erweiterte semiotische Textbegriff, der 'Texte' als strukturierte Zeichenmengen versteht, begreift dann<br />
etwa auch Bilder als Texte. Jede kulturell interpretierte Information wird somit zum Text, der encodiert<br />
und decodiert werden kann. Dieser Text-Begriff findet auch in den Cultural Studies breite Anwendung.
33<br />
führen, oder soll es auch weiterhin fruchtbare Dialoge und Reibungen zwischen Neuen<br />
Medien hier und Malerei/Bildhauerei dort geben? Soll eine Medienausbildung in das<br />
Grundstudium für alle Studierenden aufgenommen werden? Dies ist die eine Frage.<br />
Die andere offene Frage ist die nach der adäquaten Dokumentation von <strong>Artlab</strong>:<br />
<strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong>. Mit diesem <strong>Abschlussbericht</strong> inkl. des medientheoretischen Essays<br />
zu Medien/Kunst wurde der erste Schritt in diese Richtung getan. Zweitens ist es aber<br />
auch unbedingt notwendig, das Archiv zu den <strong>Medienhöhle</strong>n 1-4 von <strong>Artlab</strong>:<br />
<strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> sowie ausgewählte Arbeiten von Studierenden aus den Seminaren<br />
und Workshops idealer Weise auf einer DVD darzustellen, die wohl das derzeit<br />
geeignetste Medium für eine derartige Dokumentation darstellt. Texte zur Medienkunst<br />
sowie von wissenschaftlichen Vorträgen aus den <strong>Medienhöhle</strong>n 1-4 könnten eventuell<br />
als begleitendes Buch oder Heft zur DVD publiziert werden. Wichtig erscheint bei<br />
diesen Überlegungen, dass Print-Beiträge weiterhin in Buchform erscheinen und<br />
Bewegtbild- bzw. Web-Beiträge sich auf der DVD finden sollen. Eine solche<br />
Dokumentation wäre unerlässlich. Leider reichte der Projektzeitraum für die Erstellung<br />
einer derartigen Dokumentation nicht mehr aus, weshalb es dringend erforderlich wäre,<br />
hier mit Restmitteln aus dem Modellversuch eine Verlängerung für zumindest diese<br />
noch ausstehenden Arbeiten anzustreben.<br />
Nunmehr aber zur ersten Frage, zur Frage nach der Nachhaltigkeit von <strong>Artlab</strong>:<br />
<strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> an der HfBK, d.h. noch einmal zur Frage nach der curricularen<br />
Platzierung der im Rahmen von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> erprobten<br />
Medienausbildung: Hier wäre zu fordern, dass bereits im Grundstudium Grundlagen des<br />
medialen Gestaltens vermittelt werden, auf die dann später im Fachklassenstudium<br />
aufgebaut werden kann. Dafür wäre es notwendig, eine offene "Medienwerkstatt<br />
Grundstudium" einzurichten (provisorische Bezeichnung). Einführungsseminare sind in<br />
diesem Zusammenhang wohl von besonderer Bedeutung.<br />
Für die Fortführung der Projektklasse Neue Medien an der HfBK ergibt sich die<br />
Notwendigkeit einer Schwerpunkt- bzw. Profilbildung, die zur Sicherung des<br />
Hochschulstandortes und zum Erreichen (bzw. Bewahren) eines USPs in der<br />
Ausbildung mittel- bis langfristig unerlässlich ist (siehe vorne). Insofern kann die<br />
Akzeptanz von Seminaren und Workshops aus dem Modellversuch <strong>Artlab</strong>:<br />
<strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> durch die Studierenden als wertvoller Gradmesser für eine mögliche
34<br />
zukünftige Schwerpunktbildung dienen: Es zeichnet(e) sich ab, dass sich ein derartiger<br />
neuer Schwerpunkt im Bereich Animationsfilm/experimenteller Trickfilm ergeben<br />
könnte. Das Profil der Medienklasse könnte sich also in die Richtung 'animiertes<br />
Bewegtbild' entwickeln. Eine derartige Schwerpunkt- bzw. Profilbildung bedarf freilich<br />
der hochschulinternen Diskussion, die nunmehr – nach dem Modellversuch – allerdings<br />
schleunigst beginnen sollte. Dabei wäre von folgenden Parametern auszugehen: Mit<br />
dem Leiter der Projektklasse Neue Medien, Prof. Lutz Dammbeck, verfügt die Klasse<br />
über einen international bekannten und arrivierten Filmemacher und Medienkünstler.<br />
Insofern passt die mögliche Schwerpunktbildung zur Biographie des Klassen-Leiters.<br />
Zum anderen wäre durchaus auch an eine Tradition des Standortes Dresden selbst<br />
anzuschließen: Immerhin war Dresden bis 1989 ein europaweit gefragter Standort für<br />
den Animationsfilm. Mit dem Defa-Studio für Trickfilme befand sich in der Stadt eines<br />
der größten Studios für Animationsfilme in Europa. Es wäre zu prüfen, inwieweit diese<br />
Profilbildung auch von heutiger kommunalpolitischer Seite bzw. aus heutiger<br />
entwicklungsplanerischer Sicht als sinnvoll angesehen wird und erwünscht wäre.<br />
Freilich wäre auch an andere Profilbildungen zu denken, die mit dem Bewegtbild zu tun<br />
haben: So etwa 3D-Animation im Web mittels Flash-Technologien oder<br />
digitaler/virtueller Film bzw. virtual beings im Film. Solche Fluchtpunkte sind freilich<br />
mit den entsprechenden technischen Grundausstattungen verknüpft. Sie können im<br />
Rahmen dieses <strong>Abschlussbericht</strong>s nur kursorisch angerissen werden und bedürfen<br />
weiterer Diskussionen hochschulinterner wie kommunalpolitischer Art.<br />
Schließlich ist auch an die Kopplung von Neuer-Medien-Kunst und Medientheorie<br />
unter der Leitfrage des Bild-Begriffs bzw. der Text/Bild-Relation zu erinnern, wobei<br />
sich hier aktuell mehrere Partner anbieten würden, die derzeit und in der nahen Zukunft<br />
im bildwissenschaftlichen Kontext forschen und lehren.
35<br />
2. Der Beitrag von "<strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong>"<br />
zu den Zielen des KuBiM-Programms<br />
2.1 Zuordnung der Aktivitäten zu den Zielen von KuBiM<br />
"Ziel des Programms ist die Entwicklung und Erprobung innovativer Modelle für den<br />
kreativen und kompetenten Umgang mit den neuen Medientechnologien in der<br />
kulturellen Bildung/Ausbildung und die Förderung der ästhetischen Erfahrung durch<br />
Schulung der Sinne und Arbeit in interdisziplinären und medialen Projekten."<br />
(http://www.kubim.de/home/programm.html)<br />
Es sind also zwei primäre KuBiM-Ziele auseinander zu halten: 1) Innovative Lehr/Lern-<br />
Modelle für den kreativen Umgang mit den neuen Medientechnologien und 2) eine<br />
Schulung der Sinne, ein Stimulieren der ästhetischen Erfahrung(en), wobei Punkt 2)<br />
eine Konsequenz von Punkt 1) sein kann. Im Rahmen von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong><br />
war Ziel 1) vorrangig. Dabei ging es aber nicht um die Erprobung neuer Lehr/Lern-<br />
Modelle mit Hilfe der neuen Technologien (wie etwa E-Learning), auch nicht um<br />
Lehr/Lern-Modelle an der Schnittstelle von Realität und Virtualität, von Face-to-Face-<br />
Situation und Medienprodukt (wie etwa im Blended Learning), sondern um ein<br />
curriculares Ausbildungsmodell für eine Medien(technik)ausbildung an einer<br />
Kunsthochschule, das durch folgende Charakteristika gekennzeichnet war:<br />
• Curriculare Offenheit und Adressierung an alle Fachklassen<br />
• Teamorientierung statt Fokus auf singulären Künstlerpersönlichkeiten<br />
• Projektorientierung statt von der Praxis abgekoppelte Theorie-/Technik-Module<br />
• Dialog alte/neue Medien<br />
• Dialog Tafelbild/Bewegtbild<br />
Diese einzelnen Punkte wurden in den Abschnitten 1.5.1 bis 1.5.5 bereits ausführlich<br />
beschrieben.<br />
Mit dem KuBiM-Ziel 1) vereinbar ist somit auch die Produktion einer<br />
Abschlussdokumentation auf DVD, die auch Lern-Tools für Kunst-Studierende (etwa<br />
im Bereich Webgestaltung, Flash-Design etc.) enthalten sollte.
36<br />
Als weiterer KuBiM-Schwerpunkt ist die "Entwicklung neuer Studienbausteine/-<br />
angebote im Bereich künstlerischer Arbeit mit und an den Medien" genannt<br />
(http://www.kubim.de/home/programm.html). Dieses neue Kompakt-Angebot hat<br />
<strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> mit den Seminaren und Workshops, die unter Abschnitt 4.2<br />
aufgelistet sind, vorgelegt. Dabei erschien es wichtig, auf renommierte Dozenten und<br />
ausgewiesene Experten ihres jeweiligen Fachbereichs zurückzugreifen.<br />
Die Sinnhaftigkeit und besondere Relevanz, den Modellversuch <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong><br />
<strong>1–x</strong> gerade an der Hochschule für Bildende Künste Dresden auszurichten, ergibt sich<br />
ebenfalls durch die KuBiM-Programmatik:<br />
"Die Hochschulprojekte zielen auf die Entwicklung neuer Studienbausteine/-angebote<br />
im Bereich künstlerischer Arbeit mit und an den Medien. Kunsthochschulen, die sich<br />
den Neuen Medien bislang eher zögerlich zugewandt haben, sind im Programm ebenso<br />
vertreten wie Hochschulen, die auf z.T. technisch hohem Niveau die Medien in ihre<br />
Arbeit integrieren." (Aus: "Kulturelle Bildung im Medienzeitalter. Projekte – Praxis –<br />
Perspektiven", S. 6)<br />
Auf die generelle und spezielle Problematik einer (Neue-)Medien-Ausbildung an einer<br />
(traditionellen) Kunsthochschule wurde in diesem Bericht bereits verschiedentlich<br />
eingegangen, vor allem aber in Abschnitt 1.2.<br />
An dieser Stelle soll als ein besonderes Ergebnis von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> der<br />
Versuch hervorgehoben werden, einen kritischen Umgang mit den neuen<br />
Medientechnologien zu lehren, der allerdings die Kenntnis der Techniken voraussetzt.<br />
Diesbezügliche Überlegungen von Peter Weibel zur sogenannten "Computer-<br />
Kritikalität" waren dazu handlungsanleitend:<br />
"Mit Computer-Kritikalität meine ich zweierlei. Erstens ein kritisches Verhältnis zum<br />
eigenen Medium, zur Ästhetik des eigenen Mediums. In diesem Sinne auch ein<br />
sozialkritisches Bewußtsein gegenüber der historisch hervorgebrachten und<br />
bevorzugten, etwas glatten Computer-Ästhetik. Zweitens meine ich eine spezifische<br />
Methode fraktaler Muster der Unordnung, eine technisch-mathematische Methode,
37<br />
unordentliche Systeme mit Hilfe hochkomplexer Datenkonfigurationen zu erzeugen."<br />
(WEIBEL 1993, 53)<br />
Mit ersterer Vorstellung von Computer-Kritikalität (und erweitert dann: Medien-<br />
Kritikalität) sind insbesondere die Veranstaltungen mit Peter Dittmer und Harun<br />
Farocki (<strong>Medienhöhle</strong>n 1 und 2) vereinbar. Die Vermittlung von technischem Basis-<br />
Know-how und die Befähigung zu einer kritischen Reflexion des eigenen Mediums<br />
waren die beiden grundlegenden didaktischen Ziele von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong>.<br />
Die künstlerischen Ergebnisse des Modellversuchs sollen nunmehr auf einer DVD der<br />
Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.<br />
Was nun die erreichten Ziele (und offenen Fragen) von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> im<br />
Vergleich zum Projektantrag und zu den Zielen des KuBiM-Programms angeht, so<br />
sollen im Folgenden noch einmal kurz resümierend Ausgangslage, Verlauf und die<br />
mögliche Zukunft des Modellversuchs dargestellt werden:<br />
• Ausgangslage war eine mangelnde 'Tradition' der Ausbildung im Bereich der<br />
Medien oder der neuen Medien an der HfBK. Es ging darum, einen neuen<br />
Kontext, einen neuen Raum zu schaffen, der mit der Eröffnung der<br />
Projektklasse Neue Medien im Mai 2000 erstmals aufgestoßen wurde.<br />
• Zu einer anfänglich eher opaken Bedarfs-Situation ('Interessieren sich die<br />
Dresdner Studierenden überhaupt für die neuen Medien?') kam bald die<br />
Einsicht, dass basale PC-Kenntnisse und Erfahrungen mit digitalen<br />
Technologien großteils fehlten, was später zur Forderung nach der<br />
Notwendigkeit einer Medien-Grundlagenausbildung führte.<br />
• Es wurde versucht, <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> offen, inter- und transdisziplinär<br />
anzulegen, aber dennoch in das Lehrangebot der Projektklasse im Sinne<br />
erweiternder Module einzubetten. Angesprochen waren jedoch die Studierenden<br />
im Grundstudium aller Fachklassen.<br />
Was waren die wichtigsten Ergebnisse im Verlauf des Modellversuchs?<br />
• Die Kombination von jährlich einmaligen Kulminationen/Verdichtungen (den<br />
sogenannten "<strong>Medienhöhle</strong>n") und ganzjährig verstreuten Workshops,
38<br />
Seminaren und Mediensalons (Vorträgen, Diskussionen, Präsentationen) hat<br />
sich grundsätzlich bewährt.<br />
• Kritikalität in der Medienkunst wurde in Ansätzen eingeübt, ein kritisches<br />
Bewusstsein war bei zahlreichen Studierenden jedoch bereits von vornherein<br />
vorhanden. 11<br />
• Der Versuch eines Best-Practice-Modells, eines 'Lernens von den Besten', mag<br />
grundsätzlich ebenfalls positiv betrachtet werden.<br />
Welche Zukunftsoptionen brachte <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> für die HfBK?<br />
• Medientechnik sollte bereits in die Grundlagenausbildung aller Fachklassen<br />
integriert werden.<br />
• Für die Projektklasse Neue Medien bietet sich eine neue Schwerpunktsetzung<br />
und Profilbildung im Bereich der Animation und des experimentellen Trickfilms<br />
an (siehe dazu die Überlegungen im Abschnitt 1.5.6).<br />
• Eine Fortsetzung des Dialogs mit Kultur- und Medienwissenschaftlern, wie er<br />
im Rahmen der <strong>Medienhöhle</strong>n erprobt wurde, ist anzustreben. Die<br />
"Kunstforschung" (PAZZINI 1999, 51 ff.) sollte unbedingt intensiviert werden,<br />
ebenso die künstlerisch-wissenschaftliche Forschung, die auf ein Teamwork<br />
zwischen Künstlern und Wissenschaftlern, auf gemeinsames Forschen, abzielt.<br />
Eine Projektklasse Neue Medien bedarf auch der wissenschaftlichen Begleitung durch<br />
die Medienwissenschaft, und zwar in ihrer medientheoretisch-medienphilosophischen<br />
wie auch in ihrer empirisch-sozialwissenschaftlichen Orientierung (dazu ebenfalls mehr<br />
in Abschnitt 3.1).<br />
11<br />
So schreibt etwa der <strong>Artlab</strong>-Teilnehmer David Buob in seiner Selbstdarstellung auf<br />
http://www.<strong>projektklasse</strong>.de/html/personen/studierende/davidbuob.html: "Meine Arbeit stellt stets die<br />
Frage, wie sie sich in einem ästhetischen Wertekanon verorten kann, woher dieser seine Berechtigung<br />
erlangt und ob sie sich nicht einem solchen widersetzen muss. Das Hinterfragen von Institutionen und<br />
kulturellen Netzwerken, in denen meine Arbeit ausgestellt wurde, ist ein zentrales Moment der<br />
Selbstreflexivität meines künstlerischen Schaffens. Darüber hinaus werden den Kunstbetrieb<br />
überschreitende kulturelle Phänomene und soziale Strukturen beleuchtet und nach ihrem Wahrheitswert<br />
in einem angeblich bestehenden Wertesystem befragt. Es ist aber stets die Frage nach der möglichen<br />
Konstruktion unserer Wirklichkeit, die durch ein aktives Konstruieren meinerseits exemplarisch<br />
vorgeführt wird, um damit eine Wahrheit a priori zu bezweifeln."<br />
Freilich sollten solche und ähnliche Überlegungen nicht zu einer Selbstblockade oder inneren Emigration<br />
jener Art führen, dass Kunstproduktion – gleichwohl mit dem Anspruch, 'Künstler' zu sein – von<br />
vornherein verweigert wird. Denn damit würde die Inklusions-Paradoxie des Kunst-Systems übersehen<br />
werden: Man muss ein Teil des Systems sein, um den Ausstieg aus ihm feiern zu können. Der "Ausstieg<br />
aus der Kunst als höchste Form der Kunst" (Peter Weibel) macht nur Sinn, wenn man bereits im System<br />
ist. Ansonsten handelt es sich einfach um einen von der Umwelt nicht bemerkten Berufs- oder auch nur<br />
Diskurswechsel...
39<br />
2.2 Erläuterung der Maßnahmen und Reflexion der Erfahrungen<br />
Die Reflexion der Erfahrungen im Rahmen von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> wurde<br />
ausgegliedert. Sie findet sich in diesem Bericht als eigenes Kapitel (Kapitel 5) mit dem<br />
Titel "Die Medien(technik) und die Kunst. Ein medientheoretischmedienphilosophischer<br />
Essay im Kontext von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong>". Es wurde<br />
der Versuch unternommen, den Modellversuch im Kontext gegenwärtiger medien- und<br />
kunsttheoretischer Debatten zu lesen und ihn somit in wissenschaftliche Diskurse aus<br />
der Medien- und Kunstwissenschaft einzubetten. Eine derartige Reflexionsebene<br />
erschien gerade im Kontext dieses Modellversuchs als besonders geeignet.<br />
Eine Reflexion von Erfahrungen (= von Empirie) kann subjektiv oder objektiviert – also<br />
nach wissenschaftlichen Kriterien – erfolgen. Da zeitlich und organisatorisch keine<br />
streng empirische Auswertung im Rahmen des Methodenarsenals der empirischen<br />
Sozialwissenschaften möglich war, blieb der medien- und kunsttheoretische<br />
Anknüpfungspunkt zur Reflexion übrig.<br />
2.3 Arbeiten, die zu keiner Lösung geführt haben<br />
Diese wurden in verschiedenen Teilen dieses <strong>Abschlussbericht</strong>s bereits erwähnt und<br />
sollen an dieser Stelle lediglich noch einmal zusammengefasst werden. Nicht gelungen<br />
sind:<br />
• der Versuch, die Mehrheit der Studierenden der Projektklasse Neue Medien<br />
auch nachhaltig über den Projektzeitraum hinweg für das zusätzliche<br />
Lehrangebot im Rahmen des Modellversuchs zu interessieren und an diesen zu<br />
binden<br />
• bis dato der Versuch, eine Nachhaltigkeit des Angebots von <strong>Artlab</strong>:<br />
<strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> über den Projektzeitraum hinaus zu erreichen, indem etwa<br />
von der HfBK zusätzliche Mittel für die Seminare und Workshops im Rahmen<br />
des Ausbildungsmoduls bereitgestellt werden<br />
• eine befriedigende Lösung der Frage nach den technologischen<br />
Einstiegsvoraussetzungen bei der Medienkunst-Ausbildung: Ist ein minimales<br />
Wissen über digitale Technologien und sind basale PC-Kenntnisse erforderlich,
40<br />
oder kann ein Einstieg auch gleichsam bei Null erfolgen (tendenziell verwies<br />
der Modellversuch darauf, dass ein Einstieg bei Null wenig effizient ist)?<br />
• der Einbau interaktiver Content-Management-Systeme in die Projektklassen-<br />
Webseite (wie etwa Weblogs, Wikis, Mailingliste, Feedback-Forum). Dies wäre<br />
eine potenzielle Aufgabe für eine zukünftige Architektur/Erweiterung der<br />
Webseite bzw. einen kompletten Relaunch ebendieser.<br />
• die Publikation einer Abschlussdokumentation auf DVD innerhalb des<br />
Projektzeitraums. Die Erstellung einer solchen DVD ist auch nach Ablauf der<br />
regulären Projekt-Laufzeit unbedingt notwendig und sinnvoll.
41<br />
3. Transfer und Verstetigung<br />
3.1 Transferkonzept und Dissemination<br />
Mit 'Transfer' ist die Frage nach der Übertragbarkeit der Ergebnisse von <strong>Artlab</strong>:<br />
<strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> angesprochen, mit 'Dissemination' der Aspekt der Streuung.<br />
Beginnen wir mit der Frage nach einem möglichen 'Transfer': In der<br />
Wissensgesellschaft ist die Frage nach dem Wissenstransfer, d.h. der Ver- und<br />
Übermittlung von Wissen von einer Einheit (Person, Instanz, Organisation) zu einer<br />
anderen von großer Bedeutung, um der zunehmenden Segmentierung und<br />
Partikularisierung in abgeriegelte Wissensprovinzen zu entgehen. Die Frage des<br />
Transfers ist somit immer auch eine Frage nach Verbindungslinien, nach dem Sehen<br />
oder Schaffen von größeren Kontexten und Zusammenhängen. Dennoch ist<br />
einzuschränken, dass mit der Transfer-Metapher immer schon ein realistischontologisches<br />
Verständnis von Information, Kommunikation und Wissen nahe gelegt<br />
wird. Lassen sich Inhalte und Ergebnisse – gerade, wenn es sich um Experimente, um<br />
Versuchsreihen mit Modellcharakter handelt – von einer Instanz oder Institution auf<br />
eine andere 1:1 übertragen, wie im Container-Modell der Kommunikation? Diese Frage<br />
ist zu verneinen.<br />
So gibt es auch für <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> keinen direkten Transfer-Aspekt. Es<br />
können aber sehr wohl einige indirekte Hinweise gegeben werden, die jedoch auch über<br />
die konkrete Konzipierung von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> hinausreichen. Dazu<br />
folgende Überlegungen:<br />
1) Alle Kunsthochschulen und Kunstakademien stehen in der Gegenwart und erst<br />
recht in der nahen Zukunft vor dem drängenden Problem einer adäquaten<br />
Kunstausbildung. Völlig unabhängig von dem Problem alte versus neue Medien stellt<br />
sich die Frage nach der zukünftigen Kunst-Didaktik: Beibehalten des Meisterklassen-<br />
Systems aus dem 18. Jahrhundert, flexiblere Strukturen mit offenen curricularen<br />
Modellen, oder gar explizite Mitbestimmungs-Modelle der Studierenden bei der Lehre?<br />
Radikale Kritiker halten Kunsthochschulen heute generell für einen Anachronismus und<br />
fordern deren Abschaffung (vgl. etwa BONK 2001, 69). Diese – auch immer wieder<br />
polemisch geführte – Debatte hat wohl ihren Höhepunkt noch gar nicht erreicht.
42<br />
<strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> steht als Fallbeispiel für eine mögliche offene Struktur. Um<br />
den Erfolg des Modellversuchs zur Beantwortung einer möglichen Transfer-Frage<br />
adäquat bemessen zu können, bedürfte es jedoch einer Evaluierung mit<br />
sozialwissenschaftlichen empirischen Methoden.<br />
2) Alle Kunsthochschulen, die (noch primär) traditionelle 'Malerakademien' sind,<br />
werden sich die Frage stellen (müssen), wie sie mit den neuen Medien umzugehen<br />
gedenken. Im Sinne einer (bereits) erfolgreichen Profilbildung kann man sein<br />
klassisches Profil – das etwa im Bereich der Malerei, des Bühnenbilds oder der<br />
Bildhauerei liegen kann – beibehalten und die neuen Medien getrost den<br />
Medienkunsthochschulen (wie Köln oder Karlsruhe) überlassen. Man kann aber auch<br />
zur Entscheidung gelangen, dass man trotz eines distinkten Profils im Bereich der 'alten<br />
Medien' den Dialog mit den neuen Medien suchen möchte. Für eine solche Öffnung<br />
stand und steht die HfBK Dresden nicht nur mit dem Modellversuch <strong>Artlab</strong>:<br />
<strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong>, sondern auch mit der Projektklasse Neue Medien und der Fachklasse<br />
für übergreifendes künstlerisches Arbeiten. So far lässt sich schwerlich beurteilen,<br />
welcher Weg der bessere ist: Tendenzielle Schließung und damit Rekurs und<br />
Konzentration auf das althergebrachte Profil oder Öffnung im Hinblick auf die neuen<br />
Medientechnologien. Die HfBK Dresden steht jedenfalls für den Versuch einer<br />
Öffnung.<br />
Der Transfer-Wert von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> besteht somit viel eher darin, Fragen<br />
aufgeworfen und – auch mit Hilfe dieses <strong>Abschlussbericht</strong>s noch einmal – zugespitzt<br />
bzw. pointiert zu haben. Definitive Antworten lassen sich aus dem Modellversuch<br />
hingegen nicht ableiten. Er gibt lediglich Anstöße zur weiteren Diskussion über<br />
Mediendidaktik an Kunsthochschulen, aber keine vorgefertigten Antworten und<br />
empirisch valide Ergebnisse.<br />
Der Zusammenhang zwischen Transfer-Frage und möglicher Schwerpunktbildung bzw.<br />
-beibehaltung verlangt eine Diskussion des Problems im größeren Kontext, die hier den<br />
Rahmen sprengen würde. Es sei nur ein kursorischer Vergleich mit der Universität für<br />
künstlerische und industrielle Gestaltung Linz (A) gestattet: Diese insbesondere für die<br />
Studiengänge Industrial Design und Architektur bekannte frühere Kunsthochschule 12<br />
(nach dem neuen Gesetz in Österreich: Universität) hat etwa unlängst einen<br />
12<br />
Es werden aber auch die Studienrichtungen Bildhauerei, Malerei und Grafik oder etwa Textiles<br />
Gestalten angeboten.
43<br />
Entwicklungsplan beschlossen, der drei neue Schwerpunktbildungen vorsieht:<br />
Intermedialität, Raumstrategien und künstlerisch-wissenschaftliche Forschung. 13 Zum<br />
dritten Schwerpunkt wird bemerkt:<br />
"In den nächsten Jahren soll daher, teilweise in Zusammenarbeit mit anderen<br />
Einrichtungen des tertiären Bildungssektors [...], mit ausgewählten internationalen<br />
Kooperationspartnern, aber auch mit anderen Kultur- bzw. Bildungsinstitutionen die<br />
künstlerisch-wissenschaftliche Forschung (Kulturwissenschaften, Kunstgeschichte,<br />
Kunsttheorie, Medientheorie, Kunst und gender studies...) stärker als bisher<br />
wesentlicher Bestandteil des Profils der Kunstuniversität werden." (S. 3)<br />
Eine ähnliche Erweiterung in Richtung künstlerisch-wissenschaftlicher Forschung wäre<br />
wohl auch für die HfBK Dresden sinnvoll und letztlich allen Kunsthochschulen<br />
anzuraten, die sich mit den neuen Medien beschäftigen. Was in Linz die Kooperation<br />
mit der "ars electronica" ist, wäre in Dresden die verstärkte Einbindung der CYNETart<br />
und der Trans-Media-Akademie Hellerau (http://www.body-bytes.de/tma/index.htm),<br />
deren Schwerpunkt im Bereich der Interaktivitäts- und Schnittstellen-/Mixed-Reality-<br />
Forschung liegt. Ein mögliches neues künstlerisch-wissenschaftliches Forschungscluster<br />
könnte somit im Bereich der "Theorie und Empirie der Transmedialität" anzusiedeln<br />
sein.<br />
Freilich beziehen sich diese Überlegungen erneut primär auf den Standort Dresden und<br />
die HfBK, sie müssten für jede Kunsthochschule an einem anderen Ort adaptiert<br />
werden. Insofern scheint der direkte Transfer kaum gegeben zu sein; ähnliche<br />
Überlegungen wären jeweils situativ adaptiert anzustellen.<br />
Dennoch ist aber darauf hinzuweisen, dass mit dem Package an Seminaren und<br />
Workshops, wie es in Kapitel 4 tabellarisch aufgelistet wird, sehr wohl ein Tool zur<br />
Verfügung steht, das auch für die Neue-Medien-Ausbildung an anderen<br />
Kunsthochschulen und auch künstlerischen Fachhochschulen Verwendung finden<br />
könnte. Die Seminare und Workshops bauen aufeinander auf, und die durchwegs<br />
äußerst lehrerfahrenen Dozenten stammen selbst von anderen Kunst- und<br />
13<br />
Der Entwicklungsplan findet sich online unter<br />
http://www1.internet.ufg.ac.at/pls/public/docs/WWWMBL983.
44<br />
Medienhochschulen (wie Köln, Kassel oder Hamburg). Ein Transfer-Aspekt ist somit<br />
auch die Einsicht, dass auf Grund der Breite und hardware- wie softwaretechnischen<br />
Vielfalt der neuen Medientechnologien sich ein derartiges Curriculum nicht ohne<br />
Rückgriff auf nationale oder gar internationale Experten planen lässt.<br />
Schließlich ist auf die folgenden sekundären Transfer-Effekte von <strong>Artlab</strong>:<br />
<strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> hinzuweisen:<br />
1) Es zeigte sich, dass die Frage nach einer adäquaten Didaktik zur Vermittlung<br />
von Techno-Kompetenzen im Bereich der neuen Medien noch nicht hinreichend geklärt<br />
ist. Hier bedarf es noch einer vertieften Zusammenarbeit zwischen Künstlern,<br />
Technikern und Didaktik-Experten. Die Frage nach einer spezifischen Neue-Medien-<br />
Didaktik ist noch so gut wie offen. Im Rahmen von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> wurde<br />
ein seminaristischer, teamorientierter und projektorientierter Zugang mit offenem<br />
Curriculum gewählt – mit allen geschilderten Vor- und Nachteilen.<br />
2) Kunstausbildung im Bereich der neuen Medien sollte nicht bloß den letzten<br />
möglichen technologischen Stand zur Schau stellen, Neue-Medien-Kunst ist mehr als<br />
eine bloße Spielwiese des High-Tech. Die Befähigung zur Kritikalität im Umgang mit<br />
den Medien (und auch zur profunden Medienkritik) ist in der Mediengesellschaft<br />
essentiell, und es stellt sich die durchaus prekäre Frage, wie diese vermittelt werden<br />
kann. <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> hat in diesem Kontext vorgeschlagen, von medienund<br />
gesellschaftskritischen Zugängen (wie etwa in den Arbeiten Harun Farockis) zu<br />
lernen.<br />
3) <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> hat zumindest mit einigen Seminaren versucht, ein<br />
Lernen an Best Practice, das üblicherweise eher in der Wirtschaft und in der Technik<br />
angesiedelt ist, auch in der Kunst zu etablieren (Harun Farocki, Peter Sempel u.a.).<br />
Dabei geht es nicht um wohlklingende Namen, um das Einladen von 'Stars', sondern<br />
eben um einen möglichen Transfer von Künstlern, die sich bereits klar positioniert<br />
haben und ein distinktes Œuvre aufweisen können, auf die Studierenden bzw. den<br />
künstlerischen Nachwuchs.<br />
Ein situatives Best-Practice- bzw. Artists-in-Residence-Modell könnte zu einer<br />
tendenziellen Ablösung der Bindung an einen einzigen Künstler, also des<br />
Meisterklassen-Modells führen. Je nach Medientechnologie und inhaltlichen Aspekten
45<br />
wäre nach Beispielen für Best Practice in der Kunst bzw. nach herausragenden<br />
Künstlerpersönlichkeiten zu suchen, die dann an die jeweilige Kunsthochschule<br />
eingeladen werden. So wird für eine Pluralität in der Lehre und für eine<br />
Multioptionalität auch für die Studierenden gesorgt, die gerade im Bereich der neuen<br />
Medien (Stichwort: Vielfalt der möglichen Medienkanäle) unerlässlich ist.<br />
Zum Aspekt der Streuung (Dissemination) ist anzuführen, dass während des<br />
Modellversuchs ein erfreulich großes mediales Echo bei den lokalen Medien gegeben<br />
war. Insbesondere die <strong>Medienhöhle</strong>n als Aufhänger-Events fanden großen medialen<br />
Anklang. Die Webseite http://www.<strong>projektklasse</strong>.de/ wurde auch über die<br />
hochschulinterne Verwendung hinaus als schwarzes Brett für Informationen und<br />
Veranstaltungen verwendet. Kritisch anzumerken ist aber, dass das Potenzial des Netzes<br />
im Rahmen des Projekts noch nicht voll ausgenutzt wurde, weil auf interaktive<br />
Applikationen wie etwa ein Weblog oder eine Mailingliste verzichtet wurde. Ein<br />
weiterer wichtiger Aspekt der Dissemination – und wahrscheinlich sogar der zentrale –<br />
wäre die Produktion einer DVD, die sowohl Lehrbeispiele als auch künstlerische<br />
Projekte aus <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> in sich vereinen würde: die also ein Lern-<br />
Tutorial wie auch eine Medienkunst-Dokumentation gleichermaßen wäre.<br />
3.2 Verbindung zu anderen Projekten,<br />
Nutzung der Ergebnisse nach Projektende<br />
Die wohl direkteste inhaltliche Verbindung besteht mit dem Modellversuch<br />
"transmedien" an der Hamburger HfbK (vgl. auch das medientheoretische Essay mit<br />
Verbindungslinien zum Hamburger Modellversuch in VORKOEPER 2004). Aber auch<br />
mit dem Modellprojekt "Visuelle Kompetenz im Medienzeitalter" (Staatliche Akademie<br />
der Bildenden Künste Stuttgart) wurde im Rahmen der <strong>Medienhöhle</strong> 4 kooperiert<br />
(Vorstellung des Modellprojekts durch Prof. Dr. Hans Dieter Huber und Bettina<br />
Lockemann am 28. April 2004). Auch Prof. Dr. Hans Ulrich Reck vom<br />
Bildtechnologie-Forschungsprojekt "KIT" an der Kunsthochschule für Medien Köln –<br />
ebenfalls im Rahmen von KuBiM – war bei der <strong>Medienhöhle</strong> 4 zu Gast (Vortrag am 29.
46<br />
April 2004). Insofern gab es konkrete Vernetzungen und Kommunikationen mit drei<br />
von insgesamt sechs weiteren KuBiM-Projekten im Hochschulbereich.<br />
Die Nutzung der Ergebnisse nach Projektende hängt sehr stark davon ab, wie es mit der<br />
Projektklasse Neue Medien bzw. mit einer Medienwerkstatt an der HfBK Dresden<br />
weitergeht. Damit verknüpft ist auch die Frage, inwieweit die Seminare und<br />
Workshops, die im Rahmen von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> angeboten wurden, in ein<br />
fixes Curriculum aufgenommen werden können. Diese Frage ist zum gegenwärtigen<br />
Zeitpunkt noch nicht entschieden.<br />
Audio- (MP3-)Dateien der meisten Vorträge aus den <strong>Medienhöhle</strong>n, Videoaufnahmen<br />
von den <strong>Medienhöhle</strong>n sowie zahlreiche Stunden Filmmaterial zum dreijährigen<br />
Modellversuch liegen derzeit im Archiv des Projektraums Neue Medien. Dazu kommen<br />
noch viele Arbeiten von Studierenden, die bislang lediglich in einer Selektion bei der<br />
Abschlussveranstaltung gezeigt wurden. Dieses Material wäre in der Summe die Basis<br />
für eine Abschlussdokumentation auf DVD, komplettiert durch Lern-Beispiele von den<br />
Seminarleitern aus den einzelnen medientechnologischen Anwendungsbereichen.<br />
Bei der Abschlussveranstaltung wurden pars pro toto Ergebnisse aus folgenden<br />
Seminaren der Öffentlichkeit vorgestellt:<br />
• Lutz Garmsen: Seminar "Von Muybridge zu Matrix – und zurück"<br />
• Thomas Bachler/Christoph Irrgang: Seminar "Kunst mit Gerätschaften" sowie<br />
"Das fotografische Fundbüro"<br />
• Holger Lippmann: Seminar "Flash_Kurs"<br />
• Peter Sempel: Seminar "Film und Musik"<br />
Weitere künstlerische Arbeiten aus anderen Seminaren und Workshops wären für die<br />
DVD zu ergänzen.<br />
3.3 Verwertbarkeit der Ergebnisse<br />
Die Ergebnisse von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> sind insofern verwertbar, als (siehe<br />
oben) mit den abgehaltenen Seminaren und Workshops ein komplettes Tool zur<br />
Medienausbildung an einer Kunsthochschule im Bereich analoger wie digitaler<br />
Medientechnologien zur Verfügung steht (direkter Transfer-Aspekt).
47<br />
Eine sekundäre Verwertbarkeit im diskursiven Sinne ergibt sich auch durch diesen<br />
<strong>Abschlussbericht</strong>, eine weitere Verwertbarkeit im dokumentarischen Sinne durch die<br />
noch zu erstellende Abschlussdokumentation auf DVD.<br />
Schließlich ist die Frage nach der Verwertbarkeit (ökonomisch, sozial, soziokulturell)<br />
jedweder (Medien-)Kunst untrennbar damit verknüpft, welchen Stellenwert (Medien-<br />
)Kunstproduktion in der Gesellschaft einnimmt bzw. einnehmen soll. Als Vorbild für<br />
eine fortschrittliche Sichtweise mögen hier nur Versuche von Nordrhein-Westfalen und<br />
von Österreich erwähnt werden, Kunstproduktion und auch Medienkunstproduktion<br />
unter "Kulturwirtschaft" (D) oder "Kreativwirtschaft" (A) zu clustern 14 , um auch<br />
insbesondere den ökonomischen Wert von Kunstproduktion (Stichworte Arbeitsplätze,<br />
Umwegrentabilität, Kunstmarkt) zu akzentuieren.<br />
Wichtig erscheint in unserem Zusammenhang, dass unter Begriffe wie 'Kulturwirtschaft'<br />
oder 'Kreativwirtschaft' nicht nur die Content-Industrie bzw. die Multimedia-Branche,<br />
sondern eben auch Kunst in und mit neuen Medien subsumiert werden (können). Diese<br />
veränderte Sichtweise könnte dazu beitragen, den Stellenwert von Medienkunst für<br />
Ökonomie, Kultur und Gesellschaft positiver und transparenter zu bestimmen.<br />
3.4 Erfolgte oder geplante Veröffentlichungen<br />
Folgende Veröffentlichungen sind bereits erfolgt:<br />
• Webseite http://www.<strong>projektklasse</strong>.de/<br />
• Webseite des Kompakt-Seminars "Affären mit Apparaten" (Peter Dittmer)<br />
http://www.<strong>projektklasse</strong>.de/html/archiv/dittmer/index.html<br />
• Webseite des Seminars "Webdesign" (Birgit Tümmers, Isabella Dornbach)<br />
14<br />
Siehe etwa die Initiative http://www.creativwirtschaft.at/. In Österreich werden unter dem relativ<br />
jungen Cluster 'Kreativwirtschaft' sowohl Kunsthandwerk als auch Modedesign, sowohl Restaurierung als<br />
auch die Filmbranche, sowohl das Verlagswesen als auch die neuen Medien subsumiert. Kleinster<br />
gemeinsamer Nenner all dieser Branchen ist 'Innovation durch Kreativität'. Siehe auch den 'Ersten<br />
Österreichischen Kreativwirtschaftsbericht' 2003: http://wko.at/kreativwirtschaftsbericht/kwb_2003.pdf.<br />
Die Konvergenz von Ökonomie, Kultur und Kunst mag zunächst ein wenig befremdlich klingen und auch<br />
in Widerspruch zu der anderswo erhobenen Forderung stehen, die Kunst möge (mitunter) auch kritischer<br />
Beobachter der gegenwärtigen Ökonomisierung sein. Dies wäre getrennt zu diskutieren. An dieser Stelle<br />
nur der Hinweis, dass die österreichische Definition von 'Kreativwirtschaft' die folgenden Segmente<br />
umfasst: (1) Kulturelles Erbe (inkl. Denkmalpflege, Restaurierung), (2) Darstellende Kunst, (3)<br />
Audiovisueller Bereich (inkl. der neuen Medien), (4) Visuelle Kunst, (5) Buch und Presse sowie (6)<br />
Transversale Bereiche (siehe Kreativwirtschaftsbericht 2003, S. 23).
48<br />
http://www.<strong>projektklasse</strong>.de/html/archiv/webdesign/www.neue-mediendresden.de/start/index.html<br />
• Broschüre zur <strong>Medienhöhle</strong> 3 "Gibt es eine Kunst jenseits des Bildes?" (2003)<br />
• Broschüre zur <strong>Medienhöhle</strong> 4 "Medienausbildung an einer Kunsthochschule"<br />
(2004)<br />
Des weiteren:<br />
• Zwischenberichte an die BLK 2003 und 2004<br />
• Schriftliches Resümee des Modellversuchs von Prof. Lutz Dammbeck,<br />
http://www.<strong>projektklasse</strong>.de/html/konzept/konzept.html (2004)<br />
• Vorliegender <strong>Abschlussbericht</strong> an die BLK (2004)<br />
Folgende Veröffentlichung ist geplant:<br />
• DVD "<strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong>", Abschlussdokumentation des<br />
Modellversuchs mit Lern-Tutorials und künstlerischen Fallbeispielen<br />
(2005, in Vorbereitung, ev. mit Broschüre [medientheoretischem Essay])
49<br />
4. Anhang 1:<br />
Gesamtverzeichnis der Veranstaltungen<br />
Das vielfältige Angebot von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> ging von drei grundsätzlichen<br />
didaktischen Anordnungen aus: Erstens von der Möglichkeit, mit Hilfe von Vorträgen<br />
und Präsentationen einen geeigneten Diskussions-, Diskurs- und Reflexionsort zu<br />
schaffen, in dem auch ausführlich die Möglichkeit zum Feedback der Anwesenden<br />
gegeben war (die sogenannten Mediensalons). Zweitens von der Möglichkeit, projektund<br />
teamorientiert in flexiblen Kleingruppen mit Künstlern, Dozenten und technischen<br />
Experten des jeweiligen Feldes zusammen zu arbeiten (die Seminare). Und drittens von<br />
der Möglichkeit, zumindest einmal pro Jahr den gesamten Modellversuch zu verdichten<br />
in inter- und transdisziplinären Kulminationen, die aus einer fruchtbaren Mischung aus<br />
weiteren Lectures, aus Performances, Clubbings, Filmpräsentationen und Ausstellungen<br />
bestanden und sich jeweils um ein Leitthema anordneten (die sogenannten<br />
<strong>Medienhöhle</strong>n).<br />
Im Projektantrag war vorgesehen:<br />
"Das Projekt ist auf drei Jahre angelegt. Wie im Gutachten von Herrn Prof. Pazzini<br />
gefordert, trägt es einen experimentellen Charakter in Form einer Mischung von<br />
Kurssystem und offener Versuchungsanordnung."<br />
Der Modellversuch <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> bot dabei die Möglichkeit, das gerade im<br />
Aufbau begriffene Kurssystem der Projektklasse Neue Medien zu erweitern – dazu<br />
folgendes Zitat aus dem Projektantrag:<br />
"Ergänzt wird dieses Angebot [das der Projektklasse Neue Medien – Anm.] ab Oktober<br />
2000 durch Angebote im Bereich der 'Internetgestaltung' und 'Grundlagen der<br />
Animation' (als Vorstufe für das Programm Maya) und die Durchführung eines<br />
'Mediensalons', der das Lehrangebot durch Veranstaltungen mit Gästen im Bereich<br />
Film – Neue Medien – Musik – Philosophie – Mediengeschichte ergänzen soll. Der<br />
Modellversuch soll an dieses Lehrangebot anschließen und die inhaltliche und<br />
technische Struktur der Projektklasse verdichten und erweitern."
50<br />
Die folgende tabellarische Auflistung folgt der Struktur (1) Mediensalons, (2) Seminare<br />
und (3) <strong>Medienhöhle</strong>n.<br />
4.1 Mediensalons<br />
2000<br />
DATUM TITEL DER VERANSTALTUNG PERSON(EN)<br />
26.10. Avantgarde und Film I: "La Sarraz" – Vortrag mit<br />
Filmbeispielen der klassischen Avantgarde<br />
2.11. Dokumentarfilm I: "Dreckfresser"<br />
Mit einer Einführung in das Genre Dokumentarfilm<br />
16.11. Avantgarde und Film II: Vortrag<br />
"Traditionen der Verweigerung"<br />
Thomas Thode<br />
Fred Gehler<br />
Claus Löser<br />
7.12. Künstlergruppen I: Abbildungszentrum Silke Fischer, Peter<br />
Ott, Jan Peters<br />
Hamburg<br />
2001<br />
DATUM TITEL DER VERANSTALTUNG PERSON(EN)<br />
19.4. Die Quay Brothers im Gespräch mit André Eckardt<br />
(in Zusammenarbeit mit dem Dresdner Filmfest)<br />
25.10. Dokumentarfilm II: Montage, meine schönste Sorge<br />
2002<br />
DATUM TITEL DER VERANSTALTUNG PERSON(EN)<br />
6.6. "Abschied" – Film und Vortrag Jan Schütte
51<br />
2003<br />
DATUM TITEL DER VERANSTALTUNG PERSON(EN)<br />
29.1. "Alle Macht für Super-8? Aufstieg und Niedergang<br />
der filmischen Subkultur in den 80er Jahren"<br />
(Avantgarde und Film V)<br />
Jörg Buttgereit,<br />
Claus Löser<br />
29.10. Filme von Peter Sempel Peter Sempel<br />
18.11. Filme und Medienarbeiten von Lutz Garmsen Lutz Garmsen<br />
4.12. Film "Die Sammler und die Sammlerin" von Agnes<br />
Varda, Einführungsvortrag von Thomas Thode<br />
Thomas Thode<br />
2004<br />
DATUM TITEL DER VERANSTALTUNG PERSON(EN)<br />
8.1. R.U.S.H. – Vortrag, Filme, Filmausschnitte Gusztáv Hámos<br />
6.–9.4. Filme von Hans-Dieter Grabe<br />
Mediensalon, Gespräch mit Prof. Dammbeck,<br />
div. Filme im Kino Metropolis<br />
14.4. Veranstaltung "HFF Potsdam zu Gast im<br />
Mediensalon" im Rahmen des 16. Filmfestes<br />
Dresden<br />
Hans-Dieter Grabe<br />
Prof. Weinberg,<br />
Dekan Animation &<br />
diverse Gäste<br />
4.2 Seminare<br />
2001<br />
DATUM TITEL DER VERANSTALTUNG PERSON(EN)<br />
18.–20.4.,<br />
2.–4.5.,<br />
23.–25.5.,<br />
30.5.–1.6.,<br />
6.–8.6.,<br />
20.–22.6.,<br />
27.–29.6.,<br />
Kompakt-Seminar "Affairen mit Apparaten"<br />
Einführungsveranstaltung zu kontextgesteuerter<br />
Kunst (Verknüpfung Sensorik/Elektrik/<br />
Programmierung), Erstellung von Websites,<br />
HTML.<br />
Peter Dittmer
52<br />
6.–8.6.,<br />
20.–22.6.,<br />
27.–29.6.,<br />
23.–25.7.<br />
HTML.<br />
Konstruktion diverser Projektobjekte; Hypertext;<br />
Literatur im Netz u.v.a. Themen<br />
22.10.–6.11. Tonseminar Prof. Jörg U.<br />
Lensing<br />
25.10.–27.10. Schnittseminar Margot Neubert-<br />
Maric<br />
29. & 30.11.,<br />
14. & 15.12.<br />
Seminar "Webdesign"<br />
Einführungsveranstaltung zu<br />
Webprogrammierung, Net-Art, Design und<br />
Architektur von Websites<br />
Birgit Tümmers/<br />
Isabella Dornbach<br />
2002<br />
DATUM TITEL DER VERANSTALTUNG PERSON(EN)<br />
25. &<br />
26.1.;<br />
15. &<br />
16.2.<br />
Seminar "Webdesign"<br />
Fs. der Einführungsveranstaltung zu<br />
Webprogrammierung, Net-Art, Design und<br />
Architektur von Websites<br />
Birgit Tümmers/<br />
Isabella Dornbach<br />
30.10. Einführungsveranstaltung zu<br />
"Kunst mit Gerätschaften"<br />
Thomas Bachler,<br />
Christoph Irrgang<br />
4.–9.11. Seminar "Script für Film/Video/Multimedia" Tamara Trampe<br />
12.–13.11. Seminar "Avid Grundkurs"<br />
Grundkurs für Maler, Bildhauer und Grafiker am<br />
Avid-Schnittsystem<br />
Ullrich Backa<br />
20.–22.11. Seminar "Film- und Videoschnitt"<br />
Aufbauseminar zum ersten Schnittseminar 2001<br />
Margot Neubert-<br />
Maric<br />
25.–29.11. Seminar "Kunst mit Gerätschaften, Teil 1" Thomas Bachler,<br />
Christoph Irrgang<br />
4.–6.12. Seminar "Tongestaltung, Teil 1" Prof. Jörg U.<br />
Lensing
53<br />
Aufbauseminar zum ersten Tonseminar 2001<br />
Lensing<br />
9.–13.12. Seminar "Kunst mit Gerätschaften, Teil 2" Thomas Bachler,<br />
Christoph Irrgang<br />
9.–14.12. Seminar "Animation"<br />
Zweites Blockseminar zum künstlerischen<br />
Animationsfilm<br />
Thomas Bartels<br />
2003<br />
DATUM TITEL DER VERANSTALTUNG PERSON(EN)<br />
9.–10.1. Seminar "Tongestaltung, Teil 2"<br />
Aufbauseminar zum ersten Tonseminar 2001,<br />
zweiter Teil<br />
Prof. Jörg U.<br />
Lensing<br />
20.–24.1.,<br />
3.–7.2.,<br />
7.–11.4.<br />
Seminar "Kunst mit Gerätschaften. WARUM<br />
FOTOGRAFIE an einer Malerakademie?"<br />
Einführung in die Fotografie als künstlerisches<br />
Medium; Geschichte und Theorie der Fotografie<br />
Thomas Bachler,<br />
Christoph Irrgang<br />
28.–30.1. Seminar "Experimentelle Filmgestaltung" Wilhelm Hein<br />
4.–6.3. Seminar "Flash_Kurs"<br />
Einführung in die Programmierung von<br />
multimedialen Projekten mit dem Authoringtool<br />
Flash<br />
7.–9.10. Seminar "Grundlagen und Techniken der<br />
Tonaufnahme für Audio- und Videoproduktionen"<br />
14.–16.10. Seminar "Grundlagen und Techniken der digitalen<br />
Audiobearbeitung und -restaurierung"<br />
20.10. Seminar "Grundlagen und Technik der digitalen<br />
Panorama- und VR-Fotografie"<br />
22.–24.10. Seminar "Grundlagen zum Authoring von DVDs<br />
mit DVD-StudioPro"<br />
Holger Lippmann<br />
Hendrik Meyer<br />
Hendrik Meyer<br />
Hendrik Meyer<br />
Hendrik Meyer<br />
27.–30.10. Seminar "Das fotografische Fundbüro, Teil 1" Thomas Bachler,<br />
Christoph Irrgang
54<br />
Künstlerische Umwertung bereits vorhandener<br />
Fotografien: Theorie/Praxis/Exkursion<br />
3.–7.11. Seminar "Digitale Schnittsysteme (AVID, FinalCut<br />
Pro)"<br />
Christoph Irrgang<br />
Stefan Urlaß<br />
10.–14.11. Seminar "Film und Musik" Peter Sempel<br />
24.–28.11. Seminar "Von Muybridge zu Matrix – und zurück.<br />
Animationstechniken analog und digital"<br />
Einführung in Basics im Bereich Animation,<br />
Kameratechnik, Lichttechnik, Montage;<br />
darauf aufbauend 2D- und 3D-Animation<br />
1.–4.12. Seminar "Das fotografische Fundbüro, Teil 2"<br />
Fotografien und Bild/Text-Konstruktionen in<br />
Massenmedien; Fotografie und Phantombild<br />
Lutz Garmsen<br />
Thomas Bachler,<br />
Christoph Irrgang<br />
2004<br />
DATUM TITEL DER VERANSTALTUNG PERSON(EN)<br />
12.–14.1. Light@Time<br />
Eine Analyse von Licht-Dramaturgien in Filmen<br />
20.–22.1. Fs. Seminar "Von Muybridge zu Matrix und zurück.<br />
Animationstechniken analog und digital"<br />
Einführung in Basics im Bereich Animation,<br />
Kameratechnik, Lichttechnik, Montage;<br />
darauf aufbauend 2D- und 3D-Animation<br />
Gusztáv Hámoz<br />
Lutz Garmsen<br />
2.2.–5.2.,<br />
23.2.–26.2.<br />
Seminar "Das fotografische Fundbüro:<br />
Über das Sammeln"<br />
Ein Streifzug durch die Fotoarchive Dresdens<br />
Thomas Bachler,<br />
Christoph Irrgang,<br />
Wolfgang Hesse<br />
9.–13.2. Seminar "Combustion"<br />
Einführung in das Videocompositing-Programm Combustion<br />
1.–5.3. Seminar "Flash_Kurs"<br />
Einführung in die Programmierung von<br />
multimedialen Projekten mit dem Authoringtool<br />
Flash<br />
Johannes ?<br />
Holger Lippmann
55<br />
multimedialen Projekten mit dem Authoringtool<br />
Flash<br />
15.–19.3. Seminar "Maya"<br />
Einführung in das 3D-Programm Maya mit<br />
Schwerpunkt auf 3D-Modeling<br />
Wieland Wotte<br />
4.3 <strong>Medienhöhle</strong>n<br />
2001<br />
DATUM TITEL DER VERANSTALTUNG PERSON(EN)<br />
6.4.–6.5. "Die Amme" –<br />
Ausstellung im Oktogon der HfBK<br />
Peter Dittmer<br />
2002<br />
DATUM TITEL DER VERANSTALTUNG PERSON(EN)<br />
2.–23.5.<br />
"Erkennen und Verfolgen" –<br />
Ausstellung, Filme, Lectures<br />
Harun Farocki<br />
2.–19.5.<br />
Filme, Videos und Installationen von<br />
Harun Farocki im Oktogon der HfBK<br />
16.5. Vortrag "Bildsprache bei Otto Neurath und<br />
Symbolik bei Heinz von Foerster"<br />
Dr. Karl Müller<br />
17.5. Vortrag "Zur Geschichte des Wissens" Dr. Helmut<br />
Kohlenberger<br />
17.5. Vortrag "Maschinenwesen" Claudia Lenssen<br />
23.5. "Zur Industrialisierung des Denkens" –<br />
Präsentation von Recherche-Ergebnissen<br />
für ein neues Filmprojekt<br />
Harun Farocki<br />
2003
56<br />
DATUM TITEL DER VERANSTALTUNG PERSON(EN)<br />
10.4.–12.5. "Gibt es eine Kunst jenseits des Bildes?" –<br />
Ausstellungen, Filme, Vorträge, Diskussionen<br />
Diverse, s.u.<br />
10.4. Ausstellungseröffnung Ludwig-Richter-Schüler und<br />
Daniel Richter, Eröffnungsvortrag Prof. Bazon<br />
Brock<br />
11.4. Ateliergespräch Daniel Richter<br />
15.4. Filmpräsentationen "Kubla Khan" und<br />
"Die kritische Masse"<br />
Christian Bau<br />
16.4. Filme von Kurt Kren, Expanded Cinema u.a. Wilhelm &<br />
Birgit Hein<br />
17.4. "Drei Generationen: Estnische Animationen"<br />
22.4. Vortrag "Auf der Suche nach der Natur" Jenns Howoldt<br />
22.4. Filmpräsentation "Dürers Erben" Prof. Lutz<br />
Dammbeck<br />
22.4. Vortrag "Nach der Arbeit ist gut ruhn..." Dr. Eckhart Gillen<br />
23.4. Vortrag "Konstruktivismus in der Wissenschaft,<br />
Realismus in der Kunst?"<br />
Dr. Karl Müller<br />
24.4. Filmpräsentation "Der Todesking" Jörg Buttgereit<br />
6.5. Vortrag "Bild und Bildersturm in der Moderne.<br />
Assoziationen"<br />
Dr. Helmut<br />
Kohlenberger<br />
7.5. "Film und Text" – Filmpräsentationen und Vortrag Prof. Marc Adrian<br />
7.5. Filmpräsentation "Carrousel deux" Linda Christanell<br />
8.5. Filmpräsentationen und Vortrag "Spießen &<br />
Keimen", "Picasso (Le Mystère Picasso)"<br />
12.5. Vortrag "Es gibt nichts zu erfinden, aber viel zu<br />
entdecken..."<br />
(+ Filmpräsentation "The Dealer – Über Geld,<br />
Kunst und Leidenschaft", Jean Luc Léon)<br />
Thomas Thode<br />
Prof. Dr. Jean<br />
Christophe<br />
Ammann
57<br />
14.4.–10.5. Atelierreihe, u.a. mit Prof. Thomas Kapielski,<br />
Live-Concert von Rechenzentrum, Diskussion<br />
"Bilderzwang? Produktions- und<br />
Vermittlungsstrategien an der HfBK Dresden" u.v.a.<br />
2004<br />
DATUM TITEL DER VERANSTALTUNG PERSON(EN)<br />
26.4.–30.4. "Medienausbildung an einer Kunsthochschule"<br />
– Symposium<br />
26.4. Resümee des Modellversuchs,<br />
Ergebnisse der Seminare,<br />
Ausstellungseröffnung "Kunst mit Gerätschaften"<br />
Diverse, s.u.<br />
Prof. Lutz<br />
Dammbeck &<br />
Studierende<br />
26.4. "Kino X-trem" Peter Sempel<br />
27.4. Vortrag "Ins Netz: Zu Vorgeschichte und Kontext<br />
der Modernisierung"<br />
Dr. Helmut<br />
Kohlenberger<br />
27.4. Filmpräsentation "Das Netz" Prof. Lutz<br />
Dammbeck<br />
28.4. "Medienausbildung an einer Kunsthochschule" –<br />
Filme, Videos, Gespräche<br />
• HfbK Hamburg, Lehr- und Forschungsbereich<br />
Film/digitales Kino<br />
• Kunsthochschule für Medien Köln,<br />
Trickfilmklasse<br />
• HfBK Dresden, Projektklasse Neue Medien, "Die<br />
NY-Rolle"<br />
• Staatliche Akademie der Bildenden Künste<br />
Stuttgart, Modellprojekt "Visuelle Kompetenz im<br />
Medienzeitalter"<br />
28.4. Talk & Screening & Diskussion "Fernsehen macht<br />
schön"; anschließend Party<br />
Diverse<br />
Carsten Möller,<br />
Barbara Wurm,<br />
Luc-Carolin<br />
Ziemann
58<br />
Luc-Carolin<br />
Ziemann<br />
29.4. Vortrag "Kunst braucht nicht Wissenschaft,<br />
aber Wissenschaft Kunst"<br />
29.4. Vortrag "Kunst als Medientheorie.<br />
Vom Zeichen zur Handlung"<br />
Dr. Eckhart Gillen<br />
Prof. Dr. Hans<br />
Ulrich Reck<br />
29.4. microscope session – Audiovisionen<br />
30.4. Vortrag "Eine 'wahre Geschichte des Kinos' aus der<br />
Sicht Jean-Luc Godards"<br />
30.4. Underground-Filmabend<br />
"XSCREEN. FUCK THE IDIOT BOX"<br />
30.4. "Szpital Polski" – Projektion, Performance,<br />
Chanson, Karaoke; anschließend italienische Nacht<br />
(Abschlussparty)<br />
Claus Löser<br />
Wilhelm Hein<br />
Mariola Brillowska
59<br />
5. Anhang 2:<br />
Die Medien(technik) und die Kunst.<br />
Ein medientheoretisch-medienphilosophischer Essay im Kontext von<br />
<strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong><br />
Von Dr. Stefan Weber, Medienwissenschaftler, Salzburg<br />
"Ist der Film gut?"<br />
"Ja, sehr gut besucht."<br />
Dialogszene aus "Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit"<br />
(Alexander Kluge)<br />
Der nachfolgende Essay beschäftigt sich aus medienwissenschaftlicher – genauer:<br />
medientheoretisch-medienphilosophischer – Sicht mit einigen Aspekten einer<br />
Medienausbildung an einer Kunsthochschule. Ein grundsätzliches Problem – nämlich<br />
die adäquate Relationierung bzw. zeitgemäße Gewichtung des Verhältnisses von<br />
Theorie-, Technik- und Praxisausbildung – beschäftigt curriculare Überlegungen in den<br />
Medien- und Kunstwissenschaften wie auch an Kunsthochschulen gleichermaßen. Ziel<br />
des Essays ist es, im Folgenden einige medientheoretische und -empirische<br />
Differenzierungen und Analysen für Debatten im Kontext von<br />
Medien/Kunst(ausbildung) fruchtbar zu machen.<br />
5.1 Kunst und Wissenschaft – Kunst als Wissenschaft?<br />
Ein möglicher Start- und Anknüpfungspunkt der Überlegungen wäre die Systemtheorie<br />
Niklas Luhmanns: Ihrer soziologischen Analyse zufolge (grundlegend LUHMANN<br />
1997) haben sich im Zuge der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft im 18.<br />
Jahrhundert einzelne soziale Systeme wie Wissenschaft, Kunst oder Wirtschaft<br />
ausdifferenziert, die längst über je eigene Systemrationalitäten und Zurechnungsmodi<br />
verfügen (so traten in früheren Jahrhunderten noch die Kunst und die Wissenschaft als<br />
gemeinsame Unternehmung auf). Seitdem stellt sich in der Soziologie, d.h. in der<br />
wissenschaftlichen Beobachtung der Gesellschaft in der Gesellschaft, die Frage, ob
60<br />
Ausdifferenzierungs- oder Entdifferenzierungsaspekte überwiegen. Diese Frage ist nicht<br />
theoretisch-generalistisch, sondern nur jeweils empirisch-situativ zu beantworten. Ein<br />
Maler wie Carl Gustav Carus etwa, der auch Physiologe war, steht noch an der<br />
Schwelle zu einer beginnenden Abspaltung von Kunst und Wissenschaft (auch Goethe<br />
hat bekanntlich Farbenlehre betrieben). Heute, nach rund 200 Jahren der<br />
Ausdifferenzierung und der getrennten Systemrationalitäten, erleben wir ein erneutes<br />
Zusammenwachsen von Kunst und Wissenschaft: In naturwissenschaftlichen Journals<br />
werden Gedichte und Bilder publiziert, kaum eine Konferenz, die in den vergangenen<br />
Jahren nicht das Thema "art & science" behandelt hätte, und kaum eine Studie, in der<br />
nicht irgendwo von "Kunstforschung" (etwa auch PAZZINI 1999, 51 ff.) oder "Kunst<br />
als Wissenschaft" oder auch "Wissenschaft als Kunst" die Rede wäre (Denker von Paul<br />
Feyerabend bis Heinz von Foerster stehen für diese Gedanken Pate). – Florian Rötzer<br />
bemerkte schon 1991 zurecht, es...<br />
"[...] geraten durch die neuen Technologien, die einen einzigen Code zur Übermittlung<br />
jeder Information verwenden, die geheiligten Ausdifferenzierungen der Moderne<br />
durcheinander.<br />
Kunst, Wissenschaft und Technik rücken nicht zuletzt durch das gemeinschaftliche<br />
ökonomische Geflecht einander näher." (RÖTZER 1991, 38)<br />
Was also ist geschehen? Driften Kunst und Wissenschaft wieder unaufhörlich<br />
aufeinander zu? Waren sie am Ende gar nie getrennt, und ist das fein säuberliche<br />
autopoietische Denken in mehr oder weniger hermetisch abgeriegelten analytischen<br />
Einheiten namens 'sozialen Systemen' am Ende nur ein Spiel auf der Theorie-Klaviatur,<br />
fernab der Empirie? Ist Kunst überhaupt noch ein autopoietisches System der<br />
Gesellschaft (wie in LUHMANN 1995a)? Und ist der Code der Kunst, wie es Niklas<br />
Luhmann ganz klassisch expliziert, immer noch "schön/hässlich"; ist er es denn je<br />
gewesen? Geht es der Wissenschaft um Wahrheit, und der Kunst um Schönheit? Oder<br />
geht es der Wissenschaft – den poststrukturalistischen, radikal-konstruktivistischen und<br />
vielmehr noch non-dualistischen Theoriebemühungen zufolge – eben gerade nicht mehr<br />
um Wahrheit (verstanden als Übereinstimmung zwischen wissenschaftlicher<br />
Beschreibung und beschriebenem Objekt bzw. Sachverhalt), sondern um Wandel
61<br />
und/oder Kontingenz? Will nicht auch die Kunst eigentlich immer verändern und nicht<br />
nur Schönheit zeigen – und wäre der Wille zur Veränderung am Ende der kleinste<br />
gemeinsame Nenner von Kunst und Wissenschaft?<br />
Ist, wie Peter Weibel mutmaßt, die Schönheit (und mit ihr vor allem der schöne Körper)<br />
längst aus der Kunst ausgewandert, und hat sie sich in der Werbung eingenistet? 15 Ist es<br />
demzufolge die tendenzielle Aufgabe und Funktion aktueller Kunst, die Hässlichkeit<br />
(und damit den hässlichen Körper), das Monströse, das Negative, das, was den<br />
Menschen ansonsten wegschauen lässt, zu zeigen? Was heißt überhaupt 'zeigen', was<br />
heißt 'darstellen' (so auch die Frage des Sammelbandes NIBBRIG 1994)?<br />
Fragen der Darstellung, der Repräsentation und Konstruktion, der Mimesis und Poiesis<br />
sind untrennbar verknüpft mit der dualistischen Voraussetzung (und anschließend dem<br />
Verhältnis) von Text und Realität (d.h. Zeichen und Referenten) oder von Bild und<br />
Wirklichkeit. Und wenn man von einer Seite der Unterscheidung ausgeht, lässt sich<br />
dann immer fragen: Hat der Text eine Vormachtstellung gegenüber dem Bild (linguistic<br />
turn), oder ist es das Bild, das aus seiner linguistischen Umklammerung gelöst werden<br />
muss und autonom gedacht werden soll (pictorial turn)? 16 Nicht umsonst stellte die<br />
<strong>Medienhöhle</strong> 2003 im Rahmen von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> die spekulative Frage<br />
nach dem Jenseits des Bildes. 17<br />
Auch die epistemologische Frage nach Realismus oder Konstruktivismus ist in diesem<br />
Kontext angesprochen: Bildet ein System namens Kunst (ob nun in Divergenz oder<br />
Konvergenz zur Wissenschaft gedacht) die Wirklichkeit ab, oder erzeugt sie sie erst?<br />
Oder stimmt immer schon situativ beides? Ist das Abbild ein Konstrukt? Wäre dies<br />
erkenntnistheoretisch betrachtet logisch konsistent, oder muss man sich für die eine<br />
oder die andere Seite entscheiden: Realismus oder Konstruktivismus? Heinz von<br />
Foerster sagt, nur die prinzipiell unentscheidbaren Fragen müssen wir entscheiden. Ist<br />
die Frage nach Realismus oder Konstruktivismus so eine Frage?<br />
Die Antwort kann nur lauten: Wenn man sie so stellt – also als erkenntnistheoretisch<br />
binäre Opposition, als Entweder/Oder –, dann ja. Stellt man die Frage hingegen<br />
15<br />
"Der schöne Körper, der ideale Körper, ist von der Kunst an die Werbung abgegeben worden.<br />
Die Schönheit ist kein Arbeitsfeld der Kunst mehr." (WEIBEL 2004, 41)<br />
16<br />
Zur in diesem Zusammenhang sich gegenwärtig in den Medienwissenschaften neu<br />
konstituierenden Bildwissenschaft vgl. statt mehrerer FASSLER 2002.<br />
17<br />
Und die Frage nach dem Jenseits des Bildes kann auch als Frage nach dem Jenseits der Medien<br />
überhaupt gestellt werden – wie etwa von Jean Baudrillard oder Peter Weibel.
62<br />
empirisch, dann lassen sich Trendbehauptungen zu ± Realismus oder ±<br />
Konstruktivismus aufstellen. In den achtziger und neunziger Jahren des 20.<br />
Jahrhunderts schlug das Pendel in Richtung eines empirischen Konstruktivismus: "Aus<br />
dem Bild der Wirklichkeit ist die Wirklichkeit des Bildes geworden", schrieb der<br />
Konstruktivist Siegfried J. Schmidt 1992 (SCHMIDT 1992, 446). Und weiter: "Was in<br />
– vor allem audiovisuellen – Medien erscheint, erscheint als Bild und nicht mehr als<br />
Abbild." Diese These impliziert aber, dass es früher Abbilder gegeben habe. Die These<br />
markiert also einen empirischen Trend und keinen generellen Sachverhalt, der als<br />
Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis immer schon gegeben gewesen wäre.<br />
Heutige, über den (radikalen) Konstruktivismus hinaus gehende Erkenntnistheorien<br />
versuchen hingegen, den Dualismus von Wirklichkeit und Bild selbst zu sprengen (vgl.<br />
MITTERER 1992, WEBER 2005). Dem Non-Dualismus zufolge ist die Wirklichkeit<br />
nichts anderes als die Summe der so far basiskonsensuell akzeptierten<br />
Bilder/Beschreibungen. Ein 'Trend' weg von der Wirklichkeit findet somit mit jeder<br />
neuen Beschreibung, mit jedem neuen (Medien-)Bild statt: Philosophie des Wandels<br />
anstelle der Wahrheit.<br />
Im Rahmen von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> war mit der direkten Anspielung auf Platons<br />
Höhlengleichnis nicht nur der ur-konstruktivistische, aber gleichsam dualistische<br />
Verdacht angesprochen, dass wir in einer Welt der Schatten gefangen seien, während<br />
'da draußen' (in der kognitiv wie körperlich unzugänglichen Außenwelt) die 'wahre<br />
Realität' sei. 18 Florian Rötzer schrieb zu diesem Kurzschluss von Höhlengleichnis und<br />
virtuellen Welten:<br />
"Die Höhlenszene, die in den Anfängen der Philosophie bereits als Vorstellungsbild<br />
eines vom Außen abgeschlossenen Systems die Schwierigkeit des Lebens in virtuellen<br />
Räumen behandelte und in der Neuzeit wieder aktuell wurde, ist Metapher des<br />
elektronischen Zeitalters, auch wenn sie heute vernetzt ist und etwa in der Form einer<br />
Simulationskabine, eines Cockpits oder eines Gehirns einer anderen<br />
18<br />
Nicht umsonst gibt es im Bereich der immersiven VR-Installationen auch die sogenannten Cavelike-Environments:<br />
Auch der CAVE der Linzer "ars electronica", ein kleiner dreidimensionaler<br />
Cyberspace in einem realen schwarzen Kubus, ist eine solche <strong>Medienhöhle</strong>.
63<br />
Informationszentrale gleicht, in der Wahrnehmung mit Konstruktion oder Imagination<br />
verschmilzt." (RÖTZER 1991, 48 f.) 19<br />
Es ging aber – damit eng verbunden – auch um den Verdacht, dass die Medien selbst es<br />
sind, die autopoietische Wirklichkeiten (Höhlen, Blasen, Uni- und Pluriversen – wie<br />
auch immer die Metaphern heißen mögen) zunehmend hermetisch erzeugen. Um diesen<br />
Verdacht geht es im nächsten Unterabschnitt.<br />
5.2 <strong>Medienhöhle</strong>n: Zur Autopoiesis mediengenerierter Wirklichkeiten<br />
und zur Frage nach dem Neuen der 'neuen Medien'<br />
Der Begriff "<strong>Medienhöhle</strong>n" setzt eine Klärung oder zumindest hinreichende Definition<br />
des Begriffs "Medien" voraus. Die Frage, was "Medien" sind, ist derzeit<br />
medientheoretisch 20 wieder hoch im Kurs (wie auch in anderen Bereichen eine<br />
verstärkte Hinwendung zu Grundsatzfragen der Begriffsklärung zu beobachten ist – dies<br />
gilt für Begriffe wie "Information", "Kommunikation", "das Netz" usw.). Grundsätzlich<br />
lassen sich die Pole weiter versus enger Medienbegriff unterscheiden (vgl. auch<br />
LAGAAY/LAUER 2004, 21 f.). Ein weiter Medienbegriff (wie etwa bei Flusser, für<br />
den auch ein Wartesaal oder ein Fußball ein Medium sein kann) versteht unter Medium<br />
tendenziell alles, was als Mittler zwischen Subjekt und Objekt fungieren kann – oder<br />
lediglich zwischen zwei Aktanten. Einen derart breiten Medienbegriff vertritt auch<br />
Pazzini, wenn er schreibt:<br />
"Im Prozeß der Änderung der medialen Möglichkeiten ändert sich das gesamte<br />
kulturelle Umfeld, die Art und Weise, wie Subjekte auf Objekte Bezug nehmen, weil –<br />
so könnte man kurz sagen – die Medien als Mittlere vermitteln." (PAZZINI 1999, 6)<br />
19<br />
Rötzer liefert in dem Kapitel "Die Welt ist ein Traum" (RÖTZER 1991, 40 ff.) im Übrigen eine<br />
schöne Kurzgeschichte von Platons Höhlengleichnis über den kartesischen Wachtraum bis zu Putnams<br />
'Gehirne im Tank' und zum Radikalen Konstruktivismus unserer Tage – immer in Kopplung an virtuelle<br />
Medientechnologien.<br />
20<br />
Für einen Überblick über aktuelle Medientheorien siehe LAGAAY/LAUER 2004, WEBER 2003<br />
und PIAS et al. 1999.
64<br />
Ein derartiger Medienbegriff geht von der Immer-schon-Vermitteltheit von Erkenntnis<br />
und Erfahrung (zunächst durch die Sinne, später dann durch Aufschreibesysteme im<br />
Sinne Kittlers) aus und hält nicht-medialisierte Erkenntnisbedingungen generell für<br />
undenkbar. 21 Dieser Medienbegriff ist weit verbreitet, und wenn man Medien allgemein<br />
als Mittler versteht, ist immer auch eine Denkrichtung vom Subjekt auf das Objekt<br />
(siehe auch das obige Zitat von Pazzini) vorausgesetzt:<br />
erkennt via Medium (z.B. Auge, Licht)<br />
Subjekt<br />
Objekt<br />
(z.B. Beobachter A) Richtung des Denkens (z.B. Tisch)<br />
(Eigene Systematik S.W.)<br />
Diese Denkrichtung der Objektorientierung ist jedoch durch die non-dualistische<br />
Philosophie Josef Mitterers umgedreht worden: Objekte können nämlich auch als<br />
'letzter Stand der Dinge' verstanden werden, an den durch weitere<br />
Beschreibungen/Beobachtungen angeschlossen wird. Wenn es keinen Objektbezug<br />
mehr gibt, wird jedoch auch der Medienbegriff – zumindest in dieser Fassung – obsolet.<br />
Ganz anders verhält es sich mit einer Konzeption von apparativ-technischen Medien,<br />
d.h. letztlich immer massenhaft hergestellten (und Massen herstellenden!) Medien, also<br />
Massenmedien. Man sollte den engen Massenmedien-Begriff der empirischen<br />
Kommunikationswissenschaft deshalb immer von einem philosophischen, breiten<br />
Medien- oder Medialitäts-Konzept unterscheiden. Interessanter Weise ist es ja<br />
offensichtlich so, dass wir in unserem Kontext – wenn wir von einer<br />
"Medienausbildung" an einer Kunsthochschule reden – uns nicht auf allgemeine<br />
Medialität als Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis beziehen. Denn ansonsten<br />
würden ja Medienausbildung und Kunstausbildung zusammen fallen, es gäbe kein<br />
Problem, keine Reibung und keinen Antagonismus zwischen Medien und Kunst: Kunst<br />
wäre immer schon medial und mediatisiert; durch die Wahl der Medien (= Mittel)<br />
entscheidet sich der Künstler, über welchen Kanal er Wirklichkeit<br />
21<br />
Zu diesem breiten Medienbegriff vgl. des weiteren auch PAZZINI 1999, 35-39.
65<br />
transportiert/generiert. 22 Im Kontext von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> wurde diese<br />
Sichtweise, die immer ins erkenntnistheoretische Realismus/Konstruktivismus-Problem<br />
mündet, in mehreren Vorträgen von Dr. Karl Müller (Wien) erörtert: Wird von einer<br />
breiten Vorstellung von Medialität ausgegangen, dann stellt sich die Frage, ob Medien<br />
Abbildner oder Generatoren sind, ob sie mimetisch repräsentieren oder erst<br />
konstituieren, ob Wirklichkeit Voraussetzung oder Folge der Medien ist. Außer Frage<br />
stünde dann aber immer: Es gibt keine Kunst ohne Medien – wie es keine Wahr- oder<br />
Falschnehmung und generell keine Erkenntnis ohne Medien gibt.<br />
Ganz anders sieht es bei einem engen Medienbegriff aus: Wenn im Rahmen von<br />
<strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> von 'alten' und 'neuen Medien' die Rede war, so war<br />
eigentlich immer gemeint: 'alte technische Medien' und 'neue bis neueste = jüngste<br />
technische Massenmedien'. Wagt man einen Rückblick auf die Debatte um 'neue<br />
Medien', wird man schnell erkennen, dass die 'neuen Medien' jeweils nichts anderes<br />
umfassten als den jeweiligen letzten Stand der technologischen Entwicklung (in den<br />
achtziger Jahren etwa Fax und Btx, in den neunziger Jahren etwa VR-Systeme). Von<br />
diesen jeweiligen 'Medien so far' setzt sich nicht einmal jedes Medium durch, und viele<br />
Medien gelten heute bereits als (stein)alt, obwohl sie noch vor wenigen Jahrzehnten als<br />
neu begriffen wurden (man denke etwa nur an den Cassettenrecorder).<br />
Im Übrigen sind gar nicht alle Medientheoretiker mit der Vokabel 'neue Medien'<br />
zufrieden. Der Audiovisions-Archäologe Siegfried Zielinski etwa bemerkt sehr<br />
subjektiv:<br />
"Das Neue hat immer das Angesicht des Schrecklichen (ein Gedanke Kierkegaards). Ich<br />
kann mit dieser Bezeichnung im Kontext der Mediendebatte nichts mehr anfangen. Seit<br />
Anfang der 70er Jahre wird die Vokabel von den Neuen Medien strapaziert, um sie<br />
marktstrategisch durchzusetzen." (ZIELINSKI 2000, 317)<br />
Wenn man sich indes vergegenwärtigt, dass es gar nicht anders gehen kann – dass also<br />
das Neue immer schon der letzte Stand der Dinge ist (also eigentlich: das 'Jüngste', die<br />
22<br />
In einer noch radikaleren Ansicht wäre Kunst selbst ein Medium, das Formenbildung<br />
(Kunstwerke) ermöglicht. Zu Kunst als Medium vgl. etwa RECK 1999. In einem Vortrag im Rahmen von<br />
<strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> hat Hans Ulrich Reck sogar vorgeschlagen, Kunst als Medientheorie zu<br />
verstehen. Diese und ähnliche Denkbewegungen lösen den Antagonismus von Kunst und Medien von<br />
vornherein auf.
66<br />
Entwicklung so far) –, dann wird man auch kein Problem mit der Rede von den 'neuen<br />
Medien' haben. – Werfen wir somit auf diese Art und Weise – also<br />
kommunikationswissenschaftlich-empirisch – einen Blick auf die Medien-Evolution, so<br />
gelangen wir zu folgendem Schaubild:<br />
(Quelle: MERTEN 1999, 21)<br />
Mit dieser Graphik sind gleich mehrere Aspekte angesprochen – Aspekte irritierender<br />
wie 'futuristischer' Art: Außer Frage steht, dass in den vergangenen Jahrzehnten und<br />
Jahrhunderten neue technologische Medien exponentiell gewachsen sind: Klaus<br />
Mertens daraus abgeleitetes Gesetz lautet nun, dass neue Medien dazu führen, dass<br />
immer noch mehr neue Medien entstehen. Merten bemerkt:<br />
"Ein Ende dieser Entwicklung ist überhaupt noch nicht abzusehen, im Gegenteil:<br />
Kommunikation boomt wie nie zuvor. Das erkennt man nicht nur an der Vermehrung<br />
der Zahl der Medien, sondern auch an der Steigerung von Auflagen, der Entstehung<br />
neuer Kommunikationsberufe [...]". (MERTEN 1999, 20)
67<br />
Für das Kunstsystem bedeutet dies, dass die Freiheitsgrade – im Sinne einer Anzahl der<br />
verfügbaren Mittel – drastisch gestiegen sind. Die Kunst hat sich bislang fast jedes<br />
Mittels auf dem obigen Graphen bedient, also gäbe es offenbar keinen Grund, dass dies<br />
in Zukunft anders werden sollte. Andererseits ist aber auch nicht verbürgt, dass die<br />
Kurve – wie Merten dies annimmt – immer weiter nach oben gehen wird und in immer<br />
kürzeren Zeiten immer noch mehr neue Medien entstehen, bis es gleichsam mit jedem<br />
Augenschlag zu medientechnologischen Neuerfindungen käme. Mitunter realistischer<br />
ist m.E. ein Szenario, in dem sich viele klassische (materiell-analoge) Medien zu einem<br />
digitalen Universalmedium der Zukunft (etwa dem Netz) vereinen werden.<br />
Eine andere Relativierung ist angebracht: Im großen evolutionsgeschichtlichen Kontext<br />
betrachtet, sind nicht nur die neuen Medien neu, sondern alle Medien. Dies hat Wilbur<br />
Schramm mit seiner 'Medien-Stunde' so schön illustriert: Rafft man die gesamte Zeit,<br />
seit der es Medien gibt (hier: seit der Einführung der Schrift) zu einer Stunde<br />
zusammen, so entstehen unsere modernen Massenmedien erst in den letzten Minuten:<br />
(Quelle: MERTEN 1999, 20)
68<br />
Sind unsere gegenwärtigen Medien – und insbesondere der Computer und das WWW –<br />
also nur "Zwischenspiele in der Geschichte", wie dies Siegfried Zielinski einmal für<br />
Kino und Fernsehen geltend machte (vgl. ZIELINSKI 1989). Die Frage von <strong>Artlab</strong>:<br />
<strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> und damit auch allgemeiner von einer Medienausbildung an einer<br />
Kunsthochschule muss es daher sein, ob unsere gegenwärtigen Medien – plakativ<br />
gesagt – überhaupt eine Zukunft haben: Wird es gewisse Medien – wie etwa den<br />
Buchdruck oder den Film – immer geben, weil sie ein unumgängliches haptisches<br />
(Buch) oder audiovisuelles (Film) Bedürfnis befriedigen, oder werden auch sie im<br />
Universal- und Hypermedium der Zukunft aufgelöst werden? In der<br />
Kommunikationswissenschaft wird dies unter der Frage "Substitution oder<br />
Komplementarität" diskutiert, und es wird gerne auf das "Rieplsche Gesetz" aus dem<br />
Jahre 1913 verwiesen, wonach neue Medien alte nicht ersetzen, sondern ergänzen. Doch<br />
dieses Gesetz wurde Jahrzehnte vor der Digitalisierung von Information und Wissen<br />
und vor dem World Wide Web aufgestellt.<br />
Die Antwort auf diese – und ähnliche – Fragen kann daher nur lauten: Die Medien-<br />
Evolution verläuft emergent und kontingent – mit anderen Worten: Wir haben allesamt<br />
nicht die geringste Ahnung, was die Zukunft bringen wird. Nichts ist so unwissbar wie<br />
die Zukunft, und damit auch die Zukunft der Medien – sie ist, wenn man so will, unser<br />
letztes großes metaphysisches Geheimnis (eine Pointe Niklas Luhmanns).<br />
Machen in Anbetracht der geschilderten Fakten rund um die Medien-Evolution und der<br />
unklaren weiteren Entwicklung nun Modellversuche wie <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong><br />
Sinn oder nicht? Gerade weil sich die Medien-Evolution in emergenten Sprüngen (=<br />
qualitativ Neues lässt sich nicht aus Bisherigem ableiten) und kontingent (= oft<br />
basierend auf zufälligen Erfindungen und Transfers) vollzieht, ist eine<br />
Auseinandersetzung mit den 'neuen Medien' – verstanden als der jeweils letzte<br />
technologische Stand der Dinge – unumgänglich und gefordert. Eine Reflexion wie jene<br />
im Rahmen von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> kann dann dazu führen, dass erkannt wird,<br />
dass die 'neuen Medien' für die 'alten Medien' wenig bis keine Relevanz haben<br />
(tendenzielles Komplementaritäts-Modell: die 'alten Medien' überleben die 'neuen<br />
Medien' relativ unbeschadet). Sie kann aber auch dazu führen, dass ein Effekt der 'neuen<br />
Medien' auf alle bisherigen festgestellt wird (tendenzielles Substitutions-Modell:
69<br />
Werden die 'neuen Medien' die alten doch ersetzen, wird die Graphiksoftware den<br />
realen Pinsel eines Tages ablösen? usw. usf.).<br />
Fassen wir die Erträge dieses Abschnitts kurz zusammen: Ob ein Medium als neu oder<br />
alt gilt, hängt ausnahmslos von der jeweiligen zeitlichen Perspektive, vom<br />
eingenommenen Beobachtungsstandpunkt ab. Der Begriff 'neue Medien' wird in der<br />
Kommunikationswissenschaft eher differenzlos gehandhabt, d.h. er schließt nicht mit<br />
ein, dass auch Konsens darüber herrschen würde, was denn die 'alten Medien' seien (ist<br />
etwa Fernsehen schon ein 'altes Medium'? Was aber wäre dann mit HDTV? usw.). Die<br />
'neuen Medien', so der Vorschlag, sind immer der technologisch letzte Stand der Dinge,<br />
das technisch Erreichte und so far Machbare. Eine Beschäftigung mit diesen neuen<br />
Medien – etwa im Kontext einer klassischen 'Malerakademie' – kann folglich nicht<br />
zwingend sein, solange die Medien-Evolution nicht sichtbar in jene Richtung geht,<br />
tatsächlich alle bisherigen Medien in einem universalen Multi- oder Hypermedium zu<br />
integrieren (Substitutionsmodell). Solange es real-haptische Medien gibt, ist es eher<br />
eine Frage des Willens zum Experiment, ob eine derartige Beschäftigung erfolgen soll.<br />
Ein Blick auf die Zeit-Skala – gemäß der oben skizzierten Schramm-Uhr – lehrt uns die<br />
relative Bedeutung der neuen technologisch-apparativen Massenmedien. Diese relative<br />
Bedeutung steht letztlich sogar in einem gewissen Kontrast zur weit verbreiteten<br />
Auffassung (von der auch etwa das Pazzini-Gutachten ausgeht), dass wir in einem<br />
Medienzeitalter und in einer Mediengesellschaft leben.<br />
5.3 Medienzeitalter: Makro-Trend Medialisierung?<br />
Wenn von einem Makro-Trend der Medialisierung die Rede ist, von einem<br />
"Medienzeitalter" oder einer "Mediengesellschaft", dann ist damit keinesfalls Medialität<br />
als Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung und Erkenntnis gemeint. Vielmehr ist der<br />
empirische Sachverhalt angesprochen, dass wir zunehmend das, was wir wissen, durch<br />
die Massenmedien wissen (vgl. LUHMANN 1996, 9). Die steigende Medialisierung<br />
von Information und Wissen zeigt sich tagtäglich anhand der Quellen, aus denen wir<br />
unsere Informationen beziehen: Tageszeitungen, Fernsehnachrichten, Videotext-Seiten,<br />
Webseiten, Mailkorrespondenz usw. Zur Medialisierung von Information gesellt sich
70<br />
zunehmend und einhergehend eine Virtualisierung von Information. Ein Ende dieses<br />
Umbaus von Materialität zu Immaterialität ist in der Tat noch nicht abzusehen. 23<br />
Die zunehmende Medialisierung von Information ist ein empirischer Trend, der für eine<br />
Kunsthochschule zumindest von Interesse sein muss – unabhängig davon, ob sie die<br />
neuen Medien selbst als Kunstmittel lehrt, als Lehrmittel einsetzt oder beides (noch) gar<br />
nicht tut. Sie betrifft eine Kunsthochschule letztlich auch in Fragen der<br />
Aufmerksamkeitsökonomie und der zunehmenden Medialisierung von Images.<br />
Dennoch ist darauf hinzuweisen, dass Medialisierung nicht der einzige Makro-Trend<br />
der gegenwärtigen Gesellschaft ist. Einiges spricht dafür, über der Medialisierung die<br />
Ökonomisierung/Kommerzialisierung der neoliberalistischen bis turbokapitalistischen<br />
Gesellschaft als die gegenwärtig bestimmende Triebkraft anzusiedeln: Wenn die Kunst<br />
also die zunehmende Mediatisiertheit von Information und Wissen reflektiert, so kann<br />
sie dies m.E. nicht tun, ohne wiederum die zunehmende Ökonomisierung und<br />
Kommerzialisierung der Medien in die Analyse mit ein zu beziehen.<br />
Und damit gelangen wir zu der entscheidenden – und wohl auch im Rahmen von<br />
<strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> noch zu wenig beleuchteten – Frage, was aktuelle Kunst<br />
überhaupt dem gegenwärtigen Bilder- und Aufmerksamkeits-Regime (bis -Terror) der<br />
hyperkommerziellen Massenmedien entgegen setzen kann. Wenn wir nicht – in einem<br />
naiven Kurzschluss – Reality-TV zu Kunst und Gerichts-Shows zu partizipativem<br />
Bürgerfernsehen erklären wollen, dann stellt sich die drängende Frage nach der<br />
(mutmaßlich völlig veränderten) Funktion der Kunst im Zeitalter der Massenmedien.<br />
Freilich sind heterogene Antworten denkbar: 'Schmutzige Kunst' und Kritikalität (Peter<br />
Weibel), der Künstler als "retardierende Kraft", als "Bremsmasse" (Lutz Dammbeck),<br />
aber auch eine Renaissance des Naturschönen, eine Entnetzung anstelle der Vernetzung,<br />
eine Entschleunigung anstelle der Beschleunigung, oder Kunst als Sozialpolitik, als<br />
Intervention usw. usf.<br />
Die Frage, was Kunst heute leisten kann und welche Funktionen möglich sind bzw.<br />
auch erfüllt werden können, ist untrennbar verknüpft mit dem Kontext, der Kunst als<br />
'Kunst' konstruiert (vgl. WEBER 1999) bzw. mit den institutionellen-ökonomischen-<br />
23<br />
Man sollte, beflügelt von der Rasanz der Entwicklungen, dennoch nicht<br />
mediengeschichtsvergessen werden: Noch vor fünfzehn Jahren schlug man Stichwörter im<br />
Stichwortkatalog realer Bibliotheken nach. Heute tippt man Suchbegriffe auf google ein. Die<br />
Wissenskultur ändert sich mit einer unglaublichen Dynamik, und mit ihr verändern sich auch die<br />
Standards und Referenzen für glaubwürdige und verlässliche Informationen.
71<br />
medialen Spielregeln der Kunst (vgl. ZINGGL 2001). Diese können selbst rekursiv zum<br />
Thema werden, und werden es auch in steigendem Maße. Besteht die Funktion der<br />
Kunst dann mitunter zunehmend darin, ihren eigenen institutionellen Kontext zu<br />
hinterfragen oder zumindest zu thematisieren? Soll Kunst den Transfer von der<br />
Hinterbühne auf die Vorderbühne der Realität leisten? Soll sie Verborgenes, Latentes<br />
manifest werden lassen, bislang noch nicht gesehene Zusammenhänge darstellen? Ginge<br />
es am Ende auch darum, die Konstruktivitäts- und Fiktionalisierungs-Strategien der<br />
Massenmedien kritisch zu durchleuchten?<br />
Noch einmal soll ein Blick auf die sogenannte "Mediengesellschaft" geworfen werden.<br />
Soziologisch betrachtet sollte nicht vergessen werden, dass heute zahlreiche<br />
Gesellschafts-Semantiken existieren – und es vergeht kaum ein Monat, in dem nicht<br />
eine neue Monographie zur nächsten Bindestrich-Gesellschaft erscheinen würde:<br />
(Quelle: WEBER 2002, 124)<br />
In Anbetracht dieser – nunmehr schon zweiten – Relativierung der 'neuen Medien'<br />
erscheint die 'Mediengesellschaft' als ein mögliches Beobachtungs-Szenario auf die<br />
Gesellschaft, aber nicht als das exklusive. Dennoch ist darauf hinzuweisen, dass sich<br />
mit den Reden von einer Informationsgesellschaft, einer Mediengesellschaft, einer
72<br />
Kommunikationsgesellschaft, einer Cybergesellschaft oder einer Netzgesellschaft sehr<br />
wohl ein 'Cluster' innerhalb der Gesellschafts-Semantiken gebildet hat (siehe die obige<br />
Abbildung), das als kleinster gemeinsamer Nenner von einer zunehmenden<br />
Medialisierung der Gesellschaft ausgeht. – Doch was bedeuten nun all diese<br />
Überlegungen – die Relativität der neuen Medien, die Rede von der<br />
"Mediengesellschaft" u.ä. – für die Kunst und in der Folge: für die Medienausbildung<br />
an einer Kunsthochschule?<br />
5.4 Medien – Kunst – Kultur<br />
Im Zuge einer zunehmend radikalen Ausweitung des Kunst-Begriffs seit Beginn des 20.<br />
Jahrhunderts (Stichworte 'offenes Kunstwerk', die Erkenntnis, dass 'alles' zur Kunst<br />
deklariert werden kann usw.) ist es zunehmend schwieriger geworden, Kunst als<br />
autopoietisches System – zumal im Hinblick auf Kunstwerke – von der Umwelt<br />
abzugrenzen (siehe auch 5.1). Dementsprechend ist es heute unmöglich geworden, eine<br />
gültige oder allgemein akzeptierte Definition von Kunst anzugeben. Um Kunst dennoch<br />
definitorisch hinreichend von 'Kultur' und 'Medien' abzugrenzen (und um in einem<br />
zweiten Schritt eine pragmatisch-empirische Definition von 'Medienkunst'<br />
vorzuschlagen), folgende kursorische Überlegungen:<br />
• Kunst unterscheidet sich von Kultur insofern, als Kultur ein wesentlich breiterer<br />
Begriff ist, der auf viele soziale Systeme anwendbar ist (Wirtschaftskultur, Sportkultur,<br />
Trinkkultur, Massenkultur usw.). Es gibt wohl ähnlich viele Definitionsversuche von<br />
'Kultur' wie von 'Kommunikation' (der Kommunikationswissenschaftler Klaus Merten<br />
hat in den siebziger Jahren in einer Studie einmal 160 [!] Definitionen aufgelistet). Das<br />
Spektrum der Kulturtheorien reicht von Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen<br />
Formen über Raymond Williams' Definition von Kultur als Signifikations-System bis<br />
zu den Cultural Studies mit ihrem Verständnis von Kultur als Zeichenmengen und zum<br />
Radikalen Konstruktivismus. 24 Letzterer, vor allem sein Proponent Siegfried J. Schmidt,<br />
versteht unter Kultur, wie er in verschiedenen Publikationen immer wieder dargelegt<br />
hat, das Programm für Verhalten in Bezug auf die sozial sanktionierte Interpretation des<br />
24<br />
Systemtheoretisch ist der Kultur-Begriff – wie im Übrigen auch der Technik-Begriff – hingegen<br />
etwas unterdefiniert. Es gibt auf alle Fälle in Luhmanns Systemtheorie kein System der Kultur (vgl.<br />
BAECKER 2000) und auch kein System der Technik.
73<br />
Wirklichkeitsmodells einer Gesellschaft. Wenn Kultur also das ist, was sich für eine<br />
gewisse Gesellschaft 'gehört', dann wäre Kunst eher genau die Brechung (oder<br />
zumindest die Hinterfragung) dieses Verhaltens-Programms (wobei damit kein<br />
normativer Kunst-Begriff eingeführt werden soll, der Kunst immer schon als Anti-<br />
Programm zur gängigen Kultur definieren will).<br />
Das, was in der kulturellen Dynamik im Untergrund ist, also die Sub- oder Gegenkultur,<br />
wird oft als Kunst bezeichnet. Kulturen, und insbesondere dann Medienkulturen, lassen<br />
sich generell anhand des Differenzschemas von Main und Sub beobachten (vgl. jüngst<br />
JACKE 2004). Die Sub-Kultur ist gleichsam oft Ort der Schnittmenge (also: Interface)<br />
zwischen Kultur und Kunst: Kunst als Differenzprogramm zum Mainstream.<br />
Reden wir von kultureller Bildung, dann meinen wir also – zumindest in der<br />
konstruktivistischen Interpretation – Bildungsprogramme für Kulturprogramme, also<br />
eigentlich: Programme zur Vermittlung von Programmen. "Kulturelle Bildung" und<br />
"Kunstausbildung" sind somit keinesfalls deckungsgleich, sondern eher in einer<br />
produktiven Spannung zu denken. Diese Differenz zwischen Kultur und Kunst erscheint<br />
mir nicht unwesentlich für weitere, analytisch geschärfte Debatten.<br />
• Die (Massen-)Medien unterscheiden sich von der Kunst insofern, als erstere in<br />
stark steigendem Maße radikalen ökonomischen Imperativen gehorchen. Viele<br />
empirische Studien der vergangenen Jahre belegen deutlich, dass es kaum noch Medien<br />
gibt, die nicht ausnahmslos von kommerziellen Erwägungen gesteuert wären. Kunst und<br />
Kommerz befinden sich seit jeher in einem Reibungsverhältnis, wenngleich es auch hier<br />
mit Werbung, Mode und Design eine Schnittmenge gibt, bei der sich die Ränder<br />
zwischen dem Kunstsystem und dem Wirtschaftssystem entgrenzen. Die Existenz eines<br />
Kunstmarktes (bzw. seine zunehmende Dominanz) soll mit diesem<br />
Differenzierungsvorschlag freilich ebenfalls nicht bestritten werden. 25<br />
• "Medienkunst" wäre dann ganz simpel jene Kunst, die sich der modernen<br />
(tendenziell digitalen) technischen Apparate bedient. Zu denken wäre aber auch an<br />
Kunst in oder mit Hilfe von Massenmedien. Die apparathaft-technikzentrierte Definition<br />
von Medienkunst ist oft kritisiert worden (vgl. etwa RECK 1999, 123). Medienkunst<br />
nicht über die verwendeten Technologien, sondern über die Inhalte zu definieren,<br />
erscheint mir indes noch viel schwieriger. Es gibt interaktive Computergraphiken, die<br />
25<br />
Zu einer konstruktivistischen Analyse des Kunstsystems im Kontext von Medienwirklichkeiten<br />
und Kunstmarkt vgl. auch SCHMIDT 1987.
74<br />
Pflanzen darstellen – wäre dies dann keine Medienkunst? Und umgekehrt wäre an ein<br />
klassisches gemaltes Tafelbild zu denken, das einen User vor einem Computer darstellt<br />
– ist das dann Medienkunst?<br />
Wie in Abschnitt 5.2 ansatzhalber gezeigt wurde, sollen mit einem relativ engen<br />
Medienbegriff, der im Wesentlichen deckungsgleich mit den technischen<br />
Verbreitungsmedien – wie Luhmann sie bezeichnet – bzw. den Massenmedien ist,<br />
gewisse Aporien und argumentative Unschärfen vermieden werden. Sind ein Film und<br />
eine Fotografie nun Medienkunst oder nicht? Im Lichte der präsentierten definitorischen<br />
Entscheidungen wäre dies jeweils zu bejahen.<br />
Was unterscheidet (Medien-)Kunst also von (Medien-)Kultur und (Medien-)Ökonomie?<br />
Wem die präsentierten Definitionen zu spröde sind: Das zu Beginn dieses Essays<br />
erwähnte Zitat aus "Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit" birgt ebenfalls die<br />
Antwort in sich.<br />
5.5 Theorie – Technik – Praxis<br />
Kunstausbildung über Medien ist nicht immer zwangsläufig auch Kunstausbildung mit<br />
Hilfe von Medien: Der Einsatz der neuen und neuesten Medien ist in der<br />
Kunstausbildung noch kaum verankert. E-Learning oder Blended Learning machen im<br />
Kontext einer Kunstausbildung, bei der es – zumindest im Kontext der neuen Medien –<br />
auch fast immer um Team- und Projektorientierung geht, auch wenig Sinn, weil<br />
virtuelle Lernformen vor dem PC (auf CD-ROM, DVD oder im Web) erst recht wieder<br />
Individualisierungs-Tendenzen stärken und soziale Prozesse tendenziell ausklammern.<br />
Dies bedeutet, dass Kunstausbildung über die neuen Medien bis auf weiteres an<br />
klassische Face-to-Face-Lehr- und Lernsituationen wie Vortrag, Seminar oder<br />
Workshop gebunden sein wird. <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> hat diese These wohl<br />
bestätigt.<br />
In Bezug auf die Vermittlung der komplexen technischen Kompetenzen stellte <strong>Artlab</strong>:<br />
<strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> die nicht unschwierige Frage, wie diese am besten zu bewältigen sei.<br />
Diese Frage wird im Übrigen nicht nur in der Kunstausbildung, sondern auch in der
75<br />
Medien- und Kommunikationswissenschaft derzeit rege diskutiert. 26 Die<br />
Themenkomplexe sind erstaunlich ähnlich:<br />
• Zunächst geht es um den Stellenwert von Theorie: Brauchen wir überhaupt noch<br />
Theorien (in diesem Fall: Medientheorien, Kunsttheorien, Techniktheorien), oder ist<br />
einer Diagnose des amerikanischen Literaturwissenschaftlers Stanley Fish zu folgen,<br />
wonach sich Theorieproduktion längst in heiße Luft, in belanglosen 'theory talk'<br />
aufgelöst habe? Ist am Ende Theorie bereits zum reinen 'bullshit' (Harry Frankfurt)<br />
geworden?<br />
Die Frage ist freilich differenziert nach dem jeweiligen Abstraktionsgrad von Theorie<br />
zu beantworten: Das Spektrum reicht von einem Verständnis von 'Theorie', das lediglich<br />
jenes Wissen umfasst, das der anschließenden Praxis vorgeschaltet ist, bis zu Makround<br />
Supertheorien wie Systemtheorie oder Dekonstruktion. – An dieser Stelle wäre ein<br />
Plädoyer abzugeben für Theoriekompetenz als Fähigkeit zum analytischen,<br />
differenzierenden und logisch konsistenten Denken. Theoriekompetenz bedeutet auch,<br />
einem allzu freien Flottieren der Begriffe, einem postmodernen Schwadronieren und<br />
Begriffs-Wirrwarr Struktur und Konsistenz entgegen zu setzen. Diese Fähigkeit<br />
erscheint gerade im gegenwärtigen Zeitalter einer zunehmenden Verflachung von<br />
Inhalten und Trivialisierung von Zusammenhängen unerlässlich.<br />
• Zweitens geht es um den Stellenwert von Technik. Da auf Grund von immer<br />
rascheren neuen Erfindungen die digitale Technik zunehmend 'eigensinniger' wird (vgl.<br />
JOKISCH 1999), ja bereits zu Recht von einer 'Eigenwelt der Apparatewelt' (Peter<br />
Weibel) gesprochen werden kann, ist Technikkompetenz meines Erachtens ebenso<br />
unumgänglich wie Theoriekompetenz. 27 Technik sollte nicht zunehmend autopoietisch<br />
abgeschotteten Techno-Freaks überlassen werden; ihre zumindest basale Kenntnis ist<br />
heute wohl Voraussetzung für Künstler wie für Medientheoretiker, die direkt oder<br />
indirekt mit den neuen Technologien zu tun haben.<br />
• Drittens geht es um den Stellenwert der Praxis. In einem Idealmodell bleibt<br />
(künstlerische wie etwa medienwissenschaftliche) Ausbildung nicht bei der<br />
26<br />
Siehe etwa auch die Ausgabe 1/2004 "Medien.Transformationen. Technik und<br />
Theoriekompetenz" der Fachzeitschrift "Medien Journal".<br />
27<br />
Der ideale Theoretiker ist zugleich Ingenieur und Tüftler (siehe Friedrich Kittler). Dies kann<br />
freilich nicht jeder leisten. Eine Kenntnis der Innenwelt der Technik, ihrer Schaltungen sowie der<br />
Computerprogramme beeinflusst freilich die Theoriebildung. Im Zuge von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong><br />
stand in dem Kompakt-Seminar mit Peter Dittmer deshalb auch ein 'Aufschrauben' des PCs auf dem<br />
Programm, um sein Innenleben kennen zu lernen. Vgl. in diesem Kontext auch MANFÉ 2004.
76<br />
vorgeschalteten Theorie (beim geistigen Überbau) und bei der anschließenden<br />
Vermittlung von technischen Basics stehen, sondern das dritte und entscheidende<br />
Ausbildungs-Mosaik muss der Anwendungs-Kontext sein (dieser kann objekt- oder<br />
prozessorientiert sein). Die empirische Realität der Anwendung bzw. Praxis hat dann<br />
ihrerseits eine Rückkopplung auf die Theorie, d.h. die empirische Realität beeinflusst<br />
die theoretischen Prämissen.<br />
Erst diese drei Faktoren im Zusammenspiel führen zu einer adäquaten, umfassenden<br />
Ausbildungs-Situation. – Für die Medien- und Kommunikationswissenschaft wäre die<br />
Triade von Theorie, Technik und Praxis rekonfiguriert zu denken als Regelkreis von<br />
Theorie, Empirie, Method(ologi)e (= 'Technik') und Praxis:<br />
(Quelle: WEBER 2001b, 177)<br />
Der Vermittlung von Methodenkompetenz, die in der Medien- und<br />
Kommunikationswissenschaft ebenfalls immer wichtiger wird, entspräche die<br />
Vermittlung von Technikkompetenz im Rahmen einer (medientechnisch orientierten)<br />
Kunstausbildung. Im idealtypischen Modell einer derartigen Kunstausbildung ginge<br />
kein Bereich zu Lasten eines anderen. Die drei Segmente Theorie, Technik und Praxis<br />
wären vielmehr gleichberechtigt zueinander relationiert:
77<br />
Elemente einer Kunstausbildung<br />
KUNSTWISSENSCHAFT<br />
KRITISCHE GESELLSCHAFTSTHEORIE(N)<br />
Objekt-<br />
Orientierung<br />
THEORIE<br />
PRAXIS<br />
PHILOSOPHIE<br />
ÄSTHETIK<br />
ERKENNTNISTHEORIE(N)<br />
TECHNIK<br />
Prozess-<br />
Orientierung<br />
‚Alte‘ Medien/<br />
analoge Medien<br />
‚Neue‘ Medien/<br />
digitale Medien<br />
Eigene Systematik (Weber 2004)<br />
Freilich ist kritisch festzuhalten, dass <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> diesen Anspruch einer<br />
paritätischen Verteilung von Theorie, Technik und Praxis nicht immer 1:1 erfüllt hat:<br />
Immer wieder stand auch die Vermittlung technischer Kompetenzen in einem etwas<br />
luftleeren Raum, was aber in Anbetracht der Unmöglichkeit eines Anschlusses an<br />
bisherige Erfahrungen relativ unvermeidlich war. In einigen Fällen kam auch die<br />
Dimension der Praxis-Anwendung zu kurz, d.h. bei mehr Zeit oder Kontinuität wären<br />
auch mehrere und qualitativ noch überzeugendere künstlerische Projekte und Produkte<br />
zustande gekommen.<br />
Dennoch ist anzumerken, dass mit <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> der Versuch<br />
unternommen wurde, im Rahmen eines Modellversuchs eine adäquate Platzierung der<br />
didaktischen Vermittlung von Technik-Kompetenzen im geschilderten Kontext zu<br />
erreichen. Neben einem Schwerpunkt auf Bewegtbild, also auf dem Film – in<br />
Kontrastfolie zum klassischen Tafelbild –, lag ein weiterer Schwerpunkt auf dem Netz.<br />
Und das Netz ist gleichsam auch Teleologie bzw. Fluchtpunkt der möglichen weiteren<br />
Medien-Evolution. Ihm ist deshalb der abschließende Abschnitt gewidmet.
78<br />
5.6 Fluchtpunkt: Das Netz<br />
Es gibt gegenwärtig keine Theorie des Netzes. Man kann zwar Spurenelemente – vom<br />
frühen Systemtheoretiker Ludwig von Bertalanffy über Michel Serres bis zu Manuel<br />
Castells – zusammentragen und versuchen, diese für eine Theorie des Netzes und der<br />
Netzmedialität fruchtbar zu machen, kommt damit aber über ein Flickwerk von Theorie-<br />
Ansätzen kaum hinaus. Ein möglicher Zugang zu einer Theorie des Netzes wäre der<br />
Ausgangspunkt bei den Begrifflichkeiten von Knoten (nodes) und Fäden (threads). Im<br />
Rahmen von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> wurde versucht, das Netz nicht nur<br />
technologisch zu verstehen, sondern auch als soziales Netzwerk (etwa im Vortrag von<br />
Dr. Helmut Kohlenberger). 28 Die Zusammenführung von computertechnologischen<br />
Netzen (Internet/WWW), sozialen Netzen sowie Kybernetik, Systemtheorie und<br />
Informationstheorie war dabei ein besonderes Anliegen von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong>.<br />
Die aus dem amerikanischen Funktionalismus hervorgegangenen Theorien der<br />
Kybernetik erster und zweiter Ordnung (Norbert Wiener, Heinz von Foerster) wurden<br />
dabei als Nährboden für die spätere (R)evolution des Netzes interpretiert. Insbesondere<br />
die Nähe zum Militär sollte dabei explizit gemacht werden.<br />
Eine kritische Auseinandersetzung mit 'dem Netz' im Rahmen der Kunst setzt allerdings<br />
die Begriffsklärung voraus, welche Ebene wir nunmehr mit 'dem Netz' adressieren (oder<br />
wir verwenden den Begriff gleichsam holistisch als Metapher für manifeste und latente<br />
Netzwerke). Ein möglicher Anknüpfungspunkt zu einer medientheoretisch<br />
hinreichenden Differenzierung des Netzbegriffs ist der neuere soziokulturelle<br />
Konstruktivismus Siegfried J. Schmidts. Dieser Theorie zufolge entsteht Wirklichkeit<br />
poietisch im kybernetischen Regelkreis von Kognition, Kommunikation, Medien und<br />
Kultur:<br />
28<br />
Zum Zusammenhang von Vernetzung und Erlösungshoffnungen vgl. des weiteren PAZZINI<br />
1999, 50.
79<br />
(Quelle: SCHMIDT 2000, 98)<br />
Wenn wir in dieser Weise einmal zwischen Kognition, Kommunikation, Medien und<br />
Kultur unterschieden haben, dann legt dies nahe, zumindest die Begriffe<br />
Netzkommunikation(en), Netzmedien und Netzkultur(en) mit jeweils hinreichendem<br />
Abstraktionsgrad und möglichen empirischen Referenten einzuführen:
80<br />
(Quelle: WEBER 2001a, 45)<br />
"Netzmedien" würde dann den genuin technischen Bereich umfassen, der von<br />
Netzkulturen, Netzkommunikationen, Netzgemeinschaften und Netzgesellschaften<br />
abgrenzbar wäre. Damit wird eine Differenzierung in technische und soziokulturelle<br />
Netzphänomene geleistet, die aber nicht ausschließt, dass im Anschluss daran wieder<br />
Zusammenführungen, Konvergenzen und Parallelisierungen gesehen werden können.<br />
Für die aktuelle Medienkunst stellt die Kunst im Netz und über das Netz eine zentrale<br />
Herausforderung dar. Oft hört man, im Zuge der zunehmenden Kommerzialisierung des<br />
Internets seien Web-Art oder Netzkunst verschwunden. Es gibt jedoch einen immer<br />
noch lebendigen Kunst-Untergrund im Netz (vgl. etwa den Überblick von<br />
FASSLER/HENTSCHLÄGER/WIENER 2003), der durch neue Content-Management-<br />
Systeme wie Wikis oder Weblogs bereits wieder neue technische Devices zur<br />
Konstruktion von Netz-Wirklichkeiten zur Verfügung gestellt bekommt. Web-<br />
Streaming-Projekte (beispielhaft etwa die Webcastings von Station Rose, vgl.<br />
STATION ROSE 2000) stehen auf Grund der immer noch niedrigen Bandbreiten erst<br />
am Anfang, und auch E-Mail-Kunst steckt immer noch in den Kinderschuhen.
81<br />
Kunst am Puls der Zeit, Kunst an der Front der letzten technologischen Entwicklung<br />
sieht sich freilich immer der Gefahr ausgesetzt, zum bloßen affirmativen Annex von<br />
High-Tech-Industrie, Computerkonzernen oder Genlabors zu werden. Ein kritischsubversiver<br />
Umgang mit den neuen Technologien scheint daher unumgänglich, aber<br />
einmal mehr sei erwähnt: dieser setzt die technologische Beherrschung voraus.<br />
***<br />
Seit Jahrhunderten wird vieles totgesagt: die Wissenschaft, die Kunst, der Autor, das<br />
Original, das Subjekt. Peter Weibel hat einen Aufsatz mit dem Titel "Transformationen<br />
der Techno-Ästhetik" so schön beschlossen, und im Rahmen von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong><br />
<strong>1–x</strong> möchten wir uns diesem Schluss ohne weiteren Kommentar anschließen:<br />
"Wo das Ende der Kunst, des Schönen, des Wissens, der Wahrheit, der Natur, der<br />
Geschichte ständig angerufen wird, handelt es sich [...] nur um das Ende ihrer<br />
historischen Diskursformen. In Wirklichkeit beginnt erst alles." (WEIBEL 1991, 246)
82<br />
6. Anhang 3: Statements des Studierenden N.N. zu <strong>Artlab</strong><br />
Liebe (ehemalige) Studierende!<br />
Im Auftrag der HfBK Dresden bereite ich derzeit einen <strong>Abschlussbericht</strong> an die BLK<br />
über den dreijährigen Modellversuch <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> textlich auf. Ich würde<br />
gerne in den Bericht schriftliche Statements der Studierenden einbauen, die sich mit der<br />
folgenden zentralen Frage beschäftigen:<br />
Wie haben Sie von der Ausbildung im Rahmen von <strong>Artlab</strong> profitiert? – Und zwar<br />
nach den vier Kategorien<br />
1) PERSÖNLICH (persönliche Weiterentwicklung)<br />
2) SOZIAL (neue Kontakte, Mentoring, Networking...)<br />
3) TECHNISCH (neue technische Kompetenzen)<br />
4) KREATIV-KÜNSTLERISCH (neue Ausdrucksweisen, Themen und Inhalte)<br />
Spezifizierung:<br />
1) Erfahrungsgemäß ändern sich in der Kunst (wie in der Wissenschaft)<br />
Sichtweisen auf die und Einstellungen zur Welt. Wie haben Sie sich in den<br />
vergangenen drei Jahren (weiter)entwickelt? Ich lade Sie auch gerne ein, diese<br />
Frage als Chance zur Selbstreflexion zu sehen.<br />
Bezogen auf meine künstlerische Tätigkeit in der Projektklasse hat sich mein<br />
Schwerpunkt mehr auf eine Arbeit mit dem Medium Video verlagert. Was aber<br />
natürlich auch der Grund war, warum ich mich für den Wechsel von der<br />
Bildhauerei in die Projektklasse entschieden hatte. Da meine bildhauerische<br />
Arbeit schon immer konzeptuell ausgerichtet war, zu einem großen Teil<br />
computergestützt ist und sich in den letzten Jahren auf das Medium Video<br />
ausgeweitet hat, war die Entscheidung für die Klasse von Prof. Dammbeck nicht<br />
schwer.<br />
Ich hatte zwar schon vor dem offiziellen Wechsel in die Projektklasse einige<br />
Seminare und Workshops der Klasse besucht, die natürlich auch für alle<br />
anderen Klassen zugänglich waren, doch ab 2002 konnte ich diese noch<br />
intensiver nutzen, was mir vor allem weitere Fertigkeiten mit den „Neuen<br />
Medien“ verschaffte. Daraus resultierte allerdings nicht eine direkte<br />
Veränderung meiner Sichtweise auf die Welt, man könnte es allerdings als einen<br />
Zugewinn von Erfahrungen bezeichnen, der aus den vielen Gesprächen mit den<br />
meist sehr interessanten Referenten und Kursleitern entstand. Diese sind aber<br />
nur in gewisser Weise direkt mit einem medialen Weltverständnis in<br />
Zusammenhang zu bringen, sie bezogen sich oftmals eher auf eine allgemeinere<br />
Einstellung zur Welt.<br />
2) Welche neuen (und u.U. interessanten oder für Sie wichtigen) Menschen haben<br />
Sie kennen gelernt? Welche Kontakte haben Sie insbesondere im Rahmen der<br />
"<strong>Medienhöhle</strong>n", der Seminare und der Workshops geknüpft? Und was haben<br />
Ihnen diese Kontakte gebracht?
83<br />
Ihnen diese Kontakte gebracht?<br />
Allgemein steht das wohl schon unter Punkt 1). Konkret kann ich einige<br />
Beispiele nennen, wo sich aus manchen Seminaren dauerhafte Kontakte<br />
entwickelt haben, nicht nur in fachlicher Hinsicht, also was gelegentliche<br />
Rückfragen und Hilfestellung bei späteren Projekten betrifft, sondern auch<br />
freundschaftliche Beziehungen und gegenseitiges Interesse an der<br />
künstlerischen Arbeit, das besteht unter anderem hauptsächlich in meinem Fall<br />
mit Peter Dittmer (Affären mit Apparaten) und mit Holger Lippmann<br />
(Flashkurs). Was mir die Kontakte gebracht haben, karrieristisch? Nun, in<br />
erster Linie sind die Kursleiter auch nach dem Workshop immer offen für<br />
weitere Fragen und Hilfestellungen, außerdem auch für weitergehende<br />
fachfremde Gespräche offen und zeigen durchaus reges Interesse für die eigene<br />
Arbeit. Ich könnte aber nun nicht behaupten, dass es irgendwelche konkrete<br />
Vernetzung oder Support für Ausstellungsmöglichkeiten oder ähnliches gegeben<br />
hätte, was aber auch sicherlich nicht Sinn der Sache war.<br />
3) Welche neuen technischen Kompetenzen haben Sie sich in den vergangenen drei<br />
Jahren angeeignet? Im Rahmen von <strong>Artlab</strong>: <strong>Medienhöhle</strong> <strong>1–x</strong> wurden ja<br />
zahlreiche Veranstaltungen angeboten – vom Animationsfilm bis zum<br />
Webdesign. Was haben Sie absolviert, und inwiefern haben Sie die neu erlernten<br />
Techniken/Technologien für Ihre Belange sinnvoll einsetzen können?<br />
Wie gesagt habe ich unter anderem eine allgemeine Auseinandersetzung mit<br />
computergestützter Kunst im Falle Peter Dittmers erfahren, Grundzüge der<br />
Programmierung mitbekommen und mich auf weitere<br />
Programmiermöglichkeiten vorbereiten können. Da der Kurs recht breit<br />
angelegt war – von Internetprogrammierung und einfacher<br />
Basicprogrammierung bis hin zu komplexen Sprachen wie Delphi –, war es<br />
leider nicht möglich, von allem so viel mitzunehmen, wie vielmehr einen breiten<br />
Einblick zu erlangen.<br />
Der Flashkurs war im Besonderen in meinem Falle sehr interessant, da ich<br />
schon vorher und immer noch in diesem Programm arbeite, sowohl in Richtung<br />
einfacher Programmierung mit Action-Script, aber ich nutze dieses<br />
Anwenderprogramm auch für einfache Animationen, webbasiert wie auch für<br />
Videoarbeiten. Außerdem waren natürlich die Schnittseminare sehr hilfreich,<br />
die eigentlich eine Grundlage einer Medienklasse bilden müssten.<br />
4) Die wahrscheinlich zentrale Frage: Inwiefern haben sich in den vergangenen<br />
drei Jahren Ihre Kreativität und Ihre künstlerischen Zugänge verändert? Haben<br />
Sie das Spektrum der (Medien-)Techniken auch für Ihre persönliche Arbeit<br />
erweitern können, und hatte dies eventuell auch Auswirkungen auf die Inhalte<br />
und Themenstellungen? Wie haben sich diese verändert – in Abhängigkeit oder<br />
auch Unabhängigkeit von den Techniken?<br />
Ich denke nicht, dass sich durch die Medienklasse allzu viel an meinen<br />
künstlerischen Zugängen verändert hat, es war vielmehr eine fruchtbare<br />
Plattform, um manche technischen und inhaltlichen Auseinandersetzungen zu<br />
führen und diese zu unterstützen. Es ist ja auch so, zumindest in meinem Fall,<br />
dass es schon einen gewissen Zugang zu einer Arbeitsweise mit den Medien gab,<br />
der dann natürlich vertieft werden kann, oder eben technisch und theoretisch<br />
weiterentwickelt werden kann. Es ist natürlich so, dass man neue Techniken
84<br />
führen und diese zu unterstützen. Es ist ja auch so, zumindest in meinem Fall,<br />
dass es schon einen gewissen Zugang zu einer Arbeitsweise mit den Medien gab,<br />
der dann natürlich vertieft werden kann, oder eben technisch und theoretisch<br />
weiterentwickelt werden kann. Es ist natürlich so, dass man neue Techniken<br />
kennen lernt und so manche künstlerische Ansätze auf eine andere<br />
medienspezifische Weise umsetzen kann, was nun meist nicht so sehr den Inhalt<br />
angeht, wenn man nicht gerade davon überzeugt ist, dass das Medium die<br />
Botschaft ist. Ich denke, diese Fragen haben für eine Medienklasse immer eine<br />
überbewertete Bedeutung, denn es verhält sich nun bei mediengestützter Kunst<br />
nicht anders als bei Malerei und Bildhauerei. Was zählt ist, ob jemand etwas zu<br />
sagen hat und wie das formuliert werden kann, das andere sind handwerkliche<br />
Techniken, die an sich natürlich eine gesellschaftliche und damit künstlerische<br />
Bedeutung haben, aber niemand würde einen Bildhauer fragen, ob der<br />
Bronzeguss-Workshop die künstlerischen Zugänge verändert hat. Also ich<br />
möchte nicht behaupten, dass das technische Werkzeug nicht relevant sei und<br />
durchaus Teil der künstlerischen Auseinandersetzung, aber möchte doch der<br />
oftmals allzu großen Bedeutung widersprechen, der dieser künstlerischen<br />
Produktion anheim gelegt wird. Es ist nun mal so, dass sich Gesellschaft<br />
verändert, Bilder auch anders produziert werden als nur mit Farbe und Pinsel,<br />
das ist ganz normal, dass Computer oder Videokameras benützt werden – und<br />
dennoch handelt es sich eben immer noch um Bilder.<br />
Ich darf Sie dazu einladen, mir diese Fragen bis spätestens Mittwoch, 15. September<br />
2004, zu beantworten. Bitte benutzen Sie wenn möglich Word und attachen Sie einfach<br />
das File ihrem Reply-Mail an cyberwriter@utanet.at. Sie können pro Kategorie bis zu<br />
einer halben Seite antworten, d.h. das ganze Dokument sollte nicht länger als zwei<br />
Seiten sein (ca. 6.000 Zeichen inkl. Leerzeichen). Ihre Statements werden dann in den<br />
Bericht integriert (wenn Sie dies wünschen, gerne auch anonym).<br />
Für Rückfragen zum <strong>Abschlussbericht</strong> bin ich auch telefonisch erreichbar unter<br />
0043 – 662 – 45 10 10.<br />
Vielen Dank für Ihre Mitarbeit!<br />
PS: Sollten Sie auf Urlaub oder offline sein und dieses Mail zu spät lesen, bitte schicken<br />
Sie mir dennoch ein kurzes Reply! Danke.<br />
>>>>>>><br />
Dr. Stefan Weber Medienwissenschaftler<br />
Aktuelles Buch: (Hg.) <br />
http://www.uvk.de/db/detailk.asp?WKorbUID=46556891&TITZIF=1227<br />
http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3825224244/<br />
NEU 2005: (UVK)<br />
>>>>>>>
85<br />
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