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Der kampf der nichtraucher gegen die raucher

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Kultur<br />

Lifestyle<br />

500 Jahre Tabakkonsum: Vom Genussmittel zur Droge<br />

<strong>Der</strong> Kampf <strong>der</strong><br />

Nicht<strong>raucher</strong> <strong>gegen</strong><br />

<strong>die</strong> Raucher<br />

Historisch betrachtet ist <strong>die</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung zwischen den Befürwortern<br />

und Gegnern so alt, wie <strong>die</strong> Entdeckung des Tabaks für das Abendland selbst.<br />

In allen Kulturkreisen wurde mit harten Bandagen <strong>gegen</strong> das Rauchen mobil<br />

gemacht. In <strong>der</strong> neuesten Geschichte des Nicht<strong>raucher</strong>krieges erscheint Adolf<br />

Hitler heute mo<strong>der</strong>ner, als vielen lieb sein kann.<br />

von Oliver Pohl<br />

Wirtschaft im Alpenraum • April 2007<br />

217


Kultur<br />

Lifestyle<br />

Als sich <strong>der</strong> zweite.<br />

Weltkrieg im Sommer<br />

1941 an <strong>der</strong><br />

Heimatfront immer schwieriger<br />

als großer deutscher<br />

Triumphzug verkaufen ließ,<br />

zog Reichspropagandaminister<br />

Goebbels, einer <strong>der</strong><br />

wenigen Raucher unter den<br />

führenden Nazis, <strong>die</strong> Konsequenzen.<br />

Dem deutschen<br />

Landser an <strong>der</strong> Front das<br />

Rauchen zu vermiesen, war<br />

nur mehr stark abgeschwächt<br />

angesagt. Adolf Hitlers Feldzug<br />

<strong>gegen</strong> <strong>die</strong> Raucher<br />

musste hinter höheren Zielen<br />

zurückstecken. Die Mobilisierungswirkung<br />

<strong>der</strong> Anti-<br />

Raucher-Kampagne <strong>der</strong> Nazis<br />

unter ihrem alle Raucher<br />

zutiefst verachtenden Führer<br />

war wie <strong>die</strong> Kriegsmaschinerie<br />

ins Stocken geraten. Noch<br />

bis 1934 verkaufte <strong>die</strong> SA <strong>die</strong><br />

eigenen Zigarettenmarken<br />

„Sturm“, „Trommler“ o<strong>der</strong><br />

„Alarm“, um sich zu finanzieren<br />

und sahnte damit dick<br />

ab.<br />

Ab 1934 war auf obersten Befehl<br />

hin damit Schluss. Rauchen wurde als<br />

Laster „min<strong>der</strong>er Rassen“ gebranntmarkt.<br />

Für Hitler stellte Rauchen das Aufnehmen<br />

von „Rassengift“ in den eigenen Körper<br />

dar. „Die Nazis fürchteten kleinste Wirkstoffe,<br />

<strong>die</strong> den Volkskörper infiltrierten,<br />

wie beispielsweise Asbest, Blei, Arsen,<br />

Quecksilber und Tabak genauso wie Juden<br />

und Zigeuner“, stellt <strong>der</strong> amerikanische<br />

Wissenschaftshistoriker Robert N. Prokter<br />

fest. In seinem Buch „Blitzkrieg <strong>gegen</strong> das<br />

Rauchen“ hat Procter, <strong>der</strong> in den USA<br />

in mehreren Gerichtsverfahren <strong>gegen</strong> <strong>die</strong><br />

Tabakindustrie als Sachverständiger auftrat,<br />

<strong>die</strong> historischen Leistungen deutscher<br />

Mediziner bei <strong>der</strong> Untersuchung des Zusammenhangs<br />

zwischen Rauchen und<br />

Lungenkrebs gewürdigt.<br />

Kampf dem „Rassengift“. Noch 1941<br />

hatte Hitler <strong>die</strong> Muße gefunden, aus <strong>der</strong><br />

Reichskasse 100.000 Reichsmark für <strong>die</strong><br />

Gründung des „Instituts zur Erforschung<br />

<strong>der</strong> Tabakgefahren“ in Jena zu überweisen.<br />

Unter dem Rektor und SS-Mann Karl<br />

Astel, <strong>der</strong> dafür bekannt war, Studenten<br />

<strong>die</strong> Zigaretten aus dem Mund zu reißen,<br />

218<br />

<strong>Der</strong> fanatische Nicht<strong>raucher</strong> Hitler wollte Tabak-Endlösung:<br />

Große Ängste vor „Verschmutzung“ und „Kontaminierung“.<br />

wurde daran gearbeitet, den Nachweis<br />

von Rauchen und Krebs zu führen. Schon<br />

1939 hatte <strong>der</strong> junge Kölner Mediziner<br />

Franz Hermann Müller in seiner Dissertation<br />

erstmals durch pathologische Fallstu<strong>die</strong>n<br />

und <strong>die</strong> Anwendung epidemiologischer<br />

Methoden einen Zusammenhang<br />

zwischen Rauchen und Lungenkrebs<br />

hergestellt. Fritz Lickint versuchte den<br />

Nachweis zu führen, dass Tabakrauch auch<br />

Nicht<strong>raucher</strong> beeinträchtigt und prägte<br />

den Begriff des Passivrauchens lange bevor<br />

er populär wurde.<br />

Adolf Hitler hatte in seiner Jugend selbst<br />

bis zu 40 Zigaretten geraucht. 1919 beschloss<br />

er von einem Tag auf den an<strong>der</strong>en<br />

damit aufzuhören. Er warf <strong>die</strong> Zigaretten,<br />

<strong>die</strong> er bei sich führte, kurzer Hand in <strong>die</strong><br />

Donau und rührte nie mehr eine an. Erst<br />

dadurch sei es ihm möglich gewesen, wie<br />

Hitler selbst gerne erzählte, den Aufstieg<br />

des Nationalsozialismus und <strong>die</strong> „Wie<strong>der</strong>geburt<br />

Deutschlands“ voranzutreiben. <strong>Der</strong><br />

Tabak war für ihn, wie in seinen „Tischreden“<br />

nachzulesen ist, <strong>die</strong> Rache des roten<br />

Mannes, weil ihm <strong>der</strong> weiße Mann den<br />

Wirtschaft im Alpenraum • April 2007<br />

Schnaps brachte und ihn damit<br />

zugrundegerichtet hätte.<br />

Die Nazis sahen das „Rassenproblem“,<br />

wie Wissenschaftshistoriker<br />

Prokter analysiert, als<br />

Problem <strong>der</strong> „Verschmutzung“<br />

und „Kontaminierung“. Rauchen<br />

konnte damit in Hitlers<br />

Reich keine Privatsache sein.<br />

Die Deutschen waren in den<br />

1930er Jahren aufgrund des Gesundheits-<br />

und Reinheitswahns<br />

ihres Führers <strong>die</strong> meist geröngte<br />

Bevölkerung weltweit. Für<br />

den Kanzler des 1000-jährigen<br />

Reichs wäre es nach eigener<br />

Einschätzung sogar möglich gewesen,<br />

den Staat ohne Juristen<br />

und Buchhalter zu führen, aber<br />

nicht ohne Mediziner.<br />

Die Nazis erfanden das Nicht<strong>raucher</strong>abteil<br />

in den Zügen,<br />

verboten Zigarettenautomaten<br />

und schränkten <strong>die</strong> Tabakwerbung<br />

massiv ein. Untersagt war<br />

es in <strong>die</strong>sem Zusammenhang<br />

Sportler abzubilden, sexuelle<br />

Bezüge herstellende Bil<strong>der</strong> zu<br />

verwenden o<strong>der</strong> Frauen abzubilden.<br />

Hohe Tabaksteuern gehörten<br />

auch damals schon zum<br />

Repertoire im Kampf <strong>gegen</strong> das Qualmen.<br />

Zeitschriften wie „Reine Luft“ o<strong>der</strong><br />

„Auf <strong>der</strong> Wacht“ warben im Rahmen aggressiver<br />

Aufklärungskampagnen für <strong>die</strong><br />

Rauchfreiheit. Erstmalig wurden rauchfreie<br />

Zonen in Postämtern o<strong>der</strong> Parteibüros<br />

eingerichtet und in Friedenszeiten<br />

wäre Hitler noch viel weiter gegangen.<br />

Anscheinend nur wi<strong>der</strong>willig ließ sich<br />

<strong>der</strong> Prophet des Endsieges überreden, den<br />

deutschen Soldaten das Rauchen nicht zu<br />

verbieten. 1944 verfügte Hitler seine letzte<br />

Maßnahme <strong>gegen</strong> <strong>die</strong> Raucher: Er verbot<br />

das Rauchen in den Straßenbahnen.<br />

An<strong>der</strong>es galt für <strong>die</strong> Frauen, <strong>die</strong> für möglichst<br />

viele Geburten für das Reich sorgen<br />

sollten. Sie waren <strong>die</strong> Hauptzielgruppe <strong>der</strong><br />

Nicht<strong>raucher</strong>-Kampagnen. „Die deutsche<br />

Frau raucht nicht!“, lautete <strong>die</strong> Losung.<br />

Von beson<strong>der</strong>em Erfolg waren <strong>die</strong> Anstrengungen<br />

<strong>der</strong> Nazis <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

das Rauchen auszutreiben, allerdings nicht<br />

gekrönt. Die angestrebte und auch so bezeichnete<br />

„Endlösung <strong>der</strong> Tabakfrage“<br />

blieb ein nationalsozialistisches Hirngespinst.<br />

Die Zahl <strong>der</strong> Raucher stieg tatsäch-


Kultur<br />

Lifestyle<br />

Amerikanische Sieger als Hoffnungsträger und Symbol für <strong>die</strong> Rauch-Freiheit:<br />

Ein Drittel <strong>der</strong> Lebensmittel aus dem Marshall-Plan war Tabak aus Virginia.<br />

lich in den Kriegszeiten weiter an.<br />

Verbote ohne Einfluss auf Konsum.<br />

In seine Analyse von den sich rächenden<br />

Indianern hätte Hitler nach dem Krieg<br />

mit Sicherheit auch <strong>die</strong> weißen Amerikaner<br />

eingeschlossen. Denn ein Drittel des<br />

Lebensmittelanteils des Marshall-Plans<br />

aus den USA bestand aus Tabak für <strong>die</strong><br />

Deutschen. Aus <strong>die</strong>ser Zeit soll auch <strong>die</strong><br />

Herstellung <strong>der</strong> Verbindung zwischen<br />

Freiheit und Rauchen stammen, wie Werbekritiker<br />

anmerken. Die Überwindung<br />

<strong>der</strong> Nazi-Diktatur offenbarte sich in <strong>der</strong><br />

Möglichkeit des uneingeschränkten Rauchens.<br />

Zigaretten wurden zum Gel<strong>der</strong>satz<br />

und durch <strong>die</strong> rationierte Zuteilung an<br />

<strong>die</strong> Bevölkerung zum Tauschmittel. Den<br />

Krieg gewannen <strong>die</strong> überzeugten Raucher<br />

Winston Churchill, Theodor Roosevelt<br />

und Josef Stalin.<br />

Umso erstaunlicher erscheint aus <strong>die</strong>sem<br />

Blickwinkel <strong>der</strong> Geschichte, dass Briten<br />

und Iren <strong>die</strong> Vorreiter <strong>der</strong> Einführung von<br />

rigorosen Rauchverboten in Europa sind.<br />

Übertretungen werden mit empfindlich<br />

hohen Strafen geahndet, nachdem schon<br />

zuvor <strong>der</strong> Mindestpreis für eine Schachtel<br />

Zigaretten auf umgerechnet mindestens<br />

sieben Euro angehoben wurde. In Schottland,<br />

das seit einem Jahr rigoroses Rauchverbot<br />

für <strong>die</strong> Gastronomie verordnet hat,<br />

zahlt <strong>der</strong> Wirt 1.000 Euro und <strong>der</strong> Gast<br />

220 Euro, wenn blauer Rauch gesichtet<br />

wird.<br />

In Irland, das als erstes EU-Land im März<br />

vor drei Jahren ein Rauchverbot an öffentlichen<br />

Orten verordnete, verzeichnete<br />

<strong>der</strong> Zigarettengesamtmarkt im vergangenen<br />

Jahr einen leichten Anstieg von 0,2<br />

Prozent. Und das obwohl nicht nur in den<br />

Pubs, son<strong>der</strong>n auch am Arbeitsplatz Rauchen<br />

verboten wurde.<br />

Dasselbe Bild zeigt <strong>der</strong> italienische Zigarettenmarkt.<br />

Nach <strong>der</strong> Einführung des<br />

Rauchverbots 2005 war ein leichter Rückgang<br />

bei versteuerten Zigaretten festzustellen,<br />

<strong>der</strong> Markt wuchs aber schon 2006<br />

wie<strong>der</strong> um zwei Prozent. In Griechenland,<br />

das sich in <strong>der</strong> EU wegen <strong>der</strong> wirtschaftlich<br />

bedeutenden<br />

Tabakproduktion<br />

am<br />

hartnäckigsten<br />

<strong>gegen</strong> Raucher<br />

beschränkende<br />

M a ß n a h m e n<br />

zur Wehr setzt,<br />

sank da<strong>gegen</strong><br />

<strong>der</strong> Absatz um<br />

ein Prozent.<br />

Mitte März ließ<br />

auch <strong>die</strong> Austria<br />

Tabak, <strong>die</strong><br />

zum britischen<br />

Gallaher Konzern<br />

gehört, bei<br />

ihrer Bilanzkonferenz<br />

über<br />

das abgelaufene<br />

Jahr wissen, dass<br />

Wirtschaft im Alpenraum • April 2007<br />

man für ein „tolerantes Miteinan<strong>der</strong>“ in<br />

<strong>der</strong> Gastronomie eintrete. Im Fall eines<br />

Rauchverbots in <strong>der</strong> Gastronomie rechne<br />

man aber mit keinen nennenswerten<br />

Absatzeinbußen. Nach dem neuerlichen<br />

Anheben <strong>der</strong> Zigarettenpreise und einem<br />

Mindestpreis von 3,25 Euro pro Schachtel<br />

befürchten <strong>die</strong> Vertreter <strong>der</strong> Austria Tabak<br />

<strong>die</strong> weitere Zunahme von Schmuggelzigaretten,<br />

<strong>der</strong>en Marktanteil in Österreich<br />

bereits 13 Prozent (Wien 20,6 Prozent,<br />

Tirol 5,7 Prozent) ausmachen soll. Das<br />

trifft den Finanzminister. Jede Zigarettenpackung<br />

ist mit 53 Prozent Tabaksteuer<br />

und zusätzlich 20 Prozent Mehrsteuer belegt.<br />

Nach Schätzungen <strong>der</strong> Wirtschaftskammer<br />

sollen dem Fiskus dadurch alleine<br />

2006 mehr als 260 Millionen Euro entgangen<br />

sein. Den Trafikanten entging ein<br />

Umsatz von geschätzten 340 Millionen<br />

Euro, aus denen sich wie<strong>der</strong>um ihre 14<br />

Prozent Spanne berechnet hätte.<br />

Nachdem in England bereits Mitte <strong>der</strong><br />

1990er Jahre <strong>die</strong> Tabaksteuer empfindlich<br />

angehoben wurde und Frankreich vor<br />

zwei Jahren denselben Weg beschritt, sind<br />

<strong>die</strong> beiden Staaten in den Mittelpunkt<br />

des Interesses internationaler Schmugglerbanden<br />

gerückt. Ein Großteil <strong>der</strong> in<br />

Österreich aus dem Verkehr gezogenen<br />

Schmuggelzigaretten made in China sind<br />

für den britischen Markt bestimmt, wie<br />

<strong>die</strong> Zollfahndung weiß.<br />

<strong>Der</strong> militante Nicht<strong>raucher</strong>, Jakob I.<br />

Im Rückblick auf <strong>die</strong> rund 500-jährige<br />

Geschichte des Rauchens im Abendland,<br />

Totaler Sieg <strong>der</strong> Raucher Stalin, Roosevelt und Churchill (v.l.):<br />

Den deutsche Soldaten war das „Rassengift“ im Krieg egal.<br />

219


Kultur<br />

Lifestyle<br />

Filmidol Humphrey Bogart: Nachdem <strong>die</strong> Guten in den Hollywoodfilmen<br />

nicht mehr Rauchen dürfen, faszinieren Böse.<br />

Marlene Dietrich als Symbol für <strong>die</strong> emanzipierte Frau:<br />

„Die deutsche Frau raucht nicht, son<strong>der</strong>n gebärt Kin<strong>der</strong>.“<br />

<strong>die</strong> kurz nach <strong>der</strong> Entdeckung Amerikas<br />

durch Christoph Kolumbus begann, kann<br />

man sich versichern, dass we<strong>der</strong> Verbote<br />

noch Tabaksteuererhöhungen das Rauchverhalten<br />

nachhaltig beeinflussen konnten.<br />

Wo immer <strong>der</strong> Tabak geschnupft, gekaut<br />

o<strong>der</strong> geraucht wurde, provozierte sein Genuss<br />

im Gegenzug Wi<strong>der</strong>stand. Am frühesten<br />

lässt sich das für England feststellen.<br />

Nachdem Jakob I. 1603 auf den Thron<br />

kam, veröffentlichte er ein wütendes Traktat<br />

<strong>gegen</strong> das von seiner Mutter geduldete<br />

Rauchen. Die Schrift „Misocapnus sive<br />

de abusu tobacci“ versammelte bereits<br />

alle Argumente militanter Nicht<strong>raucher</strong>.<br />

Unter an<strong>der</strong>em, dass Rauchen eine Verschwendung<br />

sei: „Das Erbgut manches<br />

jungen Edelmannes wird ganz erschöpft<br />

und verfliegt mit dem Dampf <strong>die</strong>ses<br />

Rauches rein in nichts. Dies geschieht in<br />

<strong>der</strong> schändlichsten und tierischsten Weise,<br />

indem sich das Gut durch <strong>die</strong> Nase des<br />

Herrn verflüchtigt und man so ganze Tage,<br />

Geld, Zeit, selbst Jahre mit dem Tabaktrinken<br />

vertut.“<br />

Darüberhinaus sei Rauchen ungesund,<br />

eine Umweltverschmutzung, barbarisch<br />

und mache <strong>die</strong> Menschen lie<strong>der</strong>lich und<br />

schwächlich: „Denn genau wie hysterische<br />

Weiber ihr Leben verbringen, so kennt Ihr<br />

infolge <strong>der</strong> Erschlaffung nur noch <strong>die</strong>se<br />

eine Sorge um Euer Laster: Dass Ihr Euch<br />

220<br />

wie<strong>der</strong> und wie<strong>der</strong> dem in <strong>die</strong> Nase dringenden<br />

Rauch hingeben könnt.“<br />

Am liebsten hätte Jakob wahrscheinlich<br />

alle Raucher in <strong>die</strong> „Indianische Barbarei“<br />

deportieren lassen, „wo sie sich ohne<br />

unseren Verdruss und Schaden zusammen<br />

mit den trunkenen Ärzten ohne Scheu<br />

vollsaufen und ihre Kunst frei ausüben<br />

könnten.“ <strong>Der</strong> Tabakhandel, allen voran<br />

mit Virginia, erlebte einen unvorstellbaren<br />

Boom. Britische Siedler hatten dort ab<br />

1612 riesige Plantagen aufgebaut.<br />

Allerdings waren sie chancenlos, <strong>die</strong> Nachfrage<br />

einigermaßen befriedigen zu können.<br />

Wie überall in den Kolonien fehlten<br />

auch in Virginia Frauen - und damit Arbeitskräfte.<br />

Auf Bitten <strong>der</strong> Siedler schickten,<br />

wie überliefert ist, englische Geschäftsleute<br />

1620 insgesamt 90 Jungfrauen<br />

nach Virginia. Je Jungfrau verlangten sie<br />

120 bis 150 Pfund Tabak. Denn Tabak war<br />

in den Kolonien das Hauptzahlungsmittel<br />

für Importe aus Europa und später auch<br />

für jene Waffen, mit denen sich <strong>die</strong> Vereinigten<br />

Staaten schließlich ihre Unabhängigkeit<br />

erkämpften. In Virginia und Maryland<br />

galt Tabak noch im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

als gesetzliches Zahlungsmittel.<br />

Um an den Tabak zu kommen, überfielen<br />

zu Beginn des 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts vor<br />

allem <strong>die</strong> englischen Seeleute spanische<br />

Tabakschiffe. Während <strong>die</strong> Hollän<strong>der</strong><br />

Wirtschaft im Alpenraum • April 2007<br />

Sklaven aus Afrika als dringend benötigte<br />

Arbeitskräfte <strong>gegen</strong> Tabak tauschten. 1620<br />

sah Jakob I. schließlich ein, dass sich seine<br />

Untertanen durch Verbote nicht abschrecken<br />

ließen, Tabak zu genießen. 1614 ließ<br />

er den Einfuhrzoll auf Tabak auf das Vierzigfache<br />

erhöhen.<br />

1620 - <strong>der</strong> jährliche Tabakimport allein aus<br />

Virginia hatte sich in nur vier Jahren auf<br />

40.000 Pfund versiebzehnfacht - erklärte<br />

er den Tabakimport zum königlichen Monopol<br />

und verbot angeblich zum Schutz<br />

<strong>der</strong> Volksgesundheit jedes Säen und Pflanzen<br />

des Tabaks in England. Offensichtlich<br />

war es Jakob I. aber nicht möglich, das Anbauverbot<br />

auch durchzusetzen. 1643 belegte<br />

das Parlament den eigentlich verbotenen<br />

und dennoch im Lande gezogenen<br />

Tabak mit hohen Steuern.<br />

Die Wut des Volkes freilich bekam erst Jakobs<br />

Sohn Karl I. zu spüren, <strong>der</strong> das Tabakmonopol<br />

weiter ausbaute. Nachdem<br />

er von Cromwell gestürzt worden war,<br />

berichten Zeitgenossen über seine Hinrichtung,<br />

„dass <strong>die</strong> Soldaten den ernst und<br />

gefasst in steinerner Ruhe zum Richtplatz<br />

schreitenden König bespieen und ihm den<br />

Rauch in den Mund bliesen, während sie<br />

auf den Weg, den er zurücklegen musste,<br />

zerbrochene Pfeifen warfen.“<br />

Asiaten und Russen verstümmeln<br />

Raucher. Noch um einiges rigoroser als


Kultur<br />

Lifestyle<br />

englische Könige gingen asiatische, osmanische<br />

und kontinentaleuropäische Potentaten<br />

<strong>gegen</strong> den Tabakkonsum vor. Japan<br />

verbot das Rauchen bereits 1609, wie in<br />

<strong>der</strong> „Geschichte des Rauchens“ nachzulesen<br />

ist: „In Kyoto gab es damals bereits<br />

zwei Raucherklubs, <strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong>,<br />

junge Adelige, ihre riesigen Pfeifen wie<br />

Schwerter trugen o<strong>der</strong> sich von ihren<br />

Dienern hinterhertragen ließen. Als nun<br />

<strong>die</strong> Rivalität zwischen den beiden Clubs<br />

so stark wurde, dass <strong>die</strong> <strong>gegen</strong>seitigen<br />

Provokationen in Unruhen ausarteten,<br />

wurden <strong>die</strong> Raucherclubs und bei <strong>die</strong>ser<br />

Gelegenheit auch gleich das Rauchen allgemein<br />

verboten.“<br />

Ab 1612 wurde in Japan verordnet, dass<br />

das Eigentum jedes Tabakverkäufers zugunsten<br />

seines Denunzianten eingezogen<br />

werden kann. 1616 kam zur Gefängnisstrafe<br />

für Rauchen noch eine Geldstrafe<br />

hinzu. Allerdings galten <strong>die</strong> japanischen<br />

Anti-Raucher-Verordnungen nur so lange,<br />

bis genügend Fürsten selbst rauchten.<br />

Bereits 1625 wurde <strong>der</strong> Tabakanbau wie<strong>der</strong><br />

gestattet, um 1640 war Tabak ein Bestandteil<br />

<strong>der</strong> Gastlichkeit geworden, wie<br />

<strong>der</strong> Tee. Nicht ohne Grund zählen <strong>die</strong><br />

Japaner heute zu den leidenschaftlichsten<br />

Rauchern, <strong>der</strong>en Anfälligkeit für Lungenkrebs<br />

auf unerklärte Weise sehr viel geringer<br />

ist als bei den Rauchern im Westen.<br />

Zeitgleich zu Japan war auch <strong>der</strong> Tabakkonsum<br />

in China mit denselben Strafandrohungen<br />

verboten. 1634 untersagte<br />

Zar Michael Feodoro in Russland das<br />

Rauchen mit <strong>der</strong> Drohung, Rauchern <strong>die</strong><br />

Nase abschneiden zu lassen. Tabakgerichte<br />

verhängten barbarische Prügelstrafen. Gelegentlich<br />

wurden Verkäufer von Tabak<br />

sogar kastriert. In Persien ließ Schah Abbas<br />

<strong>der</strong> Große (1586-1628) Nasen und Lippen<br />

seiner rauchenden Untertanen verstümmeln.<br />

Am frechsten freilich trieb es allerdings<br />

<strong>der</strong> türkische Sultan Murad IV. während<br />

seiner Herrschaft von 1623 bis 1640. Als<br />

ein Schiffsbrand am 7. August 1633 sich<br />

zur Feuerkatastrophe ausweitete und in<br />

Konstantinopel 20.000 Häuser zerstörte,<br />

verbot <strong>der</strong> selbstherrliche Fürst unter dem<br />

Vorwand, <strong>der</strong> Brand sei auf das Rauchen<br />

zurückzuführen, den Takakkonsum unter<br />

Androhung <strong>der</strong> Todesstrafe. Tatsächlich<br />

dürfte ein Feuerwerk, das Murad anlässlich<br />

<strong>der</strong> Geburt seines Sohnes abfeuern<br />

ließ, <strong>die</strong> Katastrophe ausgelöst haben.<br />

„Das völlige Versagen <strong>der</strong> Verwaltung bei<br />

<strong>der</strong> Brandbekämpfung ließ <strong>die</strong> Wut in <strong>der</strong><br />

Bevölkerung so gefährlich anschwellen,<br />

dass sich Murad veranlasst sah, das Rauchen<br />

per Dekret zur Brandursache zu erklären.<br />

Verkleidet ging er selbst an Orte,<br />

wo Tabak verkauft wurde, suchte nach<br />

Verkäufern, bot viel Geld und sobald er<br />

den gewünschten Tabak bekam, zog er seinen<br />

Säbel und schlug dem Verkäufer den<br />

Kopf ab“, berichtet <strong>die</strong> „Geschichte des<br />

Rauchens“. Selbstverständlich handelte<br />

<strong>der</strong> Sultan nicht uneigennützig: Raucher<br />

galten als politische Oppositionelle und<br />

das Vermögen jedes Hingerichteten wurde<br />

zugunsten des Sultans eingezogen. <strong>Der</strong><br />

Raucherfeind muss auch ein kaltblütiger<br />

Massenmör<strong>der</strong> gewesen sein. Bis zu seinem<br />

Tod im Alter von 29 Jahren soll Murad<br />

rund 100.000 Untertanen selbst getötet<br />

o<strong>der</strong> zum Tode verurteilt haben.<br />

Tabaksteuern für <strong>die</strong> Gesundheit? Die<br />

Franzosen und Italiener gingen da<strong>gegen</strong><br />

mit Rauchern zumindest in <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

pragmatischer um. „Sie verzichteten<br />

weitgehend auf moralische Belehrungen<br />

und beschränkten sich darauf, <strong>die</strong><br />

Konsumenten zu schröpfen“, wie Karl<br />

Pawek analysiert. Natürlich von <strong>der</strong> Absicht<br />

getragen, durch <strong>die</strong> Reduktion des<br />

Tabakkonsums <strong>die</strong> Gesundheit <strong>der</strong> Untertanen<br />

zu schonen. Aus gesundheitlichen<br />

Gründen führte auch Richelieu 1629 in<br />

Wirtschaft im Alpenraum • April 2007<br />

Frankreich <strong>die</strong> Tabaksteuer ein. <strong>Der</strong> Herzog<br />

von Mantua ergänzte wie<strong>der</strong>um das<br />

Branntweinmonopol durch ein Tabakmonopol<br />

und vergab <strong>die</strong> Verkaufsrechte für<br />

eine anfängliche Jahrespacht von 16.900<br />

Lire an den Geschäftsmann Giovanni Tugnoni.<br />

1631 verbot das Parlament in Paris aus gesundheitlichen<br />

Gründen das Rauchen in<br />

den höchst ungesunden Gefängnissen so<br />

wie heute US-amerikanische Behörden<br />

Todeskandidaten sogar noch unmittelbar<br />

vor <strong>der</strong> Hinrichtung <strong>die</strong> letzte Zigarette<br />

verweigern. Mit gesundheitlicher Sorge<br />

hat das nichts zu tun. Wohl eher damit, dass<br />

das prinzipielle Rauchverbot in US-staatlichen<br />

Einrichtungen belegbar irrationale<br />

Blüten treibt. Als Prinzip duldet es offensichtlich<br />

keine Ausnahmen, was den darin<br />

innewohnenden Wahnsinn demaskiert.<br />

In Deutschland verbreiteten während des<br />

Dreißigjährigen Krieges (1618 - 1648)<br />

ausländische Soldaten (Spanier, Englän<strong>der</strong>,<br />

Hollän<strong>der</strong> und Schweden) <strong>die</strong> Sitte des<br />

Rauchens. Auch hier wurde es schnell ein<br />

Vergnügen nicht nur <strong>der</strong> Wohlhabenden,<br />

wie um 1650 <strong>der</strong> Jesuit und Münchner<br />

Hofprediger Jakob Balde in seiner Kampfschrift<br />

<strong>gegen</strong> den Tabak („Die truckene<br />

Trunkenheit“) feststellte: „Diss Kraut,<br />

nit stolz, ist mild und voll Erbarmen: nit<br />

Reiche nur, es liebet auch <strong>die</strong> Armen.“<br />

Nach Ende des Krieges wurde das Rau-<br />

Filmszene aus „Die sieben Samurai“: In allen Kulturkreisen wurden zum Teil<br />

blutige Kämpfe <strong>gegen</strong> <strong>die</strong> Raucher geführt, <strong>die</strong> sich doch immer durchsetzten.<br />

221


Steigende Absatz- und Umsatzzahlen trotz immer weiter gehen<strong>der</strong> Verbote: Das Gesundheitsargument geht ins Leere.<br />

chen schleunigst fast überall wie<strong>der</strong> verboten.<br />

Vielerorts for<strong>der</strong>te <strong>die</strong> Obrigkeit<br />

auf, alle Tabaktrinker und -schnupfer anzuzeigen,<br />

in manchen Städten beschränkte<br />

man den Tabakverkauf, als Arznei, in<br />

Apotheken. In München predigte Jakob<br />

Balde <strong>gegen</strong> <strong>die</strong> Raucher: „Was ist zwischen<br />

<strong>die</strong>sen und den Selbstmör<strong>der</strong>n für<br />

ein an<strong>der</strong>er Unterschied, als dass <strong>die</strong>se geschwin<strong>der</strong>,<br />

jene aber sich etwas langsamer<br />

ums Leben bringen?“ Schon damals zeigte<br />

sich freilich, „dass gerade in den Orten<br />

und Gebieten, wo das Rauchen verboten<br />

war, <strong>die</strong> Sitte sich allen Wi<strong>der</strong>ständen zum<br />

Trotz beson<strong>der</strong>s stark verbreitete“.<br />

Ein wenig spät, doch gerade noch rechtzeitig,<br />

besann sich auch Kaiser Leopold<br />

des gesundheitlichen Wohls seiner Untertanen<br />

und verbot 1668 jeden Tabakverkauf<br />

in Tirol außerhalb von Apotheken.<br />

Wichtiger allerdings war ihm <strong>der</strong> Erwerb<br />

eines riesigen eingezäunten Jagdgebietes.<br />

Doch <strong>die</strong> Staatskasse war leer. Als ihm nun<br />

sein Oberjägermeister vorrechnete, dass<br />

<strong>die</strong> gewünschte Jagd problemlos durch <strong>die</strong><br />

Vergabe eines Tabakmonopols zu finanzieren<br />

sei, beeilte sich seine Majestät, das<br />

Rauchen gnädigst wie<strong>der</strong> zu gestatten.<br />

Das Beispiel machte Schule, in weniger<br />

als zwei Jahrzehnten lösten fast überall in<br />

Deutschland Monopole <strong>die</strong> Verbote ab.<br />

Diese Verkaufsmonopole wurden meist an<br />

private Pächter vergeben, häufig an Juden.<br />

<strong>Der</strong> unaufhaltsame Siegeszug des Tabaks.<br />

Beson<strong>der</strong>s effektiv waren <strong>die</strong> Pächter<br />

in Frankreich. Sie stellten Agenten<br />

ein für <strong>die</strong> Jagd nach nicht-lizenziertem<br />

Tabak. Diese Tabakreiter entwickelten<br />

unter dem Vorwand <strong>der</strong> Drogenfahndung<br />

immer neue Kontrollmechanismen und<br />

wurden <strong>die</strong> Vorläufer <strong>der</strong> damals noch unbekannten<br />

Polizei. „Ende des 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

verhafteten <strong>die</strong>se Agenten jährlich im<br />

222<br />

Durchschnitt 2500 Männer, 2000 Frauen<br />

und 6000 Kin<strong>der</strong>. Ein Son<strong>der</strong>gericht verurteilte<br />

<strong>die</strong> Delinquenten zu Geld- und<br />

Körperstrafen, rund 300 Männer wurden<br />

jährlich auf Galeeren geschickt, auch Todesurteile<br />

kamen vor“, entnimmt man <strong>der</strong><br />

„Geschichte des Rauchens“.<br />

Für Voltaire war <strong>die</strong>ses Son<strong>der</strong>gericht<br />

<strong>gegen</strong> illegale Tabakhändler eine <strong>der</strong><br />

schlimmsten Plagen <strong>der</strong> Menschheit, nur<br />

mehr vergleichbar mit Syphilis, Pocken,<br />

Pest, Nierensteinen und <strong>der</strong> Inquisition.<br />

Das Volk jubelte daher, als 1794 <strong>der</strong> letzte<br />

Tabakpächter Frankreichs auf <strong>der</strong> Guillotine<br />

hingerichtet wurde. Die Aufhebung<br />

des Tabakmonopols in Preußen feierte<br />

man drei Jahre später 1797.<br />

Tatsächlich hatten 150 Jahre davor nicht<br />

so sehr lasterhafte Raucher für <strong>die</strong> schnelle<br />

Verbreitung des Tabaks gesorgt, son<strong>der</strong>n<br />

angesehene Mediziner, wie <strong>der</strong> Professor<br />

an <strong>der</strong> Universität Sevilla, Nicolò Monardes,<br />

dessen Buch über <strong>die</strong> Wun<strong>der</strong>heilkräfte<br />

des Tabaks 1565 erschien und in viele<br />

Sprachen übersetzt wurde.<br />

Vor allem Jean Nicot, Französischer Son<strong>der</strong>botschafter<br />

am Hof in Lissabon, machte<br />

sich um <strong>die</strong> Verbreitung des Tabaks<br />

ver<strong>die</strong>nt, indem er ihn zu Heilzwecken<br />

seiner Auftraggeberin Katharina von Medici<br />

empfahl. Nach ihm wurde später das<br />

Nikotin benannt. Nachweislich sind Tabaksamen<br />

in Frankreich 1556, in Portugal<br />

1558, in Italien 1561, in Ungarn 1568, in<br />

England 1570.<br />

Noch im 16. Jahrhun<strong>der</strong>t gelangten Samen<br />

über <strong>die</strong> Philippinen nach Hinterin<strong>die</strong>n,<br />

China und Japan. Anfang des 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

waren Tabakpflanzen auch im Orient<br />

(Türkei, Ägypten, Persien) heimisch.<br />

Afrika schließlich erhielt den Tabak bereits<br />

aus drei Himmelsrichtungen gleichzeitig,<br />

im Westen von den Portugiesen, im Süden<br />

Wirtschaft im Alpenraum • April 2007<br />

von den Hollän<strong>der</strong>n und im Norden von<br />

den Arabern.<br />

Wirklich populär aber wurde das Rauchen<br />

in Europa erst durch zurückgekehrte<br />

Siedler, <strong>die</strong> sich so sehr an den Rauchgenuss<br />

gewöhnt hatten, dass sie auch in <strong>der</strong><br />

Heimat nicht darauf verzichten wollten.<br />

Revolutionäre Kumpanei. Um 1805<br />

waren Zigarren in Deutschland noch<br />

wenig verbreitet, doch bis zur 48er Revolution<br />

gewannen sie ein im Rückblick<br />

überraschendes Image. „Die Cigarre als<br />

späteres Symbol des kapitalistischen Unternehmers<br />

galt damals als ungebührliche<br />

Neuerung, als Ausdruck liberaler Dreistigkeit,<br />

als Kennzeichen für Volksverhetzer<br />

und Wühler.“ Fürst Leopold III. von<br />

Anhalt-Dessau erlaubte daher seinen Untertanen,<br />

jedem, <strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Straße raucht,<br />

ungestraft <strong>die</strong> Pfeife o<strong>der</strong> Zigarre aus dem<br />

Maul zu schlagen.<br />

Doch rechnete <strong>die</strong> Obrigkeit nicht mit<br />

<strong>der</strong> Solidarität unter Rauchern. Als zum<br />

Beispiel am 2. Mai 1813 in Berlin ein Sergeant<br />

einem Raucher <strong>die</strong> Pfeife wegnehmen<br />

wollte, war er sofort von vier an<strong>der</strong>en<br />

„Subjekten mit brennenden Pfeifen“<br />

umringt. Als dann im Verlauf <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

noch 20 Pfeifen<strong>raucher</strong> hinzukamen,<br />

ergriff <strong>der</strong> Sergeant <strong>die</strong> Flucht.<br />

Das Rauchen vermischte Standesunterschiede<br />

und untergrub dadurch <strong>die</strong> herrschende<br />

Ordnung: „In <strong>der</strong> Kumpanei <strong>der</strong><br />

Raucher wurde <strong>die</strong> soziale Rangordnung<br />

unwesentlicher und bald war es das Recht<br />

jedes freien Mannes, den an<strong>der</strong>en um Feuer<br />

zu bitten, ganz gleich welchen Standes<br />

er war.“ Die Neue Preußische Kreuzzeitung,<br />

das Organ <strong>der</strong> Reaktion, wird noch<br />

1848 vergeblich warnen: „Die Cigarre ist<br />

ein Scepter <strong>der</strong> Ungeniertheit. Mit <strong>der</strong><br />

Cigarre im Munde sagt und wagt ein junges<br />

Individuum ganz an<strong>der</strong>e Dinge, als es


Kultur<br />

Lifestyle<br />

„Nicht auf <strong>die</strong> Größe kommt es an,<br />

son<strong>der</strong>n auf <strong>die</strong> Originalität.“<br />

ohne Cigarre sagen und wagen würde.“<br />

Dieses revolutionäre Image verdankt <strong>die</strong><br />

Cigarre vor allem den Cigarrendrehern,<br />

<strong>die</strong> im Vormärz <strong>die</strong> militante Avantgarde<br />

<strong>der</strong> Arbeiterbewegung bildeten.<br />

Wer rauchte, war zumindest ein verdächtiges<br />

Subjekt, vielleicht sogar ein Aufrührer.<br />

1810 sah sich <strong>der</strong> Polizeipräsident<br />

von Berlin veranlasst zu handeln: „Da das<br />

öffentliche Tabakrauchen auf den Straßen<br />

und Promenaden<br />

ebenso unanständig als<br />

gefährlich und dem<br />

Charakter gebildeter,<br />

ordnungsvoller Städte<br />

ent<strong>gegen</strong> ist, so wird<br />

dasselbe nicht nur für Berlin, son<strong>der</strong>n<br />

auch für Charlottenburg und den Thiergarten<br />

hierdurch aufs Strengste untersagt.“<br />

Übertretungen des Verbots konnten mit<br />

fünf Talern Geld- o<strong>der</strong> bis zu achttägiger<br />

Arreststrafe geahndet werden, bei feuergefährlichem<br />

Rauchen winkte jedem Denunzianten<br />

eine Prämie von 25 Reichstalern.<br />

Ähnliches galt in Wien für alle<br />

Straßen <strong>der</strong> Innenstadt, auf <strong>der</strong> Bastei, auf<br />

allen Brücken, in <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong> Magazine,<br />

von Schildwachen, in <strong>der</strong> Prater-Hauptallee<br />

und in Parkanlagen.<br />

Tatsächlich for<strong>der</strong>ten <strong>die</strong> Revoluzzer von<br />

1830/31 in Berlin schon das Recht, in <strong>der</strong><br />

Öffentlichkeit rauchen zu dürfen, obwohl<br />

das mangels Zündhölzer gar nicht so einfach<br />

war, wie aus <strong>der</strong> Literatur <strong>die</strong>ser Zeit<br />

nachvollziehbar wird. Die ersten, ab 1805<br />

erhältlichen Streichhölzer, eigneten sich<br />

nur für den Hausgebrauch, da ihr Zündkopf<br />

aus chlorsaurem Kalium und Schwefel<br />

in ein Glas mit Schwefelsäure getunkt<br />

werden musste, damit er entflammte. Ab<br />

1832 kamen Reibhölzer zum Verkauf,<br />

<strong>die</strong> sich entzündeten, wenn sie zwischen<br />

zwei mit den Fingern zusammengepressten<br />

Sandpapierblättchen hindurchgezogen<br />

wurden. Erst <strong>die</strong> 1844 in Stockholm<br />

patentierten „Sicherheitshölzer“ waren<br />

durch das Reiben an einer präparierten<br />

Fläche entzündbar.<br />

Im Revolutionsjahr 1848 wurde das Rauchen<br />

in Berlin wie<strong>der</strong> gestattet. Nicht<br />

Idealtours: Kurzreisen in den Feiertagen<br />

Frühlingstage – Reisetage!<br />

zuletzt, um <strong>die</strong> aufgebrachten Massen zu<br />

einem friedlichen Abzug vor dem Schloss<br />

des Königs zu bewegen. Legendär sind<br />

aus <strong>der</strong> Zeit danach <strong>die</strong> Geschichten, <strong>die</strong><br />

sich rund um den Eisernen Kanzler <strong>der</strong><br />

Preußen Bismarck rankten, <strong>der</strong> Diplomatie<br />

und Rauchen miteinan<strong>der</strong> verband<br />

und dadurch beachtliche Erfolge feiern<br />

konnte. An<strong>der</strong>es wird von Queen Viktoria<br />

berichtet. Wer in ihrer Anwesenheit im<br />

Schloss Windsor rauchen<br />

wollte, musste<br />

den Rauch in den<br />

Ofen blasen, dass er<br />

über das Ofenrohr<br />

entweichen konnte.<br />

Wie <strong>die</strong> Sucht zur Abhängigkeit<br />

wurde. Den Siegeszug <strong>der</strong> Zigarette besiegelte<br />

<strong>die</strong> industrielle Produktion, <strong>die</strong><br />

den bis dahin teuren Glimmstängel für<br />

<strong>die</strong> Massen auch finanziell erschwinglich<br />

machte. Im ersten Weltkrieg rauchte beinahe<br />

je<strong>der</strong> Soldat, weil <strong>die</strong> Zigarette den<br />

Männern zur Entspannung <strong>die</strong>nte, Müdigkeit<br />

und Hungergefühle unterdrückte und<br />

nicht zuletzt half, Kontakte herzustellen.<br />

Während in Deutschland bereits vor dem<br />

Zweiten Weltkrieg (siehe oben) Untersu-<br />

Mit den Osterfeiertagen kommt<br />

Bewegung in <strong>die</strong> Tiroler Reiseszene.<br />

Traditionellerweise werden in <strong>der</strong><br />

Karwoche Ziele für Kurzurlaube, Städtereisen<br />

o<strong>der</strong> Vitalurlaube gesucht, um <strong>die</strong><br />

Winterstarre aus dem Körper zu vertreiben.<br />

Dazu bieten sich Städteflüge ebenso an<br />

wie Rundreisen durch südliche Län<strong>der</strong>.<br />

<strong>Der</strong> Tiroler Reiseveranstalter Idealtours<br />

hat hier eine bunte Palette solcher Frühlingsreisen<br />

in seinem Programm: Dabei<br />

kann man sich auf einer Kreuzfahrt<br />

durchs westliche Mittelmeer ebenso von<br />

den kalten Wintertagen erholen, wie bei<br />

<strong>der</strong> klassischen Tulpenblüte in Holland<br />

o<strong>der</strong> bei einem<br />

Einkaufsbummel<br />

in Mailand beziehungsweise<br />

am Basar<br />

von Istanbul. In<br />

den Monaten April<br />

und Mai erwacht<br />

auch <strong>die</strong> Natur aus<br />

ihrem Winterschlaf<br />

und so zeigen sich<br />

<strong>die</strong> Gärten Englands<br />

in ihrer vollen<br />

Pracht. Die Mandarinenblüte<br />

taucht<br />

Dalmatien in einmalige Farben und wer<br />

<strong>die</strong> Natur noch intensiver erfahren – besser<br />

gesagt - erwan<strong>der</strong>n will, für den hält<br />

Idealtours Wan<strong>der</strong>reisen in Cinque Terre,<br />

<strong>der</strong> Maremma o<strong>der</strong> Toskana bereit. Die<br />

vielen Feiertage zwischen Ostern und<br />

Pfingsten bieten hier genügend Möglichkeiten,<br />

um den Winter hinter sich zu<br />

lassen. Die Spezialisten in den Idealtours<br />

Reisebüros – 8 x in Tirol und in Sterzing/Südtirol<br />

– wissen wo <strong>der</strong> Frühling<br />

zu Hause ist!<br />

Wirtschaft im Alpenraum • April 2007<br />

223


Kultur<br />

Lifestyle<br />

224<br />

Impressum<br />

Chefredakteur:<br />

Mag. Oliver Pohl (op)<br />

Stv. Chefredakteurin:<br />

MMag. Monika Pichler (mpi)<br />

Redaktion (verantwortlich):<br />

Gerhard Weissenberger (gw)<br />

Mag. Helmuth Thöny (hth)<br />

Mag. Andrea Salzburger (asa)<br />

Mag. Katharina Ötzbrugger (oka)<br />

Maria Natale (mana)<br />

Mag. Gloria Staud (gst)<br />

Mag. Natalie A. Saboor (nasa)<br />

Helene K. Giner (hkg)<br />

Barbara E<strong>der</strong> (bed)<br />

Redaktionsassistenz:<br />

Mag. Petra Meilinger (pem)<br />

Gastautoren:<br />

Dr. Thomas Girardi<br />

Dr. Peter Farmer<br />

Ingelies Zimmermann<br />

Robert Thiem<br />

Abo-Service:<br />

+43(0)512-57 19 85<br />

(Jahres-Abo 10 Ausgaben inkl.<br />

Postversand und MwSt. im Inland Euro 23)<br />

Me<strong>die</strong>ninhaber, Herausgeber, Verleger:<br />

Pohl & Partner Verlags GmbH<br />

Anschrift für alle:<br />

Rennweg 9, A-6020 Innsbruck<br />

Anzeigenverwaltung und Hersteller:<br />

Pohl & Partner Verlags GmbH<br />

Rennweg 9, A-6020 Innsbruck<br />

Tel. +43 (0)512 57 19 85<br />

Fax +43 (0)512 57 19 85 - 19<br />

e-mail: pohl.partner@tirol.com<br />

www.wianet.at<br />

Grafik, Satz, Litho:<br />

Gertrude Maynollo, Kathrin Ettel<br />

Alan Rainbow<br />

Druck:<br />

Nie<strong>der</strong>österreichisches Pressehaus<br />

Alle in <strong>die</strong>sem Magazin angeführten<br />

Daten und Fakten wurden nach bestem<br />

Wissen recherchiert. Trotzdem muss<br />

sich <strong>die</strong> Redaktion Irrtümer sowie Satzund<br />

Druckfehler vorbehalten.<br />

Bildquellen: flickr, Bil<strong>der</strong>Box, photos.<br />

com, wia<br />

Die nächste Ausgabe erscheint am:<br />

27. April 2007<br />

Anzeigenschluss:<br />

20. April 2007<br />

chungen publiziert wurden, <strong>die</strong> eine Relation<br />

zwischen Rauchen und Lungenkrebs<br />

herstellten, kamen <strong>die</strong> ersten Stu<strong>die</strong>n in<br />

den USA erst in den fünfziger und sechziger<br />

Jahren an <strong>die</strong> Öffentlichkeit. 1957<br />

stellte <strong>die</strong> Weltgesundheitsorganisation<br />

WHO eine allgemeine anerkannte Unterscheidung<br />

zwischen suchterzeugenden<br />

und gewohnheitsbildenden Stoffen auf.<br />

Ziel <strong>der</strong> Expertenkommission war es, gefährliche<br />

Substanzen zu definieren, <strong>die</strong> <strong>der</strong><br />

Kontrolle durch <strong>die</strong> Völkergemeinschaft<br />

unterliegen sollten. Wesentliche Unterschiede<br />

zwischen Sucht und Gewöhnung<br />

waren nach <strong>die</strong>ser Definition <strong>die</strong> Intoxikation<br />

des Konsumenten, <strong>der</strong> angestellte<br />

Rausch; ein Zwang, <strong>die</strong> Droge unter allen<br />

Umständen zu erlangen; eine Tendenz zur<br />

Dosiserhöhung; ein physische Abhängigkeit<br />

samt Entzugssyndrom und eine schädigende<br />

Wirkung für <strong>die</strong> Gesellschaft.<br />

Auf <strong>die</strong>se WHO-Definition stützte sich<br />

<strong>der</strong> Bericht des amerikanischen Sogeon<br />

General aus dem Jahre 1964, <strong>der</strong><br />

als oberster Mediziner <strong>der</strong> USA erstmals<br />

eine Verbindung von Tabakkonsum und<br />

Lungenkrebs offiziell konstatierte. Wörtlich<br />

wurde in dem Bericht festgestellt:<br />

„In medizinischer und wissenschaftlicher<br />

Terminologie sollte (das Rauchen) als Gewöhnung<br />

bezeichnet werden, um es klar<br />

zu unterscheiden von Sucht, da <strong>die</strong> biologischen<br />

Effekte von Tabak, ebenso wie<br />

von Kaffee und an<strong>der</strong>en koffeinhaltigen<br />

Getränken, nicht vergleichbar sind mit denen<br />

von Morphin, Alkohol, Barbituraten<br />

und an<strong>der</strong>en starken süchtigmachenden<br />

Drogen.“ Damit wurde ein klarer Trennstrich<br />

zwischen illegalen Drogen und Genussmittel<br />

wie Tabak und Kaffee gezogen.<br />

Denn <strong>die</strong> grundlegenden Eigenschaften<br />

einer Sucht treffen auf den Tabak ebenso<br />

wenig zu wie auf Kaffee.<br />

24 Jahre später, im Jahre 1988, veröffentlichte<br />

wie<strong>der</strong>um <strong>der</strong> oberste Mediziner<br />

<strong>der</strong> USA einen mehrere hun<strong>der</strong>t Seiten<br />

starken Bericht, indem er das Rauchen<br />

als Abhängigkeit klassifiziert hat. Und<br />

nebenbei auch noch eine ganz neue Definition<br />

des Begriffs an sich präsentierte.<br />

Seither hat sich <strong>die</strong> Erkenntnis „Rauchen<br />

mache süchtig“ genauso etabliert, wie im<br />

19. Jahrhun<strong>der</strong>t noch völlig klar war, dass<br />

Masturbieren Blindheit hervorruft.<br />

Wem <strong>die</strong> Sucht hilft. Damit wurde<br />

in den vergangenen zwanzig Jahren <strong>der</strong><br />

Krieg <strong>der</strong> militanten Nicht<strong>raucher</strong> <strong>gegen</strong><br />

Wirtschaft im Alpenraum • April 2007<br />

<strong>die</strong> Raucher unter dem Titel „Sucht“ und<br />

damit „Krankheit“ auf eine völlig neue<br />

Basis gestellt. Die heute allerorts erlassenen<br />

Rauchverbote sind eine direkte Folge <strong>die</strong>ser<br />

allgemein zur Kenntnis genommenen<br />

Erkenntnis. Denn tatsächlich liegt sie im<br />

Interesse vieler: <strong>der</strong> Pharmaindustrie beispielsweise,<br />

<strong>die</strong> „suchtkranken“ Rauchern<br />

Nikotinersatzpräparate offerieren und damit<br />

ein Milliardengeschäft lukrieren. Den<br />

Wissenschaftlern, <strong>die</strong> immer neue Stu<strong>die</strong>n<br />

mit Drittmittelunterstützung publizieren<br />

können. Den Rauchern, <strong>die</strong> ungeliebte<br />

Diskussionen mit dem Verweis ihre<br />

Suchtkrankheit schon im Keim ersticken<br />

können. Selbst <strong>der</strong> Tabakindustrie kommt<br />

das Suchtargument wahrscheinlich nicht<br />

ungelegen, denn welcher Produzent einer<br />

Ware würde es sich nicht wünschen, dass<br />

<strong>die</strong> Konsumenten süchtig nach ihr sind.<br />

Dabei rentiert sich ein Blick auf <strong>die</strong> Statistik,<br />

<strong>der</strong> Klagen <strong>gegen</strong> <strong>die</strong> Tabakindustrie.<br />

In den vergangenen 50 Jahren haben<br />

Raucher in den USA mehr als 7.500 mal<br />

<strong>gegen</strong> Konzerne geklagt. Dabei waren sie<br />

nur 25 mal vor Gericht erfolgreich, wie<br />

<strong>der</strong> Tabakkonzern Philip Morris auf seiner<br />

Homepage auflistet. Mit Ausnahme<br />

von vier Fällen wurden sämtliche Urteile<br />

entwe<strong>der</strong> von einem Berufungsgericht<br />

berufen o<strong>der</strong> befinden sich noch in Berufung.<br />

Circa 30 Regierungen haben Philip<br />

Morris in den USA verklagt. Nahezu alle<br />

<strong>die</strong>se Fälle wurden von den Gerichten abgewiesen<br />

und we<strong>der</strong> Schadenersatz noch<br />

eine an<strong>der</strong>e Form an Entschädigung gewährt.<br />

<strong>Der</strong> Haken an <strong>der</strong> Sache offenbart sich<br />

erst, wenn man sich <strong>die</strong> Auswirkungen<br />

auf den verschiedensten Ebenen vor Augen<br />

führt, wie es Kritiker aus dem Wissenschaftsbereich<br />

machen. Sie verweisen<br />

nämlich zunehmend vehementer darauf,<br />

dass <strong>der</strong> Kniefall <strong>der</strong> Wissenschaft vor gesellschaftlichen<br />

Phänomenen ein Problem<br />

darstellt, wenn damit Definitionen beliebig<br />

aufgeweicht werden können. Dies verbessert<br />

zwar <strong>die</strong> Vergleichbarkeit - etwa von<br />

Äpfeln und Birnen - führt jedoch wissenschaftliches<br />

Arbeiten ad absurdum.<br />

O<strong>der</strong> in ungerechtfertigter Weise Statistiken<br />

zusammenstellt, <strong>die</strong> im Fall <strong>der</strong><br />

Weltbank bei ihrem Bericht „Curbing the<br />

Epedemic“, <strong>der</strong> 1999 publizierte wurde,<br />

dessen Prognosen heute noch regelmäßig<br />

verwendet werden, um <strong>die</strong> Gefahr<br />

des Rauchens darzustellen, geht darin so


Kultur<br />

Lifestyle<br />

weit, Rauchern zu unterstellen, dass sie<br />

ihre Sucht daran hin<strong>der</strong>e, sich rational <strong>gegen</strong><br />

das Rauchen zu entscheiden. Weil <strong>der</strong><br />

Raucher eine zweigeteilte Persönlichkeit<br />

habe, <strong>die</strong> Kosten verursache, for<strong>der</strong>t <strong>die</strong><br />

Weltbank <strong>die</strong> Erhöhung <strong>der</strong> Tabaksteuer.<br />

Rätselhafter erscheint allerdings noch, dass<br />

<strong>die</strong> Definition von Menschen mittleren<br />

Alters solche bis 69 Jahre sind.<br />

Fast keine Hemmschwelle mehr. Die<br />

Lebenserwartung, <strong>die</strong> den weltweiten<br />

Hochrechnungen zugrunde gelegt wurde,<br />

ist <strong>die</strong> Japans. Japan ist das Land mit<br />

<strong>der</strong> höchsten Lebenserwartung. Nimmt<br />

man <strong>die</strong>se Zahlen als Basis einer Hochrechnung,<br />

dann folgt daraus, dass ein<br />

durchschnittlicher Afrikaner im Alter<br />

von 69 Jahren vorzeitig gestorben ist. Die<br />

Neudefinition des Rauchens als „Abhängigkeit“ ab 1988 : Wer als tabaksüchtig<br />

erklärt wird, muss behandelt werden und ist nicht mehr Herr seiner Sinne.<br />

durchschnittliche Lebenserwartung afrikanischer<br />

Männer liegt heute bei knapp<br />

über 50 Jahren.<br />

Wie in einem kritischen Artikel zum<br />

Weltbankbericht festgehalten wird,<br />

könnte man dann auch das Wasser eines<br />

Süßwassersees zum Maßstab nehmen<br />

und dadurch feststellen, dass das Wasser<br />

im Atlantik sehr versalzen ist. Worauf <strong>die</strong><br />

These gründen könnte, zumindest wenn<br />

man <strong>der</strong> Weltbank folgt, dass <strong>die</strong> Bewohner<br />

rund um den Atlantik wahrscheinlich<br />

zu viel Salz ins Meer schütten. Auf <strong>die</strong>ser<br />

Ebene arbeitet in Verbindung mit <strong>der</strong> sie<br />

finanzierenden Weltbank auch <strong>die</strong> WHO.<br />

Dies legt den Verdacht nahe, dass <strong>der</strong> fehlende<br />

Erfolg in <strong>der</strong> Bekämpfung von Aids,<br />

das heute <strong>die</strong> häufigste Todesursache ist,<br />

den Wunsch beflügelte, den Rauchern<br />

den Kampf zu erklären. Denn <strong>die</strong> WHO<br />

macht sich <strong>die</strong> Argumentation <strong>der</strong> militanten<br />

Nicht<strong>raucher</strong> zu eigen, ohne festzustellen,<br />

für welche Krankheit <strong>der</strong> Tabakkonsum<br />

<strong>die</strong> Disposition erhöht, son<strong>der</strong>n<br />

nur mehr schlicht feststellt, dass Rauchen<br />

tötet. Damit sind letztlich fast alle Krankheiten<br />

auf das Rauchen zurückzuführen,<br />

<strong>die</strong> durch einen Inhaltsstoff von insgesamt<br />

4.000 vermuteten im Tabak ausgelöst werden<br />

könnten.<br />

Das scheint langsam, aber sicher <strong>die</strong><br />

Hemmschwelle zu senken, in <strong>die</strong> Privatsphäre<br />

<strong>der</strong> Raucher mit staatlichen Druck<br />

einzugreifen. Gelingt <strong>die</strong>s bei den Rauchern,<br />

so wird bald <strong>die</strong> nächste Bevölkerungsgruppe<br />

mit einem unerwünschten<br />

Merkmal zur Behandlung gebeten. Nach<br />

den historischen Versuchen des Alkoholverbots<br />

könnten jetzt aber auch alle Übergewichtigen<br />

wegen ihrer Gesundheitsgefährdung<br />

<strong>die</strong> nächste Zielgruppe sein, <strong>die</strong><br />

ins Visier genommen wird. Inzwischen<br />

stehen in Österreich übrigens 2,9 Millionen<br />

Raucher bereits 2,8 Millionen dickeren<br />

Menschen <strong>gegen</strong>über. Das verspricht<br />

ein gutes Geschäft zu werden.<br />

Wirtschaft im Alpenraum • April 2007<br />

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