PDF: Carl der Nachhaltige - Waldflimmern
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60 – 63 Schwerpunkt SOZIOLO G I E Nachhaltigkeit<br />
D e r e r f i n d e r d e r n a c h h a l t i g k e i t i m P o r t r a i t<br />
<strong>Carl</strong> <strong>der</strong> <strong>Nachhaltige</strong><br />
Wer einen Baum umhackt, sollte, wenn ihm <strong>der</strong> Wald<br />
am Herzen liegt, unbedingt einen neuen setzen. Das<br />
klingt heute ziemlich logisch, war vor 300 Jahren aber<br />
eine revolutionäre Idee. So revolutionär, dass wir immer<br />
noch wissen, wer diese Idee zum ersten Mal aufgeschrieben<br />
hat. Wir finden, es ist hoch an <strong>der</strong> Zeit, diesen<br />
Herren ausreichend zu würdigen. Er war nämlich ein<br />
Forstexperte, aber das ist eigentlich klar. O<strong>der</strong> nicht?<br />
Wald im F r ühlin g 2 0 1 3
SOZIOLO G I E<br />
oben / Porträt von Hans <strong>Carl</strong><br />
von <strong>Carl</strong>owitz<br />
„Wird <strong>der</strong>halben die größte Kunst/<br />
Wissenschaft/Fleiß und Einrichtung hiesiger<br />
Lande darinnen beruhen / wie eine sothane<br />
Conservation und Anbau des Holtzes anzustellen<br />
/ daß es eine continuierliche be ständige<br />
und nachhalten de Nutzung gebe / weil es eine<br />
un ent berliche Sache ist / ohne welche das<br />
Land in seinem Esse nicht bleiben mag.“<br />
Haben Sie es entdeckt? Auf 450 Seiten kommt<br />
es genau ein einziges Mal vor. Und man muss<br />
schon konzentriert lesen, um es nicht zu<br />
über sehen. Nicht nur, weil es ganz un ver hofft da steht<br />
und <strong>der</strong> Autor es eher beiläufig erwähnt. Denn so, wie<br />
es zum ersten Mal auftaucht, in seiner Urform so zusagen,<br />
verwendet das Wort heute niemand mehr: nachhal<br />
tend. Ja genau, nachhaltend wie Nach hal tig keit.<br />
Dass dieses Konzept aus <strong>der</strong> Forstwirtschaft<br />
stammt und heuer 300 Jahre alt wird, ist land läufig<br />
unbekannt. Genauso wie wahrscheinlich kaum<br />
jemand, <strong>der</strong> nicht gerade Forstwirtschaft studiert<br />
hat, vom Erfin<strong>der</strong> <strong>der</strong> Nachhaltigkeit Hans <strong>Carl</strong> von<br />
<strong>Carl</strong>owitz gehört hat. Der sächsische Oberberghauptmann<br />
war 1713 <strong>der</strong> erste, <strong>der</strong> das Wort in<br />
seinem heutigen Wortsinn verwendete. Aus seiner<br />
„Sylvi cultura Oeconomica“, die als erstes forstwissenschaftliches<br />
Buch überhaupt gilt, stammt das oben<br />
stehende Zitat.<br />
Da war er also, <strong>der</strong> direkte Vorläufer jenes Modeworts,<br />
das wir heute auf alles anwenden wollen. Der<br />
Ursprung <strong>der</strong> Idee, mit <strong>der</strong> sich Unternehmen aller<br />
Art, Banken, Staaten, Lebensmittelhersteller und Ölkonzerne<br />
so gerne schmücken und die wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e,<br />
die Österreichischen Bundesforste (ÖBf) etwa, zum<br />
Grundprinzip ihrer Arbeit gemacht haben.<br />
Von Kunst, Fleiß und Wissenschaft schrieb<br />
<strong>Carl</strong>owitz. War das nicht ein bisschen hochgegriffen?<br />
Dass man einem Wald nur so viel Holz entnehmen<br />
sollte, wie wie<strong>der</strong> nachwächst, mag auf den ersten<br />
Blick als banale Erkenntnis erscheinen. Tatsächlich<br />
war sie 1713 genauso fortschrittlich wie überfällig. Um<br />
zu verstehen, wie ein mittlerweile scheinbar so selbstverständliches<br />
Prinzip, das sich übrigens beliebig auf<br />
an<strong>der</strong>e Rohstoffe umlegen lässt, erst gefunden werden<br />
musste, hilft ein Blick zurück in <strong>Carl</strong>owitz` Zeiten.<br />
Jahrzehnte bevor er sein Buch veröffentlichte,<br />
brannte London. Das muss man wissen, weil <strong>Carl</strong>owitz<br />
selbst sich damals irgendwo in <strong>der</strong> Stadt in<br />
Sicherheit brachte. Frühmorgens am 2. September<br />
war das Haus eines Bäckers nahe dem Tower of<br />
London in Flammen aufgegangen. Ein bisschen Glut<br />
im Ofen, Funkenflug, trockenes Holz, Wind. Mehr<br />
hatte es im heißen Spätsommer 1666 nicht gebraucht,<br />
um eine verheerende Kettenreaktion auszulösen. In<br />
den engen, mit Holzhäusern bebauten Straßen breitete<br />
sich das Feuer rasant aus und zerstörte innerhalb<br />
weniger Tage beinahe die ganze Stadt.<br />
Hans <strong>Carl</strong> von <strong>Carl</strong>owitz, damals 21, war nach<br />
seinem Studium <strong>der</strong> Rechts- und Staatswissenschaften<br />
gerade auf Kavalierstour quer durch Europa<br />
und seit einigen Monaten in London. Nun erlebte er<br />
mit, wie das Feuer eine über längere Zeit anschwellende<br />
Problematik zu einem handfesten Problem machte .<br />
Jenem Problem, dem sich <strong>Carl</strong>owitz zeitlebens<br />
widmen sollte: Dem Mangel an Holz.<br />
Um den Wie<strong>der</strong>aufbau Londons überhaupt<br />
denkbar zu machen, war jede Menge des Rohstoffs<br />
nötig. In England war er aber längst ein knappes Gut<br />
geworden. Im Verlauf des 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts hatte das<br />
Königreich seine Flotte ausgebaut. Aus den Wäl <strong>der</strong>n,<br />
die nicht zu Acker- o<strong>der</strong> Weideland gemacht wor den<br />
waren, kam Holz für Handels- und Kriegsschiffe und<br />
für die Industrialisierung des Landes. Die Folge:<br />
Nach dem Brand musste Holz, das die eigenen Wäl<strong>der</strong><br />
nicht mehr hergaben, an<strong>der</strong>swo her geschafft werden.<br />
Aus Norwegen und den amerikanischen Kolonien ließ<br />
es die Krone aufwendig und teuer einschiffen.<br />
Für den Umgang mit Wald zu dieser Zeit war<br />
dieses Dilemma bezeichnend. In den europäischen<br />
Wäl<strong>der</strong>n gingen langsam aber sicher die Bäume aus.<br />
Und <strong>der</strong> junge Forstmann <strong>Carl</strong>owitz begegnete dem<br />
menschgemachten Problem auf seiner Rundreise bei<br />
weitem nicht nur in England. Als er einige Monate<br />
später nach Frankreich weiterreiste, war die Situation<br />
kaum an<strong>der</strong>s. Auch hier sollte industrialisiert werden<br />
– nicht zuletzt mit Energie aus Holzkohle. Auch hier<br />
hatte <strong>der</strong> Regent massenweise Schiffe bauen lassen.<br />
Jean Baptiste Colbert, Finanzminister Ludwigs des<br />
XIV., arbeitete seit einigen Jahren an Maßnahmen ,<br />
um <strong>der</strong> Holzknappheit Herr zu werden. Seine<br />
merkantilisti sche Ökonomie konnte dauerhaft nur<br />
funktionieren, wenn sich Frankreich selbst mit Holz<br />
versorgte. Also wurde <strong>der</strong> Holzeinschlag nach und<br />
nach reduziert, Wäl<strong>der</strong> durften nur noch vom Staat<br />
bewirtschaftet werden.<br />
Aus rein wirtschaftlichen Überlegungen heraus<br />
ent stand eine umfassende Forstreform und mit ihr<br />
das theoretische Unterfutter, mit dem Hans <strong>Carl</strong><br />
von <strong>Carl</strong>owitz von seiner Reise zurückkehrte. In<br />
<strong>der</strong> franzö sischen Verordnung von 1669 ist bereits<br />
die Rede von Reserven, die zurückgehalten werden<br />
müssen, von <strong>der</strong> notwendigen „Conservation des<br />
Bois“, also von einer Erhaltung <strong>der</strong> Produktivkraft <strong>der</strong><br />
Wäl<strong>der</strong>, und von klugem Haushalten mit ihnen. Später<br />
schrieb <strong>Carl</strong>owitz, er habe darin im Wesentlichen<br />
bereits vorgefunden, was er später in seiner Heimat<br />
Sachsen zur „Sylvicultura Oeconomica“ weiterdachte.<br />
Hier, in <strong>der</strong> Nähe von Chemnitz , kam<br />
Hans <strong>Carl</strong> von <strong>Carl</strong>owitz 1645 zur Welt. Mitten im<br />
sächsi schen Montanrevier, das zu dieser Zeit eines <strong>der</strong><br />
bedeutendsten in Europa war, wuchs er als Sohn des<br />
Oberforstmeisters und Landesjägermeisters auf. Rund<br />
um ihn herum: Forstwirtschaft und <strong>der</strong> Bergbau, <strong>der</strong><br />
maßgeblich von ausreichen<strong>der</strong> Versorgung mit Holz<br />
abhing. Diese auch angesichts schrumpfen<strong>der</strong> Wäl<strong>der</strong><br />
und dem damit einhergehenden steigenden Holz prei s<br />
aufrecht zu erhalten, war <strong>Carl</strong>owitz ’ Tages geschäft als<br />
Vize- und ab 1711 als Berghauptmann. Darin lag auch<br />
sein ganzes forstwissenschaftliches Interesse.<br />
In seinem Büro im Oberbergamt und in seinem<br />
noblen Patrizierhaus in Freiberg arbeitete <strong>Carl</strong>owitz<br />
daher bereits seit längerem konzentriert an seiner<br />
„Haußwirthlichen Nachricht und Naturmäßigen<br />
Anweisung zur wilden Baum-Zucht“, wie sein Buch<br />
im Untertitel heißt. Neben ausführlichen Beschreibungen<br />
wichtiger Baumarten enthält die „Sylvicultra<br />
Oeconomica“ unterschiedliche Ideen, mit denen <strong>der</strong><br />
Holzmangel dauerhaft überwunden werden sollte.<br />
Zum Beispiel <strong>Carl</strong>owitz´ Kritik an kurzfristigem<br />
Gewinnstreben. Wäl<strong>der</strong> erfolgreich zu kultivieren<br />
dauere zwar viele Jahrzehnte und erst kommende<br />
Generationen würden davon profitieren. Aber auch,<br />
wenn Vieh- und Ackerwirtschaft dagegen unmittelbaren<br />
Nutzen brächten, sei es falsch, aus Wäl<strong>der</strong>n Landwirtschaftsflächen<br />
zu machen. Genauso falsch sei es,<br />
weiter zu forstwirtschaften als wüchse <strong>der</strong> Wald von<br />
selbst nach. Wäl<strong>der</strong> werden nun einmal kleiner, wenn<br />
man arglos Bäume umhackt. <strong>Carl</strong>owitz` einfache aber<br />
folgerichtige Antwort: Das „Säen und Pflantzen <strong>der</strong><br />
wilden Bäume.“ Gut, das liegt irgendwie auf <strong>der</strong> Hand,<br />
möchte man einwenden. Lag es damals aber nicht.<br />
Und an<strong>der</strong>e Ideen, die <strong>Carl</strong>owitz 1713 in seinem Buch<br />
verpackte, diskutieren wir heute auch: Um Energie zu<br />
sparen, müsse man Häuser mit besserer Wärmedämmung<br />
bauen, sparsame Öfen konstruieren und sich<br />
nach alternativen Energiequellen umsehen. Allesamt<br />
Überlegungen, die auch dreihun<strong>der</strong>t Jahre später alles<br />
an<strong>der</strong>e als aus <strong>der</strong> Zeit gefallen sind.<br />
Benjamin Koffu, 29, ging bis jetzt davon aus,<br />
dass es vor 300 Jahren eher mehr Wald als<br />
heute gab.<br />
Wald im F r ühlin g 2 0 1 3