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nlp-master 08-05-28*.pdf - Philipp Maas

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„Veränderungsarbeit“:<br />

Macht das Sinn?<br />

Abschlußarbeit<br />

der<br />

NLP-Masterausbildung<br />

im Hauptkurs<br />

vom 22. März 1997 bis 1. März 1998<br />

sowie als Tutor im Parallelkurs<br />

vom 24. Januar 1998 bis 13. Dezember 1998<br />

von<br />

<strong>Philipp</strong> <strong>Maas</strong><br />

Berlin, 23. Dezember 1998


Inhaltsverzeichnis<br />

I. Einleitung................................................................................................. 1<br />

II. Bedeutung von »Veränderungsarbeit«..................................................... 2<br />

III. Begriffsklärung: „Veränderung“ und „Mehr“......................................... 5<br />

IV. Das »3-Welten-Modell« ........................................................................ 8<br />

V. Von A nach B: Der Weg....................................................................... 14<br />

VI. Fazit .................................................................................................... 19


I. Einleitung<br />

– 1 –<br />

„Würdest du mir bitte sagen, wie ich von hier aus am besten weitergehe?“<br />

„Das hängt sehr davon ab, wo du hin willst.“<br />

(Lewis Carroll: Alice im Wunderland)<br />

Nicht da zu sein, wo man hin will, scheint eine Art Grundmotiv des Lebens<br />

selbst zu sein. Alles bewegt sich, verändert sich, und was sich nicht bewegt, ist<br />

auf Dauer tot.<br />

Dabei ist „Veränderungsarbeit“ nicht gerade das, was ich eine gelungene Wort-<br />

schöpfung nennen würde. Einerseits ist „Veränderung“ begrifflich unscharf,<br />

wenn nicht gar trivial, andererseits klingt „Arbeit“ nicht gerade motivations-<br />

fördernd: „booah – schon wieder Arbeit“ war das Statement, das ich im Rah-<br />

men meiner „Feldforschung“ am häufigsten gehört habe.<br />

Ich habe mich dennoch entschlossen, diesen und keinen anderen Begriff als<br />

Arbeitsthema zu verwenden, weil er – nicht zuletzt im NLP – eingeführt ist.<br />

Gleichzeitig konnte ich aber nicht umhin, ihn noch im Titel infrage zu stellen.<br />

Im Laufe der Ausarbeitung werde ich versuchen, ihn begrifflich nachzuschär-<br />

fen und schließlich zu ersetzen.<br />

Wie sich zeigen sollte, ist das Feld eher weit. Bei der Bearbeitung mußte ich<br />

feststellen, daß der Stapel der Entwürfe und Konzeptpapiere eine ausgeprägte<br />

Wachstumstendenz hatte, während die Reinschrift hartnäckig schmal blieb.<br />

Eigentlich empfiehlt es sich in einem solchen Fall, das Thema einzugrenzen<br />

und einen überschaubaren Rahmen abzustecken. Dazu konnte ich mich aller-<br />

dings nicht entschließen, weil mich das Thema in den Grundzügen interessiert<br />

und nicht etwa irgendwelche Einzelaspekte. Ich habe also versucht, jene<br />

Punkte, die ich für besonders wichtig halte, zusammenzutragen, auch wenn das<br />

zum Teil auf Kosten der Vollständigkeit und der theoretischen Absicherung<br />

ging.


– 2 –<br />

In diesem Sinne versteht sich die Arbeit also als „Diskussionspapier“. Ne-<br />

ben dem formalen Zweck, meine Ausbildung als NLP-Master-Practitioner ab-<br />

zuschließen, hatte sie für mich somit den ganz persönlichen Nutzen, meine<br />

Gedanken und Ideen zum Thema zu bündeln, zu gewichten und zu sortieren<br />

und schließlich in Textform zu linearisieren. Ein entsprechendes feedback<br />

könnte und sollte den Effekt noch steigern.<br />

Zwischenzeitlich gab es immer wieder Phasen, wo ich meinte, das wesentliche<br />

„im Kasten“ zu haben. Einige „Haarrisse“ im Konzept, wie sie gelegentlich<br />

auftauchten, wuchsen sich dann bei genauerem Hinsehen allerdings zu veri-<br />

tablen Schlangengruben aus. Weitere werden wohl folgen.<br />

Kurzum: Das Thema entwickelte eine echte Eigendynamik, die mir – wie<br />

ich zugeben muß – nicht immer sympathisch war.<br />

II. Bedeutung von »Veränderungsarbeit«<br />

Alle müssen sich offenbar nicht nur verändern, alle wollen sich anscheinend<br />

auch verändern. Wenn ich an dieser Stelle alle sage, ist mir bewußt, daß es sich<br />

hierbei um eine empirisch gewagte Universalhypothese handelt, die sicherlich<br />

nicht ganz unproblematisch ist. Gleichwohl scheint es mir so zu sein.<br />

Einer möchte – klassisches Motiv – sich das Rauchen abgewöhnen, eine an-<br />

dere findet sich zu dick und möchte dünner werden, mancher meint, seine Nase<br />

sei zu kurz oder viel zu lang, wiederum andere sind mit ihrer Beziehung unzu-<br />

frieden und möchten das ändern, noch andere möchten ... – und so weiter und<br />

so fort. Die Liste ließe sich wohl beliebig verlängern.<br />

Kurzum: Es gibt offenbar einen erheblichen Veränderungsbedarf, wenn ich<br />

das richtig sehe. Ich selbst fühle mich keineswegs frei davon. Ich kenne auch<br />

niemanden, der mit „Veränderung“ nichts zu tun hätte.<br />

Es soll allerdings ein paar Zen-Meister geben, die selig im So-Sein schwe-<br />

ben und mit dem Thema „durch“ sind. Allerdings halte ich es für möglich, daß<br />

das nur die Perspektive ihrer Schüler und Schülerinnen ist.<br />

Das Silvesterfest etwa ist ein regelrechtes Veränderungsritual. Jeder und jede<br />

haben meist mehr als einen Wunsch, fortan etwas oder vieles anders zu ma-<br />

chen, fassen „gute Vorsätze“ zuhauf und sind sektgetränkt voller Optimismus.


– 3 –<br />

Meistens passiert dann aber doch nicht viel. Die guten Vorsätze werden auf<br />

das nächste Jahr vertagt und der Optimismus weicht dem normalen Alltags-<br />

Pragmatismus. Immerhin: Der Wunsch bleibt offenbar bestehen. Wider alle<br />

Erfahrung wiederholt sich das Geschehen mit schöner Regelmäßigkeit und<br />

jedes Jahr aufs Neue.<br />

Dabei ist das Thema keineswegs lächerlich. Für die Betroffenen ist der Verän-<br />

derungswunsch ein ernstes Anliegen. Sie wünschen es sich wirklich, wie mir<br />

scheint. Mir selbst geht es auch so. Nur die Umsetzung – oder eben Nicht-<br />

Umsetzung – hat zum Teil komische Züge und wirkt auf mich eigentümlich<br />

sinnlos.<br />

Nun könnte man den ganzen Veränderungs-Ringelpiez als eine Art harmlo-<br />

ses Gesellschaftsspiel ansehen. Aber die Inhalte sind nicht immer harmlos: So<br />

zielt zum Beispiel jede Therapie im Kern auf nichts anderes als auf Verände-<br />

rung ab. Manche Leute wünschen sich offenbar wirklich, sich zu verändern,<br />

schaffen es aber ebenso offenbar und wirklich nicht oder nur unter großen An-<br />

strengungen.<br />

Da stellt sich doch die Frage: Was ist das für ein Universum, das so grundsätz-<br />

lich auf Veränderung aus ist, das das ganze Leben möglicherweise auf dem<br />

Prinzip „Veränderung“ aufbaut, gleichzeitig aber jede Veränderung so schwie-<br />

rig gestaltet? – Ich halte diesen Punkt in der Tat für wichtig. Ich werde versu-<br />

chen zu zeigen, daß es eben nicht alle Veränderungen sind, die sich so schwie-<br />

rig gestalten. Viele Veränderungen gehen mühelos, wie von selbst, so leicht,<br />

daß sie kaum als „Veränderung“ wahrgenommen werden. Ich werde weiterhin<br />

versuchen zu zeigen, daß der Unterschied zwischen diesen und jenen Verände-<br />

rungen durchaus bemerkenswert ist und bei der eigenen „Veränderungsarbeit“<br />

berücksichtigt werden sollte.<br />

Neben ernsthaften Inhalten des Veränderungswunsches, wie zum Beispiel in<br />

der Therapie, gibt es durchaus auch ernstzunehmende und konsequente Umset-<br />

zungsversuche. Das beste Beispiel, daß mir hierzu einfällt, ist Yoga, genauer<br />

gesagt, der achtstufige Pfad, wie ihn Patanjali vor etwa 2000 Jahren dezidiert<br />

beschrieben hat: Neben allgemeinen und speziellen Tugenden beschreibt Pa-


– 4 –<br />

tanjali erstaunlich präzise, wie sich über Körperhaltung, Atmung, das „Zurück-<br />

ziehen der Sinne von der Außenwelt“, Konzentration und Meditation schließ-<br />

lich samadhi, ein „erleuchteter“ Zustand, erreichen lassen soll. Um Miß-<br />

verständnissen vorzubeugen: Ich meine hier nicht den Wald-und-Wiesen-Yoga<br />

und auch nicht die üblichen Konnotationen, die sich im Zusammenhang mit<br />

dem Begriff „Yoga“ im Westen und auch anderswo eingeschlichen haben. Ich<br />

meine Patanjali-Yoga.<br />

Die Sache hat allerdings zugegebenermaßen zumindest zwei Haken: erstens<br />

ist Patanjali nicht gerade eine Lektüre für „unter der Bettdecke“, zweitens: Wer<br />

hat schon Zeit dafür, sich jahrzehntelang vornehmlich mit einer einzigen Sache<br />

zu beschäftigen?<br />

Schließlich ist der Wunsch nach Veränderung keineswegs auf einzelne Perso-<br />

nen begrenzt. Schaut man sich größere soziale Einheiten an, zum Beispiel Un-<br />

ternehmen oder Organisationen, so findet man unter den verschiedensten Be-<br />

zeichnungen Versuche, etwas zu verändern: Weltweit gibt es „Projektmanage-<br />

ment“ und „Kreativitätstechniken“, in Japan gibt es Kenzai – das Bestreben,<br />

alles immer unaufhörlich zu verbessern. Ignatio López hatte das gleiche bei<br />

VW unter dem unsäglichen Namen „KVP 2 “ eingeführt und meinte damit ei-<br />

nen verschärften „Kontinuierlichen Verbesserungsprozeß“ (im Quadrat). In<br />

amerikanischen Firmen schließlich gibt es „Re-Engineering“, „Brain Trusts“,<br />

„Think Pools“ oder was auch immer sonst.<br />

Hinter all diesen Worthülsen steckt nichts anderes als der Wunsch, einen<br />

gegebenen Zustand A durch einen anderen Zustand B zu ersetzen, mithin etwas<br />

zu verändern.<br />

Abschließend ist also festzuhalten, daß der Wunsch nach Veränderung des je-<br />

weiligen status quo offenbar allgemein verbreitet ist. Die Bedeutung von Ver-<br />

änderungsarbeit ist somit kaum zu überschätzen. Gleichzeitig fällt aber auch<br />

auf, daß die tatsächlich erreichten Veränderungen – dies betrifft vornehmlich<br />

Einzelpersonen – zum Teil erheblich hinter den jeweiligen Wünschen zurück-<br />

bleiben.


– 5 –<br />

Im folgenden möchte ich die Gründe für diese eigentümliche Diskrepanz be-<br />

leuchten und nach Möglichkeiten suchen, ob und wie man damit umgehen<br />

kann.<br />

III. Begriffsklärung: „Veränderung“ und „Mehr“<br />

Betrachtet man die Veränderungswünsche ein klein wenig genauer, so stellt<br />

man unschwer fest, daß es nicht um „Veränderung an sich“ geht, sondern um<br />

eine – wie auch immer geartete – „Verbesserung“, ein „Mehr“ gegenüber dem<br />

jeweils ursprünglichen Zustand: Mehr Einkommen, bessere Gesundheit, mehr<br />

Spaß, mehr Freizeit, aber auch weniger Rauchen, weniger Fernsehen, weniger<br />

Pickel und was weiß ich. Unternehmen dagegen streben mehr Umsatz an, hö-<br />

here Marktanteile, mehr Gewinn, aber auch weniger Reklamationen, geringe-<br />

ren Krankenstand – und so fort.<br />

Offenbar scheint es ein unausgesprochenes Konzept zu geben, was eine<br />

„Verbesserung“ ist und was nicht. Wenn dem so wäre, könnte man „Verbesse-<br />

rung“ als eine Art gerichteter Veränderung auffassen.<br />

Beim Versuch, die Begriffe definitorisch zu fassen, ist mit aufgefallen, daß<br />

„Veränderung“ als Begriff offenbar so elementar zu sein scheint, daß er in ein-<br />

schlägigen Konversationslexika keine Erwähnung findet. So kennt Meyers<br />

Grosses Taschenlexikon zwar „Veränderliche“ (Sterne) und auch eine „Verän-<br />

derungssperre“, aber keine „Veränderung“ an sich. Auch ohne Präfix – schlicht<br />

als „Änderung“ – findet sich kein Eintrag. Auch im dtv Lexikon wurde ich<br />

nicht fündig. Selbst Kluges Etymologisches Wörterbuch schweigt sich zwi-<br />

schen „Veranda“ und „veräppeln“ aus.<br />

Verstehen wir daher als Arbeitsdefinition unter „Veränderung“ den Über-<br />

gang eines gegebenen Zustands A in einen – davon unterscheidbaren – Zustand<br />

B. Die „Veränderung“ wäre somit also gewissermaßen der Weg von A nach B.<br />

Die Idee war ja, daß mit „Veränderung“ im Grunde „Verbesserung“, also „ge-<br />

richtete Veränderung“ gemeint ist. „Gerichtete Veränderung“ klingt allerdings<br />

auffällig nach „Entwicklung“, also habe ich es mit diesem Begriff versucht.<br />

Hier wurde ich fündiger:


– 6 –<br />

Entwickeln“ leitet sich ab aus lateinisch explicare bzw. frz. évoluer und<br />

wurde später reflexiv im Sinne von „sich allmählich herausbilden“ benutzt.<br />

Meyers versteht darunter einen „(gesetzmäßigen) Prozeß der Veränderung<br />

von Dingen und Erscheinungen (...)“. Hier haben wir – gewissermaßen durch<br />

die Hintertür – die „Veränderung“. Der Unterschied scheint bei Meyers also in<br />

der „Gesetzmäßigkeit“ zu liegen.<br />

»dtv« versteht unter Entwicklung eine<br />

Aufeinanderfolge von versch. Formen oder Zustände(n), die sich von der bloßen Veränderung<br />

dadurch unterscheidet, daß die späteren aus den früheren mit einer inneren Notwendigkeit<br />

hervorgehen und daß ihre Abfolge eine durchgehende Richtung einhält.“<br />

Daneben gibt es Versuche einer wertfreien Definition, „z.B. als zunehmende<br />

Differenzierung und Integration der Formen und Funktionen (H. Spencer) oder<br />

als fortschreitende Anpassung an die Bedingungen der Umwelt (Ch. Darwin).“<br />

– „Auch der biologische Entwicklungsbegriff meint eine „allmähl. Herausbil-<br />

dung der Form und der Teile in fortschreitender Ausgestaltung (Differenzie-<br />

rung) [...].“<br />

Wenn der Wunsch nach Veränderung also gerichtete Veränderung meint, und<br />

wenn mit gerichteter Veränderung „Entwicklung“ gemeint wäre, dann müßte<br />

man offenbar von einem weitverbreiteten und weitgehend unerfüllten „Wunsch<br />

nach Entwicklung“ sprechen.<br />

Anmerkung: Zuweilen wird in der Entwicklungspsychologie der gesamte<br />

Veränderungsprozeß, also von erster Zellteilung bis zum Tod, als „Entwick-<br />

lung“ aufgefaßt. Dieser Terminologie soll hier aus rein pragmatischen Gründen<br />

nicht gefolgt werden. Die Eingrenzung des Begriffs „Entwicklung“ auf das<br />

oben bezeichnete Mehr erscheint mir sachgerechter.<br />

Während also „Veränderung“ den Übergang eines Zustands A in einen – von A<br />

verschiedenen – Zustand B meint, ist Entwicklung mehr. Dabei muß vorläufig<br />

offenbleiben, (1) worin dieses Mehr besteht und (2) ob es sich lediglich auf<br />

„Entwicklung“ bezieht.<br />

Der Zusammenhang soll zur besseren Übersicht graphisch dargestellt werden:


M<br />

M3<br />

M2 E<br />

M1<br />

A<br />

t1<br />

C<br />

B<br />

D<br />

t2<br />

AB: Stillstand/Veränderung<br />

AC: Entwicklung<br />

AD: Abbau<br />

CE: Rückfall<br />

t3<br />

– 7 –<br />

In der Graphik ist zunächst ein gegebener Zustand A auf einem bestimmten<br />

Niveau M2 zu einem bestimmten Zeitpunkt t1 dargestellt. Der Übergang von A<br />

nach B wäre auf gleichem Niveau, nach unserer Definition mithin eine Verän-<br />

derung, sofern A und B voneinander unterscheidbar sind. Falls sie das nicht<br />

sind, wäre der Übergang sogar ein Stillstand, da ja lediglich zwei verschiedene<br />

Zeitpunkte betrachtet werden.<br />

Der Übergang von A nach C dagegen wäre eine „Entwicklung“ im vorläufi-<br />

gen Wortsinn, weil sich das „Niveau“ geändert hat.<br />

Den Übergang von A nach D nenne ich Abbau, den von C nach E Rückfall.<br />

Der Begriff „Abbau“ erscheint mir dabei ehrlicher als der eigentlich übliche<br />

Begriff „Rückentwicklung“, wo sich „rück“ und „ent“ entsetzlich beißen.<br />

„Rückfall“ klingt hart, aber trifft’s, wie wohl jeder bestätigen kann, der zum<br />

Beispiel schon 187 mal das Rauchen aufgegeben hat.<br />

Vorläufig bleibt festzuhalten, daß Veränderungswünsche gerichtet sind, was<br />

den Begriff „Entwicklung“ nahelegt, aber nicht zwingend macht. Weiterhin<br />

bleibt festzuhalten, daß es offenbar so eine Art „Gravitationskraft“ gibt, die<br />

„Abbau“ und „Rückfall“ möglich und sogar wahrscheinlich macht.<br />

Woran man nun erkennt, wo „oben“ und „unten“ ist, also „Mehr“ und viel-<br />

leicht „noch Mehr“, soll Thema des übernächsten Punkts sein. Zunächst aber<br />

soll das „3-Welten-Modell“ eingeführt werden.<br />

t


IV. Das »3-Welten-Modell«<br />

– 8 –<br />

Auf der Suche nach dem „Mehr“, das bestimmte Veränderungen so häßlich<br />

schwierig macht, habe ich zunächst die üblichen Kategorien abgegrast, vor<br />

allem Steigerung der Systemenergie, Minderung der Entropie oder Informati-<br />

onsgefälle. Sämtliche Konzepte erwiesen sich im Prinzip als reizvoll, letztlich<br />

aber nicht wirklich befriedigend.<br />

Gleichzeitig scheint aber klar, daß jeder, der irgendwie weiterkommen will,<br />

zumindest ein deutliches Gefühl dafür hat, welche Richtung die richtige wäre.<br />

Eigentlich sollte das Phänomen also auch kognitiv darstellbar sein.<br />

Was macht man also, wenn man nicht weiterkommt? Man bastelt sich ein<br />

Modell:<br />

Welt Welt II II<br />

Filter<br />

Welt Welt II<br />

Welt ist<br />

Welt soll<br />

W (–)<br />

„GG“<br />

W (+)<br />

P, T<br />

E Th<br />

Welt Welt III III<br />

O H<br />

O W<br />

Begrenzungen<br />

Attraktoren<br />

Ich nenne es das »3-Welten-Modell«. Angeregt dazu hat mich ein Konzept von<br />

Popper, der es allerdings für wissenschaftstheoretische Zwecke benutzt hat, vor<br />

allem, um den Zusammenhang zwischen sog. „Realität“ und Theoriebildung zu


– 9 –<br />

erhellen. Nach entsprechenden Modifikationen scheint es mir aber auch für die<br />

vorliegende Aufgabenstellung geeignet zu sein:<br />

Das 3-Welten-Modell soll ganz allgemein die Beziehungen zwischen einem<br />

wahrnehmenden System und seiner Systemumgebung repräsentieren. Gleich-<br />

zeitig soll es die für die vorliegende Betrachtung relevanten Beziehungen in-<br />

nerhalb des „Systems“ verdeutlichen. Ein „System“ wäre also zum Beispiel<br />

eine Person, ein sonstiges wahrnehmendes Wesen, aber auch zum Beispiel ein<br />

soziales Gebilde. „Systemumgebung“ wäre mithin der jeweilige Rest der Welt.<br />

Anmerkung: Ich werde im folgenden durchgängig von einer „Person“ spre-<br />

chen, weil ich meine, daß „System“ noch furchtbarer klingt als zum Beispiel<br />

„Patient“. Statt „Systemumgebung“ werde ich von „Umwelt“ sprechen. Vor-<br />

läufig gehe ich aber davon aus, daß die Ergebnisse auf wahrnehmende Wesen<br />

aller Art und auf bestimmte soziale Gebilde übertragbar sind.<br />

„Welt I“ steht dabei im Modell für die „Welt an sich“, mithin alles, was exis-<br />

tiert: Das Bekannte, das Unbekannte, das Unerkennbare, meinetwegen auch<br />

Tonal und Nagual, Universum oder Multiversen, einfach alles halt.<br />

Dabei ist Welt I eine völlige blackbox im besten und eigentlichen Sinne.<br />

Man kann etwas hineintun und wird im Regelfall auch eine Reaktion erhalten.<br />

Ein unmittelbarer Zugang aber ist und bleibt definitiv und grundsätzlich ausge-<br />

schlossen.<br />

„Welt II“ repräsentiert die „Welt der Wahrnehmung“. Sie ist von Person zu<br />

Person verschieden.<br />

Dabei ist Welt II der einzige Zugang zu Welt I, über den eine Person ver-<br />

fügt. Was nicht wahrgenommen wird, mittelbar oder unmittelbar, ist für die<br />

Person nicht existent.<br />

„Welt III“ schließlich repräsentiert die „Welt der Vorstellungen und Konzepte“<br />

einschließlich Speicherung der Wahrnehmungsinhalte, im NLP üblicherweise<br />

die Landkarte genannt.<br />

In Welt III befinden sich die Vorstellungen einer Person über die Beschaf-<br />

fenheit „der Welt“, genauer gesagt über die Beschaffenheit von Welt I. Ob der


– 10 –<br />

Person dabei bekannt ist, daß sie „Welt I“ meint, wenn sie von „der Welt“ re-<br />

det, oder ob sie ihr „Welt III“-Konzept für „die Welt“ hält, spielt dabei zu-<br />

nächst keine Rolle. Der größte Teil von Welt III ist dem Bewußtsein ohnehin<br />

nicht zugänglich. (In der Graphik durch einen Balken symbolisiert.)<br />

Nach diesem Modell ist evident, daß Welt III unter keinen Umständen iden-<br />

tisch sein kann mit Welt I, selbst wenn die Vorstellung noch so genau wäre.<br />

Die Landkarte ist nicht das Gebiet.<br />

Welt III beinhaltet also alles an Konzepten einer Person im weitesten Sinne:<br />

Vorstellungen über die Welt, Theorien, Hypothesen, Erfahrungen.<br />

„Erfahrungen“ sind ja letztlich auch nichts weiter als Konzepte über die<br />

Welt. Wer sagt, daß er diese oder jene „Erfahrung“ gemacht hat, äußert damit<br />

nichts anderes als eine Kausalitätsvermutung, noch dazu meist auf äußerst<br />

dürftiger Datenbasis. Wer sich wenige male – tatsächlich oder auch nur ver-<br />

meintlich – auf eine bestimmte Weise verhalten und bestimmte Reaktionen<br />

erfahren hat, neigt zu der Vorstellung, daß das eben so ist auf der Welt. Neben-<br />

bei bemerkt reicht übrigens oft schon ein einziger Versuch zur Begründung<br />

einer Kausalitätsvermutung. Das wäre nicht weiter bedenklich, wären es nicht<br />

die Konzepte in Welt III, die den Umgang mit Welt I maßgeblich steuern.<br />

Der Glaube an die Existenz eines gütigen Gottes, die Suche nach dem „Sinn<br />

im Leben“, die ja denknotwendig den Glauben an die Existenz eines Sinnes<br />

voraussetzt, Grundüberzeugungen: alles Konzepte in Welt III.<br />

Auch die vorliegende Arbeit ist natürlich lediglich ein Konzept in meiner<br />

Welt III.<br />

Die Verbindung zwischen Welt I und Welt II sind die sog. „Wahrnehmungen“,<br />

genauer gesagt, Wahrnehmungsoptionen, in der Graphik mit OW bezeichnet.<br />

„Wahrnehmungsoptionen“ meint die Gesamtheit der einer Person zugänglichen<br />

Wahrnehmungen der Welt I. Ein direkter Blick in Welt I ist, wie gesagt, defini-<br />

tiv unmöglich. Welt I ist ausschließlich als Bild in Welt II wahrnehmbar.<br />

Die Wahrnehmungsoptionen beinhalten sehr wahrscheinlich ohnehin nur ei-<br />

nen kleinen Teil dessen, was Welt I im Prinzip zu bieten hätte. Man stelle sich<br />

zum Beispiel Bilder von fernen Galaxien oder die Wahrnehmung einer Fle-<br />

dermaus vor. Prinzipiell ist das alles in Welt I gegeben, menschlicher Wahr-<br />

nehmung aber regelmäßig nicht zugänglich. Neben dieser Art von Grenzen –


– 11 –<br />

nennen wir sie „physikalische Grenzen“, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob<br />

nicht auch physikalische Grenzen ein Konzept in Welt III sind – neben dieser<br />

Art von Grenzen ist die potentielle Wahrnehmung zusätzlich durch Filter ein-<br />

geschränkt, das heißt, eine Person nimmt weniger wahr, als sie prinzipiell<br />

könnte.<br />

Dabei werden Wahrnehmungsfilter zunächst von den Inhalten in Welt III<br />

gesteuert. (In der Graphik durch eine gestrichelte Linie dargestellt.) Diese<br />

Steuerung kann relativ harmlos sein: So wird zum Beispiel ein Architekt bei<br />

einem Spaziergang durch Paris etwas anderes sehen, hören und erleben als zum<br />

Beispiel ein Gastwirt.<br />

Wahrnehmungsfilter können aber auch semi-pathologischer oder auch pa-<br />

thologischer Natur sein und „unerwünschte Wahrnehmungen“ schlichtweg<br />

ausblenden. Die vorherrschende Ansicht in NLP-Kreisen geht davon aus, daß<br />

die Wahrnehmungsfilter so funktionieren, daß das Bild in Welt III bestätigt<br />

wird.<br />

Analog stellt die Verbindung zwischen Welt III und Welt I die Handlungsopti-<br />

onen einer Person dar (in der Graphik mit OH eingezeichnet). Handlungsoptio-<br />

nen sind das einzige Mittel einer Person, auf Welt I einzuwirken. Welt I wird<br />

reagieren, die Person wird die Reaktion in ihrer Welt II wahrnehmen.<br />

Analog zu den Wahrnehmungsfiltern gibt es zwischen Welt III und Welt I<br />

Begrenzungen. Auch diese Begrenzungen werden zunächst durch die Inhalte in<br />

Welt III gesteuert. Bestimmte Dinge „tut man nicht“, obwohl man sie im Prin-<br />

zip durchaus tun könnte. Ein typisches Beispiel hierfür wären Hemmungen, die<br />

keinen anderen Effekt haben, als die Handlungsoptionen zu begrenzen, mitun-<br />

ter durchaus zum Schaden der handelnden Person.<br />

Die Verbindung zwischen Welt II und Welt III (in dieser Richtung) schließlich<br />

ist die Theoriebildung im weitesten Sinne (in der Grafik mit „Th“ bezeichnet).<br />

Aus der Summe der Wahrnehmungen konstruiert eine Person eine Vorstellung<br />

von der Welt, eben die Landkarte.<br />

Das ulkige dabei ist, daß eine Person oft nicht nur die Landkarte mit „der<br />

Welt“ verwechselt, zu allem Überfluß hat sie die Landkarte auch noch selbst<br />

gezeichnet, zumindest in den Details.


– 12 –<br />

Zwischen Welt II und Welt III gibt es aber noch 3 weitere Verbindungen,<br />

nämlich Erinnerungen und Träume einerseits und Phantasie und Imagination<br />

andererseits (in der Graphik mit E, T, und P bezeichnet.)<br />

Wenn eine Person also zum Beispiel „in Trance“ geht, tut sie nach diesem<br />

Modell nichts weiter als ihre aktuelle Wahrnehmung aus dem Speicher in<br />

Welt III zu speisen. Mit Träumen und Phantasien beziehungsweise Wirklich-<br />

keitskonstruktionen verhält es sich entsprechend.<br />

Zunächst waren wir davon ausgegangen, daß Wahrnehmungsfilter und Hand-<br />

lungsbegrenzungen von den Inhalten in Welt III gesteuert werden. Das ist al-<br />

lerdings nur ein Teil der Wahrheit dieses Modells.<br />

Gleichzeitig hat nämlich auch Welt I unmittelbaren Einfluß auf beides. Oh-<br />

ne diese Punkte weit ausführen zu wollen, weil sie eher vom Thema wegfüh-<br />

ren, wäre hier etwa an Sinnesgrenzen zu denken. Unabhängig von ihrem Kon-<br />

zept in Welt III sieht eine Person in der Regel nicht so scharf wie ein etwa Ad-<br />

ler. Welt I setzt hier zum Beispiel Grenzen durch Alterungsprozesse.<br />

Weiterhin steuert Welt I auch aber auch die Handlungsoptionen mit. So ist<br />

es zum Beispiel nicht ohne weiteres möglich, ohne Hilfsmittel zu fliegen oder<br />

sich einen dritten Arm wachsen zu lassen, so nützlich er auch sein mag.<br />

Auch hier sind Alterungsprozesse ein typisches Beispiel für Handlungsbe-<br />

grenzungen unabhängig von der Welt III einer Person.<br />

Überdies und schließlich ist Welt I auch noch an der Theoriebildung, der<br />

Verbindung zwischen Welt II und Welt III, beteiligt. Man denke zum Beispiel<br />

nur an die KANT’schen a-priori-Kategorien. In einem sehr frühen Entwick-<br />

lungsstadium lernt ein Mensch aus dem Wahrnehmungschaos nah und fern,<br />

rechts und links, früher und später und so weiter zu unterscheiden. Auch diese<br />

Konzepte gehen als Vorstellung in Welt III ein, oft genug mit Ausschließlich-<br />

keitsanspruch und unter Identifikation mit Welt I.<br />

Man könnte nach diesem Modell also nicht behaupten, daß eine Person al-<br />

lein und ausschließlich für ihre Landkarte verantwortlich ist. Die groben Züge<br />

sind durchaus vorgegeben. Castaneda etwa würde diesen Punkt wohl den<br />

„Ersten Ring der Kraft“ nennen.


– 13 –<br />

Anmerkung: alle „Steuerungen“ sind in der Graphik mit gestrichelten Linien<br />

gezeichnet.<br />

Zum Schluß sei erwähnt, daß sich das gesamte Modell (außer „Welt I“) inner-<br />

halb einer Person befindet. Lediglich zur besseren Übersicht wurde die Gra-<br />

phik „entzerrt“. Die Person selbst befindet sich natürlich wiederum als Be-<br />

standteil in Welt I, da sie naturgemäß ein Teil davon ist.<br />

Die letzten zu besprechenden Punkte des Modells sind die „Doppelung“ in<br />

Welt II sowie die „Attraktoren“.<br />

Welt II teilt sich in der Graphik scheinbar auf in eine „Welt, wie sie ist“ (in<br />

der Graphik W ist ) und eine „Welt, wie sie sein sollte“ (in der Graphik Welt soll ).<br />

Dabei wird Welt II natürlich den Teufel tun: sie teilt sich nicht auf. Die „Welt,<br />

wie sie sein sollte“ ist nichts anderes als ein Konzept in Welt III. Da dieser Teil<br />

des Konzepts aber so stark wahrnehmungsassoziiert ist, macht es Sinn, ihn<br />

graphisch zu Welt II zu rücken. Der untere Kreis (Welt soll ) ist mit unscharfem<br />

Rand gezeichnet, um darzustellen, daß es für Welt soll zwar eine vage Vorstel-<br />

lung, aber regelmäßig kein klares Konzept gibt.<br />

Sämtliche Wahrnehmungsinhalte aus Welt I, die den Wahrnehmungsfilter<br />

passiert haben, werden von der Person somit gewissermaßen „automatisch“<br />

zugeordnet, und zwar, modellhaft gesprochen, in „erwünschte Wahrnehmun-<br />

gen“ (in der Graphik mit W (+) bezeichnet) und in „unerwünschte“ Wahrneh-<br />

mungen (in der Graphik W (–) ). „GG“ bezeichnet dabei das „Grundgefühl“, daß<br />

im Regelfall mit jeder Wahrnehmung verbunden ist (und seinerseits ein Ding<br />

auf der Grenze zwischen Welt II und Welt III) – und dabei alles grob in „ok“<br />

oder aber „nicht ok“ dichotomisiert. (Auf komplexere Gefühlstheorien soll hier<br />

nicht eingegangen werden).<br />

Hierbei handelt es sich wohl um eine „natürliche“ Leistung eines jeden Le-<br />

bewesens, die entwicklungsgeschichtlich uralt sein dürfte. Zum Verständnis<br />

stellen wir uns eine Person vor, daß nichts tut. Obwohl sie also auf ihre Umge-<br />

bung in keiner Weise einwirkt, wird sie doch Signale aus Welt I erhalten. Sie<br />

wird zum Beispiel hungrig werden. Die Wahrnehmung „Hunger“ wird ohne<br />

weiteres als „unerwünschte“ Wahrnehmung kategorisiert und die Person zur<br />

Futtersuche motivieren. Die Unterteilung in erwünschte bzw. unerwünschte


– 14 –<br />

Wahrnehmungen ist also im Interesse des Lebens selbst in allen Lebewesen<br />

angelegt und ist vermutlich so alt wie die Wahrnehmung selbst. Präpariert man<br />

zum Beispiel einen lebenden Einzeller auf die Mitte eines Objektträgers und<br />

appliziert mittels einer Nadelspitze eine winzige Menge einer Säure am Rand<br />

des Objektträgers, so wird der Einzeller, sobald er die Säure wahrnimmt, ver-<br />

suchen, in Gegenrichtung auszuweichen. Annäherung und Meidung scheinen<br />

also ein uraltes Programm im Interesse der Erhaltung des Lebens zu sein.<br />

Die Trennung in erwünschte bzw. unerwünschte Wahrnehmung hat zwei<br />

komplementäre Wirkungen: Einerseits erzeugt sie eine permanente, aber prak-<br />

tisch kaum auflösbare Spannung. Andererseits ist sie ein beständiger Antrieb<br />

für Veränderung, und zwar für gerichtete Veränderung.<br />

An dieser Stelle kommen wir unserer ursprünglichen Frage näher: Das Be-<br />

mühen um gerichtete Veränderung scheint unmittelbar mit der Optimierung<br />

der Wahrnehmungsinhalte zusammenzuhängen.<br />

„Attraktoren“ schließlich haben eine handlungslenkende oder sogar handlungs-<br />

ab-lenkende Funktion. Genaugenommen handelt es sich hierbei um Konzepte<br />

in Welt III, die allerdings so tief verwurzelt und so unglaublich unbewußt sind,<br />

daß man sie im Modell besser getrennt betrachtet als das, was sich im Grunde<br />

sind: Einflußgrößen, die neben den Konzepten aus Welt III und neben den<br />

steuernden Vorgaben aus Welt I das Verhalten bestimmen. Man kann sich<br />

leicht vorstellen, daß die Attraktoren ein ernstzunehmendes Hindernis jedwe-<br />

der Bemühung um gerichtete Veränderung sind.<br />

V. Von A nach B: Der Weg<br />

Ausgehend von der empirischen Feststellung, daß offenbar alle Lebensformen<br />

permanent in Bewegung sind, also mit der Veränderung ihres Zustandes befaßt<br />

sind, haben wir die Veränderungen auf gerichtete Veränderungen eingegrenzt.<br />

Mit dem 3-Welten-Modell haben eine Arbeitshypothese für den fortgesetzten<br />

Bewegungsdrang gefunden: Das Bestreben, die wahrgenommene Wirklichkeit<br />

mit der erwünschten Wirklichkeit in Einklang zu bringen. Dieses Bestreben ist<br />

zunächst einmal biologisch vorgegeben: Eine Person, die sich verweigert, ris-<br />

kiert im Extremfall die Auslöschung ihrer Existenz.


– 15 –<br />

Diese einfachste Veränderungsform ist also rein reaktiv, das heißt, die Per-<br />

son reagiert auf Veränderungsimpulse aus Welt I. Dabei erscheint diese Form<br />

der Veränderung unter strategischen Gesichtspunkten relativ unproblematisch.<br />

Eine weitere unproblematische Veränderungsform scheinen mir biologische<br />

Prozesse wie Wachstum, Erlernen des überlebensnotwendigen Wissens und so<br />

weiter zu sein. Ich möchte sie „immanente Entwicklung“ nennen. Auch sie<br />

sind biologisch oder sozial vorgegeben und „funktionieren“ im Regelfall.<br />

Bedeutsamer erscheinen mir dagegen die beiden weiteren möglichen For-<br />

men der Veränderung, nämlich „Zielerreichung“ und etwas, das ich „transzen-<br />

dente Entwicklung“ nennen möchte.<br />

Betrachten wir zunächst, weil es einfacher und naheliegender ist, die Zielerrei-<br />

chung – wobei mit »Ziel« folgendes gemeint sein soll:<br />

Ein durch freie, individuelle Entscheidung oder gesellschaftl.-polit. Entscheidungen unter<br />

verschiedenen Handlungsmöglichkeiten projektierter, in der Vorstellung und Planung antizipierter<br />

zukünftiger Zustand, der zugleich Orientierung ist für die jeweils gegenwärtigen<br />

Handlungen und Handlungsfolgen.“<br />

Ein „Ziel“ ist also zunächst einmal ein „zukünftiger Zustand“. Nach dem 3-<br />

Welten-Modell also nichts anderes als ein Wahrnehmungsinhalt in Welt II. Da<br />

dieser Wahrnehmungsinhalt bewußt angestrebt wird, können wir davon ausge-<br />

hen, daß er, im Gegensatz zum aktuellen Wahrnehmungsinhalt, ein höheres<br />

Maß an Deckung zwischen Welt ist und Welt soll aufweisen wird.<br />

„Projektiert“, „in Vorstellung und Planung antezipiert“ heißt nichts anderes,<br />

als daß es sich bei dem Ziel um ein Konzept in Welt III handelt.<br />

Die „Handlungsmöglichkeiten“ verweisen darauf, daß eine Änderung der<br />

Wahrnehmungsinhalte im gewünschten Sinne nur dann möglich ist, wenn die<br />

Person auf Welt I einwirkt. Diese Einwirkung nennt man üblicherweise „han-<br />

deln“.<br />

Zusammenfassend läßt sich also festhalten, daß sich ein „Ziel“ immer auf<br />

Wahrnehmungsinhalte (Welt II) bezieht, in der Vorstellungswelt (Welt III)<br />

konzipiert wird, dabei aber nur über Einwirkungen auf Welt I realisiert werden<br />

kann. Welt III nimmt dabei drei verschiedene Funktionen wahr: (1) Konzipie-<br />

rung der nötigen Schritte, (2) die Idee, daß überhaupt Schritte nötig sind, und<br />

(3) die Vorstellung, daß überhaupt neue Wahrnehmungsinhalte erwünscht sind.


Grundfragen der Zielformulierungen sind demnach:<br />

• Was will ich erreichen?<br />

– 16 –<br />

Präzise formuliert: Welchen outcome erwarte ich von Welt I, welche Wahr-<br />

nehmungsinhalte will ich künftig wahrnehmen?<br />

• Was muß ich dafür tun?<br />

Präzise formuliert: Welchen output muß ich leisten? Auf welche Weise muß<br />

ich handelnd auf die blackbox Welt I einwirken, um den erwünschten out-<br />

come zu erzeugen? Bin ich überhaupt bereit, diesen output zu leisten?<br />

• Welche und wieviel Mittel muß ich dafür einsetzen?<br />

Präzise formuliert: Welchen input muß ich leisten, welche Ressourcen muß<br />

ich aufwenden? Bin ich überhaupt in der Lage, diesen input zu leisten?<br />

Mit diesen drei Grundfragen sind drei mögliche Fehlerquellen verbunden, die<br />

der Zielerreichung ernsthaft im Wege stehen können:<br />

Eine Unschärfe in der Definition des outcomes schließt eine Zielerreichung<br />

gewissermaßen per se aus: Wenn ich nicht weiß, was ich erreichen wollte,<br />

kann ich unmöglich sagen, ob ich es erreicht habe.<br />

Es gibt an dieser Stelle aber noch ein zweites Problem: Da es offenbar un-<br />

möglich ist, unmittelbar bestimmte Wahrnehmungsinhalte zu erzeugen, son-<br />

dern immer nur mittelbar, über handelnde Einwirkung auf Welt I, ist es wegen<br />

des blackbox-Charakters von Welt I nicht möglich vorherzusagen, welches<br />

Wahrnehmungsbündel man sich einhandelt. Ein erwünschtes Wahrnehmungs-<br />

element W (+) kann und wird mit einem ganzen Rudel weiterer Wahrnehmungs-<br />

elemente W (–) verbunden sein, die – nolens volens – in Kauf zu nehmen sind.<br />

Eine Unschärfe in der Definition des outputs ist aber nicht weniger hinderlich:<br />

Jeder output generiert automatisch bestimmte Wahrnehmungsinhalte, die<br />

durchaus Elemente aus W (–) sein können. Die Bereitschaft, einen bestimmten<br />

output zu leisten, läßt sich formal auch so beschreiben: Welchen und wieviel<br />

W (–) bin ich um der erwünschten W (+) willen bereit zu akzeptieren?<br />

Eine Unschärfe in der Definition des inputs schließlich führt dazu, daß der out-<br />

put und damit der outcome gar nicht erst zustande kommt. Zieldefinitionen, die


– 17 –<br />

auf unmöglichem input aufbauen, könnte man mit Fug und Recht unrealistisch<br />

nennen.<br />

Die sog. „Wohlgeformtheitskriterien“ der Zieldefinition versuchen, hier das<br />

schlimmste zu vermeiden. Fraglich ist, ob und unter welchen Umständen sie<br />

das können.<br />

Gehen wir zunächst davon aus, daß es drei grundsätzliche Möglichkeiten<br />

gibt, ein Ziel zu formulieren, nämlich auf der Ebene (1) des inputs, (2) des out-<br />

puts und (3) des outcomes.<br />

Jemand könnte als Ziel formulieren: „Ich will täglich 5 Stunden Zeit auf-<br />

wenden, um die nötige Literatur zu lesen.“ Eine klassische input-Definition.<br />

Sie ist positiv formuliert, enthält keine Komparation („ich will mehr lesen“),<br />

und ist sinnesspezifisch konkret. Weiterhin ist sie autonom umsetzbar und der<br />

feedback-Bogen ist hinreichend kurz.<br />

Soweit, so gut. Allerdings bleibt die Frage offen, ob die Person überhaupt in<br />

der Lage ist, täglich 5 Stunden Zeit als Ressource zu aktivieren.<br />

Zum zweiten Fall: Jemand formuliert: „Ich will meine Dissertation schrei-<br />

ben.“ Eine klassische output-Definition. Sie ist positiv formuliert und enthält<br />

ebenfalls keine Komparation. Sie könnte auch leicht sinnesspezifisch konkreti-<br />

siert werden, etwa: „Ich will täglich 10 Seiten schreiben.“ Auch dieses Ziel<br />

wäre autonom umsetzbar und hat einen hinreichend kurzen feedback-Bogen.<br />

Die dritte mögliche Definition rekurriert auf den outcome: „Ich will einen<br />

Doktortitel haben“. Auch hier sind die ersten drei Kriterien erfüllt. Aber: Diese<br />

Definition scheitert an dem Kriterium der »Autonomie« (im fachsprachlichen<br />

Sinne): Die Erlangung des Doktortitels ist nicht unmittelbar möglich, weil<br />

Welt I dazwischengeschaltet ist, schlimmer noch, die Mitmenschen.<br />

Das dumme ist, daß sich Ziele letztlich immer auf einen outcome beziehen.<br />

Der outcome kommt von Welt I. Aber Welt I ist eine blackbox, die potentiell<br />

unberechenbar reagieren kann.<br />

Folglich sind outcome-formulierte Ziele grundsätzlich nicht autonom um-<br />

setzbar.<br />

Nebenbei bemerkt hapert es auch noch am feedback-Bogen. Ein kurzer<br />

feedback-Bogen kann sich immer nur auf den output beziehen, also auf die


– 18 –<br />

Frage: Tue ich noch, was ich meinem Konzept in Welt III entsprechend tun<br />

muß, um weiterzukommen?<br />

Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß Ziele regelmäßig erwünschte<br />

Wahrnehmungsinhalte meinen. Wahrnehmungsinhalte kommen aber aus Welt I<br />

und sind damit nicht autonom umsetzbar. Das möchte ich Problem I nennen.<br />

Weiterhin meint „Zielverfolgung“ regelmäßig Einwirkungen auf Welt I.<br />

Dabei generiert jede Einwirkung aber ein Bündel von Wahrnehmungsinhalten<br />

– und eben nicht nur die erwünschten. Das möchte ich Problem II nennen. In<br />

anderen Worten: „Naive Zielplanung“ tut immer so, als käme lediglich etwas<br />

hinzu, nämlich die erwünschten Wahrnehmungsinhalte des Ziels. Das ist aber<br />

praktisch nie der Fall. NLP versucht zwar, via Ökocheck das gröbste zu ver-<br />

meiden, aber letztlich scheint mir der mögliche outcome aus Welt I nicht im-<br />

mer wirklich abschätzbar zu sein.<br />

Wie kann man also mit den beiden Grundproblemen umgehen?<br />

• Realistische Zielbestimmung und realistische Ressourcen-Einschätzung:<br />

Dabei ist das, was „realistisch“ sein soll, natürlich wiederum nur ein Kon-<br />

zept in Welt III. Auch „unrealistische“ Pläne könnten erfolgreich sein.<br />

• Den „Preis“ in Form von unerwünschten Wahrnehmungsinhalten einkalku-<br />

lieren und akzeptieren.<br />

• Akzeptieren, daß Ziele nicht autonom umsetzbar sind. Eigentlich bleibt hier<br />

nur, das beste geben in der Hoffnung, daß Welt I „mitspielt“.<br />

• Konzentration auf möglichst wenige Ziele, weil die Verwicklungen mit der<br />

Anzahl der verfolgten Ziele überproportional ansteigen. Akzeptieren, daß<br />

Nebenziele rausfallen.


VI. Fazit<br />

– 19 –<br />

Alle wollen sich verändern, aber kaum einer tut’s. Der jeweilige Ausgangszu-<br />

stand A scheint eine eigentümliche „Attraktion“ zu haben. Bei der Spurensuche<br />

habe ich versucht zu zeigen, daß die gewünschten Veränderungen nicht belie-<br />

big sind, sondern eine „Ausrichtung“ haben und ein „Mehr“ gegenüber dem<br />

Ausgangszustand beinhalten.<br />

Da ich den Unterschied für wesentlich halte, habe ich für gerichtete Verän-<br />

derungswünsche den Begriff „Zielverfolgung“ und – für die Hintergrundmoti-<br />

vation – „transzendentes Entwicklungsbedürfnis“ vorgeschlagen.<br />

Reserviert man aber den Begriff „Veränderung“ für den Übergang von ei-<br />

nem Zustand A in einen unterscheidbaren Zustand B, dann ist die Tatsache,<br />

daß Veränderungen stattfinden, schlechterdings trivial. Veränderungen finden<br />

statt zum Teil als Reaktionen auf Veränderungen in der Umwelt (reaktive Ver-<br />

änderungen), zum Teil aber auch als Vorgaben der Umwelt selbst. Der Begriff<br />

„Veränderungsarbeit“ ist damit zumindest unreflektiert, wenn nicht gar irrefüh-<br />

rend: Zur Veränderung bedarf es nicht unbedingt eines Arbeitsaufwandes!<br />

Zur begrifflichen Präzisierung habe ich ein »3-Welten-Modell« eingeführt.<br />

Anhand dieses Modells lassen sich nicht nur der status quo einer Person ein-<br />

schließlich der wesentlichen Restriktionen, sondern auch Motivation, Möglich-<br />

keiten und Grenzen für das Erreichen von Zielen und transzendenter Entwick-<br />

lung auf formaler Ebene beschreiben.<br />

Dabei zeigt sich, daß sich „Ziele“ regelmäßig auf die Wahrnehmungsebene<br />

beziehen, obwohl sie häufig genug auf Handlungsebene definiert werden. Wer<br />

zum Beispiel erklärt, daß er „nicht mehr rauchen“ will, macht nicht nur den<br />

Fehler, sein Ziel negativ zu formulieren, sondern er nimmt auch eine Ebenen-<br />

verwischung vor: Es geht gar nicht um das Rauchen oder Nichtrauchen auf<br />

Handlungsebene, sondern um die Vermeidung der mit dem Rauchen verbunden<br />

unerwünschten Wahrnehmungsinhalte! Bei einem so unscharfen methodischen<br />

Ansatz braucht sich freilich niemand zu wundern, wenn Erfolge bei der Zieler-<br />

reichung ausbleiben.<br />

Das Modell zeigt darüber hinaus eine zweite Schwäche nichtreflektierter<br />

Zielverfolgung: Ziele haben ihren „Preis“ in Form von unerwünschten Wahr-<br />

nehmungsaspekten, eine Tatsache, die regelmäßig nicht ernstgenommen wird.


– 20 –<br />

Triviale Zielverfolgung möchte alles zum Nulltarif haben, was, wie sich zeigen<br />

läßt, nicht funktionieren kann. Zwar läßt sich der Preis – legitimerweise –<br />

„runterhandeln“, zum Beispiel mit Konzepten wie „Verhandlung zwischen<br />

zwei Teilen“, aber eine „Nulltarif-Lösung“ scheint es im Regelfall nicht zu<br />

geben.<br />

Drittens zeigt das Modell den Unterschied zwischen Veränderung, Zielverfol-<br />

gung und transzendenter Entwicklung.<br />

Während reine Veränderungen offenbar eine Bedingung des Lebens selbst<br />

sind, dienen reaktive Veränderungen eines wahrnehmenden Wesens der Opti-<br />

mierung der Wahrnehmungsinhalte, also der Annäherung an erwünschte<br />

Wahrnehmungen und der Meidung unerwünschter Wahrnehmungen – und sind<br />

dabei offenbar entwicklungsgeschichtlich uralt.<br />

Zielverfolgung scheint – auf dieser Ebene – dem gleichen Zweck zu dienen,<br />

setzt aber ein Bewußtsein voraus, das über das Hier und Jetzt hinausreicht.<br />

Ohne Vorstellung einer „Zukunft“ macht Zielverfolgung keinen Sinn. Zielver-<br />

folgung läßt sich also als der Versuch beschreiben, künftige Wahrnehmungsin-<br />

halte zu optimieren, oft genug um den Preis gegenwärtiger Inhalte.<br />

Der Bedeutungsgehalt transzendenter Entwicklung wird deutlich, wenn man<br />

sie gegen immanente Entwicklung abgrenzt. Immanente Entwicklung, also<br />

Ausdifferenzierung der Funktionen, Wachstum, Aneignung des überlebens-<br />

notwendigen Wissens etc. pp., scheint eine unverzichtbare biologische Vorga-<br />

be zu sein. Darüberhinausgehende (transzendente) Entwicklung wäre dann –<br />

abstrakt formuliert – die Erweiterung der Möglichkeiten, mithin Überwindung<br />

von Handlungs- und Wahrnehmungsgrenzen zum einen, Auflösung der Span-<br />

nung zwischen wahrgenommener Wirklichkeit und beabsichtigter Wirklichkeit<br />

zum anderen.<br />

Dabei scheint der letzte Punkt, die Auflösung der Spannung durch Handeln,<br />

angesichts der black-box-Natur der »Welt I« unmöglich. Der Ausgleich scheint<br />

eher an der Stelle herstellbar zu sein, wo die Spannung letztlich ja auch „pro-<br />

duziert“ wird, nämlich als Konzept in Welt III.<br />

Oder, in der bildhaften Sprache einiger moderner Yogis:


Der Meister sitzt nicht auf dem Gipfel und meditiert<br />

Der Meister hängt am Steilhang – da, wo er am steilsten ist<br />

Und der Abgrund am tiefsten.<br />

Hört ihr? Er lacht.<br />

– 21 –

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