Rubens trifft Sloterdijk – Spannende Porträt-Schau in ... - Markus Orths
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<strong>Rubens</strong> <strong>trifft</strong> <strong>Sloterdijk</strong> <strong>–</strong> <strong>Spannende</strong><br />
<strong>Porträt</strong>-<strong>Schau</strong> <strong>in</strong> Karlsruhe<br />
Karlsruhe / dpa<br />
Wenn der Maler Peter Paul <strong>Rubens</strong> auf den Philosophen Seneca <strong>trifft</strong> und Peter <strong>Sloterdijk</strong> auf<br />
die beiden, kann <strong>Spannende</strong>s entstehen. Was genau, ist derzeit <strong>in</strong> der Staatlichen Kunsthalle<br />
Karlsruhe zu besichtigen. Das renommierte Kunstmuseum hat <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Schätzen gekramt<br />
und zu 50 Gemälden Dichter und Denker befragt. Herausgekommen ist e<strong>in</strong>e Ausstellung, die<br />
gleichermaßen anspruchsvoll wie unterhaltsam ist. Die <strong>Schau</strong> „unter vier Augen - <strong>Porträt</strong>s<br />
sehen, lesen, hören“ zeigt Spitzenwerke der Sammlung aus 500 Jahren und br<strong>in</strong>gt sie zum<br />
Sprechen <strong>–</strong> von diesem Samstag an bis zum 20. Oktober.<br />
Vom Schriftsteller Mart<strong>in</strong> Walser über Literaturnobelpreisträger<strong>in</strong> Herta Müller bis zum<br />
Philosophen <strong>Sloterdijk</strong> <strong>–</strong> nach e<strong>in</strong>er 21 Meter langen Fotostrecke der alten Meister und ihrer<br />
heutigen Interpreten erwartet den Besucher im nächsten Saal das M<strong>in</strong>iatur-<strong>Porträt</strong> e<strong>in</strong>es<br />
Gelehrten aus dem 15. Jahrhundert. Das älteste <strong>Porträt</strong> der Sammlung vom sogenannten<br />
„Meister des Marienlebens“ wird von der jüngsten Interpret<strong>in</strong>, der Dichter<strong>in</strong> Nora Gomr<strong>in</strong>ger,<br />
<strong>in</strong> Szene gesetzt <strong>–</strong> als fiktiver Monolog vom „schlaue Kääl aus Kölle“, der darüber räsoniert,<br />
warum er so lange Modell sitzen muss.<br />
Dem Gelehrten steht lebensgroß die Marchesa Veronica Sp<strong>in</strong>ola Doria (1606/7) von Peter<br />
Paul <strong>Rubens</strong> gegenüber. Ihre zierliche Gestalt verschw<strong>in</strong>det unter dem ausladenden<br />
Spitzenkragen und dem schweren schwarzen Kleid <strong>–</strong> ihre Persönlichkeit ist dennoch zu<br />
erahnen. Die Aristokrat<strong>in</strong> mit Silberblick ist vom Maler als Individuum entlarvt, hat<br />
Literaturkritiker<strong>in</strong> und Autor<strong>in</strong> Angelika Overath entdeckt.<br />
Die meisten Gemälde von Renoir und Co. laden schon so zum Verweilen unter vier Augen<br />
e<strong>in</strong>. Es gibt aber auch <strong>Porträt</strong>s, die sich erst durch die Recherche oder den fiktiven<br />
Kommentar der modernen Zeitzeugen offenbaren.<br />
Die badische Hofmaler<strong>in</strong> Marie Ellenrieder (1791-1863) etwa sah sich zeitlebens nicht<br />
wirklich als Künstler<strong>in</strong> gewürdigt. Ihr Landsmann vom Bodensee, der Schriftsteller Mart<strong>in</strong><br />
Walser, hat die Konstanzer<strong>in</strong> ausgewählt <strong>–</strong> und zeigt dabei auch, was Kritik aus e<strong>in</strong>em<br />
Künstler machen kann.<br />
Die „Schwangere“ von Otto Dix (1930) entpuppt sich dank Autor<strong>in</strong> Juli Zeh als anrührend<br />
taffe Frau <strong>–</strong> schade nur, dass die Gutmenschen um sie herum alles zerstören. Und das traurige<br />
Ende von Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938) kündigt sich <strong>in</strong> der furchtbaren Zerrissenheit<br />
an, die <strong>Markus</strong> <strong>Orths</strong> beschreibt.<br />
Gruselig ersche<strong>in</strong>t das Leben der von Roman-Autor<strong>in</strong> Brigitte Kronauer vorgestellten<br />
verbitterten älteren Frau mit Haube aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, stark noch im<br />
Angesicht des Todes dagegen der von <strong>Sloterdijk</strong> präsentierte Abgang von Seneca. E<strong>in</strong>e
sche<strong>in</strong>bar harmlose Familienszene von Francois-André V<strong>in</strong>cent aus dem Jahr 1804 bekommt<br />
dank des Kommentars von Christ<strong>in</strong>e Traber und Ingo Schulze e<strong>in</strong>en erotischen Touch.<br />
Nach Erpresserbrief sieht das aus, was Nobelpreisträger<strong>in</strong> Herta Müller <strong>in</strong> das unschuldige<br />
Gesicht e<strong>in</strong>es kle<strong>in</strong>es Mädchens von Georg Philipp Schmitt h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gedacht hat <strong>–</strong> bei näherem<br />
H<strong>in</strong>sehen ist es aber Poesie pur. Dass die Gruppentherapie <strong>in</strong> Karlsruhe erfunden wurde,<br />
erfährt man en passant bei der Beschreibung e<strong>in</strong>es Bildes von Georg Scholz durch den US-<br />
Psychologen Laurence Arthur Rickels.<br />
Der Besucher kann die <strong>Schau</strong> durchlaufen <strong>–</strong> oder sich Zeit nehmen, um als Lesender mit<br />
Katalogbuch sowie als Hörender mit Audioguide die niederländische, deutsche und<br />
französische <strong>Porträt</strong>malerei von 1480 bis 1980 zu durchstreifen: von der Entdeckung des<br />
Individuums über den <strong>in</strong> die Ferne schweifenden, von repräsentativem Schnickschnack<br />
umrahmten Typ bis h<strong>in</strong> zur ausdrucksstarken Charakterstudie oder Abstraktion wie <strong>in</strong> Fritz<br />
Klemms „Maltisch mit Selbstbildnis“ von 1956/57.<br />
Kaum etwas ist, wie es auf den ersten Blick sche<strong>in</strong>t: Der Husar, den Johann Georg Dathan<br />
Mitte des 18. Jahrhunderts malte, ist e<strong>in</strong>e Frau. Warum die Verkleidung? „Die <strong>Porträt</strong>s bergen<br />
Geheimnisse“, sagt Kurator<strong>in</strong> Kirsten Voigt. Manchem ist die <strong>Schau</strong> tatsächlich auf die<br />
Schliche gekommen. Fünf Gemälde harren noch der Interpretation <strong>–</strong> da dürfen Besucher sich<br />
Gedanken machen.<br />
(Erschienen: 11.07.2013 14:45)