Leidenschaftlicher St.. - Ralf Hagen
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Wer so argumentiert, hat den Sinn des Abendmahls nicht begriffen. Drei Jahre später ist die Liturgie<br />
ganz stillschweigend vergessen worden – vielen ging dieser Vorstoß zur „<strong>St</strong>reichelzoo-Liturgie“ zu<br />
weit. (Siehe J. Pfützners Artikel „Zuviel Blut“ in der „Ansichtssache“ von Christen heute, April 2004.)<br />
Was „moderne“ Theologen als nächstes „endgültig“ hinter sich lassen, wird interessant. Vielleicht die<br />
Vorstellung, daß wir alle Sünder sind, die im Laufe ihres Lebens Schuld ansammeln – für die, nach der<br />
fundamentalsten christlichen Lehre, die alle Kirchen eint, Jesus Christus starb?<br />
Jesus gab sich für uns hin, sein Leib wurde in Leiden geschunden, sein Blut vergossen – eine<br />
unglaubliche Vorleistung, deren einzige Gegenleistung war: „Tut dies zu meinem Gedenken“ (Lk<br />
22,19).<br />
Gibson konzentriert sich auf dieses Leiden Christi, das mit Rückblenden zum letzten Abendmahl<br />
unterlegt ist. Damit gelingt ihm die Verbindung der Liturgie zu dem Opfer, dem dort gedacht wird;<br />
andere Bibelstellen, wie Jesu Einzug in Jerusalem und die Bergpredigt, werden in Rückblenden gezeigt<br />
– man kann sagen, sie kämen zu kurz. Oder man kann argumentieren, es werden Andeutungen<br />
gemacht, die Interesse an der ganzen Geschichte wecken sollen, ohne daß zuviel vorweggenommen<br />
wird. Auch dies hat zwei Seiten. Es ist eine Ansichtssache, ob es glücklich war, sich auf diesen Aspekt<br />
der Passion zu konzentrieren; ich bejahe es.<br />
Seine Auswahl beginnt mit dem Gebet Jesu im Garten Gethsemane und endet mit dem Tode Jesu.<br />
Ältere Handschriften des Evangelium des Markus enden mit der Entdeckung des leeren Grabes, Mk.<br />
16,8 – soviel fehlt also nicht unbedingt.<br />
Ich bedaure aber, daß die Grablegung zu kurz kommt und die Entdeckung des leeren Grabes fehlt.<br />
Die Gewaltszenen sind drastisch; Gerd Lüdemann spricht von einer „historisch korrekten Inszenierung“<br />
der Leiden eines durch Kreuzigung Hingerichteten und fügt an: „Gibsons Film bietet daher ein<br />
heilsames Korrektiv gegen alte und neue Verzärtelungen des Heilandes, welche die Grausamkeit seiner<br />
Hinrichtung vergessen machen.“<br />
Jozef Niewiadomski geht in seiner Kritik weiter: „Tagtäglich schauen wir hin und sehen doch nicht.<br />
Die brutalste Szene des Films ist die Geißelung. [...] Spielten sich solche Szenen nicht in Verließen<br />
jener totalitären Machtapparate ab, in denen das Gewaltmonopol nicht funktioniert? [...] Ein Kinogang<br />
zur Korrektur der Erwartungen also!“<br />
Dazu: Wir leben in der längsten Periode des Friedens, die es im neuzeitlichen Deutschland gab. Leiden<br />
und Vertreibung, Not und Krieg haben wir seit 1945 nicht mehr erlebt; reale Gewalt kennen wir nur aus<br />
der Tagesschau, einen Klick auf der Fernbedienung entfernt von Unterhaltung. Wir leben in einer sehr<br />
privilegierten Generation, ohne uns dessen bewußt zu sein.<br />
Frühere Generationen brauchten keine Erinnerung an die Leiden Christi. Sie kannten Leid und<br />
Schmerz. Die Mel Gibsons von zwei ganzen Generationen waren Millionen Väter, Brüder und Söhne,<br />
die das Greuel des Krieges berichteten, das man in Luftangriffen selbst zu spüren bekam.<br />
Heute gebraucht man die Privilegien, die ohne Vorleistung auf uns gekommen sind, als<br />
selbstverständlich. Wenn überhaupt, wird gegen Spendenquittung als Ablaßbrief das Leid der Welt<br />
bekämpft, ohne sich damit zu befassen; einige unterfinanzierte Hilfsorganisationen führen einen Kampf<br />
dagegen, den sie nur verlieren können – einzige Ausnahme sind gerade in „Mode“ befindliche<br />
Krisengebiete.<br />
Aus all diesen Gründen ist eine solche explizite Gewalt- und Leidensdarstellung manchmal ganz<br />
heilsam.<br />
Man muß den Film nicht sehen. Aber wenn man ihn sieht, sollte man darauf achten, ihn vorurteilsfrei<br />
zu sehen. Durch den ganzen Presserummel ist der Film „zu“. Zu brutal. Zu antijudaistisch: Wenn man<br />
nur den aufgepeitschten Mob und die Jesus verurteilenden Hohepriester sieht, und nicht auf die<br />
entsetzten Juden auf dem Kreuzweg und die Jesus verteidigenden Priester achtet, kann man den Film