Leidenschaftlicher St.. - Ralf Hagen
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<strong>Leidenschaftlicher</strong> <strong>St</strong>reit.<br />
Der Film „Passion Christi“ erregt die Gemüter und wird von der Kritik verrissen.<br />
Es ist Zeit, eine Lanze für ihn zu brechen.<br />
<strong>Ralf</strong> <strong>Hagen</strong> gehört zur Gemeinde Saarbrücken und studiert im Moment an der Universität der<br />
Bundeswehr in München-Neubiberg.<br />
Herbe Kritiken mußte der Film schon einstecken. Er sei eine „Gewaltorgie“, „historisch nicht akkurat“,<br />
ja, sogar „antisemitisch“; die Kritiken nehmen manchmal bizarre Züge an.<br />
Aber hier gilt wie so häufig: Man kann in dem Film vieles sehen; man findet allerlei <strong>St</strong>ellen, die die<br />
meisten, noch so abstrusen Sichtweisen unterstützen – aber auch widerlegen.<br />
Trotz dieser Kritiken läuft der Film in den größten Kinos und ist so erfolgreich wie kaum ein Zweiter.<br />
Ist der Film aber wirklich so schlecht, wie er gemacht wird?<br />
Zunächst stelle man sich vor: Nachdem der deutsche Film in „Luther“ und „Das Wunder von Lengede“<br />
die Lust an deutschen Geschichten entdeckt hat, findet eine Verfilmung von Friedrich Schillers<br />
„Wallenstein“ statt.<br />
„Ho! Aber Halt!“, sagen Kritiker. „Der historische Wallenstein war doch ganz anders!“<br />
Undenkbar? Ja!<br />
Aber das geschieht.<br />
Mel Gibson hat keinen Zweifel daran gelassen, daß er sich an die vier kanonischen Evangelien und die<br />
Visionen der Anna Katharina Emmerick nach Clemens Brentano gehalten hat. Diese literarischen<br />
Quellen enthalten in der Tat einiges, was die moderne historische Forschung widerlegt hat.<br />
Dafür haben sie aber aus einer für die damalige Zeit „gewöhnlichen“ Hinrichtung eine Tragödie<br />
gemacht, deren Geschichte und theologische Aussage heute noch Millionen von Menschen in ihren<br />
Bann ziehen – der Meinung von uns Christen nach, zu Recht.<br />
Einen Aspekt dieser literarischen Geschichte wollte Gibson darstellen, und bedient sich dabei<br />
ungewöhnlicher, aber legitimer <strong>St</strong>ilmittel. So verwendet er beispielsweise die aramäische und<br />
lateinische Sprache. Selbst wenn die Sprachen nicht historisch korrekt sind, grenzen sie die Gruppen<br />
voneinander ab, was zur Atmosphäre des Films nicht unbeträchtlich beiträgt. In den römischen<br />
Soldaten, in der jerusalemer Menge, in der Figur des Zauderers Pontius Pilatus, der eigentlich das Gute<br />
will, doch das Böse schafft, können wir alle uns wiedererkennen.<br />
„Nur Augenzeugen könnten ermessen, welche Folgen die Auspeitschung der oft nackt über ein Faß<br />
gebundenen Opfer hinterließ: „Ein rohes, gehacktes Beefsteak ist nichts dagegen!““<br />
Wer den Film kennt, weiß, daß das eine gute Beschreibung der Geißelungsszene Jesu durch die<br />
römischen Soldaten ist. Gott sei Dank, daß solche Szenen nur in biblischen Zeiten vorkamen.<br />
Weit gefehlt. Das Zitat entstammt einem Bericht des Forschungsreisenden Wilhelm Vallentin, der die<br />
deutschen Afrikakolonien um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert besuchte. Die Täter waren<br />
Deutsche; die beschriebenen Handlungen bereiteten die großen Aufstände 1903-1905 in Deutsch-<br />
Südwest- und -Ostafrika vor, die vielfach in Völkermorden an der schwarzen Bevölkerung endeten und<br />
von denen Außenminister Fischer heute sagt, die Verbrechen hätten damals „keinen Verstoß gegen<br />
geltendes Völkerrecht“ dargestellt und seien verjährt.<br />
100 Jahre später, Evangelischer Kirchentag, 14.-17. Juni 2001: „Wir lassen die Vorstellung, Fleisch zu<br />
essen und Blut zu trinken, endgültig hinter uns.“ <strong>St</strong>att der traditionellen Einsetzungsworte sollte es nach<br />
neuer Liturgie heißen: „Mein Leben für Euch“.
Wer so argumentiert, hat den Sinn des Abendmahls nicht begriffen. Drei Jahre später ist die Liturgie<br />
ganz stillschweigend vergessen worden – vielen ging dieser Vorstoß zur „<strong>St</strong>reichelzoo-Liturgie“ zu<br />
weit. (Siehe J. Pfützners Artikel „Zuviel Blut“ in der „Ansichtssache“ von Christen heute, April 2004.)<br />
Was „moderne“ Theologen als nächstes „endgültig“ hinter sich lassen, wird interessant. Vielleicht die<br />
Vorstellung, daß wir alle Sünder sind, die im Laufe ihres Lebens Schuld ansammeln – für die, nach der<br />
fundamentalsten christlichen Lehre, die alle Kirchen eint, Jesus Christus starb?<br />
Jesus gab sich für uns hin, sein Leib wurde in Leiden geschunden, sein Blut vergossen – eine<br />
unglaubliche Vorleistung, deren einzige Gegenleistung war: „Tut dies zu meinem Gedenken“ (Lk<br />
22,19).<br />
Gibson konzentriert sich auf dieses Leiden Christi, das mit Rückblenden zum letzten Abendmahl<br />
unterlegt ist. Damit gelingt ihm die Verbindung der Liturgie zu dem Opfer, dem dort gedacht wird;<br />
andere Bibelstellen, wie Jesu Einzug in Jerusalem und die Bergpredigt, werden in Rückblenden gezeigt<br />
– man kann sagen, sie kämen zu kurz. Oder man kann argumentieren, es werden Andeutungen<br />
gemacht, die Interesse an der ganzen Geschichte wecken sollen, ohne daß zuviel vorweggenommen<br />
wird. Auch dies hat zwei Seiten. Es ist eine Ansichtssache, ob es glücklich war, sich auf diesen Aspekt<br />
der Passion zu konzentrieren; ich bejahe es.<br />
Seine Auswahl beginnt mit dem Gebet Jesu im Garten Gethsemane und endet mit dem Tode Jesu.<br />
Ältere Handschriften des Evangelium des Markus enden mit der Entdeckung des leeren Grabes, Mk.<br />
16,8 – soviel fehlt also nicht unbedingt.<br />
Ich bedaure aber, daß die Grablegung zu kurz kommt und die Entdeckung des leeren Grabes fehlt.<br />
Die Gewaltszenen sind drastisch; Gerd Lüdemann spricht von einer „historisch korrekten Inszenierung“<br />
der Leiden eines durch Kreuzigung Hingerichteten und fügt an: „Gibsons Film bietet daher ein<br />
heilsames Korrektiv gegen alte und neue Verzärtelungen des Heilandes, welche die Grausamkeit seiner<br />
Hinrichtung vergessen machen.“<br />
Jozef Niewiadomski geht in seiner Kritik weiter: „Tagtäglich schauen wir hin und sehen doch nicht.<br />
Die brutalste Szene des Films ist die Geißelung. [...] Spielten sich solche Szenen nicht in Verließen<br />
jener totalitären Machtapparate ab, in denen das Gewaltmonopol nicht funktioniert? [...] Ein Kinogang<br />
zur Korrektur der Erwartungen also!“<br />
Dazu: Wir leben in der längsten Periode des Friedens, die es im neuzeitlichen Deutschland gab. Leiden<br />
und Vertreibung, Not und Krieg haben wir seit 1945 nicht mehr erlebt; reale Gewalt kennen wir nur aus<br />
der Tagesschau, einen Klick auf der Fernbedienung entfernt von Unterhaltung. Wir leben in einer sehr<br />
privilegierten Generation, ohne uns dessen bewußt zu sein.<br />
Frühere Generationen brauchten keine Erinnerung an die Leiden Christi. Sie kannten Leid und<br />
Schmerz. Die Mel Gibsons von zwei ganzen Generationen waren Millionen Väter, Brüder und Söhne,<br />
die das Greuel des Krieges berichteten, das man in Luftangriffen selbst zu spüren bekam.<br />
Heute gebraucht man die Privilegien, die ohne Vorleistung auf uns gekommen sind, als<br />
selbstverständlich. Wenn überhaupt, wird gegen Spendenquittung als Ablaßbrief das Leid der Welt<br />
bekämpft, ohne sich damit zu befassen; einige unterfinanzierte Hilfsorganisationen führen einen Kampf<br />
dagegen, den sie nur verlieren können – einzige Ausnahme sind gerade in „Mode“ befindliche<br />
Krisengebiete.<br />
Aus all diesen Gründen ist eine solche explizite Gewalt- und Leidensdarstellung manchmal ganz<br />
heilsam.<br />
Man muß den Film nicht sehen. Aber wenn man ihn sieht, sollte man darauf achten, ihn vorurteilsfrei<br />
zu sehen. Durch den ganzen Presserummel ist der Film „zu“. Zu brutal. Zu antijudaistisch: Wenn man<br />
nur den aufgepeitschten Mob und die Jesus verurteilenden Hohepriester sieht, und nicht auf die<br />
entsetzten Juden auf dem Kreuzweg und die Jesus verteidigenden Priester achtet, kann man den Film
auch so sehen. Wenn ich als ernsthafte Kritik höre, daß Moslems im In- und Ausland den Film gut<br />
finden (was korrekt ist), dann wird es bizarr. Arbeiten Hunzinger & Co eigentlich auch für <strong>St</strong>ellen, die<br />
das Ansehen einer Gruppe verschlechtern wollen, oder ist die öffentliche Meinung tatsächlich so<br />
hysterisch?<br />
Am besten, man läßt alles, was man über den Film gehört hat, mit dem Mantel an der Garderobe und<br />
bereitet sich vor, einen Film zu sehen, der die Leiden Christi nicht beschönigt. Man kann den Film am<br />
Ende befürworten oder ablehnen – aber man sollte es selbst tun.<br />
Es ist auch eine große Chance für die Religion, wenn jetzt Menschen in Massen wieder Interesse am<br />
Glauben bekommen. Es wird häufig postuliert, man bräuchte den Film Gibsons nicht, da man sich der<br />
Leiden Christi auch ohne ihn klar ist – einerseits, offensichtlich nicht alle. Andererseits, in dem<br />
Augenblick, in dem man sich aus Anlaß des Films mit dem Thema auseinandersetzt, auch ohne den<br />
Film gesehen zu haben, hat er schon seinen Zweck erreicht. So mag man den Film mögen oder nicht,<br />
man mag unabhängig davon den Regisseur oder dessen Glauben mögen oder nicht, aber er bietet die<br />
Möglichkeit zu einer nachhaltigen Besinnung – allein deswegen gebührt Gibson schon Dank.<br />
Ich empfand den Film jedenfalls als eine gute Erfahrung; und es würde mich freuen, wenn die<br />
Diskussion um ihn kontroverser abliefe.<br />
Eine umfangreichere Version dieses Artikels findet sich im Netz unter<br />