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Vom ersten Jugoslawien zur Ustascha - studia-historica

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Gattermann – Kroatien 1918 bis 1945 – Göttingen 2010<br />

Claus Heinrich Gattermann<br />

Kroatien 1918 bis 1945<br />

Südslawische Einheit und die Katastrophe<br />

Inhalt:<br />

EINLEITUNG ..................................................................................................................... 2<br />

1. DAS KÖNIGREICH DER SERBEN, KROATEN UND SLOWENEN ENTSTEHT 2<br />

2. DIE KROATEN IM SÜDSLAWISCHEN STAAT BIS 1939........................................... 4<br />

2.1. MITARBEIT ODER FUNDAMENTALOPPOSITION? DIE KROATEN IM SÜDSLAWISCHEN STAAT<br />

.................................................................................................................................................................... 4<br />

2.2. DIE KÖNIGSDIKTATUR .................................................................................................................... 5<br />

2.3. DER SÜDSLAWISCHE STAAT UND SEINE NACHBARN ................................................................... 6<br />

3. DER ZWEITE WELTKRIEG ......................................................................................... 7<br />

3.1. DIE ZERSCHLAGUNG JUGOSLAWIENS ........................................................................................... 7<br />

3.2. DIE GRÜNDUNG DES UNABHÄNGIGEN STAATES KROATIEN ................................................... 8<br />

3.3. DER PERMANENTE KRIEGSZUSTAND: DIE USTASCHA UND IHR STAAT ................................. 10<br />

3.4. WIRTSCHAFT UND BEVÖLKERUNG IM NDH-STAAT ................................................................. 13<br />

3.5. VERTREIBUNGEN, VÖLKERMORD UND GEWALTEXZESSE ....................................................... 15<br />

ZUSAMMENFASSUNG .................................................................................................... 16<br />

LITERATUR ...................................................................................................................... 17<br />

1


Gattermann – Kroatien 1918 bis 1945 – Göttingen 2010<br />

Einleitung<br />

Nach gut 800 Jahren verließen die Kroaten die Union mit Ungarn – aber nicht, um selbständig zu<br />

werden, sondern um in einem neuen Vielvölkerstaat aufzugehen. Diesmal waren es die<br />

südslawischen Serben, die zum großen und siegreichen Partner wurden. Von Gleichheit der<br />

Völker in Bezug auf den Anteil an der Macht war der neue Staat weit entfernt. Innere Krisen<br />

konnten daher nicht ausbleiben, Krisen, die das neue Staatswesen bis ins Mark erschüttern<br />

würden.<br />

Das – nach einiger Zeit <strong>Jugoslawien</strong> genannte – Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen<br />

mußte erst noch zeigen, ob es so gefestigt und von seinen Bewohnern akzeptiert war, daß es auch<br />

Veränderungen in seinem internationalen Umfeld überleben würde. Vor allem, wenn die nach<br />

dem Ersten Weltkrieg eingeführte Machtverteilung in Europa neu austariert werden müßte, weil<br />

Deutschland unter Adolf Hitler seine Außenseiterposition mit der einer Großmacht vertauschte.<br />

Wie also würden die Kroaten sich dann verhalten?<br />

1. Das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen entsteht<br />

Im Oktober 1918 hatten die Mittelmächte (Deutschland und Österreich-Ungarn) den Ersten<br />

Weltkrieg verloren. Das Deutsche Reich als relativ homogener Nationalstaat sah sich zwar auch<br />

Forderungen seiner Nachbarn nach Gebietsabtretungen gegenüber, ebenso wie Bulgarien und die<br />

Türkei. Alle drei Länder waren damit aber nicht in ihrem Bestand bedroht. Der vierte Staat der<br />

Mittelmächte, Österreich-Ungarn, hörte dagegen auf zu existieren. Lediglich zwei nunmehr<br />

getrennte Rumpfstaaten, Österreich und Ungarn, blieben erhalten. Andere Gebiete (Tschechoslowakei)<br />

wurden selbständig und zahlreiche weitere gingen in den Besitz benachbarter<br />

Länder (Italien, Rumänien) über.<br />

Auch die Kroaten, Serben und Slowenen begannen in dieser Situation des Zusammenbruchs<br />

einer alten Großmacht Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln. Schon am 6. Oktober bildete<br />

sich in Zagreb ein Nationalrat der Slowenen, Kroaten und Serben aus den Abgeordneten des Sabor, des<br />

Reichsrates und den südslawischen Parlamentariern der österreichischen Landtage. Zunächst<br />

blieb die Situation in der Schwebe. Als jedoch Verhandlungen mit Kaiser und König Karl nicht<br />

zu den gewünschten Ergebnissen führten, insbesondere nicht <strong>zur</strong> Vereinigung aller südslawischen<br />

Landesteile in einer von Ungarn unabhängigen Verwaltungseinheit, schritt der alsbald<br />

serbisch dominierte Nationalrat – beeindruckt von der Unabhängigkeitserklärung der Tschechoslowakei<br />

– am 29. Oktober <strong>zur</strong> Ausrufung des Staates der Slowenen, Kroaten und Serben (Država Slovenaca,<br />

Hrvata i Srba, abgekürzt SHS) und verkündete dessen Herauslösung aus der k.u.k.-Monarchie.<br />

Die Regierungen in Wien und Budapest hatten keine Möglichkeit, die Sezession zu verhindern,<br />

und zumindest Wien erkannte den neuen Staat jedenfalls faktisch umgehend an.<br />

Territorial beanspruchte der SHS-Staat sämtliche südslawisch besiedelten Gebiete Österreich-<br />

Ungarns, also Kroatien (mit Slawonien), die Vojvodina, Bosnien-Herzegowina, Dalmatien,<br />

Istrien, Görz, Krain sowie Teile Kärntens und der Steiermark. 1<br />

Als Österreich-Ungarn Anfang November 1918 den erwarteten Waffenstillstand mit der Entente<br />

abschloß, war klar, daß zwar einerseits die Abspaltung des SHS-Staates von Österreich-Ungarn<br />

dauerhaft sein würde. Überaus fraglich und von den neuen politischen Eliten auch nicht<br />

gewünscht war dagegen die Beibehaltung der Selbständigkeit ohne Vereinigung mit anderen<br />

südslawischen Ländern, namentlich mit Serbien und Montenegro. Die Frage war nur, wie die<br />

Fusion mit dem siegreichen Serbien aussehen würde, mit anderen Worten, ob es zu einer<br />

1 Steindorff, Ludwig, Kroatien – <strong>Vom</strong> Mittelalter bis <strong>zur</strong> Gegenwart, 2. Auflage, Regensburg 2007, S. 153-154.<br />

2


Gattermann – Kroatien 1918 bis 1945 – Göttingen 2010<br />

Föderation gleichberechtigter Partner kommen – oder ob Serbien die dominierende Macht<br />

werden würde.<br />

Zunächst schien es, als würde der Zagreber Nationalrat seine gerade erst gewonnene Macht<br />

wenigstens teilweise retten können. Vertreter Serbiens und des Nationalrats einigten sich in Genf<br />

auf eine Deklaration, nach der ein Staatswesen etwa von der Struktur der österreichisch-ungarischen<br />

Doppelmonarchie entstehen sollte, mit einer Spitze, die nur für Außenpolitik, Verteidigung,<br />

Seeschiffahrt und die folgenden Friedensverhandlungen zuständig sein sollte – wohlbemerkt<br />

einer von Serbien und dem Nationalrat paritätisch besetzten Spitze in Gestalt eines<br />

gemeinsamen Kabinetts. Auch der neue Staat sollte das Kürzel SHS führen, nur mit einer Umstellung<br />

der Namen: Nunmehr sollte er Staat der Serben, Kroaten und Slowenen heißen. Auf ein<br />

gemeinsames Staatsoberhaupt sollte verzichtet werden. 2<br />

Allerdings zeigte sich schon innerhalb weniger Tage, wie wenig die Genfer Deklaration den<br />

realen Machtverhältnissen entsprach. Das Königreich Serbien war zwar im Krieg von den<br />

Mittelmächten praktisch besiegt worden, jedoch in den letzten Kriegsmonaten von Ententetruppen<br />

<strong>zur</strong>ückerobert worden und so zum Status einer Siegermacht mit einer wiederaufgestellten<br />

Armee gekommen. Der Zagreber Nationalrat dagegen repräsentierte eine Abspaltung des besiegten<br />

Österreich-Ungarn und verfügte nur in sehr begrenztem Maß über militärische Machtmittel,<br />

da sich das alte k.u.k.-Heer zusehends auflöste. Zagreb konnte weder die innere noch die<br />

äußere Sicherheit des von ihm beanspruchten Territoriums garantieren – so rückten italienische<br />

Truppen in Istrien ein, ohne daß nennenswerter Widerstand möglich gewesen wäre.<br />

Der Hilferuf des Zagreber Nationalrats um serbische Truppen zum Schutz des Landes besiegelte<br />

das Schicksal des noch nicht umgesetzten Plans einer gleichberechtigten Partnerschaft zwischen<br />

dem alten Königreich Serbien und den aus Österreich-Ungarn ausgetretenen südslawischen<br />

Gebieten, zumal auch in der Führungsschicht Serbiens kaum Bereitschaft bestand, den Sieg in<br />

einem großen Krieg und die Chance einer serbischen Vorherrschaft durch Kompromisse mit auf<br />

Hilfe angewiesenen Verlierern zu relativieren. Innerhalb weniger Tage war die Genfer<br />

Deklaration praktisch vom Tisch, zumindest der Gedanke, man benötige kein gemeinsames<br />

Staatsoberhaupt: Diese Funktion wurde von Zagreber Nationalrat selbst dem serbischen<br />

Regenten angetragen.<br />

Die sich abzeichnende Ungleichheit zwischen den mehrheitlich kroatischen, aus Österreich-<br />

Ungarn ausgetretenen Gebieten und dem neuen Partner Serbien wurde zwar im Überschwang<br />

der Entwicklung von den meisten Angehörigen des Nationalrats mitgetragen. Eine Minderheit an<br />

kroatischen Vertretern ging jedoch umgehend in Opposition zu dem neuen Staatsmodell,<br />

zeichnete sich doch ab, daß die Kroaten als Teil der Südslawen nunmehr in neue Abhängigkeiten<br />

geraten würden, in Abhängigkeiten, die denen der vergangenen Jahrhunderte ähnlich waren. Nur<br />

daß diesmal nicht Ungarn, Italiener oder österreichische Deutsche die Kroaten dominieren<br />

würden, sondern Serben. Dabei beruhte die Skepsis einiger Kroaten im Nationalrat (der<br />

Kroatischen Bäuerlichen Volkspartei) auf der Einsicht, daß die allenthalben vorherrschende Euphorie<br />

für alles Südslawische gewisse Traditionen speziell der Kroaten vernachlässige.<br />

Wie wohl nicht anders zu erwarten, gestaltete sich auch die praktische Umsetzung der<br />

Vereinigung nicht reibungsfrei und vor allem nicht so, wie die vorher <strong>zur</strong> Habsburgermonarchie<br />

gehörenden Landesteile sich es erhofften. Während die vom südslawischen Geist beseelten<br />

Vertreter des Nationalrats sich in Belgrad an der neuen Regierung beteiligten, sorgten viele<br />

Detailregelungen für Irritationen, so z.B. die Tatsache, daß die gemeinsame Armee des neuen<br />

Staates von serbischen Offizieren in überwältigender Mehrzahl dominiert wurde.<br />

Ein besonderes Problem ergab sich für den neu entstandenen Staat im Rahmen der Pariser<br />

Vorortverträge, mit denen der Erste Weltkrieg beendet wurde. Zwar war es dort relativ<br />

leichtgefallen, den besiegten Staaten Gebiete wegzunehmen und den Siegern zuzuteilen. In Bezug<br />

auf Kroatien (bzw. den neuen Staat SHS) ergab sich jedoch eine gewisse Schwierigkeit, weil einige<br />

2 Steindorff, Kroatien, S. 154-155.<br />

3


Gattermann – Kroatien 1918 bis 1945 – Göttingen 2010<br />

Landesteile sowohl von den Südslawen als auch von Italien beansprucht wurden. Die Friedenskonferenz<br />

konnte zwischen den Siegern keinen Konsens herbeiführen. Erst im nachhinein wurde<br />

festgelegt, daß Italien in den Besitz Istriens, Zadars und einiger nördlicher Adriainseln kommen<br />

sollte, während Rijeka als wichtige Hafenstadt einen Sonderstatus erhielt – ein Verhandlungsergebnis,<br />

daß auf Seiten einiger Nationalratspolitiker für erhebliche Erbitterung sorgte,<br />

weil damit die große Idee der Vereinigung aller Südslawen bereits in der Anfangsphase einen<br />

erheblichen Rückschlag erlitt.<br />

Politische Machtverhältnisse, Symbolik und die 1921 verabschiedete Verfassung machten den<br />

neuen Staat zu einem großserbischen Gebilde. Staatsoberhaupt wurde der serbische König,<br />

serbische Parteien dominierten das Parlament, die zentralistische Verfassung sah die Auflösung<br />

historisch gewachsener Gebietskörperschaften zugunsten 31 (später 33) kleinerer Gebiete vor, 3<br />

und der Tag der Verfassungsverabschiedung war auf den 28. Juni 1921 gelegt worden – das<br />

Datum der Schlacht auf dem Amselfeld 1389 und des Attentats von Sarajewo 1914. Von einer<br />

eigenen Selbständigkeit waren die Kroaten damit weiter entfernt als noch zu Zeiten der<br />

Habsburger. 4<br />

2. Die Kroaten im südslawischen Staat bis 1939<br />

2.1. Mitarbeit oder Fundamentalopposition? Die Kroaten im südslawischen<br />

Staat<br />

Eine schwere Hypothek für den neuen Staat zeichnete sich schon kurz nach dem<br />

Zusammenbruch der Habsburgermonarchie ab, nämlich die Tatsache, daß auch unter den neuen,<br />

durch ein Mehr an Demokratie geprägten Umständen es – abgesehen von den Kommunisten –<br />

kaum Parteien geben würde, die unter Hintanstellung ethnischer Grundlagen ideologisch<br />

fundierte Politik im Sinn des ganzen Landes und seiner Bevölkerung treiben würden. Die Masse<br />

der Parteien besaß Wurzeln in den ethnischen bzw. religiösen Großgruppen des neuen Staates<br />

und verfolgte folglich eine für den Gesamtstaat gefährliche partikulare Interessenpolitik. 5<br />

Nach Lage der Dinge hatten sich serbisch dominierte Parteien durchgesetzt und den<br />

beherrschenden Einfluß im Land gewonnen. Damit waren sämtliche Ideen, den neuen Staat<br />

föderalistisch zu organisieren, zunächst nicht umsetzbar, schließlich wollten die siegreichen<br />

Serben nicht wieder in eine Situation kommen, in der Serben unter anderer Vorherrschaft leben<br />

mußten – und sei es auch nur unter der eines nicht-serbischen Föderationsstaates. Zum<br />

Sammelbecken der kroatischen Massen wurde die Bauernpartei unter Führung von Stjepan Radić,<br />

der allerdings zunächst am Aufbau des neuen Staates nicht mitzuwirken bereit war, nachdem<br />

seine Pläne für eine Föderation und damit einen eigenen Teilstaat der Kroaten sich nicht hatten<br />

durchsetzen lassen. Die einzige Partei hingegen, die zahlreiche Anhänger in allen Volksgruppen<br />

besaß, die Kommunisten, konnte nicht <strong>zur</strong> Integration dienen, weil sie das herrschende System<br />

ablehnte und folglich von diesem verboten wurde.<br />

Aus Sicht der herrschenden serbischen Parteien, namentlich der Radikalen Partei des Nikola<br />

Pašić bildete die Errichtung einer Föderation eher einen Rück- denn einen Fortschritt. Dem<br />

zugrunde lag die Vorstellung, es gäbe eine Einheit des jugoslawischen Volkes, das nur durch die<br />

historischen Umstände und Fremdherrschaft in einzelne Teile zerfallen sei. Eben diese Faktoren<br />

3 Ferhadbegović, Sabina, Prekäre Integration. Serbisches Staatsmodell und regionale Selbstverwaltung in Sarajevo<br />

und Zagreb 1918-1929, München 2008 (Südosteuropäische Arbeiten Band 134), S. 68 ff.<br />

4 Ferhadbegović, Prekäre Integration, S. 142.<br />

5 Jakir, Aleksandar, Dalmatien zwischen den Weltkriegen. Agrarische und urbane Lebenswelt und das Scheitern der<br />

jugoslawischen Integration, München 1999 (Südosteuropäische Arbeiten Band 104), S. 348.<br />

4


Gattermann – Kroatien 1918 bis 1945 – Göttingen 2010<br />

hätten auch die geographisch-administrativen Grenzen hervorgebracht, an denen die Befürworter<br />

des Föderationsgedankens festhielten – und die wie ein Hemmschuh für die zu verwirklichende<br />

Einheit der Jugoslawen wirken würden.<br />

Problematisch war nur, daß die serbischen Parteien in einem demokratisch-parlamentarischen<br />

System kaum in der Lage waren, allein eine breite parlamentarische Mehrheit zustande zu<br />

bringen. So kam es in den zwanziger Jahren zu immer neuen Versuchen, das politische System<br />

neu auszutarieren und handlungsfähige Regierungen bzw. Koalitionen zu bilden. Die<br />

Bauernpartei, die sich zeitweise der kommunistischen, Moskau-gesteuerten Bauerninternationale<br />

angeschlossen hatte, wurde zeitweise verboten, zeitweise – nach Anerkennung der Monarchie –<br />

auch in die Regierung eingebunden. Es wechselten Koalitionen, die mal von radikalen Serben,<br />

manchmal von moderateren dominiert wurden und auf die Unterstützung durch Slowenen,<br />

Muslime und/oder Kroaten angewiesen waren. Zeichneten sich verfassungsgefährdende<br />

Tendenzen ab, griff der König ein.<br />

Ein entscheidendes Manko des neuen Staates blieb eben, daß er über kein allgemein anerkanntes<br />

Staatsvolk verfügte, daß es also zwar ein <strong>Jugoslawien</strong> und eine jugoslawische Idee gab, aber keine<br />

großen Volksmassen, die sich analog dazu zuerst als Jugoslawen und dann erst als Serben,<br />

Kroaten, Slowenen usw. definiert hätten. Dieser Mangel war auch nicht durch elitäre (und zum<br />

Teil) gewaltbereite und –anwendende Gruppierungen zu kompensieren, die sich als Hüter und<br />

Verbreiter des Jugoslawismus in Kroatien verstanden. 6<br />

2.2. Die Königsdiktatur<br />

1928, also nach knapp zehn Jahren überaus kontroverser, insgesamt aber relativ friedlicher<br />

politischer Debatten um Aufbau und Schicksal des südslawischen Königreichs eskalierte der<br />

parlamentarische Streit. Ein montenegrinischer Angeordneter der Radikalen Partei erschoß<br />

während einer Parlamentssitzung zwei Abgeordnete der Bauernpartei, drei weitere wurden<br />

verletzt, darunter auch Stjepan Radić, der einige Tage später seinen Verletzungen erlag. Die<br />

kroatische Bauernpartei zog sich danach aus der parlamentarischen Arbeit <strong>zur</strong>ück, ebenso wie die<br />

von der Machtverteilung im Staat enttäuschten Unabhängigen Demokraten, eine Sammlungsbewegung<br />

von Serben aus ehemals habsburgischen Gebieten.<br />

Auf demokratisch-parlamentarischen Weg war ganz offensichtlich ein Ausgleich zwischen den<br />

verschiedenen Nationalismen nicht zu schaffen. Starke, dauerhafte Regierungen konnten nicht<br />

gebildet werden, und gerade solche wären notwendig gewesen, um die Krisen des Staates zu<br />

lösen, Krisen, zu denen nun auch noch die der Weltwirtschaft und des internationalen<br />

Finanzsystems kam. In dieser Situation entschloß sich König Alexander Anfang 1929, das<br />

Parlament aufzulösen, eine Reihe von Parteien zu verbieten und die Gültigkeit der Verfassung<br />

auszusetzen. Gewählte Beamte wurden durch ernannte ersetzt, die Regierungsgeschäfte<br />

übernahm General Ţivković, bis dahin Kommandeur der königlichen Garde. Im Oktober wurde<br />

die bis dahin trinationale Staatsbenennung durch Königreich <strong>Jugoslawien</strong> ersetzt, die kleineren<br />

Gebietskörperschaften wurden durch neun Banschaften ersetzt – allerdings wiederum ohne auf<br />

historische Grenzziehungen Rücksicht zu nehmen.<br />

Der Putsch des Königs war ein Versuch, das neue, unter serbischer Führung stehende<br />

Staatsgebilde zu erhalten und die als gefährlich erachteten Bestrebungen der einzelnen Nationen<br />

zu unterdrücken, indem ihnen einfach die Existenzberechtigung abgesprochen wurde zugunsten<br />

einer neuen, eben jugoslawischen Nation. Es blieb ein Versuch, und vor allem ein verzweifelter<br />

Versuch, denn natürlich war nicht zu erwarten, daß das Ende des Parlamentarismus auch die<br />

6 Jakir, Dalmatien, S. 362 ff.<br />

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Gattermann – Kroatien 1918 bis 1945 – Göttingen 2010<br />

Opposition auf Dauer zum Schweigen bringen würde. Natürlich lebten die Ideen der Parteien<br />

weiter. Und auch das allgemeinpolitische Umfeld änderte sich kaum. Zwar hatte Serbien den<br />

Weltkrieg gewonnen und militärisch unbedrängt seinen neuen Staat errichten können. Die<br />

unterlegenen Nachbarn, vor allem Ungarn und Bulgarien, außerdem das in mancher Hinsicht<br />

konkurrierende Italien, versuchten jedoch, wenigstens auf geheimdienstlichem Weg die<br />

Konsolidierung <strong>Jugoslawien</strong>s zu behindern und alte Interessen zu wahren. Ein probates Mittel<br />

auf dem Weg, serbische Großmachtansprüche zu erschüttern, bestand darin, die innerjugoslawische<br />

Opposition zu stärken. Oder gegebenenfalls deren Exilableger im Ausland. Mit<br />

dieser Hypothek mußte der neue Vielvölkerstaat leben.<br />

Während in <strong>Jugoslawien</strong> selbst noch König, Regierung und – zwar verbotene, aber gleichwohl<br />

informell präsente – Parteien um einen neuen Kompromiß rangen, der das Zusammenleben der<br />

Völker <strong>Jugoslawien</strong>s auf eine einvernehmliche Grundlage stellen könnte, und nachdem das neue<br />

königliche Regime ab 1931 eine wenn auch nicht wirkliche, aber doch zumindest in gewissen<br />

Ansätzen verfassungsgestützte Regierungs- und Demokratieform ins Leben gerufen hatte,<br />

schritten die eigentlich im Land selbst kaum verankerten Exilgruppen <strong>zur</strong> Tat. Bei einem<br />

Staatsbesuch in Frankreich erschoß 1934 ein von Bulgarien unterstützter Attentäter den<br />

jugoslawischen König. Organisiert wurde der Anschlag durch eine kroatische Exilgruppe, die<br />

<strong>Ustascha</strong>.<br />

Erst 1939, als sich mit dem machtpolitischen Wiederaufstieg Deutschlands die politische<br />

Großwetterlage in Europa schon beträchtlich geändert hatte, kam die königliche Regierung in<br />

Belgrad den seit Jahren erhobenen Forderungen der Kroaten nach einem Mehr an Selbständigkeit<br />

entgegen: Mit Rückendeckung des Prinzregenten Paul schloß der Regierungschef Dragiša<br />

Cvetković ein Abkommen mit dem Nachfolger Radićs, Vladko Maček, das die Errichtung einer<br />

autonomen Banschaft Kroatien vorsah. Darin wurden sämtliche Territorien zusammengefaßt, die<br />

auch heute <strong>zur</strong> Republik Kroatien gehören, dazu einige Landstriche Bosniens (die Herzegowina,<br />

Teile Zentralbosniens und Gebiete an der Save um Brčko. Als eigenes Parlament der Banschaft<br />

sollte wieder ein Sabor geschaffen werden, als Ban fungierte Ivan Šubašić von der kroatischen<br />

Bauernpartei. Zuständig im Rahmen der Autonomie waren Sabor und Banschaftsverwaltung für<br />

Sozial- und Wirtschaftspolitik, Bildung und Justiz. Damit waren erstmals seit dem Mittelalter<br />

Dalmatien und Kroatien-Slawonien in einer gemeinsamen Verwaltungseinheit zusammengefaßt.<br />

Allerdings konnten angesichts des im September ausbrechenden Zweiten Weltkriegs nicht alle<br />

Aspekte des Abkommens umgesetzt werden, zumal sich einige serbische Kreise gegen die<br />

Einbeziehung serbischer Siedlungsgebiete in die Banschaft wehrten. Immerhin waren jedoch<br />

weite Teile der Bauernpartei – und nicht zuletzt deren Führung um Maček, der das Amt des<br />

stellvertretenden Ministerpräsidenten in Belgrad übernahm – nunmehr in <strong>Jugoslawien</strong> integriert,<br />

was Hoffnungen nährte, ein Auseinanderbrechen des Staates vermeiden zu können.<br />

2.3. Der südslawische Staat und seine Nachbarn<br />

Serbien hatte mit dem südslawischen Staat, der ab 1929 <strong>Jugoslawien</strong> hieß, das große Ziel einer<br />

Einheit aller Serben in einem Staat erreicht – und noch vielmehr, nämlich sogar fast die Einheit<br />

mehrerer südslawischer Völker: Außer der serbischen noch die der Slowenen, Kroaten,<br />

bosnischen Mohammedaner und der Mazedonier. Daß das neue Miteinander in einem<br />

Staatswesen unter serbischer Führung nicht unproblematisch verlief, ist oben schon angeklungen.<br />

Hinzu kamen als Hypothek für <strong>Jugoslawien</strong> jedoch noch Konflikte mit auswärtigen Staaten,<br />

Konflikte, die wenigstens zum Teil auch in Beziehung zu inneren Problemen standen.<br />

Serbien (und dessen Nachfolger: der SHS-Staat und <strong>Jugoslawien</strong>) hatte als Siegermacht des<br />

Ersten Weltkrieges nahezu ein Maximalprogramm verwirklichen können. Lediglich ethnisch<br />

gemischte Gebiete in Südwestungarn und Österreich blieben dem neuen Staat durch<br />

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Gattermann – Kroatien 1918 bis 1945 – Göttingen 2010<br />

Verliererstaaten des Krieges entzogen. Erheblich wichtiger und vor allem prestigeträchtiger<br />

gestaltete sich die Konkurrenz zu Italien, der anderen Siegermacht an der Adria. 1918/19 hatte<br />

Italien – gestützt auf den Londoner Vertrag von 1915 – Istrien und umfangreiche Gebiete in<br />

Dalmatien besetzt, ohne Deklarationen und die Meinung der örtlichen, meist kroatischen<br />

Bevölkerung zu beachten. Nach teils gewalttätigen Auseinandersetzungen und einem energischen<br />

Eingreifen einer US-amerikanischen Flotte hatte Italien bis 1923 die meisten Gebiete wieder<br />

geräumt, aber gleichwohl einige in seinem Besitz behalten: Istrien (durch Besetzung um Rijeka<br />

vergrößert), einige Inseln in der Kvarner-Bucht (u.a. Cres) und im südlichen Dalmatien<br />

(Lastovo), außerdem die Stadt Zadar. Damit war ein ständiger Konfliktherd geschaffen: Während<br />

die italienische Politik darauf gerichtet war, ihren Einfluß an der östlichen Adriaküste zu<br />

vergrößern, ging es besonders kroatischen Politikern darum, auch die eben genannten Gebiete<br />

mit Kroatien bzw. <strong>Jugoslawien</strong> zu vereinigen. Dabei unterstellten einige kroatische Führer der<br />

Regierung in Belgrad, solche Bestrebungen nicht mit der nötigen Konsequenz zu unterstützen<br />

und womöglich gar nicht an einer Stärkung der Kroaten interessiert zu sein.<br />

Gegenüber Ungarn war es dem SHS-Staat gelungen, sich die eigentlich traditionell zu ungarischen<br />

Komitaten gehörende Murinsel (Komitat Zála), die Vojvodina sowie den südöstlichen Teil der<br />

Baranya einzuverleiben, während das Verhältnis zu Bulgarien durch die mazedonische Frage<br />

getrübt wurde: Namhafte Kreise in Bulgarien sowie in Mazedonien selbst gingen davon aus, die<br />

Mazedonier seien Teil der bulgarischen Nation. Und schließlich beinhaltete auch die Stellung<br />

Belgrads gegenüber den Albanern Konfliktpotential, weil im Kosovo die albanische Bevölkerung<br />

die Mehrheit stellte, aber aus dem albanischen Staat ausgeschlossen blieb.<br />

Die dem militärischen Sieg zu verdankende Vergrößerung Serbiens, später des SHS-Staates und<br />

<strong>Jugoslawien</strong>s brachte somit zwar erhebliche Land- und Bevölkerungsgewinne, schuf aber zugleich<br />

umfangreiche Minderheiten, die nicht zu den Staatsnationen der Serben, Kroaten und Slowenen<br />

zählten. Hinzu kam, daß <strong>Jugoslawien</strong> zum Objekt einer auf Revision der Kriegs- und<br />

Nachkriegsergebnisse dringenden Politik mehrerer Nachbarn wurde – einer Politik, die einstweilen,<br />

bei militärischer Dominanz der Siegerstaaten des Weltkriegs in der Unterstützung von<br />

Oppositionsbewegungen bestand, die aber bei veränderten Kräfteverhältnissen leicht <strong>zur</strong><br />

Zerstückelung <strong>Jugoslawien</strong>s durch seine Nachbarn führen konnte.<br />

3. Der Zweite Weltkrieg<br />

3.1. Die Zerschlagung <strong>Jugoslawien</strong>s<br />

Das durch die Siegermächte des Ersten Weltkriegs errichtete System in Europa war schon allein<br />

durch interne Konkurrenzen der einzelnen Mächte fragil gewesen. Die entscheidende und nicht<br />

zu überwindende Belastungsprobe erfuhr es jedoch nach 1933, als Deutschland unter nationalsozialistischer<br />

Führung ganz bewußt einen neuen – oder in Anbetracht der Geschichte alten –<br />

Großmachtkurs einschlug. Die große Machtfrage, die 1918 offenbar geklärt worden war, schien<br />

wieder offen: Deutschland als übermächtige Kontinentalmacht auf der einen Seite, die anderen<br />

Großmächte dementsprechend auf der anderen. Nur wurde diesmal die europäische<br />

Bündnisstruktur nicht nur von rein historischen oder kulturellen Aspekten geprägt: Es kam zu<br />

einer seltsamen Allianz von Ideologien, außerdem zu einer solchen derer, die glaubten, im Ersten<br />

Weltkrieg zu kurz gekommen zu sein. Die – alten und wiedererstandenen – Großmächte<br />

Deutschland, Italien und Japan (Dreimächtepakt) schafften es, im Wettstreit mit den Siegern des<br />

Ersten Weltkriegs sich noch eine Reihe anderer Staaten als Verbündete zu erwerben: Ungarn, die<br />

Slowakei, Rumänien und Bulgarien.<br />

Für <strong>Jugoslawien</strong> stellte sich damit die Frage, wie die Zukunft des Staates zu sichern wäre. Es war<br />

eine schwierige Abwägung: Solidarität mit den alten Verbündeten (Großbritannien und Frank-<br />

7


Gattermann – Kroatien 1918 bis 1945 – Göttingen 2010<br />

reich) oder eine reale Kräfteeinschätzung gegenüber den in Frage kommenden Nachbarn. 1941,<br />

also während sich Deutschland und Italien bereits im Krieg im Großbritannien und dem schon<br />

besetzten Frankreich befanden, entschlossen sich Prinzregent Paul und seine Regierung, ebenfalls<br />

dem Dreimächtepakt beizutreten.<br />

<strong>Jugoslawien</strong>s Mitgliedschaft im Dreimächtepakt war jedoch nur von kurzer Dauer. Schon nach<br />

zwei Tagen, am 25. März 1941, putschten mit britischer Unterstützung serbische Offiziere und<br />

entmachteten den Prinzregenten Paul zugunsten des Kronprinzen Peter, der vorzeitig für<br />

volljährig erklärt wurde. Die neue Regierung versuchte, allen Seiten gerecht zu werden – indem<br />

sie einerseits den Dreimächtepakt nicht durch das Parlament ratifizieren lassen wollte,<br />

andererseits aber auch einen direkten Austritt vermied. Mitgetragen wurde die Entscheidung auch<br />

von Maček, der der neuen Regierung ebenfalls wieder angehörte.<br />

Gleichwohl entschlossen sich die Achsenmächte Deutschland und Italien, einen solchen<br />

Schwebezustand nicht hinzunehmen, zumal Italien bereits einen wenig erfolgreichen Krieg gegen<br />

Griechenland führte und Deutschland mitten in den Vorbereitungen zum Feldzug gegen die<br />

Sowjetunion steckte. Ein den Alliierten nahestehender Staat in Südosteuropa mußte daher aus<br />

Sicht von Rom und Berlin militärisch entmachtet werden – was nur durch eine militärische<br />

Aktion möglich war.<br />

Der Angriff begann am 6. April 1941 mit Luftangriffen auf Belgrad. Kurz danach rückten<br />

deutsche und italienische Truppen von Bulgarien und Albanien aus in <strong>Jugoslawien</strong> ein, ab dem<br />

10. April auch von Norden. Am selben Tag fiel Zagreb, zwei Tage später Belgrad, und schon am<br />

17. April baten die jugoslawischen Truppen um Waffenstillstand – während der neue König Peter<br />

mit einer Reihe von Ministern das Land bereits verlassen hatte und in der Folge in London eine<br />

Exilregierung etablierte. 7<br />

3.2. Die Gründung des Unabhängigen Staates Kroatien<br />

Deutschland und Italien war mit dem blitzartigen Sieg über die jugoslawische Armee ein Gebiet<br />

zugefallen, für das zunächst keine rechten Ordnungsvorstellungen zu existieren schienen und das,<br />

anders als die bisherigen Eroberungen der Achse, auch nicht eindeutig einem bestimmten<br />

Einflußbereich zuzuordnen war. Die oben beschriebenen Ziele der Anrainer wurden zwar<br />

umgehend in die Tat umgesetzt: Ungarn gliederte sich einige Gebiete an der Mur an, außerdem<br />

die südöstliche Baranya und die Batschka (Vojvodina) – die bis 1918 allesamt schon einmal zu<br />

Ungarn gehört hatten. Bulgarien annektierte en überwiegenden Teil Mazedoniens und einen<br />

Landstrich in Südostserbien und setzte damit Pläne aus der Zwischenkriegszeit um. Italien<br />

wiederum vereinnahmte das südliche Slowenien, Mitteldalmatien, Kotor und die meisten<br />

dalmatinischen Inseln (außer Hvar, Brač und Pag), außerdem indirekt das Kosovo, das an das<br />

italienisch dominierte Albanien angeschlossen wurde. Deutschland erwarb das nördliche<br />

Slowenien. Die Frage blieb, wie das übrige Territorium <strong>Jugoslawien</strong>s organisiert werden würde.<br />

Es war kaum zu erwarten, daß – zumindest für die Fortdauer des Krieges – vollkommen<br />

souveräne neue Staaten gebildet werden würden. 8<br />

Als Lösung kristallisierte sich schließlich eine Dreiteilung des nach den Annexionen verbliebenen<br />

Teils <strong>Jugoslawien</strong>s heraus: Serbien würde unter deutscher Militärverwaltung von einem mit der<br />

Achse kollaborierenden Regime geführt werden, Montenegro sollte unabhängig werden (verblieb<br />

jedoch zunächst unter italienischer Besatzung) – und Kroatien bekam die in den letzten Jahrzehnten<br />

langersehnte Selbständigkeit, allerdings mit einer Reihe empfindlicher Einschränkungen.<br />

7 Hösch, Edgar, Geschichte der Balkanländer. Von der Frühzeit bis <strong>zur</strong> Gegenwart, 3. Auflage, München 1995, S.<br />

224 ff.<br />

8 Regan, Krešimir (Hg.), Hrvatski povijesni atlas [Kroatischer Geschichtsatlas], Zagreb 2003, S. 286.<br />

8


Gattermann – Kroatien 1918 bis 1945 – Göttingen 2010<br />

Schon Anfang April hatte Deutschland Fühlung mit dem Kroatenführer Maček aufgenommen,<br />

um Sondierungen für die Ausgestaltung einer künftigen Unabhängigkeit Kroatiens anzustellen.<br />

Zur bitteren Enttäuschung für Hitlers Gesandte hatte sich jedoch herausgestellt, daß Maček<br />

relativ loyal zu den mit der jugoslawischen Führung ausgehandelten Kompromissen stand und<br />

nicht bereit war, einen neu entstehenden faschistischen Satellitenstaat der Achse auf kroatischem<br />

Boden zu errichten und damit <strong>Jugoslawien</strong> in den Rücken zu fallen. Damit schied die traditionsreiche<br />

und im Land verwurzelte kroatische Bauernpartei als Hauptpartner Deutschlands und<br />

Italiens auf kroatischem Boden aus. Andere Gruppierungen der Kroaten, die wenigstens<br />

scheinbare Legitimität genießen würden, waren im Land selbst nicht in Sicht.<br />

Für die Achse bedeutete das, daß die Führung des neu zu errichtenden Kroatien aus dem Exil<br />

kommen mußte. Die namhafteste dort tätige Gruppe bildete die sogenannte <strong>Ustascha</strong> (deutsch<br />

sinngemäß „Aufstandsbewegung“, entstanden 1930), die sich der Unterstützung Italiens und<br />

Ungarns erfreute und bereits an dem Attentat auf den jugoslawischen König 1934 beteiligt<br />

gewesen, im Land selbst aber angesichts der starken Konkurrenz durch die Bauernpartei kaum<br />

verankert war und dort nur über vereinzelte Anhänger verfügte. Als italienisch-ungarisches<br />

Unternehmen <strong>zur</strong> Destabilisierung <strong>Jugoslawien</strong>s hatte die <strong>Ustascha</strong> bislang kaum deutsche<br />

Unterstützung erfahren, und selbst in Italien war der Gründer der Exilvereinigung, der Poglavnik<br />

(Oberhaupt) Ante Pavelić, nach dem Attentat von 1934 in Haft bzw. interniert gewesen.<br />

Bereits am 10. April, noch bevor die deutschen Truppen Zagreb erreicht hatten, rief ein<br />

Mitstreiter Pavelićs, Slavko Kvaternik, dort den „Staat Kroatien“ aus. Der Poglavnik selbst wurde<br />

von der Entwicklung völlig überrascht und konnte erst fünf Tage später in der kroatischen<br />

Hauptstadt eintreffen, wo er umgehend eine Regierung des neuen Staates, des Unabhängigen Staates<br />

Kroatien (Nezavisna država Hrvatska, NDH), berief. Mačeks Anteil daran erschöpfte sich darin, die<br />

Bevölkerung <strong>zur</strong> Achtung der künftigen Regierung auf<strong>zur</strong>ufen. Internationale Anerkennung<br />

durch Großmächte genoß der neue Staat seit dem 15. April nur durch Deutschland und Italien –<br />

wobei gerade Italien dazu beitrug, die Autorität des Pavelić-Regimes von Anfang an empfindlich<br />

zu unterminieren. So wurde als Staatsoberhaupt offiziell ein König aus der italienischen Savoyer-<br />

Dynastie eingesetzt (Aimone Herzog von Spoleto und Aosta, in Kroatien Tomislav II.), der allerdings<br />

sein Amt in Kroatien selbst nie antrat. Eine weitere Schwächung in der kroatischen<br />

Öffentlichkeit erfuhr das <strong>Ustascha</strong>-Regime, als die Gebietsabtretungen an Italien bekannt<br />

wurden. Und schließlich verblieben in weiten Teilen des kroatischen Staatsgebiets italienische<br />

Besatzungstruppen, im östlichen Landesteil auch deutsche. 9<br />

Die entscheidenden Hypotheken für die Regierung Pavelić ergaben sich jedoch aus ganz anderen<br />

Aspekten:<br />

Einerseits hatte sich zwar der neue Staat durch den Zugewinn Bosniens als eine Art Groß-<br />

Kroatien konstituiert, umfaßte also, abgesehen von den an Italien verlorenen Landstrichen an der<br />

Küste, ein Territorium, das nahe an die Maximalforderungen des kroatischen Nationalismus<br />

herankam. Andererseits wurde durch diese Größe der NDH-Staat zu einem Gebilde, in dem<br />

ethnische Kroaten nur etwa die Hälfte der Einwohnerschaft stellten (rund 3,3 Millionen) und<br />

riesige Minderheiten aus Serben (1,9 Millionen) und Muslimen bestanden (0,9 Millionen),<br />

während die deutsche Minderheit durch Protektion des Deutschen Reiches ohnehin dem Einfluß<br />

der Zagreber Regierung faktisch entglitten war. Das auf extremen Nationalismus zugeschnittene<br />

Programm der <strong>Ustascha</strong> sah sich also nicht nur Gegnern innerhalb der Kroaten gegenüber,<br />

sondern auch den Minderheiten – ein kaum zu unterschätzendes Konfliktpotential.<br />

Die <strong>Ustascha</strong> selbst definierte sich als faschistische Bewegung über Aktion und Gewalt, einzig<br />

ruhender Pol blieb der Poglavnik Ante Pavelić als Staats- und Parteiführer. Daraus resultierte eine<br />

9 Zum <strong>Ustascha</strong>-Staat grundlegend: Hory, Ladislaus und Martin Broszat, Der kroatische <strong>Ustascha</strong>-Staat 1941-1945,<br />

Stuttgart 1964 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Nummer 8).<br />

9


Gattermann – Kroatien 1918 bis 1945 – Göttingen 2010<br />

brutale Durchsetzung eigener Politik gegenüber allen Kräften, die in Opposition standen oder<br />

dessen auch nur verdächtig waren; und das nicht nur gegenüber Außenstehenden, sondern auch<br />

innerhalb der <strong>Ustascha</strong> bzw. deren Führung. Damit konnte zwar der Machterhalt des Poglavnik<br />

gesichert werden, eine effiziente und dem Wohl des Gesamtstaats dienende Regierung und<br />

Verwaltung war auf diese Weise jedoch nicht zu etablieren.<br />

Und schließlich belastete auch das Verhältnis zu den großen Verbündeten und Nachbarn<br />

Deutschland und Italien den neuen Staat. Die betrachteten nämlich den <strong>Ustascha</strong>-Staat trotz<br />

anderslautender Verlautbarungen für die Öffentlichkeit keineswegs als gleichberechtigten<br />

Verbündeten, sondern als mehr oder weniger angeschlagenen Satelliten, dessen Regime es zwar<br />

in Grenzen zu stützen galt, der aber gleichwohl eher als Reservoir von Menschen, Industrieprodukten<br />

und Rohstoffen diente denn als Entität mit eigener Existenzberechtigung und eigenen,<br />

geachteten Interessen.<br />

3.3. Der permanente Kriegszustand: Die <strong>Ustascha</strong> und ihr Staat<br />

Zwar war es den Achsentruppen im April 1941 innerhalb weniger Tage gelungen, die jugoslawische<br />

Armee <strong>zur</strong> Kapitulation zu zwingen. Ein wirklicher, auch nur begrenzte Zeit<br />

bestehender Friede kehrte damit jedoch nicht ein. Dafür gab es mehrere Ursachen.<br />

Zunächst hatte sich die jugoslawische Armee nicht vollkommen aufgelöst. Bereits Mitte Mai 1941<br />

fanden sich in der serbischen Ravna Gora (gut 120 km südöstlich von Belgrad) unter General<br />

Dragoljub „Draţa“ Mihajlović serbische Kämpfer (sogenannte Tschetniks) zusammen, um gegen<br />

die Besatzungsmächte sowie das <strong>Ustascha</strong>-Regime Widerstand zu leisten. Als beträchtliches,<br />

zunächst allerdings noch theoretisches Personalreservoir des Widerstands kamen rund 300.000<br />

serbische Soldaten in Frage, die der Kriegsgefangenschaft entgangen, einstweilen aber noch<br />

unorganisiert waren und auch über Waffen verfügten. 10 Ende Juni 1941, nach dem Bruch<br />

Deutschlands mit der Sowjetunion, erhoben sich dann auch kommunistische Partisanen unter<br />

Josip Broz, genannt Tito, gegen die Achsenmächte.<br />

Vor allem war es aber die <strong>Ustascha</strong> selbst, die einen friedlichen Aufbau des neuen Staates<br />

unmöglich machte. Von der Ideologie her betrachtete die <strong>Ustascha</strong> zwar Serben und Muslime<br />

auch als Kroaten, als solche, die durch historische Umstände entfremdet worden waren. Diese<br />

Einstellung führte jedoch nicht dazu, daß man die andersartige Kultur und Religion von Serben<br />

und Muslimen als tolerabel akzeptiert und einen an südslawischer Gemeinsamkeit orientierten<br />

Grundkonsens geschaffen hätte – nicht einmal für die Sprache traf das zu. Vielmehr begann<br />

Pavelić schon unmittelbar nach dem Regierungsantritt im April 1941, vor allem die Serben einer<br />

drastischen Kroatisierungspolitik zu unterziehen. Eigentlich religionsfern, identifizierte das<br />

<strong>Ustascha</strong>-Regime abseits aller auf Blut und Abstammung konzentrierten Merkmale auch die<br />

katholische Konfession als eigentümlich kroatisches Merkmal – mit der Folge, daß Orthodoxe<br />

(also Serben) und Muslime (Bosniaken) massiven Katholisierungsmaßnahmen ausgesetzt waren.<br />

Die römisch-katholische Kirche in ihren leitenden Institutionen mißbilligte natürlich derart rigide<br />

Maßnahmen, vor allem Zwangstaufen. Auf örtlicher Ebene fand sich jedoch eine Menge<br />

katholischer Geistlicher bereit, im Sinne der <strong>Ustascha</strong> muslimische und orthodoxe Südslawen<br />

durch erzwungene Konversionen zu katholischen Kroaten zu machen.<br />

Das Regime in Zagreb hatte also schon zum Zeitpunkt seiner Errichtung mindestens der Hälfte<br />

der eigenen Bevölkerung praktisch den Krieg erklärt. Nicht umsonst befanden sich bis Anfang<br />

August 1941 die meisten geschlossenen Siedlungsgebiete der Serben im offenen Aufstand gegen<br />

den NDH-Staat. 11<br />

10 Schmider, Klaus, Partisanenkrieg in <strong>Jugoslawien</strong> 1941-1944, Hamburg/Berlin/Bonn 2002, S. 55-56.<br />

11 Schmider, Partisanenkrieg, S. 90.<br />

10


Gattermann – Kroatien 1918 bis 1945 – Göttingen 2010<br />

Der organisierte in Sommer und Herbst 1941 eigene Streitkräfte, um die Kontrolle über die<br />

verlorenen Gebiete <strong>zur</strong>ückzuerlangen. Dabei setzte die kroatische Führung darauf, regulären<br />

staatlichen Verbänden Parteieinheiten der <strong>Ustascha</strong> <strong>zur</strong> Seite bzw. gegenüberzustellen – analog zu<br />

dem großen Verbündeten Deutschland, wo neben der Wehrmacht die SS als Parteitruppe der<br />

NSDAP bestand. Daneben erfolgte der Aufbau einer eigenen kroatischen Luftwaffe – der einer<br />

Marine mußte jedoch in der Adria wegen italienischer Vorbehalte unterbleiben. 12<br />

Nun war die Kampfmoral der staatlichen kroatischen Streitkräfte angesichts der geringen<br />

Identifizierung mit den Staatszielen des <strong>Ustascha</strong>-Regimes eher gering, weshalb es nicht gelang,<br />

die Aufstände zu unterdrücken und die Herrschaft der Zentralregierung über das gesamte Land<br />

auszudehnen. Das blieb jedoch nicht der einzige Grund für die dauerhafte Erfolglosigkeit der<br />

Kriegführung der <strong>Ustascha</strong>. Hinzu kam die widersprüchliche Stellung, die Italien und Deutschland<br />

einnahmen.<br />

Zwar verstand sich Mussolinis Italien durchaus als Schutzmacht des NDH-Staates, und die<br />

faschistische Zentrale in Rom war auch bereit, dem Land eine gewisse Förderung zukommen zu<br />

lassen. Die Leitung der Operationen vor Ort lag jedoch bei der 2. italienischen Armee, und deren<br />

Führung stimmte eben nicht in allen Belangen mit Mussolinis Ordnungsvorstellungen überein,<br />

sondern verfolgte eine streng am italienischen Machterhalt, an italienischem Imperialismus<br />

orientierte Strategie. Dazu gehörte, die als Konkurrenz empfundenen kroatischen Staatsorgane<br />

und namentlich deren Streitkräfte aus der eigenen Besatzungszone weitgehend zu verbannen und<br />

gleichzeitig regionale Stillhalteabkommen mit nationalserbischen Aufstandsgruppen zu schließen<br />

– wodurch denen wiederum wichtige Rückzugsgebiete erhalten blieben.<br />

Deutschland nahm diese Entwicklung wahr, glaubte aber nicht, sie unterbinden zu können.<br />

Absolute Priorität genoß für Berlin die Gesamtkriegsführung gegen die Alliierten und damit auch<br />

der Erhalt Italiens als einziger verbündeter europäischer Großmacht. Italienischen Forderungen<br />

wurde also kaum entgegengetreten. Deutsche Truppenpräsenz blieb auf geringe Kontingente<br />

beschränkt, die hauptsächlich dem Schutz wichtiger Objekte dienten – Infrastruktur und<br />

Kriegswirtschaft. An eine Erhöhung der deutschen Truppenstärke war angesichts der<br />

angespannten Lage im Feldzug gegen die Sowjetunion nicht zu denken. Vor diesem Hintergrund<br />

glaubte die nationalsozialistische Führung, chaotische Zustände in Kroatien, ja auf dem Balkan<br />

überhaupt hinnehmen zu können und zu müssen.<br />

Nun war die militärische Lage in Kroatien für Wehrmacht, italienische Armee und kroatische<br />

Streitkräfte 1941 zwar angespannt, aber keineswegs aussichtslos, weil der Schwerpunkt sowohl<br />

nationalserbischer als auch kommunistischer Aktionen bis dahin in Serbien gelegen hatte. Das<br />

änderte sich jedoch, als es deutschen und kollaborierenden serbischen Sicherheitskräften gelang,<br />

ein in Südwestserbien entstandenes Herrschaftsgebiet der Partisanen einzudrücken. Die zogen<br />

sich daraufhin nämlich in die Berge Ostbosniens, also in den NDH-Staat <strong>zur</strong>ück. 13<br />

Dort waren die Truppen der Achse zwar mitunter in der Lage, durch Schwerpunktbildung<br />

geschlossene Herrschaftsgebiete der Partisanen zu zerschlagen – aber sie schafften es nicht, zu<br />

verhindern, daß diese, entsprechend dem Marsch von Serbien nach Ostbosnien, sich später<br />

andernorts festsetzten. Effektiv begrenzt wurde die Macht der kommunistischen Partisanen statt<br />

dessen vor allem durch die nationalserbischen Tschetniks, die, analog zum Vorgehen Italiens,<br />

immer mehr in die Abwehrfront der Achse einbezogen wurden, was allerdings eine erneute<br />

Schwächung des NDH-Staates <strong>zur</strong> Folge hatte. Die Kommunisten versuchten demgegenüber, die<br />

Tschetniks durch eine Volksfrontstrategie zu neutralisieren, in der die Kräfte der gegen Deutschland,<br />

Italien und die <strong>Ustascha</strong> wirkenden Opposition zusammengefaßt werden sollten. 14<br />

Neben der geringen Durchsetzungsfähigkeit der kroatischen Truppen war die oft passive<br />

Hinhaltetaktik der italienischen Armee zweifellos der militärische Hauptgrund für die<br />

12 Schmider, Partisanenkrieg, S. 94-95.<br />

13 Schmider, Partisanenkrieg, S. 89 ff.<br />

14 Schmider, Partisanenkrieg, S. 193 ff.<br />

11


Gattermann – Kroatien 1918 bis 1945 – Göttingen 2010<br />

Erfolglosigkeit der Achsentruppen im Kampf gegen die Partisanen. Vorschläge der deutschen<br />

Militärführung in Kroatien bzw. auf dem Balkan, die Probleme wenigstens durch eine Absetzung<br />

des Poglavnik Pavelić zu entschärfen, stießen angesichts dessen guter Beziehungen zu Hitler in<br />

Berlin auf taube Ohren, zumal Pavelić mit einer Regierungsumbildung reagierte und – allerdings<br />

absolut un<strong>zur</strong>eichende – Schritte ankündigte, die Exzesse der <strong>Ustascha</strong> einzudämmen und mit<br />

den Serben zu einem Einvernehmen zu kommen, etwa durch Zulassung einer kroatischorthodoxen<br />

Kirche. Italien dagegen konnte nicht dazu bewogen werden, wirksam in die Kämpfe<br />

gegen die kommunistischen Partisanen Titos einzugreifen.<br />

Das geringe Augenmerk, das die deutsche Führung in Berlin auf die Entwicklung in Kroatien<br />

richtete, vergrößerte sich erst, als sich die Lage im Mittelmeerraum 1942/43 für die Achse<br />

zunehmend in Richtung auf eine Katastrophe entwickelte und Nordafrika in die Hände Großbritanniens<br />

und Amerikas zu fallen drohte. Damit war auch eine Landung der Alliierten auf dem<br />

Balkan in den Bereich des Denkbaren gerückt und folglich die Beherrschung Kroatiens<br />

strategisch bedeutsam geworden. Hinzu kam, daß das italienische Armee Schritt um Schritt<br />

zusammenbrach – nicht nur in Nordafrika, sondern auch in Kroatien.<br />

Deutschland nahm in der Folge größeren Einfluß auf die Achsenoperationen im NDH-Staat.<br />

Zwar wurden kaum Truppen von anderen Kriegsschauplätzen zugeführt. Die deutsche Führung<br />

war jedoch dazu übergegangen, in Kroatien selbst Soldaten für Verbände der Waffen-SS zu<br />

rekrutieren – für die SS-Divisionen „Prinz Eugen“ (hauptsächlich Donauschwaben) und<br />

„Handschar“ (bosnische Muslime), die beide besonders für den Kampf in gebirgigen Gegenden<br />

ausgerüstet und ausgebildet wurden. Allerdings gelang es auch Anfang 1943 den Partisanen<br />

wieder, den vereinten Angriffen der Achsentruppen zu entkommen, diesmal durch einen klugen<br />

Schachzug, nämlich den Übertritt in die im italienischen Verantwortungsbereich liegende<br />

Herzegowina bzw. nach Dalmatien und Montenegro.<br />

Eine wichtige Lageänderung trat ein, als Italien nach der Absetzung Mussolinis Ende Juli 1943 im<br />

September dieses Jahres aus dem Bündnis mit Deutschland ausschied und kurz darauf auf die<br />

Seite der Alliierten überwechselte. Es gelang den deutschen Truppen, innerhalb weniger Wochen<br />

die rund 300.000 italienischen Soldaten auf dem westlichen Balkan als eigenständigen<br />

militärischen Faktor auszuschalten – aber um einen hohen Preis: Ersten mußten die deutschen<br />

Streitkräfte nun selbst die Sicherung der bislang italienischen Gebiete übernehmen, und<br />

außerdem erfuhren Titos Partisanen durch italienische Überläufer eine beträchtliche Stärkung, die<br />

es ihnen ermöglichte, weite Gebiete im Landesinneren und sogar in Dalmatien in ihren Besitz zu<br />

bringen. Zumindest theoretisch brachte der Zusammenbruch Italiens außerdem den Staat<br />

Kroatien einem wichtigen Ziel näher, nämlich der Vereinigung aller von Kroaten bewohnten<br />

Länder. Dem Poglavnik gelang es, weite Teile Dalmatiens dem NDH-Staat einzugliedern.<br />

Lediglich Istrien, Rijeka und Zadar blieben unter einer deutschen Sonderverwaltung. Was<br />

unterblieb, war im Zuge dieser Neuordnung eine Absetzung des in Kroatien höchst unpopulären<br />

<strong>Ustascha</strong>-Regimes. Allerdings stand die kroatische Regierungsmacht im eigenen Land mehr und<br />

mehr auf tönernen Füßen, da die Masse des Staatsgebiets entweder von kommunistischen<br />

Partisanen, von serbischen Tschetniks oder aber direkt von deutschen und SS-Truppen<br />

beherrscht wurde.<br />

1944 war die Lage der deutschen Truppen in Kroatien sowie die der Streitkräfte des <strong>Ustascha</strong>-<br />

Regimes derart verfahren, daß an einen Sieg gegenüber Titos Partisanen kaum noch zu denken<br />

war. Wehrmacht und SS besaßen nicht genug Truppen, um auf breiter Front gegen die nunmehr<br />

ins Riesenhafte ausgedehnten Herrschaftsgebiete der Partisanen vorgehen zu können, die<br />

Luftherrschaft war an die von Italien aus operierenden anglo-amerikanischen Streitkräfte<br />

verlorengegangen, die <strong>Ustascha</strong> selbst war im eigenen Land derart unbeliebt, daß kroatische<br />

Einheiten in erheblichem Umfang zu Tito überliefen, und die ebenfalls gegen die Kommunisten<br />

kämpfenden nationalserbischen Tschetniks befanden sich in einem unaufhaltsamen Niedergang,<br />

zumal die Westalliierten dazu übergegangen waren, nicht mehr sie, sondern Tito zu unterstützen.<br />

12


Gattermann – Kroatien 1918 bis 1945 – Göttingen 2010<br />

Damit blieb als einzig erfolgversprechende Alternative nur, einen „Enthauptungsschlag“ zu<br />

versuchen – die Ausschaltung der Partisanenführung, sprich Titos und seines Stabes, durch ein<br />

Kommandounternehmen. Ein solches mißlang allerdings Ende Mai 1944, weil sich Tito bei<br />

Drvar dem Zugriff deutscher Fallschirmjäger entziehen und nach Kupres flüchten konnte, von<br />

wo ihn ein sowjetisches Flugzeug vorübergehend nach Italien ausflog. 15<br />

Natürlich blieb auch der <strong>Ustascha</strong> die desolate, eigentlich nicht zu konsolidierende Situation ihres<br />

kroatischen Staates nicht verborgen – und auch nicht die Tatsache, daß sich die Gesamtlage im<br />

Zweiten Weltkrieg 1944 immer mehr zuungunsten Deutschlands und seiner Verbündeten<br />

veränderte. Noch aus jugoslawischen Zeiten bestehende Verbindungen zwischen <strong>Ustascha</strong> und<br />

Kommunisten wurden reaktiviert. Teile der kroatischen Einheitspartei begannen, Verhandlungen<br />

über einen Frontwechsel Kroatiens nach dem Vorbild Italiens auszuloten. Allerdings war dieser<br />

Vorstoß nicht erfolgreich, weil deutsche Stellen in Kroatien davon erfahren hatten. Pavelić<br />

enthob schließlich die in dieser Sache engagierten <strong>Ustascha</strong>-Funktionäre ihrer Posten. Inwieweit<br />

er selbst eingeweiht gewesen war, ist unklar.<br />

In Spätsommer und Herbst 1944 schließlich kippte die militärische Lage endgültig. Die von<br />

Osten vorstoßende sowjetische Rote Armee besetzte Belgrad und Nordserbien, die Deutschen<br />

zogen ihre Verbände immer weiter nach Norden <strong>zur</strong>ück. Titos Partisanen eroberten große Teile<br />

Bosniens, die Herzegowina und Dalmatien.<br />

In Zagreb selbst konnte sich das <strong>Ustascha</strong>-Regime mit deutscher Hilfe noch bis zum 9. Mai 1945<br />

halten, vor allem deshalb, weil die sowjetische Rote Armee Kroatien nördlich umgangen und sich<br />

auf Ungarn und Österreich konzentriert hatte. Titos Partisanen allein waren jedoch nicht stark<br />

genug, um aus eigener Kraft Pavelić stürzen zu können. Das geschah nun im Zusammenhang mit<br />

der deutschen Gesamtkapitulation. <strong>Ustascha</strong>-Truppen und Funktionäre, deutsche Soldaten,<br />

überhaupt viele, die glaubten, von den Partisanen Rache fürchten zu müssen oder ihnen im Weg<br />

zu stehen, darunter auch viele Zivilisten, zogen sich in langen Flüchtlingstrecks in Richtung<br />

Norden <strong>zur</strong>ück, um auf von britischen Truppen beherrschtes Gebiet überzutreten – ein Versuch,<br />

dem allerdings von der britischen Führung nicht stattgegeben wurde.<br />

3.4. Wirtschaft und Bevölkerung im NDH-Staat<br />

Das <strong>Ustascha</strong>-Regime ähnelte in Vielem den Vorbildern in Deutschland und Italien – Einparteienherrschaft,<br />

Personenkult, faschistische Gewaltbesessenheit, Antisemitismus, Rassismus,<br />

die Absage an alle Rechtstaatlichkeit und die enge Verzahnung von Partei und Staat kennzeichneten<br />

das neue Gebilde. Hinzu kam jedoch, das ist schon angeklungen, noch ein weiteres<br />

Merkmal: Das Fehlen von wirklicher Souveränität nach Außen und umfassender Durchsetzungsfähigkeit<br />

nach Innen – beides Aspekte, die in Hitlers Deutschland und Mussolinis Italien<br />

so nicht vorhanden waren.<br />

In Bezug auf Wirtschaft und Verkehr präsentierte sich der NDH-Staat als zutiefst geteiltes<br />

Land. 16 Slawonien und Nordkroatien waren relativ dicht besiedelt, infrastrukturell durch<br />

Eisenbahnen noch aus k.u.k.-Zeiten gut erschlossen, landwirtschaftlich fruchtbar und im Besitz<br />

der wichtigsten Industrien. All das traf auf die südlich der Save gelegenen Gebiete nicht oder nur<br />

höchst eingeschränkt zu. Insgesamt bildete die Landschaft um Zagreb und Varaţdin den<br />

eindeutigen wirtschaftlichen Schwerpunkt des Landes, ein Umstand, der politisch noch dadurch<br />

gewichtiger wurde, daß hier die Kroaten die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung stellten,<br />

während die meisten anderen Landesteile ethnisch zerrissen waren. Nicht umsonst waren Zagreb<br />

15 Schmider, Partisanenkrieg, S. 378 ff.<br />

16 Zum Folgenden vgl. Sundhaussen, Holm, Wirtschaftsgeschichte Kroatiens im nationalsozialistischen Großraum<br />

1941-1945. Das Scheitern einer Ausbeutungsstrategie, Stuttgart 1983 (Studien <strong>zur</strong> Zeitgeschichte Band 23), passim.<br />

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Gattermann – Kroatien 1918 bis 1945 – Göttingen 2010<br />

und Nordkroatien damit auch die bis Kriegsende weitgehend unangefochtenen Machtbasen des<br />

<strong>Ustascha</strong>-Regimes.<br />

Insgesamt war die Wirtschaft des gesamten Staates agrarisch geprägt – durch eine Landwirtschaft,<br />

die prinzipiell in der Lage war, das Land ausreichend mit Nahrungsmitteln zu versorgen und<br />

sogar noch Exporterlöse zu erzielen. Dabei ist freilich zu berücksichtigen, daß die gleichmäßige<br />

Versorgung der Bevölkerung nur durch ein funktionierendes Infrastruktursystem zu gewährleisten<br />

war, weil Überschüsse aus Slawonien in Mangelgebiete (Bosnien, Dalmatien) transferiert<br />

werden mußten.<br />

Daneben spielte auch die Förderung von Rohstoffen eine nicht zu unterschätzende Rolle:<br />

Bosnisches Eisenerz, daneben Mangan und Antimon und nicht zuletzt Bauxit (Herzegowina, an<br />

der Lika und in Mitteldalmatien). Hinzu kam die Braunkohleförderung in Bosnien sowie die<br />

vereinzelte Nutzung von Erdöl- und Erdgasvorkommen südöstlich von Zagreb. Eindeutiges<br />

Zentrum der Industrie war Zagreb mit seiner weiteren Umgebung.<br />

Nun unterlag die Nutzung der wirtschaftlichen Ressourcen des NDH-Staates einer Reihe von<br />

Einschränkungen, die einerseits dem Charakter der <strong>Ustascha</strong>, andererseits der Einflußnahme der<br />

Schutzmächte Deutschland und Italien, vor allem aber auch der latenten Kriegssituation<br />

geschuldet waren.<br />

Entsprechend nach ihrem Streben nach totaler Kontrolle des NDH-Staates entwickelte die<br />

<strong>Ustascha</strong> unter Pavelić Pläne, auch die Wirtschaft zu lenken und in ein korporatives System zu<br />

überführen, ähnlich den Versuchen dieser Art in Italien und Deutschland. Allerdings gelang es<br />

nur rudimentär, diese Ideen zu verwirklichen – zu schwach, zu inkompetent und zu desorientiert<br />

war die <strong>Ustascha</strong>-Führung, um in dieser Frage in so kurzer Zeit einen Durchbruch erzielen zu<br />

können, zumal grundsätzliche Prinzipien des Kapitalismus nicht angetastet wurden (wie etwa<br />

Privateigentum und Gewinnorientierung der Unternehmen/Unternehmer). Was allerdings<br />

durchgesetzt wurde, war die Umorientierung der Eigentumsverhältnisse nach den ideologischen<br />

Vorstellungen der <strong>Ustascha</strong>: Die Enteignung von zahlreichen Serben, als unzuverlässig<br />

eingestuften Kroaten und natürlich der Juden. Die dadurch gewonnenen wirtschaftlichen<br />

Ressourcen nutzte die Regierung <strong>zur</strong> Ausstattung ihrer Anhänger – Quelle eines Streites auch mit<br />

der deutschen Minderheit, die von kroatischen Behörden nach eigener Auffassung benachteiligt<br />

wurde.<br />

Deutschland und Italien begriffen Kroatien weniger als wirklichen und gleichberechtigten Partner<br />

denn – zumindest für die Dauer des Krieges – als Reservoir an Rohstoffen und Menschen.<br />

Folglich gliederten beide ihre jeweiligen Verantwortungsgebiete in ihre Wirtschaftsräume ein,<br />

Maßnahmen, die zunächst und vor allem auf kriegswichtige Rohstoffe zielten, zum Teil jedoch<br />

auch auf die landwirtschaftliche Produktion und die Rekrutierung von (zum Teil: Zwangs-)<br />

Arbeitskräften.<br />

Entscheidend für die Wirtschaftslage im NDH-Staat sollte jedoch der nicht abreißende Krieg sein<br />

mit seinen Verfolgungen, Vertreibungen und Massenmorden. Schon 1941 brach die landwirtschaftliche<br />

Produktion um rund fünfzig Prozent gegenüber der Vorkriegszeit ein. Viele, vor<br />

allem serbische Bauern waren getötet, vertrieben oder enteignet. Zahllose Arbeitskräfte dienten<br />

entweder in den Streitkräften des <strong>Ustascha</strong>-Staates oder bei den unterschiedlichen Partisanenorganisationen<br />

– für viele Menschen die einzige Möglichkeit, zu überleben, wenn auch auf<br />

Kosten der verbliebenen bäuerlichen Bevölkerung. Verkehrswege waren oft unterbrochen, so<br />

daß der nötige Transfer zwischen Überschuß- und Mangelgebieten nicht gewährleistet werden<br />

konnte – mit dem Ergebnis, daß in Bosnien immer wieder Hungersnöte auftraten. Wirtschaftlich,<br />

zumindest in Bezug auf die Versorgung der eigenen Bevölkerung mit Lebensmitteln, war der<br />

<strong>Ustascha</strong>-Staat spätestens 1943 komplett zusammengebrochen, ohne daß eine Flut von<br />

Verordnungen und Reglemetierungen der Regierung dieses hatte verhindern können. Seitdem<br />

hielt sich das Regime nur noch dank Hilfslieferungen aus Deutschland. Ähnlich dramatisch waren<br />

die Folgen für die Rohstofferzeugung und vor allem den Abtransport der gewonnen Güter,<br />

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Gattermann – Kroatien 1918 bis 1945 – Göttingen 2010<br />

wobei sich für Deutschland vor allem das Scheitern des Bauxit-Exports in großem Umfang als<br />

nicht lösbares Problem darstellte.<br />

3.5. Vertreibungen, Völkermord und Gewaltexzesse<br />

Bereits wenige Wochen nach Beginn des <strong>Jugoslawien</strong>-Feldzugs der Achse standen die Chancen<br />

schlecht, das von Deutschland, Italien, Bulgarien und Ungarn eroberte und besetzte Gebiet<br />

völkerrechtskonform verwalten und organisieren zu können: Die Annexion weiter Landesteile<br />

durch diese vier Sieger sprach dagegen, vor allem aber die Einsetzung der <strong>Ustascha</strong> als Regierung<br />

im neu ausgerufenen und zugleich stark amputierten Kroatien. Die fünf neuen Ordnungsmächte<br />

– also Deutschland, Italien, Kroatien, Ungarn und Bulgarien – übernahmen allesamt Gebiete, in<br />

denen ihr eigenes Staatsvolk entweder nur eine knappe Mehrheit stellte (Kroatien) oder sich gar<br />

in der Minderheit befand (alle anderen, besonders extrem in Fall Italiens). Keiner der fünf<br />

verfügte über eine Regierungsform, die den Prinzipien von Toleranz und Menschenrechten verbunden<br />

war. Alle dagegen steuerten einen nationalistischen Kurs, und nicht nur das, sie alle<br />

kannten auch gegenüber der Opposition im eigenen Volk kaum Nachsicht. Das traf übrigens<br />

auch für das unterlegene und nunmehr zum Besatzungsstaat gewordenen Serbien zu. Im Fall der<br />

<strong>Ustascha</strong> kam noch hinzu, daß sie selbst bislang als Exilorganisation von jugoslawischen<br />

Behörden verfolgt worden und in der kroatischen Bevölkerung kaum verankert war – eine<br />

Verankerung, die vielleicht mäßigend hätte wirken können.<br />

Entsprechend dieser Ausgangslage waren alle Nationen und Volksgruppen <strong>Jugoslawien</strong>s von<br />

Repressionen betroffen: Deutschland übte Druck auf die Slowenen aus, Italien ebenfalls. Ungarn<br />

vertrieb aus seinen neugewonnenen Landesteilen Serben. Italien bekämpfte und unterdrückte in<br />

Dalmatien und Istrien Kroaten, im Kosovo Serben. Als besonders folgenschwer sollte sich<br />

jedoch die Politik des <strong>Ustascha</strong>-Staates gegenüber der serbischen Minderheit erweisen – eine<br />

Politik, die einerseits auf Assimilierung, andererseits auf Vertreibung und Unterdrückung, auch<br />

auf Tötung beruhte.<br />

Nun hätte sich angesichts der Tatsache, daß die jugoslawische Armee im April 1941<br />

zusammengebrochen war, vermutlich recht bald eine gewisse Ruhe ausgebreitet, eines Ruhe, die<br />

man vielleicht am besten mit den Worten Grabesstille und Angst beschreiben könnte. Dazu aber<br />

kam es nicht, weil die Serben stark genug waren, sich zu wehren, erst lokal und unorganisiert,<br />

nach kurzer Zeit aber auch mit gut geführten eigenen Partisanenverbänden. Als zunächst<br />

ebenfalls primär serbische, später aber alle Nationen umfassende Konkurrenz kamen kurz darauf<br />

Titos Kommunisten hinzu, die der nationalserbischen Guerilla alsbald den Rang abliefen. Der<br />

nun folgende und nahezu vier Jahre andauernde Krieg drehte sich um Ressourcen und die<br />

Beherrschung von Räumen, aber nicht darum, der Bevölkerung in bestimmten Gebieten<br />

dauerhaften Schutz angedeihen zu lassen.<br />

Über die Opferzahlen, die die Völker <strong>Jugoslawien</strong>s und speziell Kroatien zu beklagen hatte,<br />

konnte die Forschung bislang keinen auch nur annähernden Konsens erzielen. Das liegt nicht<br />

zuletzt daran, daß im kommunistischen <strong>Jugoslawien</strong> eine auch nur annähernd freie Forschung zu<br />

diesem Thema unmöglich war. Aber auch sonst bilden die Opferzahlen bis heute ein Politikum,<br />

bei dem widerstreitende Parteien die jeweils eigene Opferrolle betonen, eigene Täterschaft aber<br />

klein<strong>zur</strong>eden suchen.<br />

Abgesehen von einem der damaligen Unsicherheit und dem Fehlen handlungsfähiger Staatsgewalt<br />

zuzuschreibenden brutalen Räuber- und Bandenunwesen lassen sich eine Reihe politisch<br />

bzw. ethnisch motivierter Gewaltkomplexe unterscheiden:<br />

1. Die Politik der <strong>Ustascha</strong>, ausgerichtet auf die Stabilisierung ihrer Herrschaft und die<br />

Kroatisierung und Katholisierung des Landes. Opfer waren vornehmlich Serben, die vertrieben,<br />

<strong>zur</strong> Konversion gezwungen, enteignet und oft auch getötet wurden, zum Teil in Konzentrations-<br />

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Gattermann – Kroatien 1918 bis 1945 – Göttingen 2010<br />

lagern wie Jasenovac. 17 Daneben verfolgte und vernichtete die <strong>Ustascha</strong> auch die jüdischen<br />

Gemeinden. Die Muslime Bosniens waren zum Teil Versuchen einer Zwangsmissionierung<br />

ausgesetzt. Druck richtete sich auch gegen oppositionelle Kroaten.<br />

2. Im Gegenzug begannen nationalserbische Partisanen (Tschetniks) recht bald, in den von ihnen<br />

beherrschten Gebieten die kroatische und muslimische Bevölkerung zu verfolgen und in zum<br />

Teil spektakulären Massakern umzubringen.<br />

3. Italien unterzog die von Rom annektierten Gebiete einem rigiden Italianisierungsprogramm.<br />

Kroatische Bevölkerung wurde zum Teil vertrieben, zum Teil in Konzentrationslager eingewiesen.<br />

Widerstand von kroatischer wie serbischer Seite beantwortete Italien mit Geiselerschießungen.<br />

Die Bevölkerung besetzter Landesteile mußte zum Teil Zwangsarbeit leisten.<br />

4. Ähnlich gestaltete sich die deutsche Politik: Umfangreiche Geiselerschießungen im Fall von<br />

Partisanenübergriffen, teilweise Vertreibung der slowenischen Bevölkerung aus dem deutsch<br />

annektierten Teil Sloweniens, erzwungene Rekrutierung von Soldaten für Wehrmachts- und SS-<br />

Verbände, daneben die Deportation von Zwangsarbeitern nach Deutschland (Serben, aber auch<br />

Kroaten und Muslime).<br />

5. Die letzte große Gewaltwelle ging von Titos kommunistischen Partisanen aus. Die hatten,<br />

ebenso wie die anderen Kriegsparteien, schon während des Krieges umfangreiche Gewaltmaßnahmen<br />

an politischen Gegnern vollstreckt, manchmal <strong>zur</strong> Vergeltung, manchmal <strong>zur</strong><br />

Durchsetzung eigener Herrschaft. Nach Kriegsende begann dann der Aufbau des neuen<br />

sozialistischen <strong>Jugoslawien</strong>s mit einer allgemeinen Abrechnung: Die denkbaren und wirklichen<br />

politischen und ethnischen Gegner wurden eliminiert – die kroatischen Schichten, die das<br />

<strong>Ustascha</strong>-Regime mitgetragen hatten, deutsche und italienische Minderheiten, Slowenen und<br />

Muslime, die mit der Achse zusammengearbeitet hatten, und nicht zuletzt die Anhänger des<br />

serbischen Königtums. Das geschah durch umfangreiche Massentötungen im heutigen<br />

Slowenien, aber auch durch die Etablierung eines umfangreichen Netzes von Gefangenenlagern,<br />

durch Zwangsarbeit und natürlich Vertreibung. 18<br />

Die Gewaltexzesse während des Zweiten Weltkriegs und unmittelbar danach, die bei vorsichtiger<br />

und überaus unsicherer Schätzung für Gesamtjugoslawien etwa eine Million Tote gefordert<br />

hatten und zusätzliche Bevölkerungsverluste von etwa zwei Millionen (Geburtenrückgang,<br />

erhöhte Sterblichkeit, Vertreibungen), hatten das Gesicht Kroatiens und Bosniens, aber auch<br />

ganz <strong>Jugoslawien</strong>s entscheidend verändert: Zwei wichtige Minderheiten, die weite Landstriche in<br />

Dalmatien, Istrien, Slowenien, Slawonien und Nordkroatien teilweise geprägt hatten, nämlich<br />

Deutsche und Italiener, waren zu Splittergruppen zusammengeschmolzen. Die wirtschaftliche,<br />

politische, kulturelle und religiöse Elite namentlich der Kroaten, in etwas geringerem Umfang<br />

auch der Muslime, Slowenen und Serben war ausgeschaltet, zumindest wenn sie sich nicht<br />

rechtzeitig zum Kommunismus bekannt hatte. Nunmehr bestimmte für eine Reihe von Jahren, ja<br />

Jahrzehnten Titos kommunistische Partei den Werdegang Kroatiens in der Volksrepublik<br />

<strong>Jugoslawien</strong>.<br />

Zusammenfassung<br />

Das Experiment von 1918 war gescheitert. Die südslawischen Völker – Serben, Kroaten,<br />

Slowenen und Bosniaken – ließen sich nicht in einem Staat halten, der von einer Nation<br />

dominiert wurde. Die Serben waren einfach zu schwach, um solches auf Dauer durchzusetzen,<br />

und sie waren 1918 zu siegreich und zu stark gewesen, um mit den übrigen Ethnien integrierende<br />

17 Dedijer, Vladimir, Jasenovac – das jugoslawische Auschwitz und der Vatikan, Freiburg 1988.<br />

18 Vgl. dazu: Österreichische Historiker-Arbeitsgemeinschaft (Hg.), Völkermord der Tito-Partisanen 1944-1948. Die<br />

Vernichtung der altösterreichischen deutschen Volksgruppe in <strong>Jugoslawien</strong> und die Massaker an Kroaten und<br />

Slowenen, Sersheim 1992, passim.<br />

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Gattermann – Kroatien 1918 bis 1945 – Göttingen 2010<br />

Kompromisse zu schließen. Folglich überlebte Großserbien, und nichts anderes war das erste<br />

<strong>Jugoslawien</strong>, das Jahr 1941 nicht.<br />

Damit aber war die Tür für eine gewaltige Katastrophe geöffnet, nämlich für die Dominanz der<br />

Faschisten Kroatiens im gesamten kroatisch-bosnischen Raum, einer Dominanz freilich, die<br />

angesichts äußerer Einflüsse (Italien, Deutschland) und inneren Widerstands (Tschetniks, Tito-<br />

Partisanen, auch bosnische Muslime) immer mehr Anspruch als Wirklichkeit blieb, aber gleichwohl<br />

zum Grund eines vier Jahre langen, mit äußerster Erbitterung und riesigen Greueln<br />

geführten Krieges wurde. Am Ende dieses Konfliktes war der kroatische Nationalismus im<br />

eigenen Land praktisch ausgeschaltet, das Gebiet zerstört und die Bevölkerung mit ungeheuren<br />

Verlusten getroffen.<br />

Literatur<br />

Dedijer, Vladimir, Jasenovac – das jugoslawische Auschwitz und der Vatikan, Freiburg 1988.<br />

Ferhadbegović, Sabina, Prekäre Integration. Serbisches Staatsmodell und regionale<br />

Selbstverwaltung in Sarajevo und Zagreb 1918-1929, München 2008 (Südosteuropäische<br />

Arbeiten Band 134).<br />

Hösch, Edgar, Geschichte der Balkanländer. Von der Frühzeit bis <strong>zur</strong> Gegenwart, 3. Auflage,<br />

München 1995.<br />

Hory, Ladislaus und Martin Broszat, Der kroatische <strong>Ustascha</strong>-Staat 1941-1945, Stuttgart 1964<br />

(Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Nummer 8).<br />

Jakir, Aleksandar, Dalmatien zwischen den Weltkriegen. Agrarische und urbane Lebenswelt und<br />

das Scheitern der jugoslawischen Integration, München 1999 (Südosteuropäische Arbeiten Band<br />

104).<br />

Österreichische Historiker-Arbeitsgemeinschaft (Hg.), Völkermord der Tito-Partisanen 1944-<br />

1948. Die Vernichtung der altösterreichischen deutschen Volksgruppe in <strong>Jugoslawien</strong> und die<br />

Massaker an Kroaten und Slowenen, Sersheim 1992.<br />

Regan, Krešimir (Hg.), Hrvatski povijesni atlas [Kroatischer Geschichtsatlas], Zagreb 2003.<br />

Schmider, Klaus, Partisanenkrieg in <strong>Jugoslawien</strong> 1941-1944, Hamburg/Berlin/Bonn 2002.<br />

Steindorff, Ludwig, Kroatien – <strong>Vom</strong> Mittelalter bis <strong>zur</strong> Gegenwart, 2. Auflage, Regensburg 2007.<br />

Sundhaussen, Holm, Wirtschaftsgeschichte Kroatiens im nationalsozialistischen Großraum 1941-<br />

1945. Das Scheitern einer Ausbeutungsstrategie, Stuttgart 1983 (Studien <strong>zur</strong> Zeitgeschichte Band<br />

23).<br />

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