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Effektiver studieren durch gehirngerechtes Lernen

Prof. Dr. Michael Rückert, FH Köln

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Prof. Dr. Michael Rückert, FH Köln, Fachbereich AV: Gehirngerechtes <strong>Lernen</strong><br />

<strong>Effektiver</strong> <strong>studieren</strong> <strong>durch</strong> <strong>gehirngerechtes</strong> <strong>Lernen</strong> 1<br />

Zum Einstieg zwei Tests:<br />

Lesen Sie folgenden Text einmal aufmerksam <strong>durch</strong> und versuchen Sie sofort daran anschließend,<br />

ihn aus dem Gedächtnis nachzusagen:<br />

"Ein Zweibein saß auf einem Dreibein und aß ein Einbein. Da kam ein Vierbein und schnappte<br />

dem Zweibein das Einbein weg. Daraufhin nahm das Zweibein das Dreibein und schlug damit<br />

das Vierbein, bis es das Einbein wieder hergab"<br />

Dasselbe machen Sie bitte jetzt mit folgenden Wortpaaren: Sie lesen Sie aufmerksam <strong>durch</strong> und<br />

versuchen so viele wie möglich aus dem Gedächtnis aufzuschreiben.<br />

"Kuß – Taschentuch / Auto – Banane / Erdnuß – Eieruhr / Flugzeug – Schal / Namensschild –<br />

Produktionstheorie / Ratte – Frau / Nonne – Bikini / Sektkorken – Mercedes / Bett – Photoapparat<br />

/ Geld – Gewicht "<br />

Wenn Sie vier Paare in der richtigen Reihenfolge reproduzieren können, sind Sie schon gut.<br />

Wenn Sie gehirngerecht arbeiten und lernen, werden Ihnen alle Paare wieder einfallen, ja Sie<br />

werden einige zig Wortkombinationen in Ihrem Gedächtnis behalten können !<br />

Worin besteht der "Trick", sich etwas leicht zu merken ?<br />

Um es vorwegzunehmen – und um Ihnen den Mund wäßrig zu machen, sich intensiver mit Lernund<br />

Arbeitsmethoden zu beschäftigen – hier der wichtigste Grundsatz:<br />

Stellen Sie sich unter allem, das Sie sich merken wollen, etwas Bildhaftes vor, und zwar nach dem<br />

Grundsatz:<br />

"Je merkwürdiger, desto merk – würdiger "<br />

Bilder lassen sich am besten merken, wenn sie übertrieben, absurd, erotisch, vulgär, sinnlich,<br />

bewegt, farbig, phantasievoll und klar sind.<br />

Die erste Geschichte läßt sich ganz leicht merken, wenn man assoziiert (zuordnet): Zweibein –<br />

Mensch, Dreibein – Stuhl, Einbein – Hühnerkeule und Vierbein – Hund.<br />

Bei "Bett – Photoapparat " können Sie sich beispielsweise eine attraktive unbekleidete Person im<br />

Bett vorstellen, die Sie photographieren. Und bei "Flugzeug – Schal " fällt mir z.B. das Titelphoto<br />

des Films "Die Reise in einem verrückten Flugzeug " ein. Sie werden staunen, welche Bilder<br />

in Ihnen entstehen, wenn Sie es nur zulassen ! Das geht auch bei "trockenem " Stoff aus Physik<br />

und Technik. So können Sie sich die ideale Gasgleichung (Verknüpfung von Druck, Temperatur<br />

und Volumen) an Hand des Aufpumpens eines Fahrradschlauches vorstellen. Lassen Sie<br />

Ihrer Phantasie freien Lauf !<br />

Wie funktioniert unser Gehirn ?<br />

Wie ein PC funktioniert, wissen die meisten von uns. Über ihr Gehirn haben die wenigsten genaue<br />

Vorstellungen.<br />

1 Als PDF- File downloadbar unter:<br />

http://www.fh-Koeln.de/fb/fb-av/professoren/rueckert/MRueSkripten.htm)<br />

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Prof. Dr. Michael Rückert, FH Köln, Fachbereich AV: Gehirngerechtes <strong>Lernen</strong><br />

Ein PC besteht im Wesentlichen aus vier Bausteinen: CPU (Zentralprozessor), RAM bzw. Festplatte<br />

(schneller Zentralspeicher und Massenspeicher), Betriebssystem und Software und Peripherie<br />

(Ein- und Ausgabekanäle).<br />

Auch unser Gehirn besitzt diese Elemente, doch mit ganz wesentlichen Unterschieden. CPU und<br />

RAM sind nicht getrennt; sie bilden eine Einheit. Es gibt nicht nur einen Zentralprozessor (oder<br />

bei Parallelrechnern einige zig), sondern einige Billionen. Allerdings kann einer für sich allein<br />

nicht so viel die CPU des Rechners und ist auf einige wenige Funktionen beschränkt. Die Leistungsfähigkeit<br />

des Gehirns wird da<strong>durch</strong> erreicht, daß jede Gehirnzelle mit zig Tausenden anderen<br />

verbunden ist. Im Gegensatz zum Betriebssystem der meisten Rechner ist das des Gehirn fest<br />

verdrahtet und erweitert sich <strong>durch</strong> die Benutzung ständig selbst. Die Peripherie des Menschen<br />

(Motorik, Sinnesorgane) hat wesentlich mehr "Intelligenz vor Ort" als die eines PC. Im Englischen<br />

sagt man für "auswendig lernen "learning by heart" und bei uns gibt es den Satz "In Fleisch<br />

und Blut übergehen".<br />

Die Gehirnforschung muß laufend ihre Vorstellungen vom Gehirn erweitern. Das wichtigste Organ<br />

des Menschen erweist sich als außerordentlich vielfältig und leistungsfähig, als es je einer zu<br />

vermuten wagte. Mit mehr als 10 Milliarden Neuronen (Gehirnzellen), von denen jedes über<br />

Dendriten, Axone und Synapsen mit einigen zig Tausend anderen verbunden ist, kann das Gehirn<br />

in der Größenordnung 10 800 Zustände haben, d.h. Gedanken und Bilder speichern. Das ist um den<br />

Faktor 10 700 mehr als es Atome im Weltall gibt!<br />

Man kann die Eigenschaften des Gehirns in folgenden drei Hauptgruppen zusammenfassen.<br />

1. Das Gehirn ist polar aufgebaut<br />

2. Es arbeitet wie ein assoziativer Speicher<br />

3. Es organisiert sich selbst<br />

Ich will nun näher auf diese Haupteigenschaften eingehen und aus ihnen Schlußfolgerungen für<br />

ein <strong>gehirngerechtes</strong> Studieren ziehen.<br />

Das Gehirn ist polar aufgebaut<br />

Benutzen Sie beide Gehirnhälfte und stellen Sie sich unter allem etwas bildlich vor !<br />

Wie alles in der Welt hat auch unser Gehirn "zwei Seiten". Die rechte Gehirnhälfte ist mehr für<br />

Bilder, Musik, Rhythmus und Phantasie zuständig. Sie denkt "intuitiv", ohne eine zeitliche Abfolge<br />

von Ursache und Wirkung nachzuvollziehen: Informationen werden von ihr analog empfangen<br />

und verarbeitet. Ihre Stärke liegt in der Synthese (Zusammenfügen, Überblick). Die rechte<br />

Gehirnhälfte steuert unsere linke Körperseite. In der linken Gehirnhälfte sind Sprache , Logik,<br />

Zahlen verankert. Sie steuert die recht Körperseite und arbeitet mehr "linear", d.h. vollzieht die<br />

rationale Kette von Ursache und Wirkung nach. Sie digitalisiert Informationen. Ihre Stärke liegt<br />

in der Analyse und im Detail.<br />

Beide Gehirnhälften sind <strong>durch</strong> das "Corpus Callosum" (Balken) miteinander verbunden und<br />

werden <strong>durch</strong> dieses wichtige und stammesgeschichtlich sehr alte Gehirnteil miteinander koordiniert.<br />

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Abb.: Die zwei Seiten unseres Gehirns und ihre Funktionen (Vorderansicht) nach /1/<br />

Beim herkömmlichen <strong>Lernen</strong> benutzen wir meist nur unsere linke Gehirnhälfte. Ziel muß es sein,<br />

beide Gehirnhälften zu aktivieren, zwischen ihnen hin und her zu springen und so unsere ganze<br />

Gehirnkapazität zu aktivieren. Das war übrigens das Geheimnis aller großen Menschen wie Leonardo<br />

da Vinci, Einstein etc. Von allen wird berichtet, daß sie ihre Leistungen nur <strong>durch</strong> Phantasie<br />

erbracht haben, d.h. gleichrangig beide Gehirnhälften nutzten. Unter Genies finden sich auffallend<br />

viele Linkshänder (Sie machen alles "mit links"). Bei Ihnen arbeitet ja die rechte, intuitive<br />

und kreative Gehirnseite intensiv.<br />

Die Erkenntnis, daß die Welt <strong>durch</strong> und <strong>durch</strong> polar aufgebaut ist, hat äußerst weitreichende Konsequenzen<br />

! Wir finden diese Polarität nicht nur in der Physik (positive und negative Ladungen,<br />

Dualismus von Welle und Teilchen) und in der Biologie (männlich – weiblich), sondern auch in<br />

der menschlichen Psyche (Haß und Liebe). Polarität ist untrennbar mit der Zeit verknüpft. Denn<br />

die zwei Seiten einer Sache können wir praktisch nie gleichzeitig wahrnehmen. Eine Ahnung<br />

davon vermittelt daß abgebildete Fixierbild mit zwei Würfeln, die man einmal v- förmig, das andere<br />

mal ^-förmig aufgeklappt sieht. Vielen sich sicherlich andere derartige Fixierbilder bestens<br />

bekannt: Die Vase, die auch als zwei Gesichter gesehen werden kann, das Gesicht der alten Hexe,<br />

in dem man nach "Umschalten" auch eine hübsche junge Frau entdeckt. Der niederländische<br />

Graphiker Escher hat sein künstlerisches Werk sehr stark diesem Thema gewidmet. Seine Bilder<br />

kann jeder als Test dafür verwenden, wie stark er auf einen Pol des Sehens fixiert ist bzw. wie<br />

schwierig es für ihn ist, auf die andere Seite umzuschalten<br />

Abb.: Fixierbild mit zwei Würfeln (aus /3/)<br />

Abb.: Was sehen Sie, wenn Sie die Fixierung aufheben ?<br />

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Abb.: Escher: Luft und Wasser. Was sehen Sie wo ? Fische oder Vögel ?<br />

Abb.: Oft hebt das Auge eine Fixierung von allein auf und ergänzt etwas, was gar nicht da ist (/3/).<br />

Beobachten Sie selbst, welche Seite des Lebens Sie ablehnen ! Die männlich- westliche, patriarchaische<br />

Kultur ist weitgehend fixiert auf "Rationalität" (Überbetonung der linken Gehirnhälfte).<br />

Irrationalität, Emotionen bzw. Intuition, Eigenschaften der (weiblichen) rechen Gehirnhälfte,<br />

werden gerade bei uns Ingenieuren zutiefst abgelehnt.<br />

Übertragen wir diese Fixierung auf einen Aspekt und die Ablehnung des anderen – aufgrund eigener<br />

oder fremder Moralvorstellungen oder Normen –einmal auf ein einfaches Beispiel. Stellen<br />

Sie sich vor, jemand behauptet, Einatmen sei besser als Ausatmen, erklärt das Ausatmen als etwas<br />

nicht Normales oder gar Unmoralisches und hört sofort auf auszuatmen. (Das ist übrigens<br />

das Problem der meisten Asthmatiker: Sie lehnen das Ausatmen ab, analog dazu haben sie<br />

Schwierigkeiten mit dem Hergeben und Loslassen). Zu Recht würden Sie ein solches Verhalten<br />

als dumm ansehen.<br />

Die Konsequenz des polaren Gehirnaufbau für das <strong>Lernen</strong> ist zu Anfang schon deutlich<br />

geworden: Sich unter allem etwas bildhaft vorzustellen und beide Gehirnhälften zu benutzen.<br />

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Das Gehirn arbeitet assoziativ<br />

Strukturieren Sie Stoff mit einer Mind Map !<br />

Währen in einem PC die Informationen hintereinander abgelegt werden, d.h. jede Information<br />

eindeutig an einem bestimmten Speicherplatz steht, arbeitet unser Gehirn ganz anders, nämlich<br />

nach dem Prinzip des assoziierten Speichers. In einem solchen Speicher sind nicht nur Ort und<br />

Inhalt der Informationen wichtig, sondern auch die Bezüge untereinander (Assoziationen). Mathematisch<br />

kann ein solcher Speicher beschrieben werden <strong>durch</strong> eine Matrix (Netz). Er ist auch<br />

holographisch (ganzheitlich aufzeichnend), d.h. nimmt man Teile heraus, so wird die gespeicherte<br />

Information zwar unschärfer, ist jedoch immer noch vorhanden. Deswegen kann ein Gehirn<br />

auch nach Verletzungen oder Gehirnschlägen relativ ungestört weiterarbeiten.<br />

Eine wesentliche Konsequenz für unser <strong>Lernen</strong> daraus, ist, daß auch wir die Informationen nicht<br />

Stück für Stück hintereinander und voneinander getrennt aufnehmen, sondern von vornherein<br />

miteinander verknüpfen, nach dem Motto: Die Bezüge der Fakten untereinander sind mindestens<br />

–genauso wichtig wie die Informationen selbst.<br />

Überhaupt kann man das <strong>Lernen</strong> mit dem Knüpfen eines Netzes vergleichen. Dabei sollte man<br />

das Netz nicht gleich stückweise ganz fein knüpfen, sondern erst einmal ein grobes Raster anlegen<br />

– meist ist es ja vorhanden in Form von Wissen aus Schule und Lebenserfahrung. Beim <strong>Lernen</strong><br />

stellt man dann immer mehr Querbezüge zwischen den Punkten her und webt so das Netz<br />

feiner.<br />

Toni Buzan hat daraus eine Darstellungsmethode mit dem Namen „Mind Map“ entwickelt. Diesen<br />

Begriff könnte man am besten übersetzen mit dem Wort „Strukturdiagramm“. Im Anhand<br />

finden Sie den vorliegenden Beitrag „Gehirngerechtes <strong>Lernen</strong>“ in einem Mind Map komprimiert.<br />

Mind Maps können Sie überall im Studium verwenden: Beim Aufzeichen und bei der Nachbearbeitung<br />

von Lehrveranstaltungen, als Vorbereitung auf Vorträge, Präsentationen und Prüfungen.<br />

Wenden Sie Mind Maps an, wenn Sie mit Kollegen Kolloquien veranstalten. Eine äußerst wirkungsvoll<br />

Art ist das gemeinsame <strong>Lernen</strong> in Gruppen.<br />

Mind Maps unterscheiden sich ganz wesentlich von herkömmlichen Aufzeichnungen, die linear<br />

mit Unterpunkten strukturiert sind, und die man erst ganz <strong>durch</strong>lesen muß, um Querbezüge zu<br />

erkennen. Mind Maps dagegen sind lebendiger. Sie enthalten Schlüsselwörter, die miteinander<br />

verbunden sind. Wesentliche Elemente von Mind Maps sind Pfeile, Symbole wie ? ! * +, geometrische<br />

Figuren wie Kreise, Ellipsen etc. Sie enthalten perspektivische und dreidimensionale Darstellungen<br />

und sind angereichert <strong>durch</strong> Farben und kreative Skizzen und Bilder.<br />

Abb.: Beispiel von Vortragsmitschriften: Links eine „konventionelle Mitschrift“. Rechts einen<br />

nach der Methode des Mind Maps (auf der linken Blatthälfte das eigentliche Struktogramm,<br />

rechts daneben Erläuterungen zu den wichtigen Punkten.<br />

Übung: Erstellen Sie ein Mind Map über irgendein Sie interessierendes Thema, das Sie einem<br />

Bekannten näherbringen wollen ! Anhand dieser Aufzeichnung erläutern Sie dann dieses<br />

Thema und diskutieren mit Ihrem Bekannten darüber !<br />

Übung: Versuchen Sie bei irgendeiner Lehrveranstaltung, sich nur auf den dargebotenen<br />

Stoff zu konzentrieren, indem Sie sich von allem und jedem ein Bild machen. Lassen Sie sich<br />

nicht <strong>durch</strong> Mitschreiben oder andere Störeinflüsse ablenken. Erstellen Sie höchstens ein grobes<br />

Mind Map !<br />

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Abb.: Links: Herkömmliche Vorlesungsmitschrift, rechts: Mitschrift mittels Mind Map (aus /1/)<br />

Das Gehirn organisiert sich selbst<br />

Mens sana in corpore sano<br />

Die faszinierendste Eigenschaft des Gehirns ist wohl die, die ich mit Selbstorganisation bezeichnen<br />

möchte. Unter diesem Begriff fasse ich eine Reihe von Eigenschaften und Fähigkeiten zusammen,<br />

die alle darauf basieren, daß unser Gehirn zum Körper gehört und daß es sich materiell<br />

verändert, wenn wir denken. Sie Software beeinflußt sozusagen die Hardware und umgekehrt.<br />

Das alles geschieht nicht auf höheren Befehl in, sondern ist im Organ selbst verankert. Gehirnzellen<br />

vergrößern sich, Verbindungen zwischen den Zellen werden bleibend aktiviert. Gedanken<br />

werden als chemische Moleküle abgelegt. In jeder Sekunde laufen in unserem Gehirn einige zigtausend<br />

verschiedene chemische Reaktionen ab.<br />

Beim Denken werden Verbindungsbahnen zwischen Neuronen aktiviert. Es fließen elektrische<br />

Ströme und es finden chemische Reaktionen statt. Neurotransmitter – chemische Botenstoffe –<br />

übernehmen den Informationstransport in den kleinen Spalts zwischen den Synapsen. Wenn wir<br />

Denkprozesse üben, so bauen wir quasi anfangs nur als Trampelpfade angelegte Verbindungen<br />

zwischen Gehirnzellen zu Autobahnen aus. Wir unterscheiden Kurz- und Langzeitgedächtnis. Im<br />

Kurzzeitgedächtnis sind Informationen nur in Form von elektrischen Strömen vorhanden. Sie<br />

verschwinden nach einigen Minuten wieder. Endgültig in unseren geistigen Besetz übergegangen<br />

ist eine Information erst dann, wenn sie sozusagen als chemisches Molekül in unserem Langzeitgedächtnis<br />

abgelegt ist.<br />

Aus diesen Eigenschaften und Fähigkeiten möchte ich einige Bedingungen für ein <strong>gehirngerechtes</strong><br />

Studieren ableiten.<br />

Lernt wieder die Lust am <strong>Lernen</strong> !<br />

Alle menschlichen Grundbedürfnisse sind mit Lust verbunden: Die Fortpflanzung, das Essen und<br />

– das <strong>Lernen</strong>. Das Gehirn schreit förmlich danach, lernen zu dürfen. Das Kind hat noch keine<br />

Lernprobleme. Es ist neu – gierig (gierig nach Neuem), es ist von allem fasziniert, es will alles<br />

kennen lernen und be- greifen. Es hat Lust am <strong>Lernen</strong>. Diese Lust wird ihm größtenteils im Laufe<br />

seiner Erziehung ausgetrieben. Gesellschaftliche Normen haben uns auf fast allen Gebieten diese<br />

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elementare Lust am Leben genommen. Bei der Sexualität sind wir gerade dabei, dies – allerdings<br />

auf sehr vielen Umwegen – wieder rückgängig zu machen. Packen wir es an, auch am lebenslangen<br />

<strong>Lernen</strong> wieder Spaß zu haben !<br />

Übung: Machen Sie eine Liste aller Dinge, die Sie am <strong>Lernen</strong> hindern oder Ihnen das <strong>Lernen</strong><br />

vermiesen ! Ordnen Sie dann diese Lernblockaden nach der Wichtigkeit für Sie. Schreiben<br />

Sie genau so die Dinge auf, die Ihnen am <strong>Lernen</strong> Spaß machen !<br />

<strong>Lernen</strong> ohne richtige Wiederholung ist vergeudete Arbeit !<br />

Eine Information ist erst dann unser geistiger Besitz, wenn er im Langzeitgedächtnis als chemische<br />

Verbindung abgelegt ist. Das geschieht nur <strong>durch</strong> Wiederholung, und zwar <strong>durch</strong> richtige:<br />

Sie darf nicht so spät erfolgen, daß die „Behaltenskurve“ des vorher Gelernten schon abgeklungen<br />

ist. Und es darf kein "stumpfsinniges " Wiederholen sein, wie wir es vom "Vokabelpauken"<br />

aus der Schule her kennen. Auch für das Wiederholen gelten die Grundsätze des bildhaften <strong>Lernen</strong>s.<br />

Es gibt allerdings <strong>durch</strong>aus auch Dinge, die man vom Vokabelpauken in ein <strong>gehirngerechtes</strong><br />

<strong>Lernen</strong> übernehmen kann. Dazu zählt der Vokabelkasten oder die Kurzfragen (Quickies), die<br />

man auf Karteikarten schreibt.<br />

Mit dem schnellen "Denken auf Autobahnen" ermöglicht das Gehirn unser Überleben. Es behindert<br />

da<strong>durch</strong> allerdings auch in gewisser Weise unsere Kreativität. Sie erhalten wir nur dann,<br />

wenn wir auch ab und zu die ausgetretenen Autobahnen verlassen und uns auf Trampelpfade begeben.<br />

Abb.: Richtig geplantes Wiederholen hält die Erinnerung konstant auf einem hohen Niveau (/1/)<br />

Körper und Geist brauchen Pflege<br />

Wenn das Gehirn arbeitet, fließen in ihm Ströme, die man über ihre elektromagnetische Ausstrahlung<br />

in einem EEG messen kann. Man nennt sie Gehirnwellen.<br />

Im Wachzustand – Beta – Wellen- Zustand genannt – variierten die Schwingungen der Hirnaktionsströme<br />

zwischen 15 und 30 Hertz. Es ist der Zustand des bekannten logisch – rationalen Denkens.<br />

Eine Ebene tiefer, bei 7 bis 14 Hertz, schwingen die Alphawellen. Alpha ist der Zustand, in dem<br />

die Grenze zwischen Wachen und Schlafen verschwimmt, das Bewußtsein völlig nach innen gerichtet<br />

und der menschliche Geist am effektivsten ist, weil er <strong>durch</strong> die Ratio in keiner Weise<br />

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gestört wird. Man nennt diesen zustand auch Meditation,; der Mensch befindet sich in seiner<br />

Mitte. (Meditari: in die Mitte getragen werden)<br />

Die Hirnströme zwischen vier und sieben Hertz (Theta) entsprechen dem leichten Schlaf. Noch<br />

tiefer, bei Schwingungen unter vier Hertz (Delta), befindet sich der Mensch im Tiefschlaf, einem<br />

Zustand ähnlich der Bewußtlosigkeit.<br />

Es gibt außerordentlich viele Methoden der Entspannung, der Meditation und der Konzentration:<br />

ZEN, YOGA, Autogenes Training. Zu diesen alten Methoden gesellen sich neue, auf wissenschaftlichen<br />

Untersuchungen basierende:: Die Silva Mind Control- Methode, Atemtechniken,<br />

Neurolinguistische Programmierung (NLP) und die "Brain Maschinen". Sie bedingen einen hohen<br />

technischen Aufwand und spielen z.B. über PC audiovisuelle Muster im Biofeedbackverfahren<br />

(Rückkopplung mit Körperfunktionen wie dem Hautwiderstand) in das Gehirn und lösen da<strong>durch</strong><br />

den Alpha- Zustand aus. Allen diesen Verfahren ist gemeinsam, daß man sich regelmäßig<br />

Zeit für sich selbst nimmt und etwas auf diese Art und Weise für sich tut.<br />

Negativer Streß ist der schlimmste Lernblocker. Wie in Jahrmillionen stammesgeschichtlicher<br />

Entwicklung geübt, schüttet unser Körper in Streßsituationen Adrenalin aus, das höchste Körperliche<br />

Bereitschaft zum Angriff oder zur Flucht ermöglicht. Adrenalin blockiert jedoch alle höheren<br />

Gehirnfunktionen, also gerade die , die wir beispielsweise in eine Prüfung brauchen. Studierende,<br />

die besonders unter diesen Streßsymptomen leiden, sollten besonders intensiv eine der<br />

oben genannten Methoden praktizieren. Wie oft hört man nach Klausuren: "Ich habe so viel getan,<br />

aber ich hatte ein Brett vor dem Kopf".<br />

Unser Gehirn hat sich im Laufe von Jahrmillionen entwickelt. Das „Vernunfthirn“ in der Gehirnrinde,<br />

mit dem wir rational denken, ist erst ca. 5 Mio. Jahre alt. Ca. 170 Mio. Jahre alt ist das<br />

„Emotionshirn“, das zwischen Vernunfthirn und dem Rückenmarkt sitzt, in dem alle Nerven zum<br />

Körper verlaufen. Mit 280 Mio. Jahren ältestes Gehirnteil ist das „Instinkthirn“. In ihm werden<br />

die Urbedürfnisse (Überleben, Fressen, Verteidigung, Sex) geregelt. Man muß davon ausgehen,<br />

daß immer die älteren Gehirnteile Vorrang vor den jüngeren haben, das sie die lebenswichtigeren<br />

Funktionen übernehmen.<br />

Körper und Geist sind eng miteinander verbunden. Die Römer sagten: "Mens sana in corpore<br />

sano": Ein gesunder Geist wohnt immer in einem gesunden Körper. Sport, genügend Ruhe, Drogen<br />

nur in Maßen und eine natürliche Ernährung sind wesentliche Voraussetzungen für erfolgreiches<br />

Studieren./6/ Auch sollten man kreative und erholsame Lernpausen nicht vergessen.<br />

Übung: Versuchen Sie einmal wenigstens 5 Minuten lang zu "meditieren", d.h. in Ihre Mitte<br />

zu gehen. Setzen Sie sich aufrecht auf einen Stuhl oder – noch bessern – legen Sie sich flach<br />

au und entspannt auf den Boden. Sagen Sie sich dann einen positiven und einfachen Leitsatz,<br />

z.B. " Ich lebe intensiv" oder " Ich bin liebenswert". Machen Sie gedanklich eine Reise <strong>durch</strong><br />

Ihren Körper, d.h. lenken Sie ihr Bewußtsein in die einzelnen Körperteile. Beginnen Sie mit<br />

den Zehen und enden Sie an der Stirn. Werden Sie ganz ruhig, aber schlafen sie nicht ein !<br />

Stellen Sie sich positiv zu Ihrem Studium ein. "Ziehen Sie sich nicht daran hoch", wenn mal der<br />

eine oder andere Dozent nicht nach Ihrem Geschmack unterrichtet. Denken Sie daran, daß nur der<br />

geringste Teil Ihres Studienerfolgs vom Dozenten, der weitaus größere jedoch von Ihnen abhängt.<br />

Programmieren Sie sich positiv und ersetzen Sie<br />

Die 7 Todsünden in Ihrem Gehirn <strong>durch</strong> positive Sätze.<br />

1. "Ich kann nicht " wird ersetzt <strong>durch</strong> "Ich kann"<br />

2. Ich habe das vergessen " wird ersetzt <strong>durch</strong> "Es ist mir momentan entfallen – kommt gleich<br />

zurück "<br />

3. "Ich bin müde, ausgelaugt und erschöpft" muß dringend ersetzt werden <strong>durch</strong> "Ich möchte<br />

etwas Erfrischung"<br />

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4. "Ich habe ein Problem" tauscht man aus gegen "ich arbeite an einem Projekt"<br />

5. "Ich bin besorgt" wird ausgetauscht gegen "ich bin interessiert"<br />

6. "Ich bin nervös" ersetzt man <strong>durch</strong> "Ich bin auf Draht und angeregt"<br />

7. "Schrecklich gut" gibt es nicht mehr, statt dessen sagen Sie einfach "Sehr gut<br />

Übung: Beobachten Sie sich einen ganzen Tag lang, wo Sie sich negativ programmieren, indem<br />

Sie z.B. immer nur den negativen Aspekt eines Begriffes verstehen (z.B. Autoritär, Emotion,<br />

Aggression) oder sich negativ ausdrücken !<br />

Zukünftige Schulsysteme:<br />

Schon vor über 20 Jahren veröffentlichte Frederic Vester ein seinem Buch "Denken, lernen vergessen"<br />

die Ergebnisse seiner Forschungen und seine Empfehlungen für eine pädagogisch- didaktische<br />

Reform unserer Schulsysteme. Seit dieser Zeit ist wenig von diesen Erkenntnissen in<br />

die Praxis eingeflossen, so daß Vester auch heute noch – vielleicht etwas überspitzt – sagen kann<br />

"Schule ist Schande".<br />

Herkömmliche Schulsysteme geben von einzelnen Fächern aus. Der Stoff wird, in Häppchen aufgeteilt,<br />

wie in Schubfächern in die Gehirne der Schüler gestopft. Zusammenhänge werden fast<br />

nicht erarbeitet. Moderne Schulsysteme müssen in Zukunft mehr vom Menschen ausgehen. Von<br />

seinem innersten Kern, seiner Seelenstruktur zu seiner Denkstruktur und dann erst nach außen zu<br />

den Spezialfächern. Hand in Hand mit dem Fachwissen bzw. davor muß gelehrt werden, wie man<br />

lernt und wie man Zusammenhänge erarbeitet.<br />

Schulsysteme sind Abbilder der Gesellschaft. Das heutige <strong>Lernen</strong> und die Gesellschaft sind geprägt<br />

<strong>durch</strong> die Dominanz der linken und die Ignoranz der rechten Gehirnhälfte. Man kann sagen,<br />

sie sind halb- hirnig. Da auch menschliche Werte kaum vermittelt werden, kann man sie auch als<br />

halb- herzig bezeichnen.<br />

In zukünftigen Schulsystemen werden die Schüler ganzhirnig und mit ganzem Herzen und mit all<br />

ihrem Gemüt lernen.<br />

______________________________________________________________________________<br />

Dieses Papier entstand aus kurzen Workshops, die ich im Rahmen der Einführungswoche für<br />

Studienanfänger seit Jahren mit großer Resonanz halte. Es soll Sie lediglich dazu anregen, nach<br />

einem eigenen effektiven Arbeits- und Lernstil zu suchen. Es ist keinesfalls vollständig und reißt<br />

das Thema nur an.<br />

Die folgenden Literatur- und Medienhinweise sollen Sie bei Ihrer Suche unterstützen:<br />

/1/ Toni Buzan: Kopftraining – Anleitungen zum kreativen Denken, Tests und Übungen. Goldmann Taschenbuch<br />

110926<br />

/2/ Tony Buzan: Nichts vergessen ! Kopftraining für ein Supergedächtnis. Goldmann Taschenbuch 10385<br />

/3/ Toni und Barry Buzan: Das Mind Map Buch, mvg- Verlag<br />

/4/ Frederic Vester: Denken, <strong>Lernen</strong>, Vergessen – Was geht in unserem Kopf vor, wie lernt das Gehirn,<br />

und wann läßt es uns im Stich ?. dtv- Sachbuch 1327. Auch als dreiteiliges Video erhältlich.<br />

/5/ Vera F. Birkenbihl: Stroh im Kopf " Gebrauchsanweisung fürs Gehirn. mvg Verlag 267<br />

/6/ R. Dahlke, B. Preiml, F. Mühlbauer: Die Säulen der Gesundheit, Verlag Hugendubel<br />

Internet- Links:<br />

http://www.teachsam.de/arb/krea/krea_mindm_centermap.htm<br />

http://www.methode.de/bu/dmb/tibuza01.htm<br />

http://www.braintrain.de/<br />

______________________________________________________________________________________________<br />

Prof. Dr. Michael Rückert<br />

> Fachgebiet Physikalische Grundlagen der Verfahrenstechnik und Strömungsmechanik<br />

> Fachhochschule Köln, Fachbereich Anlagen- und Verfahrenstechnik<br />

> Betzdorfer Str. 2, 50679 Köln, fon: 0221/8275-2240, fax: -2202<br />

> http://www.fh-Koeln.de/fb/fb-av/professoren/rueckert/MRueckertWelcome.htm<br />

> privat: Sandbüchel 26a, 51427 Bergisch Gladbach, fon: 02204/64683, fax: 962401<br />

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