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Jónas Hallgrímsson – Dichter der Naturschönheit - von Matthías ...

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<strong>Jónas</strong> <strong>Hallgrímsson</strong> <strong>–</strong> <strong>Dichter</strong> <strong>der</strong> <strong>Naturschönheit</strong><br />

<strong>von</strong> <strong>Matthías</strong> Johannessen<br />

<strong>Jónas</strong> <strong>Hallgrímsson</strong>, Islands Nationaldichter, wurde am 16. November 1807 auf dem Bauernhof<br />

Hraun im Öxnadalur im Norden Islands geboren. Er wuchs auf in <strong>der</strong> schönen Natur dieser<br />

Landschaft, musste sie aber bereits mit 10 Jahren verlassen, da sein Vater, Pfarrer <strong>der</strong> lokalen<br />

Gemeinde, durch ein Unglück ertrank. In <strong>der</strong> Lateinschule in Bessastaðir machte er 1829 sein<br />

Abitur und ging dann zwei Jahre später nach Kopenhagen, um an <strong>der</strong> Universität zu studieren. Er<br />

begann Jura zu studieren, wurde aber <strong>von</strong> dem neuen Fach Naturwissenschaften so angetan, dass<br />

er dieses einige Jahre studierte. Er bekam ein Stipendium, um 1837 und wie<strong>der</strong> 1839-42<br />

naturwissenschaftliche Reisen in Island durchzuführen. In diesen Zeiträumen bereiste er die<br />

ganze Insel und führte wissenschaftliche Beobachtungen durch, die vorgesehen waren für eine<br />

Beschreibung <strong>von</strong> Islands Natur und Naturressourcen in Zusammenarbeit mit dem dänischen<br />

Wissenschaftler Japetus Steenstrup.<br />

<strong>Jónas</strong> <strong>Hallgrímsson</strong> war bahnbrechend in <strong>der</strong> isländischen Literatur. Er war 1835 einer <strong>der</strong><br />

Grün<strong>der</strong> <strong>der</strong> Zeitschrift Fjölnir zusammen mit einigen isländischen Studenten an <strong>der</strong><br />

Kopenhagener Universität, Tómas Sæmundsson, Brynjólfur Pétursson und Konráð Gíslason. Im<br />

Fjölnir veröffentlichte er einen wesentlichen Teil seiner Dichtung und seiner literarischen<br />

Abhandlungen. In vieler Hinsicht war er <strong>der</strong> erste mo<strong>der</strong>ne Islän<strong>der</strong>, er suchte Inspiration in <strong>der</strong><br />

zeitgenössischen Literatur Europas, und sein großes dichterisches Vorbild war Heinrich Heine.<br />

Gleichzeitig war er politisch engagiert, u.a. war er ein leidenschaftlicher Vorkämpfer für die<br />

Wie<strong>der</strong>errichtung des alten Alþings in Þingvellir und für die Unabhängigkeit Islands.<br />

<strong>Jónas</strong> <strong>Hallgrímsson</strong> war seiner Zeit zu weit voraus, um zu seinen Lebzeiten anerkannt und<br />

berühmt zu werden. In Dänemark war er ganz unbekannt, da er seine Gedichte in Isländisch<br />

schrieb. Es vergingen aber nicht viele Jahre nach seinem Tod, bis er in Island mit Recht als die<br />

wichtigste literarische Person seiner Zeit angesehen wurde.<br />

Er war auch als Naturwissenschaftler seiner Zeit weit voraus und vor allem war er es, <strong>der</strong> die<br />

Augen <strong>der</strong> Islän<strong>der</strong> für die Schönheit ihres Landes und ihrer großartigen Natur öffnete. Er<br />

kämpfte auch für die mo<strong>der</strong>ne Auffassung in Literatur und Ästhetik. Er war ein dichterischer<br />

Enthusiast, besaß aber gleichzeitig die Fähigkeit des Naturwissenschaftlers, die Natur sowohl in<br />

ihrer Schönheit als auch als „res natura“ zu sehen.<br />

Unter den literarischen Erneuerungen, die <strong>Jónas</strong> <strong>Hallgrímsson</strong> zugeschrieben werden können,<br />

sind die ersten mo<strong>der</strong>nen Novellen <strong>der</strong> isländischen Literatur, die ersten Märchen und<br />

internationale, klassische metrische Formen, wie z.B. Sonette und Hexameter, zusammen mit<br />

Gedichten, wo die Natur und die Schöpfung <strong>der</strong> Natur im Mittelpunkt stehen. Aber gleichzeitig<br />

experimentierte er mit dem alten nordischen Versmaß Fornyrðislag in einer mo<strong>der</strong>nen<br />

romantischen Dichtung.<br />

Die Gesundheit <strong>Jónas</strong> <strong>Hallgrímsson</strong>s war schwach und auf einer seiner Erkundungsreisen in<br />

Island 1841 erkrankte er ernsthaft an einer Lungenentzündung. Außerdem war er nicht <strong>der</strong> Typ,<br />

<strong>der</strong> auf seine Gesundheit beson<strong>der</strong>s gut achtete. In seinen letzten Jahren musste er gegen<br />

Depression und Schwermut ankämpfen und schaute etwas zu tief ins Glas. Im Frühjahr 1845,<br />

nach einer Zecherei in Hviids Weinstube, ging er nach Hause in die Sankt Peters Stræde 26, wo


er ein Zimmer im dritten Stock hatte. Auf dem Weg nach oben fiel er die Treppe hinunter und<br />

brach sich das Bein. Er bekam eine Blutvergiftung, seine schwache Lunge wurde aufs Neue<br />

angegriffen und er starb kurze Zeit später am 26. Mai im Alter <strong>von</strong> 38 Jahren. Er wurde in<br />

Kopenhagen begraben, aber 1946 wurden seine Gebeine nach Island gebracht und in einem<br />

Ehrengrab in Þingvellir beigesetzt.<br />

Wo sollte man den Geist und den Gebrauch <strong>der</strong> romantischen Beschreibung Islands in <strong>der</strong><br />

Einleitung <strong>von</strong> Fjölnir suchen? Natürlich in dem Gedicht <strong>von</strong> <strong>Jónas</strong> <strong>Hallgrímsson</strong>, wo die<br />

Landschaft in klassischer Strophenform mit Alliteration und gelegentlichen Reimen beschrieben<br />

ist.<br />

Lasst uns dies näher betrachten.<br />

Der erste Jahrgang <strong>der</strong> Zeitschrift Fjölnir, 1835, wird mit dem Gedicht „Island“ <strong>von</strong> <strong>Jónas</strong><br />

eingeleitet. Es ist die Rede <strong>von</strong> einem „glücklichen Land und einer reichen reifweißen Mutter“.<br />

Es wird zwar nicht gesagt, <strong>der</strong> Himmel sei heiter und schön, son<strong>der</strong>n heiter und blau. Auch wird<br />

erwähnt, dass die Männer <strong>der</strong> alten Zeit Höfe und Gebäude errichtet haben „in <strong>der</strong> blühenden<br />

Schönheit <strong>der</strong> Täler“. Es sind gerade diese Täler, die in <strong>der</strong> Einleitung in Fjölnir geschil<strong>der</strong>t<br />

werden, diese grünen Täler.<br />

Weiter ist die Rede <strong>von</strong> „Schiffen mit gesetzten Segeln vor <strong>der</strong> Küste“, d. h. eigene Schiffe, die<br />

„die Ware nach Hause brachten“.<br />

Das Gedicht Gunnarshólmi, gedruckt im Fjölnir <strong>von</strong> 1838, beginnt mit <strong>der</strong> sommerlichen Sonne,<br />

„Es schien aufs Land die Sonne in Sommerwonne“ und die Berge Eyjafjöll „verzierte am späten<br />

Tag ein güldenrotes Leuchten“. Und in <strong>der</strong> Einleitung im Fjölnir heißt es weiter, wie sanft und<br />

schön es auf dem Lande ist, „wenn sie (die Sonne) die Berge an Sommerabenden rötet“.<br />

Die Umgebung <strong>von</strong> Gunnarshólmi besteht aus kleinen Höfen, die über blühende Fluren und<br />

grüne Wiesen zerstreut sind. Hier findet man auch die „grünen Täler“ und es fehlen auch nicht<br />

die Bäche „himmelklar“ und „die blauen Berggewässer“, wie es im Gedicht steht.<br />

Wie gesagt: „ die glückliche Blumenpracht auf dem Lande“. Und vom Markarfljót aus kann man<br />

dicht bewachsene Äcker erblicken, welche die herrlichsten Wiesen sind. Es fehlen auch nicht die<br />

kleinen Blumen, da auf dem rosa Acker sogar die rote Rose leuchtet, die an die romantische<br />

Blume erinnert und alle an<strong>der</strong>en überstrahlt, welche gleichen Geschlechts sind, wie die Lilie <strong>von</strong><br />

Sigurður Breiðfjörð o<strong>der</strong> die romantische blaue Blume. Und es fehlt auch nicht, dass sich in allen<br />

Flüssen Fische tummeln, und hier sind es dann die Lachse und Forellen, die in <strong>der</strong> Einleitung <strong>von</strong><br />

Fjölnir „mit dem Schwanz springen“. Und die Schafe wan<strong>der</strong>n über die grünen Wiesen <strong>–</strong> hier<br />

haben wir es wie<strong>der</strong> mit den Schafen aus <strong>der</strong> Einleitung <strong>von</strong> Fjölnir zu tun, die an den Hängen<br />

<strong>der</strong> Täler grasen, die „lebendig <strong>von</strong> Rin<strong>der</strong>n, Schafen und Pferden sind“, wie es in <strong>der</strong> Einleitung<br />

heißt.<br />

Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass die Wäl<strong>der</strong> mit Ebereschen verschönt sind. Dies geht evtl.<br />

aus einem Brief <strong>von</strong> Tómas Sæmundsson hervor, geschrieben am 30. Januar 1835, ein Auszug<br />

aus einem Brief aus Island, <strong>der</strong> im ersten Jahrgang <strong>von</strong> Fjölnir gedruckt wurde. Dies ist ein<br />

Bericht über eine Reise, die <strong>der</strong> Verfasser durch Island unternahm. Unter an<strong>der</strong>em wird über die<br />

Aufforstung des Bauern Þorlákur in Skriða in Nord-Island berichtet und über den Kaufmann<br />

Baagöde in Húsavík. Dort heißt es: „Isländische Baumsorten, welche am besten hier und bei<br />

Þorlákur in Skriða gedeihen, sind: Birke, Weide und insbeson<strong>der</strong>e Eberesche. In Húsavík ist eine<br />

Eberesche, die <strong>–</strong> wie ich glaube <strong>–</strong> 5 Ellen hoch ist mit vielen Astlöchern und Zweigen. Der Baum<br />

ist jetzt 20 Jahre alt und wächst ab jetzt noch schneller!


Es ist bestimmt nicht verkehrt anzunehmen, dass die Eberesche in dem Gedicht aus diesem<br />

Bericht stammt.<br />

Gunnarshólmi endet damit, dass die sonnenroten greisen Berge auf den unerbittlichen Fluss<br />

schauen, <strong>der</strong> das schöne Tal vernichtet. Die Islän<strong>der</strong> unternehmen nichts, um diese Naturkraft zu<br />

bändigen, um Tatkraft als tüchtiges Volk zu zeigen, das willig ist, zu handeln, wie es in <strong>der</strong><br />

Einleitung in Fjölnir beschrieben ist. Dort heißt es, dass <strong>der</strong> Mensch sogar die urwüchsige Kraft<br />

<strong>der</strong> Naturelemente bezwingen kann. Und sie „seinem Willen unterwerfen und seine Vorhaben<br />

beschleunigen kann“.<br />

Die Einleitung in Fjölnir ist ein beson<strong>der</strong>es Manifest <strong>der</strong> Redaktion, o<strong>der</strong> wie es heißt: „So haben<br />

wir als ehrbare Menschen Ihnen den Charakter und das Ziel dieser Zeitschrift erklärt und im<br />

letzten Jahr hatten wir zum Kauf aufgerufen, aber wir haben uns zu viel vorgenommen, Sie auf<br />

ordentliche Weise zu ermuntern, uns zu helfen so gut es geht“.<br />

In <strong>der</strong> Einleitung werden die Punkte des Manifestes aufgeführt, die den Redakteuren am Herzen<br />

lagen. Das Hauptgewicht liegt auf dem, was das Volk in Island bedrückt hat, nämlich Aberglaube<br />

und Nie<strong>der</strong>geschlagenheit.<br />

Das Erste, was in <strong>der</strong> Einleitung diskutiert wird, ist Nützlichkeit. Alles in <strong>der</strong> Zeitschrift soll zu<br />

dem einem o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Nutzen beitragen. Um das zu realisieren, muss es an das Leben und<br />

Wirken des Volkes geknüpft sein und man muss versuchen, die Hin<strong>der</strong>nisse, die im Weg stehen,<br />

die entwe<strong>der</strong> durch die Natur o<strong>der</strong> durch den Menschen verursacht wurden, zu beseitigen, um<br />

eine vernünftige Unternehmung und den Fortschritt zu ermöglichen. In diesem Abschnitt wird<br />

aufgeführt, was sie „Wi<strong>der</strong>stand <strong>der</strong> Natur“ nennen, und nichts beschreibt besser „die<br />

menschliche Überlegenheit“, als die Tatsache, dass alles in <strong>der</strong> Welt „dem Menschen zu dienen“<br />

hat. Selbst die gewaltigen Kräfte <strong>der</strong> Naturelemente haben die Menschen gebändigt. „Ein kleiner<br />

Bach, ein Windhauch o<strong>der</strong> heißer Dampf erzeugen Bewegung und produzieren nun das, was<br />

sonst Tausende Hände früher nicht erarbeitet haben“.<br />

So haben sie sich gefreut, wie die Natur gebändigt wurde, im Dienste des Lebensglücks und des<br />

Fortschritts, um dadurch das menschliche Leben zu verschönern. Der Mensch ist jetzt „Herr <strong>der</strong><br />

Erde“ und <strong>von</strong> keinem abhängig, „nur <strong>von</strong> Gott“, und <strong>der</strong> menschlichen Gesellschaft sehr nahe,<br />

die wir gründen müssen, „damit <strong>der</strong> Mensch das wird, wofür er bestimmt ist“.<br />

Es ist bemerkenswert, dass sie das Wort Lebensglück zusammen mit Fortschritt verbinden, und<br />

sie halten viel da<strong>von</strong>. Das erkennt man, wenn sie diejenigen nennen, „die die Dämmerung<br />

nutzten, um nie<strong>der</strong>zuschreiben und zu erzählen, was sie unternahmen und was im Land geschah,<br />

o<strong>der</strong> <strong>von</strong> Leuten, die im Ausland gewesen waren o<strong>der</strong> was sie selbst im Ausland erlebt hatten“.<br />

„Und dieser Zeitvertreib war <strong>der</strong> glücklichste“.<br />

Dieser Zeitvertreib „war segensreich für das Land und das Volk, da dadurch die Sagas<br />

entstanden“, wie sie sich ausgedrückt haben. Diese waren eine wun<strong>der</strong>bare Unterhaltung und<br />

werden es noch viele Jahrhun<strong>der</strong>te bleiben. „Diese haben den Islän<strong>der</strong>n eine langanhaltende Ehre<br />

bei allen zivilisierten Völkern gebracht und eine schöne Sprache vor dem Aussterben bewahrt. In<br />

demjenigen, <strong>der</strong> die isländischen Sagas mit Aufmerksamkeit liest, muss eine feurige Liebe zu<br />

seinem Vaterland erwachen, wenn nicht, dann versteht er sie nicht“.<br />

So ist es kein Zufall, wenn <strong>Jónas</strong> <strong>Hallgrímsson</strong> sein Gedicht Island mit diesen Worten beginnt:<br />

Island! glückliches Land und reiche reifweiße Mutter! Dies ist <strong>der</strong>selbe Ton, wie in<br />

Gunnarshólmi. So sind in diesen beiden Gedichten einige Gedanken <strong>der</strong> Einleitung in<br />

Gedichtform umgesetzt.<br />

Es gibt viele unterschiedliche Gründe, warum <strong>Jónas</strong> <strong>von</strong> dem Sagahelden Gunnar und seiner für<br />

die Sagas ungewöhnlichen ästhetischen Bemerkung über die Landschaft seiner Heimat in <strong>der</strong>


Njáls saga begeistert war, wo die Landschaft, <strong>von</strong> Gunnarshólmi aus gesehen, als schön<br />

geschil<strong>der</strong>t wird mit ihren gelben Äckern und gemähten Wiesen. In diesen Worten ist es nicht<br />

unbedingt die rein ästhetische Schönheit <strong>der</strong> Natur, son<strong>der</strong>n ihre praktische Schönheit. Da sind es<br />

die praktische Schönheit gelber Äcker, d.h. <strong>der</strong> Kornanbau, und <strong>der</strong> gemähten Wiesen, die<br />

Gunnar begeistern. Das ist dieselbe praktische Schönheit, die den Fjölnir-Redakteur <strong>Jónas</strong><br />

begeistert, und er erlebt die Sagas durch diese einmalige Bemerkung. Sie ist nicht nur einmalig,<br />

weil <strong>der</strong> Verfasser <strong>der</strong> Njála auf die nützliche Schönheit <strong>der</strong> Umgebung zeigt, son<strong>der</strong>n auch auf<br />

das, was gerade diese Schönheit <strong>der</strong> Umgebung so schön und begehrenswert macht.<br />

Ackerbau ist Fortschritt, auch die frischgemähten Wiesen, selbst wenn sie nur ein kleiner Fleck<br />

waren. Hier kommen das Naturempfinden des Mittelalters und die Nützlichkeitsperspektiven des<br />

Fjölnir-Redakteurs <strong>Jónas</strong> <strong>Hallgrímsson</strong> zusammen. Es ist wichtig, dies zu verstehen, da <strong>Jónas</strong><br />

genau wusste, dass niemand <strong>von</strong> <strong>der</strong> <strong>Naturschönheit</strong> alleine leben kann, we<strong>der</strong> Gunnar <strong>von</strong><br />

Hlíðarendi noch <strong>Jónas</strong> und seine Zeitgenossen.<br />

Gunnarshólmi ist kein Zufall, son<strong>der</strong>n vollkommen konsequent und bewusste Fortsetzung seines<br />

Vorbildes und des romantischen Nützlichkeitsdenkens im Geist <strong>der</strong> Aufklärung und Eggert<br />

Ólafssons. Eggert Ólafsson (1726-1768) war <strong>der</strong> wichtigste <strong>Dichter</strong> <strong>der</strong> Aufklärung in Island und<br />

gleichzeitig einer <strong>der</strong> ersten, <strong>der</strong> sich wissenschaftlich mit <strong>der</strong> isländischen Natur beschäftigte.<br />

Ein wesentlicher Schwerpunkt in <strong>der</strong> Einleitung ist die Schönheit. Sie ist mit <strong>der</strong> Nützlichkeit<br />

„vereint, d.h. was schön ist, ist immer nützlich, entwe<strong>der</strong> geistig o<strong>der</strong> körperlich o<strong>der</strong> um die<br />

Nützlichkeit zu stärken“. Aber die Schönheit ist so wichtig, dass sie sich selbst genügt und je<strong>der</strong><br />

sollte sie verehren <strong>–</strong> um ihrer selbst willen <strong>–</strong> wie es heißt.<br />

In <strong>der</strong> Fortsetzung wird das Gewicht auf die Sprache gelegt und die Notwendigkeit, diese rein zu<br />

halten. Deshalb ist es wichtig, Acht zu geben, wie gesprochen und geschrieben wird. Die Sprache<br />

ist die Voraussetzung für die Freiheit und dies ist in Übereinstimmung mit <strong>der</strong> Überzeugung <strong>von</strong><br />

Jón Sigurðsson, dass die Sprache die wichtigste Voraussetzung für die Unabhängigkeit Islands<br />

sei. Er behauptet sogar in seiner politischen Zeitschrift Ný Félagsrit, dass die Islän<strong>der</strong> nur<br />

Gesetze zu befolgen hätten, die in isländischer Sprache verfasst seien und Isländisch sollte die<br />

offizielle Sprache in Island sein.<br />

Es war den Islän<strong>der</strong>n immer ein Anliegen, ihre Sprache zu bewahren und weiter zu entwickeln,<br />

beson<strong>der</strong>s auch in <strong>der</strong> Zeit des Fjölnir. Man blickte zurück auf die mittelalterliche Literatur, die<br />

Literatur des Goldenen Zeitalters, die in einer Sprache geschrieben ist, die bis heute bewahrt<br />

wurde und einen Grundpfeiler <strong>der</strong> isländischen Unabhängigkeit bildet. Heute ist die Sprache aber<br />

nicht mehr in Mode, wie damals auch, und man kann sagen, sie braucht jede Unterstützung, da<br />

sie <strong>von</strong> allen Seiten bedrängt wird, nicht nur durch das Fernsehen, die Globalisierung und das<br />

Profitstreben, in einer Zeit, die das Weltliche dem Geistigen vorzieht, das den Islän<strong>der</strong>n ein<br />

Leitfaden im Freiheitskampf war, <strong>der</strong> mit Jón Sigurðsson und den Fjölnir-Männern begann.<br />

Es war kein Zufall, dass ein <strong>Dichter</strong> vom Schlage <strong>Jónas</strong> <strong>Hallgrímsson</strong>s hier an vor<strong>der</strong>ster Front<br />

stand.<br />

In <strong>der</strong> Einleitung unterstreichen die Fjölnir-Redakteure, dass die Sprache die klarste Aussage<br />

über die Qualität eines Volkes und dessen Haupteigenschaften ist. Und weiter betonen sie, dass<br />

eine Nation erst entsteht, wenn sie eine Sprache spricht, die nicht <strong>von</strong> an<strong>der</strong>en Völkern<br />

gesprochen wird <strong>–</strong> o<strong>der</strong> wie sie schreiben: „ Wenn die Sprache stirbt, so stirbt auch die Nation<br />

o<strong>der</strong> sie wird in eine an<strong>der</strong>e Nation umgewandelt“. Dies kann aufgrund <strong>von</strong> Elend und Armut<br />

geschehen. Die Sprache und die Literatur ist die Säule, auf welcher die nationale Ehre <strong>der</strong>


Islän<strong>der</strong> beruht. Nichts sei deshalb wichtiger, „als diesen Schatz zu hüten und zu vermehren, <strong>der</strong><br />

das gemeinsame Eigentum aller Islän<strong>der</strong> ist“.<br />

Die Redakteure erkennen zwar den Mangel <strong>der</strong> Islän<strong>der</strong> an Gespür für Schönheit, aber<br />

insbeson<strong>der</strong>e sind sie über dänische Fremdwörter in <strong>der</strong> isländischen Sprache irritiert.<br />

Das Dritte Hauptanliegen <strong>der</strong> Fjölnir-Redakteure ist die Wahrheit.<br />

Es besteht kein Zweifel, dass Fjölnir Schwierigkeiten hatte, Fuß zu fassen. Für einige war die<br />

Zeitschrift zwar ein willkommener Gast, aber diese waren nicht viele im Verhältnis zu den<br />

an<strong>der</strong>en. Die Gründe waren sicher viele, aber ich denke, dass die Islän<strong>der</strong> nicht so begeistert<br />

waren, auf das Elend des Volkes hingewiesen zu werden, wie dies die Fjölnir-Redakteure<br />

machten. Sie überschütteten die Landsleute mit Kritik und schonten niemanden. In <strong>der</strong> Einleitung<br />

sprachen sie da<strong>von</strong>, dass die Islän<strong>der</strong> im Vergleich zu ihren Vorfahren degeneriert wären, obwohl<br />

das Volk einige Fortschritte gemacht hätte, nachdem die Zeit ihm „einige neue Hinweise gegeben<br />

hatte“. Mangel an Willen begleite die Nation, aber auch Mutlosigkeit und Unkenntnis. Sie sagen,<br />

es müsse <strong>der</strong> Wille <strong>der</strong> Islän<strong>der</strong> sein, „ein Loch in diesen Damm zu schlagen, um dem<br />

Lebensstrom des Volkes freien Lauf zu bahnen, in Wort o<strong>der</strong> Tat, je nach ihren Kräften und den<br />

Umständen“, wie sie sich ausdrücken.<br />

Es ist auch klar, dass die Allgemeinheit nicht mit dem gesamten Inhalt <strong>der</strong> Zeitschrift<br />

einverstanden war. Die Zeitschrift stand gegen jede Modeströmung. Nicht zuletzt gegen die<br />

Rímur, eine populäre Volksmusik, die Schlager dieser Zeit. „Rímur“ waren eine volkstümliche<br />

Unterhaltung, aber die Fjölnir-Redakteure hatten einen höheren Anspruch. Sie hatten aber nicht<br />

den erwünschten Erfolg, wie <strong>der</strong> folgende Brief über eine Einladung zur Subskription deutlich<br />

macht. Dieser Brief wurde auf Staðarbakki in Nord-Island vorgelesen, aber geschrieben am 1.<br />

März 1834 in Kopenhagen und unterschrieben <strong>von</strong> Brynjólfur Pétursson, Konráð Gíslason und<br />

<strong>Jónas</strong> <strong>Hallgrímsson</strong>. Dieser Brief ist mit folgenden Bemerkungen versehen: „Gelesen in <strong>der</strong><br />

Kirche in Staðarbakki und Efri-Núpur, aber bekam <strong>von</strong> keinem <strong>der</strong> Zuhörer Zustimmung. Zeuge<br />

E. Bjarnason“. (Eiríkur Bjarnason war Pfarrer in Staðarbakki 1826 <strong>–</strong> 1843). Also keiner wollte<br />

die Zeitschrift abonnieren. Aber in Húsavík ging es besser, wie es aus dem früher erwähnten<br />

Reisebericht <strong>von</strong> Tómas Sæmundsson hervorgeht, wo <strong>der</strong> Kaufmann Baagöde in dem „kältesten<br />

abgelegensten Gebiet des Landes“ wohnte, ein Auslän<strong>der</strong>, <strong>der</strong> gern in Island lebte und sich selbst<br />

als einen halben Islän<strong>der</strong> betrachtete, nachdem er 30 Jahre hier gewohnt hatte. In dem<br />

Reisebericht wird gesagt, dass er das Land und seine Bewohner gut kenne, und dass er <strong>von</strong> allen<br />

gut gelitten sei. Sein Vorhaben weist auch darauf hin, dass er nicht weniger am Fortschritt des<br />

Landes interessiert war als die Islän<strong>der</strong> selbst. Und so gilt <strong>der</strong> Satz: “Wir wissen alle, dass kein<br />

Kaufmann sich besser für den Verkauf <strong>der</strong> Zeitschrift eingesetzt hat als er“.<br />

So hat dieser Auslän<strong>der</strong> im hohen Norden einen wichtigen Beitrag für die Fjölnir-Redakteure<br />

geleistet.<br />

Die Männer vom Fjölnir waren <strong>der</strong> Ansicht, dass eine Notwendigkeit für eine solche Zeitschrift<br />

vorhanden sei, als Stimme <strong>der</strong> Zeit. Sie erinnerten sich mit Freude an die Zeitschrift des<br />

Lærdómslistafélag (Gesellschaft für Bildung und Kultur), eine <strong>der</strong> ersten Zeitschriften in Island<br />

im Geist <strong>der</strong> Aufklärung, und die große und bahnbrechende Arbeit <strong>von</strong> Jón Eiríksson<br />

(isländischer Beamter in Sorø und Kopenhagen, 1728-1787). Sie sagen, dass sein Werk in 15<br />

Bänden, erschienen 1780-95, noch ein halbes Jahrhun<strong>der</strong>t später <strong>von</strong> großer Bedeutung gewesen<br />

sei, es sei an vielen Stellen in gutem Isländisch geschrieben, aber vereinzelt mit dänischen<br />

Wörtern verunreinigt. Diese Zeitschrift war eine <strong>der</strong> großartigsten, die in Nordeuropa


herausgegeben wurden, und mit Sicherheit die einflussreichste Zeitschrift im Norden in dieser<br />

Zeit. Es kann behauptet werden, dass dieses Werk nicht die gebührende Aufmerksamkeit bekam,<br />

die es verdient hätte, so wichtig wie es für unsere Kulturgeschichte und die seiner Zeit war.<br />

Die Fjölnir-Redakteure legten großen Wert auf die Vielseitigkeit <strong>der</strong> Zeitschrift. Aber nicht alle<br />

waren <strong>der</strong> Ansicht, dass das Volk den Inhalt akzeptieren würde. In einem Brief aus den<br />

Ostfjorden ist ein kleiner Passus, <strong>der</strong> zu unserer heutigen Zeit ebenso gut passt wie zu <strong>der</strong> Zeit<br />

des Fjölnir zur Mitte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts. Dort steht geschrieben: „Dass dies so geworden ist bei<br />

viel zu vielen unserer Landsleute, kann man am besten daran sehen, wie sie alles mit Kusshand<br />

akzeptieren. Diese elendige sogenannte Dichtung <strong>der</strong> schlechten <strong>Dichter</strong>, wie Sigurður<br />

Breiðfjörð, das Buch mit Láka-Dichtung und die Einsiedler-Gedichte (das Gedicht mit <strong>der</strong><br />

Fischhautweise kann hier auch erwähnt werden) repräsentieren <strong>–</strong> dies alles kaufen die Leute mit<br />

Freude und bedeutend öfter als „Der Verlust des Paradieses“ <strong>von</strong> Milton o<strong>der</strong> den „Messias“ <strong>von</strong><br />

Klopstock, so dass fast je<strong>der</strong> „Hungerbarde“ allerhand Unsinn drucken lassen kann (wie Pastor<br />

Tómas über isländische Essays eines bestimmten Zeitalters geklagt hat), was nur dazu führt, die<br />

„Geschmacklosigkeit“ unserer Tage später zu zeigen“.<br />

Es scheint so, als ob <strong>Jónas</strong> <strong>der</strong> Ansicht war, dass man ausländische Dichtung ins Isländische<br />

übersetzen könne, indem man ihre Gedanken und Atmosphäre in eine neue Form kleidet. So sind<br />

seine Übersetzungen <strong>der</strong> Werke <strong>von</strong> Schiller und Heine. Sie sind im Einklang mit den Ideen <strong>der</strong><br />

Männer <strong>von</strong> Fjölnir über Freiheit als Voraussetzung einer neuen Schöpfung. Alles was er anfasst,<br />

wird an<strong>der</strong>s, erneuert. Und so erlebt er auch ein freies Island und macht sich darüber Gedanken,<br />

wie das Leben des Volkes selbst einen Anstoß zur Erneuerung bekommen könnte. Obwohl das<br />

Gedicht „Vorið góða grænt og hlýtt“ wie auch „Augun þín“ auf eines <strong>von</strong> den vielen Gedichten<br />

Heines über Frühlingssonne, Augen, Sterne und Liebe zurückgeht, ist es genauso wenig eine<br />

Übersetzung wie Selfjall in „Næturkyrrð“ („Sterne mit den goldnen Füßchen“ aus „Neuer<br />

Frühling“).<br />

In Deutschland gibt es kein Selfjall, genauso wenig wie den Schafsabtrieb.<br />

„Næturkyrrð” erinnert mehr an den Stil <strong>der</strong> Heldendichtung und <strong>der</strong>en Tonfall als an Heine. Das<br />

Bild in „Næturkyrrð“ ist in sich so geschlossen, dass es über jeden Zweifel erhaben ist.<br />

Sveinbjörn Egilsson, Bjarni Thorarensen und insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Pfarrer Jón Þorláksson auf<br />

Bægisá, alles zeitgenössische <strong>Dichter</strong> in Island, haben <strong>Jónas</strong> den Weg gewiesen, als er Heine<br />

kennen lernte und begann, sich mit ihm zu befassen, dessen Dichtung so bearbeitete, dass sie sich<br />

vollkommen isländischen Verhältnissen anpasste, unserer mittelalterlichen Dichtkunst, dem<br />

ganzen Denken und nicht zuletzt dem Land selbst, indem er <strong>der</strong>en Inhalt dort hineingepflanzt hat.<br />

Dies sind keine Übersetzungen o<strong>der</strong> Interpretationen, son<strong>der</strong>n eine Adaption; fremde Gedanken<br />

in isländische Form gegossen. Die Ausdrucksweise ist viel näher an <strong>Jónas</strong> als in den Gedichten,<br />

die er nach seinem isländischen Geschmack neu bearbeitet hat. „Sólsetursljóð“ ist ein ganz<br />

isländisches Gedicht und ganz im Geist <strong>von</strong> <strong>Jónas</strong>, aber es ist ein adaptiertes Werk ausländischen<br />

Ursprungs, obwohl niemand hieran denken würde.<br />

<strong>Jónas</strong> hat Gedichte nicht übersetzt o<strong>der</strong> interpretiert. Er hat die Ideen umformuliert und nach<br />

Island gebracht. Ihn interessierte nur, ein gutes Gedicht in Isländisch aus ausländischem Stoff zu<br />

dichten. Aber er hat große Erfurcht vor diesem Stoff gehabt und hat ihn mit großer Sorgfalt<br />

ausgesucht, sodass er genau seinen Vorstellungen, seinem Erbe und Vorhaben entsprach. Mit<br />

dieser Dichtung hat er zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Er hat die isländische Literatur<br />

erneuert und die wichtigsten Ideen ausländischer Dichtung dieser Zeit bekannt gemacht. Es


scheint, dass diese Dichtung es auf den Fjölnir-Sitzungen schwer gehabt hat, da nicht alle mit <strong>der</strong><br />

Methode <strong>von</strong> <strong>Jónas</strong> einverstanden waren. Er war gegen buchstabengetreue Übersetzung und hat<br />

seine Richtung tapfer verteidigt. Er war kein Feigling, wenn es darauf ankam, seine Überzeugung<br />

zu vertreten.<br />

Wir wissen, dass <strong>Jónas</strong> <strong>von</strong> Heine begeistert war. Heines Gedichte waren ihm ständig im Sinn,<br />

dieser war <strong>der</strong> Botschafter <strong>der</strong> Renaissance im Geist <strong>der</strong> Romantik; Botschafter <strong>der</strong> Freiheit und<br />

des Chaos, das zu <strong>der</strong> Zeit Europa neu erschuf; <strong>Dichter</strong> <strong>der</strong> Liebe und <strong>der</strong> Märchen, <strong>der</strong> Sonne<br />

und <strong>der</strong> Natur. Ich kann mir gut vorstellen, dass <strong>Jónas</strong> bei diesen Zeilen aus Heines „Neuen<br />

Gedichten“ innegehalten hat, obwohl er diese nicht ins Isländische übertragen hat:<br />

Der heil’ge Gott, <strong>der</strong> ist im Licht,<br />

Wie in den Finsternissen;<br />

Und Gott ist alles, was da ist;<br />

Er ist in unsern Küssen,<br />

wie es im Lie<strong>der</strong>zyklus „Seraphine“ heißt. <strong>Jónas</strong> hat aber zwei kleine Gedichte aus diesem<br />

Zyklus neu bearbeitet, sodass man <strong>von</strong> einem eigenem Original sprechen kann.<br />

So weit über die Liebe.<br />

Und Heine sagt „Wie schön ist die Sonne“ und dies könnte aus dem Herzen <strong>von</strong> <strong>Jónas</strong> stammen.<br />

Sie haben vieles gemeinsam gehabt, die beiden <strong>Dichter</strong>, so unterschiedlich sie sonst waren. Und<br />

obwohl es so scheint, dass <strong>Jónas</strong> sowohl durch äußeren Druck als auch aus innerem Antrieb<br />

gedichtet hat, so haben seine Gedichte ihn zweifelsohne auf die gleiche Weise heimgesucht wie<br />

Heine.<br />

Gesanglos war ich und beklommen<br />

So lange Zeit <strong>–</strong> nun dicht ich wie<strong>der</strong>!<br />

Wie Tränen, die uns plötzlich kommen,<br />

So kommen plötzlich auch die Lie<strong>der</strong>,<br />

wie Heine im Abschnitt „Katharina“ in den „Neuen Gedichten“ sagt.<br />

Es waren insbeson<strong>der</strong>e diese kleinen Gedichte Heines, die <strong>Jónas</strong> als Vorbild für neue Gedichte<br />

zum Nachempfinden o<strong>der</strong> sogar zum Neubearbeiten dienten. Und er tat es auf die Weise, dass<br />

isländische Lyrik eine wichtigere und nachdenklichere Literatur wurde. Dieser Ideentransfer <strong>von</strong><br />

<strong>Jónas</strong> bereicherte und erweiterte sie. Und es sind nicht zuletzt die alten und bewährten<br />

Dichtweisen, wie Fornyrðislag und Ljóðaháttr („Liedweise“), die eine neue und frische Form in<br />

dieser Neubearbeitung bekommen. Obwohl die Form wichtig ist, ist doch <strong>der</strong> Inhalt die<br />

Steigerung, die für unser Denken und unsere Kultur ausschlaggebend ist.<br />

An einigen Stellen wie in „Vorið góða grænt og hlýtt“ (Eigentlich: „Der gute Frühling grün und<br />

warm“) ist <strong>Jónas</strong> sehr weit vom Urtext weg, und dieser scheint in seiner Neubearbeitung nicht zu<br />

interessieren:<br />

Vorið góða grænt og hlýtt<br />

græðir fjör um dalinn;<br />

allt er nú sem orðið nýtt<br />

ærnar, kýr og smalinn.<br />

Kveður í runni, kvakar í mó<br />

kvikur þrastasöngur;<br />

eins mig fýsir alltaf þó<br />

aftur að fara í göngur.


Dieses Gedicht hat er aus 6 Strophen Heines im 5. Abschnitt <strong>von</strong> „Neue Gedichte, 1844,<br />

Katharina“ in nur 2 Strophen gefasst:<br />

Der Frühling schien schon an dem Tor<br />

Mich freundlich zu erwarten<br />

Die ganze Gegend steht im Flor<br />

Als wie ein Blumengarten u.s.w.<br />

Hier sieht man, dass die Schöpfung <strong>Jónas</strong> <strong>Hallgrímsson</strong>s wenig mit Heine verwandt ist. Das<br />

Gedicht ist ein isländisches Frühlingsgedicht, ohne sichtbare Verbindung mit dem deutschen<br />

Vorbild („Aftur að fara í göngur“ d.h. Schafsabtrieb).<br />

Das Vorbild Heines ist dagegen klar ersichtlich in<br />

Das Original:<br />

Fegin í fangi mínu<br />

felur þú augun þín;<br />

þinn er ég himinn og þú ert<br />

þekktasta stjarnan mín,<br />

Du liegst mir so gern im Arme<br />

Du liegst mir am Herzen so gern<br />

Ich bin dein ganzer Himmel<br />

Du bist mein liebster Stern<br />

Das Gedicht hat sowohl im Isländischen als auch im Deutschen vier Strophen, und <strong>Jónas</strong> hält sich<br />

einigermaßen an den Urtext <strong>–</strong> insbeson<strong>der</strong>e ganz am Ende des Gedichts<br />

in Deutsch:<br />

Þú hylur í himni þínum<br />

höfuð þitt, stjarnan mín kær<br />

Du birgst in deinem Himmel<br />

Das Haupt, mein liebster Stern<br />

Wie<strong>der</strong>um entfernt sich <strong>Jónas</strong> weit vom Urtext in folgendem Gedicht Heines:<br />

Leise zieht durch mein Gemüt<br />

Liebliches Geläute,<br />

Klinge, kleines Frühlingslied,<br />

Kling hinaus ins Weite.<br />

Kling hinaus bis an das Haus<br />

Wo die Blumen sprießen.<br />

Wenn du eine Rose schaust,<br />

Sag ich lass sie grüßen.


In <strong>der</strong> Bearbeitung <strong>von</strong> <strong>Jónas</strong> heißt es:<br />

Ómur alfagur,<br />

ómur <strong>von</strong>glaður,<br />

vorómur vinhlýr<br />

vekur mér sálu;<br />

ljóðið mitt litla<br />

léttur vorgróði!<br />

lyftu þér, leiktu þér<br />

langt út um sveit.<br />

Hljóma þar að húsum,<br />

er heiðfögur<br />

blómin í breiðri<br />

brekku gróa;<br />

lítirðu ljósasta<br />

laukinn þar,<br />

berðu, kært kvæði!<br />

kveðju mína.<br />

<strong>Jónas</strong> übersetzt nicht, er adaptiert. Er erneuert. Man könnte auch sagen, er legt Heines Worte aus.<br />

Seine Übersetzung ist eine Variation <strong>von</strong> „Leise zieht durch mein Gemüt“. Steingrímur<br />

Thorsteinsson übersetzt das Gedicht <strong>von</strong> Heine sehr viel genauer:<br />

Mér um hug og hjarta nú<br />

hljómar mætir líða<br />

óma, vorljóði óma þú<br />

út um grundir víða<br />

Es wird gesagt, dass <strong>Jónas</strong> durch Oehlenschläger Interesse an Sonetten fand. Aber dies muss<br />

nicht so sein. Auch die Sonette Heines können ihm diese Form <strong>der</strong> Dichtung nahegebracht haben,<br />

da sein klassischer und einfacher Stil den Vorstellungen <strong>von</strong> <strong>Jónas</strong> über die Behandlung des<br />

Stoffes entspricht.<br />

Die Naturbil<strong>der</strong> <strong>von</strong> <strong>Jónas</strong> erwecken oft Eingebungen, wie in den Trauer- und Liebesgedichten<br />

Söknuður (Trauer) und Ferðalok (Am Ende einer Reise). In Gunnarshólmi wird die Betonung<br />

mehr auf die Erscheinungswelt als auf die Gedankenwelt gelegt, obwohl sich diese Welten<br />

weitgehend zu einem natürlichen Ganzen verflechten. “Die Erscheinungswahrnehmung ist die<br />

Weihe, die <strong>Jónas</strong> <strong>Hallgrímsson</strong> als Teilnehmer in <strong>der</strong> Schönheitswelt <strong>der</strong> Natur erfährt”, schreibt<br />

Einar Ólafur Sveinsson 1944 in seinem Aufsatz in <strong>der</strong> Zeitschrift Skírnir und fügt hinzu, dass<br />

<strong>Jónas</strong> wie betrunken <strong>von</strong> dem Schönen war, das er sah, wenn man überhaupt <strong>von</strong> Trunkenheit in<br />

diesem Zusammenhang <strong>von</strong> Helligkeit, Heiterkeit und Klarheit sprechen kann.<br />

Es sind gerade die Gedichte Heines, die über eine solche lyrische Schönheit verfügen, die <strong>Jónas</strong><br />

aufgreift und in eine isländische Umgebung hineinadaptiert. In jungem Alter lernte er die<br />

Reisebil<strong>der</strong> Heines kennen, die bis 1832 herausgekommen waren. Sie wurden ihm alle zum<br />

Vorbild, obwohl er erst in seinen letzten Jahren Heine ins Isländische übersetzt hat. Trotz aller<br />

Naturdichtung aber kann man nicht übersehen, dass er auch <strong>von</strong> den entgegengesetzten Gefühlen<br />

im Heines Leben angetan war. Dies sieht man in <strong>der</strong> Reise nach Saltholm 1836, aber <strong>der</strong>


ausgelassene Witz ist auch in diesem Gedicht verwandt mit <strong>der</strong> Geschichte über die Reise <strong>der</strong><br />

Königin <strong>von</strong> England nach Frankreich. Dort ist <strong>der</strong> Witz “jedoch zurückhalten<strong>der</strong>” als in den<br />

Briefen <strong>von</strong> <strong>Jónas</strong>, wie Einar Ólafur Sveinsson vermerkt hat. In <strong>der</strong> Reise nach Saltholm ist die<br />

Dichtung vollkommen diszipliniert und hält jeden Vergleich mit an<strong>der</strong>er Dichtung Stand. Es ist<br />

aber doch <strong>der</strong> Zauber <strong>von</strong> Heines lyrischem Stils, <strong>der</strong> <strong>Jónas</strong> begeistert. Er befriedigt seinen<br />

Anspruch und sein Schönheitsempfinden. Etwas an<strong>der</strong>es haben diese beiden <strong>Dichter</strong> nicht<br />

gemeinsam; z.B. den christlichen Glauben <strong>von</strong> <strong>Jónas</strong>. Heine hätte dessen Glauben an Gott nicht<br />

würdigen können, außer vielleicht am Lebensende.<br />

Die Fröhlichkeit <strong>von</strong> <strong>Jónas</strong> strahlt aus jedem Satz seines Tagebuches über die Reise nach<br />

Saltholm aus. Das lustige Treiben <strong>der</strong> Studenten und <strong>der</strong> Volkswitz spiegeln diese Fröhlichkeit in<br />

einem ausgelassenem Sprachstil wi<strong>der</strong>, dem eine Erneuerungskraft innewohnt und <strong>der</strong>en Einfluss<br />

sich in <strong>der</strong> Dichtkunst dieses Jahrhun<strong>der</strong>ts zeigt. Es ist ganz klar, dass Heine zu dieser<br />

Fröhlichkeit beigetragen und sie geför<strong>der</strong>t hat.<br />

<strong>Jónas</strong> hatte nicht das größte Interesse an Heines Ironie und dessen Ausgelassenheit. Es sind<br />

an<strong>der</strong>e Gedichte, die er ins Isländische übersetzt, insbeson<strong>der</strong>e diejenigen, die ihre Wurzeln in<br />

<strong>der</strong> Natur haben. In seinem Reisegedicht über “Annes und Eyjar” (“Inseln und Halbinseln”)<br />

verwendet er Heines Stil. Der ganze Zyklus ist Originaldichtung, ohne sonstige Verbindung zu<br />

Heine.<br />

Man spricht über die Ich-Generation, die sich nun einen Weg in die Welt bahnt, auf eine an<strong>der</strong>e<br />

Weise, als es früher üblich war. Einar Ólafur weist darauf hin, dass die Deutschen <strong>von</strong> Ich-<br />

Menschen sprechen und dabei nicht zuletzt auf <strong>Dichter</strong> wie Heine verweisen. Obwohl Heine ein<br />

größerer Ich-<strong>Dichter</strong> ist als <strong>Jónas</strong>, vermeidet dieser es nicht, in seinen Gedichten in <strong>der</strong> Ich-Form<br />

zu sprechen, insbeson<strong>der</strong>e in den Naturgesängen. Obwohl Heine und <strong>Jónas</strong> als <strong>Dichter</strong> in vieler<br />

Hinsicht unterschiedlich sind, haben sie vieles gemeinsam, nicht zuletzt die Freude am Frühling,<br />

<strong>der</strong> Erwartung und Vorfreude weckt und die Gedanken beflügelt. Die Frühlingsfreude ist aber,<br />

wie <strong>der</strong> Staub auf den Flügeln <strong>der</strong> Schmetterlinge, sehr empfindlich. Sie befriedigt wie eine<br />

schöne Umgebung in <strong>der</strong> Natur. Mit ihr gehen Helligkeit und Hoffnung einher. Sie ist eine Waffe<br />

gegen die Schwermut, die nicht zuletzt durch Hoffnungslosigkeit verursacht wird. Diese<br />

Erwartung wird erweckt <strong>von</strong> „Tómasarhagi“ und an<strong>der</strong>en Oasen in <strong>der</strong> Einöde. Ihre klaren<br />

Farben erinnern an das Gras, wie es folgen<strong>der</strong> Spruch ausdrückt:<br />

Guð á himnum (Gott im Himmel)<br />

gras á jörðu (Gras auf <strong>der</strong> Erde)<br />

Jede echte isländische Seele ist ein Teil <strong>von</strong> <strong>Jónas</strong> <strong>Hallgrímsson</strong>, hat Halldór Laxness einmal<br />

gesagt; ferner, dass er <strong>der</strong> isländischste aller <strong>Dichter</strong> sei, je<strong>der</strong> fremde Gedanke bei ihm sei in<br />

eine isländische Erde gefallen, die <strong>Jónas</strong> war, sagt Laxness weiter, er ist Island, wie <strong>der</strong> Mann im<br />

Tal. Und dieses Island kann man nicht in fremde Sprachen übersetzen. Aber in seinen<br />

Adaptionen hat <strong>Jónas</strong> ausländische Großdichter wie<strong>der</strong>um zusammengerufen zu allem, was<br />

seinem Herzen am nächsten stand: Kleine Freunde und Erdenschönheit, Adler mit gelben<br />

Krallen, Schafherden und grüne Wiesen; karges Moor, Wiesenpieper, Goldregenpfeifer, Drossel<br />

und Schneehuhn mit behaarten Zehen und natürlich die Leute im Tal, die im „Búnaðarbálkur“<br />

(Über die Landwirtschaft) und den „Hulduljóð“ sprechen und keinen Unterschied zwischen schön<br />

und nützlich machen.<br />

Über die Methode <strong>Jónas</strong> <strong>Hallgrímsson</strong>s und seine Adaptionen kann man sicher streiten. Kristján<br />

Karlsson hat darauf hingewiesen, dass die Gefahr bei seiner Methode darin besteht, dass <strong>der</strong><br />

Lyrikstil „in <strong>der</strong> Behandlung vieler <strong>Dichter</strong> <strong>der</strong> späteren Zeit katastrophal verdünnt wurde, da sie


zwischen Einfachheit und Einfältigkeit nicht unterschieden haben. Es scheint jedoch die Natur<br />

je<strong>der</strong> Tradition zu sein, ihre Schwäche mehr o<strong>der</strong> weniger hinzunehmen, bis diese Dichtung <strong>von</strong><br />

<strong>der</strong> Wurzel her ihre eigene Imitation wurde”. Kristján fügt jedoch hinzu, dass die Übersetzungen<br />

<strong>von</strong> <strong>Jónas</strong> “kostbare isländische Dichtung sind”. Aber er ist auch <strong>der</strong> Meinung, dass eine totale<br />

“Verislandisierung” <strong>von</strong> Gedichten eigentlich mehr Verlust als Gewinn für die Sprache sei.<br />

Die Bearbeitungen und Adaptionen <strong>von</strong> <strong>Jónas</strong> sind nicht zuletzt aus dem Grund wichtig, weil sie<br />

eine wesentliche Ergänzung zu seiner eigenen Dichtung darstellen und häufig die vielen<br />

Farbnuancen <strong>der</strong> lyrischen Schönheit wi<strong>der</strong>spiegeln, die die größte Stärke seiner Lyrik und sogar<br />

ein naturwissenschaftlicher Beweis für <strong>der</strong>en Güte sind. Diese Lyrik ist viel besser als manches,<br />

was später ins Isländische übersetzt wurde und dem Originaltext näher stand, wie viele<br />

Übersetzungen <strong>von</strong> <strong>Matthías</strong> Jochumsson und Steingrímur Thorsteinsson, obwohl wir diesen<br />

auch viele gute Übersetzungen verdanken. Die Persönlichkeit dieser Gedichte aber geht oft unter<br />

im Kampf mit dem fremden Stoff. <strong>Jónas</strong> geht keinen einfachen Weg. In seinen Adaptionen<br />

verwendet er nie Klischees, alte Wörter und verschlissene o<strong>der</strong> unnatürliche Wortfolgen, die<br />

einem natürlichen Sprachstil wi<strong>der</strong>sprechen, wie es die Gefahr bei jungen <strong>Dichter</strong>n ist. Dies alles<br />

verletzt das Gedicht und verhunzt es auf unterschiedliche Art. So sind viele <strong>von</strong> diesen Gedichten<br />

“schlechter” als das, was uns die Nationaldichter selbst gedichtet haben. Aber die Adaptionen<br />

<strong>von</strong> <strong>Jónas</strong> <strong>Hallgrímsson</strong> sind oft genau so hochwertig wie das, was er aus eigenen Ideen heraus<br />

gedichtet hat.<br />

Erstveröffentlichung dieses Artikels in „Island“ (1/2008), <strong>der</strong> Zeitschrift <strong>der</strong> Deutsch-<br />

Isländischen Gesellschaft e.V., Köln und <strong>der</strong> Gesellschaft <strong>der</strong> Freunde Islands e.V.,<br />

Hamburg.<br />

http://www.islandgesellschaft.de<br />

Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung <strong>der</strong> Redaktion.

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