06.11.2013 Aufrufe

11-12_USA StoryRZ 07.indd - Soul Food Farm

11-12_USA StoryRZ 07.indd - Soul Food Farm

11-12_USA StoryRZ 07.indd - Soul Food Farm

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

SCHWERPUNKT: Zweite chance _Gründer in den <strong>USA</strong><br />

Noch mal<br />

von vorn<br />

Die <strong>USA</strong> gelten als Land des ständigen unternehmerischen<br />

Neuanfangs. Sind sie damit erfolgreich? Jein.<br />

Text: Steffan Heuer<br />

Foto: David Magnusson<br />

138 Brand eins <strong>11</strong>/<strong>12</strong>


SCHWERPUNKT: Zweite chance<br />

Brand eins <strong>11</strong>/<strong>12</strong>139


SCHWERPUNKT: Zweite chance _Gründer in den <strong>USA</strong><br />

• Noch scharren die Hühner zu Alexis Koefoeds Füßen, nehmen<br />

ein Staubbad und flattern auf die Ladefläche des ramponierten<br />

Kleinlasters. Es sieht aus wie ein Idyll aus der Werbung: 300<br />

glückliche, frei laufende Hühner sowie 500 Masthähnchen und<br />

eine Familie, die zwischen goldenen Hügeln und Olivenhainen<br />

dem nachhaltigen Landbau nachgeht. Doch wenn diese Zeilen<br />

hier gedruckt sind, wird auch das letzte Federvieh längst geschlachtet<br />

sein. Denn Koefoeds <strong>Soul</strong> <strong>Food</strong> <strong>Farm</strong> ist pleite.<br />

„Wir ziehen bei diesem Geschäft den Stecker, bevor uns die<br />

laufenden Kosten und die Schulden endgültig auffressen“, sagt<br />

die 47-Jährige und scheucht ein Huhn vom Gartentisch. „Wir<br />

haben alles erreicht, was ich mir erträumt hatte: alle Spitzenrestaurants<br />

in der Gegend beliefert; eine treue Fangemeinde von<br />

mehr als 300 Familien, die per Abo direkt ab Hof gekauft haben;<br />

Berichte in der »New York Times« und in »Vanity Fair«. Selbst<br />

Obama und seine Frau haben unsere Eier gegessen. Aber finanziell<br />

war es ein Misserfolg.“<br />

Zumindest ihren 22 Hektar großen Bauernhof wird Alexis<br />

Koefoed behalten. Ihr Mann Eric ist wieder in einem Ingenieurbüro<br />

tätig, um Geld für die Hypothek und den Lebensunterhalt<br />

Alles auf Anfang: Biobäuerin Alexis Koefoed<br />

zu verdienen. Seine Frau arbeitet derweil an der Wiederauferstehung<br />

der <strong>Soul</strong> <strong>Food</strong> <strong>Farm</strong>. Der Hof soll von nun an auf Geflügel<br />

verzichten und sich stattdessen mit dem Verkauf von Oliven und<br />

Lavendel tragen sowie mit Kursen für Naturkosmetik. Das Wohnhaus<br />

wird zudem zum Feriendomizil umfunktioniert, Alexis Koefoed<br />

bis auf Weiteres in einen umgebauten Schiffscontainer ziehen.<br />

Einen Teil des Landes hat sie an Gemüsebauern verpachtet,<br />

und befreundete Künstler aus der nahe gelegenen Stadt können<br />

hier künftig ihre Werke zeigen. „Das neue Geschäftsmodell“, ist<br />

sich die Landfrau sicher, „geht auf jeden Fall besser auf als der<br />

Geflügelhof.“<br />

Statistisch betrachtet ist die Geschichte der <strong>Farm</strong> nur ein kleines<br />

Beispiel für die unternehmerische Aktivität in Amerika. Das<br />

Land bringt aufgrund seiner schieren Größe mehr Entrepreneure<br />

hervor als irgendeine andere Nation. Auf 100 000 Bürger entfallen<br />

320 Gründer, so die neuesten verfügbaren Zahlen aus dem Jahr<br />

20<strong>11</strong>. Anders ausgedrückt: Jeden Monat entstehen rund 543 000<br />

neue Unternehmen – vom Einmannbetrieb im Hobbykeller bis<br />

zum Start-up mit mehreren Millionen Dollar Wagniskapital.<br />

Bei dieser Erhebung der in Missouri ansässigen Kauffman Stiftung<br />

sind nur jene Firmen berücksichtigt, die bei den Behörden<br />

registriert werden. Und das sind längst nicht alle. Historisch betrachtet<br />

ist die Zahl der Neugründungen mehr oder weniger konstant<br />

geblieben. Im vergangenen Jahr wurden sogar fünf Prozent<br />

mehr Unternehmen gegründet als vor Beginn der Rezession<br />

2008. Treiben Krisenzeiten den Schöpfergeist zu neuen Höhen,<br />

oder ist es Teil der Mentalität und Kultur, etwas selber zu machen,<br />

und zwar am besten mehrmals hintereinander?<br />

Selbst der Ökonom Dane Stangler, der bei der Kauffman<br />

Stiftung regelmäßig mit seinen Kollegen solche Umfragen und<br />

statistischen Daten erhebt, weiß darauf keine eindeutige Antwort.<br />

„Es gibt da zwei Denkrichtungen“, sagt er. „Die eine argumentiert,<br />

dass eine Rezession die Menschen vom Gründen abschreckt,<br />

da sie lieber auf Nummer sicher gehen und ihren Arbeitsplatz<br />

behalten wollen, und damit auch die in den <strong>USA</strong> so enorm wichtige<br />

Krankenversicherung. Das ist ein gewisser Lock-in- Effekt.“<br />

Die andere Hypothese besagt, dass gerade in schlechten Zeiten<br />

Leute den Mut finden, Neues zu wagen. Sie müssen etwas anpacken,<br />

weil sie arbeitslos sind, und Menschen finden, denen es<br />

ähnlich ergangen ist und die sie zu geringen Löhnen einstellen<br />

können. Was in einer Rezession ausgebrütet wird, ist demnach<br />

widerstandsfähiger und am Ende erfolgreicher als die vielen Blüten,<br />

die zu Zeiten lockerer Kredite und leichtsinniger Anleger<br />

treiben. So weit die Theorie.<br />

„Empirisch kann man für beide Ansätze Belege finden“, sagt<br />

Stangler. Von 2009 bis 2010 knickten die Gründerzahlen in den<br />

<strong>USA</strong>, so wie alle ökonomischen Indikatoren, messbar ein, gleichzeitig<br />

finden sich reichlich Regionen, in denen das Gegenteil<br />

passiert ist. In New York und im Silicon Valley haben seit dem<br />

Beinahe-Crash so viele Unternehmer den Neuanfang gewagt,<br />

manchmal schon zum wiederholten Male, dass Kritiker bereits<br />

wieder vor einer Blase warnen. Man solle sich lieber den langfristigen<br />

Trend ansehen, rät Stangler, dessen Stiftung unermüdlich<br />

für die Segnungen des Unternehmertums wirbt. „Seit rund 35<br />

Jahren sehen wir dieselbe Gründerquote in diesem Land, die in-<br />

Inzwischen Geschichte: der Geflügelhof<br />

140 Brand eins <strong>11</strong>/<strong>12</strong>


SCHWERPUNKT: Zweite chance<br />

nerhalb einer engen Bandbreite schwankt.“ Als Beleg führt er eine<br />

Langzeitstudie an, nach der mehr als die Hälfte der Großunternehmen<br />

auf der heutigen »Fortune«-500-Liste und ebenso die<br />

Mehrzahl der am schnellsten wachsenden Firmen entweder in<br />

einer Rezession oder einem Börsentief gegründet wurden. „An<br />

Verwaist: die Ställe einst glücklicher Hühner<br />

die kleinen Anfänge erinnert man sich längst nicht mehr, bis eine<br />

dieser Firmen groß und berühmt geworden ist.“<br />

Andererseits kann bei einem neuen Geschäft auch der gute<br />

Ruf schneller wachsen als der Umsatz, wie die Geschichte von<br />

Alexis Koefoed beweist. Dann ist es gut, wenn einem die Gesellschaft<br />

den Neustart erleichtert.<br />

Sie gesteht, weder sie noch ihr Mann hätten die leiseste Ahnung<br />

gehabt, was die Gründung ihrer <strong>Soul</strong> <strong>Food</strong> <strong>Farm</strong> bedeutete.<br />

„Wir wohnten in einem netten Haus nördlich der Stadt, hatten<br />

unsere Jobs, wohlerzogene Kinder, nette Nachbarn. Wir<br />

waren glücklich.“ Wenn da nicht der Trieb zum Gärtnern gewesen<br />

wäre. Eines Tages sah sie ein Schild: Zu verkaufen. Der Bauernhof<br />

lag seit 35 Jahren brach, das Haus war verfallen, Koefoed<br />

packte die Landlust. „Zwei Jahre lang habe ich meinen Mann<br />

bearbeitet, bis wir unser Haus verkauften und zuschlugen.“<br />

Dummerweise brach 1998 die Börse ein, sodass die Altersvorsorge<br />

der Familie plötzlich nichts mehr wert war. „Anfang September<br />

1999 standen wir vor dem Tor unseres neuen Anwesens<br />

und hatten so gut wie nichts.“<br />

Die Familie lebte die folgenden vier Jahre in einem Wohnwagen,<br />

während beide Ehepartner weiterhin pendelten. Alexis Koefoed<br />

leitete die Geschäfte auf einem Weingut, ihr Mann arbeitete<br />

als Ingenieur. Eine Verletzung zwang Alexis Koefoed, den Beruf<br />

aufzugeben, und beförderte die Idee, sich auf den eigenen Bauernhof<br />

zu konzentrieren. „Oliven und Lavendel schwebten mir<br />

vor, bis mir ein Nachbar Hühner und Landeier empfahl.“<br />

Koefoed hatte bisher nur ein paar Hennen für den Eigenbedarf<br />

gehalten. Als ihr eine Bekannte, die als Köchin im legendären<br />

Restaurant „Chez Panisse“ in Berkeley arbeitete, die Eier förmlich<br />

aus den Händen riss, schien sie auf ein geniales Geschäftsmodell<br />

gestoßen zu sein. „Zwei Tage später hatte ich einen Liefervertrag<br />

über 25 Dutzend Eier die Woche. Das war der Durchbruch – wir<br />

waren auf Wolke sieben.“ Andere gute Restaurants der Region<br />

folgten schnell nach, und 2005 investierte sie zum ersten Mal in<br />

ein Futtersilo und andere Gerätschaften, um eine richtige Hühnerfarm<br />

aufzubauen, die mehrere Tausend Eier von frei laufenden<br />

Hühnern produzieren konnte.<br />

Die steigende Nachfrage signalisierte Familie Koefoed, dass<br />

sie auf dem richtigen Weg war – dort, wo gleich mehrere Trends<br />

zusammentrafen: „Locavores“, also Verbraucher, die Nahrungsmittel<br />

aus ihrer Umgebung konsumieren wollen, die Vorliebe für<br />

Bioprodukte und der Wunsch, kleine Familienbetriebe zu unterstützen.<br />

Ein Dutzend Eier kostete immerhin zwischen 6,50 und<br />

neun Dollar im Laden. Als Eric Koefoed 2007 seinen Ingenieursjob<br />

an den Nagel hängte, um bei seiner Frau mitzuhelfen, war aus<br />

Euphorie jedoch bereits Sorge geworden.<br />

Hochgelobt in die Pleite<br />

„Wir wuchsen von 500 Legehennen und 300 Hähnchen auf<br />

3000 Legehennen und 1000 frisch geschlachtete Hähnchen die<br />

Woche“, erinnert sich Alexis Koefoed. „Dummerweise liefen uns<br />

die Kosten davon. Ich ging davon aus, dass sich die Schere zwischen<br />

Kosten und Einnahmen irgendwann schließen würde. Das<br />

passierte leider nie.“ Was sie anfangs in einem Vierteljahr für Futter<br />

ausgegeben hatte, war jetzt jeden Monat fällig, und die Futterpreise<br />

zogen noch mehr an.<br />

Ende 2009, als sich die Presse in Lobgesängen über <strong>Soul</strong>-<br />

<strong>Food</strong>-Geflügel erging und Kunden nach den Neun-Dollar-Eierkartons<br />

Schlange standen, drohte Alexis Koefoed zum ersten Mal das<br />

Aus. Ein Teil ihrer <strong>Farm</strong> war in Flammen aufgegangen, gefolgt von<br />

Notunterkunft: umgebauter Schiffscontainer<br />

einer Überschwemmung und einer Geflügelkrankheit. Jedes Mal<br />

waren Hunderte von Hühnern verendet. Das Ehepaar konnte weder<br />

liefern, noch hätte es die Rechnungen oder Versicherungsprämien<br />

bezahlen können, wäre da nicht eine leidenschaftliche Fangemeinde<br />

gewesen, die bloggte, Benefiz-Essen veranstaltete, Spenden<br />

sammelte und ihm den Mut zum Durchhalten gab. Nur eines<br />

konnten die Fans nicht: das Geschäfts modell retten. Je teurer das<br />

Futter wurde, desto mehr schrumpfte die Marge. Im Sommer ><br />

Brand eins <strong>11</strong>/<strong>12</strong>141


SCHWERPUNKT: Zweite chance _Gründer in den <strong>USA</strong><br />

20<strong>12</strong> mussten die Koefoeds bei Hähnchenfleisch sogar drauflegen.<br />

Deshalb gaben sie im August endgültig auf. „Wir haben rechtzeitig<br />

dichtgemacht, sodass wir in ein paar Monaten mit etwas Neuem<br />

anfangen können.“<br />

Alexis Koefoed ist nicht verbittert. „Wir haben eine Menge<br />

gelernt“, sagt sie. Erstens: Rechnungen immer bar bezahlen, statt<br />

die Kreditkarte auszureizen, und das Gleiche von seinen Kunden<br />

verlangen. Zweitens: Man steht allein da. „Bauern sind Eigenbrötler.<br />

Sie teilen keine Ideen, Tricks oder gar Geräte unter einander,<br />

Ausgegackert: Die <strong>Soul</strong> <strong>Food</strong> <strong>Farm</strong> ist seit Kurzem pleite<br />

wie ich das aus dem Weinbau gewohnt war. Da macht man sich<br />

nur im Ladenregal Konkurrenz, nicht im Weinberg.“ Drittens:<br />

Beim Timing kommt es immer anders, als man denkt. „Wir waren<br />

nur scheinbar den heißen Trends von Bio und lokalem Essen<br />

auf der Spur. In Wirklichkeit waren wir die Pioniere, die draufgehen<br />

mussten, damit es jetzt eine neue Generation besser machen<br />

kann.“ Als Familienbetrieb mit wenigen Zeitarbeitskräften ist die<br />

<strong>Soul</strong> <strong>Food</strong> <strong>Farm</strong> Teil eines Trends, der Analysten wie Dane Stangler<br />

Sorgen bereitet: Auch wenn viele Gründer wiederholt neu<br />

anfangen, schaffen sie im historischen Vergleich weniger Arbeitsplätze<br />

als früher. In den Achtzigerjahren entfielen 35 von 100 neuen<br />

Jobs in Amerika auf ein Start-up. Diese Zahl sank in den boomenden<br />

Neunzigern auf 30 und fiel im vergangenen Jahrzehnt<br />

auf nur noch 25 pro 100 Arbeitsplätze.<br />

Volkswirtschaft schön, sagt der Unternehmensforscher Scott Shane.<br />

Der Professor an der Case Western Reserve University in Ohio<br />

rechnet in seinem Buch „The Illusions of Entrepreneurship“ vor,<br />

dass die meisten Start-ups in den <strong>USA</strong> Einpersonenfirmen sind, die<br />

ihre Eigentümer gerade so über Wasser halten und wenig bis gar<br />

nicht innovativ arbeiten, weil die Gründer meist genau dasselbe<br />

weitermachen, was sie zuvor taten. Die typische Neugründung<br />

schafft keineswegs neue und gut bezahlte Jobs, sondern scheitert<br />

in den ersten fünf Jahren. „Das ist deprimierend, und niemand mag<br />

deprimierende Geschichten hören“, sagt Shane. „Vielleicht ignorieren<br />

so viele Leute deshalb die harten Fakten.“<br />

Im internationalen Vergleich ist es immer noch einfach, in den<br />

<strong>USA</strong> eine Firma zu gründen, doch geht es nicht mehr so leicht, als<br />

Unternehmer neu anzufangen. So wurden 2005 die gesetz lichen<br />

Vorschriften für ein Konkursverfahren von Einzelpersonen, Familien<br />

und Unternehmen auf Druck der Finanzbranche verschärft.<br />

„Die Idee, alle Schulden getilgt zu bekommen und einen kompletten<br />

Neustart hinzulegen, ist ein traditionelles amerikanisches<br />

Klischee“, sagt der Kauffman-Experte Stangler. Die neuen Gesetze<br />

hätten aber eine abschreckende Wirkung. Wer sich seiner Kreditkartenschulden<br />

nur noch schwer oder gar nicht entledigen kann,<br />

überlegt es sich gründlich, eine Geschäftsidee auf Pump zu finanzieren.<br />

Auch das kann einer der Gründe sein, wieso neue Firmen<br />

klein und schlank anfangen – und auch bleiben.<br />

„Etwas auszuprobieren, darauf sind wir in diesem Land kulturell<br />

fixiert. Aber nicht allen tut das gut“, sagt Doug Cody. Der<br />

hagere 50-jährige Software-Experte mit militärisch kurzem Haarschnitt<br />

hat schon rund ein halbes Dutzend Mal auf Neustart gedrückt.<br />

Sein Lebenslauf liest sich wie ein Fallbeispiel des amerikanischen<br />

Mythos vom Treck gen Westen. Nach vier Jahren bei der<br />

US-Luftwaffe in Deutschland wurde Cody Anfang der Neunzigerjahre<br />

EDV-Berater für große Kon zerne an der Ostküste. Als ihm<br />

Der Gründermythos als Selbstbetrug<br />

Gleichzeitig sei die Überlebensquote von neuen Firmen in all den<br />

Jahren gleich geblieben, sagt Stangler: Nur jede zweite erlebt ihr<br />

fünfjähriges Bestehen. Statistisch betrachtet wächst jede Generation<br />

von Start-ups außerdem nicht über ihren Personalstand bei<br />

der Gründung hinaus, weil die wenigen Erfolgs geschichten die<br />

Masse der Gescheiterten nicht ausgleichen. „Das heißt unterm<br />

Strich, dass heute weniger neue Firmen mit weniger Beschäftigten<br />

anfangen, klein bleiben und auf lange Sicht lang samer wachsen“,<br />

so das Fazit des Ökonomen.<br />

Mit der Legende der Kleinunternehmen, die wie Phönix aus<br />

der Asche immer wieder auferstehen, malten sich die <strong>USA</strong> ihre<br />

Zuversichtlich: Mobilized-Gründer Doug Cody<br />

Kollegen das Silicon Valley anpriesen, zog er nach Kalifornien. Er<br />

fuhr die Achterbahn der Tech-Neugründungen, bevor er 2003<br />

beim Großunternehmen Computer Associates einstieg.<br />

„Ich habe mich zum regionalen Vertriebschef hochgearbeitet,<br />

aber nach acht Jahren war mir klar, dass ich da rausmusste. Man<br />

142 Brand eins <strong>11</strong>/<strong>12</strong>


SCHWERPUNKT: Zweite chance<br />

schlief mit dem Blackberry unterm Kopfkissen und hatte schon<br />

am Sonntag Herzrasen, was die neue Woche wieder bringen würde.<br />

Verkaufen, verkaufen, verkaufen.“ Also kündigte er vergangenen<br />

Herbst seinen gut bezahlten Job, mit einem etwas unklaren<br />

Ziel vor Augen. Ein Jahr Pause machen, um in dieser Zeit ein<br />

Geschäft aufzubauen, das ihn kreativ fordert, körperlich und seelisch<br />

nicht auslaugt und obendrein ein regelmäßiges Einkommen<br />

Seltenes Bild: Näherinnen in den <strong>USA</strong><br />

sichert. Mit seiner Frau Claudia Landivar kam Cody bald auf eine<br />

neue Idee: Design und Verkauf von handgefertigter Retro-Tech-<br />

Kleidung. Sie tauften die Marke Mobilized.<br />

Sie fanden eine lukrative Nische: praktische, funktionsgerechte<br />

Mode, die Materialien aus dem Extremsport sowie Schnitte von<br />

Berufskleidung und vor allem Uniformen verwendet. Mobilized<br />

fertigt Kleidungsstücke wie etwa eine Jacke, die dem Aussehen<br />

britischer Armeekleidung nachempfunden ist. „Unser Produkt erfordert<br />

präzise Handwerkskunst, als ob man mit Leder arbeitet.<br />

Wenn man einen Fehler macht, ist die Jacke Ausschuss“, erklärt<br />

der Unternehmer beim Rundgang durch eine kleine Näherei im<br />

Industriegebiet in der Nähe des Flughafens von San Francisco.<br />

Zwischen Bergen von zugeschnittenen Einzelteilen sitzt ein gutes<br />

Dutzend chinesischer Näherinnen und jongliert die Aufträge von<br />

insgesamt 20 Designern. Die erfahrenste Näherin schafft es, pro<br />

Tag aus jeweils 22 Einzelteilen eine Jacke herzustellen. Auf der<br />

Mobilized-Website kostet diese 525 Dollar.<br />

Es kommt Cody zugute, dass die <strong>USA</strong> derartigen Ideen im<br />

Vergleich zu Europa wenige Hindernisse in den Weg legen. Meistertitel<br />

sind unbekannt, und die meisten Unternehmen kommen<br />

ohne aufwendige Genehmigungen aus, wie sie etwa für Ärzte,<br />

Anwälte oder Architekten erforderlich sind. Allerdings nehmen<br />

die Vorschriften zu, was die Experten von der Kauffman Stiftung<br />

und anderen libertären In stitutionen veranlasst, warnend den<br />

Zeigefinger zu heben. Während in den Sechzigerjahren nur fünf<br />

Prozent der Arbeitnehmer einer Zulas sung unterlagen, ist der<br />

Anteil inzwischen auf mehr als ein Drittel geklettert.<br />

Wer sich außerdem im selben Geschäft wie sein vorheriger<br />

Arbeitgeber oder Partner selbstständig machen will, unterliegt je<br />

nach Bundesstaat einem Wettbewerbsverbot. Das hat zur Folge,<br />

dass viele Gründer für die zweite Chance in einen anderen Staat<br />

umziehen oder die Branche wechseln, wenn sie am alten Standort<br />

verweilen. In Kalifornien ist das nicht nötig. Wer heute kündigt,<br />

kann dort morgen auf eigene Faust dem ehemaligen Chef Konkurrenz<br />

machen, ganz gleich, was der in den Arbeitsvertrag geschrieben<br />

hatte.<br />

Läuft alles wie geplant, wollen die Mobilized Gründer im ersten<br />

Jahr 50 der Outdoor-Jacken verkaufen, gefolgt von weiteren<br />

100 in gewachster Baumwolle und 200 Stück einer noch preiswerteren<br />

Variante in normaler Baumwolle. „Erfolg besteht für uns<br />

schon darin, diese Idee mit nur 15 000 Dollar Eigenkapital bis zur<br />

Marktreife entwickelt zu haben“, sagt Claudia Landivar, die Gesang<br />

studierte, aber davon noch nie ihren Lebensunterhalt bestreiten<br />

konnte. Sie hat in den Jahren nach dem College bei Techfirmen,<br />

in einem Chor und einem Altersheim gearbeitet. Ihre eigene<br />

Firma sieht sie als logische Folge ihres Werdegangs: „Jeden Tag<br />

Probleme zu lösen und Spaß dabei zu haben. Wir brauchen keinen<br />

Millionenmarkt, sondern nur ein paar Tausend interessierte Menschen.<br />

Und die können wir dank Internet erreichen.“<br />

Für den Fall, dass ihre Firma nicht ausreichend Umsatz bringt,<br />

halten sich beide die Option offen, nebenbei wieder als EDV-<br />

Berater zu arbeiten oder etwas ganz anderes zu machen. „Ich<br />

denke, unsere Generation ist gut beraten, mehrere Karrieren<br />

gleichzeitig zu verfolgen, sodass immer ein paar Experimente<br />

danebengehen können“, sagt Cody. Diesen professionellen Tanz<br />

auf mehreren Hochzeiten nennt man in den <strong>USA</strong> „Portfolio-<br />

Leben“: Diversifizierung als Versicherungspolice und Lebensart.<br />

Scheitern als eine Art Gesellschaftsspiel ohne fatale Folgen.<br />

Der Ansporn ist für Cody weniger die Angst, mit seiner<br />

neues ten Idee der Edel-Uniform zu scheitern. Es ist vielmehr die<br />

Auch Reißverschluss und Knöpfe erfordern Handwerkskunst<br />

Angst, so zu enden wie sein Vater. Der war sein Leben lang Ingenieur<br />

für die Erdölindustrie. „Er verstand unglaublich viel davon,<br />

Öl aus allem möglichen Gestein herauszuholen. Gestein war sein<br />

Leben, und selbst seine Freunde haben sich darüber lustig gemacht.<br />

Mein Vater hat nie ausprobiert, was er sonst noch alles<br />

hätte machen können. Vielleicht war er glücklich damit, aber diesen<br />

Luxus können wir uns heute nicht mehr leisten.“ --<br />

Brand eins <strong>11</strong>/<strong>12</strong>143

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!