11-12_USA StoryRZ 07.indd - Soul Food Farm
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SCHWERPUNKT: Zweite chance _Gründer in den <strong>USA</strong><br />
Noch mal<br />
von vorn<br />
Die <strong>USA</strong> gelten als Land des ständigen unternehmerischen<br />
Neuanfangs. Sind sie damit erfolgreich? Jein.<br />
Text: Steffan Heuer<br />
Foto: David Magnusson<br />
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SCHWERPUNKT: Zweite chance<br />
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SCHWERPUNKT: Zweite chance _Gründer in den <strong>USA</strong><br />
• Noch scharren die Hühner zu Alexis Koefoeds Füßen, nehmen<br />
ein Staubbad und flattern auf die Ladefläche des ramponierten<br />
Kleinlasters. Es sieht aus wie ein Idyll aus der Werbung: 300<br />
glückliche, frei laufende Hühner sowie 500 Masthähnchen und<br />
eine Familie, die zwischen goldenen Hügeln und Olivenhainen<br />
dem nachhaltigen Landbau nachgeht. Doch wenn diese Zeilen<br />
hier gedruckt sind, wird auch das letzte Federvieh längst geschlachtet<br />
sein. Denn Koefoeds <strong>Soul</strong> <strong>Food</strong> <strong>Farm</strong> ist pleite.<br />
„Wir ziehen bei diesem Geschäft den Stecker, bevor uns die<br />
laufenden Kosten und die Schulden endgültig auffressen“, sagt<br />
die 47-Jährige und scheucht ein Huhn vom Gartentisch. „Wir<br />
haben alles erreicht, was ich mir erträumt hatte: alle Spitzenrestaurants<br />
in der Gegend beliefert; eine treue Fangemeinde von<br />
mehr als 300 Familien, die per Abo direkt ab Hof gekauft haben;<br />
Berichte in der »New York Times« und in »Vanity Fair«. Selbst<br />
Obama und seine Frau haben unsere Eier gegessen. Aber finanziell<br />
war es ein Misserfolg.“<br />
Zumindest ihren 22 Hektar großen Bauernhof wird Alexis<br />
Koefoed behalten. Ihr Mann Eric ist wieder in einem Ingenieurbüro<br />
tätig, um Geld für die Hypothek und den Lebensunterhalt<br />
Alles auf Anfang: Biobäuerin Alexis Koefoed<br />
zu verdienen. Seine Frau arbeitet derweil an der Wiederauferstehung<br />
der <strong>Soul</strong> <strong>Food</strong> <strong>Farm</strong>. Der Hof soll von nun an auf Geflügel<br />
verzichten und sich stattdessen mit dem Verkauf von Oliven und<br />
Lavendel tragen sowie mit Kursen für Naturkosmetik. Das Wohnhaus<br />
wird zudem zum Feriendomizil umfunktioniert, Alexis Koefoed<br />
bis auf Weiteres in einen umgebauten Schiffscontainer ziehen.<br />
Einen Teil des Landes hat sie an Gemüsebauern verpachtet,<br />
und befreundete Künstler aus der nahe gelegenen Stadt können<br />
hier künftig ihre Werke zeigen. „Das neue Geschäftsmodell“, ist<br />
sich die Landfrau sicher, „geht auf jeden Fall besser auf als der<br />
Geflügelhof.“<br />
Statistisch betrachtet ist die Geschichte der <strong>Farm</strong> nur ein kleines<br />
Beispiel für die unternehmerische Aktivität in Amerika. Das<br />
Land bringt aufgrund seiner schieren Größe mehr Entrepreneure<br />
hervor als irgendeine andere Nation. Auf 100 000 Bürger entfallen<br />
320 Gründer, so die neuesten verfügbaren Zahlen aus dem Jahr<br />
20<strong>11</strong>. Anders ausgedrückt: Jeden Monat entstehen rund 543 000<br />
neue Unternehmen – vom Einmannbetrieb im Hobbykeller bis<br />
zum Start-up mit mehreren Millionen Dollar Wagniskapital.<br />
Bei dieser Erhebung der in Missouri ansässigen Kauffman Stiftung<br />
sind nur jene Firmen berücksichtigt, die bei den Behörden<br />
registriert werden. Und das sind längst nicht alle. Historisch betrachtet<br />
ist die Zahl der Neugründungen mehr oder weniger konstant<br />
geblieben. Im vergangenen Jahr wurden sogar fünf Prozent<br />
mehr Unternehmen gegründet als vor Beginn der Rezession<br />
2008. Treiben Krisenzeiten den Schöpfergeist zu neuen Höhen,<br />
oder ist es Teil der Mentalität und Kultur, etwas selber zu machen,<br />
und zwar am besten mehrmals hintereinander?<br />
Selbst der Ökonom Dane Stangler, der bei der Kauffman<br />
Stiftung regelmäßig mit seinen Kollegen solche Umfragen und<br />
statistischen Daten erhebt, weiß darauf keine eindeutige Antwort.<br />
„Es gibt da zwei Denkrichtungen“, sagt er. „Die eine argumentiert,<br />
dass eine Rezession die Menschen vom Gründen abschreckt,<br />
da sie lieber auf Nummer sicher gehen und ihren Arbeitsplatz<br />
behalten wollen, und damit auch die in den <strong>USA</strong> so enorm wichtige<br />
Krankenversicherung. Das ist ein gewisser Lock-in- Effekt.“<br />
Die andere Hypothese besagt, dass gerade in schlechten Zeiten<br />
Leute den Mut finden, Neues zu wagen. Sie müssen etwas anpacken,<br />
weil sie arbeitslos sind, und Menschen finden, denen es<br />
ähnlich ergangen ist und die sie zu geringen Löhnen einstellen<br />
können. Was in einer Rezession ausgebrütet wird, ist demnach<br />
widerstandsfähiger und am Ende erfolgreicher als die vielen Blüten,<br />
die zu Zeiten lockerer Kredite und leichtsinniger Anleger<br />
treiben. So weit die Theorie.<br />
„Empirisch kann man für beide Ansätze Belege finden“, sagt<br />
Stangler. Von 2009 bis 2010 knickten die Gründerzahlen in den<br />
<strong>USA</strong>, so wie alle ökonomischen Indikatoren, messbar ein, gleichzeitig<br />
finden sich reichlich Regionen, in denen das Gegenteil<br />
passiert ist. In New York und im Silicon Valley haben seit dem<br />
Beinahe-Crash so viele Unternehmer den Neuanfang gewagt,<br />
manchmal schon zum wiederholten Male, dass Kritiker bereits<br />
wieder vor einer Blase warnen. Man solle sich lieber den langfristigen<br />
Trend ansehen, rät Stangler, dessen Stiftung unermüdlich<br />
für die Segnungen des Unternehmertums wirbt. „Seit rund 35<br />
Jahren sehen wir dieselbe Gründerquote in diesem Land, die in-<br />
Inzwischen Geschichte: der Geflügelhof<br />
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nerhalb einer engen Bandbreite schwankt.“ Als Beleg führt er eine<br />
Langzeitstudie an, nach der mehr als die Hälfte der Großunternehmen<br />
auf der heutigen »Fortune«-500-Liste und ebenso die<br />
Mehrzahl der am schnellsten wachsenden Firmen entweder in<br />
einer Rezession oder einem Börsentief gegründet wurden. „An<br />
Verwaist: die Ställe einst glücklicher Hühner<br />
die kleinen Anfänge erinnert man sich längst nicht mehr, bis eine<br />
dieser Firmen groß und berühmt geworden ist.“<br />
Andererseits kann bei einem neuen Geschäft auch der gute<br />
Ruf schneller wachsen als der Umsatz, wie die Geschichte von<br />
Alexis Koefoed beweist. Dann ist es gut, wenn einem die Gesellschaft<br />
den Neustart erleichtert.<br />
Sie gesteht, weder sie noch ihr Mann hätten die leiseste Ahnung<br />
gehabt, was die Gründung ihrer <strong>Soul</strong> <strong>Food</strong> <strong>Farm</strong> bedeutete.<br />
„Wir wohnten in einem netten Haus nördlich der Stadt, hatten<br />
unsere Jobs, wohlerzogene Kinder, nette Nachbarn. Wir<br />
waren glücklich.“ Wenn da nicht der Trieb zum Gärtnern gewesen<br />
wäre. Eines Tages sah sie ein Schild: Zu verkaufen. Der Bauernhof<br />
lag seit 35 Jahren brach, das Haus war verfallen, Koefoed<br />
packte die Landlust. „Zwei Jahre lang habe ich meinen Mann<br />
bearbeitet, bis wir unser Haus verkauften und zuschlugen.“<br />
Dummerweise brach 1998 die Börse ein, sodass die Altersvorsorge<br />
der Familie plötzlich nichts mehr wert war. „Anfang September<br />
1999 standen wir vor dem Tor unseres neuen Anwesens<br />
und hatten so gut wie nichts.“<br />
Die Familie lebte die folgenden vier Jahre in einem Wohnwagen,<br />
während beide Ehepartner weiterhin pendelten. Alexis Koefoed<br />
leitete die Geschäfte auf einem Weingut, ihr Mann arbeitete<br />
als Ingenieur. Eine Verletzung zwang Alexis Koefoed, den Beruf<br />
aufzugeben, und beförderte die Idee, sich auf den eigenen Bauernhof<br />
zu konzentrieren. „Oliven und Lavendel schwebten mir<br />
vor, bis mir ein Nachbar Hühner und Landeier empfahl.“<br />
Koefoed hatte bisher nur ein paar Hennen für den Eigenbedarf<br />
gehalten. Als ihr eine Bekannte, die als Köchin im legendären<br />
Restaurant „Chez Panisse“ in Berkeley arbeitete, die Eier förmlich<br />
aus den Händen riss, schien sie auf ein geniales Geschäftsmodell<br />
gestoßen zu sein. „Zwei Tage später hatte ich einen Liefervertrag<br />
über 25 Dutzend Eier die Woche. Das war der Durchbruch – wir<br />
waren auf Wolke sieben.“ Andere gute Restaurants der Region<br />
folgten schnell nach, und 2005 investierte sie zum ersten Mal in<br />
ein Futtersilo und andere Gerätschaften, um eine richtige Hühnerfarm<br />
aufzubauen, die mehrere Tausend Eier von frei laufenden<br />
Hühnern produzieren konnte.<br />
Die steigende Nachfrage signalisierte Familie Koefoed, dass<br />
sie auf dem richtigen Weg war – dort, wo gleich mehrere Trends<br />
zusammentrafen: „Locavores“, also Verbraucher, die Nahrungsmittel<br />
aus ihrer Umgebung konsumieren wollen, die Vorliebe für<br />
Bioprodukte und der Wunsch, kleine Familienbetriebe zu unterstützen.<br />
Ein Dutzend Eier kostete immerhin zwischen 6,50 und<br />
neun Dollar im Laden. Als Eric Koefoed 2007 seinen Ingenieursjob<br />
an den Nagel hängte, um bei seiner Frau mitzuhelfen, war aus<br />
Euphorie jedoch bereits Sorge geworden.<br />
Hochgelobt in die Pleite<br />
„Wir wuchsen von 500 Legehennen und 300 Hähnchen auf<br />
3000 Legehennen und 1000 frisch geschlachtete Hähnchen die<br />
Woche“, erinnert sich Alexis Koefoed. „Dummerweise liefen uns<br />
die Kosten davon. Ich ging davon aus, dass sich die Schere zwischen<br />
Kosten und Einnahmen irgendwann schließen würde. Das<br />
passierte leider nie.“ Was sie anfangs in einem Vierteljahr für Futter<br />
ausgegeben hatte, war jetzt jeden Monat fällig, und die Futterpreise<br />
zogen noch mehr an.<br />
Ende 2009, als sich die Presse in Lobgesängen über <strong>Soul</strong>-<br />
<strong>Food</strong>-Geflügel erging und Kunden nach den Neun-Dollar-Eierkartons<br />
Schlange standen, drohte Alexis Koefoed zum ersten Mal das<br />
Aus. Ein Teil ihrer <strong>Farm</strong> war in Flammen aufgegangen, gefolgt von<br />
Notunterkunft: umgebauter Schiffscontainer<br />
einer Überschwemmung und einer Geflügelkrankheit. Jedes Mal<br />
waren Hunderte von Hühnern verendet. Das Ehepaar konnte weder<br />
liefern, noch hätte es die Rechnungen oder Versicherungsprämien<br />
bezahlen können, wäre da nicht eine leidenschaftliche Fangemeinde<br />
gewesen, die bloggte, Benefiz-Essen veranstaltete, Spenden<br />
sammelte und ihm den Mut zum Durchhalten gab. Nur eines<br />
konnten die Fans nicht: das Geschäfts modell retten. Je teurer das<br />
Futter wurde, desto mehr schrumpfte die Marge. Im Sommer ><br />
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20<strong>12</strong> mussten die Koefoeds bei Hähnchenfleisch sogar drauflegen.<br />
Deshalb gaben sie im August endgültig auf. „Wir haben rechtzeitig<br />
dichtgemacht, sodass wir in ein paar Monaten mit etwas Neuem<br />
anfangen können.“<br />
Alexis Koefoed ist nicht verbittert. „Wir haben eine Menge<br />
gelernt“, sagt sie. Erstens: Rechnungen immer bar bezahlen, statt<br />
die Kreditkarte auszureizen, und das Gleiche von seinen Kunden<br />
verlangen. Zweitens: Man steht allein da. „Bauern sind Eigenbrötler.<br />
Sie teilen keine Ideen, Tricks oder gar Geräte unter einander,<br />
Ausgegackert: Die <strong>Soul</strong> <strong>Food</strong> <strong>Farm</strong> ist seit Kurzem pleite<br />
wie ich das aus dem Weinbau gewohnt war. Da macht man sich<br />
nur im Ladenregal Konkurrenz, nicht im Weinberg.“ Drittens:<br />
Beim Timing kommt es immer anders, als man denkt. „Wir waren<br />
nur scheinbar den heißen Trends von Bio und lokalem Essen<br />
auf der Spur. In Wirklichkeit waren wir die Pioniere, die draufgehen<br />
mussten, damit es jetzt eine neue Generation besser machen<br />
kann.“ Als Familienbetrieb mit wenigen Zeitarbeitskräften ist die<br />
<strong>Soul</strong> <strong>Food</strong> <strong>Farm</strong> Teil eines Trends, der Analysten wie Dane Stangler<br />
Sorgen bereitet: Auch wenn viele Gründer wiederholt neu<br />
anfangen, schaffen sie im historischen Vergleich weniger Arbeitsplätze<br />
als früher. In den Achtzigerjahren entfielen 35 von 100 neuen<br />
Jobs in Amerika auf ein Start-up. Diese Zahl sank in den boomenden<br />
Neunzigern auf 30 und fiel im vergangenen Jahrzehnt<br />
auf nur noch 25 pro 100 Arbeitsplätze.<br />
Volkswirtschaft schön, sagt der Unternehmensforscher Scott Shane.<br />
Der Professor an der Case Western Reserve University in Ohio<br />
rechnet in seinem Buch „The Illusions of Entrepreneurship“ vor,<br />
dass die meisten Start-ups in den <strong>USA</strong> Einpersonenfirmen sind, die<br />
ihre Eigentümer gerade so über Wasser halten und wenig bis gar<br />
nicht innovativ arbeiten, weil die Gründer meist genau dasselbe<br />
weitermachen, was sie zuvor taten. Die typische Neugründung<br />
schafft keineswegs neue und gut bezahlte Jobs, sondern scheitert<br />
in den ersten fünf Jahren. „Das ist deprimierend, und niemand mag<br />
deprimierende Geschichten hören“, sagt Shane. „Vielleicht ignorieren<br />
so viele Leute deshalb die harten Fakten.“<br />
Im internationalen Vergleich ist es immer noch einfach, in den<br />
<strong>USA</strong> eine Firma zu gründen, doch geht es nicht mehr so leicht, als<br />
Unternehmer neu anzufangen. So wurden 2005 die gesetz lichen<br />
Vorschriften für ein Konkursverfahren von Einzelpersonen, Familien<br />
und Unternehmen auf Druck der Finanzbranche verschärft.<br />
„Die Idee, alle Schulden getilgt zu bekommen und einen kompletten<br />
Neustart hinzulegen, ist ein traditionelles amerikanisches<br />
Klischee“, sagt der Kauffman-Experte Stangler. Die neuen Gesetze<br />
hätten aber eine abschreckende Wirkung. Wer sich seiner Kreditkartenschulden<br />
nur noch schwer oder gar nicht entledigen kann,<br />
überlegt es sich gründlich, eine Geschäftsidee auf Pump zu finanzieren.<br />
Auch das kann einer der Gründe sein, wieso neue Firmen<br />
klein und schlank anfangen – und auch bleiben.<br />
„Etwas auszuprobieren, darauf sind wir in diesem Land kulturell<br />
fixiert. Aber nicht allen tut das gut“, sagt Doug Cody. Der<br />
hagere 50-jährige Software-Experte mit militärisch kurzem Haarschnitt<br />
hat schon rund ein halbes Dutzend Mal auf Neustart gedrückt.<br />
Sein Lebenslauf liest sich wie ein Fallbeispiel des amerikanischen<br />
Mythos vom Treck gen Westen. Nach vier Jahren bei der<br />
US-Luftwaffe in Deutschland wurde Cody Anfang der Neunzigerjahre<br />
EDV-Berater für große Kon zerne an der Ostküste. Als ihm<br />
Der Gründermythos als Selbstbetrug<br />
Gleichzeitig sei die Überlebensquote von neuen Firmen in all den<br />
Jahren gleich geblieben, sagt Stangler: Nur jede zweite erlebt ihr<br />
fünfjähriges Bestehen. Statistisch betrachtet wächst jede Generation<br />
von Start-ups außerdem nicht über ihren Personalstand bei<br />
der Gründung hinaus, weil die wenigen Erfolgs geschichten die<br />
Masse der Gescheiterten nicht ausgleichen. „Das heißt unterm<br />
Strich, dass heute weniger neue Firmen mit weniger Beschäftigten<br />
anfangen, klein bleiben und auf lange Sicht lang samer wachsen“,<br />
so das Fazit des Ökonomen.<br />
Mit der Legende der Kleinunternehmen, die wie Phönix aus<br />
der Asche immer wieder auferstehen, malten sich die <strong>USA</strong> ihre<br />
Zuversichtlich: Mobilized-Gründer Doug Cody<br />
Kollegen das Silicon Valley anpriesen, zog er nach Kalifornien. Er<br />
fuhr die Achterbahn der Tech-Neugründungen, bevor er 2003<br />
beim Großunternehmen Computer Associates einstieg.<br />
„Ich habe mich zum regionalen Vertriebschef hochgearbeitet,<br />
aber nach acht Jahren war mir klar, dass ich da rausmusste. Man<br />
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SCHWERPUNKT: Zweite chance<br />
schlief mit dem Blackberry unterm Kopfkissen und hatte schon<br />
am Sonntag Herzrasen, was die neue Woche wieder bringen würde.<br />
Verkaufen, verkaufen, verkaufen.“ Also kündigte er vergangenen<br />
Herbst seinen gut bezahlten Job, mit einem etwas unklaren<br />
Ziel vor Augen. Ein Jahr Pause machen, um in dieser Zeit ein<br />
Geschäft aufzubauen, das ihn kreativ fordert, körperlich und seelisch<br />
nicht auslaugt und obendrein ein regelmäßiges Einkommen<br />
Seltenes Bild: Näherinnen in den <strong>USA</strong><br />
sichert. Mit seiner Frau Claudia Landivar kam Cody bald auf eine<br />
neue Idee: Design und Verkauf von handgefertigter Retro-Tech-<br />
Kleidung. Sie tauften die Marke Mobilized.<br />
Sie fanden eine lukrative Nische: praktische, funktionsgerechte<br />
Mode, die Materialien aus dem Extremsport sowie Schnitte von<br />
Berufskleidung und vor allem Uniformen verwendet. Mobilized<br />
fertigt Kleidungsstücke wie etwa eine Jacke, die dem Aussehen<br />
britischer Armeekleidung nachempfunden ist. „Unser Produkt erfordert<br />
präzise Handwerkskunst, als ob man mit Leder arbeitet.<br />
Wenn man einen Fehler macht, ist die Jacke Ausschuss“, erklärt<br />
der Unternehmer beim Rundgang durch eine kleine Näherei im<br />
Industriegebiet in der Nähe des Flughafens von San Francisco.<br />
Zwischen Bergen von zugeschnittenen Einzelteilen sitzt ein gutes<br />
Dutzend chinesischer Näherinnen und jongliert die Aufträge von<br />
insgesamt 20 Designern. Die erfahrenste Näherin schafft es, pro<br />
Tag aus jeweils 22 Einzelteilen eine Jacke herzustellen. Auf der<br />
Mobilized-Website kostet diese 525 Dollar.<br />
Es kommt Cody zugute, dass die <strong>USA</strong> derartigen Ideen im<br />
Vergleich zu Europa wenige Hindernisse in den Weg legen. Meistertitel<br />
sind unbekannt, und die meisten Unternehmen kommen<br />
ohne aufwendige Genehmigungen aus, wie sie etwa für Ärzte,<br />
Anwälte oder Architekten erforderlich sind. Allerdings nehmen<br />
die Vorschriften zu, was die Experten von der Kauffman Stiftung<br />
und anderen libertären In stitutionen veranlasst, warnend den<br />
Zeigefinger zu heben. Während in den Sechzigerjahren nur fünf<br />
Prozent der Arbeitnehmer einer Zulas sung unterlagen, ist der<br />
Anteil inzwischen auf mehr als ein Drittel geklettert.<br />
Wer sich außerdem im selben Geschäft wie sein vorheriger<br />
Arbeitgeber oder Partner selbstständig machen will, unterliegt je<br />
nach Bundesstaat einem Wettbewerbsverbot. Das hat zur Folge,<br />
dass viele Gründer für die zweite Chance in einen anderen Staat<br />
umziehen oder die Branche wechseln, wenn sie am alten Standort<br />
verweilen. In Kalifornien ist das nicht nötig. Wer heute kündigt,<br />
kann dort morgen auf eigene Faust dem ehemaligen Chef Konkurrenz<br />
machen, ganz gleich, was der in den Arbeitsvertrag geschrieben<br />
hatte.<br />
Läuft alles wie geplant, wollen die Mobilized Gründer im ersten<br />
Jahr 50 der Outdoor-Jacken verkaufen, gefolgt von weiteren<br />
100 in gewachster Baumwolle und 200 Stück einer noch preiswerteren<br />
Variante in normaler Baumwolle. „Erfolg besteht für uns<br />
schon darin, diese Idee mit nur 15 000 Dollar Eigenkapital bis zur<br />
Marktreife entwickelt zu haben“, sagt Claudia Landivar, die Gesang<br />
studierte, aber davon noch nie ihren Lebensunterhalt bestreiten<br />
konnte. Sie hat in den Jahren nach dem College bei Techfirmen,<br />
in einem Chor und einem Altersheim gearbeitet. Ihre eigene<br />
Firma sieht sie als logische Folge ihres Werdegangs: „Jeden Tag<br />
Probleme zu lösen und Spaß dabei zu haben. Wir brauchen keinen<br />
Millionenmarkt, sondern nur ein paar Tausend interessierte Menschen.<br />
Und die können wir dank Internet erreichen.“<br />
Für den Fall, dass ihre Firma nicht ausreichend Umsatz bringt,<br />
halten sich beide die Option offen, nebenbei wieder als EDV-<br />
Berater zu arbeiten oder etwas ganz anderes zu machen. „Ich<br />
denke, unsere Generation ist gut beraten, mehrere Karrieren<br />
gleichzeitig zu verfolgen, sodass immer ein paar Experimente<br />
danebengehen können“, sagt Cody. Diesen professionellen Tanz<br />
auf mehreren Hochzeiten nennt man in den <strong>USA</strong> „Portfolio-<br />
Leben“: Diversifizierung als Versicherungspolice und Lebensart.<br />
Scheitern als eine Art Gesellschaftsspiel ohne fatale Folgen.<br />
Der Ansporn ist für Cody weniger die Angst, mit seiner<br />
neues ten Idee der Edel-Uniform zu scheitern. Es ist vielmehr die<br />
Auch Reißverschluss und Knöpfe erfordern Handwerkskunst<br />
Angst, so zu enden wie sein Vater. Der war sein Leben lang Ingenieur<br />
für die Erdölindustrie. „Er verstand unglaublich viel davon,<br />
Öl aus allem möglichen Gestein herauszuholen. Gestein war sein<br />
Leben, und selbst seine Freunde haben sich darüber lustig gemacht.<br />
Mein Vater hat nie ausprobiert, was er sonst noch alles<br />
hätte machen können. Vielleicht war er glücklich damit, aber diesen<br />
Luxus können wir uns heute nicht mehr leisten.“ --<br />
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