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Predigt Pfarrerin Slupina-Beck

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egegnet, wo die Klage in ein Bekenntnis mündet. Plötzlich ist da ein Schutzraum des<br />

Vertrauens. Gottes spürbare Nähe in dem so wunderbar sinnlichen Bild vom Berühren<br />

zweier Hände. In Schmerz, Furcht, Ohnmacht ist Gott da.<br />

Eine heute 82-jährige Frau schilderte mir am vergangenen Pfingstmontag ihr Erleben<br />

der Bombennacht:<br />

„Die Bomben fielen und ich zitterte am ganzen Leib.<br />

Wir standen dicht zusammen, legten die Köpfe aneinander.<br />

Da ergriff meine Mutter, deren Herz wohl auch zitterte, meine rechte Hand. Und ich<br />

wusste mich gehalten. Die Fürsorge der Mutter für die 12-jährige Tochter hatte die<br />

Hand der Mutter stark gemacht.<br />

Wir haben gebetet. Die Psalmen.<br />

Und sie fügt hinzu: Jesus war Jude. Diese schlichte und ergreifende Wahrheit hat mich<br />

als Kindergottesdienstkind der 30er Jahre erreicht. Die dumpfe Nazi-Propaganda hat es<br />

nicht in unsere Herzen geschafft. Wir hörten die kostbaren Geschichten des Alten<br />

Testaments – und niemand konnte sie uns mehr nehmen.<br />

(10 Jahre zuvor, im November 1933, ließen die Deutschen Christen auf ihrer<br />

Großkundgebung im Berliner Sportpalast alle Masken fallen: der Hauptredner ruft die<br />

Kirche zur „Befreiung vom Alten Testament mit seiner jüdischen Lohnmoral und den<br />

Viehhändler- und Zuhältergeschichten“ auf – und zur „Beseitigung der jüdischen<br />

Theologie eines Paulus“, der als „krummnasig und plattfüßig“ beschrieben wird.)<br />

Also die Psalmen.<br />

Der Herr ist mein Hirte. Mir wird nichts mangeln.<br />

Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen<br />

haben.<br />

Dennoch bleibe ich stets an dir.<br />

(Man hat der Übersetzung Martin Luthers dieses „dennoch“ angekreidet: es sei ein zu<br />

kühnes, trutzig-trotziges kämpferisches Wort. Ich liebe dieses „dennoch“ trotzdem.<br />

Man kann es auch ganz leise und innig sagen, tastend. Man kann es flüstern. Dennoch<br />

bleibe ich stets an dir, denn du hältst mich bei meiner rechten Hand. Das ist ein Bleiben,<br />

das durchpulst ist von der verändernden Kraft des liebenden Gottes. Das dir die Sinne<br />

schärft und dir die Sehnsucht danach weckt, dass Friede und Gerechtigkeit einander<br />

begegnen und sich küssen. „An dir“ – das wappnet gegen alle Ideologie. Es ist ja doch<br />

kein andrer nicht, der für uns könnte streiten, denn du, unser Gott alleine.<br />

Wir gehören dem Herrn. Nicht dem großen, tobenden Führer, der zum Verführer<br />

einer ganzen Generation wurde. Wir sind des Herrn. Domini sumus. Sagt der Lateiner.<br />

Man kann auch gefährlich anders übersetzen: Wir sind Herren!!! Herrenmenschen.<br />

Gegen diese gefährliche Verwechslung anzukämpfen, brauchte es damals allen Mut.<br />

Im Meer der Hakenkreuzfahnen Flagge zu zeigen für die Botschaft vom Kreuz, das war<br />

lebensgefährlich. Andere Botschaften wurden als Credo skandiert:<br />

Der deutsche Junge habe „schnell wie ein Windhund, zäh wie Leder und hart wie<br />

Kruppstahl“ zu sein.<br />

Ein achtjähriger deutscher Junge irrt in jener Nacht durchs brennende Ronsdorf. Er ist<br />

nicht zäh wie Leder, sondern zart besaitet. Sein Elternhaus, das direkt gegenüber der<br />

katholischen Kirche steht, brennt lichterloh. Darin verbrennt auch seine Geige, die er<br />

gerade erst vom Vater zum achten Geburtstag geschenkt bekommen hat.<br />

Dichter, dunkler Rauch wälzt sich durch die Straßen. Ronsdorf ist ein Flammenmeer.<br />

70 Jahre danach erzählt mir der 78-jährige im Garten seines Hauses in der<br />

Kniprodestraße von diesem Inferno. Ganz bewusst hat er seinen Enkel, den 16-jährigen<br />

Jonathan, dazugebeten. Es wird ein zutiefst bewegendes Gespräch, ein Dialog der<br />

Generationen. Am Ende frage ich, was das mit der Seele eines achtjährigen Kindes<br />

gemacht hat.

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