Predigt Pfarrerin Slupina-Beck
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Dennoch<br />
„Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand,<br />
du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an.“<br />
(Psalm 73, 23.24)<br />
Von Gott will ich nicht lassen, denn er lässt nicht von mir…<br />
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen..?<br />
Das ist die Spannung des angefochtenen Gewissens.<br />
Wen sollte es nicht zerreißen? Viele sind daran zerbrochen.<br />
Weil es nicht zum Aushalten ist, wenn Not und Trübsal blitzen und ein von<br />
menschenverachtender Ideologie entfesselter Krieg alles in Trümmer legt.<br />
Da gibt es keine wohlfeilen, frommen , politisch korrekten Antworten.<br />
Deren oberflächliche Stereotypen erreichen uns nicht.<br />
Da gibt es aber die großartige, faszinierende Möglichkeit, sich in die tiefe Sprache der<br />
Psalmen zu begeben, hineinzuwerfen, einzutauchen – und, so Gott will, dann getröstet<br />
wieder aufzutauchen, gestärkt, erfrischt, gar ermuntert. Zum Frieden ermuntert.<br />
Wenn wir heute morgen die Losungen aufgeschlagen haben, hat es uns<br />
möglicherweise schon den Atem verschlagen – so dicht dran ist dieser Psalmvers an<br />
der schlimmsten Nacht der Ronsdorfer:<br />
Der Herr ist nahe denen, die zerbrochenen Herzens sind. (Psalm 34,19)<br />
Die Psalmen leben von ihrer kraftvollen Bildersprache.<br />
Das ist keine kühle, abgehobene, verstaubte Dogmatik, sondern das ist dicht dran an<br />
den Bildern unseres Lebens, an den Bildern jener Nacht auch, die sich allen<br />
Ronsdorfern schmerzlich ins Gedächtnis eingebrannt hat.<br />
29. Mai 1943. Ein strahlend schöner, sonnendurchfluteter Frühsommertag geht seinem<br />
Ende entgegen. Ein 12-jähriges Mädchen steht auf dem historisch gewachsenen<br />
Marktplatz mit seinen hübschen Fachwerkhäusern. Sie legt den Kopf in den Nacken<br />
und schaut zur Lutherkirche auf. Die wirkt wie eine feste Burg. 150 Jahre ist sie jetzt alt.<br />
Ihre alten und ehrwürdigen Mauern erzählen viele Geschichten von Trost und<br />
Geborgenheit und geistlicher Heimat. Diese Kirche ist Kraftquelle in den Gezeiten des<br />
Lebens. Generationen von Christenmenschen haben sich hier schon um Gottes Wort<br />
geschart. Niemand ahnt, dass in wenigen Stunden das historische Ronsdorf<br />
ausgelöscht sein wird, dass es 10 Jahre dauern wird, bis in dieser Kirche wieder<br />
Gottesdienst gefeiert werden kann.<br />
Hier finden wir Sprache für unseren Schmerz und unsere Hoffnung.<br />
Hier finden wir Lieder des Vertrauens und die großen Schreie nach Trost und<br />
Gerechtigkeit. Und hier finden wir das kleine Wörtlein „dennoch“. Dieses kleine<br />
Wörtlein zu Beginn unseres <strong>Predigt</strong>textes müssen wir ernst nehmen.<br />
„Dennoch bleibe ich stets an dir, denn du hältst mich bei meiner rechten Hand.“<br />
Bis dahin ist der Psalm eine einzige wilde Klage, abgründig rasender Schlagabtausch.<br />
Ein Mensch ringt mit seinem Gott und hat großen Klärungsbedarf. Die ganze sichtbare<br />
Welt scheint ein einziger Widerspruch zu sein gegen den gerechten Gott.<br />
Es zerreißt ihn fast. Leib und Seele verschmachten ihm. Wie soll er das aushalten?<br />
Wer bringt ihn durch die Nacht? Und es nagt an ihm die garstige Frage: Wo ist Gott?<br />
Ist er noch da? Ist er noch nah? Gehöre ich noch zu ihm?<br />
Er ist kurz davor, den Verstand zu verlieren oder – was fast noch schlimmer ist – bitter<br />
zu werden. Doch nun geschieht die Wende. Man kann auch getrost von einem<br />
Wunder sprechen. Die gewendete Klage, jene Nahtstelle, die uns in vielen Psalmen
egegnet, wo die Klage in ein Bekenntnis mündet. Plötzlich ist da ein Schutzraum des<br />
Vertrauens. Gottes spürbare Nähe in dem so wunderbar sinnlichen Bild vom Berühren<br />
zweier Hände. In Schmerz, Furcht, Ohnmacht ist Gott da.<br />
Eine heute 82-jährige Frau schilderte mir am vergangenen Pfingstmontag ihr Erleben<br />
der Bombennacht:<br />
„Die Bomben fielen und ich zitterte am ganzen Leib.<br />
Wir standen dicht zusammen, legten die Köpfe aneinander.<br />
Da ergriff meine Mutter, deren Herz wohl auch zitterte, meine rechte Hand. Und ich<br />
wusste mich gehalten. Die Fürsorge der Mutter für die 12-jährige Tochter hatte die<br />
Hand der Mutter stark gemacht.<br />
Wir haben gebetet. Die Psalmen.<br />
Und sie fügt hinzu: Jesus war Jude. Diese schlichte und ergreifende Wahrheit hat mich<br />
als Kindergottesdienstkind der 30er Jahre erreicht. Die dumpfe Nazi-Propaganda hat es<br />
nicht in unsere Herzen geschafft. Wir hörten die kostbaren Geschichten des Alten<br />
Testaments – und niemand konnte sie uns mehr nehmen.<br />
(10 Jahre zuvor, im November 1933, ließen die Deutschen Christen auf ihrer<br />
Großkundgebung im Berliner Sportpalast alle Masken fallen: der Hauptredner ruft die<br />
Kirche zur „Befreiung vom Alten Testament mit seiner jüdischen Lohnmoral und den<br />
Viehhändler- und Zuhältergeschichten“ auf – und zur „Beseitigung der jüdischen<br />
Theologie eines Paulus“, der als „krummnasig und plattfüßig“ beschrieben wird.)<br />
Also die Psalmen.<br />
Der Herr ist mein Hirte. Mir wird nichts mangeln.<br />
Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen<br />
haben.<br />
Dennoch bleibe ich stets an dir.<br />
(Man hat der Übersetzung Martin Luthers dieses „dennoch“ angekreidet: es sei ein zu<br />
kühnes, trutzig-trotziges kämpferisches Wort. Ich liebe dieses „dennoch“ trotzdem.<br />
Man kann es auch ganz leise und innig sagen, tastend. Man kann es flüstern. Dennoch<br />
bleibe ich stets an dir, denn du hältst mich bei meiner rechten Hand. Das ist ein Bleiben,<br />
das durchpulst ist von der verändernden Kraft des liebenden Gottes. Das dir die Sinne<br />
schärft und dir die Sehnsucht danach weckt, dass Friede und Gerechtigkeit einander<br />
begegnen und sich küssen. „An dir“ – das wappnet gegen alle Ideologie. Es ist ja doch<br />
kein andrer nicht, der für uns könnte streiten, denn du, unser Gott alleine.<br />
Wir gehören dem Herrn. Nicht dem großen, tobenden Führer, der zum Verführer<br />
einer ganzen Generation wurde. Wir sind des Herrn. Domini sumus. Sagt der Lateiner.<br />
Man kann auch gefährlich anders übersetzen: Wir sind Herren!!! Herrenmenschen.<br />
Gegen diese gefährliche Verwechslung anzukämpfen, brauchte es damals allen Mut.<br />
Im Meer der Hakenkreuzfahnen Flagge zu zeigen für die Botschaft vom Kreuz, das war<br />
lebensgefährlich. Andere Botschaften wurden als Credo skandiert:<br />
Der deutsche Junge habe „schnell wie ein Windhund, zäh wie Leder und hart wie<br />
Kruppstahl“ zu sein.<br />
Ein achtjähriger deutscher Junge irrt in jener Nacht durchs brennende Ronsdorf. Er ist<br />
nicht zäh wie Leder, sondern zart besaitet. Sein Elternhaus, das direkt gegenüber der<br />
katholischen Kirche steht, brennt lichterloh. Darin verbrennt auch seine Geige, die er<br />
gerade erst vom Vater zum achten Geburtstag geschenkt bekommen hat.<br />
Dichter, dunkler Rauch wälzt sich durch die Straßen. Ronsdorf ist ein Flammenmeer.<br />
70 Jahre danach erzählt mir der 78-jährige im Garten seines Hauses in der<br />
Kniprodestraße von diesem Inferno. Ganz bewusst hat er seinen Enkel, den 16-jährigen<br />
Jonathan, dazugebeten. Es wird ein zutiefst bewegendes Gespräch, ein Dialog der<br />
Generationen. Am Ende frage ich, was das mit der Seele eines achtjährigen Kindes<br />
gemacht hat.
„Ich bin dadurchgekommen.“ sagt er. Mit dem Geigenspiel ist es nichts mehr<br />
geworden. Aber mit dem Leben davongekommen, das war er. Und die Liebe zur Musik<br />
blieb. Dennoch.<br />
„Nicht auszudenken“, lächelt er mir beim Abschied zu, „nicht auszudenken, wenn ich<br />
niemals das a-moll-Klavierkonzert von Schumann gehört hätte..!“<br />
Dennoch bleibe ich stets an dir, denn du hältst mich bei meiner rechten Hand.<br />
Das ist der Trost Gottes. So tröstet nur Gott. Welch‘ Wohltat, an entscheidender Stelle<br />
Trost, und nichts als Trost zu hören! Einmal nicht analysiert, motiviert, belehrt,<br />
politisiert oder solidarisiert zu werden. Seht, da ist euer Gott. Er kommt und wird euch<br />
helfen! Und am Ende nimmt er euch mit Ehren an. Diese Aussicht macht schon jetzt<br />
unabhängig, frei, widerständig.<br />
„Um der Ehre willen“ – so hat bezeichnenderweise Marion Gräfin Dönhoff ihre<br />
Erinnerungen an die Freunde vom 20. Juli genannt. Sie beschreibt hier auch die letzten<br />
Lebenstage von Helmut James Graf von Moltke, einem der führenden Köpfe im<br />
Kreisauer Kreis. Darin hatten sich Katholiken und Protestanten, führende Militärs,<br />
Konservative und Sozialisten, preußischer Adel und Arbeiterführer<br />
zusammengeschlossen, um Hitler zu stürzen.<br />
Nachdem das Attentat fehlgeschlagen war, rollte eine Verhaftungs- und<br />
Hinrichtungswelle an. Besonders demütigend und ehrabschneidend waren die Verhöre<br />
im Volksgerichtshof durch Freisler.<br />
Im Abschiedsbrief an seine Frau kurz vor der Hinrichtung schreibt der tiefgläubige<br />
Moltke: „Der ganze Saal hätte brüllen können, so wie der Herr Freisler, und es hätte<br />
mir gar nichts gemacht.“<br />
Es geht noch immer ganz tief. Und es geht auch uns Nachgeborene immer noch an.<br />
Jene Nacht vom 29. Auf den 30. Mai 1943.<br />
Der Brandgeruch der Katastrophe ist denen, die damals Kind oder junger Mensch<br />
waren, unvergesslich. Noch gibt es sie, die Zeitzeugen. Es werden immer weniger.<br />
Es ist die Generation unserer Eltern, die ganz jung – in den prägendsten Jahren ihres<br />
Lebens – Unfassliches erlebt haben. Und viele von ihnen haben dann später ihre<br />
Kirchengemeinden geprägt mit diesem unbändigen Friedensdurst, diesem<br />
seismographischen Gespür für Ungerechtigeit, diesem überaus allergischen Reagieren<br />
auf alle Versuche von Menschen, über Menschen zu herrschen, ihnen die Ehre<br />
abzusprechen. Diese beherzte, lebenskluge, unbeirrt couragierte Haltung ist zum<br />
Staunen und für uns Jüngere unbedingt zur Nachahmung zu empfehlen. Ich nenne sie<br />
– in Anlehnung an unseren Psalm – die „dennoch“-Power der Alten.<br />
Und wissen Sie was?<br />
Die „Dennoch“-Power der ganz Jungen, der heute 12-Jährigen ist auch nicht zu<br />
verachten! So geschehen gestern im Konfirmandenunterricht. Wir sprechen über den<br />
Angriff, schauen die Bilder der Zerstörung an und schlagen die Bibel auf – Psalm 73.<br />
Danach schreibt jeder, was ihm in den Sinn kommt:<br />
Axel (12): Warum auch 70 Jahre danach das Gedenken für uns Ronsdorfer noch so<br />
wichtig ist:<br />
Weil es uns stärkt und die Hoffnung wiedergibt.<br />
Weil ein solcher Moment so schrecklich ist, dass er niemals in Vergessenheit geraten<br />
darf.<br />
Weil man sich gegen den Krieg wenden muss und nicht alles über sich ergehen lassen<br />
soll.<br />
Schenke Gott uns ein lebendiges Gedenken und die nicht zu beschwichtigende<br />
Sehnsucht nach Frieden – nicht nur für unser Land, sondern für alle Welt.<br />
Amen.