Der Neokapitalismus ein Auslaufmodell
Der Neokapitalismus ein Auslaufmodell
Der Neokapitalismus ein Auslaufmodell
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I. Kapitel: — <strong>Der</strong> <strong>Neokapitalismus</strong> <strong>ein</strong> <strong>Auslaufmodell</strong><br />
<strong>Der</strong> <strong>Neokapitalismus</strong> <strong>ein</strong> <strong>Auslaufmodell</strong><br />
Anspruch und Wirklichkeit<br />
Beharrlich verfolgen Neokapitalisten das Ziel, die Wirtschaft in aller Welt den Leitsätzen<br />
ihrer Wirtschaftsdoktrin zu unterwerfen. Ferner sind sie dabei, alle Bereiche<br />
gesellschaftlichen und kulturellen Lebens den Kräften des Marktes zu unterjochen. In<br />
den Industrienationen des Nordens, so auch in Deutschland und Europa, sind sie damit<br />
weit vorangekommen<br />
Ihnen ergeben folgten die europäischen Staats- und Regierungschefs den Empfehlungen<br />
neokapitalistischer Wirtschaftsdoktrin. An den nationalen Parlamenten und<br />
an der Bevölkerung vorbei, schufen sie mit den Europäischen Verträgen die Basis für<br />
<strong>ein</strong>e umfassende Ökonomisierung. Erst mit dem vorgelegten „Vertrag für <strong>ein</strong>e Verfassung<br />
für Europa“ wurde für die politisch interessierte Bevölkerung offenkundig,<br />
dass sie Gefangene <strong>ein</strong>es neokapitalistischen Netzwerkes sind. Diese Europäische<br />
Verfassung zerbrach zunächst am Widerstand der französischen und niederländischen<br />
Bevölkerung. Trotz alledem: Auch der schließlich am 13. Dezember 2008 in<br />
Lissabon von den Staatschefs beschlossene und in <strong>ein</strong>em zum Teil mühseligen Prozess<br />
von allen Mitgliedsländern ratifizierte Europäische Grundlagenvertrag, der im<br />
Oktober 2009 in Kraft trat, huldigt neokapitalistischer Wirtschaftsdoktrin.<br />
Widerstand gegen den <strong>Neokapitalismus</strong> regt sich. Zum <strong>ein</strong>en wehrt sich die Bevölkerung<br />
gegen die Kälte r<strong>ein</strong> ökonomischer Ratio, zum anderen nimmt sie wahr,<br />
dass er s<strong>ein</strong>em Absolutheitsanspruch, er all<strong>ein</strong> könne Freiheit, Fortschritt, Wachstum<br />
und Wohlstand auf Dauer gewährleisten, nicht gerecht wird. Die von ihm geschaffenen<br />
Tatsachen widerlegen in <strong>ein</strong>drucksvoller Weise s<strong>ein</strong>e Verheißungen.<br />
Anspruch<br />
Neokapitalisten versprechen <strong>ein</strong>e blühende, international konkurrenzfähige Volkswirtschaft<br />
mit Vollbeschäftigung und sozial ausgeglichenem hohen Wohlstand. Diese<br />
ihre Verheißung basiert auf der von ihnen vertretenen Wirtschaftsdoktrin. Ihr Credo,<br />
das freie Spiel der Kräfte auf den Märkten sorge bestmöglich sowohl für Wachstum<br />
und Arbeit als auch für soziale Gerechtigkeit, sofern der Staat wettbewerbshemmende<br />
Faktoren ausschaltet, hat das Gewicht <strong>ein</strong>es Axioms, <strong>ein</strong>es k<strong>ein</strong>es Beweises bedürfenden<br />
Grundsatzes. Getreu ihres Glaubenssatzes – wir glauben an die Kräfte<br />
des Marktes, die alles so wunderbar steuern und zu Wohlstand für alle führen – propagieren<br />
Neokapitalisten – als Soziale Marktwirtschaft getarnt – in prophetischer<br />
Pose den modernen Kapitalismus als säkularisierte Heilslehre. 1<br />
Antriebskraft für das freie Spiel der Marktkräfte ist die von neokapitalistischen<br />
Ökonomen vertretene „Angebotspolitik“. Häufig auch als „Monetarismus“ bezeichnet,<br />
wurde sie in den 30er Jahren entwickelt, in den 70er Jahren von USA-Wirtschaftswissenschaftlern<br />
wieder aufgegriffen und von Friedrich August von Hayek auf den<br />
heutigen Stand gebracht.<br />
1 Vgl. Hans Christoph Binswanger: Die Glaubensgem<strong>ein</strong>schaft der Ökonomen. Essays zur Kultur der<br />
Wirtschaft, München 1998<br />
17
I. Kapitel: — <strong>Der</strong> <strong>Neokapitalismus</strong> <strong>ein</strong> <strong>Auslaufmodell</strong><br />
Diese Theorie steht im Widerspruch zu der erstmals von dem britischen Ökonomen<br />
John Maynard Keynes 1 vertretenen „Nachfragetheorie“. Ist für Keynes die<br />
Vollbeschäftigung das höchste Gebot, ist es die Geldwertstabilität im Monetarismus.<br />
So liegt denn auch der grundlegende Unterschied in der ordnungspolitischen Funktion<br />
des Staates, die beide Theorien diesem zuweisen. <strong>Der</strong> „Keynesianismus“, der<br />
über Jahrzehnte die Wirtschaftspolitik der Nachkriegszeit in den westlichen Industrieländern<br />
bestimmte, weist dem Staat die Aufgabe zu, bei zurückbleibender Inlandsnachfrage,<br />
die wiederum zu Produktions- und Beschäftigungsrückgang führt, durch<br />
öffentliche Nachfrage ausgleichend gegenzusteuern, und sei es durch Schuldenmachen.<br />
Für die Angebotstheoretiker ist dieser „aktive Staat“ – zumal mit s<strong>ein</strong>er Umverteilung<br />
der erzielten Markt<strong>ein</strong>kommen, s<strong>ein</strong>en zu hohen Sozialleistungen und s<strong>ein</strong>en<br />
Regulierungs<strong>ein</strong>griffen auf den Märkten – die Ursache für Wachstumsschwäche<br />
und Arbeitslosigkeit. Deshalb verlangen sie vom Staat, in den Marktprozess nicht<br />
<strong>ein</strong>zugreifen und die Marktergebnisse nicht nach sozialen Kriterien umzuverteilen.<br />
Grundannahme der die Wirtschafts- und Finanzpolitik gegenwärtig beherrschenden<br />
Angebotstheorie ist, all<strong>ein</strong> die Renditeerwartungen der Unternehmen veranlassten<br />
deren Chefs, sich für Investitionen zu entscheiden.<br />
Nur auf diesem Wege würde Wachstum ausgelöst, neue Arbeitsplätze geschaffen<br />
und materieller Wohlstand vermehrt. Sie unterstellt ferner, dass sich das Angebot<br />
sich s<strong>ein</strong>e Nachfrage selbst schafft. Diese Theorie übernimmt das von dem französischen<br />
Ökonomen Jean Baptist Say (1767-1832) formulierte Theorem, <strong>ein</strong>e allgem<strong>ein</strong>e<br />
Nachfrageschwäche sei unmöglich, da mit den Lohnkosten der produzierten Güter<br />
und der erzielten Gewinne die Einkommen geschaffen werden, die man benötigt, um<br />
die hergestellten Waren und Dienstleistungen kaufen und konsumieren bzw. in Anspruch<br />
nehmen zu können. Deshalb bedürfe es k<strong>ein</strong>er staatlichen Nachfrageunterstützung.<br />
Freilich seien partielle oder sektorale Ungleichgewichte auf <strong>ein</strong>zelnen<br />
Märkten möglich und zwar infolge sich verschiebender Präferenzen und sich wandelnder<br />
technischer Ausstattungen. Auf freien Märkten mit funktionierenden Preismechanismen<br />
setzten jedoch sogleich Anpassungsprozesse <strong>ein</strong>, die automatisch zum<br />
Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage führten („Say´sche Gesetz“).<br />
Gestört werde dieser Prozess ausschließlich durch marktwidrige Eingriffe des<br />
Staates. Als Hemmnisse für Investitionsentscheidungen der Unternehmer werden<br />
folgerichtig angeprangert:<br />
• Eine zu hohe Staatsverschuldung, weil diese <strong>ein</strong> höheres Zinsniveau, steigende<br />
Preise und damit Geldwertverluste auslöst,<br />
• staatliche Eingriffe, wie Umweltauflagen und Arbeitsschutzgesetze, zumal<br />
diese die Kosten erhöhen,<br />
• Subventionen, denn diese verfälschen die Marktdaten,<br />
• <strong>ein</strong> überzogener Sozialstaat, denn dieser verursacht zu hohe Lohnnebenkosten,<br />
• zu hohe Steuern, weil diese die erzielten Gewinne über Gebühr abschöpfen,<br />
• starke Gewerkschaften, die zu hohe Löhne durchsetzen und vor Streiks<br />
nicht zurückschrecken.<br />
Folgen dieser „Störungen“ seien zu niedrige Gewinne, besonders im internationalen<br />
Vergleich und die Be<strong>ein</strong>trächtigung der Geldwertstabilität. Diese Fakten wie-<br />
1 John Maynard Keynes: Englischer Wirtschaftswissenschaftler (1883 – 1946)<br />
18
I. Kapitel: — <strong>Der</strong> <strong>Neokapitalismus</strong> <strong>ein</strong> <strong>Auslaufmodell</strong><br />
derum hemmten die Investitionsbereitschaft und führten infolgedessen zu Wachstumsschwäche<br />
und Arbeitsplatzverlusten. Es ist das uns wohl vertraute Klagelied des<br />
Arbeitgeberpräsidenten Dieter Hundt, der Präsidenten der Wirtschaftsverbände und<br />
der Industrie-, Handwerks- und Handelskammern. Ein Sprachrohr der Industrie, die<br />
„Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, hämmert in aufwendigen Werbefeldzügen<br />
Kernsätze neokapitalistischer Wirtschaftsdoktrin in das Bewussts<strong>ein</strong> der Bevölkerung<br />
<strong>ein</strong>, um diese für neokapitalistisch begründete Reformen zu gewinnen. Im September<br />
2006 stellte sie ihr Credo plakativ in <strong>ein</strong>er umfassenden Werbeaktion mit der Überschrift<br />
„Was braucht Deutschland“ in vier Punkten zusammen. Mit den Tageszeitungen<br />
erreichte die privaten Haushalte folgende Botschaft:<br />
Deutschland braucht Wachstum! Und so geht`s:<br />
• Steuern senken<br />
• Bildung fördern<br />
• Arbeit bezahlbar machen<br />
• Bürokratie stoppen.<br />
In die Kritik geraten sind denn auch zum <strong>ein</strong>en die unökonomisch handelnden<br />
staatlichen Bürokratien; verlangt wird, die öffentlichen Dienstleistungen zu privatisieren.<br />
In die Kritik geraten sind ferner die Höhe der Löhne und die von den Unternehmen<br />
zu tragenden Kosten der sozialen Sicherungssysteme und damit die Lohnnebenkosten.<br />
Zum anderen richtet sich der Angriff der Neokapitalisten auf die tarifvertraglich<br />
festgelegten und staatlich verordneten Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer,<br />
auf Arbeitsschutzgesetze und Umweltauflagen. Im neokapitalistischen Forderungskatalog<br />
steht ferner, die Unternehmenssteuern zu senken.<br />
Um voranzukommen, wird der Weg in das „Tal der Tränen“, den der „schlanke<br />
Staat“ den Arbeitnehmern und all denen zumutet, die auf Sozial<strong>ein</strong>kommen angewiesen<br />
sind, tröstend mit dem Versprechen gerechtfertigt, dass mit steigenden Gewinnen<br />
auch die Investitionen steigen werden. Mit den Investitionen steige das<br />
Wachstum und mit dem Wachstum auch die Beschäftigung. Die Arbeitslosigkeit<br />
werde abgebaut. Dies wiederum führe zu mehr Beiträgen in die öffentlichen sozialen<br />
Sicherungssysteme. Mit den höheren Gewinnen stiegen auch wieder die Steuer<strong>ein</strong>nahmen<br />
des Staates. Am Ende des „Tals der Tränen“ stehe <strong>ein</strong>e blühende, international<br />
konkurrenzfähige Volkswirtschaft mit Vollbeschäftigung und Wohlstand für all<br />
diejenigen, die durch Leistung sich im Wettbewerb behaupten und eigenverantwortlich<br />
für die Wechselfälle des Lebens Vorsorge leisten.<br />
Wirklichkeit<br />
Die Angebotstheorie und ihre Versprechungen werden in <strong>ein</strong>er <strong>ein</strong>drucksvollen<br />
Weise durch die Tatsachen widerlegt. Das Say´sche Gesetz, das besagt, dass sich<br />
jede Produktion ihre Nachfrage schafft, wirkt nur unter der Voraussetzung, dass mit<br />
steigender Produktion auch die realen Arbeitnehmer- und Transfer<strong>ein</strong>kommen entsprechend<br />
steigen. Es funktioniert nicht, wenn die Löhne und Gehälter mit der gestiegenen<br />
Produktion nicht mithalten und das heißt, wenn Tariferhöhungen auf Druck<br />
der Arbeitgeber und deren Drohung, ansonsten Entlassungen vornehmen zu<br />
müssen, den Produktivitätsgewinn nicht ausschöpfen. Das Gegenargument, bei<br />
Lohnerhöhungen, die den Produktivitätsgewinn nicht ausschöpfen, stiegen die Unternehmensgewinne<br />
und damit das insgesamt nachfragende Einkommen, sticht nicht.<br />
19
I. Kapitel: — <strong>Der</strong> <strong>Neokapitalismus</strong> <strong>ein</strong> <strong>Auslaufmodell</strong><br />
Steigende Gewinne haben in aller Regel <strong>ein</strong>e erhöhte Sparquote der Kapitaleigner<br />
zur Folge. Das Say`sche Gesetz versagt erst recht, sofern die von den Neokapitalisten<br />
durchgesetzte staatliche Umverteilung der Einkommen von unten nach oben die<br />
Massenkaufkraft schwächt. Passiert beides, hat dies fatale gesamtwirtschaftliche und<br />
gesellschaftliche Folgen. Die Gesellschaft wird in Einkommensarme und –reiche, in<br />
Vermögende und Habenichtse gespalten. Auch die Mittelschicht zerfällt. Wenige<br />
schaffen den Aufstieg, die Mehrheit verliert ihren erarbeiteten Lebensstandard. Eine<br />
Minderheit gewinnt, die Mehrheit stürzt ab.<br />
Die nachfolgenden Grafiken zeigen den Stand <strong>ein</strong>er gespaltenen Gesellschaft zur<br />
Jahrtausendwende und Daten zur Wirtschaftsentwicklung, zur Entwicklung der Arbeitnehmer<strong>ein</strong>kommen<br />
und der Arbeitslosigkeit von 1960 bis Ende 2008.<br />
1. Einkommen und Vermögen<br />
Hauptursächlich für die Spaltung sind Verteilung und Verlauf der sogenannten<br />
Primär<strong>ein</strong>kommen, d.h. der empfangenen Arbeitnehmerentgelte und Selbständigen<strong>ein</strong>kommen,<br />
der Betriebsüberschüsse, sowie der empfangenen Vermögens<strong>ein</strong>kommen<br />
(abzgl. geleísteter Zinsen und Pachten).<br />
1.1 Primär<strong>ein</strong>kommen 1960 bis 2008 (Grafik 1)<br />
(früheres Bundesgebiet und Deutschland)<br />
<strong>Der</strong> Anteil der Arbeitnehmerentgelte an der Summer aller Primär<strong>ein</strong>kommen fiel,<br />
der Anteil der Vermögens<strong>ein</strong>kommen stieg.<br />
Grafik 1<br />
Arbeitnehmerentgelte, Unternehmensgewinne,<br />
Vermögens<strong>ein</strong>kommen<br />
in % des Primär<strong>ein</strong>kommens insgesamt<br />
Prozent<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
1980 2000 2006 2008<br />
Arbeitnehmer<br />
Gewinne<br />
Vermögen<br />
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung<br />
Jahresgutachten 2009/10<br />
Verfügten die Arbeitnehmer 1980 (früheres Bundesgebiet) über <strong>ein</strong>en Anteil von 74<br />
Prozent, mussten sie 2008 (Deutschland) mit anteiligen 67 Prozent zufrieden s<strong>ein</strong>. <strong>Der</strong><br />
Anteil der Einkommen aus selbständiger Arbeit und Unternehmertätigkeit (Gewinne)<br />
lag 1990 bei 12,4 Prozent und hielt im Zeitverlauf 1991 bis 2008 in etwa <strong>ein</strong>en Anteil<br />
von rd.10 Prozent, dagegen stieg der Anteil der Vermögens<strong>ein</strong>kommen von 15 auf<br />
etwas über 23 Prozent.<br />
20
I. Kapitel: — <strong>Der</strong> <strong>Neokapitalismus</strong> <strong>ein</strong> <strong>Auslaufmodell</strong><br />
1. 2 Die verfügbaren Einkommen sind ungleich verteilt<br />
Die umfangreichen Armuts- und Reichtumsberichte der Bundesregierung 1 sprechen<br />
Bände. Verfügbare Einkommen, Ersparnisse und Vermögen sind extrem ungleich<br />
verteilt. <strong>Der</strong> erste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung zeigt<br />
<strong>ein</strong>e klaffende Schere der für westdeutsche Haushalte verfügbaren Einkommen. Das<br />
untere Quantil 2 der nach dem verfügbaren Einkommen geordneten Haushalte<br />
musste 1998 mit durchschnittlich 22,2 Tsd. DM (11,4 €) ihren Lebensunterhalt<br />
bestreiten (vgl. Grafik 2), dem oberen Quantil stand fast das 6 fache zur Verfügung<br />
(66,5 Tsd. €).<br />
Durchschnittlich verfügbares<br />
Einkommen/Jahr westdeutscher Haushalte<br />
in Tsd. DM 1998<br />
nach Quantilen der nach dem verfügbaren Einkommen geordneten<br />
Haushalte<br />
Grafik 2<br />
22,2<br />
130<br />
77,2<br />
38,1<br />
55<br />
Quelle: Erster Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung<br />
1./5<br />
2./5<br />
3./5<br />
4./5<br />
5./5<br />
Im zweiten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung zur Einkommensverteilung<br />
heißt es: „Festzustellen ist <strong>ein</strong> Trend zunehmender Streuung der Brutto<strong>ein</strong>kommen,<br />
also zunehmender Ungleichheit, die vor allem auf die Zunahme der Teilzeitbeschäftigung<br />
geringeren Umfangs, insbesondere bei Frauen zurückgeführt werden<br />
kann. … Aber selbst wenn nur Vollzeitentgelte betrachtet werden ... bleibt der<br />
beobachtete Trend <strong>ein</strong>er gestiegenen Spreizung auf dieser Ebene des Einkommensprozesses<br />
bestehen, wenn auch in abgeschwächter Form.“<br />
1 Bundesregierung: Lebenslagen in Deutschland • Erster Armuts- und Reichtumsbericht 2001<br />
• Zweiter Armuts- und Reichtumsbericht 2005<br />
• Dritter Armuts- und Reichtumsbericht 2008<br />
2 Quantile und Dezile sind <strong>ein</strong> Streuungsmaß in der Statistik. Sie bestimmen Punkte <strong>ein</strong>er nach Rang<br />
oder Größe der Einzelwerte sortierten statistischen Verteilung. Werden z.B. die privaten Haushalte<br />
nach der Höhe ihrer verfügbaren Einkomme bzw. nach der Höhe ihrer durchschnittlichen Ersparnis<br />
sortiert und dann in mehrere gleich große Teile unterteilt, so spricht man von Quintelen (5 Teile)<br />
bzw. von Dezilen (10 Teile).<br />
21
I. Kapitel: — <strong>Der</strong> <strong>Neokapitalismus</strong> <strong>ein</strong> <strong>Auslaufmodell</strong><br />
Nachfolgende Grafik der Äquivalenz<strong>ein</strong>kommen 1 verdeutlicht diese auch im Dritten<br />
Armuts- und Reichtumsbericht festgestellte im Zeitverlauf zugenommene Spreizung<br />
der Einkommen.<br />
Grafik 3<br />
Verteilung der realen Nettoäquivalenz<strong>ein</strong>kommen<br />
auf die Bevölkerung<br />
Prozent<br />
Prozent<br />
25,0<br />
25<br />
20,0<br />
20<br />
15,0<br />
10,0<br />
5,05<br />
0,00<br />
1. 2. 2. 3. 3. 4. 4. 5. 5. 6. 6. 7. 7. 8. 8. 9. 9. 10. 10.<br />
Anteile am am Einkommesnvolumen Einkommensvolumennach<br />
nach Zehntel Dezilen<br />
2005<br />
Quelle: Dritter Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung<br />
1.3 Fast zwangsläufig führt <strong>ein</strong>e starke Einkommenskonzentration in den Händen<br />
derer mit höheren Einkommen zu entsprechend hohen Ersparnissen.<br />
Durchschnittlich verfügbare Ersparnis<br />
westdeutscher Haushalte<br />
in Tsd. DM<br />
Verteilungnachl Quintilen der nach dem verfügbaren<br />
Einkommen geordneten Haushalte<br />
Grafik 4<br />
01,01 3,75<br />
8,41<br />
26,74<br />
1./5<br />
2./5<br />
3./5<br />
4./5<br />
5./5.<br />
Quelle: Erster Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung<br />
1 Um das Wohlstandsniveau von Personen unabhängig von Größe und Zusammensetzung ihres<br />
Haushalts zu beschreiben, wird das Haushaltsnetto<strong>ein</strong>kommen – also die Summe aus Erwerbs-,<br />
Kapital-, Transfer- und sonstigen Einkommen – durch Bedarfsgewichte geteilt. Diese sogenannten<br />
Äquivalenzgewichte sind:<br />
Neue OECD Skala<br />
Haushaltsvorstand: 1,0<br />
Jede weitere Person ab 15 J. 0,5<br />
Jede weitere Person unter 15 J. 0,3<br />
22
I. Kapitel: — <strong>Der</strong> <strong>Neokapitalismus</strong> <strong>ein</strong> <strong>Auslaufmodell</strong><br />
1.4 <strong>Der</strong> Reichtum konzentriert sich in wenigen Händen:<br />
Überzeugend zeigen dies die nachfolgenden Grafiken 5 bis 8<br />
Das Nettogeldvermögen 1 :<br />
Verteilung des Nettogeldvermögens<br />
(Mittelwerte) auf die nach Dezilen geordneten<br />
privaten Haushalte<br />
Grafik 5<br />
Euro<br />
250.000<br />
200.000<br />
150.000<br />
100.000<br />
50.000<br />
0<br />
-50.000<br />
1 2 3 4 5 6 7 8 9 1<br />
1993<br />
1998<br />
2003<br />
Dezile<br />
Quelle: ZEW 2<br />
Das Immobilienvermögen 3 Grafik 6<br />
Verteilung der Immobilienvermögen<br />
der nach Dezilen geordneten<br />
privaten Haushalte<br />
Euro<br />
800000<br />
600000<br />
400000<br />
200000<br />
0<br />
-200000<br />
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.<br />
2003<br />
Dezile<br />
Quelle: ZEW<br />
1 Nettogeldvermögen: verzinsliche Geldvermögen (Spar- und Bausparguthaben, Termingeld, Wertpapiere,<br />
Darlehen und angesammeltes Kapital bei Lebensversicherungen) abzgl. Bau- und Konsumschulden<br />
2 ZEW – Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung GmbH: Abschlussbericht zum Forschungsauftrag<br />
des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung "Die Entwicklung und Verteilung<br />
des Vermögens privater Haushalte unter besonderer Berücksichtigung des Produktivvermögens,<br />
Fassung vom 18.01.05<br />
3 Verkehrswerte abzgl. Hypothekenschulden<br />
23
I. Kapitel: — <strong>Der</strong> <strong>Neokapitalismus</strong> <strong>ein</strong> <strong>Auslaufmodell</strong><br />
Das Produktivvermögen 1 Grafik 7<br />
Verteilung des Betriebsvermögens<br />
der nach Dezilen geordneten<br />
privaten Haushalte<br />
Mrd. Euro<br />
400<br />
300<br />
200<br />
100<br />
0<br />
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.<br />
Dezile<br />
2003<br />
Quelle: ZEW<br />
Das Nettovermögen 2 Grafik 8<br />
Nettovermögen der privaten Haushalte<br />
Verteilung der Nettovermögen<br />
der nach Dezilen geordneten privaten Haushalte<br />
Tsd. Euro<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
-20<br />
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.<br />
Dezile<br />
2002<br />
2007<br />
Quelle:DIW Berlin 2009<br />
"Reiche werden immer reicher, Arme bleiben arm. Ostdeutschland verarmt zusehends.<br />
Hohe Arbeitslosigkeit und verfallende Immobilienpreise begünstigen die Ungleichheit.<br />
Erbschaftssteuerreform und Abgeltungssteuer fördern die Ungleichheit."<br />
Das ist das Ergebnis <strong>ein</strong>er Studie des DIW. 3<br />
1 Besitz von, bzw. die Beteiligung an Unternehmen: Sachanlagen (inkl. gewerblicher Grundstücke,<br />
abzgl. gewerblicher Kredite), sonstige Beteiligungen, Aktien-Direktbesitz<br />
2 Individuelles Nettovermögen der Personen in privaten Haushalten im Alter ab 17 Jahren<br />
3 Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW): Wochenbericht 4 vom 21. Januar 2009:<br />
Gestiegene Vermögensungleichheit in Deutschland<br />
Die Ergebnisse beruhen auf <strong>ein</strong>em von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Forschungsvorhaben<br />
zur Vermögensverteilungsrechnung und erweiterter Analysen des DIW.<br />
Empirische Grundlagen sind die vom DIW in Zusammenarbeit mit Infratest Sozialforschung erhobenen<br />
Daten der Langzeitstudie sozio-oekonomisches Panel (SOEP).<br />
24
I. Kapitel: — <strong>Der</strong> <strong>Neokapitalismus</strong> <strong>ein</strong> <strong>Auslaufmodell</strong><br />
In ihrem zweiten Armuts- und Reichtumsbericht stellte die Bundesregierung fest:<br />
„Die Privatvermögen in Deutschland sind allerdings sehr ungleich verteilt. Die unteren<br />
50% der Haushalte verfügen über etwas weniger als 4% des gesamten Nettovermögens,<br />
während die vermögensstarken 20% aller Haushalte rund zwei Drittel<br />
des gesamten Nettovermögens auf sich ver<strong>ein</strong>igen. Auf das oberste Dezil entfallen<br />
all<strong>ein</strong> knapp 47% des gesamten Nettovermögens. Dieser Anteil des obersten Dezils<br />
ist gegenüber 1998 um gut zwei Prozentpunkte gestiegen.“ In s<strong>ein</strong>em Wochenbericht<br />
4/2009 berichtet das DIW, dass der Anteil des obersten Zehntels 2007 auf 61 Prozent<br />
stieg!<br />
Seit 2002 sind die Reichsten (oberstes Dezil) noch reicher geworden. Ihr Anteil am<br />
Gesamtnettovermögen (Immobilienbesitz, Betriebsvermögen, Geldvermögen, Vermögen aus<br />
privaten Versicherungen, Sachvermögen in Form wertvoller Sammlungen wie Gold, Schmuck, Münzen<br />
oder Kunstgegenstände abzüglich der Verbindlichkeiten) ist im Zeitraum 2002 bis 2007<br />
von 58 auf 61 Prozent gestiegen. Die Ärmsten (unterstes Dezil) wurden noch ärmer;<br />
ihr Anteil fiel von minus 1,2 auf minus 1,6 Prozent; die Anteile der 2. 3. und 4. Dezile<br />
blieben unverändert bei 0,0 bzw. 0,4 Prozent; die Haushalte der 5. bis 9. Zehntel verringerten<br />
sich geringfügig, das 9. Dezils verlor am meisten; s<strong>ein</strong> Anteil am gesamten<br />
Nettovermögen fiel von 19,9 auf 19,0 Prozent zurück.<br />
Insgesamt belief sich das private Bruttovermögen (ohne Hausrat und Autos) auf rund.<br />
8 Billionen Euro. Die Verbindlichkeiten betrugen 2007 gut 1,4 Billionen Euro, vorrangig<br />
bestehend aus Konsumenten- und Hypothekarkrediten. Nach Abzug dieser<br />
Verbindlichkeiten betrug das Nettovermögen in Deutschland im Jahr 2007 insgesamt<br />
6,6 Billionen Euro — je Erwachsenem entspricht dies 88.000 Euro.<br />
2. Wirtschaftsmengenwachstum (Grafik 9)<br />
Die mit der Regierungsübernahme durch Helmut Kohl 1982 <strong>ein</strong>setzende Umverteilung<br />
der Einkommen von "unten nach oben" zeigt faule, die Gesellschaft zersetzende<br />
Früchte. Das <strong>ein</strong>e Markenzeichen der Sozialen Marktwirtschaft, die von Müller<br />
Armack durchgesetzte interpersonelle Einkommensumverteilung nach sozialen Gesichtspunkten,<br />
bleibt im Zeitverlauf neokapitalistisch gesteuerter Politik mehr und<br />
mehr auf der Strecke. Dies schwächt zwangsläufig die Massenkaufkraft mit schrumpfenden<br />
Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts (BIP) als Folge.<br />
Wirtschaftsmengenwachstum<br />
in Deutschland<br />
Grafik 9<br />
10<br />
8<br />
6<br />
%<br />
4<br />
2<br />
Wachstum<br />
0<br />
-2<br />
1950-<br />
1960<br />
1960-<br />
1970<br />
1970-<br />
1991<br />
1991-<br />
2001<br />
2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009<br />
-4<br />
-6<br />
Quelle: Statistisches Bundesamt, begleitmaterial zur Pressekonferenz am 13.10.2010<br />
25
I. Kapitel: — <strong>Der</strong> <strong>Neokapitalismus</strong> <strong>ein</strong> <strong>Auslaufmodell</strong><br />
3. Arbeitslosigkeit stellt sich <strong>ein</strong><br />
3.1 Arbeitlose 1991 bis 2008 (Grafik 10)<br />
Da der Produktivitätszuwachs <strong>ein</strong>erseits nur begrenzt in Arbeitszeitverkürzungen<br />
umgesetzt und andererseits nicht in mehr Wachstum weitergegeben werden<br />
konnte, war Massenarbeitslosigkeit der bittere Preis. Die registrierte und offene Arbeitslosigkeit<br />
erreichte 2005 mit 4,9 Mio. bzw. 6,3 Mio. Arbeitslosen ihre Höhepunkt<br />
Arbeitslosigkeit<br />
Jahresdurchschnitt in Tsd.<br />
Grafik 10<br />
Tsd. Personen<br />
7000<br />
6000<br />
5000<br />
4000<br />
3000<br />
2000<br />
1000<br />
0<br />
1991<br />
2001<br />
2004<br />
2005<br />
2006<br />
2007<br />
2008<br />
2009<br />
Registrierte und<br />
verdeckte<br />
Arbeitslosigkeit<br />
Registrierte<br />
Arbeitslose<br />
Quelle: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage,<br />
Jahresgutachten 2009/10<br />
Als verdeckte Arbeitslose werden diejenigen in die Arbeitslosenstatistik aufgenommen,<br />
die zum <strong>ein</strong>en in Umschulungs- bzw. Arbeitsbeschaffungsmaßnehmen beschäftigt<br />
sind. Zum anderen ist es die "Stille Reserve", das wiederum sind Arbeitslose,<br />
die <strong>ein</strong>e Meldung beim Arbeitsamt für nicht erfolgreich und damit für überflüssig<br />
halten.<br />
3.2 Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich (Grafik 11 +12)<br />
Immer mehr Erwerbstätige müssen sich mit Arbeitsplätzen im Niedriglohnbereich<br />
abfinden. Das Heer der im Niedriglohnsektor Tätigen steigt seit Jahren. Eindrücklich<br />
belegen dies Statistiken des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).<br />
<strong>Der</strong> Anteil der Vollzeit-Niedriglohnbeschäftigten 1 an allen sozialversicherungspflichtigen<br />
Vollzeitbeschäftigten stieg in Westdeutschland von 1980 bis mit 2003 von<br />
14,0 auf 16,9 Prozent und in Ostdeutschland von 1993 bis mit 2003 von 12,1 auf<br />
ebenso 16,9 Prozent. Für Deutschland erhöhte sich dieser Anteil 1993 auf 16,6,<br />
2003 auf 18,6 Prozent und fiel 2005 geringfügig auf 18,2 Prozent; dies waren jedoch<br />
noch immer beachtliche 2.6 Millionen Personen (vgl. Grafik 11 und 12).<br />
1 Niedriglohn-Beschäftigte unter Berücksichtigung der jeweiligen Niedriglohnschwellenwerte: Diese<br />
lagen für Westdeutschland 1980 bei 886 Euro und 2003 bei 1.772 Euro; in Ostdeutschland 1993 bei<br />
983 Euro, 2003 bei 1697 Euro.<br />
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I. Kapitel: — <strong>Der</strong> <strong>Neokapitalismus</strong> <strong>ein</strong> <strong>Auslaufmodell</strong><br />
Eine weitere Statistik erfasst "Geringfügig entlohnte Beschäftigte (vgl. Grafik 13),<br />
dies sind r<strong>ein</strong>e Mini-Jobber in <strong>ein</strong>em Beschäftigungsverhältnis mit maximal 400 Euro<br />
pro Monat, aber auch Beschäftigte, die zusätzlich zu <strong>ein</strong>er anderen sozialversicherungspflichtigen<br />
Vollzeit- oder Teilzeitbeschäftigung in <strong>ein</strong>em Mini-Job arbeiten –<br />
letztere waren 2005 im Jahresdurchschnitt etwa 1,75 Mio. Personen.<br />
Anteil der Vollzeit-Niedriglohnbeschäftigten an<br />
der Zahl aller sozialversicherungpflichtigen<br />
Vollzeitbeschäftigten<br />
Grafik 11<br />
20<br />
Prozent<br />
15<br />
10<br />
5<br />
West-<br />
Ost-<br />
Deutschland<br />
0<br />
1980 1985 1990 1993 2000 2003 2005<br />
Quelle: IAB Forschungsbericht Nr. 12/2006<br />
Grafik 12<br />
Sozialversicherungspflichtige<br />
Vollzeit-Niedriglohnbeschäftigte<br />
2600<br />
2500<br />
2400<br />
2300<br />
2200<br />
2100<br />
2000<br />
1980 1985 1990 1995 2000 2003<br />
Tsd. Personen<br />
Quelle: Bundesagentur für Arbeit<br />
Grafik 13<br />
Geringfügig entlohnte Beschäftigte<br />
(Mini-Jobber maximal 400 Euro im Monat)<br />
Personen<br />
8000<br />
6000<br />
4000<br />
2000<br />
Tsd. Personen<br />
0<br />
2002 2003 2004 2005<br />
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I. Kapitel: — <strong>Der</strong> <strong>Neokapitalismus</strong> <strong>ein</strong> <strong>Auslaufmodell</strong><br />
Leider stehen diese Daten erst ab dem Stichtag 30. Juni 2003 zur Verfügung. <strong>Der</strong><br />
Anstieg der Zahl der geringfügig entlohnten Beschäftigten in nur drei Jahren – von<br />
5,5 Mio. auf 6,8 Mio. Personen ist beachtlich. 1<br />
Obige Daten sind alarmierend und Ausdruck <strong>ein</strong>er völlig verfehlten Arbeitsmarktund<br />
Sozialpolitik. Dass die Große Koalition den Abbau der Arbeitslosigkeit in Anbetracht<br />
dieser Daten und des auf Arbeitslose ausgeübten Zwangs, jegliche Arbeit anzunehmen,<br />
als Erfolg erklärt, kann ich nicht nachvollziehen.<br />
Zusammenfassend ist festzustellen: Die nach den Glaubenssätzen der neokapitalistischen<br />
Wirtschaftsdoktrin gestaltete Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik hat zu<br />
<strong>ein</strong>em sich verstärkenden Prozess der Spaltung der Gesellschaft in Gewinner und<br />
Verlierer geführt. In Deutschland, noch immer <strong>ein</strong>es der reichsten Länder der Welt,<br />
wächst die Diskrepanz zwischen arm und reich.<br />
Die fortschreitende Spaltung der Gesellschaft in Verlierer und Gewinner, mit dem<br />
derzeitigen "Tal der Tränen" für die Verlierer, rechtfertigen Neokapitalisten als <strong>ein</strong> unvermeidbares<br />
Durchgangsstadium auf dem Weg zum Wohlstand für alle.<br />
Diese Ungleichheit gilt indes nicht nur für Deutschland und Europa, sie ist <strong>ein</strong> weltweites<br />
Ärgernis. Für alle Weltregionen ist die Verteilung der Einkommen ungleicher<br />
geworden. Bemerkenswert ist, dass weltweit fast alle Einkommensgruppen anteilmäßig<br />
verloren haben; lediglich das reichste Fünftel der Weltbevölkerung konnte s<strong>ein</strong>en<br />
ohnehin hohen Anteil weiter ausbauen. "<strong>Der</strong>zeit eignen sich die reichsten 20 Prozent<br />
der Weltbevölkerung fast die Hälfte der Einkommen an, während sich das ärmste<br />
Fünftel mit wenig mehr als 6 Prozent zufrieden geben muss. Aber auch die mittleren<br />
Einkommensgruppen verlieren, die Einkommensverteilung polarisiert sich ausschließlich<br />
zugunsten der reichsten 20 Prozent" (Jörg Goldberg: Weltwirtschaft und Einkommensverteilung,<br />
in: Blätter für deutsche und internationale Politik 1/2008). Das Ergebnis ist<br />
politisch gewollt. Neokapitalisten wollen die Steigerung der Unternehmensprofite.<br />
1 Eine exakte Aussage, in welchem Umfang Hartz IV mit s<strong>ein</strong>en rigiden Zumutbarkeitskriterien und<br />
angedrohten Strafen zum Anstieg des Niedriglohnsektors beitrug, ist nicht möglich. Geringfügige<br />
Beschäftigung und Mini-Jobs existierten bereits vor der Einführung der Hartz IV-Gesetze.<br />
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