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Lesen - Golf Dornseif

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Tarnkappen-Blockadebrecher Kurs Sansibar<br />

von <strong>Golf</strong> <strong>Dornseif</strong><br />

Carl-Friedrich Christiansen, seinerzeit Oberleutnant zur See, wurde während des Ersten Weltkriegs vom<br />

Admiralstab beauftragt ein deutsches Versorgungsschiff mit Torpedos, Munition, Sanitätsmaterial und<br />

anderen wichtigen Gütern sowie technischen Ersatzteilen dem Kreuzergeschwader des Admirals Graf<br />

Spee zuzuführen, der am Kap Horn operierte. Bereits am 8. Dezember 1914 traf in der Heimat die<br />

Nachricht ein, dass der Gegner nahe den Falkland Inseln vernichtend zugeschlagen hatte und Spees<br />

Untergang mit 1500 Männern besiegelte.<br />

Beim Admiralstab musste jetzt umdisponiert werden und die aktuelle Lagebesprechung ergab folgendes<br />

Bild: Kleiner Kreuzer KÖNIGSBERG liegt in der Flussmündung des Rufidji schachmatt und wird von den<br />

britischen Seestreitkräften am Auslaufen gehindert. KÖNIGSBERG sitzt in der Falle! Auftrag: Dem<br />

Kreuzer zu Hilfe kommen, Maschinen und Geschütze instandsetzen, Nachschub an Munition und Proviant<br />

liefern sowie der Schutztruppe in Deutsch-Ostafrika Bedarfsgüter aller Art zukommen lassen ...<br />

Blockadebrecher KRONBORG<br />

auf hoher See getarnt als<br />

dänischer und somit neutraler<br />

Frachtdampfer.<br />

Kapitän zur See Grashoff, zuständiger Abteilungsleiter für das Himmelfahrtskommando, erläuterte<br />

schonungslos: "Wir haben keine Ahnung, was dort gerade vor sich geht. Es existiert keine<br />

Funkverbindung mehr zwischen dem Schutzgebiet und Deutschland. Improvisation und Fantasie sind<br />

gefragt. Gute Fahrt!"<br />

Beratungen mit dem Reichskolonialamt und dem Oberkommando der Schutztruppe in Berlin verzögerten<br />

das Auslaufen beträchtlich, weil man sich "höheren Orts" nicht einig werden konnte. Erst Ende Januar<br />

1915 erhielt Christiansen in Berlin seine Bestallung als "Kommandant S.M. Sperrbrecher A", Hilfsschiff für<br />

DOA, für den Kreuzer KÖNIGSBERG und die Kaiserliche Schutztruppe ..."


Der 6.000 Tonnen grosse Dampfer RUBENS wurde in Wilhelmshaven eilig umgebaut. Ursprünglich<br />

handelte es sich um ein britisches Schiff, das im Hamburger Hafen vom Ausbruch der Feindseligkeiten<br />

"erwischt" und konfisziert werden konnte: ein fast neuer und starker Dampfer. Offiziell heisst es aus<br />

Gründen der Geheimhaltung: RUBENS soll ersatzweise im minenverseuchten Nordsee-Gebiet als<br />

sogenannter Sperrbrecher den grossen Kriegsschiffen voraus fahren.<br />

An unterschiedlichen Liegeplätzen wartete kostbare Ladung auf den Frachter: 2000 Tonnen Steinkohle für<br />

den untersten Laderaum, zur Versorgung der KÖNIGSBERG, darüber reichlich Munition in vielfältiger<br />

Sortierung, fünf Millionen Gewehrpatronen zugunsten der Schutztruppe, Geschütze, zahlreiche Gewehre<br />

und Maschinengewehre, Ersatzteile für Maschinen, Uniformen, Zelte, Konserven usw. Im Kohlenbunker<br />

lagerte eine zerlegte leistungsstarke Funkanlage, sorgfältig versteckt. Das Panorama eines harmlosen<br />

Frachters durfte nicht unangenehm auffallen bei misstrauischen Inspektionen durch gegnerische Mächte.<br />

Zur Ausfahrt durch die deutschen Minenfelder in der Nordsee assistierte der Sperr-Kommandant Kapitän-<br />

Leutnant von Cappeln mit seinem Kameraden, dem Seewehr-Kapitänleutnant Kirchheim. Letztes<br />

Kommando aus dem Sprachrohr eines begleitenden Torpedoboots: "Entlassen!" Das heisst, kein weiteres<br />

Risiko durch deutsche Minen, freie Fahrt ab sofort ...<br />

Während der Nachtstunden verändert sich das Schiff äusserlich stark durch eine Art Tarn-Montage im<br />

Eigenbau. Mehrere Deckshäuser verschwinden. Das Schornstein-Abzeichen, Erkennungsmarke eines<br />

normalen Frachters, verändert Form und Farbe. Frühmorgens leuchtet der ganze Schlot zitronengelb mit<br />

einem blutroten Danebrog. In anderen Worten: dieser Steamer verwandelte sich über Nacht täuschend<br />

ähnlich in den dänischen Frachtdampfer KRONBORG, der in Wirklichkeit zur Stunde in Kopenhagen im<br />

Dock lag. Zwei Uhr früh: Helgoland und Amrum werden passiert, lautlos und abgeblendet.<br />

Gegen sieben Uhr früh erreicht die KRONBORG einen verabredeten Treffpunkt mit U-9, das die<br />

Marschrichtung bis Norwegen sichern sollte. Aber U-9 tauchte nicht auf wegen Maschinenschaden, und<br />

weiter geht die Fahrt auf eigene Rechnung. Plötzlich kam ein Kompaniedampfer von Norden heran, ein<br />

Schiff der gleichen Reederei. Beim Passieren dippen beide Fahrzeuge freundlich ihre Danebrogs zum<br />

Gruss. Drüben ahnt niemand etwas vom "Doppelgänger" in Sichtweite, während die echte KRONBORG


Die Kartenskizze zeigt<br />

den Ort der<br />

Versenkung<br />

(Pfeilmarkierung)<br />

sowie die Aktivität der<br />

Seeleute später<br />

vereinigt mit der<br />

Schutztruppe.<br />

im Dock zu Kopenhagen generalüberholt wird. Höchste Zeit, eine neue und veränderte Maskierung<br />

vorzunehmen, doch ein übler Nordweststurm kommt dazwischen und zerzaust die Deutschen gewaltig mit<br />

zeitweiligem Maschinenschaden: eine Zylinderpackung war heraus geflogen. Zu allem Unglück<br />

verrutschte die Decksladung, und der Hilfskessel-Schornstein ging über Bord. Am Mittag des 22. Februar<br />

bei Windstärke 11 wurde notgedrungen Kurs Südwest angesagt. Starker Funkverkehr lässt auf zahlreiche<br />

feindliche Schiffe in der Umgebung schliessen. Es gelang jedoch endlich, die britische Hauptsperrzone<br />

ungesehen zu überwinden. Westlich Irland öffnet sich der weite Ozean für den Blockadebrecher.<br />

Nachts fängt der Funker die Meldung auf, dass der Admiralstab versuchen wird den Termin der<br />

voraussichtlichen Ankunft in Deutsch-Ostafrika von der Grossfunkstelle Nauen bei Berlin über Windhoek<br />

an den Kreuzer KÖNIGSBERG zu übermitteln. Der Kreuzer sollte sich ab 1. April jede Nacht melden und<br />

dem Blockadebrecher neueste Nachrichten zur Lage senden. Abends am 2. Osterfeiertag ist die<br />

KÖNIGSBERG im Äther zu vernehmen mit reichlich unangenehmen Informationen vor Ort bezogen auf<br />

die englische Küstenblockade. Mit der Antwort wartete das Hilfsschiff einige Tage nahe Mozambique und<br />

erwähnte Einzelheiten zur mitgeführten Ladung. An Bord der KÖNIGSBERG wollte man genauere<br />

Angaben zur Bunkerkohle erfahren, aber auf welche Weise konnte man sie dem eingeschlossenen<br />

Kreuzer ohne Risiko zuführen? Die Verbindung brach ab.<br />

Ein grosser Dampfer Kurs Sansibar kam nachts in Sicht, ebenso gut abgedunkelt wie die KRONBORG.<br />

Später stellte es sich heraus, dass man dem Hilfskreuzer KINFOUNS CASTLE begegnet war, ohne<br />

einander deutlicher zu erkennen. Ein neuer Funkspruch von der KÖNIGSBERG stimmt nachdenklich: Der<br />

Kapitän wollte aus dem Rufidji Flussdelta vorpreschen und auf hoher See Kohle übernehmen. Der Erste<br />

Offizier schüttelte den Kopf: Munition, Proviant und Ersatzteile liessen sich unter solchen Umständen


vielleicht umladen, nicht aber die ganz unten gelagerte Bunkerkohle (mit hohem und höchst gefährlichen<br />

Zeitaufwand). Da traf ein ergänzender Funktext ein: Der vorgeschlagene Termin zum Treffen auf hoher<br />

See sei vorläufig unbestimmt und Geduld unerlässlich ...<br />

Höchste Zeit für die KRONBORG, einen günstigen Unterschlupf zu finden und die eigene Maschine<br />

gründlich zu überholen, denn sie ist arg strapaziert worden. Eine lang gestreckte Lagune zwischen den<br />

britischen Aldabra Islands schien geeignet zu sein, doch hat dort ein grösseres Schiff noch nie geankert<br />

wegen der tückischen Untiefen. Bei Tagesanbruch wagt der Kommandant, sich den niedrigen und mit<br />

Buschwerk sowie hohen Palmen bewachsenen Inseln zu nähern. Die weissen Kämme der Brandung<br />

leuchten bereits aus grösserer Distanz. Ein grosses Kanu mit Eingeborenen wird sichtbar. Eine englische<br />

Flagge zieht am Mast auf, zumindest sieht sie britisch aus oder so ähnlich. Jetzt wird am Strand ein<br />

grosses Brandungsboot klar gemacht: ein grosser Mann mit weisser Hose und Strohhut taucht auf und<br />

winkt freundlich. Schliesslich kommt er an Bord.<br />

Der Inselkönig liefert Schildkröten<br />

Der Insulaner stellt sich als Vertreter einer französischen Firma vor, spezialisiert auf den Fang von<br />

Schildkröten. Es handelt sich um einen Mischling von der Insel Mahé . Zweimal jährlich besucht ihn ein<br />

Frachter mit vollen Segeln, stationiert auf den Seychellen Inseln. Als einziger Chef auf seiner Insel<br />

herrscht er über 100 Schwarze und ernährt sich von Schildkröten, Fischen und Reis ziemlich eintönig. Vor<br />

Monaten sei ein britisches Kriegsschiff vorbei gekommen zur Abwechslung. Es muss die KÖNIGSBERG<br />

gewesen sein, die der Mann irrtümlich als Engländer einschätzte wie das weitere Gespräch zeigte.<br />

Die deutschen Offiziere versichern dem Neugierigen, dass man von Südafrika zum Roten Meer<br />

unterwegs sei und die Maschine reparieren müsse während einer Zwangspause. "Wollen Sie tatsächlich<br />

in diesen engen Korallenkanal vordringen?" fragt der Gast besorgt. "Das hat bis jetzt keiner riskiert!"<br />

Antwort: "Wir brauchen unbedingt ruhiges Wasser, um an der Schraube arbeiten zu können ..."<br />

Der ungebetene Robinson bleibt einige Tage an Bord und geniesst die vermeintliche dänische<br />

Gastfreundschaft in vollen Zügen. Vor der Lagunen-Einfahrt wird ein Boot zu Wasser gelassen und<br />

vorgeschickt, um Einfahrt, Hindernisse usw. zu erkunden sowie Richtungsmarken zu setzen. Abends<br />

gelingt das kühne Manöver tadellos, und in 40 Meter Tiefe rasselt der Anker auf den Korallengrund.<br />

Hier wird Munition des versenkten<br />

Kreuzers KÖNIGSBERG an Land<br />

getrocknet und für die geborgenen<br />

Geschütze wieder nutzbar gemacht<br />

(nach Taucher-Einsatz).<br />

Wunderbar klares Wasser fasziniert die Deutschen in dieser unberührten Natur. Überall tummeln sich<br />

Prachtexemplare von Schildkröten zwischen farbenfrohen Fischen. Der Ausguck beobachtet Tag und<br />

Nacht, ob irgendwo Gegner erkennbar werden. Der Wechsel von Ebbe und Flut und das Drehen des<br />

Schiffs im starken Strom bedarf grösster Aufmerksamkeit, um Havarien zu vermeiden. Die KRONBORG


liegt nun etwa 300 Meter abseits der Einfahrt zur Lagune, hinter einer vorspringenden Inselecke<br />

verborgen. Zum ersten Mal nach 53 Tagen Seefahrt herrscht Ruhe und Entspannung. Robinsons<br />

Untertanen liefern Kokosnüsse und Schildkröten als willkommene Gaben.<br />

Es wird Zeit, die Kohlenbunker aufzufüllen und klar Schiff zu machen im Rahmen der begrenzten<br />

Möglichkeiten. Der Liegeplatz erweist sich nach eingehender Begutachtung aller Umstände als zu<br />

gefährlich für Reparaturarbeiten wegen der unberechenbaren Strömungen. Niemand an Bord ahnte, dass<br />

zur gleichen Zeit der britische Hilfskreuzer KINFOUNS CASTLE Kurs auf die Insel genommen hatte und<br />

sie am nächsten Morgen auch erreichte. Neuer Funkspruch der KÖNIGSBERG: Treffen im Hafen von<br />

Tanga empfohlen. Der Kommandant ordnet an, das Schiff neu anzumalen mit den Farben der BRITISH<br />

INDIA LINE.<br />

Inzwischen ist der Hafen von Tanga noch sechs Seemeilen entfernt. Ehe die KRONBORG ihn erreichen<br />

kann, kommt ein viel schnellerer feindlicher Kreuzer mit Volldampf in Sicht, und Kapitän Christiansen<br />

entschliesst sich sofort in die schmale Mansa-Bucht zu schlüpfen: dorthin kann der Gegner nicht gefahrlos<br />

folgen wegen seines Tiefgangs. Andererseits bietet sich dem deutschen Blockadebrecher die Chance, im<br />

flachen Wasser das eigene Schiff selbst zu versenken und trotzdem die Ladung zu retten bei nächster<br />

Gelegenheit!<br />

Christiansen lässt die Reichsfarben setzen und den Danebrog niederholen. Vom britischen Kriegsschiff<br />

donnert die erste Salve landwärts. Der Aufschlag liegt einige hundert Meter zu kurz, weitere Granaten<br />

ebenfalls. Schliesslich ist die Einfahrt zur Mansa-Bucht unversehrt erreicht, und eine schmale Landzunge<br />

schiebt sich zwischen beide Rivalen. Die Aufschläge der letzten Salve prasseln dicht hinter dem Heck der<br />

KRONBORG ins Kielwasser. Danach schweigen die Geschütze vorerst.<br />

Mittlerweile konnte man herausfinden, dass der Kreuzer HYAZINTH als Gegenspieler agierte. Was wird<br />

sein nächster Schachzug sein ? HYAZINTH dreht mit langsamer Fahrt nach Norden und gibt<br />

vorsichtshalber auf, weil er vielleicht eine Falle der Deutschen befürchtet. Vom Strand in der Bucht löst<br />

sich ein Boot mit einem Offizier der Schutztruppe in Khaki-Uniform. Zuletzt fällt der Anker in die Tiefe: in<br />

der nördlichsten Ecke der Landzunge, kaum noch einen Meter tiefes Wasser unter dem Kiel. Geschafft!<br />

Es war ein Irrtum, denn die Kanonade setzt jetzt wieder ein mit Einschlägen in etwa 70 Meter Distanz vom<br />

Schiff. Erste Treffer im Vorschiff und am Kohlenbunker folgen rasch. Der Schornstein fliegt davon, es wird<br />

brenzlig.<br />

Höchste Zeit zum Befehl: Bodenventile öffnen! Alle Räume fluten! Oberschiff anzünden! Alles nach Plan<br />

ausführen wie erprobt! Es qualmt gewaltig, um die Verfolger zu beeindrucken. Die Wassermengen<br />

müssen möglichst gleichmässig reguliert werden zur Sicherung der Ladung (später).<br />

Geborgenes Schiffsgeschütz des Kreuzers KÖNIGSBERG mit improvisierter Lafette<br />

und Radsätzen: gesprengt im Verlauf des Rückzugs der Schutztruppe wegen der<br />

Schwerfälligkeit (Bespannung mit Zugochsen).


Nächstes Kommando: Alle Mann vom Schiff weg! Zwei Boote, kaum beschädigt, werden zu Wasser<br />

gelassen als Lebensretter. Der Kapitän schnappt sich noch wichtige Dokumente und seinen braven<br />

Bordhund. Unaufhörlich krachen die Schrapnelle und zerfetzen die KRONBERG stückweise: bisher rund<br />

30 Einschläge nach grober Schätzung der Mannschaft. Plötzlich schweigen die Engländer und pausieren<br />

wie es scheint. Soll man an Bord zurückkehren und löschen? Arbeiten die Briten mit Tricks? Auf einmal<br />

erscheint der feindliche Kreuzer in der Buchteinfahrt und schiesst aus allen Rohren noch intensiver als<br />

zuvor. Letzte Chance: schleunigst an Land rudern und schwimmen, um dieser Feuerhölle zu entkommen.<br />

Während der Landung des letzten Rettungsboots ist das erste schon untergegangen, und die Insassen<br />

suchen schwimmend Zuflucht im Dickicht der Mangroven, im Sumpfgebiet voller Wurzeln und Schlick,<br />

nahezu undurchdringlich. Der Kreuzer dürfte etwa 2000 Meter vom deutschen Schiff liegen und neue<br />

Pläne schmieden, aber welche? Maschinengewehre rattern in der Ferne. Aber wer feuert da auf wen im<br />

einzelnen? Der Kapitän hat nur vier Mann in greifbarer Nähe, denn alle übrigen sind irgendwo zerstreut.<br />

Christiansen gibt mit der Batteriepfeife Signale, und irgendwoher kommt Antwort aus dem Dschungel.<br />

Nach einer Stunde haben die Matrosen teilweise festen Boden unter den Füssen und atmen auf. Die<br />

HYAZINTH streut unverdrossen ihre tückischen Schrapnells in Richtung der Flüchtigen.<br />

Kapitän Christiansen erwischt es beinahe, und er verliert das Bewusstsein mit Verletzungen. Als er wieder<br />

zu sich kommt, legen ihm seine Leute einen Notverband an, und er lehnt mit dem Rücken gegen eine<br />

Palme. Das rechte Bein des Kommandanten ist durch Splitter gerissen und blutet heftig. Maschinisten-<br />

Maat Hansen fiel der gleichen Granate zum Opfer, schwer verwundet. Unverhofft ertönt ein fremdartiges<br />

Trompetensignal in der Nähe, und eine lang gezogene Schützenkette macht sich bemerkbar: die<br />

Kaiserliche Schutztruppe eilt zur Rettung herbei ...<br />

Es handelt sich um eine Kompanie Askaris aus Tanga, die ausschwärmt, um Verwundete und<br />

Versprengte zusammen zu führen und die Bucht zu sichern. Tatsächlich konnte die komplette<br />

Schiffsbesatzung quicklebendig beim Sammeln Meldung erstatten. Patrouillen berichten, dass die Briten<br />

inzwischen Boote ausgesetzt haben, um die KRONBERG genauer zu untersuchen, doch MG-Feuer der<br />

Askaris von Land her stoppt ihre Neugier sogleich„ Dann dampft die HYAZINTH heimwärts und verliert die<br />

Lust an Nahkampf-Risiken mit den Deutschen.<br />

Nach einer Erholungspause marschieren Askaris und Matrosen mit den Offizieren Richtung Amboni. Der<br />

grösste Teil der Besatzung. kehrt am folgenden Morgen zur Bucht zurück, um die kostbare Ladung<br />

bergen zu helfen, von der die Briten annahmen, dass sie längst vernichtet worden sei. Unterdessen<br />

versorgte das Feldlazarett Tanga alle Verwundeten und Kranken sachkundig und liebevoll, sodass sich<br />

die Seeleute pudelwohl fühlten. Die Ladung hatte alle "Strapazen" fast unversehrt überstanden und wurde<br />

der Schutztruppe so schnell wie möglich zugeführt. Letzte Lageberichte: Feuer an Bord gelöscht,<br />

Oberdeck zerschossen und ausgebrannt, Ladung in gutem Zustand leicht zu löschen ... Natürlich war<br />

einiges unbrauchbar geworden, aber dies spielte keine grosse Rolle.<br />

Aufschlussreich sind nicht zuletzt die Personalien jener tapferen Seeleute. mit ihren Heimatorten:<br />

überwiegend in Nord-Schleswig, wo man mühelos deutsch und dänisch sprach: Der Kapitän Carl-<br />

Friedrich Christiansen (Leiter des Hamburger Walfang-Kontors), Erster Steuermann Daniels (Flensburg),<br />

Zweiter Steuermann Bagger (Flensburg), Dritter Steuermann Elborg (Apenrade), Erster Maschinenmeister<br />

Hansen (Loitkirkeby) Zweiter Maschinenmeister Nissen (Norburg), Dritter Maschinenmeister Hansen<br />

(Kobberholm), Hilfsmaschinist Norling (Gravenstein), Telegrafist Wagner (Hamburg ), Telegrafist Karotki<br />

(Apenrade), Bootsmann Mathiesen (Alnor), Zahlmeister Nissen (Hadersleben), Koch Lorentzen (Husum),<br />

Küchengehilfe Tyksen (Flensburg), Matrose Möller (Apenrade), Matrose Jörgensen (Schauby), Matrose<br />

Pitzner (Angeln), Matrose Möller (Satrupholz), Matrose Warschum (Mecklenburg), Matrose Boysen<br />

(Flensburg), Zimmermann Hansen (Flensburg), Heizer Rohde (Hamburg), Matrose Maus (Rheinland),<br />

Matrose Hansen (Egernsund), Matrose Kock (Sonderburg), Matrose Bahr (Danzig ), Matrose Albrechtsen<br />

(Sonderburg), Matrose Hansen (Flensburg), Matrose Batram (Sonderburg), Matrose Sörensen<br />

(Schweden).


Diese Männer wären notfalls in der Lage gewesen, sich bei Kontrollen durch britische Kriegsschiffe als<br />

"echte Dänen" auszugeben an Bord eines täuschend echten dänischen Frachters.<br />

Zweiter Maschinenmeister Hans Nissen starb kurz nach der Heimkehr. Küchengehilfe Tyksen starb in<br />

Afrika an den Folgen eines Schlangenbisses. Matrose Christian Möller starb kurz nach der Heimkehr.<br />

Matrose Boysen wurde das Opfer von Malaria. Heizer Erst Rohde starb als Kriegsgefangener in Indien.<br />

Matrose Maus starb an Malaria in Dar-es-Salaam. Matrose Albrechtsen fiel während eines Gefechts in<br />

Afrika auf Patrouille. Christian Hansen: Malaria-Tod, Carl Sörensen (Gefallen im Gefecht in Afrika).<br />

Nord-Schleswiger im Wandel der Zeiten<br />

Dänische Bestrebungen zur Eingliederung Holsteins führten im 19. Jahrhundert zu mehreren<br />

deutsch-dänischen Kriegen: zwischen 1848 und 1850 sowie nochmals 1864. Dänemark<br />

musste schliesslich Schleswig, Holstein und Lauenburg an Preussen und Österreich abtreten.<br />

Dänemark wollte ursprünglich das ganze Herzogtum Schleswig bis zum Grenzfluss Eider im<br />

Süden einem dänischen Nationalstaat einverleiben, während die deutschen Schleswig-<br />

Holsteiner ganz Schleswig bis zum nördlichen Grenzfluss Königsau gemeinsam mit Holstein in<br />

ein deutsches Staatsgebilde 1848 umformen sollten.<br />

Unbeachtet blieben dabei die muttersprachlichen Verhältnisse und nationalen Wünsche der<br />

Bevölkerung, die im Süden des Herzogtums Schleswig deutschsprachig und schleswigholsteinisch-deutsch<br />

gesinnt war, im Norden dagegen nur dänisch sprach und bald ein starkes<br />

dänisches Nationalbewusstsein entwickelte. In einem breiten Gürtel im mittleren Schleswig<br />

waren Umgangssprache und Nationalstolz gemischt.<br />

1867 entstand die preussische Provinz Schleswig-Holstein, die dann ab 1871 zum Deutschen<br />

Reich gehörte. Während des Ersten Weltkriegs blieb das Königreich Dänemark neutral wie die<br />

übrigen skandinavischen Staaten, tendenziell im allgemeinen deutschfreundlich orientiert.<br />

Nach dem Krieg musste Deutschland als Folge des Versailler Vertrags Nord-Schleswig an<br />

Dänemark zurückgeben, gestützt auf eine Volksabstimmung. Nord-Schleswig entschied sich<br />

am 10. Februar 1920 mit 75 Prozent der abgegebenen Stimmen für den Anschluss an<br />

Dänemark, nachdem in zwei Abstimmungszonen gewählt werden konnte. In der sogenannten<br />

Zweiten Zone südlich der sogenannten Clausen-Linie votierte man für Deutschland. Diese<br />

Clausen-Linie entspricht der gegenwärtigen Grenzlinie: sie trennt beide Zonen.<br />

Sowohl das nationalsozialistische Engagement als auch die freiwillige Teilnahme am Zweiten<br />

Weltkrieg belasteten etwa 2200 junge Nord-Schleswiger schwer und führten ab 1945 zu<br />

zahlreichen Verurteilungen wegen Landesverrats und Kolloboration mit rückwirkender Kraft<br />

(Rechtsabrechnung genannt). Dänemark wurde am 9. April 1940 von der Wehrmacht besetzt.<br />

Gegenwärtig verstehen sich von den 250.000 Bewohnern der dänischen Amtskommune<br />

(Kreis) SONDERJYLLAND ungefähr acht Prozent als deutsche Nord-Schleswiger, die loyal mit<br />

dem Königreich sympathisieren.<br />

Landkampf bis zum bitteren Ende<br />

In den Erinnerungen des ehemaligen KRONBORG-Heizers Nils Kock, eines Nord-Schleswigers wie fast<br />

alle Kameraden, spielt der Endkampf an Land in Deutsch-Ostafrika eine entscheidende Rolle. Er wurde<br />

bei der Herstellung von Munition und als Transport-Unteroffizier eingesetzt und begegnete in Dar-es-<br />

Salaam zufällig einem Landsmann aus Kekenäs, der ebenfalls an Bord eines dänischen Tarnkappen-<br />

Frachters Monate zuvor in DOA mit der MARIE aus Kopenhagen eingelaufen war unter vergleichbaren


Umständen wie die KRONBORG, allerdings unversehrt und ungestört, überhaupt nicht belästigt von<br />

lauernden Briten-Kreuzern. MARIE versorgte Lettow-Vorbecks Schutztruppe mit einer Batterie aus vier<br />

Haubitzen sowie Bedienungspersonal. Das weitere Schicksal dieses Blockadebrechers blieb unbekannt,<br />

denn die MARIE lief nochmals aus mit unbekanntem Kurs.<br />

Kock erlebte zuletzt die Kapitulation der Schutztruppe Lettow-Vorbecks in Nambindinga, zumindest eines<br />

Teils der Truppe und aller ihrer Verwundeten sowie Kranken. Nambindinga war eigentlich nur eine<br />

geographische Bezeichnung, also weder Dorf noch Stadt oder Festung. Man improvisierte ein Lager mit<br />

Zelten, Trägerkolonnen, Askari-Kompanien, Safaris aus Kindern und Müttern als Begleitung der Askari-<br />

Väter und Ehemänner nach Landessitte. Sollte in letzter Stunde noch ein Durchbruch gewagt werden mit<br />

Oberst von Lettow-Vorbeck, der stets für Überraschungen gut schien?<br />

Kranke und Verwundete mussten jedenfalls zurückbleiben, und Kock litt schwer an Malaria. Der Militärarzt<br />

lehnte ab: Sie müssen hier bleiben und sich den Briten ergeben als Kranker! Kock sagte seinen Trägern<br />

Lebewohl, tief gerührt und verzweifelt. Die schwarzen Soldaten zerbrachen ihre Gewehre und warfen sie<br />

ins Lagerfeuer. Am folgenden Morgen tauchten die ersten britischen Soldaten auf und näherten sich<br />

vorsichtig dem Camp der Wehrlosen. Das geschah am 18. Oktober 1917, während Lettow-Vorbeck sich<br />

auf Mocambique zurückzog mit seinen letzten Getreuen, auf neutrales portugiesisches Gebiet. Nils Kock<br />

kam nach Ägypten in Gefangenschaft und durfte im Herbst 1919 nach Dänemark heimkehren. Kock,<br />

Peter Hansen und Lauritz Hansen sahen am 10. September 1919 die Heimat wieder an Bord des<br />

Kreuzers VALKYRIE, umjubelt von der Bevölkerung. Als Koch später seine deutschen Militärpapiere in<br />

Berlin abgeben wollte, haben ihn die Matrosen-Revolutionäre bespuckt und als Kapitalisten-Knecht<br />

beschimpft. Dessen ungeachtet blieb er mit seinen Kameraden für die Dänen ein echter Held ...<br />

Quellen<br />

C.P. Christensen: Nord-Schleswiger verteidigen Deutsch-Ostafrika. Originalausgabe SONDERJYDER<br />

FORSVARER OSTAFRIKA 1914 - 1918<br />

(Essener Verlagsanstalt Essen 1938)<br />

A.Herzog: Sperrbrecher 15 fährt geheim<br />

(Ensslin & Laiblin, Reutlingen 1940 - Reichskolonialbund Reihe 9)


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