SIMPLICISSIMUS und seine kolonialen Karikaturen - Golf Dornseif
SIMPLICISSIMUS und seine kolonialen Karikaturen - Golf Dornseif
SIMPLICISSIMUS und seine kolonialen Karikaturen - Golf Dornseif
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>SIMPLICISSIMUS</strong> <strong>und</strong> <strong>seine</strong> <strong>kolonialen</strong> <strong>Karikaturen</strong><br />
von <strong>Golf</strong> <strong>Dornseif</strong><br />
Der in München erscheinende <strong>SIMPLICISSIMUS</strong> zählte zu den hervorragendsten<br />
satirischen deutschen Zeitschriften des wilhelminischen Zeitalters <strong>und</strong> beschäftigte sich<br />
unter anderem mit den beklagenswerten Zuständen in allen Kolonien des Reichs, wobei<br />
der Herero Aufstand <strong>und</strong> dessen Folgen eine wesentliche Rolle spielten.<br />
Welchen Einfluss der <strong>SIMPLICISSIMUS</strong> <strong>seine</strong>rzeit auf die deutsche Öffentlichkeit hatte,<br />
zumindest in den liberalen <strong>und</strong> gebildeten Schichten, soll dem gegenwärtigen Betrachter<br />
durch den folgenden Beitrag verdeutlicht werden.<br />
Der im Jahr 1896 in München von Albert Langen ins Leben gerufene sozialkritische <strong>SIMPLICISSIMUS</strong><br />
erreichte bald einen Status, der vielleicht mit dem des PUNCH in Großbritannien verglichen werden<br />
darf. Was war so einzigartig bei der Ausstrahlungskraft dieser Publikationen? Satirische Magazine gab<br />
es damals schon lange, doch die neue Zeitschrift stieß in eine Lücke, weil sie keiner politischen oder<br />
klerikalen Richtung verpflichtet war <strong>und</strong> es wagte erbarmungslos über alles zu spotten.<br />
Kein W<strong>und</strong>er, dass sich Gerichtsverfahren wegen allzu scharfer Attacken häuften, Majestätsbeleidigung<br />
inbegriffen. 1896 gab es ein Verkaufsverbot an allen preußischen Bahnhöfen. 1898<br />
wurden Thomas Theodor Heine, Frank Wedekind <strong>und</strong> Verleger Albert Langen wegen Majestätsbeleidigung<br />
Wilhelms II. verurteilt, was der Beliebtheit des Magazins ohne Zweifel zugute kam.<br />
Während der <strong>SIMPLICISSIMUS</strong> 1897 erst eine bescheidene Auflage von 15.000 zu verzeichnen hatte,<br />
steigerte sie sich 1902 auf 80.000 <strong>und</strong> 1908 sogar auf 100.000 Exemplare.<br />
Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs reihte sich allerdings auch der <strong>SIMPLICISSIMUS</strong> – wie<br />
alle übrigen satirischen Publikationen – in die Reihe der „blindwütigen publizistischen Vaterlandsverteidiger“<br />
ein. Quasi über Nacht von einer Nummer zur nächsten wurde aus dem messerscharfen<br />
Kampfblatt gegen Militarismus <strong>und</strong> Kadavergehorsam ein „national-konservatives Organ“ mit geifernder<br />
Hetze gegen die Feindmächte.<br />
Auf Anordnung des Reichs-Kolonialamtes müssen in den deutschen Schutzgebieten ab sofort alle<br />
Giraffen am Hals eine Registriernummer tragen, während für Krokodile aus Sicherheitsgründen<br />
Maulkorbzwang herrscht. Außerdem sollen die Giraffen den Parademarsch einüben! Schild an der<br />
Palme: SCHUTT UND SCHNEE ABLADEN VEBOTEN.
Während der Glanzzeit des <strong>SIMPLICISSIMUS</strong> sprachen Kenner der künstlerischen Materie respektvoll<br />
von einem „Simplicissimus Stil“ der <strong>Karikaturen</strong>, der sich so intensiv durchsetzte, dass er von fast<br />
allen anderen Karikaturisten in den folgenden Jahren mehr oder weniger nachgeahmt wurde. Ideengeber<br />
waren unter anderen der Brite Aubrey Beardsley sowie die französischen Satire-Zeichner des<br />
19. Jahrh<strong>und</strong>erts. An erster Stelle der <strong>SIMPLICISSIMUS</strong> Karikaturisten rangiert der „Chef Designer“<br />
des Magazins, der oft neben Albert Langen als Mitbegründer der Publikation bezeichnet wird: Thomas<br />
Theodor Heine (1867 – 1948), der mutmaßlich „größte deutsche politische Karikaturist“.<br />
Nachdenklicher Herero-Häuptling:<br />
„Soll ich mich jetzt für den<br />
Heldentod am Waterberg entscheiden<br />
oder lieber im Berliner Zoo als<br />
Attraktion bei den Menschen-Affen<br />
Karriere machen?“
Nach <strong>seine</strong>m Kunststudium war Heine zunächst bei den FLIEGENDEN BLÄTTERN engagiert <strong>und</strong><br />
veröffentlichte auch in Großbritannien eine Reihe Cartoons. Dem <strong>SIMPLICISSIMUS</strong> lieferte er von<br />
1896 bis 1933 jährlich etwa 50 bis 100 <strong>Karikaturen</strong>, die den Ton angaben. Heine war im übrigen<br />
Erfinder der „Roten Bulldogge“, des späteren Markenzeichens der Zeitschrift. Eugen Roth urteilte<br />
einmal über Heines Stil: „Es ist ein Strich, der schmerzt. Die Kunst des Thomas Theodor Heine ist<br />
ausgesprochen ungemütlich. Er sah die Gr<strong>und</strong>ursache der Übel unserer Zeit in der zwischenmenschlichen<br />
Gemeinheit ...“<br />
Heine schuf die meisten deutschen <strong>Karikaturen</strong> mit Kaiser Wilhelm II. im Zentrum des Spotts. Seine<br />
Darstellungen sind nie versöhnlich, oft bissig <strong>und</strong> zuletzt triefend vor Hohn. Gegner nannten ihn „einen<br />
nihilistischen Spießer <strong>und</strong> moralischen Amokläufer, andere sprachen vom Erzengel der Wahrheit“.<br />
Als der englische König in Kiel einen Fre<strong>und</strong>schaftsbesuch machte, gab man den deutschen<br />
Polizisten als Ergänzung zu ihren Säbeln jeweils einen Londoner Polizei-Gummiknüppel als kleine<br />
Aufmerksamkeit. Sollte uns demnächst ein schwarzer Kolonial-Häuptling beehren, rückt die Polizei<br />
aus Respekt in afrikanischen Lendentüchern, aus, bewaffnet mit Speeren, Pfeilen <strong>und</strong> Bogen.
Olaf Gulbransson (1873 – 1958) trat 1902 in die Redaktion des <strong>SIMPLICISSIMUS</strong> ein. Der gebürtige<br />
Norweger präsentierte jährlich 50 bis 80 <strong>Karikaturen</strong> <strong>und</strong> avancierte neben Heine zum<br />
zweitwichtigsten Zeichner des Verlagshauses. Sowohl stilistisch als auch aus der Perspektive<br />
politischer Aggressivität unterscheidet sich Gulbransson erheblich von Heine. Man sagte ihm nach,<br />
<strong>seine</strong> politischen Cartoons hätten „versöhnende <strong>und</strong> märchenhafte Züge“. Ein Kritiker urteilt bissig: „Er<br />
wechselte <strong>seine</strong> Farbe wie ein Chamäleon. Vor dem Ersten Weltkrieg liebte er zartes Rosa, nach<br />
1914 trug er Preußisch-Blau, <strong>und</strong> ab 1933 fand er, dass ihn Braun am besten kleide“.<br />
Immerhin haben Heine <strong>und</strong> Gulbransson gemeinsam 60 Prozent der <strong>Karikaturen</strong> mit Kaiser Wilhelm II.<br />
ins Blatt gehoben. Der Rest verteilt sich auf 15 unterschiedliche Zeichner, die jeweils weniger als 10<br />
Cartoons der Majestät zu Papier brachten.<br />
Stimme des Kriegsgewinnlers: „Die Sache in Südwestafrika hätte ruhig noch ein Jahr länger dauern<br />
dürfen...! In <strong>seine</strong>r Geschäftsbilanz überwiegt der Reingewinn gegenüber den Skeletten der<br />
gefallenen Soldaten.
Unter den <strong>SIMPLICISSIMUS</strong> Karikaturisten waren die jeweiligen „Interessengebiete“ sehr differenziert:<br />
Thomas Theodor Heine wandte sich vornehmlich gegen Machtmissbrauch <strong>und</strong> Untertanengeist,<br />
soziales Elend <strong>und</strong> Doppelmoral. Eduard Thöny übergoss mit dem Füllhorn <strong>seine</strong>s Hohns die<br />
hochnäsigen Militärs <strong>und</strong> versoffenen Corps-Studenten. Ferdinand von Reznicek widmete sich der<br />
Situationskomik im Münchner Amüsierbetrieb <strong>und</strong> skizzierte ein Panorama der Halbwelt, Rudolf Wilke<br />
hatte ein Auge auf Landstreicher <strong>und</strong> Bettler sowie das gesamte Lumpenproletariat.<br />
Einstimmiger Beschluss der Berliner Bürokraten: Um in Zukunft unliebsame Vorfälle in den Kolonien<br />
zu vermeiden, empfiehlt es sich, eine gesetzliche Bestimmung in die Wege zu leiten des Inhalts, dass<br />
jeder von den Eingeborenen beabsichtigte Aufstand auf deren Seite sechs Wochen vor Ausbruch<br />
anzumelden ist!
Blättert man in den erhalten gebliebenen Jahrgängen des <strong>SIMPLICISSIMUS</strong>, so konzentriert sich der<br />
Hohn <strong>und</strong> Spott vielfach auf die deutsche Militärkaste, ihre „strohdumme Einfältigkeit <strong>und</strong> Arroganz“.<br />
Einerseits werden die Druckbogen der Zeitschrift von großformatigen Cartoons ganzseitig dominiert,<br />
andererseits liefern die Textbeiträge in prägnanter Kürze reichlich Stoff zu gallenbitterer Heiterkeit.<br />
Hier ein paar Beispiele:<br />
Der Einjährig-Freiwillige (Abiturient) nimmt auf dem Kasernenhof stramme Haltung an, wie es sich für<br />
einen Rekruten gehört, <strong>und</strong> meldet <strong>seine</strong>m Leutnant untertänig: „Darf ich Herrn Leutnant gehorsam<br />
um einen Tag Urlaub bitten, um meine Immatrikulation vornehmen zu können?“ – Der verblüffte<br />
Vorgesetzte stutzt einen Augenblick <strong>und</strong> bellt dann verärgert drauflos: „Menschenskind, immer diese<br />
verdammten jüdischen Feiertage!“<br />
Es ist höchste Zeit, dass die Regierung mit aller Macht gegen die Herero vorgeht, sonst kommen die<br />
schwarzen Ungeheuer schließlich noch nach Deutschland <strong>und</strong> heben bei uns die Lohnsklaverei auf ...
Die unterschwellige Pointe besteht darin, dass im wilhelminischen Offiziersstand allgemein<br />
„Bildungsnotstand“ herrschte <strong>und</strong> der Herr Leutnant im Unterbewusstsein Begriffe wie „Konfirmation,<br />
Kommunion <strong>und</strong> jetzt auch noch Immatrikulation“ religiös gleich schaltete. Wenn man Konfirmation mit<br />
dem Protestantismus assoziierte, Kommunion mit der römisch-katholischen Kirche, so „muss“<br />
logischerweise die Immatrikulation etwas mit dem Judentum zu tun haben...<br />
Eine andere Szene beschreibt das Familienfest im Haus eines wohlhabenden Fabrikanten. Auf einem<br />
Sofa sitzen nebeneinander ein Major, die Gattin des erfolgreichen Geschäftsmanns <strong>und</strong> der blöde<br />
grinsende Sprössling im Matrosenanzug. Besorgt wendet sich die Dame des Hauses an ihren<br />
uniformierten Gast <strong>und</strong> fragt: „Unser Eduard ist ja nicht besonders helle, aber zum Leutnant wird es<br />
doch später noch reichen, mein lieber Graf?“<br />
Gramgebeugte Mutter: „Mein einziger Sohn ist in Südwest gefallen, lieber Herr“. – „Ja, liebe Frau,<br />
mich treffen die Verluste dort auch hart. Ich verdiene jetzt deutlich weiger an den Rücktransporten des<br />
Militärs“.
In einer höheren Gymnasialklasse hatten die Schüler das Aufsatzthema „Unsere Freiheitskriege“. Fast<br />
alle Arbeiten fielen zur Zufriedenheit des Professors aus, aber ein Schüler erhielt die Note<br />
UNGENÜGEND <strong>und</strong> musste sogar die Lehranstalt mit Schimpf <strong>und</strong> Schande verlassen. Sein Vater,<br />
ein untadeliger Beamter im örtlichen Rathaus, wurde vorzeitig pensioniert! Warum das alles? Der<br />
unglückliche Knabe hatte als „Freiheitskrieg“ ausgerechnet den Aufstand der Herero in Südwestafrika<br />
im Aufsatz abgehandelt.<br />
„Noch jemand da im Reichstag, der mit NEIN bei der Etat-Erhöhung für die<br />
Schutztruppe abstimmen will?“<br />
Dieser Artikel wird bereitgestellt auf: http://www.golf-dornseif.de<br />
Dieser Artikel kann gerne - unter Nennung der Quelle - zu wissenschaftlichen <strong>und</strong> privaten Zwecken<br />
verwendet werden. Die kommerzielle Veröffentlichung des Artikels - auch auszugsweise - ist nur mit<br />
schriftlichem Einverständnis des Autors erlaubt.<br />
Der Artikel ist nach besten Wissen <strong>und</strong> Gewissen ohne die Verletzung der Rechte Dritter erstellt<br />
worden. Wird eine solche Rechtsverletzung trotzdem vermutet, bittet der Autor um Kontaktaufnahme.