Dr. Götz Tobias Wiese
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<strong>Dr</strong>. <strong>Götz</strong> <strong>Tobias</strong> <strong>Wiese</strong>,<br />
Rechtsanwalt und Steuerberater, Hamburg*<br />
Wichtige Themen des Unternehmenssteuerrechts<br />
im Jahr 2010 -- ein Ausblick<br />
Nach Finanzkrise und Regierungswechsel stellt sich aus<br />
Sicht des Steuerpraktikers die Frage, welche der zahlreichen<br />
drängenden Themen auf dem Gebiet des Unternehmenssteuerrechts<br />
der Gesetzgeber im Jahr 2010 aufgreifen<br />
wird.<br />
Auch wenn sich über die richtige Steuerpolitik im Einzelnen<br />
streiten lässt, sollte ein international wettbewerbsfähiges<br />
Unternehmenssteuerrecht, das in europarechtskonformer<br />
Weise Bestand hat und Verzerrungen im Hinblick<br />
auf betriebswirtschaftliche Entscheidungen vermeidet,<br />
Ziel aller Überlegungen sein. Dies setzt voraus, dass<br />
Rechtsform, Finanzierung und konzerninterne Umstrukturierungen<br />
sich allein nach wirtschaftlichen Entscheidungsparametern<br />
richten. Zu Recht greift der Koalitionsvertrag<br />
der Regierungskoalition diesen Punkt auf und verspricht<br />
eine Modernisierung hin zu einem international<br />
wettbewerbsfähigen Unternehmenssteuerrecht. Als Ansatzpunkte<br />
werden die Neustrukturierung der Regeln zur<br />
Verlustverrechnung, die grenzüberschreitende Besteuerung<br />
von Unternehmenserträgen sowie die Einführung eines<br />
modernen Gruppenbesteuerungssystems anstelle der<br />
bisherigen Organschaft genannt.<br />
Wachstumsbeschleunigungsgesetz<br />
Erste Schritte in diese Richtung versucht die Regierung<br />
mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das am<br />
4.12.2009 vom Bundestag verabschiedet worden ist.<br />
Hierdurch setzt die Regierungskoalition ab 2010 das in<br />
dem Koalitionsvertrag angekündigte Sofortprogramm krisenentschärfender<br />
Maßnahmen um. Bis zum Redaktionsschluss<br />
dieser Ausgabe ist zwar noch unklar, ob das Gesetz<br />
den Bundesrat tatsächlich in unveränderter Form passieren<br />
wird. Kritisch wird insbesondere die Senkung des<br />
Umsatzsteuersatzes für Übernachtungen gesehen, die zu<br />
erheblichen Einnahmenausfällen der Länder führen würde<br />
(und zeigt, auf welchen Nebenkriegsschauplätzen sich der<br />
Gesetzgeber tummelt). Nicht im Fokus der Kritik stehen<br />
dagegen die Änderungen auf dem Gebiet des Unternehmenssteuerrechts.<br />
Die Änderungen betreffen durchweg Vorschriften, die<br />
schon in der Vergangenheit als falsch (weil zu rigoros) o-<br />
der systematisch zweifelhaft kritisiert worden sind. Die<br />
Maßnahmen sind daher ausdrücklich zu begrüßen, auch<br />
wenn teilweise weitergehende Entschärfungen wünschenswert<br />
gewesen wären. Im Folgenden sollen nur einige<br />
Maßnahmen beispielhaft aufgezeigt werden:<br />
-- Im Hinblick auf die Verlustnutzung wird die sog.<br />
Mantelkaufregelung (§ 8c KStG) dadurch entschärft,<br />
dass die in der Finanzkrise zunächst befristet einge-<br />
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führte Sanierungsklausel nunmehr zeitlich unbefristet<br />
Anwendung finden soll. Auch werden gruppeninterne<br />
Umstrukturierungen erleichtert. Indes werden die Unternehmen<br />
auch zukünftig damit belastet, die durch<br />
den engen Wortlaut des Gesetzes gezogenen Grenzen<br />
einzuhalten, um Verlustvorträge nicht zu verlieren.<br />
Zahlreiche Anwendungsfragen bleiben offen: Die Finanzverwaltung<br />
wird sich erneut im Erlasswege zur<br />
Anwendung der Mantelkaufregelung äußern müssen.<br />
Zudem ist -- auch im Hinblick auf europarechtliche<br />
Bedenken an der Neuregelung -- nicht auszuschließen,<br />
dass es zeitnah zu einer weiteren gesetzlichen Nachbesserung<br />
kommen muss.<br />
-- Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, wird außerdem<br />
die Freigrenze im Rahmen der Zinsschranke (§ 4h<br />
EStG) dauerhaft auf 3 Mio. € angehoben. Insbesondere<br />
für den Mittelstand ist dies eine begrüßenswerte<br />
Maßnahme. Gleichwohl wäre wünschenswert gewesen,<br />
wenn der Gesetzgeber das Konzept einer Freigrenze<br />
grundsätzlich überdacht hätte, um Härten einer<br />
"Fallbeilwirkung" zu vermeiden. Konzerngebundenen<br />
Unternehmen, die die Freigrenze überschreiten, steht<br />
nach wie vor nur die Möglichkeit des -- problematischen<br />
-- Eigenkapitalvergleichs offen. Hier sieht das<br />
Gesetz eine Anhebung des Toleranzrahmens von einem<br />
Prozentpunkt auf zwei Prozentpunkte vor. Ob<br />
dies tatsächlich zu dem gewünschten Entlastungseffekt<br />
führt, erscheint zweifelhaft. Weitgehend positiv<br />
ist dagegen die Möglichkeit des EBITDA-Vortrags zu<br />
bewerten. Bemerkenswert ist, dass eine zeitliche Limitierung<br />
des Vortrags eingeführt wird. Hier bleibt<br />
abzuwarten ob dies als Tendenz dahingehend aufzufassen<br />
ist, dass zukünftig auch andere Vortragsposten<br />
-- wie in anderen Ländern -- zeitlich limitiert werden.<br />
-- Konzerninterne Umstrukturierungen werden aus<br />
grunderwerbsteuerlicher Sicht erleichtert. Dankenswerterweise<br />
hat der Finanzausschuss die europarechtlichen<br />
Zweifel an dem ursprünglichen Entwurf,<br />
der nur Umwandlungen im Sinn des deutschen Umwandlungsrechts<br />
als unschädlich kannte, weit gehend<br />
berücksichtigt. Auch entsprechende Umwandlungsvorgänge<br />
anderer Mitgliedsstaaten der EU und des<br />
EWR werden nunmehr als unschädlich betrachtet.<br />
Zugleich werden aber diverse konzerninterne Gestaltungen<br />
(z.B. Anwachsung, Anteilsübertragungen)<br />
nicht von der Ausnahmevorschrift erfasst, obwohl für<br />
die Besteuerung dieser Vorgänge wirtschaftlich keine<br />
Rechtfertigung besteht.<br />
Als zu rigoros werden auch die erst zum 1.1.2009 reformierten<br />
erbschaftsteuerlichen Regelungen der Unternehmensnachfolge<br />
betrachtet, die nunmehr erneut überarbeitet<br />
worden sind. Ausweislich der Gesetzesbegründung<br />
sollen die Bedingungen für die Inanspruchnahme<br />
der Verschonungsregelung krisenfest ausgestaltet werden.<br />
Bemerkenswert ist hier, dass die Neuregelungen rückwirkend<br />
Anwendung finden sollen. Damit versucht die Regierungskoalition<br />
die schon vor der Erbschaftsteuerreform<br />
vielfach kritisierten hohen Bedingungen für die Inanspruchnahme<br />
der sog. Verschonungsregelung zu korrigie-<br />
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ren. Dies führt dazu, dass wieder einmal ein im Bundesgesetzblatt<br />
veröffentlichtes Gesetz niemals Anwendung<br />
finden wird. Vor dem Hintergrund der ohnehin in steuerlichen<br />
Sachverhalten bestehenden Unsicherheiten ist dieser<br />
Umstand durchaus kritisch zu betrachten.<br />
Anders als im Koalitionsvertrag vereinbart, sieht das<br />
Wachstumsbeschleunigungsgesetz hingegen keine Überarbeitung<br />
der Regelungen über die Funktionsverlagerung<br />
vor. Insbesondere im Hinblick auf die Unklarheiten<br />
der geltenden Regelung wäre dies wünschenswert gewesen.<br />
Es ist aber zu vermuten (und zur Vermeidung von<br />
handwerklichen Fehlern wohl auch zu begrüßen), dass<br />
sich die Regierung angesichts der komplexen Regelungsmaterie<br />
sowie der Diskussionen auf Ebene der OECD<br />
hierfür mehr Zeit nehmen will, so dass dieses Thema nach<br />
wie vor auf der Agenda der Regierung steht. Hierfür<br />
spricht auch, dass der Entwurf des BMF-Schreibens<br />
"Verwaltungsgrundsätze -- Funktionsverlagerung" zwar<br />
nach dem Konsultationsverfahren weiter bearbeitet wurde,<br />
aber noch nicht veröffentlicht worden ist.<br />
Insgesamt lässt sich konstatieren, dass das Wachstumsbeschleunigungsgesetz<br />
als punktuell ansetzender Maßnahmenkatalog<br />
zur Abmilderung schon in der Vergangenheit<br />
als zu rigoros kritisierter Steuertatbestände zu verstehen<br />
ist. Bedauerlich ist indes, dass es der Gesetzgeber nicht<br />
vermocht hat, die Besteuerung von Sanierungsgewinnen<br />
einheitlich neu zu regeln. Dies bleibt dringend erforderlich.<br />
Insgesamt ist der Weg zu einem Steuersystem, das<br />
unternehmerische Entscheidungen nicht behindert, noch<br />
weit.<br />
Weitere Maßnahmen<br />
Was bleibt auf dem Aufgabenzettel der Bundesregierung?<br />
Insbesondere ist das Recht zur Abzugsfähigkeit von Zinsen<br />
auf dem Prüfstand. Zwar sind thin cap rules und earnings’<br />
stripping rules auch in anderen Ländern durchaus<br />
üblich. Die konkrete Ausgestaltung des deutschen Rechts<br />
(§ 4h EStG, § 8a KStG, § 8 Nr. 1 GewStG) ist indes zu ü-<br />
berdenken. Dies gilt z.B. im Hinblick auf die in § 8a<br />
KStG enthaltene Rückausnahme im Fall schädlicher Gesellschafterfremdfinanzierung.<br />
Eine Überprüfung des<br />
geltenden Rechts würde auch der ohnehin vorgesehen Ü-<br />
berprüfung der Zinsschranke Rechnung tragen (sog. E-<br />
valuierung).<br />
Zudem wird der Gesetzgeber auch anstehende Entscheidungen<br />
des EuGH sowie des BFH zur europarechtskonformen<br />
Ausgestaltung nicht nur im Hinblick auf die Abzugsfähigkeit<br />
von Zinsen, sondern auch im Hinblick auf<br />
die Ausgestaltung des Unternehmenssteuerrechts insgesamt<br />
zu beachten haben. Schon in der Vergangenheit hat<br />
insbesondere der EuGH Vorgaben für ein europarechtskonformes<br />
Unternehmenssteuerrecht gemacht. Aber auch<br />
die Europäische Kommission moniert zunehmend die Europarechtswidrigkeit<br />
deutscher steuerlicher Regelungen.<br />
Daher gilt es nunmehr verstärkt, die europarechtlichen<br />
Vorgaben entsprechend in nationales Recht umzusetzen.<br />
Auch durch den Abschluss von Doppelbesteuerungsab-<br />
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kommen gemachte völkerrechtliche Vorgaben sind zu beachten.<br />
Sodann darf das Verfahrensrecht nicht instrumentalisiert<br />
werden, um materielle Regelungen außer Kraft zu setzen.<br />
Bei aller Rechtfertigung der Sicherung des inländischen<br />
Steuersubstrats darf der deutsche Fiskus nicht der Versuchung<br />
erliegen, Unternehmen unverhältnismäßig mit<br />
steuerlicher Compliance zu belasten und dadurch den<br />
Steuerstandort Deutschland insgesamt zu schädigen.<br />
Neben diesen -- sich aus dem internationalen und europäischen<br />
Kontext ergebenden -- Aufgaben stehen auch andere<br />
Reformprojekte an: Exemplarisch ist hier die Neuordnung<br />
der Gemeindefinanzierung zu nennen. Auch in der<br />
Steuerpraxis ergeben sich weitere wichtige Weichenstellungen.<br />
So wartet die Praxis schon lange auf die Veröffentlichung<br />
des neuen Umwandlungssteuererlasses. Die<br />
Folgen des BilMoGs sind noch nicht abschließend geklärt.<br />
Und, wie man hört und liest, arbeitet die Finanzverwaltung<br />
an Computersystemen, mit denen die Veranlagung<br />
auf Grundlage der bestehenden Gesetzeslage teilweise<br />
erst noch möglich gemacht werden soll.<br />
Schlussbemerkung<br />
Man sieht: Auf allen Ebenen bleibt es spannend. Vor uns<br />
liegt -- auch aus steuerlicher Sicht -- ein interessantes Jahr<br />
2010.<br />
* LATHAM & WATKINS LLP.<br />
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