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Klausur vom 15. Mai 2010

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Prof. Dr. Hubertus Gersdorf Sommersemester <strong>2010</strong><br />

Examensklausurenkurs<br />

- <strong>Klausur</strong> im Öffentlichen Recht <strong>vom</strong> <strong>15.</strong> <strong>Mai</strong> <strong>2010</strong> -<br />

A ist zum Einkaufsbummel mit seiner Freundin in die Rostocker Innenstadt gefahren und hat sein<br />

dreizehn Jahre altes Auto ordnungsgemäß auf einem Parkplatz abgestellt. Als die Polizisten P<br />

und S auf ihrem Streifengang an dem Auto des A vorbeikommen, fällt ihnen auf, dass sich unter<br />

dem Wagen eine Pfütze mit einer Flüssigkeit befindet, die bereits ein Durchmesser von 50 cm<br />

erreicht hat. P schaut unter den Wagen und stellt fest, dass die Flüssigkeit von diesem Wagen<br />

herrührt. Trotz gewisser Zweifel gehen P und S nach kurzer Beratung davon aus, dass es sich bei<br />

der Flüssigkeit um Motoröl handele und der Wagen schnellstens fortgeschafft werden müsse, um<br />

eine Verunreinigung des Grundwassers und Gefahren für den Straßenverkehr zu verhindern.<br />

Deshalb rufen sie den Abschleppunternehmer H an, der das Auto abschleppen und auf sein 10 km<br />

entferntes Grundstück verbringen soll. H führt den Auftrag ordnungsgemäß aus. Wie sich erst<br />

später herausstellt, handelt es sich bei der ausgetretenen Flüssigkeit tatsächlich jedoch nur um<br />

Wasser, das aus der Scheibenwaschanlage stammte und ungefährlich war; die Ungefährlichkeit<br />

der Flüssigkeit konnte aus technischen Gründen vor Ort nicht erkannt werden, da der von A<br />

verwendete, ökologisch unbedenkliche, aus Meeresalgen gewonnene Waschzusatz „Ökofit“ eine<br />

mit Öl zu verwechselnde Färbung und Konsistenz aufweist. A hat sein Auto aus Kostengründen<br />

niemals in einer Werkstatt inspizieren lassen. Hätte er die <strong>vom</strong> Hersteller empfohlenen<br />

Wartungsintervalle eingehalten, wäre ihm der ganze Ärger erspart geblieben, da der Fehler<br />

entdeckt und behoben worden wäre.<br />

In der folgenden Nacht wurde das Auto von Unbekannten <strong>vom</strong> Grundstück des H gestohlen. Im<br />

Nachhinein ist nicht feststellbar, ob das Abhandenkommen des Wagens verschuldet wurde. A<br />

bekommt den Zeitwert seines Pkw in Höhe von 1.500,- € von seiner Versicherungs-AG (V)<br />

erstattet. Er war jedoch nicht bereit, den nach ordnungsgemäßer Anhörung ergangenen<br />

Kostenbescheid in Höhe von 150,- € für das Abschleppen des Wagens zu bezahlen. Deshalb hat<br />

er sofort nach Erhalt des Kostenbescheides Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht erhoben,<br />

mit dem Antrag, den Kostenbescheid aufzuheben. Die Behörde hat durch ihren Rechtsanwalt<br />

zunächst beantragt, die Klage als unbegründet zurückzuweisen; sie lässt dazu mit ausführlicher<br />

Begründung vortragen, dass das Abschleppen des Wagens rechtmäßig gewesen sei.<br />

1. Hat die Klage des A gegen den Kostenbescheid Aussicht auf Erfolg?<br />

2. Die Versicherung-AG, die den Zeitwert des Wagens voll ersetzt hat, ist der Ansicht, dass sie<br />

den Betrag von der öffentlichen Hand ersetzt verlangen kann, da diese den Schadensfall<br />

verursacht habe.<br />

a) Ist diese Auffassung zutreffend?<br />

b) Vor welchem Gericht müsste die Versicherung-AG klagen?<br />

Hinweis: Abgabe der Arbeiten bis spätestens 14:00 Uhr an der Anmeldetheke der Bibliothek. Die<br />

Rückgabe erfolgt am 04.06.<strong>2010</strong>. Bitte dieses Blatt für die Besprechung mitbringen. Die Lösung<br />

steht in den nächsten Tagen unter http://www.gersdorf.uni-rostock.de zum Download bereit.


Prof. Dr. Hubertus Gersdorf Sommersemester <strong>2010</strong><br />

Examensklausurenkurs<br />

- <strong>Klausur</strong> im Öffentlichen Recht <strong>vom</strong> <strong>15.</strong> <strong>Mai</strong> <strong>2010</strong> -<br />

Lösungsvorschlag<br />

Frage 1:<br />

Das Verwaltungsgericht wird der Klage stattgeben, wenn sie zulässig und begründet ist.<br />

A) Zulässigkeit der Klage des A gegen den Kostenbescheid<br />

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges gem. § 40 I 1 VwGO<br />

- keine aufdrängende Sonderzuweisung: daher § 40 I 1 VwGO<br />

- öffentlich-rechtliche Streitigkeit: Sonderrechtstheorie<br />

• Werkvertrag, der das Abschleppen des Wagens zum Inhalt hat, betrifft lediglich<br />

das Verhältnis zwischen Polizei und Abschleppunternehmer<br />

• hier streitentscheidend: Normen des SOG M-V (insbesondere § 114 SOG M-V),<br />

berechtigen und verpflichten ausschließlich Hoheitsträger<br />

• daher: öffentlich-rechtliche Streitigkeit<br />

- nichtverfassungsrechtlicher Art: (+)<br />

- keine abdrängende Sonderzuweisung: § 23 I EGGVG?<br />

• Abgrenzung nach präventivem oder repressivem Charakter der Maßnahme<br />

• Abschleppen des Wagens könnte Beschlagnahme gem. §§ 94 ff. StPO sein,<br />

Voraussetzung dann aber: Verfolgung einer (Umwelt-) Straftat oder<br />

Ordnungswidrigkeit bezweckt<br />

• hier: Schwerpunkt des polizeilichen Handelns liegt in Abwehr von Gefahren durch<br />

auslaufendes (vermeintliches) Öl<br />

• daher präventiver Charakter der Maßnahme<br />

• demzufolge § 23 I EGGVG (-)<br />

- Zwischenergebnis: Verwaltungsrechtsweg gem. § 40 I 1 VwGO eröffnet<br />

II. Statthafte Klageart<br />

- richtet sich nach Klagebegehren, vgl. § 88 VwGO<br />

- A begehrt Aufhebung des Kostenbescheides<br />

- Kostenbescheid erfüllt Begriffsmerkmale des VA gem. § 35 VwVfG M-V<br />

- Anfechtungsklage gem. § 42 I 1. Alt. VwGO statthaft<br />

- 2 -


III. Klagebefugnis gem. § 42 II VwGO<br />

- Kostenbescheid = belastender VA für A<br />

- Zumindest Möglichkeit der Verletzung des A in seinem Grundrecht aus Art. 2 I GG<br />

(Adressatentheorie)<br />

- Zwischenergebnis: Klagebefugnis (+)<br />

IV. Ordnungsgemäß durchgeführtes Vorverfahren gem. §§ 68 ff. VwGO<br />

- Grundsätzlich muss vor Klageerhebung Widerspruch eingelegt werden (§ 68 I 1 VwGO)<br />

- hier: sofort Klage erhoben<br />

- Unstatthaftigkeit des Widerspruchs gem. § 68 I 2 VwGO? (-)<br />

- Entbehrlichkeit des Widerspruchs wegen rügeloser Einlassung der beklagten Behörde?<br />

(sachliche Einlassung auf die Klage)<br />

• M 1 : Vorverfahren in diesem Fall nicht entbehrlich, Klage müsse als unzulässig<br />

abgewiesen werden 1<br />

Argument:<br />

• Vorverfahren stehe nicht zur Disposition der Behörde und diene auch dem<br />

Interesse der Entlastung der Gerichte<br />

• h.M.: Vorverfahren in diesem Fall entbehrlich 2<br />

Argumente:<br />

• Entbehrlichkeit folge aus den Funktionen und dem Sinn und Zweck der<br />

§§ 68 ff. VwGO und diene der Verfahrensökonomie:<br />

- Entlastung der Gerichte: Wenn die Widerspruchsbehörde im<br />

verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu erkennen gibt, dass sie einem<br />

Widerspruch des Klägers nicht abhelfen werde, so wäre es reiner<br />

Formalismus, die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens zu<br />

verlangen, da ihre Entscheidung insoweit bereits feststeht. Die<br />

Durchführung eines Vorverfahrens kann in diesem Fall nicht zu einer<br />

Entlastung der Gerichte führen, da die Beschreitung des Rechtsweges<br />

wegen der insoweit feststehenden Entscheidung gleichsam<br />

vorprogrammiert ist.<br />

- Selbstkontrolle der Verwaltung: Auch die Selbstkontrolle der<br />

Verwaltung wird durch die Entbehrlichkeit des Vorverfahrens im Falle<br />

der rügelosen Einlassung nicht verkürzt, da die Verwaltung, so sie<br />

materiell zu der Klage Stellung nimmt, die gleichen Erwägungen<br />

anstellt, wie in einem Vorverfahren.<br />

- effektiver Rechtsschutz des Bürgers: Wegen der für die Verwaltung<br />

feststehenden Entscheidung kann ein Vorverfahren hier auch nicht zu<br />

1 Kopp/Schenke, VwGO 16. Aufl. München 2009, Vorb § 68 Rn. 10 f. m.w.N. Aber: Möglichkeit der Nachholung<br />

des Vorverfahrens innerhalb der Widerspruchsfrist, vgl. Kopp/Schenke, VwGO 16. Aufl. München 2009, § 68 Rn. 3<br />

m.w.N.<br />

2 BVerwG NVwZ-RR 1995, 90; vgl. zum Streit: Gersdorf, Verwaltungsprozessrecht, 4. Aufl. Heidelberg 2009.<br />

- 3 -


einem effektiven Rechtsschutz des Bürgers beitragen, da die<br />

Erreichung seines Begehrens im Vorverfahren von vornherein<br />

ausgeschlossen ist.<br />

• Einschränkung: Ausgangs- und Widerspruchsbehörde sind nicht identisch.<br />

• Argument: Andernfalls würde die Entscheidungsebene der<br />

Widerspruchsbehörde unterlaufen werden<br />

• Hier:<br />

• Ausgangs- und Widerspruchsbehörde sind aufgrund des zweistufigen<br />

Behördenaufbaus in M-V gem. § 73 I 2 Nr. 2 VwGO identisch, daher kein<br />

Grund für Einschränkung<br />

• Streitentscheid erforderlich<br />

• Zwischenergebnis: mit h.M. ist Widerspruchsverfahren aufgrund der rügelosen<br />

Einlassung der beklagten Behörde entbehrlich<br />

Hinweis: Wird die Klage mit M 1 für unzulässig gehalten, hat die weitere Prüfung im<br />

Hilfsgutachten zu erfolgen.<br />

V. Klagegegner (§ 78 VwGO)<br />

- Behörde, die den Kostenbescheid erlassen hat (§ 78 I Nr. 2 VwGO i.V.m. § 14 II AGGerStrG<br />

M-V)<br />

VI. Klagefrist (§ 74 VwGO)<br />

- § 74 I VwGO: 1 Monat, hier sofort nach Erhalt des Bescheides Klage erhoben<br />

VII. Beteiligtenfähigkeit<br />

- A gem. § 61 Nr. 1 VwGO<br />

- Behörde gem. § 61 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 14 I AGGerStrG M-V<br />

VIII. Prozessfähigkeit<br />

- A gem. § 62 I Nr. 1 VwGO<br />

- für Behörde handelt gem. § 62 III VwGO der gesetzliche Vertreter<br />

IX. Ergebnis<br />

Klage des A ist zulässig.<br />

B) Begründetheit der Klage des A gegen den Kostenbescheid<br />

Die Klage des A ist begründet, wenn der Kostenbescheid rechtswidrig ist und ihn in seinen<br />

Rechten verletzt (§ 113 I 1 VwGO).<br />

I. Ermächtigungsgrundlage für den Kostenbescheid<br />

- Kostenbescheid = belastender VA; daher nach dem Grundsatz <strong>vom</strong> Vorbehalt des Gesetzes<br />

Ermächtigungsgrundlage erforderlich<br />

- 4 -


1. § 61 III SOG M-V<br />

- § 61 III SOG M-V lediglich ein gesetzliches Zurückbehaltungsrecht<br />

- Zurückbehaltungsrecht setzt aber für sich genommen schon voraus, dass die Kosten, „die<br />

durch die Sicherstellung entstanden sind“, geschuldet werden.<br />

- Daher: (-).<br />

2. § 114 I SOG M-V<br />

- (P) VA-Befugnis?<br />

• Behörde hat sich hier zur Eintreibung der Kosten der Handlungsform des<br />

Verwaltungsaktes bedient.<br />

• § 114 I SOG M-V spricht nicht ausdrücklich von der Möglichkeit des Erlasses<br />

eines VA<br />

• Umstritten, ob der Grundsatz <strong>vom</strong> Vorbehalt des Gesetzes nur für den Inhalt des<br />

Verwaltungshandelns oder auch für die Handlungsform gilt 3<br />

• Streit hier aber unerheblich, da § 114 II 2 SOG M-V i.V.m. § 14 I 1 VwKostG M-<br />

V bestimmt, dass die Kosten „festgesetzt“ werden<br />

Hinweis: Es wird nicht erwartet, dass diese Problematik in der <strong>Klausur</strong> angesprochen wird.<br />

II. Voraussetzungen des § 114 I SOG M-V<br />

1. Formelle Voraussetzungen<br />

a) Zuständigkeit<br />

- gem. § 114 II 2 SOG M-V i.V.m. § 12 VwKostG M-V ist der Träger der öffentlichen<br />

Verwaltung, dessen Behörde eine kostenpflichtige Amtshandlung vornimmt, der<br />

Kostengläubiger.<br />

- Amtshandlung der Polizeidirektion Rostock, daher Zuständigkeit für Kostenbescheid bei der<br />

Polizeidirektion Rostock<br />

- Träger und somit Kostengläubiger ist das Land M-V<br />

b) Verfahren und Form<br />

- Anhörung gem. § 28 I VwVfG M-V erfolgt<br />

- keine Form- oder Verfahrensfehler ersichtlich<br />

2. Materielle Voraussetzungen des § 114 I SOG M-V<br />

a) „Amtshandlung nach diesem Gesetz“<br />

- Formulierung „nach diesem Gesetz“ impliziert das Erfordernis der Rechtmäßigkeit des<br />

Verwaltungshandelns, da eine Maßnahme „nach diesem Gesetz“ nur dann gegeben ist, wenn<br />

sie eben diesem Gesetz entspricht<br />

3 Zum Meinungsüberblick vgl. Erichsen, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 12. Auflage,<br />

Berlin 2002, § 15 Rn. 4.<br />

- 5 -


- Rechtmäßigkeit der dem Kostenbescheid zugrunde liegenden Maßnahme?<br />

aa) Rechtsgrundlage für das Abschleppen des Wagens (§ 61 SOG M-V)<br />

- Standardmaßnahme der Sicherstellung gem. § 61 SOG M-V?<br />

- Dann müsste begrifflich eine Sicherstellung vorliegen:<br />

• Sicherstellung = Begründung amtlichen Gewahrsams an einer Sache zum Zwecke<br />

der Gefahrenabwehr<br />

• Hier wird Gewahrsam an dem Auto des A begründet, damit aus diesem kein<br />

weiteres (vermeintliches) Öl in das Erdreich eindringt<br />

• Sicherstellung (+)<br />

bb) Formelle Rechtmäßigkeit der Abschleppmaßnahme<br />

(1) Zuständigkeit<br />

- Polizei gem. §§ 2 I, 7 I Nr. 3 SOG M-V für das Abschleppen des Pkw zuständig, da aus ex<br />

ante-Sicht eine unaufschiebbare Maßnahme<br />

(2) Verfahren und Form<br />

- Anhörung gem. § 28 I VwVfG M-V grds. erforderlich, aber gem. § 28 II Nr. 1 VwVfG M-V<br />

hier entbehrlich<br />

- Bescheinigung gem. § 62 II SOG M-V an herausgabeverpflichtete Person auf der die Sache<br />

und der Grund der Sicherstellung bezeichnet sind<br />

- Von der Einhaltung dieses Erfordernisses kann hier ausgegangen werden.<br />

cc) Materielle Rechtmäßigkeit der Abschleppmaßnahme<br />

(1) Gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit gem. § 61 I Nr. 1 SOG M-V<br />

(a) Schutzgut der öffentlichen Sicherheit<br />

- Schutzgüter sind:<br />

• gesamte geschriebene Recht<br />

• Staat und seine Einrichtungen<br />

• Individualrechtsgüter<br />

- Hier: Schutz des Grundwassers und Sicherheit des Straßenverkehrs<br />

• § 3 I, II Nr. 2 LWaG M-V, wonach wassergefährdende Stoffe nicht auf- oder<br />

eingebracht werden dürfen<br />

• drohende Gesundheitsschäden durch auf die Straße laufendes Öl – erhöhte<br />

Unfallgefahr durch rutschige Fahrbahn (Individualrechtsgüter Art. 2 II GG)<br />

(b) Gegenwärtige Gefahr für das Schutzgut<br />

- Gegenwärtige Gefahr gem. § 3 III Nr. 2 SOG M-V = Sachlage, bei der das die öffentliche<br />

Sicherheit oder Ordnung schädigende Ereignis bereits eingetreten ist (Störung) oder<br />

- 6 -


unmittelbar oder in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit<br />

bevorsteht<br />

- Ex post: keine (echte) Gefahr für Grundwasser oder Sicherheit des Straßenverkehrs, da kein<br />

auslaufendes Öl, sondern objektiv ungefährliches Scheibenwaschwasser<br />

- Aber möglicherweise Anscheinsgefahr oder Gefahrenverdacht:<br />

• Im Interesse einer schnellen und effektiven Gefahrenabwehr werden<br />

Anscheinsgefahr und Gefahrenverdacht gefahrenabwehrrechtlich als Gefahr<br />

behandelt. Dagegen ist eine bloße Scheingefahr keine Gefahr im Sinne des<br />

Gefahrenabwehrrechts.<br />

• keine bloße Scheingefahr:<br />

• Definition: Objektiv liegt keine Gefahr vor; gleichwohl nehmen die<br />

Beamten eine Gefahr irrig an, obgleich der objektive Beobachter bei ex<br />

ante-Betrachtung eine solche Gefahr nicht angenommen hätte.<br />

• Hier war Flüssigkeit nicht <strong>vom</strong> Öl zu unterscheiden. Somit lagen objektive<br />

Anhaltspunkte vor, die eine Gefahr nicht ausgeschlossen erscheinen ließen.<br />

• Folglich keine bloße Scheingefahr<br />

• Anscheinsgefahr:<br />

• Definition: Objektiv liegt keine Gefahr vor; gleichwohl gehen die Beamten<br />

sicher <strong>vom</strong> Vorliegen einer Gefahr aus; jeder objektive Beobachter würde<br />

bei ex ante-Betrachtung eine Gefahr annehmen.<br />

• Hier: Zweifel von P und S; Beamten wussten, dass das ihnen bekannte<br />

Tatsachenbild unvollständig war.<br />

• Folglich keine Anscheinsgefahr<br />

• Gefahrenverdacht:<br />

• Definition: Objektiv liegt keine Gefahr vor; der objektive Beobachter hält<br />

das Vorliegen einer Gefahr nicht für sicher; vielmehr kommen ihm<br />

Zweifel; er hält das Vorliegen einer Gefahr nur für möglich.<br />

• Hier: Unvollständigkeit der Tatsachenlage ist den Beamten bewusst; haben<br />

Zweifel an der Beschaffenheit der Flüssigkeit; vermuten auf Grundlage der<br />

gegebenen Tatsachen (Pfütze unter dem Auto), dass eine Gefahr vorliegt.<br />

• Folglich liegt hier ein Gefahrenverdacht vor, der behördliches Einschreiten<br />

grundsätzlich legitimiert.<br />

- Gegenwärtigkeit (+), da die Flüssigkeit bereits am Auslaufen ist.<br />

- Zwischenergebnis: Gegenwärtige Gefahr in der Form des Gefahrenverdachts<br />

(2) Polizeipflichtigkeit – „Folgenverantwortlichkeit“<br />

- Zustandsverantwortlichkeit gemäß § 70 I SOG M-V?<br />

- Grundsätzlich (-), da keine (echte) Gefahr vorlag (s.o.)<br />

- Aber: Figur des Gefahrenverdachtsstörers<br />

- 7 -


- Behandlung des Gefahrenverdachtsstörers umstr.:<br />

• h.M.: Differenzierung zwischen Primär- (Gefahrenabwehr) und Sekundärebene<br />

(Kostenebene) 4<br />

• auf Primärebene ex ante-Betrachtung – Gefahrenverdachtsstörer;<br />

Argument: Effektivität der Gefahrenabwehr<br />

• auf Sekundärebene hingegen ex post-Betrachtung unter Berücksichtigung<br />

der Zurechenbarkeit des Gefahrenverdachts; Argument: Prinzip gerechter<br />

Lastenverteilung<br />

• M 2 : Keine Differenzierung zwischen den beiden Ebenen; ex post-Betrachtung<br />

unter Berücksichtigung der Zurechenbarkeit des Gefahrenverdachts<br />

- Nach beiden Ansichten kommt es hier darauf an, ob A den Gefahrenverdacht in<br />

zurechenbarer Weise verursacht hat:<br />

• Das mit dem Betreiben eines Kraftfahrzeuges verbundene allgemeine<br />

Betriebsrisiko (§ 7 StVG) begründet für den Halter eines Kfz auch eine<br />

polizeirechtliche Verantwortlichkeit, da er als Inhaber einer potenziellen<br />

Gefahrenquelle als deren Nutznießer auch die damit verbundenen Gefahren und<br />

Nachteile zu verantworten hat. 5<br />

• Zurechnungszusammenhang: Die hier vorliegende Gefahrenverdachtslage befindet<br />

sich nicht außerhalb des mit dem Betriebsrisiko eines Kfz verbundenen Risikos.<br />

Der erforderliche Risikozusammenhang ist hier zu bejahen.<br />

Hinweis: Wird die Zurechenbarkeit der den Gefahrenverdacht begründenden Umstände hier mit<br />

dem Abstellen eines mangelhaft gewarteten Kfz begründet, so ist dies ohne weiteres vertretbar.<br />

- Folglich hat A den Gefahrenverdacht in zurechenbarer Weise gesetzt und ist<br />

Gefahrenverdachtsstörer. Gefahrenverdachtsstörer wird in diesem Fall wie ein echter Störer<br />

gehandelt.<br />

- Zwischenergebnis: Polizeipflichtigkeit des A (+)<br />

(3) Rechtsfolge des § 61 SOG M-V: Ermessen<br />

- nur Prüfung ob Ermessensfehler vorliegen, vgl. §§ 114 VwGO, 40 VwVfG M-V<br />

- Ermessensfehler sind: Ermessensunterschreitung, Ermessensüberschreitung und<br />

Ermessensfehlgebrauch<br />

- Ermessensüberschreitung wegen Verstoßes gegen den aus dem Rechtsstaatsprinzip<br />

fließenden und in § 15 SOG M-V einfachgesetzlich normierten<br />

Verhältnismäßigkeitsgrundsatz?<br />

(a) Zulässiges Ziel (+)<br />

- Zweck der Maßnahme: Beseitigung einer für möglich gehaltenen Gefahr durch auslaufendes<br />

Öl<br />

4 Vgl. zu diesem Problemkreis Sailer, in : Lisken/Denninger (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, 3. Aufl., München<br />

2001, M Rn. 48 ff.<br />

5 Kokott, DVBl. 1992, 749, 752 f.<br />

- 8 -


(b) Geeignetheit (+)<br />

- Abschleppen des Wagens und die Ergreifung von bodensichernden Maßnahmen konnte die<br />

Erreichung dieses Zweckes herbeiführen<br />

(c) Erforderlichkeit<br />

- Im Gefahrenverdachtsfall sind grds. nur sog. Gefahrerforschungseingriffe zulässig, welche<br />

die Situation aufklären und feststellen sollen, ob tatsächlich eine Gefahr vorliegt (Ermittlung<br />

von Existenz und Umfang einer Gefahr, Vorbereitung endgültiger Maßnahmen zur<br />

Gefahrenbeseitigung).<br />

- Das Auto wurde hier zwar zum Zwecke der Aufklärung der Gefahrenlage abgeschleppt;<br />

Eingriffe zur Gefahrerforschung rechtfertigen aber grundsätzlich keine endgültigen<br />

Maßnahmen.<br />

- Ausnahmsweise können aber auch verdachtshalber ergriffene, endgültige Maßnahmen<br />

gerechtfertigt sein. Endgültige Maßnahmen setzen den Verdacht einer besonders<br />

schwerwiegenden Gefahr voraus und dürfen nicht zu irreversiblen Nachteilen für den<br />

Adressaten führen.<br />

- Für A sind durch das Abschleppen des Wagens keine irreversiblen Nachteile zu erwarten;<br />

eine Ölverschmutzung kann, je nach Ausmaß, durchaus als besonders schwerwiegend<br />

angesehen werden.<br />

- Zwischenergebnis: Sicherstellung war erforderlich.<br />

(d) Angemessenheit<br />

- Mittel-Zweck-Relation<br />

(e) Zwischenergebnis<br />

- Verhältnismäßigkeit der Abschleppmaßnahme und somit kein Ermessensfehler<br />

(4) Zwischenergebnis<br />

- Abschleppmaßnahme war auch materiell rechtmäßig.<br />

dd) Zwischenergebnis<br />

- Das dem Kostenbescheid zugrunde liegende Abschleppen des Pkw war folglich rechtmäßig.<br />

b) Kostenpflichtigkeit<br />

- § 114 III SOG M-V: Da A den Gefahrenverdacht in zurechenbarer Weise gesetzt hat (s.o.), ist<br />

er gem. §§ 114 III, 70 I SOG M-V Kostenpflichtiger.<br />

c) Ermessen<br />

- Formulierung „die Kosten trägt der Pflichtige“ lässt keine Abwägung hinsichtlich der<br />

Kostenfrage zu.<br />

- Da eine Ermessensausübung bei der Anwendung der Ermächtigungsgrundlage stattfindet,<br />

besteht hier auch kein Bedürfnis für eine Ermessensausübung durch die Behörde. Unbillige<br />

- 9 -


Härten können dadurch vermieden werden, dass die Kostentragung dem allgemeinen Prinzip<br />

der Verhältnismäßigkeit entsprechen muss. 6<br />

- Gegen die Verhältnismäßigkeit der Kostentragung durch den A bestehen hier indes keine<br />

Bedenken.<br />

3. Zwischenergebnis<br />

Der Kostenbescheid ist rechtmäßig ergangen.<br />

III. Ergebnis zur Begründetheit<br />

Die Klage des A ist demzufolge unbegründet.<br />

Ergebnis zu Frage 1<br />

Die Klage des A hat keine Aussicht auf Erfolg.<br />

Frage 2a):<br />

A) Eigene Ansprüche der Versicherungs-AG gegen die Behörde<br />

Die V hat keine eigenen Ansprüche.<br />

B) Ansprüche der Versicherungs-AG aus übergegangenem Recht,<br />

cessio legis gem. § 86 I 1 VVG<br />

Die V kann gegen das Land M-V Ansprüche aus übergegangenem Recht geltend machen, wenn<br />

die Voraussetzungen des § 86 I 1 VVG gegeben sind.<br />

§ 86 I 1 VVG: Steht dem Versicherungsnehmer ein Ersatzanspruch gegen einen Dritten zu, geht<br />

dieser Anspruch auf den Versicherer über, soweit der Versicherer den Schaden ersetzt.<br />

I. Vorliegen einer Schadensversicherung<br />

- Versicherung des A gegen Diebstahl bei V<br />

II. Ersatz des Schadens durch den Versicherer<br />

- Schadenssumme an A voll ausgezahlt<br />

III. Ansprüche des A wegen des Diebstahls seines Pkw <strong>vom</strong> Grundstück<br />

des H<br />

- Ansprüche gegen Täter (+), aber nicht durchsetzbar, da Täter nicht ermittelt<br />

- Ansprüche des A gegen das Land M-V?<br />

6 Krech/Roes, SOG M-V, § 100 Anm. 2.<br />

- 10 -


1. Amtshaftungsanspruch gem. § 839 I BGB i.V.m. Art. 34 GG<br />

a) Hoheitliches Handeln<br />

- privater Abschleppunternehmer H = Beamter?<br />

- H könnte als Verwaltungshelfer hoheitlich tätig geworden sein:<br />

• Werkzeugtheorie: dergestalt im Auftrag und nach Weisung der Verwaltung tätig<br />

geworden sein, dass er gleichsam als Werkzeug der Behörde anzusehen ist<br />

• schaltet Hoheitsträger im Bereich der Eingriffsverwaltung Private ein, so ist dieses<br />

Verhalten hoheitlich einzuordnen, weil aus Sicht des Bürgers eine öffentlichrechtliche<br />

Inanspruchnahme vorliegt 7<br />

• hier: Verwahrung des PKW im Auftrag der Behörde durch privaten<br />

Abschleppunternehmer im Bereich der Eingriffsverwaltung 8<br />

• Tätigkeit des H wird der Behörde zugerechnet<br />

- Zwischenergebnis: (+)<br />

b) Verletzung einer drittbezogenen Amtspflicht<br />

- Amtspflichtverletzung:<br />

• Sichergestellte Sachen sind sorgfältig zu verwahren. Dies ergibt sich mittels „Erstrecht-Schlusses“<br />

auch aus der Regelung des § 63 I 1 SOG M-V, wonach schon<br />

einer Wertminderung vorzubeugen ist. Dementsprechend ist erst recht das<br />

Abhandenkommen der verwahrten Sache zu verhindern.<br />

• Sache ist abhanden gekommen, Pflicht wurde folglich verletzt<br />

- Drittbezogenheit: (+), da es sich um das Eigentum des A handelt und diese Pflicht<br />

demzufolge gerade ihm gegenüber bestand<br />

c) Verschulden<br />

- laut Sachverhalt nicht feststellbar, ob Verschulden vorliegt<br />

- Nichterweislichkeit geht zu Lasten des beweispflichtigen Klägers<br />

d) Zwischenergebnis<br />

Ein Anspruch der Versicherung-AG gem. § 839 BGB iVm. Art. 34 GG besteht nicht.<br />

7 Vgl. hierzu Erbguth, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl. Baden-Baden 2009, § 33 Rn. 5.<br />

8 OLG Hamm NJW 2001, 375, 376 verneint hingegen eine Amtshaftung für Beaschädigungen, die während der<br />

Verwahrung auf dem Gelände des Abschleppunternehmens entstanden sind, da die Beamten zu diesem Zeitpunkt<br />

keinen Einfluss mehr auf die Verwahrung hätten.<br />

- 11 -


2. Anspruch aus §§ 280 I, 241 II BGB analog (pFV eines öffentlich-rechtlichen<br />

Sonderverhältnisses)<br />

a) Anwendbarkeit<br />

- Einer Anwendbarkeit schuldrechtlicher Haftungsgrundsätze im öffentlichen Recht steht<br />

nichts entgegen, wenn keine ausdrückliche gesetzliche Regelung besteht, die dem Bedürfnis<br />

einer angemessenen Verteilung der Verantwortlichkeit gerecht wird 9 .<br />

- Zwar regeln die §§ 61 ff. SOG M-V die Aufbewahrung sichergestellter Sachen. Die<br />

Rechtsfolgen einer Leistungsstörung sind darin jedoch nicht geregelt.<br />

b) Bestehen eines öffentlich-rechtlichen Sonderverhältnisses<br />

- Es muss ein enges, besondere Rechte und Pflichten begründendes Rechtsverhältnis vorliegen,<br />

bei dem ein sachlicher Grund und ein Bedürfnis bestehen, den Geschädigten durch die<br />

Gewährung schuldrechtlicher Ansprüche 10 besser zu stellen. Anerkannt sind insoweit<br />

folgende drei Fallgruppen 11 :<br />

• Bürger erbringt für die Leistung der Verwaltung eine Gegenleistung (Leitbild:<br />

Gebührenpflichtiges Anstaltsverhältnis);<br />

• Rechtsverhältnis begründet besondere Fürsorgepflicht (Leitbild: Fürsorgepflicht<br />

des Dienstherrn für Beamte nach Art. 33 V GG);<br />

• Rechtsverhältnis begründet besondere Obhutspflicht (Leitbild: öffentlichrechtliche<br />

Verwahrung).<br />

- Hier: PKW wird im Zuge der Sicherstellung im Rahmen der polizeilichen Befugnisse gem.<br />

§§ 62 V, 63 SOG M-V auf dem Grundstück des H aufbewahrt. Die Rechtsbeziehung<br />

zwischen der Polizei und A bleibt auch bei der Aufbewahrung durch private Dritte öffentlichrechtlicher<br />

Natur. Das Schuldverhältnis „Verwahrung“ ist folglich nach Öffentlichem Recht<br />

zu beurteilen. Sicherstellung und Aufbewahrung des Pkw begründen ein Obhuts- und damit<br />

ein dementsprechendes Näheverhältnis.<br />

c) Pflichtverletzung (+)<br />

- siehe oben (Amtspflichtverletzung)<br />

d) Verschulden<br />

- Verschulden nicht nachweisbar<br />

- Grundsatz:<br />

• Anspruchsteller muss alle ihn begünstigenden Umstände beweisen<br />

• A müsste folglich Verschulden beweisen<br />

- Aber:<br />

• § 280 I 2 BGB analog: Beweislastumkehr<br />

9 VGH Mannheim, NVwZ-RR 1991, 325.<br />

10 Vorteile insbes. Beweislastumkehr des § 280 I 2 BGB und keine Geltung des § 839 I 2, III BGB.<br />

11 Vgl. hierzu näher: Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, München 2000, § 21.<br />

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• Nichterweislichkeit geht folglich zu Lasten der Behörde.<br />

e) Schaden<br />

- 1.500 €<br />

- Daran ändert auch die Schadensversicherung nichts, da die Versicherung nicht eine<br />

Besserstellung des Schuldners rechtfertigt.<br />

f) Zwischenergebnis<br />

Es besteht ein Anspruch des A gegen die Behörde aus §§ 280 I, 241 II BGB analog (pFV eines<br />

öffentlich-rechtlichen Sonderverhältnisses)<br />

3. Zwischenergebnis<br />

Es besteht ein Anspruch des A gegen das Land M-V.<br />

IV. Ergebnis<br />

Alle Voraussetzungen des § 86 I 1 VVG liegen vor. Die Ansicht der Versicherung-AG, den<br />

Schaden <strong>vom</strong> Land ersetzt verlangen zu können, trifft zu.<br />

Frage 2b):<br />

Die abdrängende Sonderzuweisung des § 40 II 1, 2. Alt. VwGO weist den Zivilgerichten<br />

Streitigkeiten aus öffentlich-rechtlicher Verwahrung zu. Zuständig ist das Landgericht gem.<br />

§ 71 II Nr. 2 GVG.<br />

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