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Briefe von Shoshana Uspitz an Alfons von Deschwanden

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1<br />

<strong>Briefe</strong> <strong>von</strong> <strong>Shosh<strong>an</strong>a</strong> <strong>Uspitz</strong> <strong>an</strong> <strong>Alfons</strong> <strong>von</strong> Deschw<strong>an</strong>den<br />

<strong>Shosh<strong>an</strong>a</strong> <strong>Uspitz</strong> arbeitete als Sektretärin im HKP 562. Mit Hilfe der deutschen Botschaft in<br />

Israel machte sie <strong>Alfons</strong> <strong>von</strong> Deschw<strong>an</strong>den 1971 ausfindig.<br />

Die <strong>Briefe</strong> mit den Daten 20. Juni 1971<br />

2. Juli 1971<br />

19. Juli 1971<br />

27. Dezember 1971<br />

sind die ersten <strong>von</strong> 23 <strong>Briefe</strong>n und 16 Postkarten, die Frau Schosch<strong>an</strong>a <strong>Uspitz</strong> (geb. 1917)<br />

<strong>an</strong> <strong>Alfons</strong> <strong>von</strong> Deschw<strong>an</strong>den (geb. 1922) geschrieben hat. Die Korrespondenz umfasste den<br />

Zeitraum <strong>von</strong> Juni 1971 bis Dezember 1979.<br />

Hauptsächlich die ersten <strong>Briefe</strong> berichten <strong>von</strong> der Zeit in Wilna, vor allem <strong>von</strong> der Flucht aus<br />

dem Lager am 1. Juli 1944.<br />

Auf ihre Einladung hin besuchte <strong>Alfons</strong> <strong>von</strong> Deschw<strong>an</strong>den während einer Israelreise im April<br />

1972 Herrn und Frau <strong>Uspitz</strong> für einige Tage. Im Sommer 1972 kamen Schosch<strong>an</strong>a und<br />

Abraham <strong>Uspitz</strong> d<strong>an</strong>n zu einem Gegenbesuch nach Deutschl<strong>an</strong>d.<br />

Aus Gründen der Authentizität sind auch Schreibweise und Zeichensetzung ungeachtet<br />

etwaiger Abweichungen <strong>von</strong> der gebräuchlichen Rechtschreibung originalgetreu aus dem<br />

Brief übertragen.<br />

S. Uspiz, Ramat G<strong>an</strong> den 20.6.1971<br />

Sehr Geehrter Herr!<br />

Ich suche einen M<strong>an</strong>n namens <strong>Alfons</strong> <strong>von</strong> Deschw<strong>an</strong>den, der während des Krieges (1941-<br />

1944) in Wilna beim Heereskraftfahrpark 562 (Ersatzteillager) beschäftigt war. Ich werde<br />

höchst d<strong>an</strong>kbar sein, wenn Sie mir irgendwelche Auskunft über ihn leisten könnten. Ich habe<br />

mit meinem M<strong>an</strong>n in dieser Einheit gearbeitet und brauchen einen Zeugen für unsere<br />

Entschädigungssache, dass wir während der Verfolgung im NS – Machtbereich aufgehalten<br />

hat.<br />

Ich habe Ihre Adresse bei der Deutschen Ges<strong>an</strong>dschaft in Tel-Aviv (Israel) im Telefonbuch<br />

gefunden. Ich hoffe, dass Sie vielleicht mit ihm verw<strong>an</strong>dt seien und mir seine Adresse<br />

überweisen würden.<br />

Im voraus d<strong>an</strong>kend<br />

zeichne ich hochachtungsvoll<br />

S. Uspiz


2<br />

Ramat G<strong>an</strong> 2. VII.71<br />

Lieber Herr v. Deschw<strong>an</strong>den!<br />

Ich habe mich sehr gefreut <strong>von</strong> Ihnen eine Nachricht zu kriegen. Es war reiner Zufall, dass<br />

ich Ihre Adresse gefunden habe. Ich konnte mich nur Ihres Namens erinnern, aber es ist mir<br />

vorgekommen, das Ihr Wohnort . . . war. Auf Rat des Jouristconsultes der d. Ges<strong>an</strong>dschaft,<br />

habe ich im Telefonbuch gesucht und zufällig unter . . . den Namen Deschw<strong>an</strong>den gefunden.<br />

Es war auch für mich eine grosse Überraschung einen Brief <strong>von</strong> Ihnen zu bekommen. Ich<br />

habe oft <strong>an</strong> Sie gedacht, und jedesmal Ihren Namen erwähnt, wenn ich <strong>von</strong> unserer<br />

wunderlichen Rettung erzählte. Sie waren für uns ein leuchtender Stern in der Dunkelheit.<br />

Ich erinnere mich noch, dass bevor Sie in Urlaub gingen haben Sie mir für meinen M<strong>an</strong>n<br />

eine Menge Zigaretten gegeben. (Er war in den Garagen beschäftigt, können Sie sich noch<br />

entsinnen?)<br />

Von uns k<strong>an</strong>n ich Ihnen schreiben, dass wir (ich und mein M<strong>an</strong>n) <strong>von</strong> den einzelnen die vom<br />

H.K.P. am Leben geblieben sind. Die meisten haben sich nicht retten können. Auch meine<br />

Schwägerin ist nicht mehr am Leben. (Sie war nicht meine Schwester, sondern die Frau vom<br />

Bruder meines M<strong>an</strong>nes, sie hiess auch <strong>Uspitz</strong>). Mir und meinem M<strong>an</strong>n (er war besonders<br />

tapfer) ist es gelungen zu entreissen und während 13 Tagen haben wir uns hungrig und<br />

durstig in Büschen u. Ruinen versteckt. Nach der Befreiung sind wir nach Israel geg<strong>an</strong>gen.<br />

Von Josef P<strong>an</strong>zer 1 habe ich bis jetz nichts gehört. Soweit mir bek<strong>an</strong>nt ist, wurde er mit einer<br />

Gruppe <strong>von</strong> H.K.P Arbeitern nach Estl<strong>an</strong>d deportiert. Hören Sie etwas <strong>von</strong> Götz oder Kempf 2<br />

(ob ich mich nicht irre mit den Namen?)<br />

Uns geht es verhältnismässig nicht schlecht. Wir haben zwei Töchter, die ältere ist Journalistin<br />

und die jüngere macht jetzt ihren Militärdienst. Die sind hübsche und begabte Mädchen.<br />

Ich und mein M<strong>an</strong>n arbeiten. Ich bin Mathematiclehrerin.<br />

Ich habe mich <strong>an</strong> Sie gewendet, weil bei den Entschädigungsbehörden, wo unsere<br />

Gesundheitsschadenakte <strong>an</strong>hängig sind, besteht Zweifel, ob wir tatsächlich während des<br />

zweiten Weltkrieges unter deutscher Besatzung in Wilna gelebt haben.<br />

Was Sie zu unterschreiben haben lautet ungefähr so:<br />

„Hiermit bestätige ich, dass mir das Ehepaar Rosa Schosch<strong>an</strong>a und Abraham <strong>Uspitz</strong> aus der<br />

Zeit des 2. Weltkrieges lebhaft in Erinnerung geblieben ist. Die Obengen<strong>an</strong>nten waren beim<br />

Heereskraftfahrpark 562 als jüdische Zw<strong>an</strong>gsarbeiter beschäftigt und zwar Frau <strong>Uspitz</strong> direkt<br />

unter meiner Leitung und ihr Ehem<strong>an</strong>n in der Garage. Ich selbst war im Ersatzteillager des<br />

HKP tätig, und ich habe das Ehepaar <strong>Uspitz</strong> täglich bei der Arbeit gesehen.“<br />

Bitte melden Sie mir ob Sie bereit sind das zu unterschreiben. Wenn ja, schicke ich Ihnen<br />

ein gedrucktes Formular.<br />

Sollte es für Sie nicht möglich sein sowas zu bestätigen, bitte ich Sie, lieber Herr v.<br />

Deschw<strong>an</strong>den mir trotzdem eine Antwort auf meinen Brief zu schicken, denn Sie können sich<br />

kaum vorstellen, wie glücklich ich bin Sie gefunden zu haben.<br />

Beste Grüsse<br />

S. <strong>Uspitz</strong><br />

P.S. Eine Fotografie werde ich Ihnen nachträglich schicken. Schreiben Sie mehr <strong>von</strong> Sich.<br />

1 Joseph P<strong>an</strong>zer war ein jüdischer Zw<strong>an</strong>gsarbeiter, der im Ersatzteillager des HKP (HeeresKraftfahrPark) 562<br />

arbeitete, einer technischen Einheit der Wehrmacht in Wilna.<br />

2 Walter Götz und Max Kempf waren Soldaten der Wehrmacht. Sie arbeiteten ebenfalls im Ersatzteillager und<br />

waren gleichgesinnte Freunde <strong>von</strong> <strong>Alfons</strong> <strong>von</strong> Deschw<strong>an</strong>den.


3<br />

Ramat G<strong>an</strong>, 19.7.71<br />

Lieber Herr v. Deschw<strong>an</strong>den!<br />

Vielen D<strong>an</strong>k für Ihr Schreiben. Ich bin immer froh einen Brief <strong>von</strong> Ihnen zu kriegen.<br />

Von unserer Rettung k<strong>an</strong>n ich Ihnen erzählen, dass das Ghetto schon früher zerstört wurde.<br />

Uns, die Arbeiter vom HKP (auch die Familien), hat Major Plagge in einem Lager ausserhalb<br />

Wilnas, 2-3 Wochen bevor der Liquidation unterbringen lassen. Von dort wurden wir täglich<br />

in einem geschlossenen Wagen nach der P<strong>an</strong>zerkaserne (HKP) zur Arbeit geführt. Wir sind<br />

am 1. Juli 1944 vom HKP Lager geflohen.<br />

Ich schätze sehr Ihre Bereitschaft uns zu helfen. Ich war sicher, wenn ich Sie nur finde,<br />

werde ich keine Enttäuschung erleben. Ich habe immer auf Sie rechnen können. Ich schicke<br />

Ihnen den Text, den Sie vor einem Notar unterschreiben sollen. Ich hoffe, dass ich <strong>von</strong> Ihnen<br />

nicht zu viel verl<strong>an</strong>ge.<br />

Besten D<strong>an</strong>k und<br />

die freundlichsten Grüsse<br />

S. <strong>Uspitz</strong><br />

P.S. Schreiben Sie mehr <strong>von</strong> sich.


4<br />

Ramat G<strong>an</strong> 27.12.71<br />

Lieber Herr v. Deschw<strong>an</strong>den!<br />

Vielen D<strong>an</strong>k für Ihr Schreiben. Es hat mich sehr gefreut das Photo zu kriegen. M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n Sie<br />

leicht erkennen, selbstverständlich sehen Sie “ein bischen“ älter aus, wie ich Sie in meinem<br />

Gedächtnis habe. Trotzdem sehen Sie gut aus. Ihr jüngerer Sohn, glaube ich, sieht Ihnen<br />

ähnlich.<br />

Ich habe leider jetzt keine Fotografie <strong>von</strong> mir und meiner Familie, aber hoffentlich schicke ich<br />

Ihnen nächstens Eine.<br />

Sie fragen mich wie wir uns gerettet haben. Es war nämlich so: Wir sind durch das<br />

Fensterchen <strong>von</strong> der Schlosserei im Lager gesprungen (4,5 Meter hoch), d<strong>an</strong>n haben wir<br />

uns in Kartoffeln versteckt und am nächsten Morgen <strong>von</strong> diesem Platz entfernt. Ich muss<br />

Ihnen sagen – es war alles Schicksal. Wir k<strong>an</strong>nten weder die Gegend <strong>von</strong> Wilna, noch die<br />

polnische Sprache (wir kamen aus Kowno – Litauen, Ich habe auf der Universität in Wilna<br />

studiert, als der Krieg ausbrach). Wir sind einfach nach dem zerstörten Ghetto geg<strong>an</strong>gen, mit<br />

der Hoffnung, dass wir dort nicht gesucht werden. Es ist viel zu erzählen, aber es ist<br />

unmöglich in einem Brief alle Einzelheiten zu beschreiben. Wir haben während 7 Tagen<br />

beinahe nichts gegessen und bloss unsauberes Wasser getrunken. D<strong>an</strong>n, mit viel Glück sind<br />

wir nach Volokumpia (ausserhalb der Stadt) <strong>an</strong>gekommen. Trotz der grossen Gefahr,<br />

mussten wir die Haupt-strassen <strong>von</strong> Wilna passieren, es war einfach ein Wunder, dass m<strong>an</strong><br />

uns nicht erk<strong>an</strong>nt hat. Auch dort sind wir mehreren Lebensgefahren entlaufen. Wir haben<br />

uns in Büschen versteckt, bis wir eines Tages uns mitten der Front gefunden. Mit grosser<br />

Mühe und Mut ist es uns gelungen die Frontlinie auf dem Bauch durchzukriechen und<br />

endlich die Freiheit zu finden. Noch heute ist es für uns schwer zu begreifen, wie wir das<br />

alles mitmachen konnten, aber ich glaube, das ein Mensch besitzt unsichtbare Kräfte, und<br />

wenn das Höchste bedroht wird, k<strong>an</strong>n das Unmöglichste geleistet werden. Ausserdem bin<br />

ich Fatalistin: Ich glaube, dass jedem sein Schicksal im voraus bestimmt sei.<br />

In Wilna hielten wir uns auf ca. ein halbes Jahr, und im März 1945 haben wir Russl<strong>an</strong>d 3<br />

verlassen und nach Israel geg<strong>an</strong>gen. Der Weg nach Israel war auch nicht leicht, aber endlich<br />

haben wir es gemacht.<br />

Ich hoffe, wir sehen uns noch mal und bei Gelegenheit, werden Sie noch mehrere<br />

Einzelheiten <strong>von</strong> unserer wunderlichen Rettung hören.<br />

Ich freue mich immer auf Ihre <strong>Briefe</strong>. Bitte schreiben Sie. Bei dieser Gelegenheit wünsche<br />

ich Ihnen und Ihrer Familie ein glückliches u. gesundes Jahr.<br />

Ihre S. <strong>Uspitz</strong><br />

3 Ab Juli 1944 war Wilna unter russischer Besatzung.

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