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Briefe von Shoshana Uspitz an Alfons von Deschwanden

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Ramat G<strong>an</strong> 27.12.71<br />

Lieber Herr v. Deschw<strong>an</strong>den!<br />

Vielen D<strong>an</strong>k für Ihr Schreiben. Es hat mich sehr gefreut das Photo zu kriegen. M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n Sie<br />

leicht erkennen, selbstverständlich sehen Sie “ein bischen“ älter aus, wie ich Sie in meinem<br />

Gedächtnis habe. Trotzdem sehen Sie gut aus. Ihr jüngerer Sohn, glaube ich, sieht Ihnen<br />

ähnlich.<br />

Ich habe leider jetzt keine Fotografie <strong>von</strong> mir und meiner Familie, aber hoffentlich schicke ich<br />

Ihnen nächstens Eine.<br />

Sie fragen mich wie wir uns gerettet haben. Es war nämlich so: Wir sind durch das<br />

Fensterchen <strong>von</strong> der Schlosserei im Lager gesprungen (4,5 Meter hoch), d<strong>an</strong>n haben wir<br />

uns in Kartoffeln versteckt und am nächsten Morgen <strong>von</strong> diesem Platz entfernt. Ich muss<br />

Ihnen sagen – es war alles Schicksal. Wir k<strong>an</strong>nten weder die Gegend <strong>von</strong> Wilna, noch die<br />

polnische Sprache (wir kamen aus Kowno – Litauen, Ich habe auf der Universität in Wilna<br />

studiert, als der Krieg ausbrach). Wir sind einfach nach dem zerstörten Ghetto geg<strong>an</strong>gen, mit<br />

der Hoffnung, dass wir dort nicht gesucht werden. Es ist viel zu erzählen, aber es ist<br />

unmöglich in einem Brief alle Einzelheiten zu beschreiben. Wir haben während 7 Tagen<br />

beinahe nichts gegessen und bloss unsauberes Wasser getrunken. D<strong>an</strong>n, mit viel Glück sind<br />

wir nach Volokumpia (ausserhalb der Stadt) <strong>an</strong>gekommen. Trotz der grossen Gefahr,<br />

mussten wir die Haupt-strassen <strong>von</strong> Wilna passieren, es war einfach ein Wunder, dass m<strong>an</strong><br />

uns nicht erk<strong>an</strong>nt hat. Auch dort sind wir mehreren Lebensgefahren entlaufen. Wir haben<br />

uns in Büschen versteckt, bis wir eines Tages uns mitten der Front gefunden. Mit grosser<br />

Mühe und Mut ist es uns gelungen die Frontlinie auf dem Bauch durchzukriechen und<br />

endlich die Freiheit zu finden. Noch heute ist es für uns schwer zu begreifen, wie wir das<br />

alles mitmachen konnten, aber ich glaube, das ein Mensch besitzt unsichtbare Kräfte, und<br />

wenn das Höchste bedroht wird, k<strong>an</strong>n das Unmöglichste geleistet werden. Ausserdem bin<br />

ich Fatalistin: Ich glaube, dass jedem sein Schicksal im voraus bestimmt sei.<br />

In Wilna hielten wir uns auf ca. ein halbes Jahr, und im März 1945 haben wir Russl<strong>an</strong>d 3<br />

verlassen und nach Israel geg<strong>an</strong>gen. Der Weg nach Israel war auch nicht leicht, aber endlich<br />

haben wir es gemacht.<br />

Ich hoffe, wir sehen uns noch mal und bei Gelegenheit, werden Sie noch mehrere<br />

Einzelheiten <strong>von</strong> unserer wunderlichen Rettung hören.<br />

Ich freue mich immer auf Ihre <strong>Briefe</strong>. Bitte schreiben Sie. Bei dieser Gelegenheit wünsche<br />

ich Ihnen und Ihrer Familie ein glückliches u. gesundes Jahr.<br />

Ihre S. <strong>Uspitz</strong><br />

3 Ab Juli 1944 war Wilna unter russischer Besatzung.

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