Predigt zu 1. Mose 28, 10 – 22
Predigt zu 1. Mose 28, 10 – 22
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<strong>Predigt</strong> <strong>zu</strong> <strong>1.</strong> <strong>Mose</strong> <strong>28</strong>, <strong>10</strong> <strong>–</strong> <strong>22</strong><br />
14. Sonntag nach Trinitatis / <strong>1.</strong> September 2006 in Benningen a. N.<br />
Liebe Gemeinde! Was haben Sie vergangene Nacht geträumt? Sie<br />
erinnern sich nicht? Oder gehören Sie gar <strong>zu</strong> jenen, die die Wissenschaft<br />
non-dreamer nennt: Menschen, die angeben, nie <strong>zu</strong> träumen. Eine ganze<br />
Menge wissenschaftlicher Erkenntnisse haben Neurobiologen in den<br />
letzten Jahrzehnten über das Träumen <strong>zu</strong> Tage gefördert, etwa, welche<br />
Hirnregionen beim Träumen besonders aktiv sind bzw. in welchen<br />
Phasen des Schlafes Träume besonders häufig auftreten, oder die simple<br />
statistische Erkenntnis, dass Frauen sich im Durchschnitt öfter an ihr<br />
Traumerleben erinnern als Männer. Bei der Frage, warum Menschen<br />
träumen, und noch weitaus mehr bei der Frage, wie sich Träume<br />
artikulieren, welche Ereignisse, Personen, Orte und Zeiten scheinbar<br />
völlig durcheinander geraten können und in einem Erleben<br />
<strong>zu</strong>sammengebracht und -geschaut werden, so dass Menschen beim<br />
Erwachen gerade<strong>zu</strong> verwirrt sind und den Eindruck äußern, völlig<br />
Widersinniges geträumt <strong>zu</strong> haben <strong>–</strong> in alledem steht die Wissenschaft<br />
immer noch ziemlich am Anfang.<br />
Dass ein Traum eine sehr konkrete Botschaft haben kann, erleben viele<br />
Menschen immer wieder. Mitten in der Nacht macht mich ein Traum<br />
plötzlich hellwach, und ich habe in einer bestimmten Angelegenheit<br />
plötzlich, unverhofft und manchmal bedrängend eine innere Klarheit,<br />
weiß, was ich tun muss... tun müsste... ändern und in Ordnung bringen<br />
müsste... damit etwas Unheiles, etwas Krankes in mir, etwas Verletztes<br />
in meiner Seele, etwas krank Machendes in der Gestaltung meines<br />
Lebens <strong>zu</strong> heilen beginnen könnte.<br />
Aber wer redet da im Traum, wer lässt mich sehen und<br />
hören, ja<br />
schauen? Ist es mein Unterbewusstsein, die Tiefe meiner Seele, an die
ich im Lärm und Betrieb des Tageslichts nicht heranreiche? Oder ist es<br />
Gott selber, die Stimme seines Geistes, der sich des Mediums Traum<br />
bediente? Oder beide <strong>zu</strong>sammen: die Tiefe unserer Seele als eine Art<br />
inneres Ohr, das von Anbeginn unseres Lebens an der Quelle des<br />
Gotteswortes geblieben ist <strong>–</strong> und noch hören kann und diese Quelle<br />
unsere Gottessehnsucht ausschüttet <strong>–</strong> und manchmal nichts mehr hört<br />
und denken <strong>zu</strong> müssen glaubt, dass Gott <strong>zu</strong> reden aufgehört habe, dass<br />
er schweige und wir darum verhungern müssen, weil der Mensch nicht<br />
vom Brot allein lebt, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Munde<br />
Gottes geht. Schweigt Gott, ist die Gottesquelle versiegt, hat er<br />
aufgehört <strong>zu</strong> reden, oder hat nicht Benedikt XVI. den Nagel auf den Kopf<br />
getroffen, wenn er formuliert: „Es gibt eine Schwerhörigkeit Gott<br />
gegenüber, an der wir gerade in dieser Zeit leiden.“<br />
Liebe Gemeinde. Von einem schwerhörig Gewordenen haben wir vorhin<br />
schon gehört, von Jakob, dem Stammvater Israels. Was hat ihn<br />
schwerhörig gemacht? Was hat sein inneres Ohr fast taub gemacht und<br />
die Quelle seiner tiefen Seelenschichten fast <strong>zu</strong>geschüttet? Die Antwort<br />
muss wohl lauten: Der Umgang mit seiner Seele. Sie hat Schaden<br />
genommen, schweren Schaden... und interessanterweise gerade<br />
dadurch Schaden genommen, dass er anderen Schaden <strong>zu</strong>gefügt hat.<br />
Gehört nicht hierher das Wort Jesu: „Was nützt es dem Menschen, wenn<br />
er die ganze Welt gewönne und dabei Schaden nähme an seiner eigenen<br />
Seele?“ Unsere Seele nimmt Schaden <strong>–</strong> und Jesus redet hier keineswegs<br />
von jenseitigen Dingen, von etwaigen negativen Konsequenzen dereinst<br />
und jenseits unseres Erdenlebens: er redet vom hier und heute <strong>–</strong> unsere<br />
Seele nimmt Schaden, wenn wir anderen schaden. Und der Ort, wo<br />
Menschen Menschen Schaden <strong>zu</strong>fügen, ist damals und heute derselbe:<br />
eben da, wo Menschen versuchen, die ganze Welt <strong>zu</strong> gewinnen, den
eigenen Vorteil nur suchen, dem Eigennutz und nur dem Eigennutz<br />
hinterherjagen als ihrem Gott, als ihrem Götzen und dabei den<br />
lebendigen Gott verlieren, nicht mehr hören können... und leiden am<br />
Hunger nach Lebensgewissheit, und leiden am inneren Unheilsein, das<br />
sich in Nachtträumen erschreckend <strong>zu</strong> Wort melden kann.<br />
Liebe Gemeinde. Hat nicht unsere Weltseele Schaden genommen: lassen<br />
Sie mich diesen Begriff so ungeschützt kreieren: unsere Weltseele hat<br />
Schaden genommen <strong>–</strong> und wir leiden daran und leiden immer mehr<br />
daran. Wie leidend unsre Weltseele ist, zeigt sich gerade in diesen Tagen<br />
wieder bedrängend in der Reaktion der islamischen Welt auf ein<br />
Papstwort <strong>zu</strong>r Gewaltfrage im Islam, an dem es m. E. nichts <strong>zu</strong> tadeln<br />
gibt. Und doch ein Aufschrei der Empörung im andern Teil unserer Welt,<br />
erschreckend irrational, hasserfüllt und gewaltbereit <strong>–</strong> und ich kann<br />
dieses Phänomen nicht anders deuten als die Artikulation einer in der<br />
Tiefe verletzten Weltseele. Und davon bin ich überzeugt, dass diese<br />
Weltseele durch wirtschaftliche Ungerechtigkeit und darum dauerhafte<br />
Demütigung eines Teils der Welt verursacht wurde, und die<br />
vermeintliche Auseinanderset<strong>zu</strong>ng zwischen den Religionen letztendlich<br />
lediglich die Weltbühne bietet, um angestauten Hass ausleben <strong>zu</strong><br />
können. Eine verletzte Weltseele: Lassen wir uns nicht blenden und<br />
selber hineinziehen in diese unselige Polarisierung mittels des falschen<br />
Themas. Die Welt braucht unsere Stimmen für einen Welt-Marshall-Plan,<br />
der bald kommen muss und der unsere Bereitschaft <strong>zu</strong>m Teilen<br />
voraussetzt. An dieser Frage wird m.E. sich das Wohl oder Wehe des<br />
ganzen Jahrhunderts entscheiden.<br />
Und nun sehe ich vor meinem inneren Augen den in seiner Seele um<br />
seiner Taten und Untaten willen schwerhörig gewordenen Jakob, wie er<br />
über die kargen Berge Judas einer ungewissen Zukunft entgegenstolpert.
Er musste fliehen vor dem betrogenen Zwillingsbruder Esau; zerbrochen<br />
die Familie, zerstört das Vertraute <strong>–</strong> um seiner Habgier willen, um seiner<br />
Eigensucht willen. Schaden genommen hat seine Seele, weil er anderen<br />
Schaden <strong>zu</strong>gefügt hat. Gott scheint <strong>zu</strong> schweigen, ist nicht mehr hörbar,<br />
weil der Götze so laut und unentwegt lärmt und fordert. Hören wir ihn,<br />
den Götzen, den lauten: Du musst haben, haben, haben... du brauchst,<br />
um glücklich <strong>zu</strong> sein... du musst gewesen sein hier und dort und<br />
überall... du bist nur, was du hast... du hast ein Recht darauf, ein<br />
Recht, ein Recht... du kommst <strong>zu</strong> kurz...<br />
Gott scheint <strong>zu</strong> schweigen, ist nicht mehr hörbar, weil der Götze <strong>zu</strong> laut<br />
und unentwegt lärmt und fordert. Gott ist nicht mehr hörbar <strong>–</strong> und<br />
darum auch nicht der Menschenbruder und die Menschenschwester. Und<br />
am Ende steht die Frage Gottes: Kain, wo ist dein Bruder Abel? Jakob,<br />
was hast du deinem Bruder Esau angetan? Deine Seele hat Schaden<br />
genommen, weil du deinem Bruder Schaden <strong>zu</strong>gefügt hast. Deine Seele<br />
wird sterben müssen mitten im Leben, deine Seele verdursten, weil<br />
deine Taten und Untaten den Zugang <strong>zu</strong>r Gottesquelle <strong>zu</strong>geschüttet,<br />
verstopft und vergessen gemacht haben.<br />
Und nun ist es Nacht geworden. Jakob unter freiem Himmel <strong>–</strong> heimatlos<br />
und einsam. Und nicht <strong>zu</strong>fällig der Stein hinter seinem Kopf das einzig<br />
Bergende. Da beginnt Jakob <strong>zu</strong> träumen. Seine Seele erwacht, wird<br />
geweckt, tritt unerwartet und neu ins Gespräch mit dem Geist Gottes;<br />
die Quelle bricht sich Bahn von Gott her, die Quelle der Liebe Gottes, die<br />
leidet und mitleidet mit Seelen und Herzen, die hart wie Steine geworden<br />
sind, mit Seelen, die Schaden genommen haben.<br />
Jakob schaut eine Treppe, die von der Erde <strong>zu</strong>m Himmel reicht und auf<br />
der die Engel Gottes auf- und absteigen. Ganz oben steht Gott, hat sich<br />
Jakob <strong>zu</strong>gewendet <strong>–</strong> und Gott tut das Undenkbare, das nach
menschlichem Verständnis Unmögliche: Er verspricht sich Jakob neu<br />
ohne Wenn und Aber, wiederholt die Verheißung, die er dem Urvater<br />
Abraham gegeben hat: „Siehe, ich bin mit dir und werde dich behüten<br />
wo immer du hingehst, und will dich wieder herbringen in dies Land.<br />
Denn ich werde dich nicht verlassen, bis ich getan habe, was ich dir<br />
verheißen habe.“ Der an sein Wort gebundene Gott, der in Liebe<br />
gebundene Gott bindet sich neu an Jakob, den Betrüger, eröffnet ihm<br />
neu die Zukunft, indem er wieder mit ihm <strong>zu</strong> reden beginnt; es ist Gott<br />
selber, der Jakob sein Wort gönnt, der uns sein Wort gönnt, uns, die wir<br />
so oft Schaden an unserer Seele genommen haben und immer wieder<br />
nehmen werden im Hören auf das laute Geschrei der Götzen.<br />
Jakob lernt in dieser Nacht etwas und sorgt dafür, dass er das Geschaute<br />
nicht mehr vergessen wird. Er nimmt den Stein, den Felsbrocken, hinter<br />
dem er die Nacht verbracht hatte, und richtet ihn auf <strong>zu</strong>m Gedenkstein<br />
und salbt ihn und adelt ihn <strong>zu</strong>m Stein der Offenbarung. Diesen Stein wird<br />
er besuchen, wenn sein Herz und seine Seele wieder in Gefahr sind, <strong>zu</strong>m<br />
Stein <strong>zu</strong> erstarren. Am Stein Gottes soll ihn sein Erinnern erweichen und<br />
seine Seele mit Blut und Leben neu erfüllen, am Stein Gottes wird er in<br />
die Stille geführt, weggeführt von den lauten und seelentötenden Götzen<br />
<strong>–</strong> und hingeführt <strong>zu</strong> seinem Bruder, um Frieden und Gerechtigkeit <strong>zu</strong><br />
suchen.<br />
Liebe Gemeinde. Vor 2000 Jahren hat Gott selber einen Stein vom Grabe<br />
Jesu weggerollt, der uns <strong>zu</strong>m Gedenkstein werden kann <strong>–</strong> immer neu.<br />
Denn dieser Stein erinnert uns an Gottes Herz und sein Wort: Ich lebe,<br />
und ihr sollt auch leben. Leben sollt ihr und leben und überleben können<br />
sollen auch Eure Schwestern und Brüder <strong>–</strong> die ganz nahen und die ganz<br />
fernen. Amen.<br />
Martin Kaschler