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Armut und Ausgrenzung verhindern - Das LINKE CMS

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<strong>Armut</strong>sforen<br />

in Hannover, Göttingen, Wilhelmshaven<br />

<strong>und</strong> Wolfsburg<br />

Abschlussbericht


1 Vorwort<br />

<strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong> <strong>verhindern</strong><br />

<strong>Armut</strong>sforen in mehreren Städten liefern viele Anregungen<br />

Vorwort<br />

»<strong>Armut</strong> hat viele Gesichter«<br />

»<strong>Armut</strong> hat viele Gesichter«<br />

Von Patrick Humke-Focks,<br />

Sozial- <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitspolitischer Sprecher der Fraktion<br />

DIE <strong>LINKE</strong> im niedersächsischen Landtag<br />

Liebe Leserin, lieber Leser,<br />

jeder sechste Niedersachse gilt als arm,<br />

darunter fast eine viertel Million Kinder.<br />

Immer mehr Alleinerziehende rutschen<br />

in <strong>Armut</strong>, denn Kinder erhöhen<br />

das <strong>Armut</strong>srisiko. Fakten, die erschrecken<br />

müssen in einem der reichsten<br />

Länder der Welt; Fakten, die das Leben<br />

vieler Niedersachsen bestimmen – <strong>und</strong><br />

zwar bereits vor der aktuellen Krise,<br />

deren Folgen im Moment überhaupt<br />

noch nicht bezifferbar sind.<br />

Verantwortlich für wachsende <strong>Armut</strong><br />

<strong>und</strong> steigendes <strong>Armut</strong>srisiko sind nicht<br />

zuletzt jene Parteien, die im B<strong>und</strong>estag<br />

die Hartz-Reformen durchsetzten:<br />

SPD, CDU, die Grünen <strong>und</strong> die FDP, die<br />

mit der sogenannten Agenda 2010 Millionen<br />

Menschen arm gemacht oder an<br />

den Rand der <strong>Armut</strong> gebracht haben.<br />

Dadurch haben diese Parteien enorm<br />

an Glaubwürdigkeit verloren. Die Zahl<br />

der Wahlverweigerungen steigt stetig,<br />

immer mehr Menschen sind von der Politik<br />

enttäuscht <strong>und</strong> wenden sich ab.<br />

Gegen diesen Trend konnte DIE<br />

<strong>LINKE</strong> nach den letzten Landtagswahlen<br />

mit 7,1 Prozent erstmals in den niedersächsischen<br />

Landtag einziehen – ein<br />

Vertrauensvorschuss der Wählerinnen<br />

<strong>und</strong> Wähler, dem wir uns verpflichtet<br />

fühlen. Deshalb wollen wir Alternativen<br />

zur herrschenden Politik entwickeln <strong>und</strong><br />

streben nach einer Gesellschaft, in der<br />

soziale Gerechtigkeit <strong>und</strong> Umverteilung<br />

von oben nach unten keine Worthülsen<br />

mehr sind, sondern Wirklichkeit.<br />

In diesem Sinne hat DIE <strong>LINKE</strong> im<br />

Landtag vier regionale <strong>Armut</strong>sforen <strong>und</strong><br />

eine landesweite Abschlusskonferenz<br />

unter dem Motto »<strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong><br />

<strong>verhindern</strong>« durchgeführt, deren<br />

Ergebnisse wir in diesem Heft dokumentieren.<br />

Die Reihe hatte den Zweck, eine<br />

Form der Zusammenarbeit in der Sozialpolitik<br />

anzustoßen, die nicht auf eine<br />

konkrete Aktion beschränkt bleibt, sondern<br />

ein dauerhaftes Bündnis zum Ziel<br />

hat – über ideologische Schranken hinweg.<br />

Dazu luden wir Gewerkschaften<br />

<strong>und</strong> Verbände ein, Vereine, Kirchen <strong>und</strong><br />

Initiativen, um die bestehende Zusammenarbeit<br />

zu stärken, neue Netzwerke<br />

zu gründen <strong>und</strong> Strategien zu entwickeln,<br />

die <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong> überwinden<br />

helfen.<br />

Auch nach Abschluss der <strong>Armut</strong>sforen<br />

bleibt die Bekämpfung der <strong>Armut</strong><br />

unser zentrales Ziel, <strong>und</strong> dazu ist die<br />

Zusammenarbeit mit außerparlamentarischen<br />

Gruppen auch in Zukunft unverzichtbar.<br />

Trotzdem brauchen Menschen,<br />

die arm <strong>und</strong> sozial ausgegrenzt sind,<br />

auch konkrete Aktionen – <strong>und</strong> zu Recht<br />

sehen sie DIE <strong>LINKE</strong> hier als Partner.<br />

Hilfe <strong>und</strong> Unterstützung brauchen sie<br />

meist allerdings dort, wo sie leben; seltener<br />

im Leineschloss, dem Landesparlament.<br />

Ob Gewerkschaften, Sozialverbände<br />

oder Kirchengemeinden; ob Stadtteilbüros<br />

oder Quartiersmanagement; ob<br />

Dorfgemeinschaftshäuser, KITA-Belegschaften<br />

oder Jugendzentren; Familienhilfe,<br />

Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer, Erwerbsloseninitiativen,<br />

Vereine, lokale Tafeln<br />

<strong>und</strong> viele andere mehr – sie alle leisten<br />

an Ort <strong>und</strong> Stelle einen unschätzbaren<br />

Dienst im Kampf gegen die <strong>Armut</strong>.<br />

Dieses Engagement wollen wir stärken<br />

durch eine neue Form der Kommunikation<br />

<strong>und</strong> Vernetzung zwischen lokaler<br />

Basisarbeit <strong>und</strong> Fraktionsarbeit im Landtag.<br />

Die <strong>Armut</strong>sforen waren <strong>und</strong> sind<br />

hierbei entscheidende Mosaiksteine.<br />

Bei den eintägigen <strong>Armut</strong>sforen setzte<br />

die Linksfraktion auf Methoden der<br />

Kommunikation <strong>und</strong> Projektentwicklung,<br />

die in der Politik bislang wenig verbreitet<br />

sind: sogenannte World Cafés,<br />

moderierte Themengruppen, schnelle<br />

Problemzuspitzung, Kleingruppenprotokolle<br />

mittels Flipchart <strong>und</strong> abschließende<br />

Talkr<strong>und</strong>en am Kamin gehörten<br />

bei den Teilnehmenden nicht zum politi-<br />

Patrick Humke-Focks<br />

schen Alltag. Mit Hilfe dieser Methoden,<br />

unterstützt von Fachleuten <strong>und</strong> Impulsreferaten,<br />

erarbeiteten wir zahlreiche<br />

konkrete Forderungen <strong>und</strong> Projekte. Die<br />

Linksfraktion will vor Ort begleiten <strong>und</strong> –<br />

soweit möglich – helfen, sie im Landtag<br />

umzusetzen.<br />

Diese Broschüre gibt zum einen die<br />

Impulsreferate der Expertinnen <strong>und</strong><br />

Experten wieder, zum anderen dokumentiert<br />

sie die Themeneingrenzung<br />

<strong>und</strong> Spezifizierung mit allen entwickelten<br />

Projekt- <strong>und</strong> Arbeitsansätzen <strong>und</strong><br />

die politischen Forderungen der Regionalforen.<br />

Desweiteren stellt sie ausgewählte<br />

Themen <strong>und</strong> Umsetzungsvorschläge<br />

aus Sicht der Landtagsfraktion<br />

vor <strong>und</strong> zieht Schlussfolgerungen<br />

aus dem Diskutierten. Abschließend liefert<br />

sie Ihnen einen Überblick über die<br />

Arbeit, die die Linksfraktion zum Thema<br />

<strong>Armut</strong> im niedersächsischen Landtag<br />

bislang geleistet hat.<br />

Als sozial- <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitspolitischer<br />

Sprecher der <strong>LINKE</strong>N im niedersächsischen<br />

Landtag hat mir die Organisation<br />

<strong>und</strong> die Teilnahme an allen Veranstaltungen<br />

politisch <strong>und</strong> menschlich viel<br />

gebracht <strong>und</strong> vor allem – trotz des Themas<br />

– viel Freude bereitet. Unsere politischen<br />

Ansätze wurden unterstützt <strong>und</strong><br />

konkretisiert. Ich durfte viele inner- <strong>und</strong><br />

außerparteilich organisierte Menschen<br />

kennenlernen, deren Engagement <strong>und</strong><br />

Sichtweise spannende <strong>und</strong> notwendige<br />

Schritte gegen <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong><br />

aufzeigen.<br />

Ich wünsche Ihnen <strong>und</strong> Euch viel<br />

Spaß beim Lesen!<br />

Patrick Humke-Focks


Einleitung · Inhalt 2<br />

1 Einleitung<br />

Inhalt<br />

Die Landtagsfraktion der <strong>LINKE</strong>N vertritt<br />

in der Sozialpolitik Positionen, die<br />

viele außerparlamentarische Akteure<br />

wie Gewerkschaften, Sozialverbände<br />

oder Kirchen teilen. Die <strong>Armut</strong>sforen<br />

sollten deshalb einen Dialog zu diesen<br />

Akteuren aufbauen, um gemeinsame<br />

Handlungsstrategien zur Überwindung<br />

von <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong> zu<br />

entwickeln. Da DIE <strong>LINKE</strong> ihre politischen<br />

Ziele ohne außerparlamentarische<br />

Bündnispartner nicht durchsetzen<br />

kann, ist eine kontinuierliche Zusammenarbeit<br />

mit Gewerkschaften, Verbänden<br />

<strong>und</strong> Initiativen im Bereich der<br />

<strong>Armut</strong>sbekämpfung, aber auch in allen<br />

anderen Politikfeldern unverzichtbar.<br />

Mit den <strong>Armut</strong>sforen will DIE <strong>LINKE</strong><br />

gerade im Bereich der Sozialpolitik<br />

eine Form der Zusammenarbeit initiieren,<br />

die sich nicht nur auf eine<br />

konkrete Aktion beschränkt, sondern<br />

ein dauerhaftes Bündnis über ideologische<br />

Schranken hinweg gewährleistet.<br />

Gewerkschaften, Sozialverbände,<br />

Kirchengemeinden, Stadtteilbüros <strong>und</strong><br />

Quartiersmanagement, Mitarbeiter/innen<br />

in Kindertageseinrichtungen, Jugendzentren<br />

<strong>und</strong> der Familienhilfe, Lehrer/innen,<br />

Arbeitslosen- <strong>und</strong> Beratungsinitiativen,<br />

Vereine, lokale Tafeln <strong>und</strong><br />

viele aktive Menschen in weiteren Gruppen<br />

leisten einen unschätzbaren Dienst.<br />

Die <strong>Armut</strong>sforen wollen dieses Engagement<br />

durch eine neue Form der Kommunikation<br />

<strong>und</strong> Vernetzung zwischen<br />

lokaler Basisarbeit <strong>und</strong> Fraktionsarbeit<br />

im Landtag stärken <strong>und</strong> unterstützen.<br />

Bei den jeweils eintägigen Veranstaltungen<br />

in Hannover, Göttingen, Wilhelmshaven<br />

<strong>und</strong> Wolfsburg setzte DIE<br />

<strong>LINKE</strong> auf im politischen Bereich relativ<br />

unbekannte Methoden der Kommunikation<br />

<strong>und</strong> Projektentwicklung. »Café-<br />

Gespräche«, moderierte Themengruppen,<br />

schnelle Problemzuspitzung, Kleingruppenprotokolle<br />

mittels Flipchart <strong>und</strong><br />

abschließende Talkr<strong>und</strong>en am künstlichen<br />

Kamin gehörten bisher noch nicht<br />

zum politischen Alltag. Daran teilgenommen<br />

haben Landtags- <strong>und</strong> Kommunalpolitiker,<br />

Genoss(inn)en sowie außerhalb<br />

der Partei engagierte Akteure. Die<br />

Arbeitsmethoden, unterstützt von kurzen<br />

Impulsreferaten <strong>und</strong> aktiver Mitarbeit<br />

von Fachexpert(inn)en, führten zu<br />

vielen konkret umsetzbaren Forderungen<br />

<strong>und</strong> Projektansätzen. Diese wird<br />

DIE <strong>LINKE</strong> vor Ort <strong>und</strong> vor allem in der<br />

Arbeit der Landtagsfraktion konsequent<br />

weiter verfolgen.<br />

Diese Broschüre informiert zu Beginn<br />

über die Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen.<br />

In den Kapitel 3 bis 7 folgen die Fachaufsätze<br />

der Referenten zum Thema.<br />

Michael Kl<strong>und</strong>t <strong>und</strong> Christoph Butterwegge<br />

legen in den ersten beiden<br />

Kapiteln den Fokus auf Kinderarmut.<br />

Sie diskutieren deren Ausmaß, Erscheinungsformen<br />

<strong>und</strong> Ursachen <strong>und</strong> liefern<br />

viele Lösungsansätze. Vor allem Christoph<br />

Butterwegge thematisiert in diesem<br />

Zusammenhang die unrühmliche<br />

Rolle der Hartz-Gesetze. Inga Nitz wirft<br />

danach einen Blick auf die Situation<br />

vor Ort am Beispiel der Hansestadt Bremen.<br />

Stefan Thomas erläutert in Kapitel<br />

6 die <strong>Ausgrenzung</strong>sprozesse, die zur<br />

<strong>Armut</strong> führen, die psychologischen Folgen<br />

für die Betroffenen <strong>und</strong> beschreibt<br />

notwendige praktische <strong>und</strong> politische<br />

Konsequenzen. Werner Seppmann diskutiert<br />

in Kapitel 7, warum immer mehr<br />

Menschen arm sind, obwohl sie einen<br />

Job haben. Er untersucht schließlich,<br />

inwieweit sich in der Bevölkerung ein<br />

Widerstandspotenzial gegen die herrschende<br />

Verarmungspolitik entwickeln<br />

kann.<br />

»<strong>Armut</strong> hat viele Gesichter«1<br />

1 Einleitung 2<br />

2 Ergebnisse der<br />

<strong>Armut</strong>sforen 3<br />

3 Kinderarmut –<br />

Ursachen <strong>und</strong> Folgen 18<br />

4 Kinderarmut in<br />

einem reichen Land 23<br />

5 <strong>Armut</strong> <strong>und</strong><br />

Kinderarmut in Bremen 30<br />

6 <strong>Armut</strong> <strong>und</strong><br />

soziale <strong>Ausgrenzung</strong> 33<br />

7 Rückzug oder<br />

Widerstand? 38<br />

8 Gemeinwesenarbeit<br />

stützen<br />

– Teilhabe<br />

sichern – <strong>Armut</strong><br />

bekämpfen 40<br />

9 Interessante Links 42<br />

10 Eine Auswahl<br />

weiterführender<br />

Literatur 44<br />

Teilnehmer/innen der Wilhelmshavener Café-Gespräche


3 Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen<br />

2 Ergebnisse der der <strong>Armut</strong>sforen <strong>Armut</strong>sforen<br />

Bei den jeweils eintägigen <strong>Armut</strong>sforen<br />

in Hannover, Göttingen, Wilhelmshaven<br />

<strong>und</strong> Wolfsburg setzte DIE <strong>LINKE</strong><br />

auf Methoden der Kommunikation <strong>und</strong><br />

Projektentwicklung, die im politischen<br />

Bereich bisher relativ unbekannt sind.<br />

Diese Arbeitsmethoden werden zunächst<br />

kurz erläutert, bevor dieses Kapitel<br />

die Ergebnisse der Foren dokumentiert.<br />

Café-Gespräche<br />

Dieser Methode liegt folgende Idee<br />

zugr<strong>und</strong>e: Jede/r Teilnehmer/in des<br />

<strong>Armut</strong>sforums bringt etwas mit: eigene<br />

Ansichten, Ideen, Perspektiven, Themenschwerpunkte<br />

<strong>und</strong> Erwartungen. Die<br />

Teilnehmenden setzen sich an mehrere<br />

Tische, lernen sich kennen <strong>und</strong> beginnen<br />

sich inhaltlich auszutauschen. Nach<br />

<strong>und</strong> nach wechseln sie von Tisch zu<br />

Tisch, um auch die anderen Teilnehmer/innen<br />

kennen zu lernen. Indem<br />

sie ihre Meinung aktiv einbringen, werden<br />

Menschen <strong>und</strong> Ideen miteinander<br />

»verlinkt«. Denn alle Teilnehmer/innen<br />

tragen wichtige Ideen oder Themen zu<br />

neuen Tischen, tauschen Perspektiven<br />

aus <strong>und</strong> führen so zu überraschenden,<br />

neuen Erkenntnissen. Die Spielregeln<br />

sind dabei folgende:<br />

• Kurze Vorstellungsr<strong>und</strong>e an jedem<br />

Tisch<br />

• »Gastgeber/in« finden<br />

• Erste Frage spontan besprechen:<br />

»Was verstehe ich unter <strong>Armut</strong>?«<br />

• Notizen, Bilder <strong>und</strong> Sprüche bleiben<br />

auf der Tischdecke<br />

• Die Teilnehmer/innen notieren<br />

einen kurzen Satz als Ergebnis der<br />

Diskussion am Tisch<br />

• Gastgeber/in bleibt, alle anderen<br />

Teilnehmer/innen wechseln an<br />

neue Tische<br />

• Dort gleicher Ablauf mit zweiter<br />

Frage: »Wo treffe ich auf <strong>Armut</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Ausgrenzung</strong> durch <strong>Armut</strong>?«<br />

• Die Teilnehmer/innen wechseln<br />

erneut<br />

• Dritte Frage: »Was muss nach<br />

meiner Meinung unbedingt gegen<br />

<strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong> getan werden?«<br />

Moderierte Themengruppen<br />

Gemeint sind Diskussionsgruppen zu<br />

verschiedenen Themen, die jeweils ein<br />

Akteur moderiert. Der Moderator sondiert<br />

mit Karten an Stellwänden in<br />

einer ersten Abfrage das Themenfeld.<br />

Jede/r Teilnehmer/in notiert sich Stichpunkte,<br />

wo er/sie im Themengebiet<br />

ganz konkret auf <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong><br />

trifft. Diese Punkte ordnet der<br />

Moderator anschließend zusammen mit<br />

der Gruppe thematisch, man spricht<br />

auch von der Bildung von Clustern, <strong>und</strong><br />

bepunktet diese zum Schluss, um die<br />

wichtigsten Ansätze herauszufiltern. Zu<br />

diesen Top-Themen nannten die Teilnehmer/innen<br />

ohne tiefere Diskussion Probleme<br />

<strong>und</strong> entwickelten Lösungen. Beides<br />

wurde anschließend in Kleingruppen<br />

konkretisiert.<br />

Individuelle Kleingruppen<br />

Zu den jeweils drei bis fünf wichtigsten<br />

Problemen in jedem Themenbereich<br />

entwickelten Kleingruppen konkrete<br />

Lösungs- oder Handlungsansätze.<br />

Die Teilnehmer/innen kennzeichneten<br />

die Ergebnisse als lokale Projekt- <strong>und</strong><br />

Handlungsstrategien oder formulierten<br />

sie als Forderung an die Landtagsfraktion.<br />

In einem Flipchart-Protokoll wurden<br />

Ideen, Begründungen, konkrete<br />

Handlungsschritte <strong>und</strong> mögliche Aktive<br />

festgehalten <strong>und</strong> den Themengruppen<br />

später vorgestellt.<br />

Talkr<strong>und</strong>e am »Kamin«<br />

In einer moderierten Talkr<strong>und</strong>e stellten<br />

die Beteiligten zum Schluss die zentra-


Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen 4<br />

Resultate aus Café-Gesprächen<br />

Unter <strong>Armut</strong> verstehen wir . . .<br />

• in Hannover:<br />

⊲ <strong>Armut</strong> bedeutet <strong>Ausgrenzung</strong> <strong>und</strong> Defizite an gesellschaftlicher<br />

Teilhabe<br />

⊲ Nichtteilhabe in allen Lebenslagen, beim Konsumverhalten<br />

⊲ <strong>Ausgrenzung</strong>, Isolation, fehlende Sicherheit, Angst<br />

⊲ Einkommensarmut, mangelnde Teilhabe am sozialen <strong>und</strong><br />

kulturellen Leben.<br />

• in Göttingen:<br />

⊲ <strong>Armut</strong> ist inhuman <strong>und</strong> gewollt. <strong>Armut</strong> ist eine tief greifende<br />

Entwicklung in allen Bereichen des Lebens<br />

⊲ <strong>Armut</strong> ist nicht nur materielle <strong>Ausgrenzung</strong><br />

⊲ <strong>Armut</strong> ist vorsätzliche <strong>Ausgrenzung</strong> <strong>und</strong> Entrechtung<br />

⊲ Angst vor dem sozialen Abstieg <strong>und</strong> dadurch krank werden<br />

⊲ Kinderarmut, keine Wahrung politischer Rechte als Hartz-IV-<br />

Bezieher/in möglich, Bildungsarmut<br />

⊲ fehlende Lebenschancen, einhergehend mit Isolation <strong>und</strong><br />

<strong>Ausgrenzung</strong><br />

• in Wilhelmshaven:<br />

⊲ <strong>Ausgrenzung</strong> <strong>und</strong> soziale Gettoisierung, die Schere geht<br />

immer weiter auseinander<br />

⊲ keine Teilhabe, keine Wahlmöglichkeit, ungerechte Verteilung,<br />

Zwang, unrealistischer »Warenkorb«<br />

⊲ keine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, versteckte<br />

<strong>Armut</strong>, schichtübergreifend trotz Arbeit, verstärkt durch<br />

Unwissenheit, schlechte Beratung, <strong>Armut</strong> vererbt sich<br />

⊲ <strong>Armut</strong> an: psychischer <strong>und</strong> physischer Ges<strong>und</strong>heit, Sprache<br />

<strong>und</strong> Zusprache, Akzeptanz <strong>und</strong> Anerkennung, Würde<br />

<strong>und</strong> soziale Kontakte, Solidarität <strong>und</strong> Mitgefühl, Bildung <strong>und</strong><br />

Kreativität, materielle Dinge, persönliche Entfaltung - alles<br />

Worte für das Gleiche: chancenlos<br />

⊲ nicht nur zu wenig Geld: Perspektivlosigkeit, <strong>Ausgrenzung</strong>,<br />

gesellschaftliche Missachtung bei Arbeitslosigkeit, schlechtes<br />

Gewissen, »<strong>Armut</strong>« ist stets Sicht des einzelnen, Arbeitslosigkeit<br />

ist negativ besetzt<br />

• in Wolfsburg:<br />

⊲ soziale Isolation, <strong>Ausgrenzung</strong> aus der Gesellschaft<br />

⊲ <strong>Armut</strong> ist: Existenzangst, wenig Kultur, wenig Würde, Not<br />

<strong>und</strong> Isolation, keine oder wenig medizinische Versorgung<br />

⊲ von allem zu wenig: Betrifft vor allem Kinder, Jugendliche<br />

<strong>und</strong> Ältere<br />

⊲ kein Geld, also Rückzug ins Private<br />

⊲ keine Teilhabe an demokratischen Rechten, Kultur, sozialem<br />

Zusammenleben, Bildung<br />

⊲ <strong>Ausgrenzung</strong>, Nicht-Teilhabe, im Vergleich zur übrigen<br />

Gesellschaft krass unterversorgt, Stichwort: arm in reicher<br />

Gesellschaft<br />

Auf <strong>Armut</strong> treffen wir . . .<br />

• in Hannover:<br />

⊲ medizinische Versorgung, Sparmaßnahmen im Ges<strong>und</strong>heitswesen,<br />

laufende Ausstattung in der Schule<br />

⊲ unter Frauen (Frauen werden nur von Frauen unterstützt)<br />

⊲ Überall<br />

⊲ in der Öffentlichkeit, Suppenküche, Haushalt<br />

⊲ Klassenfahrt, Schule, Jobcenter, persönliches Umfeld<br />

• in Göttingen:<br />

⊲ Die »Reste« der Gesellschaft verwerten dürfen, geteilte<br />

Lebenswelten: Die, die entscheiden können <strong>und</strong> die, die<br />

nichts machen können<br />

⊲ <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong> betrifft alle Lebensbereiche<br />

⊲ öffentlich auf allen Ebenen sichtbar: Wohnungslose, Hilflosigkeit<br />

der Profis<br />

⊲ überall in der Öffentlichkeit, auch bei Berufstätigen<br />

⊲ keine existenzsichernde Arbeit zu haben, Hartz IV, Jobcenter,<br />

Kinderarmut<br />

⊲ in allen Altersgruppen <strong>und</strong> überall im Alltag<br />

• in Wilhelmshaven:<br />

⊲ einerseits: <strong>Armut</strong> überall, andererseits: viel versteckte<br />

<strong>Armut</strong><br />

⊲ bei der Tafel e. V., mittags auf dem Markt, im Alltag auf der<br />

Straße, in Beratungsstellen, bei Aldi, in Krankenhaus <strong>und</strong><br />

Arztpraxis, aber nicht im Stadtrat <strong>und</strong> nicht in der Nachbarschaft<br />

len Ideen aus den verschiedenen Themengruppen<br />

vor. Landtagsabgeordnete,<br />

Kreisvorstand <strong>und</strong> jeweils ein/e Vertreter/in<br />

aus jeder Themengruppe überprüften<br />

schließlich gemeinsam die Chancen<br />

einer Realisierung lokal vor Ort <strong>und</strong><br />

landesweit.<br />

Abschlussveranstaltung<br />

in Hannover<br />

Im Anschluss an die regionalen <strong>Armut</strong>sforen<br />

trafen sich alle Beteiligten zur<br />

Abschlussveranstaltung im Dezember<br />

vergangenen Jahres in Hannover. Nach<br />

der Begrüßung durch die hannoversche


5 Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen<br />

⊲ <strong>Armut</strong> erleben wir in jeder Lebenssituation: in Schule,<br />

Öffentlichkeit, Arbeit, Freizeit <strong>und</strong> in Vereinen, auch im Sinne<br />

geistiger Verkümmerung.<br />

⊲ Behinderung bedeutet <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> Isolation. »<strong>Armut</strong> ist<br />

immer <strong>und</strong> überall«<br />

⊲ Partei, Wochenmärkte, Suppenküchen (Tafeln), Wohlstandsmüll,<br />

Ges<strong>und</strong>heitssystem, Schule, Kita<br />

⊲ Kindergärten, Schulen, Arbeitsloseninitiativen, Öffentlichkeit,<br />

Beratungsstellen wegen Insolvenz<br />

• in Wolfsburg:<br />

⊲ im öffentlichen Raum: Fassaden, Ladenleerstand, Ein-Euro-<br />

Läden, im Verein, KiTa, bei musikalischer Früherziehung<br />

⊲ in der Schule, bei Ges<strong>und</strong>heit wie schlechte Zähne <strong>und</strong> dort,<br />

wo »Reste« der Gesellschaft verteilt werden<br />

⊲ in fast allen gesellschaftlichen Bereichen: Krippen, Schulen,<br />

Behinderteneinrichtungen, Altersheime, Arbeitsstelle,<br />

Geschäfte<br />

⊲ Schule, Kirche, Tafel, Notunterkünfte, Altersheime, Kinderheime,<br />

Frauenhaus, Gefängnis<br />

⊲ <strong>Armut</strong> versteckt sich in Betrieben, bei Kindern <strong>und</strong> Alten<br />

⊲ fast überall »im Leben«<br />

Gegen <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong> muss nach unserer Meinung<br />

unbedingt getan werden . . .<br />

• in Hannover:<br />

⊲ Umverteilung, Selbstorganisation stärken, nicht in Opferrolle<br />

verfallen, Widerstand lernen<br />

⊲ Umverteilung, Zeit für Bildung, soziokulturelle Angebote,<br />

Arbeit fair teilen, Mindestlohn, soziale Gr<strong>und</strong>sicherung<br />

⊲ Regelsatz erhöhen, Mindestlohn <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>sicherung,<br />

Debatte um Wert des Menschen<br />

⊲ Solidarität <strong>und</strong> Umverteilung<br />

⊲ Umverteilung, Rechtsanspruch auf ganztägige Kinderbetreuung<br />

ab dem ersten Lebensjahr, gemeinsam Vereine gründen:<br />

Kitas, Frauenratschlag »Frauen wählen Frauen <strong>und</strong> kluge<br />

Männer auch«<br />

• in Göttingen:<br />

⊲ kostenlose Räume für Arbeitslosen-Treffs, finanzielle Situation<br />

von Hartz-IV-Empfängern verbessern, gebührenfreie Bildung<br />

für alle von Anfang an<br />

⊲ mindestens 990 Euro Regelsatz, Diskussion über die Ursachen,<br />

nicht an den Symptomen rumdoktern<br />

⊲ menschenwürdiges Einkommen, dafür <strong>Armut</strong>sgrenze neu<br />

festlegen<br />

⊲ Umverteilung von sozialversicherungspflichtiger Arbeit, um<br />

so die soziale Sicherung auszubauen<br />

⊲ Verteilungsgerechtigkeit<br />

• in Wilhelmshaven:<br />

⊲ Bedingungsloses Gr<strong>und</strong>einkommen als Praxis / Kulturentwicklung<br />

gegen bürgerliches, konsumorientiertes Kulturverständnis<br />

/ Gesetzesänderungen / »<strong>Ausgrenzung</strong> im eigenen<br />

Kopf beseitigen« / mehr Staat<br />

⊲ Arbeit für »Alle« zur wirtschaftlichen <strong>und</strong> sozialen Absicherung,<br />

Generationenvertrag<br />

⊲ kostenlose Bildung in Kita <strong>und</strong> Schule, kostenlose Angebote<br />

für musische Bildung <strong>und</strong> Sport; Erhöhung der Realeinkommen<br />

bei Renten, Arbeitseinkünften <strong>und</strong> Regelsätzen; Kindergeld<br />

nicht auf die Regelsätze anrechnen, mehr gesellschaftliche<br />

Aufklärung<br />

⊲ Politikwechsel, Barrieren abbauen, Gr<strong>und</strong>einkommen, Einzelfallhilfe,<br />

Rechte durchsetzen<br />

⊲ Umverteilung von oben nach unten <strong>und</strong> nicht umgekehrt,<br />

gesellschaftliche Teilhabe <strong>und</strong> Kultur, eine solidarische<br />

Gesellschaft anstreben, Aufklärung <strong>und</strong> Bewusstseinsbildung,<br />

bedingungsloses Gr<strong>und</strong>einkommen<br />

• in Wolfsburg:<br />

⊲ Mindestlohn, Leiharbeit abschaffen, keine Studiengebühr,<br />

Umverteilung, Arbeitszeit verkürzen<br />

⊲ Umverteilung von Reich nach Arm, menschenwürdige Bezahlung,<br />

Steuergerechtigkeit, unabhängige Aufklärung über<br />

<strong>Armut</strong><br />

⊲ soziale Gr<strong>und</strong>sicherung, gegliedertes Schulsystem abschaffen,<br />

Mindestlohn von mehr als acht Euro, Umverteilung von<br />

oben nach unten<br />

⊲ Arbeitsplätze zu Mindestlöhnen schaffen, Arbeitszeit verkürzen,<br />

Vermögen <strong>und</strong> Einkommen umverteilen, Teilhabe an Bildung,<br />

Kultur <strong>und</strong> Demokratie<br />

⊲ materielle <strong>und</strong> ethisch-moralische Voraussetzungen schaffen<br />

(gr<strong>und</strong>legende Systemveränderung)<br />

⊲ humane Gr<strong>und</strong>sicherung für Alle, Selbstbewusstsein der<br />

Betroffenen stärken <strong>und</strong> Solidarisierung mit ihnen<br />

Landtagsabgeordnete Christa Reichwaldt<br />

führte Patrick Humke-Focks als<br />

sozialpolitischer Sprecher der Landtagsfraktion<br />

DIE <strong>LINKE</strong> ins Thema ein. Uwe<br />

Helmes, der die Foren als Moderator<br />

mitkonzipiert <strong>und</strong> organisiert hat, erläuterte<br />

anhand von Fotos <strong>und</strong> kurzen Texten<br />

die Ziele, Methoden <strong>und</strong> Abläufe<br />

der regionalen Foren in Hannover, Göttingen,<br />

Wilhelmshaven <strong>und</strong> Wolfsburg.<br />

Alle Interessierten, die nicht daran teilgenommen<br />

hatten, erhielten so einen<br />

kurzen Einblick in die untypischen <strong>und</strong><br />

als sehr bereichernd empf<strong>und</strong>enen Veranstaltungen.<br />

Die Besucher/innen konnten<br />

sich auch in vier Themenecken über<br />

die Inhalte <strong>und</strong> Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen<br />

informieren. Neben einer Zusam-


Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen 6<br />

menfassung aller Meinungen <strong>und</strong> Wünsche<br />

stand zu jedem Themenbereich<br />

ein/e Vertreter/in der Landtagsfraktion<br />

bereit, um über Projektideen, konkrete<br />

Aktivitäten <strong>und</strong> politische Forderungen<br />

aus den Regionalforen zu berichten.<br />

Für die folgende Podiumsdiskussion<br />

hielten der Publizist <strong>und</strong> Vorsitzende der<br />

Marx-Engels-Stiftung, Dr. Werner Seppmann,<br />

<strong>und</strong> Inga Nitz, Mitglied der Bremischen<br />

Bürgerschaft <strong>und</strong> im Parteivorstand<br />

DIE <strong>LINKE</strong>, kurze Impulsreferate.<br />

Beide standen anschließend zusammen<br />

mit den Landtagsabgeordneten Christa<br />

Reichwaldt <strong>und</strong> Patrick Humke-Focks<br />

für Fragen <strong>und</strong> Statements der Besucher/innen<br />

bereit.<br />

Prof. Dr. Christoph Butterwegge<br />

von der Universität Köln <strong>und</strong> Koautor<br />

des Buches »Kinderarmut in Ost- <strong>und</strong><br />

Westdeutschland« gehörten die letzten<br />

45 Minuten. In seinem mitreißenden<br />

Vortrag ging er auf die Gründe<br />

<strong>und</strong> Folgen von <strong>Armut</strong> ein. Ein Schwerpunkt<br />

seines Vortrags waren die notwendigen<br />

Konsequenzen, um <strong>Armut</strong> zu<br />

bekämpfen. Politisch <strong>und</strong> gesellschaftlich<br />

müssten sich Menschen zusammentun<br />

<strong>und</strong> gemeinsam aktiv werden,<br />

so der <strong>Armut</strong>sforscher. Dies könne<br />

in Parteien, Gewerkschaften, Kirchen<br />

<strong>und</strong> Institutionen genauso geschehen<br />

wie in Stadtteilen <strong>und</strong> losen Zusammenschlüssen.<br />

Hauptsache, Betroffene<br />

<strong>und</strong> nicht direkt Betroffene würden<br />

an einem Strang ziehen <strong>und</strong> laut werden.<br />

Die Zeit, in der sich Arbeitslose<br />

zurückziehen, vereinsamen <strong>und</strong> immer<br />

leiser <strong>und</strong> unsichtbarer werden, müsse<br />

dringend vorbei sein, forderte Butterwegge.<br />

Hierfür seien die <strong>Armut</strong>sforen<br />

<strong>und</strong> die politische Konzentration die<br />

Linksfraktion auf dieses Thema wichtige<br />

Schritte.<br />

Zum Schluss bedankte sich Patrick<br />

Humke-Focks bei allen Beteiligten – vor<br />

allem bei Uwe Helmes für seine engagierte<br />

Organisation der Foren <strong>und</strong> Detlev<br />

Voigt, der die Veranstaltungsreihe<br />

von der Idee bis zu den lokalen <strong>Armut</strong>sforen<br />

begleitete. Ein besonderer Dank<br />

ging an die vielen Aktiven aus den<br />

Kreisverbänden in Hannover, Göttingen,<br />

Wilhelmshaven <strong>und</strong> Wolfsburg, ohne<br />

deren Engagement die Veranstaltungsreihe<br />

der Landtagsfraktion nicht möglich<br />

gewesen wäre.<br />

Maßnahmen gegen <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong><br />

Mindestlohn<br />

10 Euro<br />

Ehrenamt<br />

auch gegen<br />

Entlohnung<br />

gesellschaftlich<br />

notwendige<br />

Arbeit<br />

angemessen<br />

entlohnen<br />

Deckung des<br />

täglichen<br />

Bedarfs<br />

Keine Rentenabzüge<br />

für Langzeitarbeitslose/<br />

Hartz IV<br />

EU-Rente<br />

»Was ist im Bereich Arbeit, Ausbildung, Erwerbslosigkeit<br />

Existenzsichernde<br />

Entlohnung<br />

Keine unterschiedliche<br />

Bezahlung für<br />

gleiche Arbeit<br />

Weg mit 1-<br />

Euro-Jobs<br />

Einwirken auf<br />

öffentliche<br />

Auftragsvergabe<br />

Gr<strong>und</strong>versorgung<br />

sichern<br />

Soziale Sicherung<br />

anheben<br />

Gr<strong>und</strong>einkommen<br />

Gr<strong>und</strong>sicherung<br />

armutsfest<br />

Arbeit soll so<br />

bezahlt werden,<br />

dass man<br />

davon leben<br />

kann<br />

Keine ungewollte<br />

Frühverrentung<br />

Mindestlohn<br />

Repressionsfreie<br />

Gr<strong>und</strong>sicherung<br />

Hilfe <strong>und</strong><br />

Beratung<br />

Gute (ehrliche)<br />

Beratung<br />

für Sozialhilfeempfänger<br />

Geld für lokale<br />

Initiativen<br />

Arbeit des Jobcenter<br />

verbessern<br />

Vertretung<br />

Erwerbsloser<br />

in der Gesellschaft<br />

Sozialberatung<br />

Finanzierung


7 Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen<br />

etc. unbedingt zu tun, um <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong> zu <strong>verhindern</strong>?«<br />

Lebenslanges<br />

Lernen als<br />

Prinzip gesellschaftlichen<br />

Handelns<br />

Gesellschaftliche<br />

Bedingungen<br />

Privatisierung<br />

Solidargemeinschaft<br />

Keine<br />

Geschlechtsspezifische<br />

Ausbildung<br />

Schwächere<br />

unterstützen<br />

Arbeit, Ausbildung,<br />

Erwerbslosigkeit,<br />

Rente,<br />

Hartz IV etc.<br />

Kampf gegen<br />

<strong>Armut</strong> über<br />

Grenzen hinaus<br />

Wertvermittlung<br />

in<br />

der Schule/<br />

Familie fördern<br />

Initiativen,<br />

humanen<br />

Arbeitsmarkt<br />

fördern<br />

BBS als Auffangbecken<br />

abschaffen<br />

Ausbildungsbetreuung<br />

für<br />

sozial Schwache<br />

Ein Anspruch<br />

auf Erwerbsarbeit<br />

»Arbeit« neu<br />

definieren<br />

Nicht über<br />

<strong>Armut</strong>, sondern<br />

über<br />

Reichtum<br />

reden<br />

Kein Schulabschluss:<br />

soziales<br />

Jahr <strong>und</strong><br />

Weiterbildung<br />

Weiterbildung<br />

für Ältere<br />

Globalisierte<br />

Arbeitswelt<br />

Partizipation<br />

Mehr Arbeitsplätze<br />

(Weiter-)Bildung<br />

ermöglichen<br />

kreative, neue<br />

Ideen erkennen<br />

<strong>und</strong> fördern<br />

(Institution?)<br />

Outsourcing<br />

eindämmen<br />

Arbeitszeit<br />

Stärkere<br />

Zusammenarbeit<br />

zwischen<br />

Betrieben <strong>und</strong><br />

Schulen<br />

Jugendhäuser<br />

Bildungsförderung<br />

statt Bildungserwerb<br />

Ehrenamt<br />

nicht ausnutzen<br />

sinkendes<br />

Arbeitsvolumen<br />

gerecht/<br />

fair verteilen:<br />

Arbeitszeitverkürzung<br />

öffentlich<br />

geförderte<br />

Beschäftigung<br />

Umbau des<br />

Sozialstaats<br />

Investitionsabgabe<br />

Steuersystem<br />

SV-Arbeit<br />

statt 1-Euro-<br />

Jobs <strong>und</strong> ALG-<br />

Praktika<br />

Umverteilung<br />

von Arbeit auf<br />

mehr Stellen


Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen 8<br />

Eine politische Forderung aus<br />

Hannover:<br />

Sozial-Siegel<br />

Darum geht es:<br />

⊲ Verbraucher sollen beim Kauf/bei<br />

Nutzung bemerken können, ob Produkte/Dienstleistungen<br />

unter Einhaltung<br />

von:<br />

⋆ Tarifabsprachen<br />

⋆ Arbeitsschutz<br />

⋆ Mindeststandards ILO<br />

⋆ etc.<br />

hergestellt/erbracht werden<br />

⊲ Beitrag zur Solidarisierung<br />

Konkrete nächste Schritte:<br />

⊲ Ziel: B<strong>und</strong>esebene<br />

⊲ Hearing Fachleute – welche Standards?<br />

Kontrolle wer <strong>und</strong> wie?<br />

⊲ Landtagfraktion <strong>und</strong> B<strong>und</strong>esratsinitiative<br />

Wer macht es / sollte es machen?<br />

⊲ Gewerkschaften, Umweltverbände,<br />

Kirche, Wohlfahrtsverbände, Verbände<br />

Entwicklungshilfe <strong>und</strong> internationale<br />

Solidaritätsarbeit<br />

Eine Projektidee mit politischer Forderung<br />

aus Göttingen:<br />

Aktionstag im Rathaus<br />

Darum geht es:<br />

⊲ Sichtbarmachung von <strong>Armut</strong> <strong>und</strong><br />

Folgen, z. B. im Alltag<br />

⊲ auch für Menschen mit Einschränkungen<br />

⊲ Thema: Aussortierung von Kranken<br />

Konkrete Forderungen:<br />

⊲ Erhöhung von Renten bzw. SGB VII<br />

Konkrete nächste Schritte:<br />

⊲ Vernetzungstreffen: 16. 12. von 10 bis<br />

15 Uhr bei Ver.di<br />

⊲ Infotische, Transparente, Flyer<br />

erstellen<br />

⊲ Petitionen?<br />

Wer macht es / sollte es machen?<br />

⊲ Beatrice + Elos ver.di<br />

⊲ Petra + Die Linke (Gö)<br />

Eine politische Forderung aus<br />

Göttingen:<br />

menschenwürdiges Einkommen<br />

für alle<br />

Darum geht es:<br />

⊲ Kindergeld erhöhen – ohne Anrechnung<br />

350 €<br />

⊲ Wohnrecht für alle über 18 Jahre<br />

⊲ Hartz IV muss weg – bedarfsgerechter<br />

Regelsatz deutlich über 435 €<br />

⊲ Sozialticket<br />

⊲ Befreiung für Ges<strong>und</strong>heit<br />

Konkrete Forderungen:<br />

⊲ Wohngeld an den realen Kosten<br />

orientieren<br />

⊲ volle Übernahme der Nebenkosten<br />

⊲ Abschaffung von 1-Euro-Jobs<br />

Wer macht es / sollte es machen?<br />

⊲ Montagsveranstaltung aktivieren<br />

⊲ Gewerkschaftl. Erwerbslosengruppe<br />

⊲ sowohl Sozial-Forum <strong>und</strong> R<strong>und</strong>en<br />

Tisch einbeziehen<br />

Eine Projektidee aus Wolfsburg (selbst Utopie genannt):<br />

Leben von selbstbestimmter <strong>und</strong> gesellschaftlich<br />

nützlicher Arbeit (Gr<strong>und</strong>sicherung)<br />

Darum geht es:<br />

⊲ Ehrenarbeit, Hausarbeit, Pflege, Weiterbildung, Kultur,<br />

Ökologie, solidarische Ökonomie<br />

Konkrete Forderung:<br />

⊲ Verständigung auf erweiterten Arbeitsbegriff<br />

⊲ darauf bezogene Öffentlichkeits- <strong>und</strong> Bildungsarbeit<br />

Wer macht es / sollte es machen?<br />

⊲ Roland –- AWO: Leserbrief, Geld/Spenden sammeln<br />

⊲ Sven -– Skarabeus, Clawadenko<br />

⊲ Stephan -– attac: gewerkschaftliche Bildungsarbeit<br />

⊲ Rosa-Luxemburg-Stiftung<br />

Eine politische Forderung aus Wolfsburg:<br />

altersgerechte Arbeitsbedingungen<br />

Darum geht es:<br />

⊲ Freiwillig/kein Zwang zur Frühverrentung<br />

⊲ Arbeitszeitverkürzung (Lohnausgleich)<br />

⊲ Berufsgruppengerechte Lösungen<br />

Konkrete Forderung:<br />

⊲ Gesetzliche Gr<strong>und</strong>lage schaffen<br />

⊲ Wissenschaft einschalten<br />

⊲ Verbände beteiligen/Gewerkschaften<br />

Wer macht es / sollte es machen?<br />

⊲ Die Linke (wir suchen weitere Verbündete)


9 Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen<br />

Eine Projektidee aus Göttingen:<br />

existenzsichernde Entlohnung<br />

Darum geht es:<br />

⊲ Mehr Arbeitsplätze<br />

⊲ Tariflohn – Selbstverpflichtung der Kommunen<br />

durch Ratsbeschluss<br />

⊲ Mindestlohn<br />

Konkrete nächste Schritte:<br />

⊲ Solidarität der Partei bei örtlichen Streiks<br />

⊲ Aktion zur Wochenend-/Feiertagsarbeit<br />

⊲ 8. März (Internationaler Frauentag)<br />

⊲ Kooperation mit Gewerkschaften (DGB, FAU<br />

etc.)<br />

⊲ Teilnahme an 1. Mai-Demo/-K<strong>und</strong>gebung<br />

(eigene Transparente, eigene Redebeiträge,<br />

eigene Infostände, »lustige« Aktionen –- aufmerksamkeitswirksam!)<br />

⊲ Gründung einer AG »Betrieb + Gewerkschaft«<br />

⊲ Mindestlohnkampagne re-aktivieren (Infostand)<br />

Wer macht es / sollte es machen?<br />

⊲ Wir alle !<br />

⊲ Ansprechen: Andreas G.<br />

⊲ Erwerbslosen-VertreterInnen<br />

Eine Projektidee aus Wolfsburg:<br />

Mindestlohn – »Wert der Ware Arbeitskraft«<br />

Darum geht es:<br />

⊲ Gesetzliche Mindestlohn einführen<br />

⊲ muss sich immer an den realen Kosten für<br />

»Leben« orientieren (Warenkorb?)<br />

⊲ muss gesellschaftlich akzeptiert sein<br />

⊲ Möglichkeiten zur Weiterentwicklung müssen<br />

vorhanden sein<br />

⊲ Ist das »mindeste«<br />

Konkrete nächste Schritte:<br />

⊲ Gegenargumente entkräften! (Vergleich mit<br />

anderen Ländern)<br />

⊲ Verbündete gewinnen – Solidarität: Organisation<br />

<strong>und</strong> Personengruppen (Rentner)<br />

⊲ Aufklärung über gesellschaftliches Prinzip<br />

⊲ Diskussion mit Gewerkschaften über Tarifpolitik<br />

⊲ flächendeckende Aktionen: Flyer, Plakate,<br />

Demo der Massen<br />

Wer macht es / sollte es machen?<br />

⊲ Gewerkschaften<br />

⊲ Andere Parteien ???<br />

⊲ »Betroffene« gewinnen (ist schwer)<br />

Arbeit, Ausbildung,<br />

Erwerbslosigkeit,<br />

Rente,<br />

Hartz IV etc.<br />

Eine politische Forderung aus<br />

Wolfsburg:<br />

familiengerechte Arbeitsplätze<br />

Darum geht es:<br />

⊲ es gibt zu wenig familienfre<strong>und</strong>liche<br />

Arbeitsplätze, vor allem für Alleinerziehende<br />

⊲ Schaffung individueller Kinderbetreuung<br />

Konkrete Forderung:<br />

⊲ steuerliche Vorteile für Betriebe<br />

schaffen<br />

⊲ Modell: Arbeitsplatzteilung<br />

⊲ kommunale Arbeitgeber als Vorbilder<br />

Wer macht es / sollte es machen?<br />

⊲ Ebene 1: Stadtrat<br />

⊲ Ebene 2: Landtag<br />

Eine politische Forderung aus<br />

Wilhelmshaven:<br />

Förderung von Beratungsstellen<br />

Darum geht es:<br />

⊲ Beratung findet nicht im Amt statt!<br />

⊲ Deshalb muss die unabhängige<br />

Beratung gefördert werden<br />

Konkrete Forderung:<br />

⊲ Beratungseinrichtungen bestehen in<br />

vielen Orten Niedersachsens<br />

⊲ diese sind zu fördern<br />

Wer macht es / sollte es machen?<br />

⊲ Politik/Parteien<br />

⊲ Arbeitsministerium<br />

Eine politische Forderung aus<br />

Wilhelmshaven:<br />

Stärkung der Selbsthilfe<br />

Darum geht es:<br />

⊲ Die Förderung von Arbeitslosen-<br />

Initiativen etc. wurde zusammengestrichen,<br />

seitdem können diese<br />

kaum ihre Arbeit <strong>und</strong> Aufgaben<br />

wahrnehmen<br />

Konkrete Forderung:<br />

⊲ Förderung der Ali u. ä. wiederherstellen<br />

(z. B. FAS)<br />

Wer macht es / sollte es machen?<br />

⊲ Ratsfraktion »Die Linke« LAW<br />

⊲ Landtagsfraktion Die Linke


Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen 10<br />

Angebote unabhängig<br />

vom Geld<br />

Angebote<br />

verbessern<br />

(Weiter-)Bildung<br />

ermöglichen<br />

Qualität von<br />

Zahnprothesen<br />

Zuzahlung<br />

Gr<strong>und</strong>, keine<br />

Medikamente<br />

zu nehmen<br />

keine Zwei-<br />

Klassen-<br />

Medizin<br />

Ehrenamt im<br />

Ges<strong>und</strong>heitswesen<br />

nicht<br />

ausnutzen<br />

Stärkere<br />

Zusammenarbeit<br />

zwischen<br />

Betrieben <strong>und</strong><br />

Schulen<br />

Wenig Geld =<br />

schlechte<br />

Zähne<br />

Prophylaxe<br />

als Kassenleistung<br />

Ges<strong>und</strong>heit ist<br />

keine Ware<br />

Gemeindeschwester,<br />

Familienhelfer<br />

Jugendhäuser<br />

keine Zuzahlungen<br />

freie Ges<strong>und</strong>heitsvorsorge<br />

Kosten der<br />

medizinischen<br />

Versorgung zu<br />

hoch<br />

Pflege ambulant<br />

<strong>und</strong> stationär<br />

Bildungsförderung<br />

statt<br />

Bildungswettbewerb<br />

Besondere Bedarfe<br />

Ges<strong>und</strong>heitszentren<br />

Ges<strong>und</strong>heitssystem<br />

besser<br />

gegen Vereinsamung<br />

<strong>und</strong><br />

Isolation alter<br />

Menschen in<br />

Pflege<br />

Vorsorge im<br />

Alter sichern<br />

Hilfen für Menschen<br />

mit<br />

Behinderung<br />

einkommensunabhängig<br />

Polikliniken<br />

Agenda 2010<br />

zurücknehmen<br />

fehlendes Geld<br />

für Hilfsmittel:<br />

Rollstuhl,<br />

Sondermaßnahmen<br />

keine Finanzierung<br />

von<br />

Hilfskräften<br />

zum Putzen,<br />

Einkaufen,<br />

Schreibarbeiten<br />

. . .<br />

Rehabilitation,<br />

Integration in<br />

Gesellschaft<br />

sichern<br />

Alter/Behinderung<br />

→<br />

weniger Teilnahme<br />

an<br />

kultur. Veranstaltungen/<br />

Vereinen<br />

Inklusion<br />

Behinderter<br />

Ges<strong>und</strong>heitsförderndes<br />

Umfeld<br />

Ges<strong>und</strong>heitserziehung<br />

in<br />

der Schule<br />

Eindämmung<br />

von Krankheit<br />

durch gute<br />

Umwelt<br />

Ärzte Regress<br />

wegen<br />

Medikamenten-<br />

Verschreibung<br />

Gr<strong>und</strong>versorgung<br />

<strong>und</strong> -vorsorge<br />

sichern<br />

»Was ist im Bereich Ges<strong>und</strong>heit, Krankheit, Behinderung, Alter etc. unbedingt zu<br />

tun, um <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong> zu <strong>verhindern</strong>?«


11 Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen<br />

Eine politische Forderung aus Hannover<br />

Ges<strong>und</strong>heitszentren<br />

Darum geht es:<br />

⊲ einheitliches Angebot<br />

⊲ ganzheitliche Medizin<br />

⊲ Verknüpfung ambulante – stationäre Versorgung<br />

Konkrete Forderungen:<br />

⊲ Finanzierung durch Bürgerversicherung (paritätische<br />

Finanzierung)<br />

⊲ Globalbudget ohne Grenzen<br />

Eine Projektidee aus Wilhelmshaven:<br />

Schule & Ges<strong>und</strong>heit<br />

Darum geht es:<br />

⊲ Ges<strong>und</strong>heitsbeauftragte in jeder Schule<br />

⊲ Treffen sich öffentlich – Einbindung Eltern/<br />

Schule<br />

⊲ ges<strong>und</strong>es, kostenloses Schulmittagessen<br />

⊲ Lehrplan überprüfen bezüglich Ges<strong>und</strong>heitsaufklärung<br />

⊲ Inklusive Beschulung in der Regelschule<br />

(Behinderte/nicht-Behinderte)<br />

Konkrete Forderungen:<br />

Ges<strong>und</strong>heit,<br />

Krankheit,<br />

Behinderung,<br />

Alter etc.<br />

Wer macht es / sollte es machen?<br />

⊲ Ver.di<br />

⊲ DGB<br />

⊲ SoVD<br />

⊲ Marburger B<strong>und</strong><br />

Wer ist dagegen?<br />

⊲ Krankenhaus-Konzerne<br />

⊲ Pharma- <strong>und</strong> Geräteindustrie<br />

⊲ Unternehmerverbände<br />

Eine Projektidee aus Wolfsburg:<br />

menschenwürdige Pflege im<br />

Alter<br />

Darum geht es:<br />

⊲ R<strong>und</strong>er Tisch mit Trägern zur Problemsensibilisierung<br />

⊲ »satt, warm sauber« XXL plus: Kommunikation,<br />

Zuwendung, Freizeitangebote,<br />

soziale Einbindung<br />

Konkrete nächste Schritte:<br />

⊲ weitergehende Leistungen <strong>und</strong> Zeit<br />

bereitstellen<br />

⊲ qualifiziertes Personal einstellen<br />

⊲ Abbau der Qualitätskluft am/<br />

zwischen/in den Heimen<br />

⊲ Geld generieren<br />

⊲ Anfrage Landesregierung: UN-Menschenrechts-<br />

Charta bzgl. der Umsetzung → Menschen<br />

mit Behinderung (Stichwort: jegliche Barrierebeseitigung)<br />

⊲ Entschließungsantrag Landtag → Steuerfinanziertes<br />

Schulmittagessen (ges<strong>und</strong>, regionaler<br />

Einkauf)<br />

⊲ Anfrage zum Lehrplan Landesregierung <strong>und</strong><br />

»nachpieksen«<br />

⊲ Einrichtung einer Stelle für die Ges<strong>und</strong>heitsbeauftragten<br />

aller Schulen<br />

Wer macht es / sollte es machen?<br />

⊲ Landtagsfraktion<br />

⊲ Expertenkomitee<br />

⊲ Eltern- <strong>und</strong> Schülervertretung<br />

Eine politische Forderung aus Wilhelmshaven:<br />

Ehrenamt<br />

Darum geht es:<br />

⊲ Förderung der Debatte um Sinn <strong>und</strong> Unsinn<br />

des Ehrenamts<br />

⊲ Umsetzung durch Einrichtung eines Büros<br />

in Gemeinde<br />

⊲ dort: Entscheidungsfällung durch unabhängige<br />

Ehrenamtliche zur Vermeidung von<br />

finanzieller Ausnutzung <strong>und</strong> Zerstörung von<br />

Arbeitsplätzen durch den Einsatz Ehrenamtlicher<br />

Konkrete nächste Schritte:<br />

Eine Projektidee aus<br />

Wilhelmshaven:<br />

Ombudsmann<br />

Darum geht es:<br />

⊲ Einrichtung eines Ombudsmanns,<br />

zuständig für die<br />

hiesigen Krankenhäuser<br />

Konkrete nächste Schritte:<br />

⊲ Wiederholungsantrag<br />

Wer macht es / sollte es<br />

machen?<br />

Wer macht es / sollte es machen?<br />

⊲ öffentliche <strong>und</strong> freie Träger<br />

⊲ politische Gremien<br />

⊲ betroffene Heimbewohner<br />

⊲ Fachpersonalvertreter<br />

⊲ Schaffung einer hauptamtlichen Stelle zur<br />

Erledigung der Organisation<br />

⊲ dann Bildung eines Gremiums aus ehrenamtlichen<br />

Mitarbeitern, die letztendlich<br />

entscheiden<br />

⊲ Fachleute (z. B. AWO) nur als Beisitzer<br />

⊲ Ratsherren


Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen 12<br />

Familien<br />

unterstützen<br />

gute Ausstattung<br />

keine »Nebenkosten«<br />

Fehlende<br />

Betreuung<br />

→ prekäre<br />

Beschäftigung<br />

(v. a. Frauen)<br />

kein Geld für<br />

Geburtstags-/<br />

Weihnachtsgeschenke<br />

=<br />

grausam<br />

Kindergeld<br />

mindestens<br />

350 Euro ohne<br />

Anrechnung<br />

Kitas/Schulen<br />

in armen<br />

Stadtteilen<br />

besonders<br />

ausstatten<br />

kostenpflichtige<br />

»Zusatzangebote«<br />

musikalisch,<br />

Fremdsprachen,<br />

AGs<br />

Klassenfahrten<br />

Familien werden<br />

finanziell<br />

benachteiligt<br />

unterschiedliches<br />

Einkommen<br />

= unterschiedliche<br />

Kleidung<br />

Hilfs-, Beratungsangebote<br />

wohnortnah<br />

Schul-Sozialarbeiter<br />

Schulmaterialien<br />

Schulessen<br />

Kinder-<br />

Wohngeld<br />

(WHV) weg<br />

Hartz IV muss<br />

weg<br />

Recht auf freie<br />

Krippen- <strong>und</strong><br />

Kitaplätze für<br />

alle<br />

Personell/<br />

materiell<br />

bedarfsgerechte<br />

Ausstattung<br />

Kita/<br />

Schule<br />

kostenlose<br />

Schülerbeförderung<br />

Besseres<br />

Schulsystem<br />

Benachteiligte<br />

unterstützen<br />

kostenfreie Bildung<br />

Kita-Gruppen<strong>und</strong><br />

Klassengrößen<br />

verkleinern<br />

bessere Unis<br />

höhere Qualitätsstandards<br />

individuelle<br />

Fähigkeiten<br />

finden <strong>und</strong><br />

stärken<br />

Abschaffung<br />

der Studiengebühren<br />

kostenfreie<br />

Ganztagsbetreuung<br />

Gesamtschulen<br />

flächendeckend<br />

IGS als Regelschule<br />

Kita gehört<br />

zum Bildungssystem<br />

Förderung von<br />

schwachen/<br />

oft ausländischen<br />

Schülern<br />

Existenzsicherndes<br />

BAFöG<br />

Lernmittelfreiheit<br />

Eliten-Frage<br />

soziale Betreuung<br />

im Bildungssystem<br />

Integrierte<br />

Gesamtschulen<br />

Kostenlose<br />

Nachhilfe<br />

von Kita bis<br />

zur Uni frei<br />

»Was ist im Bereich Kinder, Jugend, Familie, (Aus-)Bildung etc.<br />

unbedingt zu tun, um <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong> zu <strong>verhindern</strong>?«<br />

Ausbildung


13 Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen<br />

Eine Projektidee <strong>und</strong> politische Forderungen<br />

aus Göttingen:<br />

Bildung für alle<br />

Darum geht es:<br />

⊲ kostenlose, gute Bildung für alle von der Kita<br />

bis zur Uni<br />

⊲ Schulbedingungen nach Bedarf – Brennpunkte<br />

⊲ Schul-Sozialarbeit<br />

⊲ kostenloses Essen, Schulbeförderung usw.<br />

⊲ Bildungsreform<br />

Konkrete Forderungen:<br />

⊲ Brennpunkte, z. B. Grone werden Schwerpunkte<br />

(bessere Personaldecke, kleinere<br />

Gruppen usw.)<br />

⊲ Flächendeckende Integrationsklassen <strong>und</strong><br />

Einzelintegration<br />

⊲ kostenlose Beförderung <strong>und</strong> Essen in Kitas<br />

<strong>und</strong> Schulen<br />

Konkrete nächste Schritte:<br />

⊲ kontinuierliche Teilnahme am »R<strong>und</strong>en Tisch<br />

armes Göttingen«<br />

⊲ Antidiskriminierungskampagne entwickeln<br />

→ Kreisverband Göttingen<br />

Wer macht es / sollte es machen?<br />

⊲ Ratsfraktion <strong>und</strong> Kreistag → Andreas Gemmecke<br />

⊲ R<strong>und</strong>er Tisch → Barbara Kunis<br />

Eine Projektidee mit politischer Forderung aus<br />

Wilhelmshaven:<br />

Bildung, Freizeit, Vereine<br />

Darum geht es:<br />

⊲ Gebührenbefreiung von Vereinen<br />

⊲ größere finanzielle Förderung von Vereinen<br />

⊲ Mobilität für alle!<br />

⊲ gebührenfreie Bildung von der Wiege bis zur<br />

Bahre<br />

⊲ qualitativ hochwertige Bildung<br />

Konkrete Forderung:<br />

⊲ kostenloser ÖPNV → Ratsinitiative<br />

⊲ Gebührenbefreiung (z. B. Müllgebühren, Hallennutzungsgebühren<br />

etc.) → Ratsinitiative<br />

Konkrete nächste Schritte:<br />

⊲ direkte finanzielle Zuschüsse für Vereine<br />

⊲ Gebührenfreiheit für Lehr- <strong>und</strong> Lernmittel<br />

⊲ bessere Ausbildung von pädagogischen<br />

Fachkräften<br />

⊲ Abschaffung des selektiven Schulsystems<br />

⊲ bestmögliche Bildung des Einzelnen/Bildung<br />

soll dem Menschen dienen <strong>und</strong> nicht dem<br />

Markt<br />

Wer macht es / sollte es machen?<br />

⊲ Regina Mickert/Wittm<strong>und</strong>, Vorstandsmitglied<br />

⊲ Klaus Heckenbach/WHV<br />

⊲ Martina Gerdes-Borreck/KV-Friesland, Vorstandsmitglied<br />

Kinder,<br />

Jugend,<br />

Familie,<br />

(Aus-)Bildung,<br />

Hilfe, Beratung<br />

etc.<br />

Ausbildungsgarantie<br />

Eine politische Forderung mit Projektansatz aus<br />

Wilhelmshaven:<br />

Rechtmäßigkeit des Kinderwohngeldes<br />

überprüfen<br />

Darum geht es:<br />

⊲ Kinder aus SGB-II-Bedarfsgemeinschaften<br />

bekommen Wohngeld <strong>und</strong> fallen dadurch aus<br />

dem Leistungsbezug des SGB II heraus<br />

Konkrete nächste Schritte:<br />

⊲ Informationen einholen <strong>und</strong> streuen (KV, LTF,<br />

BTF, Initiativen)<br />

⊲ Netzwerke bilden<br />

⊲ Rechtmäßigkeit prüfen, ggf. klagen<br />

⊲ anschließend Aktion/Öffentlichkeitsarbeit<br />

Wer macht es / sollte es machen?<br />

⊲ Herward Meier, Anette Nowak, Patrick Humke-<br />

Focks<br />

⊲ Arbeitsloseninitiativen WHV <strong>und</strong> FRI<br />

Eine politische Forderung aus Hannover:<br />

Bildung<br />

Darum geht es:<br />

⊲ verbindliche pädagogische Standards in der<br />

vorschulischen Bildung<br />

⊲ Hochschulausbildung für Erzieher/innen<br />

⊲ gemeinsame Stufe bis Klasse 10<br />

⊲ kleine Klassen, Lernmittelfreiheit<br />

⊲ Rechtsanspruch auf einen gebührenfreien<br />

Ganztagsbetreuungsplatz<br />

Konkrete nächste Schritte:<br />

⊲ Elternfonds<br />

⊲ Petition, parlamentarische Initiativen<br />

⊲ Kita-Kampagne<br />

Wer macht es / sollte es machen?<br />

⊲ Eltern- <strong>und</strong> Schülerräte, BI, DIE <strong>LINKE</strong>


Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen 14<br />

Eine politische Forderung mit<br />

Aktivitätenansatz aus Göttingen:<br />

Bildung <strong>und</strong> Ausbildung<br />

Darum geht es:<br />

⊲ IGS, gute Schulbildung<br />

⊲ Ausbildungsgarantie<br />

⊲ Studium mit Existenzsicherung<br />

⊲ Abschaffung Studiengebühren<br />

⊲ Weiterbildung<br />

Konkrete nächste Schritte:<br />

⊲ parlamentarische Mehrheiten<br />

herstellen<br />

⊲ Öffentlichkeitsarbeit<br />

Konkrete Unterstützung vor Ort:<br />

⊲ Elternproteste<br />

⊲ (noch mehr) Elternproteste<br />

⊲ Boykott, Protest, Sammelklage<br />

Wer macht es / sollte es machen?<br />

⊲ Gewerkschaften<br />

⊲ Betroffene<br />

⊲ Erwerbslosengruppe<br />

⊲ Partei<br />

Anbindung,<br />

Infrastruktur<br />

aller Wohngebiete<br />

sichern<br />

Familien-<br />

Fahrkarte<br />

Ausbau des<br />

ÖPNV<br />

Mobilität<br />

sicherstellen<br />

Regional-<br />

Pass (Mobilcard,<br />

Region-<br />

Hannover-<br />

Pass)<br />

Mobilität<br />

sicherstellen<br />

solidarisches<br />

Wohnen<br />

flexible<br />

Wohnformen<br />

ÖPNV barrierefrei<br />

gestalten<br />

Mehrgenerationen-Wohnformen<br />

Barrierefreiheit<br />

beachten<br />

unterschiedliche<br />

Lebensformen<br />

berücksichtigen<br />

neue Wohnformen<br />

schaffen<br />

Eine politische Forderung mit<br />

Projektansatz aus Wolfsburg:<br />

Veraltete Bildungsstrukturen<br />

Darum geht es:<br />

⊲ das Bildungssystem ist nicht<br />

weiterentwickelt worden<br />

⊲ keine Bildungschancengleichheit<br />

⊲ fehlende qualifizierte Arbeitskräfte<br />

(Erzieher/innen, Sozialarbeiter/innen,<br />

Pädagog/innen)<br />

Konkrete nächste Schritte:<br />

⊲ Vernetzung von Kitas, Schulen,<br />

sozialen Einrichtungen <strong>und</strong><br />

Eltern<br />

⊲ Forum der Vertreter/innen bilden<br />

Konkrete Forderung:<br />

⊲ Abschaffung der Bildungsgebühr<br />

für alle<br />

⊲ Einführung von Gesamtschulen<br />

⊲ kontinuierliche Aktualisierung<br />

der Bildungsstandards<br />

Wer macht es / sollte es machen?<br />

⊲ vor Ort: Eltern <strong>und</strong> Bildungs-/<br />

Sozialeinrichtungen<br />

⊲ politisch: Ortsräte, Stadträte,<br />

Landtag<br />

Tauschringe,<br />

Selbsthilfe,<br />

Nachbarschaft<br />

fördern<br />

Besuchsdienst<br />

Begegnung,<br />

Gemeinschaft<br />

Begegnungsstätten,<br />

Sozialarbeit,<br />

Mediation<br />

Stadtteilzentren<br />

Gemeinsame<br />

Räume (Gärten,<br />

Gemeinschaftshaus,<br />

Treffpunkte,<br />

Spielplatz)<br />

menschenwürdiges<br />

Wohnen<br />

keine Schnüffelei<br />

durch<br />

Behörden<br />

Anhebung der<br />

Wohnungsgrößen<br />

Toiletten Recht auf<strong>und</strong><br />

menschenwürdiges<br />

Wohnung<br />

Bad in jeder<br />

Wohnen<br />

»Was ist im Bereich Wohnen, Leben, Freizeit, Mobilität, Miteinander


15 Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen<br />

Wohnumfeld<br />

verbessern<br />

keine Getto-Bildung<br />

Rückbau<br />

Auflockerung<br />

enger Bebauung<br />

Spielflächen,<br />

Freizeitangebote,<br />

Parks<br />

schaffen<br />

freie Wahl der<br />

Wohnung<br />

Wohnen,<br />

Leben,<br />

Freizeit,<br />

Mobilität,<br />

Miteinander<br />

etc.<br />

Vermeidung<br />

von Angst-<br />

Räumen<br />

Jugendarbeit<br />

im Lebensumfeld<br />

Nachbarschaftshilfe<br />

organisieren<br />

Identität zum<br />

Viertel stärken<br />

weniger Cityorientierte<br />

Stadtplanung<br />

Lärmschutz<br />

innerhalb/<br />

außerhalb der<br />

Wohnung<br />

Gr<strong>und</strong>versorgung<br />

im Quartier<br />

sichern<br />

Quartiere besser<br />

mischen<br />

Vereine, Freizeit<br />

bezahlbares<br />

Wohnen<br />

Sozialcard<br />

Vereine zahlen<br />

keine Gebühren<br />

(Müll, Hallenbenutzung,<br />

. . . )<br />

kein Leerstand<br />

für Spekulationsobjekte<br />

Wohnungslosigkeit<br />

<strong>verhindern</strong><br />

Förderung von<br />

ökologischen<br />

Investitionen<br />

→ Wärmedämmung<br />

Übernahme<br />

von Mitgliedsbeiträgen<br />

Freizeit, Sport,<br />

Kultur → kostenlos<br />

genossenschaftliche<br />

Organisation<br />

des Wohnens<br />

städtische<br />

Konzepte<br />

regenerative<br />

Energie<br />

stärkere finanzielle<br />

Unterstützung<br />

flexibler Wohnraum<br />

(bezahlbar)<br />

einkommensabhängige<br />

Energiekostenzuschüsse<br />

etc. unbedingt zu tun, um <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong> zu <strong>verhindern</strong>?«


Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen 16<br />

Eine Projektidee aus Hannover:<br />

Recht auf menschenwürdiges Wohnen<br />

Darum geht es:<br />

⊲ Schaffen von Gemeinschafts-Räumen<br />

⊲ Treffpunkte in Nachbarschaften schaffen<br />

⊲ Stadtteilzentren (für Aktivitäten von/für Bürger/innen)<br />

⊲ Gärten (verantwortlich z. B. Hausgemeinschaften),<br />

Hinterhöfe etc.<br />

Voraussetzungen:<br />

⊲ solidarisches Wohnen, interkulturelles Wohnen<br />

⊲ bezahlbarer Wohnraum<br />

Umsetzung zunächst bei:<br />

⊲ städtische Wohnungen, Genossenschaften <strong>und</strong> Wohnungsbaugesellschaften<br />

Konkrete nächste Schritte:<br />

⊲ vorhandene Beispiele andernorts anschauen<br />

⊲ Mitgliedschaften in Genossenschaften <strong>und</strong> Wohnungsbaugesellschaften<br />

nutzen<br />

⊲ Einladungstreffen von/mit Multiplikatoren<br />

⊲ auf kommunaler Ebene Einfluss auf städtische Wohnung<br />

nehmen (Anträge, Bündnisse, Forderung etc.)<br />

⊲ wo es möglich ist, ggf. individuell an private Vermieter<br />

herantreten<br />

⊲ Menschen durch Öffentlichkeitsarbeit gewinnen<br />

⊲ Jutta <strong>und</strong> Patrick erarbeiten Vorschlag für die Partei<br />

<strong>und</strong> die Fraktionen<br />

Wer macht es / sollte es machen?<br />

⊲ Partei, Fraktionen<br />

⊲ Genossenschaftsmitglieder über Einfluss auf Vertreterversammlungen<br />

⊲ Wohnungsbaugesellschaften<br />

⊲ Wohlfahrt- <strong>und</strong> Sozialverbände, Kirchen etc.<br />

Eine Projektidee aus Wolfsburg:<br />

Einführung MOBILCARD<br />

Darum geht es:<br />

⊲ Ermäßigte Fahrpreise im ÖPNV für »Arme«<br />

⊲ Bündnis- <strong>und</strong> Netzwerkarbeit in dieser Sache entwickeln<br />

Konkrete nächste Schritte:<br />

⊲ Leserbrief/-Kampagne<br />

⊲ Gipfelgespräch Patta mit OB<br />

⊲ Zusammenarbeit mit B’90 <strong>und</strong> SPD suchen<br />

⊲ Anfrage im Rat durch WL<br />

⊲ Einwohnerfragest<strong>und</strong>e nutzen<br />

⊲ Zusammenarbeit mit Ver.di (Busfahrer)<br />

⊲ Gründung eines Bündnisses für die Mobilkarte<br />

⊲ Mögliche Aktionen: Infostände <strong>und</strong> Unterschriften<br />

sammeln (auch im VW-Werk)<br />

⊲ Wohlfahrtsverbände <strong>und</strong> Kirchen ansprechen<br />

Wer macht es / sollte es machen?<br />

⊲ IGM-AK<br />

⊲ WL (Stadtrat)<br />

⊲ DIE <strong>LINKE</strong><br />

Eine Projektidee aus Wilhelmshaven:<br />

Stadtteilarbeit<br />

Beratung/Hilfestellung in sozialen Fragen<br />

Darum geht es:<br />

⊲ Initiativen, Netzwerke nutzen, ausbauen, schaffen<br />

⋆ ALI<br />

⋆ Tauschring<br />

⋆ Insolvenzhilfe<br />

⋆ ALSO<br />

⋆ Mütterzentrum<br />

⋆ sozialpsychiatrischer Dienst<br />

Konkrete nächste Schritte:<br />

⊲ Erfahrungsaustausch findet regelmäßig statt<br />

⊲ Besuchsdienst<br />

Wer macht es / sollte es machen?<br />

⊲ siehe oben


17 Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen<br />

Eine Projektidee aus Wilhelmshaven:<br />

Dialog zwischen »Jung <strong>und</strong> Alt«<br />

Darum geht es:<br />

⊲ Vorstellungen »junger Menschen« an ihr<br />

Leben <strong>und</strong> an die gesellschaftliche Entwicklung<br />

zum Thema machen <strong>und</strong> ins Interesse<br />

älterer Menschen rücken<br />

Konkrete nächste Schritte:<br />

⊲ junge Menschen dort ansprechen, wo sie<br />

sind<br />

⊲ Personen (Lehrer/Sozialarbeiter) ansprechen<br />

⊲ Anzeige im Gegenwind<br />

Wer macht es / sollte es machen?<br />

⊲ »Alle die wollen«<br />

Eine politische Forderung aus Wilhelmshaven:<br />

Dialog zwischen »Jung <strong>und</strong> Alt«<br />

Darum geht es:<br />

⊲ Jung <strong>und</strong> Alt müssen in einen Austausch<br />

über die zukünftige Entwicklung der Gesellschaft<br />

kommen<br />

Konkrete Forderung:<br />

⊲ Diesen als festen Bestandteil in den Schulunterricht<br />

aufnehmen<br />

Wer macht es / sollte es machen?<br />

⊲ Kultusministerium<br />

⊲ Parteien<br />

Wohnen,<br />

Leben,<br />

Freizeit,<br />

Mobilität,<br />

Miteinander<br />

etc.<br />

Eine Projektidee aus Wilhelmshaven:<br />

alternative Wohnformen<br />

Darum geht es:<br />

⊲ Mehrgenerationenhaus<br />

⊲ Ergänzung in sozialen Belangen<br />

⊲ gegenseitige Hilfe im Alltag<br />

⊲ Beibehaltung des Selbstwertgefühls<br />

Konkrete nächste Schritte:<br />

⊲ Infobeschaffung<br />

⊲ Öffentlichkeitsarbeit<br />

⊲ Referent einladen<br />

Wer macht es / sollte es machen?<br />

⊲ Parteien<br />

⊲ Sozialverbände/Initiativen<br />

⊲ Stadt/Verwaltung<br />

⊲ Öffentlichkeit<br />

⊲ Bürger<br />

Eine Projektidee aus Wilhelmshaven:<br />

Nachbarschafts-Laden<br />

Darum geht es:<br />

⊲ Gemeinsam zu nutzende (Wohn-)<br />

Räume für soziale Belange <strong>und</strong> Aktivitäten<br />

Konkrete nächste Schritte:<br />

⊲ Bündnispartner suchen!<br />

⊲ Stadtverwaltung <strong>und</strong> Rat einbinden<br />

(Gespräche führen)<br />

Wer macht es / sollte es machen?<br />

⊲ Kirchen<br />

⊲ Sozialverbände<br />

⊲ Parteien (DIE <strong>LINKE</strong>)<br />

⊲ Gewerkschaften<br />

⊲ etc.<br />

Eine Projektidee mit politischer Forderung<br />

aus Göttingen:<br />

Quartiersverbesserung<br />

Darum geht es:<br />

⊲ Identifizierung mit dem Wohnviertel/dem<br />

Ort<br />

⊲ Gr<strong>und</strong>versorgung im Stadtteil/in<br />

der Region sichern<br />

⊲ Mindeststandards für das Wohnen<br />

Konkrete Forderung:<br />

⊲ Nachbarschaftshilfe stärken/<br />

Nachbarschafts-Laden<br />

⊲ Spiel- <strong>und</strong> Freizeitflächen schaffen<br />

⊲ Sozialarbeit/Quartiersmanagement/Gemeinwesenarbeit<br />

⊲ Anreize für wohnungsnahes Kleingewerbe<br />

schaffen – Wochenmarkt<br />

Wer macht es / sollte es machen?<br />

⊲ GöLinke-Fraktion <strong>und</strong> ggf. andere<br />

Parteien<br />

⊲ berufsständige Organisationen<br />

⊲ Kirchen<br />

⊲ Sozialverbände<br />

⊲ etc.


Kinderarmut – Ursachen <strong>und</strong> Folgen 18<br />

3 Kinderarmut – Ursachen – Ursachen <strong>und</strong> Folgen<strong>und</strong> Folgen<br />

Dr. Michael Kl<strong>und</strong>t<br />

Deutschland ist eines der reichsten<br />

Länder der Welt, <strong>und</strong> der Reichtum in<br />

Deutschland ist in den vergangenen Jahren<br />

rapide angewachsen. Zwischen den<br />

Jahren 2000 <strong>und</strong> 2007 hat sich allein<br />

das Geldvermögen von gut zwei Billionen<br />

Euro auf 4,6 Billionen Euro mehr<br />

als verdoppelt. Allerdings konzentriert<br />

sich das Vermögen auf eine immer kleinere,<br />

dafür immer reichere Schicht. Die<br />

reichsten zehn Prozent besaßen schon<br />

vor sieben Jahren fast 60 Prozent des<br />

gesamten Nettovermögens. Neuere Verteilungszahlen<br />

liegen nicht vor. Die Kehrseite<br />

dieser Konzentration von Reichtum<br />

ist eine wachsende <strong>Armut</strong>. Die<br />

ärmsten zehn Prozent hatten schon<br />

vor sieben Jahren nicht nur kein Vermögen,<br />

sie waren sogar in Höhe von<br />

knapp zwei Prozent des gesamten Nettovermögens<br />

verschuldet. 1 Diese Verteilungsschieflage<br />

ist in allen Generationen<br />

anzutreffen. Trotzdem lassen Debatten<br />

über Kinderarmut das Problem unbeachtet,<br />

dass einerseits vermehrt Kinder<br />

in <strong>Armut</strong> aufwachsen <strong>und</strong> andererseits<br />

manche Kinder <strong>und</strong> Jugendliche in<br />

der B<strong>und</strong>esrepublik sehr wohlhabend<br />

sind. Es gab hierzulande noch nie so<br />

viele Haushalte ohne materielle Sorgen<br />

<strong>und</strong> noch nie so viele Kinder mit<br />

einem großen Vermögen wie heute. Und<br />

das zum Teil schon unmittelbar nach<br />

der Geburt, wenn Eltern ihren Wertpapierbesitz<br />

auf ihre Kinder übertragen,<br />

um mehr Freibeträge <strong>und</strong> damit Steuervorteile<br />

zu erlangen. 2 Die Erbschafts<strong>und</strong><br />

Schenkungs-Steuerreformen seit<br />

der liberal-konservativen B<strong>und</strong>esregierung<br />

haben das begünstigt. Selbst eine<br />

Studie der Konrad Adenauer Stiftung<br />

sieht Deutschland »auf dem Weg in eine<br />

neue Art von Klassengesellschaft ( . . . ),<br />

wobei die Trennungslinie eben nicht nur<br />

über Einkommen <strong>und</strong> Vermögen, sondern<br />

auch über kulturelle Dimensionen<br />

1<br />

Vgl. DIW-Wochenbericht, Nr. 45, 2007.<br />

2<br />

Vgl. Christoph Butterwegge/Michael Kl<strong>und</strong>t,<br />

Die Demografie als Ideologie <strong>und</strong> Mittel sozialpolitischer<br />

Demagogie?, Bevölkerungsrückgang,<br />

»Vergreisung« <strong>und</strong> Generationengerechtigkeit,<br />

in: Christoph Butterwegge/Michael Kl<strong>und</strong>t<br />

(Hrsg.), Kinderarmut <strong>und</strong> Generationengerechtigkeit.<br />

Familien- <strong>und</strong> Sozialpolitik im demografischen<br />

Wandel, 2. Aufl. Opladen 2003, S. 59 ff.<br />

wie etwa Bildungskapital <strong>und</strong> Bildungsaspirationen,<br />

aber auch Werte <strong>und</strong> Alltagsästhetik<br />

verläuft. Ebenso erweisen<br />

sich Ernährung, Ges<strong>und</strong>heit, Kleidung<br />

<strong>und</strong> Medienumgang als Abgrenzungsfaktoren.<br />

Der Zulauf zu privaten Schulen<br />

ebenso wie das Umzugsverhalten von<br />

Eltern der Bürgerlichen Mitte geben ein<br />

beredtes Zeugnis dieser Entwicklung.« 3<br />

Die ungleiche Verteilung der Vermögen<br />

wird zukünftig durch den Generationenzusammenhang<br />

sogar noch weiter verschärft,<br />

da sich mit der Zunahme der<br />

Erbschaften auch die sozialen Gegensätze<br />

vergrößern werden – denn Personen<br />

aus höheren Bildungsschichten,<br />

die meist höhere soziale Positionen<br />

erreichen, erben höher als Personen<br />

mit niedrigerem Bildungsstand. Darüber<br />

hinaus heiraten wohlhabende Menschen<br />

in der Regel innerhalb derselben<br />

Schicht, sodass Reichtum noch einmal<br />

konzentrierter vorkommt. 4 Gleichzeitig<br />

leben viele Kinder <strong>und</strong> Jugendliche in<br />

<strong>Armut</strong>. Da sie zur Altersgruppe gehören,<br />

die am häufigsten <strong>und</strong> stärksten<br />

davon betroffen ist, sprechen Sozialwissenschaftler/innen<br />

seit einigen Jahren<br />

auch von einer »Infantilisierung der<br />

<strong>Armut</strong>«.<br />

Ausmaß <strong>und</strong><br />

Erscheinungsformen<br />

Trotz sinkender Arbeitslosigkeit müssten<br />

viele Kinder auf Sozialhilfeniveau<br />

leben, so der »Kinderreport Deutschland<br />

2007« des Deutschen Kinderhilfswerks.<br />

Zum gleichen Ergebnis kommen<br />

Studien des Kinderhilfswerks der Vereinten<br />

Nationen (UNICEF) <strong>und</strong> der Prognos<br />

AG aus dem vergangenen Jahr. Laut »Kinderreport«<br />

gelten 14 Prozent aller Jungen<br />

<strong>und</strong> Mädchen in Deutschland als arm<br />

3<br />

Michael Borchard/Christine Henry-Huthmacher/Tanja<br />

Merkle/Carsten Wippermann,<br />

Eltern unter Druck. Selbstverständnisse, Befindlichkeiten<br />

<strong>und</strong> Bedürfnisse von Eltern in verschiedenen<br />

Lebenswelten (hrsg. von der Konrad-Adenauer-Stiftung<br />

e. V.) Berlin 2008, S. 8.<br />

4<br />

Vgl. Gösta Esping-Andersen, Kinder <strong>und</strong> Rente:<br />

Welchen Wohlfahrtsstaat brauchen wir?, in:<br />

Blätter für deutsche <strong>und</strong> internationale Politik<br />

1/2006, S. 59.<br />

(vgl. auch Kapitel 4 über »Schon vor<br />

der Krise: jedes vierte Kind arm«).<br />

Seit Einführung von Hartz IV hat sich<br />

die Zahl der auf Sozialhilfe angewiesenen<br />

Kinder auf gut 2,5 Millionen verdoppelt.<br />

Laut der Prognos-Untersuchung<br />

im Auftrag des B<strong>und</strong>esfamilienministeriums<br />

sind 2,36 Millionen Kinder in<br />

Deutschland »von <strong>Armut</strong> betroffen«. 5<br />

Etwa 5,9 Millionen Kinder leben in Haushalten<br />

mit einem Jahreseinkommen von<br />

15 300 Euro <strong>und</strong> weniger – das sind r<strong>und</strong><br />

ein Drittel aller kindergeldberechtigten<br />

Kinder. War 1965 nur jedes 75. Kind<br />

unter sieben Jahren auf Sozialhilfe angewiesen,<br />

ist es heute mehr als jedes<br />

sechste.<br />

Während die B<strong>und</strong>esregierung in<br />

ihrer Antwort auf die Große Anfrage der<br />

Linksfraktion bei Kindern eine <strong>Armut</strong>srisikoquote<br />

von zwölf Prozent angibt,<br />

hat die Studie des Prognos-Instituts<br />

eine <strong>Armut</strong>srisikoquote von 17,3 Prozent<br />

ermittelt. Die <strong>Armut</strong>srisikoquote gibt<br />

an, wie hoch der Anteil der Personen<br />

mit einem Einkommen unterhalb der<br />

<strong>Armut</strong>srisikoschwelle an der Bevölkerung<br />

ist. Die <strong>Armut</strong>srisikoschwelle ist<br />

das Einkommen, unter dem von Einkommensarmut<br />

zu sprechen ist. Im dritten<br />

<strong>Armut</strong>s- <strong>und</strong> Reichtumsbericht bezieht<br />

sich die B<strong>und</strong>esregierung durchgehend<br />

auf die Kinder-<strong>Armut</strong>s-Risikoquote von<br />

zwölf Prozent. Dieser Report informiert<br />

aber auf Seite 306 darüber, dass die<br />

<strong>Armut</strong>srisikoquote von 1998 bis 2005<br />

kontinuierlich von zwölf auf 18 Prozent<br />

gestiegen ist. Damit verb<strong>und</strong>en stieg<br />

auch die <strong>Armut</strong>srisikoquote der unter<br />

15-Jährigen von 16 Prozent vor elf Jahren<br />

auf 26 Prozent vor vier Jahren. Für<br />

Jugendliche zwischen 16 Jahren <strong>und</strong> 24<br />

Jahren ist die <strong>Armut</strong>srisikoquote sogar<br />

von 18 Prozent auf 28 Prozent gestiegen.<br />

Die neuesten Studien von UNICEF <strong>und</strong><br />

der Prognos AG machen auf die besondere<br />

<strong>Armut</strong>sgefährdung bei Kindern von<br />

Alleinerziehenden aufmerksam. Demnach<br />

besteht das höchste <strong>Armut</strong>srisiko<br />

mit r<strong>und</strong> 40 Prozent in Haushalten von<br />

5<br />

Prognos AG (im Auftrag des Kompetenzzentrums<br />

familienbezogene Leistungen im B<strong>und</strong>esministerium<br />

für Familie, Senioren, Frauen <strong>und</strong><br />

Jugend), <strong>Armut</strong>srisiken von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen<br />

in Deutschland, Berlin/Basel 2008, S. 16.


19 Kinderarmut – Ursachen <strong>und</strong> Folgen<br />

Alleinerziehenden. 6 <strong>Das</strong> bedeutet, dass<br />

mehr als zwei Millionen Kinder <strong>und</strong><br />

Jugendliche, das sind r<strong>und</strong> 15 Prozent,<br />

morgens oft ohne Frühstück in den<br />

Kindergarten oder die Schule kommen.<br />

Sie sind häufig aufgr<strong>und</strong> von Fehl- <strong>und</strong><br />

Mangelernährung krank, nehmen selten<br />

bis gar nicht an Klassenfahrten oder<br />

ähnlichen Ausflügen teil <strong>und</strong> besitzen<br />

deutlich eingeschränkte Zukunftschancen.<br />

Resümierend stellte der B<strong>und</strong>esvorsitzende<br />

der Arbeiterwohlfahrt, Manfred<br />

Ragati, fest: »<strong>Armut</strong> schlägt sich<br />

in unterschiedlichen Formen sozialer<br />

<strong>Ausgrenzung</strong> nieder. Die Einschränkung<br />

der Teilhabe an den materiellen <strong>und</strong><br />

immateriellen Ressourcen der Gesellschaft<br />

begrenzt insgesamt die Lebenschancen<br />

von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen<br />

für eine selbstbestimmte Entwicklung,<br />

die Einpassung in die gesellschaftlichen<br />

Normen <strong>und</strong> Werte sowie die soziale<br />

Positionierung im späteren Berufsleben.<br />

Dies gilt besonders für (arme) Kinder<br />

<strong>und</strong> Jugendliche ohne deutschen<br />

Pass.« 7<br />

Angesichts der gigantischen Reichtumsentwicklung<br />

in Deutschland, der<br />

explodierenden Unternehmensgewinne<br />

<strong>und</strong> Managergehälter ist die <strong>Armut</strong><br />

von Millionen Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen<br />

ein verfassungswidriger Skandal erster<br />

Güte <strong>und</strong> eine Form struktureller<br />

Gewalt. Auch wenn sich Kinderarmut<br />

nicht allein in Geldmangel ausdrückt,<br />

können offizielle <strong>Armut</strong>sindizes zumindest<br />

einen Eindruck davon vermitteln,<br />

was es heißt, unter solchen Bedingungen<br />

leben zu müssen. Mehr als 2,5 Millionen<br />

Kinder <strong>und</strong> Jugendliche müssen mit<br />

dem Sozialhilfesatz oder weniger auskommen,<br />

mit ungenügenden Regelsatzleistungen<br />

für Ges<strong>und</strong>heit, Schulsachen<br />

<strong>und</strong> Bildung – von Spielzeug, Sport- <strong>und</strong><br />

Freizeitkosten ganz zu schweigen. Die<br />

Einkommensarmut von Kindern hat mit<br />

Hartz IV <strong>und</strong> der Agenda 2010 einen historischen<br />

Höchststand <strong>und</strong> eine neue Qualität<br />

erreicht. Für Ernährung, Bekleidung<br />

<strong>und</strong> die Teilnahme am sozialen Leben<br />

ihrer Kinder aufzukommen, ist für diese<br />

Familien schon schwer genug. Doch die<br />

Anschaffung von Büchern, Schulmaterialien,<br />

Klassenfahrten <strong>und</strong> Kindergeburts-<br />

6<br />

Vgl. Hans Bertram (Hrsg.), Mittelmaß für Kinder.<br />

Der UNICEF-Bericht zur Lage der Kinder in<br />

Deutschland, München 2008, S. 155 f.; Prognos<br />

AG, a. a. O., S. 13 f.<br />

7<br />

Manfred Ragati, Sozialbericht 2000 der Arbeiterwohlfahrt.<br />

Jedes siebte Kind wächst in <strong>Armut</strong><br />

auf, in: Soziale Sicherheit 11/2000, S. 369.<br />

tage sind praktisch nicht mehr zu bezahlen.<br />

Bildungschancen sind damit von<br />

Anfang an beeinträchtigt, während chronische<br />

<strong>Armut</strong> auch eine deutlich niedrigere<br />

Lebenserwartung bedeutet.<br />

Psychosoziale Folgen<br />

Bei allen Einschränkungen hinsichtlich<br />

methodischer <strong>und</strong> empirischer Schwierigkeiten<br />

der Sozial- <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heits-<br />

Berichterstattung in der B<strong>und</strong>esrepublik<br />

ist gesichert, dass materielle <strong>Armut</strong><br />

die Ges<strong>und</strong>heit beeinflusst. Kinder <strong>und</strong><br />

Jugendliche, die in sozial benachteiligten<br />

Verhältnissen leben, sind gleich in<br />

mehrfacher Hinsicht gefährdet (siehe<br />

Kasten).<br />

Andreas Klocke hält die Ges<strong>und</strong>heitsrisiken<br />

armer Kinder <strong>und</strong> Jugendlicher<br />

für höher als jene wohlhabender AltersgenossInnen,<br />

unabhängig davon, welcher<br />

Indikator aus dem Kasten gewählt<br />

wird. Deshalb beeinflusse die <strong>Armut</strong>slage<br />

das ges<strong>und</strong>heitliche Befinden <strong>und</strong><br />

die Lebensfreude der Heranwachsenden<br />

durchgängig negativ: »Die erhöhte<br />

psychosoziale Morbidität der Kinder<br />

<strong>und</strong> Jugendlichen aus den sozial schwachen<br />

Familien weist auf Konsequenzen<br />

für die kindlichen <strong>und</strong> jugendlichen Sozialbeziehungen<br />

<strong>und</strong> die Sozialisation hin.<br />

Rückzug aus sozialen Kontakten <strong>und</strong><br />

eine zunehmende Einsamkeit, wie es<br />

als Reaktionsmuster von armen Menschen<br />

im Erwachsenenalter bekannt ist,<br />

zeigt nach den präsentierten Bef<strong>und</strong>en<br />

seine Gültigkeit auch für die Gruppe der<br />

Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen in <strong>Armut</strong>sfamilien.«<br />

8<br />

Nicht nur die Ges<strong>und</strong>heit, auch das<br />

Ges<strong>und</strong>heitsverhalten von Kindern <strong>und</strong><br />

Jugendlichen wird durch <strong>Armut</strong> negativ<br />

beeinflusst: »So ist der Anteil der<br />

Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen, die als regelmäßige<br />

(tägliche) Raucher anzusehen<br />

sind, in der <strong>Armut</strong>sgruppe erhöht. Ähnliche,<br />

auf Gr<strong>und</strong> der geringen Prävalenzraten<br />

jedoch nur mit Vorsicht zu interpretierende<br />

Unterschiede zeigen sich<br />

beim regelmäßigen Alkoholkonsum. Die<br />

Zahnhygiene ( . . . ) ebenso wie die nur<br />

geringe Teilnahme an sportlichen Aktivitäten<br />

(außerhalb des Schulsports) oder<br />

8<br />

Andreas Klocke, <strong>Armut</strong> bei Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen<br />

<strong>und</strong> die Auswirkungen auf die Ges<strong>und</strong>heit,<br />

in: Robert Koch-Institut (Hrsg.), Ges<strong>und</strong>heitsberichterstattung<br />

des B<strong>und</strong>es 3/2001, S. 9.<br />

der überdurchschnittliche TV-Konsum<br />

belegen hingegen klar ein ungünstigeres<br />

Ges<strong>und</strong>heitsverhalten der Kinder<br />

<strong>und</strong> Jugendlichen aus den sozial schwachen<br />

Familien.« 9 Zu wenig Geld zum<br />

Leben zu haben, beeinflusst auch das<br />

Ernährungsverhalten. 10 Materiell arme<br />

Kinder <strong>und</strong> Jugendliche essen mehr Fast<br />

Food, sie sind häufiger mangelernährt<br />

<strong>und</strong> übergewichtig.<br />

Die benachteiligende Lebenslage<br />

wirkt sich nicht nur negativ auf die<br />

Ges<strong>und</strong>heit der Betroffenen aus, sondern<br />

auch auf ihre Bildungskompetenzen.<br />

Kinder <strong>und</strong> Jugendliche aus<br />

höheren sozialen Schichten erhalten in<br />

der Bildung mehr Förderung <strong>und</strong> sind<br />

dadurch erfolgreicher. Hinzu kommt,<br />

dass selbst bei gleicher Leistung der<br />

familiäre Hintergr<strong>und</strong> der Schüler/innen<br />

maßgeblich über ihre Bildungschancen<br />

entscheidet. 11 So werden Bildungs- <strong>und</strong><br />

damit Karriere- <strong>und</strong> Partizipations-Chancen<br />

»vererbt«. Der Eliteforscher Michael<br />

Hartman berichtet ähnliches über die<br />

zentralen Einflussfaktoren beim Übergang<br />

zu weiterführenden Schulen nach<br />

der Primarstufe. Nicht nur die milieubedingt<br />

besseren Leistungen der Kinder<br />

aus den höheren Schichten <strong>und</strong> Klassen<br />

machen sich dabei bemerkbar, sondern,<br />

so Hartmann, »auch die je nach sozialer<br />

Herkunft stark differierenden Beurteilungen<br />

der Lehrkräfte. So benötigt zum<br />

Beispiel nach einer Erhebung unter allen<br />

Hamburger Fünftklässlern ein Kind, dessen<br />

Vater das Abitur gemacht hat, ein<br />

Drittel weniger Punkte für eine Gymnasialempfehlung<br />

als ein Kind mit einem<br />

Vater ohne Schulabschluss. Bei Versetzungsentscheidungen<br />

sind dieselben<br />

Mechanismen zu beobachten.« 12 Ähnliche<br />

Ergebnisse förderte zuletzt der<br />

Mainzer Soziologe Stefan Hradil in einer<br />

repräsentativen Schulstudie in Wiesbaden<br />

zutage. 13 Die soziale Herkunft entscheidet<br />

danach erheblich über den<br />

Schulerfolg der Kinder.<br />

9<br />

Ebenda, S. 9.<br />

10<br />

Vgl. ebenda, S. 10.<br />

11<br />

Vgl. Michael Kl<strong>und</strong>t, Von der sozialen zur Generationengerechtigkeit?,<br />

a. a. O., S. 105 ff.<br />

12<br />

Michael Hartmann, Die Geheimnisse des<br />

Erfolgs – oder: Wie wird man Elite?, in: BdWi-<br />

Studienheft 3/2005, S. 5.<br />

13<br />

Vgl. Skandalöses Schüler-Lotto. Lehrer lassen<br />

arme Kinder zu selten ans Gymnasium, in: SPIE-<br />

GEL online v. 11. 09. 2008.


Kinderarmut – Ursachen <strong>und</strong> Folgen 20<br />

Herrschende Politik<br />

macht Kinder arm<br />

Fragt man die B<strong>und</strong>esregierung nach<br />

ihrer Zwischenbilanz zum »Nationalen<br />

Aktionsplan für ein kindgerechtes<br />

Deutschland 2005–2010«, so kann man<br />

nur beruhigt sein. »Die Situation von<br />

Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen in Deutschland<br />

verbessert sich merklich.« <strong>Das</strong><br />

ist das Fazit des Zwischenberichts<br />

zum Nationalen Aktionsplan »Für ein<br />

kindgerechtes Deutschland 2005–2010«,<br />

den der Parlamentarische Staatssekretär<br />

im B<strong>und</strong>esministerium für Familie,<br />

Senioren, Frauen <strong>und</strong> Jugend, Hermann<br />

Kues, im Dezember vergangenen Jahres<br />

vorgelegt hat. Die vielen <strong>Armut</strong>sstudien<br />

von Prognos, UNICEF, dem Deutschen<br />

Kinderhilfswerk oder der Organisation<br />

für wirtschaftliche Zusammenarbeit<br />

<strong>und</strong> Entwicklung (OECD) sprechen<br />

eine andere Sprache. Davon lässt<br />

sich die Regierung jedoch nicht beirren.<br />

»Wir sind auf dem richtigen Weg«, meint<br />

Kues bei der Vorstellung des Zwischenberichts.<br />

»<strong>Das</strong> Kinderförderungsgesetz<br />

zum Beispiel beseitigt die letzten juristischen<br />

Hürden zum Ausbau der Kinderbetreuung.<br />

<strong>Das</strong> ist ein ganz wesentlicher<br />

Meilenstein für mehr Kinderfre<strong>und</strong>lichkeit!«<br />

Wie materielle <strong>Armut</strong> die Ges<strong>und</strong>heit von Kindern <strong>und</strong><br />

Jugendlichen beeinflusst<br />

⊲ Deutlich höhere Säuglingssterblichkeit nach der Geburt als in den<br />

oberen sozialen Schichten<br />

⊲ Deutlich mehr Kinder, die mit einem Gewicht von weniger als 2500<br />

Gramm geboren werden<br />

⊲ Zweimal höhere Sterblichkeitsrate durch Unfälle als bei Kindern aus<br />

privilegierten Schichten<br />

⊲ Sehr viel häufigeres Auftreten akuter Erkrankungen<br />

⊲ Höhere Anfälligkeit für chronische Erkrankungen. ⋆<br />

⋆<br />

Vgl. Birgit Fischer, Statt eines Vorwortes: Mit einer sozial tief gespaltenen Gesellschaft<br />

ins 3. Jahrtausend?!, a. a. O., S. 16; Andreas Mielck, <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit: Ergebnisse der<br />

sozial-epidemiologischen Forschung in Deutschland, in: Andreas Klocke/Klaus Hurrelmann<br />

(Hrsg.), Kinder <strong>und</strong> Jugendliche in <strong>Armut</strong>. Umfang, Auswirkungen <strong>und</strong> Konsequenzen, Opladen/Wiesbaden<br />

1998, S. 225 ff.; Ministerium für Frauen, Jugend, Familie <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit des<br />

Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), 7. Kinder- <strong>und</strong> Jugendbericht der Landesregierung NRW,<br />

Düsseldorf 1999, S. 115 f.<br />

<strong>Das</strong>s ganztägige <strong>und</strong> gebührenfreie<br />

Kinderbetreuungsangebote in Deutschland<br />

immer noch Mangelware sind, interessiert<br />

den Staatsekretär nicht. Ihn<br />

interessiert auch nicht, dass im Zusammenhang<br />

mit dem Ausbau der Kinderbetreuung<br />

die Gefahr der Privatisierung<br />

<strong>und</strong> Kommerzialisierung in der Kinder-<br />

<strong>und</strong> Jugendhilfe droht. Kues bleibt<br />

dabei: »Chancengerechtigkeit in der Bildung<br />

für alle Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen<br />

steht auf der politischen Tagesordnung<br />

ganz oben.« Dieser Aussage steht das<br />

Schulbedarfspaket entgegen. Schulkinder,<br />

die von Hartz IV leben müssen,<br />

erhalten danach für Schulsachen nur bis<br />

zur zehnten Klasse Geld vom Staat <strong>und</strong><br />

werden so vom Abitur ausgeschlossen.<br />

Im Konjunkturpaket II bleiben außerdem<br />

die unter Sechsjährigen <strong>und</strong> die 14- bis<br />

17-jährigen Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen von<br />

jeder Hartz-IV-Erhöhung ausgenommen<br />

(vgl. auch Kapitel 4 über »Willkürlich<br />

festgelegte Regelsätze«). Doch selbst<br />

davon lässt sich die B<strong>und</strong>esregierung<br />

ihre gute Laune nicht verderben. »Hinzu<br />

kommen wirksame <strong>und</strong> verlässliche<br />

Familienleistungen wie das Elterngeld<br />

oder das erhöhte Kindergeld – sie schützen<br />

Familien vor dem Abrutschen in<br />

<strong>Armut</strong>«, heißt es in einer Mitteilung<br />

des B<strong>und</strong>esfamilienministeriums vom<br />

Dezember vergangenen Jahres. <strong>Das</strong> Kindergeld<br />

wurde seit sieben Jahren nicht<br />

mehr erhöht. Seitdem sind die Lebenserhaltungskosten<br />

aber überproportional<br />

gestiegen. Trotzdem warteten die Regierungsparteien<br />

mit der Erhöhung bis zum<br />

Wahljahr 2009. Hartz-IV-Kinder haben<br />

auch davon nichts. Ihnen wird die Kindergelderhöhung<br />

voll auf die Sozialleistung<br />

angerechnet, <strong>und</strong> mehr als die Hälfte<br />

aller Eltern erhalten ein Elterngeld von<br />

weniger als 500 Euro. Vor allem Geringverdienende<br />

<strong>und</strong> Erwerbslose hatten<br />

vom B<strong>und</strong>eserziehungsgeld, das bis vor<br />

drei Jahren gezahlt wurde, weitaus mehr<br />

profitiert als vom jetzigen Elterngeld.<br />

Im vergangenen Jahr ist der dritte<br />

<strong>Armut</strong>s- <strong>und</strong> Reichtumsbericht der B<strong>und</strong>esregierung<br />

erschienen. Doch wie<br />

kann es sein, fragte sich die Regierung,<br />

dass mit dem sogenannten Wirtschaftsaufschwung<br />

die Kinderarmut kaum weniger<br />

wurde? Hat die Regierung nicht alles<br />

Erdenkliche getan, um mehr soziale<br />

Gerechtigkeit zu schaffen? Schon die<br />

rot-grüne B<strong>und</strong>esregierung hatte in<br />

ihrem ersten <strong>und</strong> zweiten <strong>Armut</strong>s- <strong>und</strong><br />

Reichtumsbericht vor acht beziehungsweise<br />

vier Jahren Rezepte zur Bekämpfung<br />

von <strong>Armut</strong> aufgeführt. Vor allem<br />

die rot-grüne Renten- <strong>und</strong> Steuerpolitik<br />

wurde im ersten <strong>Armut</strong>s- <strong>und</strong> Reichtums-


21 Kinderarmut – Ursachen <strong>und</strong> Folgen<br />

bericht als herausragende Maßnahme<br />

genannt. In ihrem zweiten <strong>Armut</strong>s- <strong>und</strong><br />

Reichtumsbericht verwies die B<strong>und</strong>esregierung<br />

auf die Agenda 2010 als zentrales<br />

Mittel zur Bekämpfung von <strong>Armut</strong>.<br />

Bei genauerer Betrachtung entpuppten<br />

sich jedoch gerade die Renten- <strong>und</strong> Krankenreformen<br />

von B<strong>und</strong>esarbeitsminister<br />

Walter Riester <strong>und</strong> B<strong>und</strong>esges<strong>und</strong>heitsministerin<br />

Ulla Schmidt genauso<br />

als kolossale Umverteilungsprojekte<br />

von unten nach oben wie die Steuerreformen<br />

der B<strong>und</strong>esfinanzminister Hans<br />

Eichel <strong>und</strong> Peer Steinbrück. Die Strukturprinzipien<br />

der umgestalteten Alters- <strong>und</strong><br />

Krankenversicherung forcieren durch<br />

die Teilprivatisierung des sozialen Risikos<br />

<strong>und</strong> die Entlastung der Arbeitgeber<br />

eine wieder zunehmende Altersarmut.<br />

Gleichzeitig werden durch den<br />

Zwang zur privaten Vorsorge Finanz<strong>und</strong><br />

Versicherungs-Konzerne subventioniert.<br />

Die rot-grünen <strong>und</strong> schwarzroten<br />

Steuerreformen haben B<strong>und</strong>, Länder<br />

<strong>und</strong> Kommunen weitgehend verarmen<br />

lassen <strong>und</strong> die Spitzeneinkommen<br />

sowie Gewinne <strong>und</strong> Vermögen radikal<br />

steuerlich entlastet.<br />

Die B<strong>und</strong>esregierung der Großen<br />

Koalition sieht sich mit den Ergebnissen<br />

des dritten <strong>Armut</strong>s- <strong>und</strong> Reichtumsbericht<br />

in ihrer Politik bestätigt. Sie<br />

hebt besonders ihre Steuer-, Arbeitsmarkt-,<br />

Ges<strong>und</strong>heits-, Renten- <strong>und</strong> Familienpolitik<br />

hervor. Die B<strong>und</strong>esregierung<br />

meint allen Ernstes, mit der drastischen<br />

Senkung der Unternehmenssteuern,<br />

der Anhebung der Mehrwertsteuer<br />

<strong>und</strong> der Rente ab 67 etwas gegen die<br />

soziale Spaltung in diesem Land getan<br />

zu haben. Dieser Unfug wird folgendermaßen<br />

begründet: »Die beschlossene<br />

Anhebung der Regelaltersgrenze in der<br />

gesetzlichen Rentenversicherung (GRV)<br />

auf 67 Jahre stabilisiert den Beitragssatz<br />

der gesetzlichen Rentenversicherung<br />

<strong>und</strong> damit die finanzielle Belastung für<br />

die Beitragszahler. Die Anhebung des<br />

Rentenalters führt zukünftig zu einer<br />

höheren Altersrente, wenn die Versicherten<br />

länger arbeiten <strong>und</strong> damit zusätzliche<br />

Entgeltpunkte erwerben.« 14 Kein<br />

Wort davon, dass kaum jemand bis 67<br />

arbeitet. So biegt man sich die Realität<br />

zurecht. Die Steuerpolitik der vergangenen<br />

Jahre bezeichnet die B<strong>und</strong>esregie-<br />

14<br />

B<strong>und</strong>esministerium für Arbeit <strong>und</strong> Soziales<br />

(Hrsg.), Lebenslagen in Deutschland. Der dritte<br />

<strong>Armut</strong>s- <strong>und</strong> Reichtumsbericht der B<strong>und</strong>esregierung,<br />

Bonn 2008, S. 176 f.<br />

rung als »sozial gerecht«, 15 weist allerdings<br />

an anderer Stelle in verklausulierter<br />

Form auf das Gegenteil hin: »Betrachtet<br />

man die Wirkung der Steuern auf die<br />

Einkommensverteilung, so schwächt die<br />

regressive Wirkung der Verbrauchsteuern<br />

(etwa Mehrwertsteuer, Mineralöl<strong>und</strong><br />

Kraftfahrzeugsteuer) die progressive<br />

Wirkung der Einkommensteuer insgesamt<br />

ab.« 16<br />

Im Feld der Familienpolitik hat die<br />

B<strong>und</strong>esfamilienministerin Ursula von<br />

der Leyen (CDU) zwar nicht ganz<br />

Unrecht, wenn sie betont, dass der Kinderzuschlag,<br />

das Elterngeld <strong>und</strong> der Ausbau<br />

von Kinder-Betreuungs-Einrichtungen<br />

wichtig gegen Kinderarmut seien.<br />

Doch diese Gegenstrategien bewegen<br />

sich nicht nur im Rahmen fortgesetzter<br />

neoliberaler Privatisierungspraktiken<br />

bei Rente, Ges<strong>und</strong>heit, Pflege oder<br />

Bildung <strong>und</strong> sind so nur ein Trostpflästerchen<br />

für die Verschärfung pola-<br />

15<br />

Ebenda, S. 177.<br />

16<br />

Ebenda., S. 17/55.<br />

risierter Lebenslagen. Die Gegenstrategien<br />

sind auch unzureichend ausgestaltet<br />

<strong>und</strong> sozial ungerecht verteilt. <strong>Das</strong><br />

fängt bei dem viel zu niedrigen Kinderzuschlag<br />

von höchstens 140 Euro für<br />

viel zu wenige einkommensschwache<br />

Eltern an. Diese können damit zwar<br />

ihren Bedarf, aber nicht den ihrer Kinder<br />

decken. So wirkt sich das Ganze<br />

als reine Subvention des Niedriglohnsektors<br />

aus, während die Kinderarmut<br />

nur geringfügig bekämpft wird. Beim<br />

seit zwei Jahren gewährten Elterngeld<br />

ist das anders. Hier wurde von vorneherein<br />

daran gedacht, gut verdienende<br />

Eltern bei der Kindererziehung zu unterstützen,<br />

indem 67 Prozent vom letzten<br />

Nettolohn bis zu 1800 Euro für bis zu<br />

14 Monate gewährt werden. Arbeitslose<br />

oder gering verdienende Eltern werden<br />

dagegen durch das Mindestelterngeld<br />

von 300 Euro für bis zu 14 Monate abgespeist.<br />

Bis vor drei Jahren erhielten die<br />

Eltern noch ein Erziehungsgeld in Höhe<br />

von 450 Euro für zwölf Monate oder 300<br />

Euro für 24 Monate. Auch der Ausbau


Kinderarmut – Ursachen <strong>und</strong> Folgen 22<br />

der Kinderbetreuung ist prinzipiell zu<br />

begrüßen, wenn er nur nicht so schleppend<br />

verlaufen würde. Die B<strong>und</strong>esregierung<br />

müsste neben der Quantität<br />

der Betreuungsplätze auch die Qualität<br />

durch andere Betreuungsschlüssel<br />

sowie durch Weiterbildung <strong>und</strong> bessere<br />

Bezahlung der ErzieherInnen fördern.<br />

Doch auch das hilft nur dann gegen<br />

Kinderarmut, wenn wenigstens das Mittagessen<br />

kostenlos ist <strong>und</strong> auch sonst<br />

keine Gebühren anfallen. Die Verantwortlichen<br />

müssen außerdem den Privatisierungs-<br />

<strong>und</strong> Prekarisierungs-Tendenzen<br />

auf dem »Betreuungsmarkt« widerstehen.<br />

Gegenmaßnahmen <strong>und</strong><br />

Alternativen<br />

Ausmaß, Erscheinungsformen <strong>und</strong> Hintergründe<br />

von Kinderarmut in Deutschland<br />

muss man vor dem Hintergr<strong>und</strong><br />

des globalen Kapitalismus <strong>und</strong> des geänderten<br />

Sozialstaats betrachten. Sozial-,<br />

Familien- <strong>und</strong> Kinderpolitik kann Kinderarmut<br />

vermeiden oder abbauen. Arbeitslosenquoten,<br />

Familienstatus <strong>und</strong> die<br />

Geburt von Kindern sollten deshalb<br />

im Zusammenhang von Verteilungsrelationen,<br />

sozialpolitischen Traditionen<br />

<strong>und</strong> Gegenmaßnahmen betrachtet werden.<br />

Nur dann werden der wirkliche<br />

Umfang <strong>und</strong> die Gründe von Kinderarmut<br />

sichtbar. Anhand des Vergleichs<br />

von Strukturen der besonders betroffenen<br />

Risikogruppen lässt sich die<br />

Wirkung sozial benachteiligter Lebenslagen<br />

auf Kinder <strong>und</strong> ihre Familien<br />

untersuchen. Die Folgen hinsichtlich<br />

der Zukunftschancen armer Kinder<br />

<strong>und</strong> Jugendlicher führen zur Frage,<br />

welche arbeitsmarkt-, familien- <strong>und</strong><br />

sozialpolitischen Maßnahmen <strong>und</strong> bildungspolitischen<br />

Handlungsstrategien<br />

gegen Kinderarmut anzuraten sind.<br />

Dabei stehen Gegenstrategien in den<br />

Bereichen Beschäftigungs-, Bildungs-,<br />

Ges<strong>und</strong>heits-, Familien- <strong>und</strong> Sozialpolitik<br />

sowie Konzepte zur Umverteilung<br />

von Arbeitszeit, Einkommen <strong>und</strong> Vermögen<br />

im Vordergr<strong>und</strong> (vgl. auch Kapitel<br />

4 über »Kinderarmut verringern<br />

<strong>und</strong> <strong>verhindern</strong> – Maßnahmen«).<br />

Hartz IV <strong>und</strong> die Agenda 2010 mit ihrer<br />

Privatisierung sozialer Risiken <strong>und</strong> dem<br />

Zwang zu Lohndumping sind nicht nur<br />

<strong>Armut</strong> <strong>und</strong> Demütigung, sondern auch<br />

öffentliche Verwahrlosung per Gesetz.<br />

Dagegen müssten zu wirklichen Reformen<br />

im Bereich des Arbeitsmarktes<br />

eine deutliche Arbeitszeitverkürzung,<br />

ein gesetzlicher Mindestlohn <strong>und</strong> ein<br />

öffentlichen Beschäftigungssektor gehören.<br />

<strong>Das</strong> eröffnet nicht nur vielen Arbeitslosen<br />

eine neue Lebensperspektive, sondern<br />

ist auch familienfre<strong>und</strong>lich. Der<br />

Hartz-IV-Regelsatz müsste in einem ersten<br />

Schritt auf mindestens 435 Euro<br />

steigen, während Kinder eine bedarfsorientierte<br />

Gr<strong>und</strong>sicherung von wenigstens<br />

420 Euro erhalten sollten. Im Bildungsbereich<br />

muss man statt des dreigliedrigen<br />

Schulsystems eine Ganztagsschule<br />

für alle Kinder entwickeln. In den<br />

Kindertagesstätten müsste der gebührenfreie<br />

Ganztags-Rechtsanspruch auf<br />

eine Betreuung für unter Dreijährige<br />

bis zum nächsten Jahr realisiert sein.<br />

Wer die Spaltung der Gesellschaft in<br />

Arm <strong>und</strong> Reich verringern will, kommt<br />

zur Finanzierung nicht an einer Vermögenssteuer,<br />

einer gerechten Erbschaftssteuer<br />

<strong>und</strong> einem angehobenen Spitzensteuersatz<br />

vorbei. Denn ein sich selbst<br />

arm machender Staat kann <strong>Armut</strong> nicht<br />

bekämpfen.<br />

Dr. Michael Kl<strong>und</strong>t, geboren 1973, ist<br />

Politikwissenschaftler <strong>und</strong> arbeitet als<br />

Referent für die Linksfraktion im B<strong>und</strong>estag.<br />

Er hat u. a. gemeinsam mit<br />

Prof. Christoph Butterwegge über das<br />

Thema <strong>Armut</strong> publiziert.


23 Kinderarmut in einem reichen Land<br />

4 Kinderarmut in einem einem reichen Land reichen Land<br />

Prof. Dr. Christoph Butterwegge<br />

<strong>Armut</strong> <strong>und</strong> Kinderarmut waren jahrzehntelang<br />

keine Themen, die die deutsche<br />

Öffentlichkeit bewegten. Höchstens in<br />

der Vorweihnachtszeit, im Sommerloch<br />

oder am Weltkindertag am 20. September<br />

nahmen die Massenmedien der B<strong>und</strong>esrepublik<br />

davon Notiz. Aus mehreren<br />

Gründen wurde <strong>Armut</strong> leicht übersehen:<br />

⊲ <strong>Das</strong> <strong>Armut</strong>sbild vieler Menschen ist<br />

von absoluter Not <strong>und</strong> Elend in den<br />

Entwicklungsländern geprägt. <strong>Das</strong><br />

hindert viele Bürger/innen daran,<br />

analoge Erscheinungen »vor der eigenen<br />

Haustür« zu erkennen.<br />

⊲ In der Nachkriegszeit waren eher<br />

ältere Menschen, vor allem Rentnerinnen,<br />

von Unterversorgung betroffen.<br />

Man sprach erst Ende der 80er-Jahre<br />

<strong>und</strong> Anfang der 90er-Jahre von einer<br />

»Infantilisierung der <strong>Armut</strong>«, als junge<br />

Menschen zur am häufigsten <strong>und</strong> am<br />

stärksten von <strong>Armut</strong> bedrohten Altersgruppe<br />

wurden.<br />

⊲ Sogar Erzieher/innen, Lehrer/innen<br />

<strong>und</strong> andere Pädagog(inn)en übersehen<br />

manchmal als Angehörige der Mittelschicht<br />

die Probleme von Kindern<br />

aus Unterschichtfamilien, die in weniger<br />

bürgerlich geprägten Stadtteilen<br />

oder einem »sozialen Brennpunkt«<br />

wohnen.<br />

⊲ Manche Zeitgenossen versuchen, die<br />

Schuld für materielle <strong>Armut</strong> den<br />

Betroffenen oder, im Falle der Kinder,<br />

den Eltern in die Schuhe zu schieben.<br />

Diese seien angeblich »faul«, »saufen«<br />

oder könnten »nicht mit Geld<br />

umgehen«. Man erwartet von den<br />

Armen im Gr<strong>und</strong>e, dass sie sich nach<br />

der Münchhausenmethode »am eigenen<br />

Schopf« aus ihrer Lage befreien.<br />

Ignoriert wird, bewusst oder unbewusst,<br />

dass dies sinnvoller Angebote<br />

der Sozial-, Arbeitsmarkt- <strong>und</strong><br />

Beschäftigungspolitik bedarf, die es<br />

immer weniger gibt.<br />

⊲ Nicht Wenige glauben irrtümlich, Kinderarmut<br />

im Kamen, Kassel oder<br />

Karlsruhe sei weniger problematisch<br />

als in der »armen dritten Welt«. Deshalb<br />

lohne es sich nicht, über dieses<br />

Problem zu sprechen. Dabei kann<br />

<strong>Armut</strong> hierzulande sogar erniedrigender,<br />

deprimierender <strong>und</strong> bedrückender<br />

sein. Denn Kinder <strong>und</strong> Jugendliche<br />

sind in einer Wohlstands- <strong>und</strong><br />

Konsumgesellschaft einem stärkeren<br />

Druck durch die Werbeindustrie wie<br />

auch ihrer Spielkamerad(inn)en <strong>und</strong><br />

Mitschüler/innen ausgeliefert. Sie<br />

müssen beim Tragen teurer Markenkleidung<br />

oder beim Besitz neuer, möglichst<br />

teurer Konsumgüter »mithalten«.<br />

Empathie <strong>und</strong> Solidarität erfahren<br />

die von <strong>Armut</strong> betroffenen Kinder<br />

dagegen weniger als dies normalerweise<br />

der Fall ist.<br />

⊲ Mit der <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> den Armen hat<br />

kaum jemand gern zu tun, weil<br />

selbst der Umgang damit stigmatisiert.<br />

Außerdem gehören die Betroffenen<br />

nach eher negativen Erfahrungen<br />

selten zu den Menschen, deren<br />

offenes Wesen ihnen Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong><br />

Sympathie einbringt.<br />

Mittlerweile avanciert Kinderarmut<br />

fast zu einem Modethema, das immer<br />

wieder Schlagzeilen macht. Gleichwohl<br />

haben sich die Fachwissenschaft, Massenmedien<br />

<strong>und</strong> etablierte Parteien nie<br />

ernsthaft damit auseinandergesetzt,<br />

dass ein zunehmender Teil der Bevölkerung<br />

sozial ausgeschlossen wird. Gleichzeitig<br />

häuft eine Minderheit immer mehr<br />

Reichtum an, was die Regierungspolitik<br />

durch gesenkte Gewinnsteuern, Entlastung<br />

der Unternehmen <strong>und</strong> Steuergeschenke<br />

an Firmenerben fördert. Nach<br />

wie vor wenig beachtet ist, dass diese<br />

Entwicklung akut den inneren Frieden,<br />

die Humanität <strong>und</strong> die Zukunftsfähigkeit<br />

der Gesellschaft gefährdet – denn mit<br />

der sich vertiefenden sozialen Kluft hängen<br />

Drogenmissbrauch, Gewaltkriminalität<br />

<strong>und</strong> wachsende Brutalität zusammen.<br />

Schon vor der Krise:<br />

jedes vierte Kind arm<br />

Der dritte <strong>Armut</strong>s- <strong>und</strong> Reichtumsbericht,<br />

den die B<strong>und</strong>esregierung im<br />

Juni vergangenen Jahres verabschiedet<br />

hat, beschönigt die soziale Lage<br />

von Millionen Menschen mit statistischen<br />

Taschenspielertricks – vor allem<br />

die Situation der Familien <strong>und</strong> Kinder<br />

(vgl. auch Kapitel 3 über »Ausmaß <strong>und</strong><br />

Erscheinungsformen«). Trotzdem ist<br />

inzwischen weiten Teilen der Öffentlichkeit<br />

bewusst, dass (Kinder-)<strong>Armut</strong> nicht<br />

nur in der sogenannten Dritten Welt, sondern<br />

auch hierzulande ein Problem ist.<br />

Dies gilt zumindest dann, wenn man<br />

darunter nicht nur absolutes Elend, sondern<br />

auch ein relatives Maß an sozialer<br />

Ungleichheit versteht. Diese hindert<br />

Betroffene daran, sich ihrer persönlichen<br />

Fähigkeiten entsprechend zu<br />

entfalten, sich optimal zu entwickeln<br />

<strong>und</strong> selbstbestimmt am gesellschaftlichen,<br />

kulturellen <strong>und</strong> politischen Leben<br />

teilzunehmen. Wenn man so will, handelt<br />

es sich hierbei um »strukturelle<br />

Gewalt« (Johan Galtung), die Kinder <strong>und</strong>


Kinderarmut in einem reichen Land 24<br />

Jugendliche noch härter trifft als Erwachsene.<br />

Von den 11,44 Millionen Kindern unter<br />

15 Jahren lebten im März vor zwei Jahren<br />

nach Angaben der B<strong>und</strong>esagentur<br />

für Arbeit fast 1,93 Millionen Kinder<br />

in Bedarfsgemeinschaften nach dem<br />

Sozialgesetzbuch (SGB) II – landläufig<br />

»Hartz-IV-Haushalte« genannt. Damals<br />

hatte der vergangene Konjunkturaufschwung<br />

seinen Höhepunkt erreicht. Zu<br />

den »Hartz-IV-Kindern« gesellen sich die<br />

übrigen Betroffenen: Kinder in Sozialhilfehaushalten,<br />

in Flüchtlingsfamilien, die<br />

r<strong>und</strong> ein Drittel weniger als die Sozialhilfe<br />

erhalten <strong>und</strong> die sogenannten Illegalen.<br />

Hinzu kommt eine Dunkelziffer<br />

eigentlich Anspruchsberechtigter, die<br />

aus Unwissenheit, Scham oder anderen<br />

Gründen keinen Antrag auf Sozialhilfe<br />

oder Arbeitslosengeld II stellen. Rechnet<br />

man alle Betroffenen zusammen,<br />

lebten knapp drei Millionen Kinder <strong>und</strong><br />

damit jedes vierte Kind unter 15 Jahren<br />

auf oder unter dem Sozialhilfeniveau.<br />

<strong>Das</strong> Problem wird durch regional ungleiche<br />

Entwicklungen erheblich verschärft.<br />

Es besteht ein Ost-West- <strong>und</strong> ein Nord-<br />

Süd-Gefälle. Beispielswiese kamen in<br />

Görlitz 44,1 Prozent aller Kinder unter<br />

15 Jahren aus Hartz-IV-Haushalten, im<br />

bayerischen Starnberg waren es dagegen<br />

nur 3,9 Prozent. Selbst in einer westdeutschen<br />

Großstadt wie Bremen gibt<br />

es Ortsteile, in denen mehr als 60 Prozent<br />

aller Kinder zu den Sozialgeldbezieher(inne)n<br />

gehören, die damit nur<br />

geringe Bildungschancen <strong>und</strong> berufliche<br />

Perspektiven haben.<br />

Kinderarmut ist mehr, als nur wenig<br />

Geld zu haben. Sie bedeutet für die<br />

Betroffenen auch, persönlicher Entfaltungs-<br />

<strong>und</strong> Entwicklungsmöglichkeiten<br />

beraubt, sozial benachteiligt <strong>und</strong> unterversorgt<br />

zu sein – letzteres beispielsweise<br />

im Hinblick auf Bildung, Ges<strong>und</strong>heit<br />

<strong>und</strong> die Wohnsituation. Wenn man<br />

sinnvollere, qualitative <strong>und</strong> nichtmonetäre<br />

Kriterien für das Armsein anlegt,<br />

steigt die Zahl armer Kinder sogar auf<br />

mehr als drei Millionen. Über die Hälfte<br />

davon leben auf Sozialhilfeniveau. Die<br />

Eltern der anderen Kinder haben entweder<br />

keinen Antrag gestellt oder etwas<br />

mehr Geld zur Verfügung, ohne deshalb<br />

ihrem Nachwuchs eine sorgenfreie Kindheit<br />

ermöglichen zu können. Darin drücken<br />

sich die Sorgen <strong>und</strong> Existenznöte<br />

vieler Familien aus, während andere<br />

zumindest keine materiellen Probleme<br />

haben.<br />

Wie sich Kinderarmut<br />

äußert<br />

Kinderarmut äußert sich in einem wohlhabenden,<br />

wenn nicht reichen Land wie<br />

der B<strong>und</strong>esrepublik weniger spektakulär<br />

als in Mozambik oder Bangladesch,<br />

wo Menschen auf der Straße verhungern.<br />

<strong>Armut</strong> wirkt hier eher subtil, aber<br />

nicht minder dramatisch <strong>und</strong> lange (vgl.<br />

auch Kapitel 6 über »»Keinen Ausweg<br />

mehr sehen««). Hierzulande ist es für<br />

Kinder manchmal noch schwerer, arm<br />

zu sein, als in einer Gesellschaft, die<br />

sämtlichen Mitgliedern nur das Allernötigste<br />

bietet. Konsumchancen wie<br />

das Tragen von »Markenklamotten«, der<br />

Besitz eines tollen Handys <strong>und</strong> moderner<br />

Unterhaltungselektronik <strong>und</strong> teure<br />

Freizeitaktivitäten entscheiden mit darüber,<br />

welche Möglichkeiten ein Kind im<br />

Fre<strong>und</strong>eskreis oder in der Clique hat.<br />

Kinder <strong>und</strong> Jugendliche werden jenseits<br />

von Nike <strong>und</strong> Nokia in der Gruppe nicht<br />

ernst genommen. <strong>Das</strong> kann zu psychosozialen<br />

Belastungen führen <strong>und</strong> den<br />

Ausschluss junger Menschen aus vielen<br />

Lebenszusammenhängen nach sich<br />

ziehen.<br />

Besonders für Kinder <strong>und</strong> Jugendliche,<br />

deren Lebenswelt viel stärker als<br />

die der Erwachsenen durch eine zunehmende<br />

Kommerzialisierung geprägt ist,<br />

hat arm zu sein weit reichende Auswirkungen.<br />

Mit Einkommen, Beruf, Wohnen,<br />

Ges<strong>und</strong>heit, Bildung <strong>und</strong> Freizeit<br />

sind die unterschiedlichsten Lebensbereiche<br />

betroffen <strong>und</strong> weisen Defizite<br />

auf. Bei einem Kind ist ein Defizit beispielsweise<br />

im Wohnbereich gegeben,<br />

wenn es kein eigenes Zimmer hat. Da<br />

auch die familiären Wohnverhältnisse<br />

beengt sind, wird der Kindergeburtstag<br />

nicht im Kreis der Schulkamerad(inn)en<br />

<strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>e zu Hause gefeiert. Zusammen<br />

mit anderen Restriktionen kann<br />

das eine Isolation der Betroffenen nach<br />

sich ziehen. In vielen Familien reicht das<br />

Haushaltsgeld heute höchstens bis zur<br />

Monatsmitte; von da an ist Schmalhans<br />

Küchenmeister. Da den Eltern das Geld<br />

für die Klassenfahrt ihres Sprösslings<br />

fehlt, täuscht man oft ein Unwohlsein<br />

des Kindes vor. Betroffen sind vor allem<br />

Alleinerziehende, meist Frauen, <strong>und</strong> kinderreiche<br />

Familien. Deren Haushaltseinkommen<br />

ist zu gering, um den Unterhalt<br />

von Kindern zu bestreiten, was<br />

zu sozialer Unterversorgung <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong>,<br />

sogenannter Exklusion, führt<br />

(vgl. Kapitel 6 über »<strong>Armut</strong> als Folge<br />

sozialer <strong>Ausgrenzung</strong>«). Für die betroffenen<br />

Familien erwachsen daraus ökonomische,<br />

soziale <strong>und</strong> psychische Belastungen,<br />

sie geraten häufig sogar in eine<br />

schwere Zerreißprobe – denn Familien<br />

sind ein »emotionaler Puffer« (Sabine<br />

Walper) zwischen dem kapitalistischen<br />

Wirtschaftssystem, das die soziale <strong>Ausgrenzung</strong><br />

hervorruft <strong>und</strong> den Kindern.<br />

Kinder <strong>und</strong> Jugendliche sind aufgr<strong>und</strong><br />

solcher Benachteiligungen in ihrer geistigen<br />

Entwicklung, schulischen Leistungsfähigkeit,<br />

psychischen Stabilität <strong>und</strong> physischen<br />

Konstitution gefährdet.<br />

Alleinerziehende <strong>und</strong> kinderreiche<br />

Familien tragen nicht nur ein größeres


25 Kinderarmut in einem reichen Land<br />

Risiko als Kinderlose, arm zu werden,<br />

sondern bleiben auch länger in einer<br />

Notlage. Zwischen den prekären Lebenslagen<br />

von Familien, den psychosozialen<br />

Folgen für die Kinder <strong>und</strong> Sozialisationsdefiziten<br />

besteht ein Kausal- oder Wechselverhältnis.<br />

Dieses kann in einen »Teufelskreis<br />

der <strong>Armut</strong>« führen <strong>und</strong> einen<br />

»intergenerationalen Schneeball-Effekt«<br />

(Michael Klein) hervorrufen. <strong>Armut</strong> wird<br />

dann quasi vererbt. Dies gilt vor allem<br />

für SGB-Bedarfsgemeinschaften oder<br />

Hartz-IV-Haushalte.<br />

Warum Familien <strong>und</strong> Kinder<br />

verarmen<br />

Sind junge Menschen arm oder unterversorgt,<br />

macht man dafür gewöhnlich ihre<br />

Eltern, ein von der Norm abweichendes<br />

Verhalten wie übermäßigen Alkoholkonsum<br />

oder Einschneidendes in der Familienbiografie<br />

verantwortlich. Kinder gelten<br />

– im Unterschied zu arbeitslosen<br />

Erwachsenen, Bettlern <strong>und</strong> Obdachlosen<br />

– als »würdige Arme«. Man schiebt<br />

ihnen nicht persönlich die Schuld an<br />

ihrer Not zu, sondern blickt viel eher auf<br />

die gesellschaftlichen Verhältnisse. <strong>Das</strong><br />

ist tatsächlich der Gr<strong>und</strong> dafür, warum<br />

es heute mehr <strong>Armut</strong> gibt <strong>und</strong> meist<br />

Kinder <strong>und</strong> Jugendliche davon betroffen<br />

sind. In der öffentlichen Diskussion wie<br />

der Fachliteratur werden die Auslöser<br />

von (Kinder-)<strong>Armut</strong> allerdings häufig mit<br />

deren Ursachen verwechselt. Strukturelle<br />

Zusammenhänge <strong>und</strong> gesellschaftliche<br />

Verhältnisse, unter denen Menschen<br />

leben oder in denen Kinder aufwachsen,<br />

sind die Voraussetzungen für<br />

Verarmungsprozesse. Bestimmte Ereignisse<br />

im Lebenslauf lösen diese aus<br />

oder lassen sie voll wirken. Dadurch<br />

scheint es, als sei der Tod des Familienernährers,<br />

die Trennung vom Ehepartner<br />

oder eine Mehrlingsgeburt Schuld<br />

am Entzug von Geld <strong>und</strong> damit auch<br />

anderen Ressourcen für die Kinder <strong>und</strong><br />

Jugendlichen. Tatsächlich waren die<br />

Eltern oder Mütter schon vor dem betreffenden<br />

Schicksalsschlag nur unzureichend<br />

abgesichert.<br />

<strong>Armut</strong>sphänomene, Mangelerscheinungen<br />

<strong>und</strong> soziale Bedürftigkeit sind<br />

nichts Neues, vielmehr so alt wie die<br />

Menschheit selbst. Auch die Kinderarmut,<br />

eine besonders subtile Form der<br />

<strong>Ausgrenzung</strong> <strong>und</strong> der Gewalt gegenüber<br />

den schwächsten Gesellschaftsmitgliedern,<br />

gibt es keineswegs erst seit kurzem.<br />

Gleichwohl besitzt sie »postmoderne«<br />

Züge, deren Ursachen in jüngerer<br />

Zeit zu suchen sind. Macht man den<br />

als »Globalisierung« bezeichneten Prozess<br />

einer Umstrukturierung fast aller<br />

Gesellschaftsbereiche nach Markterfordernissen<br />

<strong>und</strong> Kommerzialisierung für<br />

die Verarmung, soziale Polarisierung<br />

<strong>und</strong> Entsolidarisierung verantwortlich,<br />

liegen die Wurzeln von (Kinder-)<strong>Armut</strong><br />

auf drei Ebenen:<br />

⊲ Im Produktionsprozess löst sich<br />

das »Normalarbeitsverhältnis« tendenziell<br />

auf – ein Prozess, den<br />

Wirtschaftslobbyisten <strong>und</strong> Politiker<br />

unter den Stichworten »Liberalisierung«,<br />

»Deregulierung« <strong>und</strong> »Flexibilisierung«<br />

vorantreiben. Statt vollwertige<br />

Arbeitsplätze zu erhalten, werden<br />

immer mehr Beschäftigte in<br />

atypische, prekäre, befristete, Leih<strong>und</strong><br />

Teilzeit-Arbeitsverhältnisse abgedrängt,<br />

bei denen das Einkommen<br />

nicht mehr zum Leben reicht (Kapitel<br />

4 über »Willkürlich festgelegte<br />

Regelsätze« <strong>und</strong> Kapitel 7 über<br />

»Arm trotz Arbeit«). Davon sind<br />

auch die Familienangehörigen betroffen.<br />

Außerdem bieten diese Jobs<br />

gerade im viel beschworenen »Zeitalter<br />

der Globalisierung« nicht den<br />

erforderlichen arbeits- <strong>und</strong> sozialrechtlichen<br />

Schutz.<br />

⊲ Bei der Kindererziehung verliert die<br />

»Normalfamilie« an Gewicht. Gemeint<br />

ist die durch das Ehegattensplitting<br />

im Einkommensteuerrecht staatlich<br />

subventionierte traditionelle Hausfrauen-Ehe<br />

mit ein, zwei oder drei Kindern.<br />

Daneben treten Lebens- <strong>und</strong><br />

Liebesformen, die für die Kinder tendenziell<br />

weniger materielle Sicherheit<br />

gewährleisten. Beispiele sind Ein-<br />

Elternteil-Familien, »Patchwork-Familien«<br />

oder nichteheliche Partnerschaften.<br />

⊲ Der forcierte Wettbewerb zwischen<br />

nationalen »Wirtschaftsstandorten«<br />

führt entsprechend der neoliberalen<br />

Standortlogik zu einem Abbau von<br />

Sicherungselementen für »weniger<br />

Leistungsfähige«. Zu ihnen zählen<br />

auch Erwachsene, die mehrere Kinder<br />

haben. Kinder <strong>und</strong> Jugendliche<br />

sind stark von Arbeitslosigkeit <strong>und</strong>/<br />

oder <strong>Armut</strong> betroffen, weil das Projekt<br />

eines »Um-« oder besser Abbaus<br />

des Sozialstaates auf Kosten vieler<br />

Eltern geht.<br />

Hartz-Gesetze machen<br />

arm<br />

Die »Sozialreformen« der vergangenen<br />

Jahre machen arm. Die sogenannten<br />

Hartz-Gesetze, die Ges<strong>und</strong>heitsreformen<br />

<strong>und</strong> die im »Rentenversicherungs-<br />

Nachhaltigkeits-Gesetz« umgesetzten<br />

Vorschlägen der sogenannten Rürup-<br />

Kommission sind nichts weiter als ein<br />

Um- <strong>und</strong> Abbau des Sozialstaats. Seine<br />

ganze Architektur, Struktur <strong>und</strong> Konstruktionslogik<br />

werden verändert. Es<br />

geht längst nicht mehr nur um Leistungskürzungen<br />

im sozialen Sicherungssystem,<br />

sondern um einen Systemwechsel:<br />

Um eine zentrale gesellschaftliche<br />

Richtungsentscheidung, die das Gesicht<br />

der B<strong>und</strong>esrepublik auf absehbare Zeit<br />

prägen dürfte. <strong>Das</strong> nach Peter Hartz<br />

benannte Gesetzespaket markiert eine<br />

historische Zäsur für die Entwicklung<br />

von <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> Unterversorgung in Ost<strong>und</strong><br />

Westdeutschland. Besonders mit<br />

Hartz IV waren gr<strong>und</strong>legende Änderungen<br />

im Arbeits- <strong>und</strong> Sozialrecht verb<strong>und</strong>en,<br />

die das politische Klima der B<strong>und</strong>esrepublik<br />

auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte<br />

verschlechtern dürften.<br />

Mit dem im Januar 2003 in Kraft<br />

getreteten sog. »Ersten Gesetz für<br />

moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt«<br />

(Hartz I) wurden die Barrieren<br />

der Bedürftigkeitsprüfung erhöht, die<br />

sich Bezieher/innen von Arbeitslosenhilfe<br />

unterziehen mussten. Während die<br />

Vermögensfreibeträge deutlich gesenkt<br />

<strong>und</strong> die Mindestfreibeträge für verdienende<br />

Partner/innen um 20 Prozent<br />

gekürzt wurden, entfiel der Erwerbstätigenfreibetrag<br />

ganz. Bis dahin wurde<br />

die Bemessungsgr<strong>und</strong>lage der Arbeitslosenhilfe<br />

einmal im Jahr um drei Prozent<br />

gekürzt, die so errechnete Leistung für<br />

Langzeitarbeitslose wegen der gesetzlich<br />

vorgesehenen Dynamisierung aber<br />

erhöht. <strong>Das</strong> unterblieb fortan. Dadurch<br />

stieg das Risiko für Langzeitarbeitslose,<br />

sozialhilfebedürftig zu werden, drastisch.<br />

Auf der Gr<strong>und</strong>lage des »Zweiten<br />

Gesetzes für moderne Dienstleistungen<br />

am Arbeitsmarkt« (Hartz II) wurden<br />

»Ich-« <strong>und</strong> »Familien-AGs« sowie »Mini-<br />

« <strong>und</strong> »Midi-Jobs« eingeführt. Mit letzteren<br />

ist die sozialversicherungspflichtige<br />

Beschäftigung im Niedriglohnbereich<br />

zwischen 400 Euro <strong>und</strong> 800 Euro<br />

monatlich gemeint. Mit dem »Dritten<br />

Gesetz für moderne Dienstleistungen


Kinderarmut in einem reichen Land 26<br />

am Arbeitsmarkt« (Hartz III), das im<br />

Januar vor fünf Jahren in Kraft trat, strukturierte<br />

man die »B<strong>und</strong>esagentur für<br />

Arbeit« um. Die Nürnberger Behörde<br />

sollte nach dem Vorbild der Privatwirtschaft<br />

<strong>und</strong> mit Hilfe moderner Managementkonzepte<br />

ein Dienstleistungsunternehmen<br />

werden. Die als »Betreuungsk<strong>und</strong>en«<br />

abgestempelten Langzeitarbeitslosen<br />

haben seither kaum mehr<br />

eine Chance, sich durch eine gezielte<br />

<strong>und</strong> hochwertige Qualifizierungsmaßnahme<br />

weiterzubilden. Stattdessen werden<br />

sie mit kurzen, möglichst kostengünstigen<br />

Trainingsmaßnahmen abgespeist.<br />

Außerdem wurde die Höchstbezugszeit<br />

des Arbeitslosengeldes von<br />

32 Monaten für über 57-Jährige auf<br />

18 Monate für über 55-Jährige verkürzt –<br />

was die Große Koalition vor zwei Jahren<br />

nach entsprechenden Vorstößen von Jürgen<br />

Rüttgers (CDU) <strong>und</strong> Kurt Beck (SPD)<br />

teilweise wieder rückgängig machte.<br />

Vor vier Jahren wurde mit dem »Vierten<br />

Gesetz für moderne Dienstleistungen<br />

am Arbeitsmarkt« (Hartz IV) die<br />

Arbeitslosenhilfe durch das Arbeitslosengeld<br />

(Alg) II ersetzt – eine reine Fürsorgeleistung,<br />

die nicht mehr den früheren<br />

Lebensstandard zum Maßstab<br />

der Leistungsgewährung an Langzeitarbeitslose<br />

macht. Millionen Menschen<br />

mussten von heute auf morgen mit<br />

deutlich weniger Geld auskommen. <strong>Das</strong><br />

Alg II müsste deshalb präziser »Sozialhilfe<br />

II« heißen. Gleichzeitig teilte<br />

man die bisherigen Sozialhilfeempfänger/innen<br />

in erwerbsfähige, die Arbeitslosengeld<br />

II beziehen <strong>und</strong> nichterwerbsfähige,<br />

die Sozialgeld oder Sozialhilfe<br />

erhalten. Nicht im Erwerbsleben stehende<br />

Menschen werden dadurch nach<br />

dem Grad ihrer Nützlichkeit <strong>und</strong> wirtschaftlichen<br />

Verwertbarkeit unterteilt,<br />

was einer Stigmatisierung Vorschub leistet.<br />

Die drastischen Verschlechterungen<br />

trafen nicht nur ehemalige Bezieher/innen<br />

von Arbeitslosenhilfe – zum Beispiel<br />

Frauen, deren Ehemänner mit<br />

ihrem Einkommen über den neuen, niedrigeren<br />

Freibeträgen lagen. Auch Empfänger/innen<br />

von Sozialhilfe, die nicht<br />

erwerbsfähig sind, also nicht mindestens<br />

drei St<strong>und</strong>en täglich arbeiten können,<br />

müssen Einbußen hinnehmen. Wie<br />

für Arbeitslosengeld-II-Bezieher/innen<br />

sind für sie die meisten wiederkehrenden<br />

einmaligen Leistungen entfallen.<br />

Dazu zählen Kleidungsstücke wie einen<br />

Wintermantel für die Kinder oder die<br />

Reparatur defekter Haushaltsgeräte wie<br />

einer Waschmaschine, die die Sozialhilfeempfänger/innen<br />

früher zusätzlich<br />

beantragen konnten. Heute ist in dringenden<br />

Fällen nur ein Darlehen möglich,<br />

das die Arbeitslosen zurückzahlen müssen.<br />

Darunter leiden vor allem Familien<br />

mit Kindern, die einen hohen Bedarf an<br />

solchen Leistungen haben.<br />

Willkürlich festgelegte<br />

Regelsätze<br />

Beim Regelsatz für die Hilfe zum Lebensunterhalt<br />

(HLU) stehen sich Kinder unter<br />

sieben Jahren seit dem Hartz-IV-Gesetz<br />

zwar etwas besser, weil der Eckregelsatz<br />

leicht angehoben wurde. Die übrigen<br />

Kinder <strong>und</strong> die Jugendlichen bekommen<br />

dagegen weniger Geld als früher.<br />

<strong>Das</strong> heimlich gekürzte Sozialgeld nahm<br />

die B<strong>und</strong>esregierung erst mit dem »Konjunkturpaket<br />

II« <strong>und</strong> auch nur für die<br />

7- bis 13-Jährigen wieder zurück. Sie hob<br />

deren Regelsatz ab Juli dieses Jahres<br />

von 60 auf 70 Prozent des Eckregelsatzes<br />

für allein lebende Erwachsene<br />

an. Diese Vorgänge zeigen zur Genüge,<br />

dass die herrschende Politik das Wohl<br />

der Betroffenen nie ernsthaft im Auge<br />

hatte. Geplante Steuererleichterungen<br />

kommen zwar auch den Geringverdiener(inne)n<br />

zugute, sind aber eher ein<br />

Tropfen auf den heißen Stein. Dringend<br />

nötig wäre, den Hartz-IV-Regelsatz auch<br />

für Erwachsene deutlich auf mindestens<br />

450 Euro anzuheben. <strong>Das</strong> würde die<br />

Wirtschaft beleben, weil Arme gezwungen<br />

sind, ihr gesamtes Einkommen<br />

fast unmittelbar in den Konsum zu stecken.<br />

Deshalb würde so nicht nur mehr<br />

soziale Gerechtigkeit verwirklicht, sondern<br />

die Maßnahme wäre auch ökonomisch<br />

sinnvoll.<br />

Anfang des Jahres hat das B<strong>und</strong>essozialgericht<br />

den Hartz-IV-Regelsatz für<br />

Kinder als nicht gr<strong>und</strong>gesetzkonform<br />

beurteilt <strong>und</strong> die Angelegenheit dem<br />

B<strong>und</strong>esverfassungsgericht in Karlsruhe<br />

zur höchstrichterlichen Entscheidung<br />

vorgelegt. Die soziale Ungerechtigkeit,<br />

dass Kinder unter 14 Jahren mit 60 Prozent<br />

<strong>und</strong> ältere Kinder <strong>und</strong> Jugendliche<br />

mit 80 Prozent des Erwachsenenregelsatzes<br />

abgef<strong>und</strong>en werden, muss ein<br />

Ende haben. Kinder wachsen noch, sie<br />

brauchen deshalb mehr Kleidung <strong>und</strong><br />

häufiger neue Schuhe als Erwachsene.<br />

Dem hat der Gesetzgeber bisher nicht<br />

Rechnung getragen, sondern die Regelsätze<br />

willkürlich festgelegt. Der sogenannte<br />

Eckregelsatz für Haushaltsvorstände<br />

von 345 Euro im Monat ist eine<br />

politische Größe. Davon pauschal 60<br />

oder 80 Prozent für Kinder abzuleiten,<br />

trug den spezifischen Bedürfnissen von<br />

Kindern überhaupt nicht Rechnung.<br />

Langzeitarbeitslose müssen jede »zumutbare«<br />

Stelle annehmen, auch wenn<br />

die Bezahlung weder tarifgerecht ist<br />

noch dem ortsüblichen Lohn entspricht<br />

– eine Rutschbahn in die <strong>Armut</strong>. Nach<br />

dem Auslaufen des Arbeitslosengeldes<br />

I bekommen Erwerbslose das Arbeitslosengeld<br />

II. Mit monatlich 345 Euro Gr<strong>und</strong>betrag<br />

für den Haushaltsvorstand im<br />

Westen <strong>und</strong> 331 Euro im Osten sowie<br />

den Erstattungen für Unterkunft <strong>und</strong><br />

Heizung – wenn sie »angemessen« sind<br />

– war das Alg II so hoch wie der Sozi-


27 Kinderarmut in einem reichen Land<br />

alhilferegelsatz. Vor drei Jahren wurde<br />

das Arbeitslosengeld II auf Westniveau<br />

angehoben, ein Jahr später um zwei<br />

Euro <strong>und</strong> im Juli vergangenen Jahres<br />

auf 351 Euro erhöht. Kinder bis 13 Jahre<br />

erhielten zunächst ein Sozialgeld von<br />

207 Euro im Westen <strong>und</strong> 199 Euro im<br />

Osten, seit Juli vergangenen Jahres sind<br />

es einheitlich 211 Euro. Jugendliche von<br />

14 bis 18 Jahren bekamen im Westen 276<br />

Euro, im Osten 256 Euro. Seit Juli vergangenen<br />

Jahres werden einheitlich 281<br />

Euro gezahlt.<br />

Working Poor<br />

Seit Hartz IV müssen Langzeitarbeitslose<br />

gegen eine minimale »Mehraufwandsentschädigung«<br />

von einem oder<br />

zwei Euro pro St<strong>und</strong>e im öffentlichen<br />

Interesse liegende Arbeit leisten. Wenn<br />

sie sich weigern, werden die Leistungen<br />

um 30 Prozent gekürzt <strong>und</strong> später<br />

komplett gestrichen. Auf dem Arbeitsmarkt<br />

führen die sogenannten Ein-Euro-<br />

Jobs Zu einem Verdrängungswettbewerb<br />

von oben nach unten. Geringqualifizierte<br />

werden durch Alg-II-Bezieher/innen<br />

ersetzt, was Auswirkungen<br />

auf das gesamte Lohngefüge hat.<br />

Durch Umsetzung des im Vermittlungsausschuss<br />

von B<strong>und</strong>estag <strong>und</strong><br />

-rat weiter radikalisierten Konzepts der<br />

sogenannten Hartz-Kommission hat der<br />

staatlich subventionierte Niedriglohnsektor<br />

an Bedeutung gewonnen (vgl.<br />

auch Kapitel 7 über »Arm trotz Arbeit«).<br />

Gemeint sind die Ausweitung von »haushaltsnahen«<br />

Minijobs <strong>und</strong> der Leiharbeit<br />

durch Einrichtung von Personal-Service-<br />

Agenturen sowie die »Entbürokratisierung«<br />

der zeitweilig in »Ich-« oder »Familien-AGs«<br />

organisierten Scheinselbstständigkeit.<br />

Den armen Erwerbslosen,<br />

die das Fehlen von oder die unzureichende<br />

Höhe der Entgelt-Ersatzleistungen<br />

auf das Existenzminimum zurückwirft,<br />

treten massenhaft erwerbstätige<br />

Arme zur Seite. Längst reichen selbst<br />

viele Vollzeitarbeitsverhältnisse nicht<br />

mehr aus, um »eine Familie zu ernähren«.<br />

Die Folge sind ein oder mehrere Nebenjobs<br />

nach Feierabend <strong>und</strong> an Wochenenden.<br />

Die Kinder der davon Betroffenen<br />

bekommen ihre Eltern kaum noch zu<br />

Gesicht, <strong>und</strong> die Eltern mit einem McJob<br />

müssen ihre Kinder vernachlässigen.<br />

Von den »Ich-AGs«, die in großer<br />

Zahl entstehen sollten, versprach sich<br />

die B<strong>und</strong>esregierung einen Schub an<br />

marktwirtschaftlicher Dynamik. Arbeitslose,<br />

die sich selbstständig machen<br />

wollten, bekamen im ersten Jahr 600<br />

Euro pro Monat, 360 Euro im zweiten<br />

Jahr <strong>und</strong> 240 Euro pro Monat im dritten<br />

Jahr an Förderung. Nur wenige Arbeitslose<br />

versuchten sich als »Ich-AG«-Gründer/innen,<br />

<strong>und</strong> viele von ihnen scheiterten<br />

– was einen kritischen Beobachter<br />

kaum verw<strong>und</strong>ert.<br />

Nicht nur die materielle Situation,<br />

auch die Position von Frauen <strong>und</strong> alleinerziehenden<br />

Müttern auf dem Arbeitsmarkt<br />

hat sich durch die Hartz-Gesetze<br />

verschlechtert. Mini- <strong>und</strong> Midi-Jobs übernehmen<br />

größtenteils Frauen. »Haushaltsnahe<br />

Dienstleistungen«, die sie<br />

erbringen sollen, heißen im Klartext:<br />

Besserverdienende, die dafür Steuervergünstigungen<br />

erhalten, bieten den<br />

Frauen einen Job als Reinigungskraft,<br />

Kinderfrau oder Haushälterin bei geringer<br />

Bezahlung. Ist die »Mini-Jobberin«<br />

mit einem sozialversicherungspflichtig<br />

Beschäftigten verheiratet, braucht sie<br />

wegen der kostenfreien Familienmitversicherung<br />

keine Krankenkassenbeiträge<br />

zu entrichten. Um die vollen Leistungen<br />

der Rentenversicherung in Anspruch<br />

nehmen zu können, muss eine Putzfrau<br />

jedoch ergänzende Beiträge zahlen.<br />

Andernfalls drohen Sozialhilfebedürftigkeit<br />

<strong>und</strong> Altersarmut.<br />

Kinder- <strong>und</strong> Jugend-<strong>Armut</strong> wird<br />

»normal«<br />

Durch die Einführung des Arbeitslosengeldes<br />

II für Langzeitarbeitslose <strong>und</strong><br />

Niedriglohnbezieher/innen sind neue<br />

Zonen der <strong>Armut</strong> entstanden, wovon<br />

gerade die Familien betroffen sind.<br />

Wie die Rekordhöhe der Kinderarmut<br />

nach Inkrafttreten der Arbeitsmarktreformen<br />

zeigt, gehören Heranwachsende<br />

<strong>und</strong> ihre Mütter gemeinsam mit<br />

den Migrant(inn)en zu den Hauptverlierer(inne)n<br />

von Hartz IV. Hinzu kommt<br />

ein weiterer, nicht geldlicher Aspekt:<br />

Wenn man Zumutbarkeitsregelungen<br />

verschärft <strong>und</strong> von den Arbeitssuchenden<br />

mehr Mobilität verlangt, verringern<br />

sich die Chancen für Familien, ein geregeltes,<br />

nicht durch Zeitdruck oder räumliche<br />

Trennung von Eltern <strong>und</strong> Kindern<br />

beeinträchtigtes Leben zu führen.<br />

Die Hartz-Gesetze hintertreiben Bemühungen<br />

zur <strong>Armut</strong>sbekämpfung. Besonders<br />

Hartz IV trägt durch das Abdrängen<br />

der Langzeitarbeitslosen <strong>und</strong> ihrer<br />

Familienangehörigen in den Fürsorgebereich<br />

dazu bei, dass Kinderarmut<br />

»normal« <strong>und</strong> so schwerer skandalisierbar<br />

wird. Die finanzielle Lage von Familien<br />

mit Empfänger(inne)n von Arbeitslosenhilfe<br />

hat sich durch den Übergang<br />

zum Arbeitslosengeld II verschlechtert,<br />

was erhebliche materielle Einschränkungen<br />

für betroffene Kinder einschließt.<br />

Gleichzeitig dürfte die daraus resultierende<br />

Resignation von Erwachsenen<br />

eine negative Vorbildwirkung auf die Kinder<br />

haben.<br />

Eine soziale Gr<strong>und</strong>sicherung, wie sie<br />

das Arbeitslosengeld II laut Gesetzestext<br />

sein möchte, muss vor <strong>Armut</strong> schützen,<br />

damit sie diesen Namen auch verdient.<br />

<strong>Das</strong> kann man in Anbetracht<br />

der äußerst niedrigen Gr<strong>und</strong>beträge<br />

vom Arbeitslosengeld II nicht behaupten.<br />

Auf zwei Jahre befristete Übergangszuschläge<br />

von maximal 160 Euro für<br />

Erwachsene <strong>und</strong> bis zu 60 Euro für Kinder<br />

monatlich, die nach einem Jahr halbiert<br />

werden, schützen nicht vor <strong>Armut</strong>.<br />

Diese Zuschläge <strong>verhindern</strong> nicht, dass<br />

Familien, die darauf zurückgreifen müssen,<br />

an den Rand der Gesellschaft<br />

gedrängt werden. Gleiches gilt für die<br />

bis Ende 2007 auf drei Jahre befristeten<br />

Kinderzuschläge für Geringverdiener<br />

von maximal 140 Euro monatlich.<br />

Betroffen sind auch die Kinder, deren<br />

Väter aufgr<strong>und</strong> ihres gegenüber der<br />

Arbeitslosenhilfe niedrigerne Arbeitslosengeldes<br />

II keinen oder weniger Unterhalt<br />

zahlen können – denn die Unterhaltsvorschusskassen<br />

der Jugendämter<br />

springen maximal sechs Jahre lang ein<br />

<strong>und</strong> auch nur bis zum zwölften Lebensjahr<br />

des Kindes.<br />

Die vor drei Jahren vorgenommenen<br />

»Korrekturen« an Hartz IV kann man<br />

trotz Anhebung des Arbeitslosengeldes<br />

II im Osten auf westdeutsches Niveau<br />

nur als »Hartz V« bezeichnen. Damit sollen<br />

jedes Jahr mehrere Milliarden Euro<br />

eingespart werden. Die Korrekturen verschärfen<br />

den Druck auf Langzeitarbeitslose<br />

weiter. Heranwachsende <strong>und</strong> junge<br />

Erwachsene unter 25 Jahren müssen wieder<br />

bei ihren Eltern wohnen. Man nimmt<br />

ihnen per Mittelentzug die Möglichkeit,<br />

einen eigenen Hausstand zu gründen,<br />

was einer so reichen <strong>und</strong> hoch individualisierten<br />

Gesellschaft unwürdig ist. Die<br />

übrigen Kürzungs- <strong>und</strong> Kontrollmaßnahmen<br />

im Zweiten SGB-II-Änderungsgesetz<br />

<strong>und</strong> im Hartz-IV-Fortentwicklungsgesetz<br />

zeigen, dass Hartz IV nicht das


Kinderarmut in einem reichen Land 28<br />

Ende der »Reformen« oder besser des<br />

Sozialabbaus ist. Dieses <strong>Armut</strong>sgesetz<br />

ist vielmehr ein Zwischenschritt auf dem<br />

Wege vom Sozialversicherungsstaat hin<br />

zum Fürsorge-, Almosen- <strong>und</strong> Suppenküchenstaat.<br />

Skandalöse Steuerpolitik<br />

Im Januar vor zwei Jahren hat die B<strong>und</strong>esregierung<br />

die Mehrwertsteuer von<br />

16 Prozent auf 19 Prozent erhöht. <strong>Das</strong><br />

geht vor allem zu Lasten von Familien<br />

von Geringverdienern <strong>und</strong> Transferleistungsempfänger(inne)n,<br />

weil diese<br />

einen Großteil ihres Einkommens in<br />

den Konsum stecken müssen. Deshalb<br />

trifft sie die Mehrwertsteuer stärker als<br />

Besserverdienende. Verbrauchssteuern<br />

sind eher unsozial, weil sie die Leistungsfähigkeit<br />

<strong>und</strong> die finanzielle Lage der<br />

Steuerpflichtigen nicht berücksichtigen.<br />

Die sogenannte »Reichensteuer« ist<br />

eine Beruhigungspille für die SPD-Basis.<br />

Bürger/innen werden erst ab einem Jahreseinkommen<br />

von 250 000 Euro <strong>und</strong><br />

Verheiratete ab einem Jahreseinkommen<br />

von 500 000 Euro erfasst. Unternehmer,<br />

Freiberufler <strong>und</strong> Selbstständige<br />

sind ausgenommen. Gleichzeitig<br />

öffnet sich die Schere zwischen Arm<br />

<strong>und</strong> Reich weiter: (Kinder-)<strong>Armut</strong> steigt,<br />

(Kinder-)Reichtum auch. Firmenerben<br />

werden seit Anfang des Jahres von der<br />

betrieblichen Erbschaftsteuer befreit,<br />

wenn sie das Familienunternehmen<br />

zehn Jahre lang fortführen <strong>und</strong> die Bruttolohnsumme<br />

in dieser Zeit konstant halten.<br />

Selbst Entlassungen größeren Stils<br />

sind so möglich, wenn die Lohnsumme<br />

aufgr<strong>und</strong> von Inflation <strong>und</strong> dadurch<br />

bedingter Lohn- <strong>und</strong> Gehaltssteigerungen<br />

nicht sinkt. Ausgerechnet die Kinder<br />

der reichsten Familien à la Burda,<br />

Oetker <strong>und</strong> Klatten haben ein Steuergeschenk<br />

der Großen Koalition in Milliardenhöhe<br />

erhalten. Reiche <strong>und</strong> Superreiche<br />

werden immer mehr aus der finanziellen<br />

Verantwortung für das Gemeinwesen<br />

entlassen, wenn sie sich nicht<br />

bereits steuersparend ins Ausland abgesetzt<br />

haben, wie die Beckenbauers, Netzers<br />

<strong>und</strong> Schumachers – von den Massenmedien<br />

gleichwohl immer noch als<br />

»Kaiser« oder »deutsche Helden« gefeiert.<br />

Die der globalen Finanzmarktkrise<br />

offenbar auf dem Fuße folgende Weltwirtschaftskrise<br />

verschärft durch eine<br />

stark wachsende Arbeitslosigkeit die<br />

soziale Schieflage in der B<strong>und</strong>esrepublik<br />

noch. Für die <strong>Armut</strong>sbekämpfung<br />

dürfte nach den riesigen Summen<br />

für die Banken-Rettungs-Pakete in den<br />

Staatshaushalten eher weniger Geld<br />

bereit stehen. Neue, auf Leistungskürzungen<br />

zielende »Reformen« sind deshalb<br />

keineswegs ausgeschlossen. Wenn<br />

die staatlichen Beteiligungen wirkungslos<br />

bleiben <strong>und</strong> die staatlichen Bürgschaften<br />

fällig werden, müssen wahrscheinlich<br />

Arme <strong>und</strong> Mittelschichten die<br />

Zeche durch »Sparprogramme« bezahlen.<br />

Die Verursacher der Krise kommen<br />

nicht nur ungeschoren davon. Obwohl<br />

sie zu den Profiteuren der neoliberalen<br />

»Modernisierung« gehören, wird ihnen<br />

unter die Arme gegriffen.<br />

Kinderarmut verringern<br />

<strong>und</strong> <strong>verhindern</strong> – Maßnahmen<br />

Heutige <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> Kinderarmut in der<br />

B<strong>und</strong>esrepublik sind vor allem eine<br />

Folge der Globalisierung <strong>und</strong> der neoliberalen<br />

Umstrukturierungen fast aller<br />

Lebensbereiche. <strong>Armut</strong> kann man deshalb<br />

ohne ihr Gegenstück, den in wenigen<br />

Händen konzentrierten Reichtum,<br />

nicht verstehen (Kapitel 6 über »<strong>Armut</strong><br />

<strong>und</strong> Reichtum – zwei Seiten einer<br />

Medaille«). Wer über den Reichtum<br />

nicht reden will, sollte auch zur <strong>Armut</strong><br />

schweigen. Oder anders ausgedrückt:<br />

Wer die wachsende Kinderarmut mit<br />

Erfolg bekämpfen will, muss die Reichen<br />

stärker zur Kasse bitte. Infrage<br />

kommen die Wiedereinführung der Vermögensteuer<br />

<strong>und</strong> die Erhöhung der<br />

Erbschaftsteuer. Nur dann hat der<br />

Staat genügend Geld, das notwendig<br />

ist, um <strong>Armut</strong> wirksam zu bekämpfen.<br />

Kinderarmut kann man nur durch<br />

eine Beschäftigungs-, Bildungs-, Familien-<br />

<strong>und</strong> Sozialpolitik beseitigen, die<br />

auch Arbeit, Einkommen <strong>und</strong> Vermögen<br />

umverteilt. Durch einzelne Schritte, wie<br />

höhere Transferleistungen an die Eltern,<br />

kann man prekäre Lebenslagen zwar<br />

verbessern, ihre Ursachen aber kaum<br />

beseitigen. Nötig ist ein Wechsel vom<br />

»schlanken« oder besser magersüchtigen<br />

Staat hin zu einem Sozialstaat, der<br />

eingreift <strong>und</strong> gleichzeitig stärker auf die<br />

veränderten Arbeits- <strong>und</strong> Lebensbedingungen<br />

der Eltern ausgerichtet ist.<br />

Die sich heute in allen entwickelten<br />

Industriestaaten verfestigende Massenarbeitslosigkeit<br />

zieht oft einen sozialen<br />

Abstieg nach sich. Dieser verläuft<br />

meist stufenförmig <strong>und</strong> trifft nicht nur<br />

die direkt Betroffenen hart, sondern<br />

auch deren Familien. Vor allem Alleinerziehende<br />

haben das Nachsehen. Deshalb<br />

ist die nachhaltige Verringerung<br />

der Arbeitslosigkeit auch ein Hebel,<br />

um Kinderarmut zu bekämpfen. Eine<br />

konsequentere Beschäftigungspolitik<br />

müsste alle Möglichkeiten nutzen, um<br />

mehr Stellen zu schaffen. Die Palette<br />

reicht von einer Umverteilung der Arbeit<br />

durch Überst<strong>und</strong>enabbau <strong>und</strong> einer<br />

Verkürzung der Wochen- <strong>und</strong> Lebens-<br />

Arbeitszeit über staatliche Investitionsprogramme<br />

bis zu einem öffentlich geförderten<br />

Dienstleistungssektor.<br />

Kinderarmut nimmt vor allem zu,<br />

weil »Normalarbeitsverhältnisse« immer<br />

weniger werden. Deshalb muss man<br />

den Flächentarifvertrag bewahren <strong>und</strong><br />

einen gesetzlichen Mindestlohn einführen,<br />

wie er in den meisten EU-Staaten<br />

längst besteht. Sinnvoll wäre auch,<br />

Arbeitszeitregelungen in Betrieben <strong>und</strong><br />

Verwaltungen einzuführen, die an die<br />

Lebensbedürfnisse der Beschäftigten<br />

<strong>und</strong> ihrer Familien angepasst sind. <strong>Das</strong><br />

Normalarbeitsverhältnis müsste quasi<br />

neu justiert werden: Beschäftigte müssten<br />

zwischen Vollzeitarbeit, Teilzeitarbeit<br />

<strong>und</strong> Arbeitsunterbrechung ohne<br />

Einbußen an sozialer Sicherheit <strong>und</strong><br />

beruflichen Weiterbildungsmöglichkeiten<br />

wechseln können. Arbeitgeber müssten<br />

auf die je nach der Lebenssituation<br />

wechselnden Interessen ihrer Beschäftigten<br />

Rücksicht nehmen. Ein neues, flexibles<br />

Normalarbeitsverhältnis, das an<br />

die veränderten Bedingungen der Globalisierung<br />

angepasst ist, muss genauso<br />

wie das althergebrachte gesellschaftlich<br />

eingebettet <strong>und</strong> sozial flankiert sein.<br />

Dazu gehört auch ein Ausbau der öffentlichen<br />

Infrastruktur mit Ganztagsbetreuung<br />

für Kinder unter drei Jahren <strong>und</strong><br />

die Ganztagsschule. Da sich Kinderarmut<br />

meist auf Frauen- oder Mütterarmut<br />

zurückführen lässt, sind Arbeitsplätze<br />

erforderlich, die eine bessere<br />

Vereinbarkeit von Beruf <strong>und</strong> Familie<br />

ermöglichen. Auf dem Weg dahin kann<br />

man zwei Strategien unterscheiden. Die<br />

simultane setzt auf den Ausbau öffentlicher<br />

Kinderbetreuungseinrichtungen,<br />

die sukzessive Strategie dagegen bevorzugt<br />

ein »Erziehungsgehalt«.<br />

»Umverteilung von oben nach unten!«<br />

<strong>und</strong> nicht »Umverteilung von den Kin-


29 Kinderarmut in einem reichen Land<br />

derlosen zu den Eltern!« müsste die<br />

Devise einer gerechteren Familienpolitik<br />

lauten. Dafür kommt auf den ersten<br />

Blick eine massive Erhöhung des<br />

Kindergeldes infrage, wie das der Deutsche<br />

Kinderschutzb<strong>und</strong> verlangt. <strong>Das</strong><br />

zwischen 1998 bis 2002 drei Mal angehobene<br />

Kindergeld ist zwar die wichtigste<br />

Sozialleistung, um <strong>Armut</strong> von Familien<br />

zu bekämpfen. Es wird aber voll auf die<br />

Unterhaltszahlungen oder Unterhaltsersatzleistungen<br />

für die Kinder angerechnet.<br />

<strong>Das</strong> bedeutet, dass ausgerechnet<br />

die Familien <strong>und</strong> Haushalte nicht<br />

von Erhöhungen profitieren, deren Einkommen<br />

am niedrigsten sind. Da arme<br />

Kinder nicht in den Genuss des höheren<br />

Kindergeldes kommen, weil dieses<br />

auf die Sozialhilfe <strong>und</strong> das Arbeitslosengeld<br />

II oder Sozialgeld angerechnet<br />

wird, vertieft sich die soziale Spaltung.<br />

Die Kinder der Transferleistungsempfänger/innen<br />

werden bis zur zehnten<br />

Klasse mit einem Schulstarterpaket von<br />

100 Euro abgespeist – wohl damit keine<br />

Missverständnisse darüber aufkommen,<br />

wer Abitur machen soll <strong>und</strong> wer nicht.<br />

So viel zum Versprechen der B<strong>und</strong>eskanzlerin,<br />

»Bildung für alle« zu ermöglichen<br />

<strong>und</strong> Deutschland angeblich zur<br />

»Bildungsrepublik« machen zu wollen.<br />

Die flächendeckende Versorgung mit<br />

Ganztagsschulen, Kindergarten-, Krippen-<br />

<strong>und</strong> Hortplätzen hätte dagegen<br />

einen doppelten Nutzen. Einerseits<br />

würden von <strong>Armut</strong> betroffene oder<br />

bedrohte Kinder umfassender betreut<br />

<strong>und</strong> systematischer gefördert als bisher.<br />

Andererseits könnten ihre Eltern<br />

leichter als sonst einer Vollzeitbeschäftigung<br />

nachgehen, was finanzielle Schwierigkeiten<br />

verringert. Größere Unternehmen<br />

müssten ergänzend für Alleinerziehende<br />

günstige Arbeitszeitmodelle<br />

<strong>und</strong>/oder Betriebskindergärten anbieten.<br />

Die Ganztagschule kann als Regelschule<br />

soziale Handikaps kompensieren.<br />

Sie ermöglicht, die Kinder durch<br />

das gemeinsame Mittagessen besser<br />

mit Lebensmitteln zu versorgen, eine<br />

gezielte Unterstützung bei der Erledigung<br />

von Hausaufgaben <strong>und</strong> eine sinnvollere<br />

Freizeitgestaltung. Ohne die<br />

schon längst überfällige Abschaffung<br />

des dreigliedrigen Schulsystems bleibt<br />

die Ganztagsschule allerdings Stückwerk,<br />

weil sie nichts an der von PISA<br />

offen gelegten Auswahl nach sozialer<br />

Herkunft ändern würde.<br />

Schulen müssen nicht nur länger<br />

geöffnet sein, sondern sich auch in ihrer<br />

Struktur stärker für Kinder <strong>und</strong> Jugendliche<br />

öffnen. Bildungspolitik, besonders<br />

die Schulpolitik, <strong>und</strong> Sozialpädagogik<br />

sind gleichermaßen gefordert, für<br />

alle Menschen befriedigende Lebensverhältnisse<br />

<strong>und</strong> ein Höchstmaß an<br />

Chancengleichheit zwischen Kindern<br />

unterschiedlicher sozialer <strong>und</strong> ethnischer<br />

Herkunft zu schaffen. Bildung<br />

ist keine politische W<strong>und</strong>erwaffe im<br />

Kampf gegen die <strong>Armut</strong>. Sie kann aber<br />

gerade im viel beschworenen »Zeitalter<br />

der Globalisierung«, in der eine hohe<br />

Arbeitsproduktivität <strong>und</strong> die Qualifikation<br />

des »Humankapitals« Standortfaktoren<br />

sind, die Lebenschancen von Kindern<br />

aus »Problemfamilien« verbessern.<br />

<strong>Das</strong> klappt allerdings nicht, wenn Bildung<br />

den Marktgesetzen <strong>und</strong> privaten<br />

Verwertungsinteressen unterworfen ist<br />

<strong>und</strong> dadurch nur für die kaufkräftige<br />

K<strong>und</strong>schaft zur Verfügung steht.<br />

<strong>Das</strong> deutsche System der sozialen<br />

Sicherung ist nicht nur auf Erwerbsarbeit<br />

<strong>und</strong> die Ehe als Lebensform, sondern<br />

auch auf Erwachsene ausgerichtet.<br />

Eine Kinder- <strong>und</strong> Jugendpolitik, die<br />

<strong>Armut</strong> verringern <strong>und</strong> vermeiden will,<br />

darf nicht zulassen, dass die kommunalen<br />

Angebote für diese Altersgruppe aufgr<strong>und</strong><br />

staatlicher Sparmaßnahmen <strong>und</strong><br />

leerer öffentlicher Kassen weiter zusammengestrichen<br />

werden. Bildungs-, Erziehungs-<br />

<strong>und</strong> Kultureinrichtungen sind für<br />

die Entwicklung <strong>und</strong> freie Entfaltung<br />

der Persönlichkeit sozial benachteiligter<br />

Kinder unentbehrlich. Deshalb dürfen<br />

sie nicht privatisiert werden, wie das<br />

der neoliberale Zeitgeist fordert, sondern<br />

der Staat muss diese Einrichtungen<br />

betreiben <strong>und</strong> weiter ausbauen.<br />

Politik für Kinder <strong>und</strong> Jugendliche<br />

muss auch Politik von <strong>und</strong> mit Kindern<br />

<strong>und</strong> Jugendlichen sein. Kinder<strong>und</strong><br />

Jugendforen vor Ort könnten dazu<br />

beitragen, dass die Betroffenen selbst<br />

mit entscheiden, wenn es darum geht,<br />

<strong>Armut</strong> zu verringern <strong>und</strong> zu <strong>verhindern</strong>.<br />

Eine <strong>Armut</strong>sbekämpfung von oben, die<br />

die »vor Ort« bestehenden Verhältnisse<br />

ignoriert, müsste in der kommunalen<br />

Sozialpolitik von Städten <strong>und</strong> Gemeinden<br />

durch eine <strong>Armut</strong>sbekämpfung von<br />

unten ergänzt oder ersetzt werden.<br />

Prof. Dr. Christoph Butterwegge, geboren<br />

1951, lehrt Politikwissenschaft an<br />

der Universität zu Köln. <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> Sozialstaat<br />

sind die Schwerpunkte seiner<br />

Arbeit.<br />

Literatur:<br />

Butterwegge, Christoph: Krise <strong>und</strong><br />

Zukunft des Sozialstaates, 3. Aufl. Wiesbaden<br />

(VS – Verlag für Sozialwissenschaften)<br />

2006<br />

Butterwegge, Christoph/Kl<strong>und</strong>t, Michael/<br />

Belke-Zeng, Matthias: Kinderarmut in<br />

Ost- <strong>und</strong> Westdeutschland, 2. Aufl. Wiesbaden<br />

(VS – Verlag für Sozialwissenschaften)<br />

2008<br />

Butterwegge, Christoph/Lösch, Bettina/Ptak,<br />

Ralf: Kritik des Neoliberalismus,<br />

2. Aufl. Wiesbaden (VS – Verlag für<br />

Sozialwissenschaften) 2008<br />

Butterwegge, Christoph/Lösch, Bettina/Ptak,<br />

Ralf (Hrsg.): Neoliberalismus.<br />

Analysen <strong>und</strong> Alternativen, Wiesbaden<br />

(VS – Verlag für Sozialwissenschaften)<br />

2008


<strong>Armut</strong> <strong>und</strong> Kinderarmut in Bremen 30<br />

5 <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>und</strong> Kinderarmut in Bremenin Bremen<br />

Inga Nitz<br />

In Deutschland verschärfen sich soziale<br />

Gegensätze. Die steigende <strong>Armut</strong>squote<br />

bei gleichzeitiger Spreizung der<br />

Einkommen, feste <strong>Armut</strong>slagen aufgr<strong>und</strong><br />

dauerhafter Arbeitslosigkeit, das<br />

gewachsene Abstiegsrisiko sozialer Mittelschichten<br />

sowie ungleiche Bildungschancen<br />

sind deutliche Anzeichen für<br />

diese Entwicklung. In den Städten zeigt<br />

sich die gesellschaftliche Polarisierung<br />

durch eine schärfer werdende Trennung<br />

von wohlhabenden <strong>und</strong> sozial benachteiligten<br />

Bevölkerungsgruppen. Soziologen<br />

sprechen auch von Segregation. Zu<br />

befürchten ist, dass dieser Prozess zu<br />

einer dauerhaften <strong>Ausgrenzung</strong> von Teilen<br />

der städtischen <strong>Armut</strong>sbevölkerung<br />

führt. Sozialer Status <strong>und</strong> Lebenserwartung<br />

sind eng miteinander verb<strong>und</strong>en.<br />

Die mittlere Lebenserwartung von Angehörigen<br />

sozialer Oberschichten liegt um<br />

mehrere Jahre über der von Angehörigen<br />

sozialer Unterschichten.<br />

Auswirkungen sozialer<br />

Polarisierung<br />

Eine sozialräumliche Analyse von Daten<br />

zur Lebenserwartung <strong>und</strong> Sterblichkeit<br />

im Auftrag der Stadt Bremen belegt,<br />

dass sich mit zunehmender gesellschaftlicher<br />

Ungleichheit auch die sozialen<br />

Unterschiede in der Lebenserwartung<br />

<strong>und</strong> Sterblichkeit vergrößern. Gegenübergestellt<br />

wurden die am meisten<br />

segregierten Wohngebiete: Die privilegierten<br />

bürgerlichen Wohnquartiere,<br />

ehemals vom Abriss bedrohte Gründerzeit-Viertel<br />

am Cityrand, die traditionellen<br />

Arbeiterviertel <strong>und</strong> die Hochhaussiedlungen<br />

des sozialen Wohnungsbaus<br />

am Stadtrand. Der Auswertungszeitraum<br />

umfasst den Zeitraum zwischen<br />

1970 <strong>und</strong> 2003. In dieser Zeit vergrößerten<br />

sich vor allem die Gegensätze zwischen<br />

den bürgerlichen Wohngegenden<br />

auf der einen Seite <strong>und</strong> den Arbeitervierteln<br />

sowie den Hochhaussiedlungen auf<br />

der anderen Seite. <strong>Das</strong> verdeutlichen<br />

zahlreiche Daten. Beispielhaft ist die<br />

gegenläufige Entwicklung bei Einwohnerzahl<br />

<strong>und</strong> Erwerbstätigkeit. In den bürgerlichen<br />

Quartieren nahmen die Bevölkerung<br />

<strong>und</strong> die Zahl der sozialversicherungspflichtig<br />

Beschäftigten deutlich zu.<br />

Dagegen verringerten sich in den Arbeitervierteln<br />

<strong>und</strong> in den Hochhaussiedlungen<br />

sowohl die Zahl der BewohnerInnen<br />

als auch die Beschäftigung teilweise<br />

drastisch.<br />

Lebenserwartung <strong>und</strong> Sterblichkeit<br />

Zwischen 1970 <strong>und</strong> 2003 wuchsen die<br />

Unterschiede in der Lebenserwartung<br />

<strong>und</strong> Sterblichkeit. Besonders ausgeprägt<br />

ist dieser Trend bei den Männern:<br />

In den bürgerlichen Vierteln stieg die<br />

mittlere Lebenserwartung eines neugeborenen<br />

Jungen um fast sieben Lebensjahre<br />

von 71 im Jahr 1979 auf 77,9 Jahre<br />

vor sechs Jahren. In den Arbeitervierteln<br />

nahm die mittlere Lebenserwartung<br />

dagegen im selben Zeitraum nur<br />

um 5,4 Lebensjahre von 67,1 auf 72,5<br />

Jahre zu. In den Hochhaussiedlungen<br />

war der Anstieg der Lebenserwartung<br />

am geringsten. Hier erhöhte sich die<br />

mittlere Lebenserwartung im Betrachtungszeitraum<br />

um vier Jahre von 69,1 auf<br />

73,1 Jahre. Analog entwickelten sich bei<br />

den Männern die Sterberaten. Während<br />

sich die Sterblichkeit zwischen 1970 <strong>und</strong><br />

2003 in den bürgerlichen Vierteln fast<br />

halbierte (minus 48 Prozent), lagen die<br />

Rückgänge in den Arbeitervierteln mit<br />

36,3 Prozent <strong>und</strong> in den Hochhaussiedlungen<br />

mit 27,5 Prozent deutlich niedriger.<br />

Ähnlich verlief die Entwicklung bei<br />

den Sterbefällen unter 65 Jahren. Diese<br />

sogenannte vorzeitige Sterblichkeit ging<br />

in den bürgerlichen Wohnvierteln um<br />

mehr als die Hälfte zurück (minus 50,8<br />

Prozent). In den Arbeitervierteln sank<br />

die Rate dagegen nur um 29,4 Prozent,<br />

in den Hochhaussiedlungen sogar<br />

nur um 15,2 Prozent. Bei vermeidbaren<br />

Sterbefällen zeigt sich das gleiche Bild.<br />

Gemeint sind Todesfälle in einem Alter,<br />

das deutlich unter der durchschnittlichen<br />

Lebenserwartung der Bevölkerung<br />

liegt <strong>und</strong> die durch eine angemessene<br />

Behandlung <strong>und</strong> Vorsorge vermeidbar<br />

sein sollten. Diese Todesfälle verringerten<br />

sich in den bürgerlichen Vierteln<br />

um 52,6 Prozent. In den Arbeitervierteln<br />

betrug der Rückgang 31,8 Prozent, in<br />

den Hochhaussiedlungen 20,5 Prozent.<br />

Diese Entwicklung führte zu einer deutlichen<br />

Ausweitung der sozialräumlichen<br />

Unterschiede in der Sterblichkeit. Im<br />

Vergleich zu den bürgerlichen Vierteln<br />

lag die Gesamtsterblichkeit zwischen<br />

1970 <strong>und</strong> 1974 in den Arbeitervierteln<br />

um 25,6 Prozent <strong>und</strong> in den Hochhaussiedlungen<br />

um 9,2 Prozent höher. Bis<br />

zum Ende der Beobachtungsperiode<br />

zwischen 2000 <strong>und</strong> 2003 hatten sich<br />

diese Abstände massiv ausgeweitet. Verglichen<br />

mit den bürgerlichen Vierteln


31 <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> Kinderarmut in Bremen<br />

war die Sterberate in den Arbeitervierteln<br />

nun um 54,1 Prozent <strong>und</strong> in den<br />

Hochhaussiedlungen um 52,2 Prozent<br />

höher.<br />

Bei den Frauen weitete sich die Kluft<br />

in der Lebenserwartung <strong>und</strong> Sterblichkeit<br />

nicht ganz so dramatisch aus. In<br />

den bürgerlichen Vierteln stieg die mittlere<br />

Lebenserwartung eines neugeborenen<br />

Mädchens um sechs Lebensjahre<br />

von 77,5 im Jahr 1979 auf 83,5 Jahre im<br />

Jahr 2003. In den Arbeitervierteln nahm<br />

die mittlere Lebenserwartung um 5,4<br />

Jahre zu <strong>und</strong> stieg von 74,2 auf 79,6<br />

Jahre. In den Hochhaussiedlungen stieg<br />

sie um 4,9 Jahre von 76 auf 80,9 Jahre.<br />

Bei den Frauen verringerte sich die Sterberate<br />

zwischen 1970 <strong>und</strong> 2003 in den<br />

bürgerlichen Vierteln mit 43,3 Prozent<br />

am stärksten. In den Arbeitervierteln<br />

nahm die Rate um 39,2 Prozent ab, in<br />

den Hochhaussiedlungen um 28,2 Prozent.<br />

Bei den Sterbefällen unter 65 Jahren<br />

halbierte sich in den bürgerlichen<br />

Vierteln die Rate. In den Arbeitervierteln<br />

dagegen war der Rückgang mit<br />

37,5 Prozent <strong>und</strong> vor allem in den Hochhaussiedlungen<br />

mit 14,4 Prozent deutlich<br />

schwächer. Die vermeidbaren Todesfälle<br />

verringerten sich in den bürgerlichen<br />

Vierteln um 26,1 Prozent. In den<br />

Arbeitervierteln betrug der Rückgang<br />

22,9 Prozent, in den Hochhaussiedlungen<br />

sank die Rate mit 5,5 Prozent kaum.<br />

Auch bei den Frauen vergrößerten sich<br />

die sozialräumlichen Sterblichkeitsunterschiede.<br />

Im Vergleich zu den bürgerlichen<br />

Vierteln lag die Sterberate zu<br />

Beginn der Beobachtungsperiode zwischen<br />

1970 <strong>und</strong> 1974 in den Arbeitervierteln<br />

um 23,6 Prozent <strong>und</strong> in den Hochhaussiedlungen<br />

um 4,1 Prozent höher.<br />

Bis zum Ende des Analysezeitraums zwischen<br />

2000 <strong>und</strong> 2003 hatte sich dieser<br />

Abstand in den Arbeitervierteln auf 32,4<br />

Prozent <strong>und</strong> in den Hochhaussiedlungen<br />

auf 31,8 Prozent vergrößert.<br />

Kinderarmut<br />

Die Sozialhilfequote, die den Anteil<br />

der SozialhilfeempfängerInnen an der<br />

Gesamtbevölkerung angibt, lag Ende<br />

Dezember vor vier Jahren in der Stadt<br />

Bremen bei 8,3 Prozent. Unter Kindern<br />

<strong>und</strong> Jugendlichen war diese Quote mit<br />

19,7 Prozent fast zweieinhalb Mal höher.<br />

Insgesamt erhielten 45 334 Personen<br />

Sozialhilfe, davon waren 17 187 unter 18<br />

Jahre alt. Damit waren in der Stadt Bremen<br />

mit 37,9 Prozent mehr als ein Drittel<br />

der Hilfebezieher minderjährig. Der<br />

Anteil der unter 18-Jährigen an der Bremer<br />

Bevölkerung betrug dagegen nur 16<br />

Prozent. Im April vor drei Jahren bezogen<br />

in der Stadt Bremen fast 21 000<br />

Kinder unter 15 Jahren Sozialgeld nach<br />

dem Sozialgesetzbuch (SGB) II, das sind<br />

knapp 30 Prozent aller Kinder in dieser<br />

Altersgruppe. Diese Zahlen machen<br />

noch einmal deutlich, dass <strong>Armut</strong>slagen<br />

bei Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen überdurchschnittlich<br />

häufig auftreten.<br />

Handlungsbedarf für die<br />

Hansestadt<br />

Notwendig ist die Entwicklung neuer<br />

Politikansätze nicht nur auf globaler,<br />

europäischer oder nationaler, sondern<br />

auch auf der regionalen <strong>und</strong> lokalen<br />

Ebene. Gerade sozial benachteiligte<br />

Bevölkerungsgruppen sind auf Ressourcen<br />

vor Ort <strong>und</strong> auf eine funktionierende<br />

Infrastruktur im Wohnquartier<br />

angewiesen. In Bremen gehören stadtteilorientierte<br />

Maßnahmen schon länger<br />

zum Repertoire sozialpolitischer<br />

Interventionen. Der Begriff Intervention<br />

steht in der Sozialen Arbeit für zielgerichtetes<br />

sozialarbeiterisches Eingreifen.<br />

Schon vor zwanzig Jahren trat die<br />

Stadt mit dem Programm »Nachbesserung<br />

von Großsiedlungen« problematischen<br />

Entwicklungen entgegen. Daran<br />

anknüpfend beschloss die Bremer Bürgerschaft<br />

neun Jahre später das Programm<br />

»Wohnen in Nachbarschaften<br />

(WiN)«, das schließlich mit dem B<strong>und</strong>-<br />

Länder-Projekt »Soziale Stadt« zusammengeführt<br />

wurde. Diese mit fast 20<br />

Millionen Euro geförderten Maßnahmen<br />

sollen die Lebenssituation in benachteiligten<br />

Stadtvierteln verbessern <strong>und</strong><br />

zeigen inzwischen einige Erfolge.<br />

Vom Ansatz her sind solche Programme<br />

»quartiersorientierte Sozialpolitik«.<br />

Diese bemüht sich gemeinsam<br />

mit der Bevölkerung aus dem benachteiligten<br />

Stadtviertel um den Erhalt<br />

<strong>und</strong> Ausbau lokaler Ressourcen. Die<br />

Zielgruppen solcher Maßnahmen gelten<br />

im Gegensatz zu früher prinzipiell<br />

als Akteure <strong>und</strong> nicht mehr als Opfer,<br />

was ein Fortschritt ist. Allerdings ist<br />

zu überlegen, ob die hier mitschwingende<br />

Vision einer aktiven, sich selbst<br />

regulierenden Bürgergesellschaft nicht<br />

die benachteiligten Stadtviertel überfordert?<br />

Schließlich sind es die gesellschaftlich<br />

integrierten Teile der Bevölkerung,<br />

die die Problemviertel verlassen.<br />

Durch diesen Exodus von BürgerInnen,<br />

die sich vielleicht auch einmal<br />

engagieren, um ihr Viertel mitzugestalten,<br />

gehen soziale Kompetenzen verloren.<br />

SoziologInnen sprechen bei solchen<br />

EinwohnerInnen auch von »Citoyens«.<br />

Diese werden aber gebraucht,<br />

um Interessen zu benennen <strong>und</strong> sich<br />

in den rauer werdenden Verteilungskämpfen<br />

durchzusetzen. In der Bewertung<br />

des WiN-Programms wird deshalb<br />

auch angemerkt, dass »die Erwartungen<br />

an eine Bewohnerbeteiligung nicht zu<br />

hoch gesteckt werden (dürfen)«. Insbesondere<br />

MigrantInnen beteiligen sich<br />

kaum. Flankierende Maßnahmen zur


<strong>Armut</strong> <strong>und</strong> Kinderarmut in Bremen 32<br />

Stärkung bürgerschaftlichen Engagements<br />

<strong>und</strong> gemeinschaftsorientierter<br />

Unterstützungsnetze sind deshalb vorerst<br />

unverzichtbar.<br />

Ges<strong>und</strong>heitsförderung in Quartierspolitik einbinden –<br />

Maßnahmen<br />

Direkte Ges<strong>und</strong>heitsförderung<br />

⊲ Netzwerkbildung<br />

⊲ Ges<strong>und</strong>heitshäuser<br />

⊲ Nachbarschaftstreffs<br />

⊲ Präventionsangebote für spezielle Zielgruppen<br />

Mittelbare Ges<strong>und</strong>heitsförderung<br />

⊲ Veränderungen der bebauten Umwelt, um Umweltbelastungen <strong>und</strong><br />

Unfälle zu <strong>verhindern</strong><br />

⊲ Kooperation mit Schulen <strong>und</strong> Beschäftigungsförderung<br />

Ges<strong>und</strong>heitsförderung<br />

gehört zwar nicht zu den ausdrücklichen<br />

Zielen des WiN-Programms, ist aber für<br />

die Quartierspolitik wichtig. <strong>Das</strong> Projekt<br />

»Soziale Stadt« liefert diverse Beispiele<br />

dafür, wie man dieses Thema<br />

direkt oder indirekt einbinden kann<br />

(siehe Kasten). Von den genannten<br />

Maßahmen taten sich bislang Präventionsprogramme<br />

schwer, die sich an<br />

sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen<br />

richten. Diese Programme erreichen<br />

vor allem Angehörige höherer<br />

sozialer Schichten. Dort ist der Bedarf,<br />

sozialarbeiterisch einzugreifen, weitaus<br />

geringer ist als in sozialen Unterschichten.<br />

Mit der Internetplattform »Ges<strong>und</strong>heitsförderung<br />

bei sozial Benachteiligten«<br />

ermöglicht die B<strong>und</strong>eszentrale<br />

für ges<strong>und</strong>heitliche Aufklärung, Erfahrungen<br />

auszutauschen <strong>und</strong> Informationen<br />

zu recherchieren. NutzerInnen der<br />

Plattform können voneinander lernen<br />

<strong>und</strong> vermeiden so kostspielige Fehlschläge.<br />

Quartiersbezogene Programme bieten<br />

gute Möglichkeiten, Ges<strong>und</strong>heitsthemen<br />

zu transportieren. Um Impulse<br />

wirkungsvoll zu verstärken, ist eine<br />

sektorenübergreifende, multiprofessionelle<br />

Zusammenarbeit aller relevanten<br />

Akteure notwendig. An diesen konzertierten<br />

Maßnahmen sollten sich, neben<br />

den Einrichtungen des Ges<strong>und</strong>heitswesens,<br />

auch Institutionen aus den Bereichen<br />

Bildung, Arbeit <strong>und</strong> Stadtentwicklung<br />

beteiligen.<br />

Die Konzentration von Ressourcen ist<br />

vor dem Hintergr<strong>und</strong> allgemein begrenzter<br />

finanzieller Spielräume eine weitere<br />

Handlungsmaxime. Die zur Verfügung<br />

stehenden Mittel sind dort einzusetzen,<br />

wo sie am meisten benötigt<br />

werden <strong>und</strong> wo sie wahrscheinlich die<br />

größte Wirkung entfalten. Auch die Verantwortlichen<br />

im Ges<strong>und</strong>heitsamt sollten<br />

sich überlegen, vorhandene Kapazitäten<br />

zugunsten weniger Interventionsgebiete<br />

zusammenzuziehen.<br />

Fazit<br />

⊲ <strong>Armut</strong> ist keine Frage persönlicher<br />

Fehler <strong>und</strong> Unzulänglichkeiten.<br />

⊲ <strong>Armut</strong> ist keine Frage der »Überflüssigkeit«<br />

von Menschen oder Gruppen.<br />

⊲ <strong>Armut</strong> ist kein unvermeidlicher Nebeneffekt<br />

von »Modernisierungsprozessen«.<br />

⊲ <strong>Armut</strong> ist ein Versagen der Politik.<br />

⊲ <strong>Armut</strong> ist ein gesellschaftlicher Skandal.<br />

⊲ <strong>Armut</strong> trifft nicht alle gleich. Arbeitslose,<br />

Alleinerziehende (meist Frauen),<br />

Familien mit Kindern, Familien mit<br />

Migrationshintergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> Ältere<br />

sind am häufigsten von <strong>Armut</strong> betroffen.<br />

⊲ Die soziale Spaltung nimmt zu. In<br />

armen Stadtvierteln stirbt man drei<br />

Jahre früher als in reichen.<br />

⊲ <strong>Armut</strong> verstärkt sich selbst, wirkt sozialräumlich<br />

<strong>und</strong> über Generationen<br />

hinweg.<br />

⊲ <strong>Armut</strong> geht einher mit Reichtum.<br />

Private Vermögen, Unternehmensgewinne<br />

<strong>und</strong> Spitzengehälter sind unerhört<br />

angewachsen. Die wirtschaftlichen<br />

Umbrüche haben für Viele<br />

Arbeitslosigkeit, <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong><br />

gebracht. Einige Wenige dagegen<br />

haben wirtschaftliche Macht, viel<br />

Geld <strong>und</strong> steigen auf – das ist kein<br />

Zufall.<br />

⊲ <strong>Armut</strong>sbekämpfung darf man nicht<br />

nur der Politik überlassen. Viele setzen<br />

sich engagiert dafür ein, dass<br />

Menschen Arbeit, Einkommen <strong>und</strong><br />

Teilhabe bekommen: in den Quartieren,<br />

in Schulen <strong>und</strong> Kindertagesstätten,<br />

in sozialen <strong>und</strong> kulturellen<br />

Projekten, manchmal auch in Behörden<br />

<strong>und</strong> Unternehmen. Vor allem die<br />

von <strong>Armut</strong> Betroffenen selbst kämpfen<br />

darum, sich <strong>und</strong> ihren Kindern<br />

Lebenschancen zu erhalten. Sie brauchen<br />

Unterstützung, Schutz, Hilfe<br />

<strong>und</strong> Geld. Aber das erhalten sie<br />

immer weniger. Stattdessen gibt es<br />

oft genug Geringschätzung, Bürokratie<br />

<strong>und</strong> Desinteresse.<br />

⊲ Eine solidarische Gesellschaft, eine<br />

solidarische Stadt kann sich nicht<br />

damit begnügen, die Folgen zu lindern,<br />

die ein falsches Wirtschaftssystem<br />

<strong>und</strong> eine falsche Politik allen aufbürden.<br />

⊲ Wir brauchen eine neue Umverteilung<br />

für gleiche Lebensverhältnisse,<br />

gerechte Teilhabe, soziale Rechte!<br />

⊲ Wir brauchen materielle <strong>und</strong> gesellschaftliche<br />

Anerkennung aller sozialen<br />

Tätigkeiten, die heute nicht bezahlt,<br />

nicht gefördert, nicht unterstützt, oft<br />

nicht einmal wahrgenommen werden!<br />

⊲ Wir brauchen starke Sozialräume in<br />

einem Sozialstaat, in dem man Lebensentscheidungen<br />

frei von <strong>Armut</strong>srisiken<br />

treffen kann!<br />

⊲ Wir fordern eine andere Steuerpolitik,<br />

eine andere Beschäftigungspolitik,<br />

eine andere Beteiligung oder kurz<br />

<strong>und</strong> knapp: deutlich weniger Kapitalismus!<br />

Inga Nitz, geboren 1979, ist Mitglied der<br />

Partei DIE <strong>LINKE</strong> <strong>und</strong> Sprecherin für<br />

Arbeit <strong>und</strong> Wohnen in der Fraktion DIE<br />

<strong>LINKE</strong> in der Bremischen Bürgerschaft.


33 <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> soziale <strong>Ausgrenzung</strong><br />

6 <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>und</strong> soziale soziale <strong>Ausgrenzung</strong> <strong>Ausgrenzung</strong><br />

Dr. Stefan Thomas<br />

Mein Beitrag wird sich der Frage nach<br />

den Definitionen, Formen <strong>und</strong> Ursachen<br />

von <strong>Armut</strong> aus der Perspektive einer<br />

»Sozialpsychologie des Alltags« nähern<br />

(vgl. Thomas 2008). Phänomene, mit<br />

denen die Betroffenen in der Welt konfrontiert<br />

sind, werden sowohl von der<br />

sozialen Seite als auch von der individuellen<br />

Seite her wissenschaftlich bearbeitet.<br />

Diese doppelte Herangehensweise<br />

ist beim Thema <strong>Armut</strong> entscheidend,<br />

weil soziale <strong>Ausgrenzung</strong> mit psychischer<br />

Desintegration wie Resignation,<br />

Hilflosigkeit <strong>und</strong> Selbstaufgabe zusammenfällt.<br />

Beides bildet einen destruktiven<br />

Zirkel der <strong>Armut</strong>. Meine Argumente<br />

sind in Thesenform aufgebaut.<br />

<strong>Armut</strong> <strong>und</strong> Reichtum<br />

– zwei Seiten einer<br />

Medaille<br />

Um das <strong>Armut</strong>sproblem zu verstehen,<br />

muss man über die ungerechte Verteilung<br />

von Reichtum sprechen. Allerorten<br />

ist zu beobachten, dass die soziale<br />

Ungleichheit in Deutschland größer wird.<br />

<strong>Armut</strong> ist immer weniger ein Problem<br />

von Randgruppen, sondern betrifft die<br />

Gesellschaft im Gesamten (vgl. Häußermann,<br />

Kronauer & Siebel 2004; Butterwege<br />

2006). Dabei könnte der Widerspruch<br />

kaum größer sein. Während der<br />

gesellschaftliche Reichtum in immer<br />

neue Größenordnungen vorstößt, sind<br />

immer mehr Menschen von einer angemessenen<br />

gesellschaftlichen Teilhabe<br />

ausgeschlossen. Zahlen aus den Sozialwissenschaften<br />

können nicht eindeutiger<br />

belegen, dass die Ungleichheit<br />

zwischen arm <strong>und</strong> reich wächst. Der<br />

Bef<strong>und</strong> wachsender sozialer Ungleichheit,<br />

durch ein Auseinanderklaffen von<br />

Arm <strong>und</strong> Reich, lässt sich schon anhand<br />

weniger Zahlen veranschaulichen: <strong>Das</strong><br />

jährliche Bruttosozialprodukt, also der<br />

gesellschaftliche Reichtum, den die<br />

BewohnerInnen eines Landes in einem<br />

Jahr erwirtschaften, wächst stetig. Es<br />

hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren<br />

auf mehr als 2400 Milliarden Euro<br />

im vergangenen Jahr verdoppelt. Gleichzeitig<br />

geht die Schere zwischen Arm<br />

<strong>und</strong> Reich bei der Verteilung des in der<br />

BRD erwirtschafteten Reichtums auseinander<br />

– ablesbar beispielsweise an<br />

der Lohnquote. Der Anteil am erwirtschafteten<br />

gesellschaftlichen Reichtum<br />

aus Erwerbsarbeit ist in den vergangenen<br />

Jahren sukzessive zurückgegangen.<br />

Während der Lohnanteil vor acht Jahren<br />

noch bei 72,2 Prozent des Volkseinkommens<br />

lag, sank dieser bis auf 64,6<br />

Prozent im Jahr 2007. Dagegen ist im<br />

gleichen Maße die Kapitalquote gestiegen,<br />

gemeint sind die Gewinne aus<br />

Kapital <strong>und</strong> Vermögenswerten. Diese<br />

Form der Umverteilung verdeutlichen<br />

beispielsweise Zahlen aus dem Jahr<br />

2005, die zeigen, in welche Taschen<br />

die jährliche Steigerung des Volkseinkommens<br />

geflossen ist. Trotz der 26,2<br />

Milliarden Euro, die es vor vier Jahren<br />

aufgr<strong>und</strong> des gestiegenen Volkseinkommens<br />

mehr zu verteilen gab, sanken die<br />

Arbeitnehmerentgelte um 5,6 Milliarden<br />

Euro. Gleichzeitig legten die Gewinne<br />

<strong>und</strong> Vermögenseinkommen um 31,8 Milliarden<br />

Euro zu (Statistisches B<strong>und</strong>esamt<br />

2006). Die Zunahme sozialer Ungleichheit<br />

zeigt sich aber auch in der Veränderung<br />

der Durchschnittseinkommen über<br />

verschiedene Einkommensgruppen hinweg.<br />

Während das untere Einkommensfünftel,<br />

also die Ärmsten in Deutschland,<br />

zwischen 1995 <strong>und</strong> 2005 Einkommensverluste<br />

von 1,3 Prozent hinnehmen<br />

mussten, legten die Einkommen<br />

des obersten Fünftels um fast neun Prozent<br />

zu.<br />

Wohin der Reichtum fließt, wird klar,<br />

wenn man sich die rasant gestiegenen<br />

Kapitalausschüttungen aus Unternehmensgewinnen<br />

anschaut. Die Verschiebung<br />

der Einkommensverteilung<br />

von Löhnen zu Unternehmensgewinnen<br />

führt dazu, dass die Vermögensbesitzer<br />

immer reicher werden. <strong>Das</strong> zeigt<br />

sich nicht nur an der rapiden Zunahme<br />

an Millionären <strong>und</strong> Milliardären. Zum<br />

öffentlichen Skandal wurde die Verteilung<br />

des gesellschaftlich produzierten<br />

Reichtums angesichts der immensen<br />

Einkommenszuwächse bei Managern.<br />

Bei den Wirtschaftseliten haben die<br />

jährlich erzielten Einkommen, vor allem<br />

der Vorstandsvorsitzenden, exorbitante<br />

Dimensionen erreicht, die selbst den<br />

großen Traum des kleinen Mannes vom<br />

Lottogewinn in den Schatten stellen. Im<br />

Durchschnitt haben die Vorstandsvorsitzenden<br />

von Unternehmen, die im Deutschen<br />

Aktienindex (DAX) zusammengefasst<br />

sind, vor zwei Jahren 4,8 Millionen<br />

Euro eingesteckt. Wo das zig- bis<br />

h<strong>und</strong>ertfache eines durchschnittlichen<br />

Arbeitslohnes bezogen wird, drängt sich<br />

mit Blick auf die Verteilungsgerechtigkeit<br />

die Frage auf, ob hier überhaupt<br />

noch von »Verdienen« gesprochen werden<br />

kann.


<strong>Armut</strong> <strong>und</strong> soziale <strong>Ausgrenzung</strong> 34<br />

Medien fokussieren Sicht<br />

der Mittelschicht<br />

<strong>Armut</strong> wird zwar in den Medien zum<br />

Thema, aber nur aus der Sicht der<br />

Mittelschicht. <strong>Das</strong> Schicksal der Ärmsten<br />

bleibt ausgeblendet. Im Herbst vor<br />

drei Jahren begann in Deutschland eine<br />

Debatte über die Bildung einer neuen<br />

Unterschicht, der eine von der Friedrich-<br />

Ebert-Stiftung in Auftrag gegebenen Studie<br />

zugr<strong>und</strong>e lag (Friedrich-Ebert-Stiftung<br />

2007). <strong>Das</strong> sogenannte Prekariat<br />

wurde als neue Gruppe in der deutschen<br />

Sozialschichtung entdeckt, das nicht<br />

mehr der klassischen Unterschicht<br />

zuzurechnen ist. Vielmehr drohen größere<br />

Teile der Mittelschicht in prekäre<br />

<strong>Armut</strong>slagen abzurutschen (Heitmeyer<br />

2008; Grabka & Frick 2008; Schultheis<br />

2005). In der sich ausbreitenden »Zone<br />

der Gefährdung« sind f<strong>und</strong>amentale<br />

Sicherheiten nicht mehr gegeben, weil<br />

immer mehr Menschen von Arbeitslosigkeit<br />

<strong>und</strong> unsicheren Arbeitsverhältnissen<br />

betroffen sind. Diese Debatte<br />

griffen die Medien auf, weil es um die<br />

Ängste der Mittelschicht geht. Dagegen<br />

tauchen in der Diskussion die dauerhaft<br />

Armen, die soziale Unterschicht,<br />

die Ausgeschlossenen nur am Rande<br />

auf. Während für das Prekariat die Aussicht<br />

auf Wiedergewinnung sozialen<br />

Anschlusses nicht ganz unrealistisch<br />

erscheint, herrscht in den »Zonen der<br />

<strong>Ausgrenzung</strong>« längst lethargische Hoffnungslosigkeit<br />

– also bei Menschen,<br />

die dauerhaft auf Sozialleistungen angewiesen<br />

sind, alten <strong>und</strong> kranken Menschen<br />

sowie MigrantInnen (Castel 2000,<br />

S. 13).<br />

<strong>Armut</strong> als Folge sozialer<br />

<strong>Ausgrenzung</strong><br />

<strong>Armut</strong> ist Folge eines dynamischen<br />

Prozesses sozialer <strong>Ausgrenzung</strong>, man<br />

spricht auch von Exklusion. In der europäischen<br />

Debatte über <strong>Armut</strong>sprozesse<br />

<strong>und</strong> Elendsquartiere hat der Begriff<br />

der Exklusion einige Prominenz erlangt,<br />

nachdem er in die EU-<strong>Armut</strong>s-Berichtserstattung<br />

eingeflossen war (Kronauer<br />

2002; Bude & Willisch 2008). Im direkten<br />

Vergleich mit den gängigen <strong>Armut</strong>skonzepten<br />

geht es bei Exklusion nicht<br />

in erster Linie um eine Zustandsbeschreibung<br />

individuellen Ressourcenmangels.<br />

Vielmehr rücken die sozialen<br />

Prozesse in den Vordergr<strong>und</strong>, die<br />

zum Ausschluss von der gleichberechtigten<br />

Teilhabe am gesellschaftlichen<br />

Reichtum führen. <strong>Armut</strong> ist daher als<br />

Resultat der fortschreitenden Anhäufung<br />

von negativen Selektionsmerkmalen<br />

im Sperrfeuer sich überschneidender<br />

Exklusionsprozesse zu verstehen.<br />

Kronauer (2007) betont, dass es bei<br />

der Exklusion nicht um »<strong>Ausgrenzung</strong><br />

aus der Gesellschaft« gehen kann, sondern<br />

dass es sich um »<strong>Ausgrenzung</strong> in<br />

der Gesellschaft« handelt. Die Unterscheidung<br />

von Zentrum <strong>und</strong> Peripherie<br />

ist fürs Verständnis besser geeignet.<br />

Im Zentrum der Gesellschaft finden<br />

sich jene Sozialräume, die aufgr<strong>und</strong><br />

ihrer Ressourcen- <strong>und</strong> Machtausstattung<br />

besonders attraktiv sind. Im Kampf<br />

um die knappen Güter eines guten <strong>und</strong><br />

schönen Lebens setzen sich besonders<br />

leicht die Bevölkerungsgruppen durch,<br />

die selbst schon am Besten mit Ressourcen<br />

ausgestattet sind: Geld, Bildung <strong>und</strong><br />

Sozialkontakte, Insiderwissen, sozial<br />

angemessene Verhaltenskodizes <strong>und</strong><br />

Unterscheidungsformen, Macht, Status<br />

<strong>und</strong> Prestige. Exklusion bedeutet, dass<br />

den Ausgegrenzten nur die ressourcen<strong>und</strong><br />

statusarmen Peripherien bleiben:<br />

Hochhaussiedlungen im sozialen Wohnungsbau<br />

oder verarmte Innenstadtgettos<br />

<strong>und</strong> prekäre Beschäftigungsverhältnisse.<br />

Hier gelingt der Anschluss<br />

an wichtige Versorgungsbereiche mehr<br />

schlecht als recht.<br />

Exklusion setzt an der unzureichenden<br />

Integration in den Arbeitsmarkt an.<br />

Durch andauernde Arbeitslosigkeit verfestigt<br />

sich rasch die Gewissheit, von<br />

der Gesellschaft nicht gebraucht zu werden,<br />

keine Bedeutung für die Mitmenschen<br />

zu haben, als Überflüssiger entwertet<br />

zu sein (Bude 1998). Auf der anderen<br />

Seite mündet Dauerarbeitslosigkeit<br />

in <strong>Armut</strong>, wodurch sich der Ausschluss<br />

von allen Lebensbereichen, in denen<br />

Geld die Eintrittskarte ist, weiter verschärft.<br />

Doch ziehen die durch <strong>Armut</strong><br />

verursachten Integrationsprobleme bei<br />

Weitem größere Kreise. Die betroffenen<br />

Menschen geraten rasch in den Sog<br />

sozialer Desintegration. Ohne Geld ist<br />

der Anschluss ans soziale Leben, der<br />

Kino-, Theater-, Museumsbesuch, die<br />

Vereinsmitgliedschaft, ein Bier in der<br />

Kneipe, die Einbindung in den arbeitenden<br />

Fre<strong>und</strong>es- <strong>und</strong> Bekanntenkreis nur<br />

schwer aufrechtzuerhalten. Die Verengung<br />

der Lebenskreise grenzt die Entfaltung<br />

der eigenen Persönlichkeit immer<br />

stärker auf die am sozialen Rand vorgef<strong>und</strong>enen<br />

wertlosen Teilhabe- <strong>und</strong> Teilnahme-Möglichkeiten<br />

ein.<br />

Der Ausschluss aus den einzelnen<br />

Lebensfeldern führt schließlich zur Überlagerung<br />

sozialer <strong>Ausgrenzung</strong>sformen,<br />

sodass die von <strong>Armut</strong> betroffenen Menschen<br />

in ein »Feld der Exklusion« eingeschlossen<br />

werden (vgl. auch Kapitel<br />

7 über »<strong>Armut</strong> verfestigt sich«).<br />

»Hat jedoch der Ausschluss aus einem<br />

Folgen für den Einschluß in ein anderes<br />

Subsystem, dann mehren sich die<br />

Mißerfolge <strong>und</strong> verstärkt sich die Abweichung:<br />

Keine zertifizierte Ausbildung,<br />

keine reguläre Beschäftigung, keine<br />

ges<strong>und</strong>e Ernährung, kein ausreichendes<br />

Einkommen, keine dauerhaften Intimbeziehungen,<br />

keine elterliche Verantwortung,<br />

kein Interesse an den politischen<br />

Angelegenheiten, kein Zugang zur<br />

Rechtsberatung, keine ausreichende<br />

Krankenversicherung« (Bude 2008, S. 18).<br />

<strong>Das</strong> Bedrohliche der Exklusion resultiert<br />

daraus, dass es kein punktuelles Phänomen<br />

bleibt (Ludwig-Mayerhofer & Barlösius<br />

2001, S. 45). Wenn die Integration<br />

in die Gesellschaft an einer Stelle<br />

anfängt zu erodieren, dann verstärken<br />

sich die sozialen Abstiegsprozesse<br />

rasch über verschiedene Lebenslagen<br />

hinweg. Arbeitslosigkeit verursacht Einkommensarmut,<br />

beides führt zum Rückzug<br />

vom kulturellen Leben, sodass über<br />

eine Begrenzung der Lebenskreise auch<br />

das Netzwerk an sozialen Beziehungen<br />

schrumpfen wird.<br />

Die individuelle Seite: psychische<br />

Desintegration<br />

Die soziale Seite der Exklusion ergänzt<br />

die individuelle Seite, die man als psychische<br />

Desintegration beschreiben<br />

kann. Wie wir aus der psychologischen<br />

Stress- <strong>und</strong> Belastungsforschung<br />

wissen, führen erschwerte Lebensumstände,<br />

die unter <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong><br />

entstehen, zur Resignation, zur<br />

Hilflosigkeit, zum individuellen Rückzug<br />

(Bonß, Keupp & Koenen 1984). Mit<br />

wachsendem Abstand zum gesellschaftlichen<br />

Leben schwinden alle Hoffnungen,<br />

jemals den Weg zurück in die legitimen<br />

Sphären der Teilhabe <strong>und</strong> Anerkennung<br />

zu finden. Damit vollziehen die<br />

Betroffenen ihren sozialen Ausschluss<br />

in gewissem Sinne selbst. Um eine Indi-


35 <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> soziale <strong>Ausgrenzung</strong><br />

vidualisierung des <strong>Armut</strong>sproblems zu<br />

vermeiden, ist es daher wichtig, genau<br />

zu schauen, wie diese psychischen Reaktionsformen<br />

über die sozialen Lebensbedingungen,<br />

den Mangel, die Chancenlosigkeit,<br />

die <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> Entbehrungen<br />

vermittelt sind.<br />

»Keinen Ausweg mehr sehen«<br />

In der sich verfestigenden Dynamik<br />

von sozialer Exklusion <strong>und</strong> psychischer<br />

Desintegration sieht der Einzelne am<br />

Ende keinen Ausweg mehr. Damit erhält<br />

<strong>Armut</strong> in den modernen Wohlstandsgesellschaften<br />

nicht durch Hunger ihre<br />

Brisanz. Die Betroffenen leiden vor<br />

allem am umfassenden Kontrollverlust<br />

über die eigenen Lebensumstände, der<br />

mit einer durchgreifenden Beschädigung<br />

von Identität, Selbstwert <strong>und</strong><br />

Handlungsfähigkeit endet. Von außen<br />

erscheint der Weg aus der Not so einfach:<br />

Sozialleistungen beantragen, Wohnung<br />

anmieten, Ausbildung machen,<br />

Arbeiten gehen. Dagegen erklärt sich<br />

aus dem Zusammenhang von sozialer<br />

Exklusion <strong>und</strong> der psychischen Desintegration,<br />

warum die Menschen diese<br />

Handlungsschritte nicht mehr unternehmen.<br />

Die <strong>Armut</strong>sproblematik kann man<br />

daher nur unter Berücksichtigung der<br />

sozialen Ausschlussmechanismen <strong>und</strong><br />

der psychischen Folgekosten angemessen<br />

verstehen. <strong>Armut</strong> ist kein Schicksal,<br />

das äußerlich bleiben kann, sondern das<br />

Individuum ist mit Leib <strong>und</strong> Seele in die<br />

sozialen Ausschlussprozesse einbezogen<br />

(Thomas 2007). Der <strong>Armut</strong>szirkel ist<br />

schließlich kaum noch aufzusprengen,<br />

weil die Menschen weder über die äußeren<br />

noch über die individuellen Handlungsvoraussetzungen<br />

verfügen. Einmal<br />

in die Zonen des sozialen Ausschlusses<br />

abgedrängt, ist der Ausblick auf<br />

ein besseres Leben, in dem Eigeninitiative<br />

<strong>und</strong> Zukunftspläne wieder zählen,<br />

zu verdüstert. Denn je weiter die Menschen<br />

vom gesellschaftlichen Leben<br />

abgedrängt werden, desto beschwerlicher<br />

<strong>und</strong> unüberschaubarer muss der<br />

weite Weg zurück erscheinen.<br />

<strong>Armut</strong> schädigt nachhaltig<br />

die Identität<br />

Wenn sich Menschen normalerweise<br />

begegnen, dann kreisen die Gespräche<br />

zunächst einmal meist um folgende Themen:<br />

Wer bin ich? Was kann ich? Was<br />

mache ich? Jemand, der arbeitslos ist,<br />

macht nichts Vorzeigbares. Da er keine<br />

besonderen Fähigkeiten <strong>und</strong> Eigenschaften<br />

unter Beweis stellen kann, muss es<br />

ihm auch schwer fallen zu sagen, wer<br />

er ist. Identität bedeutet, sich selbst<br />

als Person bestimmen <strong>und</strong> sich anhand<br />

einer einzigartigen Lebensgeschichte<br />

auszeichnen zu können. Was bedeutet<br />

es nun für das eigene Selbstbild, wenn<br />

man bei den allgemeinen Bewertungsmaßstäben,<br />

an denen sich persönlicher<br />

Erfolg misst, nicht mehr mithalten kann?<br />

Man kann nicht selbst für sein Leben<br />

sorgen, ein eigenes Einkommen fehlt,<br />

<strong>und</strong> sich seine Wünsche <strong>und</strong> Träume zu<br />

erfüllen, ist passé.<br />

Die Identität wird nachhaltig beschädigt,<br />

wenn im Leben alle Erfahrungsbereiche<br />

abhanden kommen, in denen<br />

man am sozialen Leben teilhaben <strong>und</strong><br />

teilnehmen kann. Vielmehr wird das Ausgeliefertsein<br />

an die äußeren Lebensumstände<br />

immer wieder als entfremdend,<br />

übermächtig, traumatisierend erfahren:<br />

etwa der Eintritt in die Arbeitslosigkeit,<br />

jede neue geschriebene Bewerbung,<br />

von der man nichts mehr hört,<br />

die Hilflosigkeit auf dem Jobcenter, die<br />

triste Zukunftsperspektive (Seligman<br />

1979). Die Arbeitslosenforschung zeigt,<br />

dass die Betroffenen das Mehr an Zeit,<br />

nicht zur kreativen Freizeitgestaltung<br />

nutzen. Vielmehr ziehen sich die Menschen<br />

ausgebrannt <strong>und</strong> resigniert vom<br />

sozialen Leben zurück. Die Arbeitslosen<br />

müssen die ständige Infragestellung<br />

<strong>und</strong> Isolation als gegeben <strong>und</strong> unabänderlich<br />

hinnehmen, umso mehr sie<br />

in der Vergangenheit versucht haben,<br />

diese zu überwinden. Unter der Last des<br />

Ausschließungsdrucks zerbricht schließlich<br />

die eigene Identität, weil man<br />

sich nicht mehr – vor sich selbst <strong>und</strong><br />

anderen – als kompetente, leistungsfähige<br />

<strong>und</strong> lebendige Person darstellen<br />

kann.<br />

Verlust von Anerkennung <strong>und</strong><br />

Selbstwert<br />

Die Identität wird auch auf einer zweiten<br />

Ebene beschädigt. Nicht nur die<br />

inhaltliche Identitätskonfiguration zerbricht,<br />

sondern auch die Entwicklung<br />

von Selbstvertrauen, Selbstachtung <strong>und</strong><br />

Selbstschätzung sind gestört. <strong>Das</strong> Individuum<br />

ist in seinem praktischen Selbstverhältnis<br />

von der Erfahrung von Anerkennung<br />

durch seine Mitmenschen<br />

abhängig (Honneth 2003). Erst indem<br />

der Einzelne sich als geliebte, geachtete<br />

<strong>und</strong> wertgeschätzte Person erfahren<br />

kann, kann er seinen Selbstwert nicht<br />

nur für sich, sondern auch nach außen<br />

hin begründen <strong>und</strong> ausweisen. Missachtung<br />

<strong>und</strong> Demütigung führen dagegen<br />

dazu, dass den betroffenen Menschen<br />

die Möglichkeit versperrt bleibt,<br />

sich als sozial wertgeschätzte Person<br />

zu begreifen. <strong>Das</strong> ständige Scheitern<br />

an der gesellschaftlichen Norm einer<br />

selbständigen, autonomen Person, die<br />

durch Arbeit für ihr eigenes Einkommen<br />

sorgt <strong>und</strong> sich selbst verwirklichen<br />

kann, wirkt im höchsten Maße demoralisierend.<br />

Die Verunsicherung, die sich<br />

aus dem Verlust der Handlungsfähigkeit


<strong>Armut</strong> <strong>und</strong> soziale <strong>Ausgrenzung</strong> 36<br />

ergibt, zerstört schließlich das psychische<br />

F<strong>und</strong>ament der eigenen Selbstbejahung<br />

<strong>und</strong> Selbstakzeptanz (Margalit<br />

1997, S. 43).<br />

Praktische <strong>und</strong> politische<br />

Konsequenzen<br />

Am Ende meines Beitrags möchte<br />

ich abschließend einen Ausblick auf<br />

die praktischen <strong>und</strong> politischen Konsequenzen<br />

geben, die aus den dargelegten<br />

Bef<strong>und</strong>en zu ziehen sind. Dabei<br />

sollte deutlich geworden sein, dass sich<br />

<strong>Armut</strong> nicht auf Einkommensarmut reduzieren<br />

lässt. Zur Abschaffung von <strong>Armut</strong><br />

reicht es nicht aus, nur das Arbeitslosengeld<br />

II zu erhöhen. Denn die soziale<br />

<strong>Ausgrenzung</strong> enthält dem betroffenen<br />

Menschen allgemeine Lebenschancen<br />

vor <strong>und</strong> macht ihn dadurch als Person<br />

überflüssig. Aus dieser sozialen<br />

Entwertung ergibt sich schließlich die<br />

viel zu beobachtende Resignation <strong>und</strong><br />

Selbstaufgabe. Die Betroffenen kümmern<br />

sich nicht mehr um zentrale Alltagsbereiche,<br />

um Arbeit, Einkommen,<br />

Wohnung <strong>und</strong> soziale Kontakte. Die<br />

Frage lautet also, was ist zu unternehmen,<br />

um diese Dynamik von sozialer<br />

Exklusion <strong>und</strong> individueller Desintegration<br />

zu durchbrechen? Nur dann werden<br />

<strong>Armut</strong>, Elend, Tristesse, Not <strong>und</strong> Leid<br />

nicht mehr das Schicksal so vieler Menschen<br />

sein.<br />

Bürgergeld einführen<br />

Am Anfang steht die Einführung eines<br />

Bürgergeldes, das für einen auskömmlichen,<br />

abgesicherten <strong>und</strong> schamfreien<br />

Lebensunterhalt sorgt. <strong>Das</strong> Bürgergeld<br />

muss oberhalb des soziokulturellen Existenzminimums<br />

liegen, um <strong>Armut</strong> <strong>und</strong><br />

Ausschluss wirkungsvoll <strong>und</strong> dauerhaft<br />

zu bekämpfen (Gorz 2000, S. 110 ff.).<br />

<strong>Das</strong> ist besonders wichtig, weil die F<strong>und</strong>amente<br />

der Arbeitsgesellschaft erodieren.<br />

Aufgr<strong>und</strong> struktureller Voraussetzungen<br />

ist mit Vollbeschäftigung<br />

nicht mehr zu rechnen. <strong>Das</strong> Bürgergeld<br />

muss deshalb soziale Sicherung auf<br />

dem Niveau eines sozial akzeptablen<br />

Lebensstandards garantieren – unabhängig<br />

von der Präsenz auf dem Arbeitsmarkt<br />

(Sonnenfeld 2001, S. 82). Aufgr<strong>und</strong><br />

von Massenarbeitslosigkeit geht es hier<br />

um die Verwirklichung eines sozialen<br />

Gr<strong>und</strong>rechts. Sicherlich muss darüber<br />

gesprochen, diskutiert <strong>und</strong> gestritten<br />

werden, was sich genau als soziokulturell<br />

akzeptabler Lebensstandard definieren<br />

lässt. Dieser liegt aufgr<strong>und</strong> vorliegender<br />

Erfahrungswerte auf jeden<br />

Fall oberhalb der jetzigen Bezugshöhen<br />

des Arbeitslosengelds II. Ohne konkrete<br />

Modelle hier diskutieren zu können, darf<br />

Bürgergeld aber nicht wie bisher als ein<br />

Almosen gegeben werden (hierzu etwa<br />

Engler 2005). Es muss einen allgemeinen<br />

Rechtsanspruch geben, der dem<br />

Einzelnen nicht entzogen werden kann,<br />

damit der Bezug von Sozialleistungen<br />

nicht zur entwürdigenden Bittstellerei<br />

wird.<br />

Neue Integrations- <strong>und</strong> Anerkennungsformen<br />

Die Einführung eines Bürgergelds darf<br />

nicht auf eine moralische Entlastung<br />

der Gesellschaft von der Verantwortung<br />

für sozialen Ausschluss reduziert<br />

bleiben. Ein besonderer Stellenwert<br />

kommt der Schaffung neuer Integrations-<br />

<strong>und</strong> Anerkennungsformen zu. Nur<br />

dann können die Ausgeschlossenen <strong>und</strong><br />

sozial Benachteiligten tatsächlich den<br />

Status eines vollwertigen Mitglieds der<br />

modernen Gesellschaft erlangen. Um<br />

<strong>Armut</strong> aufzuheben, müssen die Integrationspfade<br />

in die Gesellschaft, in<br />

die verschiedensten Institutionen <strong>und</strong><br />

Lebensbereiche für alle Menschen verlässlich<br />

offen stehen. Die Teilhabechancen<br />

am gesellschaftlichen Leben dürfen<br />

nicht soziale Ungleichheiten nach<br />

dem Prinzip weiter festigen: Derjenige,<br />

der nichts hat, bleibt auch von allen<br />

anderen Dingen ausgeschlossen. Wertschätzung<br />

<strong>und</strong> Achtung in der Gesellschaft<br />

dürfen kein knappes Gut mehr<br />

sein, sondern müssen zu einer Selbstverständlichkeit<br />

im sozialen Umgang<br />

miteinander werden. Dabei geht es<br />

nicht allein um eine Veränderung von<br />

Moral, Werten <strong>und</strong> Verhalten. Jeder<br />

Mensch muss eine sinnvolle Aufgabe<br />

in seinem Leben übernehmen können,<br />

über die er Würde <strong>und</strong> Selbstachtung<br />

erlangen kann. Arbeit ist nicht nur bloßes<br />

Mittel der Existenzsicherung. Vielmehr<br />

begründen sich aus einer umfassenden<br />

Teilhabe <strong>und</strong> Teilnahme am<br />

sozialen Leben elementare Selbstbestimmungs-<br />

<strong>und</strong> Mitbestimmungsrechte.<br />

Anstatt die Menschen durch Ein-Euro-<br />

Jobs zu ihrem »Glück« zu zwingen,<br />

könnte man mit ihnen gemeinsam überlegen,<br />

welche Arbeiten sie sich zutrauen,<br />

wo sie gebraucht werden, ob sie vielleicht<br />

selbst Projekte entwerfen wollen<br />

(Willisch 2008, S. 329 ff.). Ein zweiter<br />

Arbeitsmarkt abseits vom Verwertungsdruck<br />

könnte niedrigschwellige Arbeitsmöglichkeiten<br />

für diejenigen schaffen,<br />

die aufgr<strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitlicher, physischer<br />

<strong>und</strong> psychischer Einschränkungen<br />

nicht mehr in der Konkurrenzgesellschaft<br />

mithalten können. Die Arbeit<br />

müsste wieder lernen, sich den Menschen<br />

zuzuwenden, anstatt über Rationalisierungsprogramme<br />

nur noch darauf<br />

zu zielen, den Einzelnen überflüssig<br />

zu machen. Arbeit ist andererseits<br />

nicht alles. Die Integrationspfade müssen<br />

sich auch in andere Gesellschaftsbereiche<br />

öffnen, indem auf ganz unterschiedlichen<br />

Ebenen Beteiligungsformen<br />

geschaffen werden, die nicht überfordern<br />

<strong>und</strong> wieder ausgrenzend wirken.<br />

Psychosoziale Unterstützungsangebote<br />

für die Müden, Hilflosen <strong>und</strong> Resignierten<br />

müssen ausgebaut werden. Es<br />

reicht nicht, nur für soziale Absicherung<br />

<strong>und</strong> ein Angebot auf Integration<br />

<strong>und</strong> Anerkennung zu sorgen, wenn die<br />

Menschen den Glauben an ihre Fähigkeiten<br />

<strong>und</strong> Möglichkeiten längst verloren<br />

haben. Professionelle Unterstützung<br />

als auch freiwillige Gemeinwesenarbeit<br />

sollen Menschen ein niedrigschwelliges<br />

Integrationsangebot mit menschlichem<br />

Antlitz unterbreiten. Im Mittelpunkt<br />

muss dabei der Aufbau von positiven<br />

Erfahrungs- <strong>und</strong> Handlungsbereichen<br />

stehen. Diese können das biographisch<br />

angelegte Misstrauen derjenigen,<br />

die gegenüber Gesellschaft,<br />

Arbeitsmarkt <strong>und</strong> bürokratischen Institutionen<br />

ihren Ausschluss erfahren haben,<br />

überwinden. Dafür müssen psychosoziale<br />

Angebote stärker vernetzt <strong>und</strong><br />

auf Kooperation ausgerichtet sein, um<br />

adäquat helfen <strong>und</strong> unterstützen zu<br />

können, ohne selbst wieder ausgrenzend<br />

zu wirken. Gerade Menschen aus<br />

<strong>Armut</strong>slagen reagieren häufig gegenüber<br />

den Institutionen der Gesellschaft,<br />

die sie als ausgrenzend erlebt haben,<br />

mit einer gehörigen Portion Misstrauen.<br />

Dabei darf sich die psychosoziale Pro-


37 <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> soziale <strong>Ausgrenzung</strong><br />

fession nicht damit begnügen, Arbeitslosengeld-II-Karrieren<br />

nur am gesellschaftlichen<br />

Rand zu stabilisieren. Die Hilfe<br />

muss für eine reale Perspektive sorgen,<br />

die Betroffenen ermöglicht, aus<br />

den Randzonen von Sozialeistungsbezug<br />

<strong>und</strong> psychosozialer Fürsorge herauszutreten.<br />

Diskurs zu humanen Gr<strong>und</strong>lagen<br />

unserer Gesellschaft<br />

Die Aufhebung von <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> sozialer<br />

Ungleichheit setzt eine öffentliche<br />

Debatte über die Gr<strong>und</strong>lagen unserer<br />

Gesellschaft voraus. In deren Mittelpunkt<br />

gehört die soziale Frage in<br />

ihrer Bedeutung für das 21. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />

Diese zielt darauf, eine wahrhaft demokratische<br />

<strong>und</strong> auf sozialer Gerechtigkeit<br />

beruhende Gesellschaft zu verwirklichen,<br />

in der alle Menschen in den<br />

solidarischen B<strong>und</strong> gleichberechtigter<br />

Teilnahme- <strong>und</strong> Teilhabechancen eingeschlossen<br />

sind. Die Gesellschaft muss<br />

sich fragen, ob sie eine wachsende Kluft<br />

bei der Verteilung gesellschaftlicher<br />

Güter <strong>und</strong> Ressourcen weiterhin in Kauf<br />

nehmen will. Wirtschaft <strong>und</strong> Politik stehen<br />

nur allzu oft den Bedürfnissen der<br />

Menschen gleichgültig gegenüber. Stattdessen<br />

sollte das Projekt eines humanen,<br />

lebenswerten, integrierten Gemeinwesens<br />

in den Mittelpunkt sozialer Verständigung<br />

<strong>und</strong> Handelns rücken. Ihre<br />

Identität kann Gesellschaft nur über Solidarität,<br />

demokratische Entscheidungsformen<br />

<strong>und</strong> ein soziales Miteinander<br />

finden, wo die freie Entwicklung eines<br />

jeden die Bedingung für die freie Entwicklung<br />

aller ist. Hier wird es keine Zauberlösung<br />

geben. Im besten Falle ließe<br />

sich ein gesellschaftlicher Konsens darüber<br />

anstreben, wie die entfesselten<br />

Marktkräfte wieder einzugrenzen sind,<br />

um die die Ansprüche der Menschen<br />

nach Integration, Teilhabe <strong>und</strong> Lebensqualität<br />

einzulösen.<br />

Dr. Stefan Thomas, geboren 1971, lehrt<br />

<strong>und</strong> forscht an der FU Berlin <strong>und</strong> hat<br />

unter anderem ein Buch über das<br />

Leben von Jugendlichen am Bahnhof<br />

Zoo veröffentlicht.<br />

Literatur<br />

⊲ Bonß, W., Keupp, H. & Koenen, E.<br />

(1984). <strong>Das</strong> Ende des Belastungsdiskurses?<br />

Zur subjektiven <strong>und</strong> gesellschaftlichen<br />

Bedeutung von Arbeitslosigkeit.<br />

In W. Bonß & R. G. Heinze<br />

(Hrsg.), Arbeitslosigkeit in der Arbeitsgesellschaft<br />

(S. 143–188). Frankfurt/M.:<br />

Suhrkamp.<br />

⊲ Bude, H. (1998). Die Überflüssigen als<br />

transversale Kategorie. In P. A. Berger<br />

& M. Vester (Hrsg.), Alte Ungleichheiten,<br />

neue Spaltungen (S. 363–382).<br />

Opladen: Leske + Budrich.<br />

⊲ Bude, H. (2008). Die Ausgeschlossenen.<br />

<strong>Das</strong> Ende vom Traum einer<br />

gerechten Gesellschaft. München:<br />

Hanser.<br />

⊲ Bude, H. & Willisch, A. (Hrsg.). (2008).<br />

Exklusion. Die Debatte über die »Überflüssigen«.<br />

Frankfurt/M.: Suhrkamp.<br />

⊲ Butterwegge, C. (2006). Krise <strong>und</strong><br />

Zukunft des Sozialstaates (3., erweiterte<br />

Auflage). Wiesbaden: VS Verlag<br />

für Sozialwissenschaften.<br />

⊲ Castel, R. (2000). Die Metamorphosen<br />

der sozialen Frage. Eine Geschichte<br />

der Lohnarbeit. Konstanz: UVK.<br />

⊲ Engler, W. (2005). Bürger, ohne Arbeit.<br />

Für eine radikale Neugestaltung der<br />

Gesellschaft. Berlin: Aufbau.<br />

⊲ Friedrich-Ebert-Stiftung. (2007). Politische<br />

Milieus in Deutschland: Die Studie<br />

der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn:<br />

Dietz.<br />

⊲ Gorz, A. (2000). Arbeit zwischen<br />

Misere <strong>und</strong> Utopie. Frankfurt/M.:<br />

Suhrkamp.<br />

⊲ Grabka, M. M. & Frick, J. R. (2008).<br />

Schrumpfende Mittelschicht – Anzeichen<br />

einer dauerhaften Polarisierung<br />

der verfügbaren Einkommen? [Electronic<br />

Version]. DIW – Wochenbericht,<br />

75, 101–108. Retrieved 15. Juli 2008.<br />

⊲ Häußermann, H., Kronauer, M. &<br />

Siebel, W. (2004). An den Rändern<br />

der Städte. <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong>.<br />

Frankfurt/M.: Suhrkamp.<br />

⊲ Heitmeyer, W. (Hrsg.). (2008). Deutsche<br />

Zustände (Folge 6). Frankfurt/M.:<br />

Suhrkamp.<br />

⊲ Honneth, A. (2003). Umverteilung als<br />

Anerkennung. Eine Erwiderung auf<br />

Nancy Fraser. In N. Fraser & A. Honneth<br />

(Hrsg.), Umverteilung oder Anerkennung?<br />

eine politisch-philosophische<br />

Kontroverse (S. 129–224). Frankfurt/M.:<br />

Suhrkamp.<br />

⊲ Kronauer, M. (2002). Exklusion. Die<br />

Gefährdung des Sozialen im hoch<br />

entwickelten Kapitalismus. Frankfurt:<br />

Campus.<br />

⊲ Kronauer, M. (2007). Integration <strong>und</strong><br />

Ausschluss. In P. Gazareth, A. Juhasz<br />

& C. Magnin (Hrsg.), Neue soziale<br />

Ungleichheit in der Arbeitswelt (S. 45–<br />

58). Konstanz: UVK.<br />

⊲ Ludwig-Mayerhofer, W. & Barlösius, E.<br />

(2001). Die <strong>Armut</strong> der Gesellschaft. In<br />

E. Barlösius & W. Ludwig-Mayerhofer<br />

(Hrsg.), Die <strong>Armut</strong> der Gesellschaft<br />

(S. 11–67). Opladen: Leske <strong>und</strong> Budrich.<br />

⊲ Margalit, A. (1997). Politik der Würde.<br />

Über Achtung <strong>und</strong> Verachtung. Berlin:<br />

Fest.<br />

⊲ Schultheis, F. & Schulz, K. (Hrsg.).<br />

(2005). Gesellschaft mit begrenzter<br />

Haftung. Zumutungen <strong>und</strong> Leiden im<br />

deutschen Alltag. Konstanz UVK-Verlag.<br />

⊲ Seligman, M. E. P. (1979). Erlernte Hilflosigkeit.<br />

München: Urban & Schwarzenberg.<br />

⊲ Sonnenfeld, C. (2001). Aktive Arbeitsmarktpolitik<br />

heißt: Zwang. In P. Bourdieu<br />

(Hrsg.), Der Lohn der Angst.<br />

Flexibilisierung <strong>und</strong> Kriminalisierung<br />

in der »neuen Arbeitsgesellschaft«<br />

(Liber Jahrbuch, Band 3) (S. 71–83).<br />

Konstanz: UVK.<br />

⊲ Statistisches B<strong>und</strong>esamt (2006). Bruttoinlandsprodukt<br />

2005. Wiesbaden:<br />

Statistisches B<strong>und</strong>esamt.<br />

⊲ Thomas, S. (2007). Exklusion <strong>und</strong><br />

Embodiment: Formen sozialen Ausschlusses<br />

im modernen Kapitalismus.<br />

In C. Würmann, M. Schuegraf,<br />

S. Smykalla & A. Poppitz (Hrsg.),<br />

Welt.Raum.Körper. Transformationen<br />

<strong>und</strong> Entgrenzungen von Körper <strong>und</strong><br />

Raum (S. 37–56). Bielefeld: transcript.<br />

⊲ Thomas, S. (2008). Exklusion <strong>und</strong><br />

Selbstbehauptung. Eine (sozial-)psychologische<br />

Studie über <strong>Armut</strong> bei<br />

jungen Menschen. Berlin: Freie Universität<br />

Berlin.<br />

⊲ Willisch, A. (2008). Die paradoxen<br />

Folgen mechanischer Integration. In<br />

H. Bude & A. Willisch (Hrsg.), Exklusion.<br />

Die Debatte über die »Überflüssigen«<br />

(S. 309–331). Frankfurt/M.: Suhrkamp.


Rückzug oder Widerstand? 38<br />

7 Rückzug oder oder Widerstand? Widerstand?<br />

Dr. Werner Seppmann<br />

<strong>Armut</strong> ist schon lange kein Randgruppenproblem<br />

mehr. Sie beschränkt sich<br />

nicht nur auf die statistisch erfassten<br />

Armen, die mittlerweile fast 18 Prozent<br />

der Bevölkerung ausmachen. Denn mindestens<br />

genau so groß ist die Gruppe<br />

jener, die faktisch von der Hand in den<br />

M<strong>und</strong> lebt <strong>und</strong> jederzeit sozial abstürzen<br />

kann. Nicht erst seit dem Ausbruch<br />

der aktuellen Krise werden von dem<br />

sozialen Abwärtssog zunehmend Kreise<br />

erfasst, die sich vor kurzem noch in<br />

gesicherten Positionen glaubten. Immer<br />

öfter erscheinen bei den karitativen Einrichtungen<br />

Menschen, die es sich vor<br />

wenigen Jahren kaum hätten vorstellen<br />

können, einmal »so tief zu sinken«<br />

– <strong>und</strong> der Sog nach unter verstärkt<br />

sich. Immer mehr Menschen geraten<br />

in die Gefährdungszonen <strong>und</strong> leben in<br />

ständiger Angst vor sozialem Absturz.<br />

Sie erleben diese Entwicklungen wie<br />

eine Naturkatastrophe, die ihr Leben<br />

durcheinander wirbelt. Doch sind diese<br />

sozialen Deformationen alles andere als<br />

ein unvermeidliches »Schicksal«, sondern<br />

Ausdruck der ausbeutungsorientierten<br />

Umgestaltung der Sozialverhältnisse<br />

seit den 90er-Jahren.<br />

Arm trotz Arbeit<br />

Um die Profitrate zu erhöhen, hat die<br />

herrschende Politik die sozialen Sicherheitsstandards<br />

herunter gefahren, die<br />

Arbeitsmärkte dereguliert <strong>und</strong> ein leistungssteigerndes<br />

Druckszenarium aufgebaut.<br />

Durch wachsende Arbeitslosigkeit,<br />

sich ausbreitende soziale Verunsicherungen<br />

<strong>und</strong> ausgehöhlte soziale<br />

Sicherungssysteme wurden immer Lohnabhängige<br />

gezwungen, zu abgesenkten<br />

Löhnen zu arbeiten (vgl. auch Kapitel<br />

4 über »Working Poor«). Unter diesen<br />

Bedingungen wuchs beständig die<br />

Zahl der Lohnabhängigen, die trotz<br />

einer »Vollerwerbsstelle« nicht mehr<br />

in der Lage sind, aus eigener Kraft<br />

ihren Lebensunterhalt zu sichern. Zwar<br />

ist Arbeitslosigkeit immer noch eine<br />

der Hauptursachen von <strong>Armut</strong>, jedoch<br />

erhielten schon vor zwei Jahren 1,3 Millionen<br />

Beschäftigte aufstockende Hartz-<br />

IV-Leistungen, weil das Einkommen<br />

nicht mehr zum Leben reicht. Dadurch<br />

werden Niedriglöhne subventioniert.<br />

Der Kreis der Berechtigten ist noch viel<br />

größer. R<strong>und</strong> sechs Millionen Arbeitnehmerinnen<br />

<strong>und</strong> Arbeitnehmer, das sind<br />

ein Viertel der Vollzeitbeschäftigten,<br />

gehören zu den »arbeitenden Armen«.<br />

Früher wurden die kapitalistischen<br />

Metropolengesellschaften charakterisiert<br />

als Wohlstandszonen. Heute kann<br />

man vor dem Hintergr<strong>und</strong> der aktuellen<br />

Entwicklungen durchaus davon<br />

sprechen, dass sich »<strong>Armut</strong>sgesellschaften«<br />

herausbilden – denn die Tendenzen<br />

zur sozialen Degradierung <strong>und</strong> gravierenden<br />

Positionsverschlechterungen<br />

besitzen eine strukturelle Dimension:<br />

Die derzeitige Form der Kapitalverwertung<br />

führt zur Ausbreitung <strong>und</strong> Festigung<br />

von <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> Bedürftigkeit. Um<br />

die Profite zu sichern <strong>und</strong> die Ausbeutungsraten<br />

zu erhöhen, organisierte die<br />

neoliberale Offensive einen Angriff auf<br />

den Lebensstandard der Lohnabhängigen.<br />

Die Einkommen stagnierten bei<br />

gleichzeitig erhöhten Anforderungen an<br />

Leistung <strong>und</strong> »Flexibilität«. <strong>Das</strong> Kapital<br />

konnte so vorgehen, weil die Massenarbeitslosigkeit<br />

<strong>und</strong> die Internationalisierung<br />

des Arbeitsmarktes die Chance<br />

erhöhten, die Arbeitskräfte gegeneinander<br />

auszuspielen. Zusätzliche Handlungsspielräume<br />

entstanden in der B<strong>und</strong>esrepublik,<br />

weil die herrschende Politik<br />

das soziale Leistungsniveau systematisch<br />

absenkte <strong>und</strong> die Betroffenen<br />

zwingt, jede Arbeit zu jedem<br />

Preis anzunehmen. <strong>Das</strong> Kapital wurde<br />

durch die »Arbeitsmarktreformen« geradezu<br />

eingeladen, die Arbeitskräfte ruinösen<br />

Bedingungen zu unterwerfen. Vor<br />

allem durch diese Rahmenbedingungen<br />

haben sich Zonen prekärer Beschäftigung<br />

bilden können, in denen nicht<br />

selten Löhne unterhalb des Existenzminimums<br />

gezahlt werden. Verarmung<br />

<strong>und</strong> zunehmende Bedürftigkeit sind also<br />

keine Entgleisung der ausbeutungsorientierten<br />

Umgestaltungsstrategien, sondern<br />

beabsichtigt <strong>und</strong> entsprechen dem<br />

neoliberalen Kalkül. Weder das politische<br />

Personal, noch die wissenschaftlich<br />

verkleideten Propagandaredner des<br />

Kapitals haben mit ihren Absichten hinterm<br />

Berg gehalten. Schon im November<br />

vor sieben Jahren sprach der damalige<br />

Wirtschaftsminister Wolfgang Clement<br />

(SPD) von erwarteten Einschüchterungseffekten<br />

der »Arbeitmarktreformen«:<br />

»Die Gewerkschaften werden<br />

Tarifverträgen für Zeitarbeiter zustimmen,<br />

die 20 Prozent unter den Löhnen<br />

der Stammbelegschaften liegen.«<br />

Geirrt hat sich Clement nur im Umfang<br />

des Lohnsenkungseffekts, der in einigen<br />

Bereichen der Arbeitswelt deutlich<br />

höher ausgefallen ist. Auch der allgegenwärtige<br />

Wirtschafts-Interessen-Professor<br />

Hans-Werner Sinn präzisierte zu diesem<br />

Zeitpunkt: »In Wahrheit geht es um<br />

eine Lohnsenkung. Die kommt zustande,<br />

weil durch die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe,<br />

die bislang Begünstigten auf<br />

Sozialhilfe zurückfallen <strong>und</strong> bereit sein<br />

werden, für weniger Geld zu arbeiten.«<br />

Es ging also um den Aufbau einer sozialen<br />

Druckfassade, um die Lohnabhängigen<br />

zu verunsichern.<br />

<strong>Armut</strong> verfestigt sich<br />

Für einen Teil der Betroffenen sind Phasen<br />

der Bedürftigkeit nur ein Durchgangsstadium.<br />

Für viele andere dagegen<br />

festigt sich die <strong>Armut</strong>. Wer in <strong>Armut</strong><br />

absinkt, dem gelingt es immer seltener,<br />

ihr zu entkommen (vgl. auch Kapitel<br />

6 über »<strong>Armut</strong> als Folge sozialer<br />

<strong>Ausgrenzung</strong>«). Die Betroffenen scheinen<br />

auf lange Sicht aus der Arbeitswelt<br />

<strong>und</strong> den sozialen »Normalitätsbereichen«<br />

ausgeschlossen zu sein. Fast<br />

ein Zehntel der Bevölkerung lebt in<br />

verfestigter <strong>Armut</strong>. Zwischen 1996 <strong>und</strong><br />

2000 waren knapp 54 Prozent der Betroffenen<br />

auch nach fünf Jahren noch in<br />

einer <strong>Armut</strong>ssituation. Diese »Beharrungsquote«<br />

lag zwischen 2002 <strong>und</strong> 2006<br />

in der B<strong>und</strong>esrepublik schon bei mehr<br />

als 66 Prozent. Ein Wechsel in eine auskömmliche<br />

Einkommensklasse gelingt<br />

denen, die »unten« gelandet sind, immer<br />

seltener. Wer in diesen Zonen materieller<br />

<strong>Armut</strong> <strong>und</strong> sozialer Verlorenheit landet,<br />

ist zunehmend sich wechselseitig<br />

verstärkenden Benachteiligungen ausgesetzt.<br />

Für viele Arbeitslose ist das


39 Rückzug oder Widerstand?<br />

Leben eine Kreisbewegung ohne Struktur<br />

<strong>und</strong> festem Ziel geworden. Noch<br />

vielen vergeblichen Versuchen einer<br />

beruflichen Widereingliederung gehen<br />

auch die letzten Hoffnungen, dass es<br />

wieder aufwärts gehen könnte, verloren.<br />

Mit dem Eindruck des Scheiterns<br />

schwinden zunehmend die psychischen<br />

Widerstandskräfte, gewinnen Resignation<br />

<strong>und</strong> Fatalismus die Oberhand.<br />

Wo bleibt der Widerstand?<br />

Wie bei jeder Wirtschaftskrise, so<br />

ist auch dieses Mal zu befürchten,<br />

dass den bisher schon Benachteiligten<br />

die größten Opfer abverlangt werden.<br />

Die bisherigen Maßnahmen gegen die<br />

Depression dienten vor allem dazu, das<br />

Finanzkapital zu stützen <strong>und</strong> die Krisenlasten<br />

für die Mittelklasse erträglich<br />

zu halten. <strong>Das</strong>s in den Diskussionen<br />

über die Reaktionen auf die Krise<br />

die Ansprüche <strong>und</strong> Lebensinteressen<br />

der tatsächlich Bedürftigen keine Rolle<br />

spielen, hat einen schlechten Gr<strong>und</strong>:<br />

Der soziale Konfrontationskurs der vergangenen<br />

Jahre hat sich für den herrschenden<br />

Block politisch als harmlose<br />

Angelegenheit dargestellt. Die meisten<br />

Krisenopfer ziehen sich schamhaft<br />

zurück <strong>und</strong> fühlen sich aufgr<strong>und</strong> der herrschenden<br />

ideologischen Regulationsmechanismen<br />

für ihre Situation selbst<br />

verantwortlich. Ob es jedoch bei dieser<br />

politischen Friedhofsruhe bleiben<br />

wird, ist nicht ausgemacht. Bewusstsein<br />

<strong>und</strong> Mentalitäten sind nicht unverrückbar<br />

festgeschrieben, aber an ihrer<br />

Veränderung muss gearbeitet werden.<br />

Dabei kann man an reale Entwicklungen<br />

anschließen – denn neben Verzweiflung<br />

<strong>und</strong> Resignation, mit denen die<br />

Herrschenden gut leben können, hat<br />

sich auch eine beträchtliche Wut aufgestaut.<br />

Wenn sich <strong>Armut</strong> weiter ausbreitet,<br />

neue Schichten in den sozialen<br />

Abstiegstrudel gezogen werden, könnte<br />

eine Situation entstehen, in der die Karten<br />

neu gemischt werden. Ein Beispiel<br />

sind die Montagsdemonstrationen, die<br />

sich vor fünf Jahren spontan als eine eindrucksvolle<br />

Bewegung gegen Deklassierung<br />

<strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong>, Verarmung <strong>und</strong><br />

Demütigung entwickelten. Diese Bewegung<br />

hat zumindest eine Ahnung davon<br />

vermittelt, dass es Grenzen der Zumutungen<br />

gibt <strong>und</strong> die individualisierten<br />

Verarbeitungsformen der Krise aufbrechen<br />

können. Fraglich bleibt, wie man<br />

die Entstehung solcher kollektiven Protestformen<br />

fördern kann. Eine antikapitalistische<br />

Linke hat die Aufgabe, Forderungen<br />

zu formulieren, in denen sich die<br />

Armen <strong>und</strong> Ausgegrenzten mit ihren Problemen<br />

<strong>und</strong> Lebensansprüchen wiederfinden<br />

können. Jedoch dürfte sich ein<br />

solcher Forderungskatalog nicht nur auf<br />

die unmittelbare Nothilfe beschränken.<br />

Darüber hinaus müssen auch Perspektiven<br />

eines selbst bestimmten Lebens thematisiert<br />

werden. Angesichts der herrschenden<br />

Resignation ist nichts dringlicher,<br />

als das Bewusstsein zu verbreiten,<br />

sich an der Gestaltung der sozialen<br />

Existenzbedingungen aktiv beteiligen zu<br />

können.<br />

Dr. Werner Seppmann, geboren 1950,<br />

ist Sozialwissenschaftler <strong>und</strong> Publizist.<br />

Er ist Mitherausgeber der Marxistischen<br />

Blätter <strong>und</strong> schreibt regelmäßig<br />

für die Zeitschrift Ossietzky.


Fazit 40<br />

Fazit<br />

Gemeinwesenarbeit stützen –<br />

Teilhabe sichern – <strong>Armut</strong> bekämpfen<br />

8 Gemeinwesenarbeit stützen –<br />

Teilhabe sichern – <strong>Armut</strong> bekämpfen<br />

Patrick Humke-Focks<br />

Betrachtet man die Ergebnisse der verschiedenen<br />

Foren, so ist augenfällig,<br />

dass es trotz der unterschiedlichen individuellen<br />

Zusammensetzungen der einzelnen<br />

Veranstaltungen große Schnittmengen<br />

in der Arbeit vor Ort, bei Forderungen,<br />

bei politischen Einschätzungen<br />

<strong>und</strong> bei der Entwicklung von Projekten<br />

gegeben hat. <strong>Das</strong> haben wir als Organisatoren<br />

in dieser Form nicht erwartet.<br />

Wir hatten eigentlich damit gerechnet,<br />

dass regionale Unterschiede von<br />

größerer Bedeutung wären <strong>und</strong> wir auf<br />

der jeweiligen lokalen Ebene auf unterschiedliche<br />

Weise zielgruppenorientiert<br />

hätten vorgehen müssen.<br />

<strong>Das</strong>s das in dieser Form nicht notwendig<br />

war, erleichterte uns die weitere<br />

Arbeit, die Auswertung der Ergebnisse,<br />

die Entwicklung parlamentarischer<br />

Initiativen <strong>und</strong> von Veranstaltungen<br />

der Linksfraktion.<br />

In den Foren wurde eine Vielzahl von<br />

Themen diskutiert. Um nur einige zu<br />

nennen: Die Bedeutung der Gemeinwesenarbeit,<br />

die Gestaltung des Wohnumfelds<br />

in ärmeren Gegenden, die Verbesserung<br />

der Infrastruktur in den Stadtvierteln<br />

<strong>und</strong> Dörfern oder die Schwierigkeiten,<br />

medizinische Versorgungseinrichtungen<br />

zu erreichen. Ebenso Fragen<br />

der Pflege, des Wohnens <strong>und</strong> der<br />

Selbstorganisation oder die Notwendigkeit,<br />

Sozialtarife einzuführen, um auch<br />

armen Leuten die Teilhabe am gesellschaftlichen<br />

Leben zu ermöglichen. All<br />

diese Debatten haben maßgeblich dazu<br />

beigetragen, Netzwerke zu bilden <strong>und</strong><br />

die kommunale Ebene mit der Landesebene<br />

zu verknüpfen; <strong>und</strong> sie haben uns<br />

Anstöße für unsere parlamentarische<br />

Arbeit geliefert.<br />

Gemeinwesenarbeit<br />

Die Gemeinwesenarbeit ist eine der Säulen<br />

der sozialen Arbeit in ärmeren Vierteln<br />

in der Stadt <strong>und</strong> auf dem Lande. Sie<br />

setzt dort an, wo sich Menschen begegnen,<br />

wo sie miteinander leben, dort wo<br />

ihr Lebensmittelpunkt ist. Damit die<br />

Gemeinwesenarbeit funktioniert, müssen<br />

das Land <strong>und</strong> die zuständige Kommune<br />

anerkennen, dass es einen Anlaufpunkt<br />

geben muss, in dem die Entwicklung<br />

des Gemeinwesens professionell<br />

moderiert <strong>und</strong> begleitet wird. Deshalb<br />

schlagen wir vor, Konzepte wie das Programm<br />

»Soziale Stadt« weiter auszubauen<br />

<strong>und</strong> seitens des Landes finanziell<br />

zu unterstützen, damit mittelfristig alle<br />

Quartiere gefördert werden können, die<br />

einen entsprechenden Bedarf haben.<br />

Ausbau der Infrastruktur<br />

Einig waren sich die Teilnehmenden<br />

der <strong>Armut</strong>sforen darin, dass die Infrastruktur<br />

in vielen Wohnquartieren mangelhaft<br />

ist. Derzeit wird die Nahversorgung<br />

mit Ärzten, Geschäften, Postfilialen<br />

<strong>und</strong> ÖPNV immer schlechter, was<br />

vor allem für alte <strong>und</strong> immobile Menschen<br />

schlecht ist. Immer weniger Ärzte<br />

sind bereit, in sozial »belasteten« Quartieren<br />

eine Praxis zu unterhalten; gleiches<br />

gilt für Pflegeeinrichtungen. Die<br />

Angebote des ÖPNV sind häufig unterentwickelt<br />

<strong>und</strong> zwingen diejenigen, die<br />

außerhalb der Zentren leben, oft zu weiten<br />

Wegen. Menschen mit geringem<br />

oder gar keinem Einkommen müssen<br />

deshalb schwer zumutbare Wege auf<br />

sich nehmen. Darüber hinaus darf die<br />

Schaffung von menschenwürdigem <strong>und</strong><br />

bezahlbarem Wohnraum nicht aus den<br />

Augen verloren werden – der Gr<strong>und</strong><br />

dafür ist der Niedergang des sozialen<br />

Wohnungsbaus.<br />

Wohnumfeldgestaltung<br />

Auch in diesem Bereich sahen die Teilnehmer<br />

der <strong>Armut</strong>sforen große Defizite;<br />

entwickelten aber Vorschläge, wie die<br />

Lage zu verbessern wäre. Eine entscheidende<br />

Voraussetzung für die Pflege <strong>und</strong><br />

den Ausbau sozialer Beziehungen ist es,<br />

Räume einzurichten, in denen kein Konsumzwang<br />

herrscht. Dies fördert die<br />

Teilhabe am gesellschaftlichen Leben –<br />

bzw. ermöglicht sie erst für diejenigen,<br />

die kein Geld haben, um am Konsum<br />

teilzunehmen. Die Neugestaltung des<br />

Wohnumfelds soll unter Einbeziehung<br />

der Bevölkerung geschehen. Die Anwohner<br />

sollen die wichtigsten Akteure sein<br />

<strong>und</strong> selbst Entscheidungskompetenz


41 Fazit<br />

kann das tun, indem er Sozialtarife für<br />

die Bahn, für den ÖPNV, für die Bildung<br />

<strong>und</strong> für die (Sozio-)Kultur einführt.<br />

<strong>Armut</strong>s- <strong>und</strong> Reichtumsberichterstattung<br />

in Niedersachsen<br />

besitzen. Gerade in Fragen der Standorte<br />

<strong>und</strong> der Ausstattung von Spielplätzen,<br />

von Grillplätzen oder anderen Treffpunkten<br />

<strong>und</strong> beim Bau von Nachbarschaftszentren<br />

mit Bildungsangeboten,<br />

Räumen für Feiern etc. sind die Anwohnerinnen<br />

<strong>und</strong> Anwohner die Expertinnen<br />

<strong>und</strong> Experten. Sie in den Entscheidungsprozess<br />

einzubinden, wirkt dabei identitätsstiftend.<br />

Förderung der Selbstorganisation<br />

Die Erfahrungen mit dem Programm<br />

»Soziale Stadt« haben gezeigt: Wo es<br />

durchgeführt wurde <strong>und</strong> wird, ist die<br />

Selbstorganisation der Anwohner deutlicher<br />

ausgeprägt als anderswo. Die<br />

Leute planen ihren Alltag gemeinsam,<br />

bauen Nachbarschaftsgärten, veranstalten<br />

Sprachkurse <strong>und</strong> andere Fortbildungen<br />

<strong>und</strong> organisieren regelmäßige Sozialberatungen.<br />

Durch die Identifikation<br />

mit dem eigenen Viertel entwickelt sich<br />

eine positive Form der sozialen Kontrolle;<br />

die Vertretung der eigenen Interessen<br />

nach außen verbessert sich. Die<br />

Anwohner werden von der Politik ernstgenommen<br />

– <strong>und</strong> teilen die Erfahrung,<br />

dass man trotz einer schwierigen sozialen<br />

Lage etwas durchsetzen kann, wenn<br />

man sich organisiert.<br />

Kinderarmut<br />

<strong>Armut</strong> ist sichtbar. Diese Tatsache<br />

wurde auf den <strong>Armut</strong>sforen gerade in<br />

der Debatte über Kinderarmut deutlich.<br />

Nirgends sind die sozialen Unterschiede<br />

so greifbar wie in den Schulen: Dort<br />

kann jeder sehen, über welchen Geldbeutel<br />

die Eltern verfügen – arme Kinder<br />

tragen schlechtere Kleidung oder haben<br />

kein Spielzeug, das sie mitbringen können;<br />

sie haben kein Pausenbrot <strong>und</strong> können<br />

an Klassenfahrten nicht teilnehmen;<br />

<strong>und</strong> wenn sie Geburtstag haben, können<br />

sie keine Fre<strong>und</strong>e einladen, weil<br />

sie sich ja selbst die Geschenke für<br />

die Geburtstagsfeiern anderer nicht leisten<br />

können – dies alles führt zu einer<br />

alltäglichen <strong>Ausgrenzung</strong> durch <strong>Armut</strong>.<br />

Kostenloses Essen für ärmere Schülerinnen<br />

<strong>und</strong> Schüler, Lernmittelfreiheit <strong>und</strong><br />

kostenlose Schülerbeförderung würden<br />

diese Probleme nicht lösen, sie könnten<br />

aber helfen, wenigstens ihre Folgen zu<br />

lindern.<br />

Sozialtickets<br />

Wer heute am gesellschaftlichen Leben<br />

teilhaben will, muss mobil sein. Wenn<br />

arme Leute nicht schon deshalb von<br />

Schwimmbad- oder Theaterbesuchen<br />

ausgeschlossen sein sollen, weil sie das<br />

Bad oder das Theater nicht erreichen<br />

können, brauchen sie Sozialtarife für<br />

den öffentlichen Nahverkehr. Gleiches<br />

lässt sich auf alle gesellschaftlichen<br />

Bereiche übertragen: Der Staat <strong>und</strong> die<br />

Kommunen haben die Verantwortung<br />

dafür zu tragen, dass allen Menschen<br />

der Zugang zu Bildung, Kultur <strong>und</strong> sozialen<br />

Leistungen gewährt wird, <strong>und</strong> er<br />

Einig waren sich die <strong>Armut</strong>sforen auch<br />

in der Frage der <strong>Armut</strong>sberichterstattung<br />

in Niedersachsen: Sie muss besser<br />

werden, <strong>und</strong> sie muss häufiger stattfinden.<br />

Der regelmäßig von der Landesregierung<br />

<strong>und</strong> vom statistischen Landesamt<br />

vorgelegte Bericht ist nicht aussagekräftig<br />

genug, um daraus verallgemeinerbare,<br />

nach Regionen <strong>und</strong> Lebenslagen<br />

aufgefächerte Forderungen abzuleiten.<br />

Die Landesregierung muss die Autorinnen<br />

<strong>und</strong> Autoren des Berichts mit ausreichend<br />

Mitteln ausstatten, um diesen<br />

Ansprüchen zu genügen.<br />

Trotz ihres Umfangs reicht diese Broschüre<br />

nur aus, um einige der Positionen<br />

anzureißen, die auf den <strong>Armut</strong>sforen<br />

diskutiert wurden – doch die hier dargestellten<br />

Ergebnisse sprechen, denke<br />

ich, eine deutliche Sprache. Sie sind zu<br />

einer Leitlinie unserer Parlamentsarbeit<br />

geworden. Welche Initiativen wir in den<br />

letzten Monaten zum Thema <strong>Armut</strong> in<br />

den Landtag eingebracht haben, finden<br />

sie, nebst Hinweisen auf weiterführende<br />

Texte, im Anhang.<br />

Die Erkenntnisse der <strong>Armut</strong>sforen<br />

waren für die Linksfraktion bemerkenswert;<br />

wir werden die gemeinsamen Ziele<br />

weiterhin hoch motiviert verfolgen. <strong>Das</strong><br />

nunmehr erprobte Konzept <strong>Armut</strong>sforum<br />

wollen wir weiterentwickeln <strong>und</strong><br />

andernorts wiederholen. Wir würden<br />

uns auch freuen, wenn es viele Nachahmer<br />

gäbe, die es ebenfalls ausprobierten<br />

<strong>und</strong> sich dann mit uns in Verbindung<br />

setzten, um die Ergebnisse auszutauschen.<br />

Unsere Arbeit muss sich daran messen<br />

lassen, ob es uns gelingt, die parlamentarische<br />

Ebene mit der außerparlamentarischen<br />

zu verbinden. Über Anregungen<br />

Ihrerseits würden wir uns sehr<br />

freuen. Lassen Sie uns gemeinsam die<br />

<strong>Armut</strong> <strong>und</strong> ihre Auswirkungen bekämpfen<br />

<strong>und</strong> zusammen für eine Gesellschaft<br />

einstehen, in der Soziale Ungerechtigkeit<br />

<strong>und</strong> <strong>Armut</strong> zu Fremdwörtern geworden<br />

sind.


Fazit 42<br />

9 Interessante Links Links<br />

Patrick Humke-Focks<br />

Reden von Patrick Humke-Focks gegen<br />

<strong>Armut</strong> <strong>und</strong> soziale <strong>Ausgrenzung</strong><br />

35. Sitzung, 27. März 2009<br />

⊲ Zukunft der hausärztlichen Versorgung in Niedersachsen –<br />

Antrag der Fraktionen der CDU <strong>und</strong> der FDP – Drs. 16/617 /<br />

S. 4155, 4158<br />

⊲ Beschäftigungsoffensive in Niedersachsen – Einstieg in<br />

einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor – Antrag<br />

der Fraktion DIE <strong>LINKE</strong> – Drs. 16/1039 / S. 4161, 4164<br />

http://www.landtag-niedersachsen.de<br />

/infothek/steno/steno_16_WP/endber035.pdf<br />

33. Sitzung, 25. März 2009<br />

⊲ Keine Blockade zulasten von Langzeitarbeitslosen – Arbeitsverwaltung<br />

jetzt zukunftsfähig machen <strong>und</strong> kommunale<br />

Verantwortung stärken! – Antrag der Fraktion der FDP –<br />

Drs. 16/1085 / S. 3898<br />

⊲ Einzige (abschließende) Beratung: a) Entwurf eines Gesetzes<br />

zur Änderung des Gesetzes über das Landesblindengeld<br />

für Zivilblinde – Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU <strong>und</strong><br />

der FDP – Drs. 16/960 – b) Der unvergessene Wortbruch<br />

der Regierung Wulff – Blindengeld wieder vollständig zahlen<br />

– Antrag der Fraktion der SPD – Drs. 16/810 – Beschlussempfehlung<br />

des Ausschusses für Soziales, Frauen, Familie<br />

<strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit – Drs. 16/1061 / S. 3934<br />

⊲ Zweite Beratung: Einrichtung von Pflegestützpunkten endlich<br />

in Angriff nehmen! – Antrag der Fraktion Bündnis 90/<br />

Die Grünen – Drs. 16/897 – Beschlussempfehlung des Ausschusses<br />

für Soziales, Frauen, Familie <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit –<br />

Drs. 16/1063 / S. 3971, 3972<br />

http://www.landtag-niedersachsen.de<br />

/infothek/steno/steno_16_WP/endber033.pdf<br />

32. Sitzung, 20. Februar 2009<br />

⊲ Erste Beratung: Einrichtung von Pflegestützpunkten endlich<br />

in Angriff nehmen! – Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die<br />

Grünen – Drs. 16/897 / S. 3770<br />

http://www.landtag-niedersachsen.de<br />

/infothek/steno/steno_16_WP/endber032.pdf<br />

31. Sitzung, 19. Februar 2009<br />

⊲ Einzige (abschließende) Beratung: Hungerlöhne beseitigen<br />

– Billigpflege <strong>verhindern</strong>: Auch die Pflege braucht einen<br />

gesetzlichen Mindestlohn – Antrag der Fraktion der SPD<br />

– Drs. 16/404 – Beschlussempfehlung des Ausschusses<br />

für Soziales, Frauen, Familie <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit – Drs. 16/874<br />

– Änderungsantrag der Fraktion der SPD – Drs. 16/961 /<br />

S. 3619<br />

⊲ Erste Beratung: Endlich Verantwortung für das Schicksal<br />

früherer Heimkinder übernehmen: aufklären, unterstützen,<br />

entschädigen – Antrag der Fraktion der SPD – Drs.<br />

16/896 / S. 3612<br />

http://www.landtag-niedersachsen.de<br />

/infothek/steno/steno_16_WP/endber031.pdf<br />

29. Sitzung, 16. Januar 2009<br />

⊲ Erste Beratung: Taten statt warmer Worte – Kindergelderhöhung<br />

auch für arme Familien – Antrag der Fraktion<br />

Bündnis 90/Die Grünen – Drs. 16/802 / S. 3347, 3348<br />

http://www.landtag-niedersachsen.de<br />

/infothek/steno/steno_16_WP/endber029.pdf<br />

28. Sitzung, 15. Januar 2009<br />

⊲ Kommunale Finanzmisere in Niedersachsen <strong>und</strong> ihre Folgen<br />

– Anfrage der Fraktion DIE <strong>LINKE</strong> – Drs. 16/822 /<br />

S. 3228<br />

⊲ Erste Beratung: Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der<br />

Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Verbesserung des Schutzes von Kindern<br />

in Niedersachsen – Gesetzentwurf der Landesregierung –<br />

Drs. 16/755 / S. 3247<br />

http://www.landtag-niedersachsen.de<br />

/infothek/steno/steno_16_WP/endber028.pdf<br />

24. Sitzung, 10. Dezember 2008<br />

⊲ Zweite Beratung Haushalt 2009 – Debatte über ausgewählte<br />

Haushaltsschwerpunkte (Einzelplan 5 – Soziales, Frauen,<br />

Familie <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit – Kultus) / S. 2833–38<br />

http://www.landtag-niedersachsen.de<br />

/infothek/steno/steno_16_WP/endber024.pdf<br />

22. Sitzung, 14. November 2008<br />

⊲ Zukunft der hausärztlichen Versorgung in Niedersachsen<br />

S. 2562<br />

http://www.landtag-niedersachsen.de<br />

/infothek/steno/steno_16_WP/endber022.pdf<br />

21. Sitzung, 13. November 2008<br />

⊲ Anfrage von DIE <strong>LINKE</strong>: Was macht die Landesregierung<br />

gegen extreme <strong>Armut</strong> im Winter? / S. 2392<br />

http://www.landtag-niedersachsen.de<br />

/infothek/steno/steno_16_WP/endber021.pdf<br />

20. Sitzung, 12. November 2008<br />

⊲ Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Wohnraumförderung<br />

/ S. 2345<br />

http://www.landtag-niedersachsen.de<br />

/infothek/steno/steno_16_WP/endber020.pdf


43 Fazit<br />

16. Sitzung, 18. September 2008<br />

⊲ Kinderarmut bekämpfen – Konkretes Handeln statt Ankündigungen<br />

<strong>und</strong> unverbindlicher B<strong>und</strong>esratsentscheidungen /<br />

S. 1748, 1754<br />

http://www.landtag-niedersachsen.de<br />

/infothek/steno/steno_16_WP/endber016.pdf<br />

15. Sitzung, 17. September 2008<br />

⊲ Kostenvergleich von Wertgutscheinpraxis <strong>und</strong> Barauszahlung<br />

bei Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz<br />

– Antrag der Fraktion DIE <strong>LINKE</strong> / S. 1701<br />

http://www.landtag-niedersachsen.de<br />

/infothek/steno/steno_16_WP/endber015.pdf<br />

14. Sitzung, 16. September 2008<br />

⊲ Ges<strong>und</strong>heitsfonds 2009: Alles wird teurer, nichts wird besser!<br />

– Antrag der Fraktion der FDP / S. 1484<br />

http://www.landtag-niedersachsen.de<br />

/infothek/steno/steno_16_WP/endber014.pdf<br />

13. Sitzung, 3. Juli 2008<br />

⊲ Anfrage zum <strong>Armut</strong>s- <strong>und</strong> Reichtumsberichterstattung in<br />

Niedersachsen / S. 1333<br />

http://www.landtag-niedersachsen.de<br />

/infothek/steno/steno_16_WP/endber013.pdf<br />

6. Sitzung, 8. Mai 2008<br />

⊲ Freiwillige Selbstverpflichtung – Antrag der Fraktion DIE<br />

<strong>LINKE</strong> / S. 581<br />

⊲ Den Fortschritt sichern, Arbeitslosigkeit bekämpfen, Bürokratie<br />

vermeiden – Antrag der Fraktionen der CDU <strong>und</strong> der<br />

FDP / S. 561, 562, 564<br />

http://www.landtag-niedersachsen.de<br />

/infothek/steno/steno_16_WP/endber006.pdf<br />

4. Sitzung, 10. April 2008<br />

⊲ Missbraucht Finanzamt Ein-Euro-Jobber? – Anfrage der<br />

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen / S. 235<br />

http://www.landtag-niedersachsen.de<br />

/infothek/steno/steno_16_WP/endber004.pdf<br />

Parlamentarische Initiativen des Referates<br />

Soziales <strong>und</strong> Europa gegen <strong>Armut</strong><br />

<strong>und</strong> soziale <strong>Ausgrenzung</strong><br />

Juniplenum 2009: Mündliche Anfrage:<br />

Welche zusätzlichen Maßnahmen plant die Landesregierung<br />

im Bereich der Alkoholprävention für junge Menschen?<br />

http://www.landtag-niedersachsen.de<br />

/Drucksachen/Drucksachen_16_2500/1001-1500<br />

/16-1335.pdf<br />

Drs. 16/1345 02. 06. 2009, Entschließungsantrag:<br />

Der Landtag unterstützt die Forderungen der Erzieher/-innen,<br />

Sozialpädagogen/-innen <strong>und</strong> Sozialarbeiter/-innen in den<br />

niedersächsischen Kindertageseinrichtungen<br />

http://www.landtag-niedersachsen.de<br />

/Drucksachen/Drucksachen_16_2500/1001-1500<br />

/16-1345.pdf<br />

Az. II/721-312 11. 05. 2009; Kleine Anfrage:<br />

Zukunft der Pflege in Niedersachsen<br />

http://www.landtag-niedersachsen.de<br />

/Drucksachen/Drucksachen_16_2500/1001-1500<br />

/16-1409.pdf<br />

Drs. 16/1267 07. 05. 2009, Änderungsantrag:<br />

Eine Region stellt sich vor: Erwartungen aus Niedersachsen<br />

an das neue europäische Parlament<br />

http://www.landtag-niedersachsen.de<br />

/Drucksachen/Drucksachen_16_2500/1001-1500<br />

/16-1267.pdf<br />

Az. II/721-300 04. 05. 2009, Kleine Anfrage:<br />

Kinderarbeit in Niedersachen<br />

http://www.landtag-niedersachsen.de<br />

/Drucksachen/Drucksachen_16_2500/1001-1500<br />

/16-1467.pdf<br />

Drs. 16/1107 25. 03. 2009, Änderungsantrag:<br />

Zukunft der hausärztlichen Versorgung in Niedersachsen<br />

http://www.landtag-niedersachsen.de<br />

/Drucksachen/Drucksachen_16_2500/1001-1500<br />

/16-1107.pdf<br />

Drs. 16/1039 17. 03. 2009, Entschließungsantrag:<br />

Beschäftigungsoffensive in Niedersachsen – Einstieg in einen<br />

öffentlich geförderten Beschäftigungssektor<br />

http://www.landtag-niedersachsen.de<br />

/Drucksachen/Drucksachen_16_2500/1001-1500<br />

/16-1039.pdf<br />

Drs. 16/1301 6. 03. 2009 Kleine Anfrage mit Antwort:<br />

Unterschiedliche Sanktionsquoten in den Agenturen für Arbeit<br />

http://www.landtag-niedersachsen.de<br />

/Drucksachen/Drucksachen_16_2500/1001-1500<br />

/16-1301.pdf<br />

Drs. 16/891 10. 02. 2009, Entschließungsantrag:<br />

Für ein Europa der Menschen – <strong>Armut</strong> konsequent bekämpfen<br />

http://www.landtag-niedersachsen.de<br />

/Drucksachen/Drucksachen_16_2500/0501-1000<br />

/16-0891.pdf


Fazit 44<br />

Drs. 16/701 28. 11. 2008, Entschließungsantrag:<br />

Für ein soziales Europa – verbindliche Regelungen für soziale<br />

Gr<strong>und</strong>rechte<br />

http://www.landtag-niedersachsen.de<br />

/Drucksachen/Drucksachen_16_2500/0501-1000<br />

/16-0701.pdf<br />

Drs. 16/629 24. 10. 2008, Dringliche Anfrage:<br />

Was macht die Landesregierung gegen extreme <strong>Armut</strong> im<br />

Winter?<br />

http://www.landtag-niedersachsen.de<br />

/Drucksachen/Drucksachen_16_2500/0501-1000<br />

/16-0629.pdf<br />

Drs. 16/670 17. 10. 2008, Kleine Anfrage:<br />

R<strong>und</strong>funkgebühren für Menschen in Ausbildung<br />

http://www.landtag-niedersachsen.de<br />

/Drucksachen/Drucksachen_16_2500/0501-1000<br />

/16-0670.pdf<br />

Drs. 16/542 08. 10. 2008, Änderungsantrag:<br />

Der Deckel muss weg – Landesregierung nicht aus der Verantwortung<br />

entlassen – Krankenhausfinanzierung <strong>und</strong> flächendeckende<br />

Versorgung in Niedersachsen sicherstellen<br />

http://www.landtag-niedersachsen.de<br />

/Drucksachen/Drucksachen_16_2500/0501-1000<br />

/16-0542.pdf<br />

Drs. 16/270 03. 07. 2008 (Plenum, Anfrage Nr.2), Mündliche<br />

Anfrage:<br />

<strong>Armut</strong>s- <strong>und</strong> Reichtumsberichterstattung<br />

http://www.landtag-niedersachsen.de<br />

/Drucksachen/Drucksachen_16_2500/0001-0500<br />

/16-0270.pdf<br />

Drs. 16/207 30. 05. 2008, Dringliche Anfrage:<br />

Handlungsbedarf zur Sicherung sozialer Standards im EU-<br />

Recht <strong>und</strong> des Lohnniveaus im niedersächsischen Baugewerbe<br />

http://www.landtag-niedersachsen.de<br />

/Drucksachen/Drucksachen_16_2500/0001-0500<br />

/16-0207.pdf<br />

Drs. 16/184 28. 05. 2008, Entschließungsantrag:<br />

Der Deckel muss weg – Landesregierung nicht aus der Verantwortung<br />

entlassen – Krankenhausfinanzierung <strong>und</strong> flächendeckende<br />

Versorgung in Niedersachsen sicherstellen<br />

http://www.landtag-niedersachsen.de<br />

/Drucksachen/Drucksachen_16_2500/0001-0500<br />

/16-0184.pdf<br />

10 Eine Auswahl weiterführender Literatur Literatur<br />

⊲ Andreß, Hans-Jürgen (u. a.): Wenn aus liebe rote Zahlen<br />

werden. Überdie wirtschaftlichen Folgen von Trennung<br />

<strong>und</strong> Scheidung; Wiesbaden2003.<br />

⊲ Bischoff, Joachim: Allgemeines Gr<strong>und</strong>einkommen. F<strong>und</strong>ament<br />

für sozialeSicherheit?; Hamburg 2007.<br />

⊲ Blaschke, Ronald: Garantiertes Gr<strong>und</strong>einkommen. Entwürfe<br />

<strong>und</strong>Begründungen aus den letzten 20 Jahren, Frage<strong>und</strong><br />

Problemstellungen;Dresden 2004.<br />

⊲ Bude, Heinz: Die Ausgeschlossenen. <strong>Das</strong> Ende vom Traum<br />

einer gerechtenGesellschaft; München/Wien 2008.<br />

⊲ Burger, Karin: <strong>Armut</strong>szeugnis. Ratgeber in <strong>Armut</strong>sfragen;<br />

Belm-Vehrte2007.<br />

⊲ Butterwegge, Christoph: <strong>Armut</strong> in einem reichen Land.<br />

Wie das Problemverharmlost <strong>und</strong> verdrängt wird; Frankfurt/Main<br />

2009.<br />

⊲ Butterwegge, Christoph/Kl<strong>und</strong>t, Michael/Belke-Zeng, Matthias:<br />

Kinderarmut in Ost- <strong>und</strong> Westdeutschland;2. Aufl.,<br />

Wiesbaden 2008.<br />

⊲ Gern, Wolfgang/Segbers, Franz (Hrsg.): Als K<strong>und</strong>ebezeichnet,<br />

als Bettler behandelt. Erfahrungen aus der Hartz-<br />

IV-Welt;Hamburg 2009.<br />

⊲ Heizmann, Karin/Schmidt, Angelika (Hrsg.):Frauenarmut.<br />

Hintergründe, Facetten, Perspektiven;Frankfurt/Main 2001.<br />

⊲ Zinn, Karl Georg: Wie Reichtum <strong>Armut</strong> schafft. Verschwendung,Arbeitslosigkeit<br />

<strong>und</strong> Mangel; 4. Aufl., Köln 2006.


Impressum:<br />

Herausgeberin:<br />

DIE <strong>LINKE</strong>. Fraktion im Niedersächsischen Landtag<br />

Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz 1<br />

30159 Hannover<br />

Fotos: Uwe Helmes<br />

Satz <strong>und</strong> Layout: Oliver Heins, Hannover, www.scriptorium-adp.de<br />

Druck: AktivDruck & Verlag GmbH, Göttingen<br />

V. i. S. d. P: Christa Reichwaldt, Parlamentarische Geschäftsführerin

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