Armut und Ausgrenzung verhindern - Das LINKE CMS
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<strong>Armut</strong>sforen<br />
in Hannover, Göttingen, Wilhelmshaven<br />
<strong>und</strong> Wolfsburg<br />
Abschlussbericht
1 Vorwort<br />
<strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong> <strong>verhindern</strong><br />
<strong>Armut</strong>sforen in mehreren Städten liefern viele Anregungen<br />
Vorwort<br />
»<strong>Armut</strong> hat viele Gesichter«<br />
»<strong>Armut</strong> hat viele Gesichter«<br />
Von Patrick Humke-Focks,<br />
Sozial- <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitspolitischer Sprecher der Fraktion<br />
DIE <strong>LINKE</strong> im niedersächsischen Landtag<br />
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
jeder sechste Niedersachse gilt als arm,<br />
darunter fast eine viertel Million Kinder.<br />
Immer mehr Alleinerziehende rutschen<br />
in <strong>Armut</strong>, denn Kinder erhöhen<br />
das <strong>Armut</strong>srisiko. Fakten, die erschrecken<br />
müssen in einem der reichsten<br />
Länder der Welt; Fakten, die das Leben<br />
vieler Niedersachsen bestimmen – <strong>und</strong><br />
zwar bereits vor der aktuellen Krise,<br />
deren Folgen im Moment überhaupt<br />
noch nicht bezifferbar sind.<br />
Verantwortlich für wachsende <strong>Armut</strong><br />
<strong>und</strong> steigendes <strong>Armut</strong>srisiko sind nicht<br />
zuletzt jene Parteien, die im B<strong>und</strong>estag<br />
die Hartz-Reformen durchsetzten:<br />
SPD, CDU, die Grünen <strong>und</strong> die FDP, die<br />
mit der sogenannten Agenda 2010 Millionen<br />
Menschen arm gemacht oder an<br />
den Rand der <strong>Armut</strong> gebracht haben.<br />
Dadurch haben diese Parteien enorm<br />
an Glaubwürdigkeit verloren. Die Zahl<br />
der Wahlverweigerungen steigt stetig,<br />
immer mehr Menschen sind von der Politik<br />
enttäuscht <strong>und</strong> wenden sich ab.<br />
Gegen diesen Trend konnte DIE<br />
<strong>LINKE</strong> nach den letzten Landtagswahlen<br />
mit 7,1 Prozent erstmals in den niedersächsischen<br />
Landtag einziehen – ein<br />
Vertrauensvorschuss der Wählerinnen<br />
<strong>und</strong> Wähler, dem wir uns verpflichtet<br />
fühlen. Deshalb wollen wir Alternativen<br />
zur herrschenden Politik entwickeln <strong>und</strong><br />
streben nach einer Gesellschaft, in der<br />
soziale Gerechtigkeit <strong>und</strong> Umverteilung<br />
von oben nach unten keine Worthülsen<br />
mehr sind, sondern Wirklichkeit.<br />
In diesem Sinne hat DIE <strong>LINKE</strong> im<br />
Landtag vier regionale <strong>Armut</strong>sforen <strong>und</strong><br />
eine landesweite Abschlusskonferenz<br />
unter dem Motto »<strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong><br />
<strong>verhindern</strong>« durchgeführt, deren<br />
Ergebnisse wir in diesem Heft dokumentieren.<br />
Die Reihe hatte den Zweck, eine<br />
Form der Zusammenarbeit in der Sozialpolitik<br />
anzustoßen, die nicht auf eine<br />
konkrete Aktion beschränkt bleibt, sondern<br />
ein dauerhaftes Bündnis zum Ziel<br />
hat – über ideologische Schranken hinweg.<br />
Dazu luden wir Gewerkschaften<br />
<strong>und</strong> Verbände ein, Vereine, Kirchen <strong>und</strong><br />
Initiativen, um die bestehende Zusammenarbeit<br />
zu stärken, neue Netzwerke<br />
zu gründen <strong>und</strong> Strategien zu entwickeln,<br />
die <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong> überwinden<br />
helfen.<br />
Auch nach Abschluss der <strong>Armut</strong>sforen<br />
bleibt die Bekämpfung der <strong>Armut</strong><br />
unser zentrales Ziel, <strong>und</strong> dazu ist die<br />
Zusammenarbeit mit außerparlamentarischen<br />
Gruppen auch in Zukunft unverzichtbar.<br />
Trotzdem brauchen Menschen,<br />
die arm <strong>und</strong> sozial ausgegrenzt sind,<br />
auch konkrete Aktionen – <strong>und</strong> zu Recht<br />
sehen sie DIE <strong>LINKE</strong> hier als Partner.<br />
Hilfe <strong>und</strong> Unterstützung brauchen sie<br />
meist allerdings dort, wo sie leben; seltener<br />
im Leineschloss, dem Landesparlament.<br />
Ob Gewerkschaften, Sozialverbände<br />
oder Kirchengemeinden; ob Stadtteilbüros<br />
oder Quartiersmanagement; ob<br />
Dorfgemeinschaftshäuser, KITA-Belegschaften<br />
oder Jugendzentren; Familienhilfe,<br />
Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer, Erwerbsloseninitiativen,<br />
Vereine, lokale Tafeln<br />
<strong>und</strong> viele andere mehr – sie alle leisten<br />
an Ort <strong>und</strong> Stelle einen unschätzbaren<br />
Dienst im Kampf gegen die <strong>Armut</strong>.<br />
Dieses Engagement wollen wir stärken<br />
durch eine neue Form der Kommunikation<br />
<strong>und</strong> Vernetzung zwischen lokaler<br />
Basisarbeit <strong>und</strong> Fraktionsarbeit im Landtag.<br />
Die <strong>Armut</strong>sforen waren <strong>und</strong> sind<br />
hierbei entscheidende Mosaiksteine.<br />
Bei den eintägigen <strong>Armut</strong>sforen setzte<br />
die Linksfraktion auf Methoden der<br />
Kommunikation <strong>und</strong> Projektentwicklung,<br />
die in der Politik bislang wenig verbreitet<br />
sind: sogenannte World Cafés,<br />
moderierte Themengruppen, schnelle<br />
Problemzuspitzung, Kleingruppenprotokolle<br />
mittels Flipchart <strong>und</strong> abschließende<br />
Talkr<strong>und</strong>en am Kamin gehörten<br />
bei den Teilnehmenden nicht zum politi-<br />
Patrick Humke-Focks<br />
schen Alltag. Mit Hilfe dieser Methoden,<br />
unterstützt von Fachleuten <strong>und</strong> Impulsreferaten,<br />
erarbeiteten wir zahlreiche<br />
konkrete Forderungen <strong>und</strong> Projekte. Die<br />
Linksfraktion will vor Ort begleiten <strong>und</strong> –<br />
soweit möglich – helfen, sie im Landtag<br />
umzusetzen.<br />
Diese Broschüre gibt zum einen die<br />
Impulsreferate der Expertinnen <strong>und</strong><br />
Experten wieder, zum anderen dokumentiert<br />
sie die Themeneingrenzung<br />
<strong>und</strong> Spezifizierung mit allen entwickelten<br />
Projekt- <strong>und</strong> Arbeitsansätzen <strong>und</strong><br />
die politischen Forderungen der Regionalforen.<br />
Desweiteren stellt sie ausgewählte<br />
Themen <strong>und</strong> Umsetzungsvorschläge<br />
aus Sicht der Landtagsfraktion<br />
vor <strong>und</strong> zieht Schlussfolgerungen<br />
aus dem Diskutierten. Abschließend liefert<br />
sie Ihnen einen Überblick über die<br />
Arbeit, die die Linksfraktion zum Thema<br />
<strong>Armut</strong> im niedersächsischen Landtag<br />
bislang geleistet hat.<br />
Als sozial- <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitspolitischer<br />
Sprecher der <strong>LINKE</strong>N im niedersächsischen<br />
Landtag hat mir die Organisation<br />
<strong>und</strong> die Teilnahme an allen Veranstaltungen<br />
politisch <strong>und</strong> menschlich viel<br />
gebracht <strong>und</strong> vor allem – trotz des Themas<br />
– viel Freude bereitet. Unsere politischen<br />
Ansätze wurden unterstützt <strong>und</strong><br />
konkretisiert. Ich durfte viele inner- <strong>und</strong><br />
außerparteilich organisierte Menschen<br />
kennenlernen, deren Engagement <strong>und</strong><br />
Sichtweise spannende <strong>und</strong> notwendige<br />
Schritte gegen <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong><br />
aufzeigen.<br />
Ich wünsche Ihnen <strong>und</strong> Euch viel<br />
Spaß beim Lesen!<br />
Patrick Humke-Focks
Einleitung · Inhalt 2<br />
1 Einleitung<br />
Inhalt<br />
Die Landtagsfraktion der <strong>LINKE</strong>N vertritt<br />
in der Sozialpolitik Positionen, die<br />
viele außerparlamentarische Akteure<br />
wie Gewerkschaften, Sozialverbände<br />
oder Kirchen teilen. Die <strong>Armut</strong>sforen<br />
sollten deshalb einen Dialog zu diesen<br />
Akteuren aufbauen, um gemeinsame<br />
Handlungsstrategien zur Überwindung<br />
von <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong> zu<br />
entwickeln. Da DIE <strong>LINKE</strong> ihre politischen<br />
Ziele ohne außerparlamentarische<br />
Bündnispartner nicht durchsetzen<br />
kann, ist eine kontinuierliche Zusammenarbeit<br />
mit Gewerkschaften, Verbänden<br />
<strong>und</strong> Initiativen im Bereich der<br />
<strong>Armut</strong>sbekämpfung, aber auch in allen<br />
anderen Politikfeldern unverzichtbar.<br />
Mit den <strong>Armut</strong>sforen will DIE <strong>LINKE</strong><br />
gerade im Bereich der Sozialpolitik<br />
eine Form der Zusammenarbeit initiieren,<br />
die sich nicht nur auf eine<br />
konkrete Aktion beschränkt, sondern<br />
ein dauerhaftes Bündnis über ideologische<br />
Schranken hinweg gewährleistet.<br />
Gewerkschaften, Sozialverbände,<br />
Kirchengemeinden, Stadtteilbüros <strong>und</strong><br />
Quartiersmanagement, Mitarbeiter/innen<br />
in Kindertageseinrichtungen, Jugendzentren<br />
<strong>und</strong> der Familienhilfe, Lehrer/innen,<br />
Arbeitslosen- <strong>und</strong> Beratungsinitiativen,<br />
Vereine, lokale Tafeln <strong>und</strong><br />
viele aktive Menschen in weiteren Gruppen<br />
leisten einen unschätzbaren Dienst.<br />
Die <strong>Armut</strong>sforen wollen dieses Engagement<br />
durch eine neue Form der Kommunikation<br />
<strong>und</strong> Vernetzung zwischen<br />
lokaler Basisarbeit <strong>und</strong> Fraktionsarbeit<br />
im Landtag stärken <strong>und</strong> unterstützen.<br />
Bei den jeweils eintägigen Veranstaltungen<br />
in Hannover, Göttingen, Wilhelmshaven<br />
<strong>und</strong> Wolfsburg setzte DIE<br />
<strong>LINKE</strong> auf im politischen Bereich relativ<br />
unbekannte Methoden der Kommunikation<br />
<strong>und</strong> Projektentwicklung. »Café-<br />
Gespräche«, moderierte Themengruppen,<br />
schnelle Problemzuspitzung, Kleingruppenprotokolle<br />
mittels Flipchart <strong>und</strong><br />
abschließende Talkr<strong>und</strong>en am künstlichen<br />
Kamin gehörten bisher noch nicht<br />
zum politischen Alltag. Daran teilgenommen<br />
haben Landtags- <strong>und</strong> Kommunalpolitiker,<br />
Genoss(inn)en sowie außerhalb<br />
der Partei engagierte Akteure. Die<br />
Arbeitsmethoden, unterstützt von kurzen<br />
Impulsreferaten <strong>und</strong> aktiver Mitarbeit<br />
von Fachexpert(inn)en, führten zu<br />
vielen konkret umsetzbaren Forderungen<br />
<strong>und</strong> Projektansätzen. Diese wird<br />
DIE <strong>LINKE</strong> vor Ort <strong>und</strong> vor allem in der<br />
Arbeit der Landtagsfraktion konsequent<br />
weiter verfolgen.<br />
Diese Broschüre informiert zu Beginn<br />
über die Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen.<br />
In den Kapitel 3 bis 7 folgen die Fachaufsätze<br />
der Referenten zum Thema.<br />
Michael Kl<strong>und</strong>t <strong>und</strong> Christoph Butterwegge<br />
legen in den ersten beiden<br />
Kapiteln den Fokus auf Kinderarmut.<br />
Sie diskutieren deren Ausmaß, Erscheinungsformen<br />
<strong>und</strong> Ursachen <strong>und</strong> liefern<br />
viele Lösungsansätze. Vor allem Christoph<br />
Butterwegge thematisiert in diesem<br />
Zusammenhang die unrühmliche<br />
Rolle der Hartz-Gesetze. Inga Nitz wirft<br />
danach einen Blick auf die Situation<br />
vor Ort am Beispiel der Hansestadt Bremen.<br />
Stefan Thomas erläutert in Kapitel<br />
6 die <strong>Ausgrenzung</strong>sprozesse, die zur<br />
<strong>Armut</strong> führen, die psychologischen Folgen<br />
für die Betroffenen <strong>und</strong> beschreibt<br />
notwendige praktische <strong>und</strong> politische<br />
Konsequenzen. Werner Seppmann diskutiert<br />
in Kapitel 7, warum immer mehr<br />
Menschen arm sind, obwohl sie einen<br />
Job haben. Er untersucht schließlich,<br />
inwieweit sich in der Bevölkerung ein<br />
Widerstandspotenzial gegen die herrschende<br />
Verarmungspolitik entwickeln<br />
kann.<br />
»<strong>Armut</strong> hat viele Gesichter«1<br />
1 Einleitung 2<br />
2 Ergebnisse der<br />
<strong>Armut</strong>sforen 3<br />
3 Kinderarmut –<br />
Ursachen <strong>und</strong> Folgen 18<br />
4 Kinderarmut in<br />
einem reichen Land 23<br />
5 <strong>Armut</strong> <strong>und</strong><br />
Kinderarmut in Bremen 30<br />
6 <strong>Armut</strong> <strong>und</strong><br />
soziale <strong>Ausgrenzung</strong> 33<br />
7 Rückzug oder<br />
Widerstand? 38<br />
8 Gemeinwesenarbeit<br />
stützen<br />
– Teilhabe<br />
sichern – <strong>Armut</strong><br />
bekämpfen 40<br />
9 Interessante Links 42<br />
10 Eine Auswahl<br />
weiterführender<br />
Literatur 44<br />
Teilnehmer/innen der Wilhelmshavener Café-Gespräche
3 Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen<br />
2 Ergebnisse der der <strong>Armut</strong>sforen <strong>Armut</strong>sforen<br />
Bei den jeweils eintägigen <strong>Armut</strong>sforen<br />
in Hannover, Göttingen, Wilhelmshaven<br />
<strong>und</strong> Wolfsburg setzte DIE <strong>LINKE</strong><br />
auf Methoden der Kommunikation <strong>und</strong><br />
Projektentwicklung, die im politischen<br />
Bereich bisher relativ unbekannt sind.<br />
Diese Arbeitsmethoden werden zunächst<br />
kurz erläutert, bevor dieses Kapitel<br />
die Ergebnisse der Foren dokumentiert.<br />
Café-Gespräche<br />
Dieser Methode liegt folgende Idee<br />
zugr<strong>und</strong>e: Jede/r Teilnehmer/in des<br />
<strong>Armut</strong>sforums bringt etwas mit: eigene<br />
Ansichten, Ideen, Perspektiven, Themenschwerpunkte<br />
<strong>und</strong> Erwartungen. Die<br />
Teilnehmenden setzen sich an mehrere<br />
Tische, lernen sich kennen <strong>und</strong> beginnen<br />
sich inhaltlich auszutauschen. Nach<br />
<strong>und</strong> nach wechseln sie von Tisch zu<br />
Tisch, um auch die anderen Teilnehmer/innen<br />
kennen zu lernen. Indem<br />
sie ihre Meinung aktiv einbringen, werden<br />
Menschen <strong>und</strong> Ideen miteinander<br />
»verlinkt«. Denn alle Teilnehmer/innen<br />
tragen wichtige Ideen oder Themen zu<br />
neuen Tischen, tauschen Perspektiven<br />
aus <strong>und</strong> führen so zu überraschenden,<br />
neuen Erkenntnissen. Die Spielregeln<br />
sind dabei folgende:<br />
• Kurze Vorstellungsr<strong>und</strong>e an jedem<br />
Tisch<br />
• »Gastgeber/in« finden<br />
• Erste Frage spontan besprechen:<br />
»Was verstehe ich unter <strong>Armut</strong>?«<br />
• Notizen, Bilder <strong>und</strong> Sprüche bleiben<br />
auf der Tischdecke<br />
• Die Teilnehmer/innen notieren<br />
einen kurzen Satz als Ergebnis der<br />
Diskussion am Tisch<br />
• Gastgeber/in bleibt, alle anderen<br />
Teilnehmer/innen wechseln an<br />
neue Tische<br />
• Dort gleicher Ablauf mit zweiter<br />
Frage: »Wo treffe ich auf <strong>Armut</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>Ausgrenzung</strong> durch <strong>Armut</strong>?«<br />
• Die Teilnehmer/innen wechseln<br />
erneut<br />
• Dritte Frage: »Was muss nach<br />
meiner Meinung unbedingt gegen<br />
<strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong> getan werden?«<br />
Moderierte Themengruppen<br />
Gemeint sind Diskussionsgruppen zu<br />
verschiedenen Themen, die jeweils ein<br />
Akteur moderiert. Der Moderator sondiert<br />
mit Karten an Stellwänden in<br />
einer ersten Abfrage das Themenfeld.<br />
Jede/r Teilnehmer/in notiert sich Stichpunkte,<br />
wo er/sie im Themengebiet<br />
ganz konkret auf <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong><br />
trifft. Diese Punkte ordnet der<br />
Moderator anschließend zusammen mit<br />
der Gruppe thematisch, man spricht<br />
auch von der Bildung von Clustern, <strong>und</strong><br />
bepunktet diese zum Schluss, um die<br />
wichtigsten Ansätze herauszufiltern. Zu<br />
diesen Top-Themen nannten die Teilnehmer/innen<br />
ohne tiefere Diskussion Probleme<br />
<strong>und</strong> entwickelten Lösungen. Beides<br />
wurde anschließend in Kleingruppen<br />
konkretisiert.<br />
Individuelle Kleingruppen<br />
Zu den jeweils drei bis fünf wichtigsten<br />
Problemen in jedem Themenbereich<br />
entwickelten Kleingruppen konkrete<br />
Lösungs- oder Handlungsansätze.<br />
Die Teilnehmer/innen kennzeichneten<br />
die Ergebnisse als lokale Projekt- <strong>und</strong><br />
Handlungsstrategien oder formulierten<br />
sie als Forderung an die Landtagsfraktion.<br />
In einem Flipchart-Protokoll wurden<br />
Ideen, Begründungen, konkrete<br />
Handlungsschritte <strong>und</strong> mögliche Aktive<br />
festgehalten <strong>und</strong> den Themengruppen<br />
später vorgestellt.<br />
Talkr<strong>und</strong>e am »Kamin«<br />
In einer moderierten Talkr<strong>und</strong>e stellten<br />
die Beteiligten zum Schluss die zentra-
Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen 4<br />
Resultate aus Café-Gesprächen<br />
Unter <strong>Armut</strong> verstehen wir . . .<br />
• in Hannover:<br />
⊲ <strong>Armut</strong> bedeutet <strong>Ausgrenzung</strong> <strong>und</strong> Defizite an gesellschaftlicher<br />
Teilhabe<br />
⊲ Nichtteilhabe in allen Lebenslagen, beim Konsumverhalten<br />
⊲ <strong>Ausgrenzung</strong>, Isolation, fehlende Sicherheit, Angst<br />
⊲ Einkommensarmut, mangelnde Teilhabe am sozialen <strong>und</strong><br />
kulturellen Leben.<br />
• in Göttingen:<br />
⊲ <strong>Armut</strong> ist inhuman <strong>und</strong> gewollt. <strong>Armut</strong> ist eine tief greifende<br />
Entwicklung in allen Bereichen des Lebens<br />
⊲ <strong>Armut</strong> ist nicht nur materielle <strong>Ausgrenzung</strong><br />
⊲ <strong>Armut</strong> ist vorsätzliche <strong>Ausgrenzung</strong> <strong>und</strong> Entrechtung<br />
⊲ Angst vor dem sozialen Abstieg <strong>und</strong> dadurch krank werden<br />
⊲ Kinderarmut, keine Wahrung politischer Rechte als Hartz-IV-<br />
Bezieher/in möglich, Bildungsarmut<br />
⊲ fehlende Lebenschancen, einhergehend mit Isolation <strong>und</strong><br />
<strong>Ausgrenzung</strong><br />
• in Wilhelmshaven:<br />
⊲ <strong>Ausgrenzung</strong> <strong>und</strong> soziale Gettoisierung, die Schere geht<br />
immer weiter auseinander<br />
⊲ keine Teilhabe, keine Wahlmöglichkeit, ungerechte Verteilung,<br />
Zwang, unrealistischer »Warenkorb«<br />
⊲ keine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, versteckte<br />
<strong>Armut</strong>, schichtübergreifend trotz Arbeit, verstärkt durch<br />
Unwissenheit, schlechte Beratung, <strong>Armut</strong> vererbt sich<br />
⊲ <strong>Armut</strong> an: psychischer <strong>und</strong> physischer Ges<strong>und</strong>heit, Sprache<br />
<strong>und</strong> Zusprache, Akzeptanz <strong>und</strong> Anerkennung, Würde<br />
<strong>und</strong> soziale Kontakte, Solidarität <strong>und</strong> Mitgefühl, Bildung <strong>und</strong><br />
Kreativität, materielle Dinge, persönliche Entfaltung - alles<br />
Worte für das Gleiche: chancenlos<br />
⊲ nicht nur zu wenig Geld: Perspektivlosigkeit, <strong>Ausgrenzung</strong>,<br />
gesellschaftliche Missachtung bei Arbeitslosigkeit, schlechtes<br />
Gewissen, »<strong>Armut</strong>« ist stets Sicht des einzelnen, Arbeitslosigkeit<br />
ist negativ besetzt<br />
• in Wolfsburg:<br />
⊲ soziale Isolation, <strong>Ausgrenzung</strong> aus der Gesellschaft<br />
⊲ <strong>Armut</strong> ist: Existenzangst, wenig Kultur, wenig Würde, Not<br />
<strong>und</strong> Isolation, keine oder wenig medizinische Versorgung<br />
⊲ von allem zu wenig: Betrifft vor allem Kinder, Jugendliche<br />
<strong>und</strong> Ältere<br />
⊲ kein Geld, also Rückzug ins Private<br />
⊲ keine Teilhabe an demokratischen Rechten, Kultur, sozialem<br />
Zusammenleben, Bildung<br />
⊲ <strong>Ausgrenzung</strong>, Nicht-Teilhabe, im Vergleich zur übrigen<br />
Gesellschaft krass unterversorgt, Stichwort: arm in reicher<br />
Gesellschaft<br />
Auf <strong>Armut</strong> treffen wir . . .<br />
• in Hannover:<br />
⊲ medizinische Versorgung, Sparmaßnahmen im Ges<strong>und</strong>heitswesen,<br />
laufende Ausstattung in der Schule<br />
⊲ unter Frauen (Frauen werden nur von Frauen unterstützt)<br />
⊲ Überall<br />
⊲ in der Öffentlichkeit, Suppenküche, Haushalt<br />
⊲ Klassenfahrt, Schule, Jobcenter, persönliches Umfeld<br />
• in Göttingen:<br />
⊲ Die »Reste« der Gesellschaft verwerten dürfen, geteilte<br />
Lebenswelten: Die, die entscheiden können <strong>und</strong> die, die<br />
nichts machen können<br />
⊲ <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong> betrifft alle Lebensbereiche<br />
⊲ öffentlich auf allen Ebenen sichtbar: Wohnungslose, Hilflosigkeit<br />
der Profis<br />
⊲ überall in der Öffentlichkeit, auch bei Berufstätigen<br />
⊲ keine existenzsichernde Arbeit zu haben, Hartz IV, Jobcenter,<br />
Kinderarmut<br />
⊲ in allen Altersgruppen <strong>und</strong> überall im Alltag<br />
• in Wilhelmshaven:<br />
⊲ einerseits: <strong>Armut</strong> überall, andererseits: viel versteckte<br />
<strong>Armut</strong><br />
⊲ bei der Tafel e. V., mittags auf dem Markt, im Alltag auf der<br />
Straße, in Beratungsstellen, bei Aldi, in Krankenhaus <strong>und</strong><br />
Arztpraxis, aber nicht im Stadtrat <strong>und</strong> nicht in der Nachbarschaft<br />
len Ideen aus den verschiedenen Themengruppen<br />
vor. Landtagsabgeordnete,<br />
Kreisvorstand <strong>und</strong> jeweils ein/e Vertreter/in<br />
aus jeder Themengruppe überprüften<br />
schließlich gemeinsam die Chancen<br />
einer Realisierung lokal vor Ort <strong>und</strong><br />
landesweit.<br />
Abschlussveranstaltung<br />
in Hannover<br />
Im Anschluss an die regionalen <strong>Armut</strong>sforen<br />
trafen sich alle Beteiligten zur<br />
Abschlussveranstaltung im Dezember<br />
vergangenen Jahres in Hannover. Nach<br />
der Begrüßung durch die hannoversche
5 Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen<br />
⊲ <strong>Armut</strong> erleben wir in jeder Lebenssituation: in Schule,<br />
Öffentlichkeit, Arbeit, Freizeit <strong>und</strong> in Vereinen, auch im Sinne<br />
geistiger Verkümmerung.<br />
⊲ Behinderung bedeutet <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> Isolation. »<strong>Armut</strong> ist<br />
immer <strong>und</strong> überall«<br />
⊲ Partei, Wochenmärkte, Suppenküchen (Tafeln), Wohlstandsmüll,<br />
Ges<strong>und</strong>heitssystem, Schule, Kita<br />
⊲ Kindergärten, Schulen, Arbeitsloseninitiativen, Öffentlichkeit,<br />
Beratungsstellen wegen Insolvenz<br />
• in Wolfsburg:<br />
⊲ im öffentlichen Raum: Fassaden, Ladenleerstand, Ein-Euro-<br />
Läden, im Verein, KiTa, bei musikalischer Früherziehung<br />
⊲ in der Schule, bei Ges<strong>und</strong>heit wie schlechte Zähne <strong>und</strong> dort,<br />
wo »Reste« der Gesellschaft verteilt werden<br />
⊲ in fast allen gesellschaftlichen Bereichen: Krippen, Schulen,<br />
Behinderteneinrichtungen, Altersheime, Arbeitsstelle,<br />
Geschäfte<br />
⊲ Schule, Kirche, Tafel, Notunterkünfte, Altersheime, Kinderheime,<br />
Frauenhaus, Gefängnis<br />
⊲ <strong>Armut</strong> versteckt sich in Betrieben, bei Kindern <strong>und</strong> Alten<br />
⊲ fast überall »im Leben«<br />
Gegen <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong> muss nach unserer Meinung<br />
unbedingt getan werden . . .<br />
• in Hannover:<br />
⊲ Umverteilung, Selbstorganisation stärken, nicht in Opferrolle<br />
verfallen, Widerstand lernen<br />
⊲ Umverteilung, Zeit für Bildung, soziokulturelle Angebote,<br />
Arbeit fair teilen, Mindestlohn, soziale Gr<strong>und</strong>sicherung<br />
⊲ Regelsatz erhöhen, Mindestlohn <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>sicherung,<br />
Debatte um Wert des Menschen<br />
⊲ Solidarität <strong>und</strong> Umverteilung<br />
⊲ Umverteilung, Rechtsanspruch auf ganztägige Kinderbetreuung<br />
ab dem ersten Lebensjahr, gemeinsam Vereine gründen:<br />
Kitas, Frauenratschlag »Frauen wählen Frauen <strong>und</strong> kluge<br />
Männer auch«<br />
• in Göttingen:<br />
⊲ kostenlose Räume für Arbeitslosen-Treffs, finanzielle Situation<br />
von Hartz-IV-Empfängern verbessern, gebührenfreie Bildung<br />
für alle von Anfang an<br />
⊲ mindestens 990 Euro Regelsatz, Diskussion über die Ursachen,<br />
nicht an den Symptomen rumdoktern<br />
⊲ menschenwürdiges Einkommen, dafür <strong>Armut</strong>sgrenze neu<br />
festlegen<br />
⊲ Umverteilung von sozialversicherungspflichtiger Arbeit, um<br />
so die soziale Sicherung auszubauen<br />
⊲ Verteilungsgerechtigkeit<br />
• in Wilhelmshaven:<br />
⊲ Bedingungsloses Gr<strong>und</strong>einkommen als Praxis / Kulturentwicklung<br />
gegen bürgerliches, konsumorientiertes Kulturverständnis<br />
/ Gesetzesänderungen / »<strong>Ausgrenzung</strong> im eigenen<br />
Kopf beseitigen« / mehr Staat<br />
⊲ Arbeit für »Alle« zur wirtschaftlichen <strong>und</strong> sozialen Absicherung,<br />
Generationenvertrag<br />
⊲ kostenlose Bildung in Kita <strong>und</strong> Schule, kostenlose Angebote<br />
für musische Bildung <strong>und</strong> Sport; Erhöhung der Realeinkommen<br />
bei Renten, Arbeitseinkünften <strong>und</strong> Regelsätzen; Kindergeld<br />
nicht auf die Regelsätze anrechnen, mehr gesellschaftliche<br />
Aufklärung<br />
⊲ Politikwechsel, Barrieren abbauen, Gr<strong>und</strong>einkommen, Einzelfallhilfe,<br />
Rechte durchsetzen<br />
⊲ Umverteilung von oben nach unten <strong>und</strong> nicht umgekehrt,<br />
gesellschaftliche Teilhabe <strong>und</strong> Kultur, eine solidarische<br />
Gesellschaft anstreben, Aufklärung <strong>und</strong> Bewusstseinsbildung,<br />
bedingungsloses Gr<strong>und</strong>einkommen<br />
• in Wolfsburg:<br />
⊲ Mindestlohn, Leiharbeit abschaffen, keine Studiengebühr,<br />
Umverteilung, Arbeitszeit verkürzen<br />
⊲ Umverteilung von Reich nach Arm, menschenwürdige Bezahlung,<br />
Steuergerechtigkeit, unabhängige Aufklärung über<br />
<strong>Armut</strong><br />
⊲ soziale Gr<strong>und</strong>sicherung, gegliedertes Schulsystem abschaffen,<br />
Mindestlohn von mehr als acht Euro, Umverteilung von<br />
oben nach unten<br />
⊲ Arbeitsplätze zu Mindestlöhnen schaffen, Arbeitszeit verkürzen,<br />
Vermögen <strong>und</strong> Einkommen umverteilen, Teilhabe an Bildung,<br />
Kultur <strong>und</strong> Demokratie<br />
⊲ materielle <strong>und</strong> ethisch-moralische Voraussetzungen schaffen<br />
(gr<strong>und</strong>legende Systemveränderung)<br />
⊲ humane Gr<strong>und</strong>sicherung für Alle, Selbstbewusstsein der<br />
Betroffenen stärken <strong>und</strong> Solidarisierung mit ihnen<br />
Landtagsabgeordnete Christa Reichwaldt<br />
führte Patrick Humke-Focks als<br />
sozialpolitischer Sprecher der Landtagsfraktion<br />
DIE <strong>LINKE</strong> ins Thema ein. Uwe<br />
Helmes, der die Foren als Moderator<br />
mitkonzipiert <strong>und</strong> organisiert hat, erläuterte<br />
anhand von Fotos <strong>und</strong> kurzen Texten<br />
die Ziele, Methoden <strong>und</strong> Abläufe<br />
der regionalen Foren in Hannover, Göttingen,<br />
Wilhelmshaven <strong>und</strong> Wolfsburg.<br />
Alle Interessierten, die nicht daran teilgenommen<br />
hatten, erhielten so einen<br />
kurzen Einblick in die untypischen <strong>und</strong><br />
als sehr bereichernd empf<strong>und</strong>enen Veranstaltungen.<br />
Die Besucher/innen konnten<br />
sich auch in vier Themenecken über<br />
die Inhalte <strong>und</strong> Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen<br />
informieren. Neben einer Zusam-
Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen 6<br />
menfassung aller Meinungen <strong>und</strong> Wünsche<br />
stand zu jedem Themenbereich<br />
ein/e Vertreter/in der Landtagsfraktion<br />
bereit, um über Projektideen, konkrete<br />
Aktivitäten <strong>und</strong> politische Forderungen<br />
aus den Regionalforen zu berichten.<br />
Für die folgende Podiumsdiskussion<br />
hielten der Publizist <strong>und</strong> Vorsitzende der<br />
Marx-Engels-Stiftung, Dr. Werner Seppmann,<br />
<strong>und</strong> Inga Nitz, Mitglied der Bremischen<br />
Bürgerschaft <strong>und</strong> im Parteivorstand<br />
DIE <strong>LINKE</strong>, kurze Impulsreferate.<br />
Beide standen anschließend zusammen<br />
mit den Landtagsabgeordneten Christa<br />
Reichwaldt <strong>und</strong> Patrick Humke-Focks<br />
für Fragen <strong>und</strong> Statements der Besucher/innen<br />
bereit.<br />
Prof. Dr. Christoph Butterwegge<br />
von der Universität Köln <strong>und</strong> Koautor<br />
des Buches »Kinderarmut in Ost- <strong>und</strong><br />
Westdeutschland« gehörten die letzten<br />
45 Minuten. In seinem mitreißenden<br />
Vortrag ging er auf die Gründe<br />
<strong>und</strong> Folgen von <strong>Armut</strong> ein. Ein Schwerpunkt<br />
seines Vortrags waren die notwendigen<br />
Konsequenzen, um <strong>Armut</strong> zu<br />
bekämpfen. Politisch <strong>und</strong> gesellschaftlich<br />
müssten sich Menschen zusammentun<br />
<strong>und</strong> gemeinsam aktiv werden,<br />
so der <strong>Armut</strong>sforscher. Dies könne<br />
in Parteien, Gewerkschaften, Kirchen<br />
<strong>und</strong> Institutionen genauso geschehen<br />
wie in Stadtteilen <strong>und</strong> losen Zusammenschlüssen.<br />
Hauptsache, Betroffene<br />
<strong>und</strong> nicht direkt Betroffene würden<br />
an einem Strang ziehen <strong>und</strong> laut werden.<br />
Die Zeit, in der sich Arbeitslose<br />
zurückziehen, vereinsamen <strong>und</strong> immer<br />
leiser <strong>und</strong> unsichtbarer werden, müsse<br />
dringend vorbei sein, forderte Butterwegge.<br />
Hierfür seien die <strong>Armut</strong>sforen<br />
<strong>und</strong> die politische Konzentration die<br />
Linksfraktion auf dieses Thema wichtige<br />
Schritte.<br />
Zum Schluss bedankte sich Patrick<br />
Humke-Focks bei allen Beteiligten – vor<br />
allem bei Uwe Helmes für seine engagierte<br />
Organisation der Foren <strong>und</strong> Detlev<br />
Voigt, der die Veranstaltungsreihe<br />
von der Idee bis zu den lokalen <strong>Armut</strong>sforen<br />
begleitete. Ein besonderer Dank<br />
ging an die vielen Aktiven aus den<br />
Kreisverbänden in Hannover, Göttingen,<br />
Wilhelmshaven <strong>und</strong> Wolfsburg, ohne<br />
deren Engagement die Veranstaltungsreihe<br />
der Landtagsfraktion nicht möglich<br />
gewesen wäre.<br />
Maßnahmen gegen <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong><br />
Mindestlohn<br />
10 Euro<br />
Ehrenamt<br />
auch gegen<br />
Entlohnung<br />
gesellschaftlich<br />
notwendige<br />
Arbeit<br />
angemessen<br />
entlohnen<br />
Deckung des<br />
täglichen<br />
Bedarfs<br />
Keine Rentenabzüge<br />
für Langzeitarbeitslose/<br />
Hartz IV<br />
EU-Rente<br />
»Was ist im Bereich Arbeit, Ausbildung, Erwerbslosigkeit<br />
Existenzsichernde<br />
Entlohnung<br />
Keine unterschiedliche<br />
Bezahlung für<br />
gleiche Arbeit<br />
Weg mit 1-<br />
Euro-Jobs<br />
Einwirken auf<br />
öffentliche<br />
Auftragsvergabe<br />
Gr<strong>und</strong>versorgung<br />
sichern<br />
Soziale Sicherung<br />
anheben<br />
Gr<strong>und</strong>einkommen<br />
Gr<strong>und</strong>sicherung<br />
armutsfest<br />
Arbeit soll so<br />
bezahlt werden,<br />
dass man<br />
davon leben<br />
kann<br />
Keine ungewollte<br />
Frühverrentung<br />
Mindestlohn<br />
Repressionsfreie<br />
Gr<strong>und</strong>sicherung<br />
Hilfe <strong>und</strong><br />
Beratung<br />
Gute (ehrliche)<br />
Beratung<br />
für Sozialhilfeempfänger<br />
Geld für lokale<br />
Initiativen<br />
Arbeit des Jobcenter<br />
verbessern<br />
Vertretung<br />
Erwerbsloser<br />
in der Gesellschaft<br />
Sozialberatung<br />
Finanzierung
7 Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen<br />
etc. unbedingt zu tun, um <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong> zu <strong>verhindern</strong>?«<br />
Lebenslanges<br />
Lernen als<br />
Prinzip gesellschaftlichen<br />
Handelns<br />
Gesellschaftliche<br />
Bedingungen<br />
Privatisierung<br />
Solidargemeinschaft<br />
Keine<br />
Geschlechtsspezifische<br />
Ausbildung<br />
Schwächere<br />
unterstützen<br />
Arbeit, Ausbildung,<br />
Erwerbslosigkeit,<br />
Rente,<br />
Hartz IV etc.<br />
Kampf gegen<br />
<strong>Armut</strong> über<br />
Grenzen hinaus<br />
Wertvermittlung<br />
in<br />
der Schule/<br />
Familie fördern<br />
Initiativen,<br />
humanen<br />
Arbeitsmarkt<br />
fördern<br />
BBS als Auffangbecken<br />
abschaffen<br />
Ausbildungsbetreuung<br />
für<br />
sozial Schwache<br />
Ein Anspruch<br />
auf Erwerbsarbeit<br />
»Arbeit« neu<br />
definieren<br />
Nicht über<br />
<strong>Armut</strong>, sondern<br />
über<br />
Reichtum<br />
reden<br />
Kein Schulabschluss:<br />
soziales<br />
Jahr <strong>und</strong><br />
Weiterbildung<br />
Weiterbildung<br />
für Ältere<br />
Globalisierte<br />
Arbeitswelt<br />
Partizipation<br />
Mehr Arbeitsplätze<br />
(Weiter-)Bildung<br />
ermöglichen<br />
kreative, neue<br />
Ideen erkennen<br />
<strong>und</strong> fördern<br />
(Institution?)<br />
Outsourcing<br />
eindämmen<br />
Arbeitszeit<br />
Stärkere<br />
Zusammenarbeit<br />
zwischen<br />
Betrieben <strong>und</strong><br />
Schulen<br />
Jugendhäuser<br />
Bildungsförderung<br />
statt Bildungserwerb<br />
Ehrenamt<br />
nicht ausnutzen<br />
sinkendes<br />
Arbeitsvolumen<br />
gerecht/<br />
fair verteilen:<br />
Arbeitszeitverkürzung<br />
öffentlich<br />
geförderte<br />
Beschäftigung<br />
Umbau des<br />
Sozialstaats<br />
Investitionsabgabe<br />
Steuersystem<br />
SV-Arbeit<br />
statt 1-Euro-<br />
Jobs <strong>und</strong> ALG-<br />
Praktika<br />
Umverteilung<br />
von Arbeit auf<br />
mehr Stellen
Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen 8<br />
Eine politische Forderung aus<br />
Hannover:<br />
Sozial-Siegel<br />
Darum geht es:<br />
⊲ Verbraucher sollen beim Kauf/bei<br />
Nutzung bemerken können, ob Produkte/Dienstleistungen<br />
unter Einhaltung<br />
von:<br />
⋆ Tarifabsprachen<br />
⋆ Arbeitsschutz<br />
⋆ Mindeststandards ILO<br />
⋆ etc.<br />
hergestellt/erbracht werden<br />
⊲ Beitrag zur Solidarisierung<br />
Konkrete nächste Schritte:<br />
⊲ Ziel: B<strong>und</strong>esebene<br />
⊲ Hearing Fachleute – welche Standards?<br />
Kontrolle wer <strong>und</strong> wie?<br />
⊲ Landtagfraktion <strong>und</strong> B<strong>und</strong>esratsinitiative<br />
Wer macht es / sollte es machen?<br />
⊲ Gewerkschaften, Umweltverbände,<br />
Kirche, Wohlfahrtsverbände, Verbände<br />
Entwicklungshilfe <strong>und</strong> internationale<br />
Solidaritätsarbeit<br />
Eine Projektidee mit politischer Forderung<br />
aus Göttingen:<br />
Aktionstag im Rathaus<br />
Darum geht es:<br />
⊲ Sichtbarmachung von <strong>Armut</strong> <strong>und</strong><br />
Folgen, z. B. im Alltag<br />
⊲ auch für Menschen mit Einschränkungen<br />
⊲ Thema: Aussortierung von Kranken<br />
Konkrete Forderungen:<br />
⊲ Erhöhung von Renten bzw. SGB VII<br />
Konkrete nächste Schritte:<br />
⊲ Vernetzungstreffen: 16. 12. von 10 bis<br />
15 Uhr bei Ver.di<br />
⊲ Infotische, Transparente, Flyer<br />
erstellen<br />
⊲ Petitionen?<br />
Wer macht es / sollte es machen?<br />
⊲ Beatrice + Elos ver.di<br />
⊲ Petra + Die Linke (Gö)<br />
Eine politische Forderung aus<br />
Göttingen:<br />
menschenwürdiges Einkommen<br />
für alle<br />
Darum geht es:<br />
⊲ Kindergeld erhöhen – ohne Anrechnung<br />
350 €<br />
⊲ Wohnrecht für alle über 18 Jahre<br />
⊲ Hartz IV muss weg – bedarfsgerechter<br />
Regelsatz deutlich über 435 €<br />
⊲ Sozialticket<br />
⊲ Befreiung für Ges<strong>und</strong>heit<br />
Konkrete Forderungen:<br />
⊲ Wohngeld an den realen Kosten<br />
orientieren<br />
⊲ volle Übernahme der Nebenkosten<br />
⊲ Abschaffung von 1-Euro-Jobs<br />
Wer macht es / sollte es machen?<br />
⊲ Montagsveranstaltung aktivieren<br />
⊲ Gewerkschaftl. Erwerbslosengruppe<br />
⊲ sowohl Sozial-Forum <strong>und</strong> R<strong>und</strong>en<br />
Tisch einbeziehen<br />
Eine Projektidee aus Wolfsburg (selbst Utopie genannt):<br />
Leben von selbstbestimmter <strong>und</strong> gesellschaftlich<br />
nützlicher Arbeit (Gr<strong>und</strong>sicherung)<br />
Darum geht es:<br />
⊲ Ehrenarbeit, Hausarbeit, Pflege, Weiterbildung, Kultur,<br />
Ökologie, solidarische Ökonomie<br />
Konkrete Forderung:<br />
⊲ Verständigung auf erweiterten Arbeitsbegriff<br />
⊲ darauf bezogene Öffentlichkeits- <strong>und</strong> Bildungsarbeit<br />
Wer macht es / sollte es machen?<br />
⊲ Roland –- AWO: Leserbrief, Geld/Spenden sammeln<br />
⊲ Sven -– Skarabeus, Clawadenko<br />
⊲ Stephan -– attac: gewerkschaftliche Bildungsarbeit<br />
⊲ Rosa-Luxemburg-Stiftung<br />
Eine politische Forderung aus Wolfsburg:<br />
altersgerechte Arbeitsbedingungen<br />
Darum geht es:<br />
⊲ Freiwillig/kein Zwang zur Frühverrentung<br />
⊲ Arbeitszeitverkürzung (Lohnausgleich)<br />
⊲ Berufsgruppengerechte Lösungen<br />
Konkrete Forderung:<br />
⊲ Gesetzliche Gr<strong>und</strong>lage schaffen<br />
⊲ Wissenschaft einschalten<br />
⊲ Verbände beteiligen/Gewerkschaften<br />
Wer macht es / sollte es machen?<br />
⊲ Die Linke (wir suchen weitere Verbündete)
9 Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen<br />
Eine Projektidee aus Göttingen:<br />
existenzsichernde Entlohnung<br />
Darum geht es:<br />
⊲ Mehr Arbeitsplätze<br />
⊲ Tariflohn – Selbstverpflichtung der Kommunen<br />
durch Ratsbeschluss<br />
⊲ Mindestlohn<br />
Konkrete nächste Schritte:<br />
⊲ Solidarität der Partei bei örtlichen Streiks<br />
⊲ Aktion zur Wochenend-/Feiertagsarbeit<br />
⊲ 8. März (Internationaler Frauentag)<br />
⊲ Kooperation mit Gewerkschaften (DGB, FAU<br />
etc.)<br />
⊲ Teilnahme an 1. Mai-Demo/-K<strong>und</strong>gebung<br />
(eigene Transparente, eigene Redebeiträge,<br />
eigene Infostände, »lustige« Aktionen –- aufmerksamkeitswirksam!)<br />
⊲ Gründung einer AG »Betrieb + Gewerkschaft«<br />
⊲ Mindestlohnkampagne re-aktivieren (Infostand)<br />
Wer macht es / sollte es machen?<br />
⊲ Wir alle !<br />
⊲ Ansprechen: Andreas G.<br />
⊲ Erwerbslosen-VertreterInnen<br />
Eine Projektidee aus Wolfsburg:<br />
Mindestlohn – »Wert der Ware Arbeitskraft«<br />
Darum geht es:<br />
⊲ Gesetzliche Mindestlohn einführen<br />
⊲ muss sich immer an den realen Kosten für<br />
»Leben« orientieren (Warenkorb?)<br />
⊲ muss gesellschaftlich akzeptiert sein<br />
⊲ Möglichkeiten zur Weiterentwicklung müssen<br />
vorhanden sein<br />
⊲ Ist das »mindeste«<br />
Konkrete nächste Schritte:<br />
⊲ Gegenargumente entkräften! (Vergleich mit<br />
anderen Ländern)<br />
⊲ Verbündete gewinnen – Solidarität: Organisation<br />
<strong>und</strong> Personengruppen (Rentner)<br />
⊲ Aufklärung über gesellschaftliches Prinzip<br />
⊲ Diskussion mit Gewerkschaften über Tarifpolitik<br />
⊲ flächendeckende Aktionen: Flyer, Plakate,<br />
Demo der Massen<br />
Wer macht es / sollte es machen?<br />
⊲ Gewerkschaften<br />
⊲ Andere Parteien ???<br />
⊲ »Betroffene« gewinnen (ist schwer)<br />
Arbeit, Ausbildung,<br />
Erwerbslosigkeit,<br />
Rente,<br />
Hartz IV etc.<br />
Eine politische Forderung aus<br />
Wolfsburg:<br />
familiengerechte Arbeitsplätze<br />
Darum geht es:<br />
⊲ es gibt zu wenig familienfre<strong>und</strong>liche<br />
Arbeitsplätze, vor allem für Alleinerziehende<br />
⊲ Schaffung individueller Kinderbetreuung<br />
Konkrete Forderung:<br />
⊲ steuerliche Vorteile für Betriebe<br />
schaffen<br />
⊲ Modell: Arbeitsplatzteilung<br />
⊲ kommunale Arbeitgeber als Vorbilder<br />
Wer macht es / sollte es machen?<br />
⊲ Ebene 1: Stadtrat<br />
⊲ Ebene 2: Landtag<br />
Eine politische Forderung aus<br />
Wilhelmshaven:<br />
Förderung von Beratungsstellen<br />
Darum geht es:<br />
⊲ Beratung findet nicht im Amt statt!<br />
⊲ Deshalb muss die unabhängige<br />
Beratung gefördert werden<br />
Konkrete Forderung:<br />
⊲ Beratungseinrichtungen bestehen in<br />
vielen Orten Niedersachsens<br />
⊲ diese sind zu fördern<br />
Wer macht es / sollte es machen?<br />
⊲ Politik/Parteien<br />
⊲ Arbeitsministerium<br />
Eine politische Forderung aus<br />
Wilhelmshaven:<br />
Stärkung der Selbsthilfe<br />
Darum geht es:<br />
⊲ Die Förderung von Arbeitslosen-<br />
Initiativen etc. wurde zusammengestrichen,<br />
seitdem können diese<br />
kaum ihre Arbeit <strong>und</strong> Aufgaben<br />
wahrnehmen<br />
Konkrete Forderung:<br />
⊲ Förderung der Ali u. ä. wiederherstellen<br />
(z. B. FAS)<br />
Wer macht es / sollte es machen?<br />
⊲ Ratsfraktion »Die Linke« LAW<br />
⊲ Landtagsfraktion Die Linke
Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen 10<br />
Angebote unabhängig<br />
vom Geld<br />
Angebote<br />
verbessern<br />
(Weiter-)Bildung<br />
ermöglichen<br />
Qualität von<br />
Zahnprothesen<br />
Zuzahlung<br />
Gr<strong>und</strong>, keine<br />
Medikamente<br />
zu nehmen<br />
keine Zwei-<br />
Klassen-<br />
Medizin<br />
Ehrenamt im<br />
Ges<strong>und</strong>heitswesen<br />
nicht<br />
ausnutzen<br />
Stärkere<br />
Zusammenarbeit<br />
zwischen<br />
Betrieben <strong>und</strong><br />
Schulen<br />
Wenig Geld =<br />
schlechte<br />
Zähne<br />
Prophylaxe<br />
als Kassenleistung<br />
Ges<strong>und</strong>heit ist<br />
keine Ware<br />
Gemeindeschwester,<br />
Familienhelfer<br />
Jugendhäuser<br />
keine Zuzahlungen<br />
freie Ges<strong>und</strong>heitsvorsorge<br />
Kosten der<br />
medizinischen<br />
Versorgung zu<br />
hoch<br />
Pflege ambulant<br />
<strong>und</strong> stationär<br />
Bildungsförderung<br />
statt<br />
Bildungswettbewerb<br />
Besondere Bedarfe<br />
Ges<strong>und</strong>heitszentren<br />
Ges<strong>und</strong>heitssystem<br />
besser<br />
gegen Vereinsamung<br />
<strong>und</strong><br />
Isolation alter<br />
Menschen in<br />
Pflege<br />
Vorsorge im<br />
Alter sichern<br />
Hilfen für Menschen<br />
mit<br />
Behinderung<br />
einkommensunabhängig<br />
Polikliniken<br />
Agenda 2010<br />
zurücknehmen<br />
fehlendes Geld<br />
für Hilfsmittel:<br />
Rollstuhl,<br />
Sondermaßnahmen<br />
keine Finanzierung<br />
von<br />
Hilfskräften<br />
zum Putzen,<br />
Einkaufen,<br />
Schreibarbeiten<br />
. . .<br />
Rehabilitation,<br />
Integration in<br />
Gesellschaft<br />
sichern<br />
Alter/Behinderung<br />
→<br />
weniger Teilnahme<br />
an<br />
kultur. Veranstaltungen/<br />
Vereinen<br />
Inklusion<br />
Behinderter<br />
Ges<strong>und</strong>heitsförderndes<br />
Umfeld<br />
Ges<strong>und</strong>heitserziehung<br />
in<br />
der Schule<br />
Eindämmung<br />
von Krankheit<br />
durch gute<br />
Umwelt<br />
Ärzte Regress<br />
wegen<br />
Medikamenten-<br />
Verschreibung<br />
Gr<strong>und</strong>versorgung<br />
<strong>und</strong> -vorsorge<br />
sichern<br />
»Was ist im Bereich Ges<strong>und</strong>heit, Krankheit, Behinderung, Alter etc. unbedingt zu<br />
tun, um <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong> zu <strong>verhindern</strong>?«
11 Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen<br />
Eine politische Forderung aus Hannover<br />
Ges<strong>und</strong>heitszentren<br />
Darum geht es:<br />
⊲ einheitliches Angebot<br />
⊲ ganzheitliche Medizin<br />
⊲ Verknüpfung ambulante – stationäre Versorgung<br />
Konkrete Forderungen:<br />
⊲ Finanzierung durch Bürgerversicherung (paritätische<br />
Finanzierung)<br />
⊲ Globalbudget ohne Grenzen<br />
Eine Projektidee aus Wilhelmshaven:<br />
Schule & Ges<strong>und</strong>heit<br />
Darum geht es:<br />
⊲ Ges<strong>und</strong>heitsbeauftragte in jeder Schule<br />
⊲ Treffen sich öffentlich – Einbindung Eltern/<br />
Schule<br />
⊲ ges<strong>und</strong>es, kostenloses Schulmittagessen<br />
⊲ Lehrplan überprüfen bezüglich Ges<strong>und</strong>heitsaufklärung<br />
⊲ Inklusive Beschulung in der Regelschule<br />
(Behinderte/nicht-Behinderte)<br />
Konkrete Forderungen:<br />
Ges<strong>und</strong>heit,<br />
Krankheit,<br />
Behinderung,<br />
Alter etc.<br />
Wer macht es / sollte es machen?<br />
⊲ Ver.di<br />
⊲ DGB<br />
⊲ SoVD<br />
⊲ Marburger B<strong>und</strong><br />
Wer ist dagegen?<br />
⊲ Krankenhaus-Konzerne<br />
⊲ Pharma- <strong>und</strong> Geräteindustrie<br />
⊲ Unternehmerverbände<br />
Eine Projektidee aus Wolfsburg:<br />
menschenwürdige Pflege im<br />
Alter<br />
Darum geht es:<br />
⊲ R<strong>und</strong>er Tisch mit Trägern zur Problemsensibilisierung<br />
⊲ »satt, warm sauber« XXL plus: Kommunikation,<br />
Zuwendung, Freizeitangebote,<br />
soziale Einbindung<br />
Konkrete nächste Schritte:<br />
⊲ weitergehende Leistungen <strong>und</strong> Zeit<br />
bereitstellen<br />
⊲ qualifiziertes Personal einstellen<br />
⊲ Abbau der Qualitätskluft am/<br />
zwischen/in den Heimen<br />
⊲ Geld generieren<br />
⊲ Anfrage Landesregierung: UN-Menschenrechts-<br />
Charta bzgl. der Umsetzung → Menschen<br />
mit Behinderung (Stichwort: jegliche Barrierebeseitigung)<br />
⊲ Entschließungsantrag Landtag → Steuerfinanziertes<br />
Schulmittagessen (ges<strong>und</strong>, regionaler<br />
Einkauf)<br />
⊲ Anfrage zum Lehrplan Landesregierung <strong>und</strong><br />
»nachpieksen«<br />
⊲ Einrichtung einer Stelle für die Ges<strong>und</strong>heitsbeauftragten<br />
aller Schulen<br />
Wer macht es / sollte es machen?<br />
⊲ Landtagsfraktion<br />
⊲ Expertenkomitee<br />
⊲ Eltern- <strong>und</strong> Schülervertretung<br />
Eine politische Forderung aus Wilhelmshaven:<br />
Ehrenamt<br />
Darum geht es:<br />
⊲ Förderung der Debatte um Sinn <strong>und</strong> Unsinn<br />
des Ehrenamts<br />
⊲ Umsetzung durch Einrichtung eines Büros<br />
in Gemeinde<br />
⊲ dort: Entscheidungsfällung durch unabhängige<br />
Ehrenamtliche zur Vermeidung von<br />
finanzieller Ausnutzung <strong>und</strong> Zerstörung von<br />
Arbeitsplätzen durch den Einsatz Ehrenamtlicher<br />
Konkrete nächste Schritte:<br />
Eine Projektidee aus<br />
Wilhelmshaven:<br />
Ombudsmann<br />
Darum geht es:<br />
⊲ Einrichtung eines Ombudsmanns,<br />
zuständig für die<br />
hiesigen Krankenhäuser<br />
Konkrete nächste Schritte:<br />
⊲ Wiederholungsantrag<br />
Wer macht es / sollte es<br />
machen?<br />
Wer macht es / sollte es machen?<br />
⊲ öffentliche <strong>und</strong> freie Träger<br />
⊲ politische Gremien<br />
⊲ betroffene Heimbewohner<br />
⊲ Fachpersonalvertreter<br />
⊲ Schaffung einer hauptamtlichen Stelle zur<br />
Erledigung der Organisation<br />
⊲ dann Bildung eines Gremiums aus ehrenamtlichen<br />
Mitarbeitern, die letztendlich<br />
entscheiden<br />
⊲ Fachleute (z. B. AWO) nur als Beisitzer<br />
⊲ Ratsherren
Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen 12<br />
Familien<br />
unterstützen<br />
gute Ausstattung<br />
keine »Nebenkosten«<br />
Fehlende<br />
Betreuung<br />
→ prekäre<br />
Beschäftigung<br />
(v. a. Frauen)<br />
kein Geld für<br />
Geburtstags-/<br />
Weihnachtsgeschenke<br />
=<br />
grausam<br />
Kindergeld<br />
mindestens<br />
350 Euro ohne<br />
Anrechnung<br />
Kitas/Schulen<br />
in armen<br />
Stadtteilen<br />
besonders<br />
ausstatten<br />
kostenpflichtige<br />
»Zusatzangebote«<br />
musikalisch,<br />
Fremdsprachen,<br />
AGs<br />
Klassenfahrten<br />
Familien werden<br />
finanziell<br />
benachteiligt<br />
unterschiedliches<br />
Einkommen<br />
= unterschiedliche<br />
Kleidung<br />
Hilfs-, Beratungsangebote<br />
wohnortnah<br />
Schul-Sozialarbeiter<br />
Schulmaterialien<br />
Schulessen<br />
Kinder-<br />
Wohngeld<br />
(WHV) weg<br />
Hartz IV muss<br />
weg<br />
Recht auf freie<br />
Krippen- <strong>und</strong><br />
Kitaplätze für<br />
alle<br />
Personell/<br />
materiell<br />
bedarfsgerechte<br />
Ausstattung<br />
Kita/<br />
Schule<br />
kostenlose<br />
Schülerbeförderung<br />
Besseres<br />
Schulsystem<br />
Benachteiligte<br />
unterstützen<br />
kostenfreie Bildung<br />
Kita-Gruppen<strong>und</strong><br />
Klassengrößen<br />
verkleinern<br />
bessere Unis<br />
höhere Qualitätsstandards<br />
individuelle<br />
Fähigkeiten<br />
finden <strong>und</strong><br />
stärken<br />
Abschaffung<br />
der Studiengebühren<br />
kostenfreie<br />
Ganztagsbetreuung<br />
Gesamtschulen<br />
flächendeckend<br />
IGS als Regelschule<br />
Kita gehört<br />
zum Bildungssystem<br />
Förderung von<br />
schwachen/<br />
oft ausländischen<br />
Schülern<br />
Existenzsicherndes<br />
BAFöG<br />
Lernmittelfreiheit<br />
Eliten-Frage<br />
soziale Betreuung<br />
im Bildungssystem<br />
Integrierte<br />
Gesamtschulen<br />
Kostenlose<br />
Nachhilfe<br />
von Kita bis<br />
zur Uni frei<br />
»Was ist im Bereich Kinder, Jugend, Familie, (Aus-)Bildung etc.<br />
unbedingt zu tun, um <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong> zu <strong>verhindern</strong>?«<br />
Ausbildung
13 Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen<br />
Eine Projektidee <strong>und</strong> politische Forderungen<br />
aus Göttingen:<br />
Bildung für alle<br />
Darum geht es:<br />
⊲ kostenlose, gute Bildung für alle von der Kita<br />
bis zur Uni<br />
⊲ Schulbedingungen nach Bedarf – Brennpunkte<br />
⊲ Schul-Sozialarbeit<br />
⊲ kostenloses Essen, Schulbeförderung usw.<br />
⊲ Bildungsreform<br />
Konkrete Forderungen:<br />
⊲ Brennpunkte, z. B. Grone werden Schwerpunkte<br />
(bessere Personaldecke, kleinere<br />
Gruppen usw.)<br />
⊲ Flächendeckende Integrationsklassen <strong>und</strong><br />
Einzelintegration<br />
⊲ kostenlose Beförderung <strong>und</strong> Essen in Kitas<br />
<strong>und</strong> Schulen<br />
Konkrete nächste Schritte:<br />
⊲ kontinuierliche Teilnahme am »R<strong>und</strong>en Tisch<br />
armes Göttingen«<br />
⊲ Antidiskriminierungskampagne entwickeln<br />
→ Kreisverband Göttingen<br />
Wer macht es / sollte es machen?<br />
⊲ Ratsfraktion <strong>und</strong> Kreistag → Andreas Gemmecke<br />
⊲ R<strong>und</strong>er Tisch → Barbara Kunis<br />
Eine Projektidee mit politischer Forderung aus<br />
Wilhelmshaven:<br />
Bildung, Freizeit, Vereine<br />
Darum geht es:<br />
⊲ Gebührenbefreiung von Vereinen<br />
⊲ größere finanzielle Förderung von Vereinen<br />
⊲ Mobilität für alle!<br />
⊲ gebührenfreie Bildung von der Wiege bis zur<br />
Bahre<br />
⊲ qualitativ hochwertige Bildung<br />
Konkrete Forderung:<br />
⊲ kostenloser ÖPNV → Ratsinitiative<br />
⊲ Gebührenbefreiung (z. B. Müllgebühren, Hallennutzungsgebühren<br />
etc.) → Ratsinitiative<br />
Konkrete nächste Schritte:<br />
⊲ direkte finanzielle Zuschüsse für Vereine<br />
⊲ Gebührenfreiheit für Lehr- <strong>und</strong> Lernmittel<br />
⊲ bessere Ausbildung von pädagogischen<br />
Fachkräften<br />
⊲ Abschaffung des selektiven Schulsystems<br />
⊲ bestmögliche Bildung des Einzelnen/Bildung<br />
soll dem Menschen dienen <strong>und</strong> nicht dem<br />
Markt<br />
Wer macht es / sollte es machen?<br />
⊲ Regina Mickert/Wittm<strong>und</strong>, Vorstandsmitglied<br />
⊲ Klaus Heckenbach/WHV<br />
⊲ Martina Gerdes-Borreck/KV-Friesland, Vorstandsmitglied<br />
Kinder,<br />
Jugend,<br />
Familie,<br />
(Aus-)Bildung,<br />
Hilfe, Beratung<br />
etc.<br />
Ausbildungsgarantie<br />
Eine politische Forderung mit Projektansatz aus<br />
Wilhelmshaven:<br />
Rechtmäßigkeit des Kinderwohngeldes<br />
überprüfen<br />
Darum geht es:<br />
⊲ Kinder aus SGB-II-Bedarfsgemeinschaften<br />
bekommen Wohngeld <strong>und</strong> fallen dadurch aus<br />
dem Leistungsbezug des SGB II heraus<br />
Konkrete nächste Schritte:<br />
⊲ Informationen einholen <strong>und</strong> streuen (KV, LTF,<br />
BTF, Initiativen)<br />
⊲ Netzwerke bilden<br />
⊲ Rechtmäßigkeit prüfen, ggf. klagen<br />
⊲ anschließend Aktion/Öffentlichkeitsarbeit<br />
Wer macht es / sollte es machen?<br />
⊲ Herward Meier, Anette Nowak, Patrick Humke-<br />
Focks<br />
⊲ Arbeitsloseninitiativen WHV <strong>und</strong> FRI<br />
Eine politische Forderung aus Hannover:<br />
Bildung<br />
Darum geht es:<br />
⊲ verbindliche pädagogische Standards in der<br />
vorschulischen Bildung<br />
⊲ Hochschulausbildung für Erzieher/innen<br />
⊲ gemeinsame Stufe bis Klasse 10<br />
⊲ kleine Klassen, Lernmittelfreiheit<br />
⊲ Rechtsanspruch auf einen gebührenfreien<br />
Ganztagsbetreuungsplatz<br />
Konkrete nächste Schritte:<br />
⊲ Elternfonds<br />
⊲ Petition, parlamentarische Initiativen<br />
⊲ Kita-Kampagne<br />
Wer macht es / sollte es machen?<br />
⊲ Eltern- <strong>und</strong> Schülerräte, BI, DIE <strong>LINKE</strong>
Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen 14<br />
Eine politische Forderung mit<br />
Aktivitätenansatz aus Göttingen:<br />
Bildung <strong>und</strong> Ausbildung<br />
Darum geht es:<br />
⊲ IGS, gute Schulbildung<br />
⊲ Ausbildungsgarantie<br />
⊲ Studium mit Existenzsicherung<br />
⊲ Abschaffung Studiengebühren<br />
⊲ Weiterbildung<br />
Konkrete nächste Schritte:<br />
⊲ parlamentarische Mehrheiten<br />
herstellen<br />
⊲ Öffentlichkeitsarbeit<br />
Konkrete Unterstützung vor Ort:<br />
⊲ Elternproteste<br />
⊲ (noch mehr) Elternproteste<br />
⊲ Boykott, Protest, Sammelklage<br />
Wer macht es / sollte es machen?<br />
⊲ Gewerkschaften<br />
⊲ Betroffene<br />
⊲ Erwerbslosengruppe<br />
⊲ Partei<br />
Anbindung,<br />
Infrastruktur<br />
aller Wohngebiete<br />
sichern<br />
Familien-<br />
Fahrkarte<br />
Ausbau des<br />
ÖPNV<br />
Mobilität<br />
sicherstellen<br />
Regional-<br />
Pass (Mobilcard,<br />
Region-<br />
Hannover-<br />
Pass)<br />
Mobilität<br />
sicherstellen<br />
solidarisches<br />
Wohnen<br />
flexible<br />
Wohnformen<br />
ÖPNV barrierefrei<br />
gestalten<br />
Mehrgenerationen-Wohnformen<br />
Barrierefreiheit<br />
beachten<br />
unterschiedliche<br />
Lebensformen<br />
berücksichtigen<br />
neue Wohnformen<br />
schaffen<br />
Eine politische Forderung mit<br />
Projektansatz aus Wolfsburg:<br />
Veraltete Bildungsstrukturen<br />
Darum geht es:<br />
⊲ das Bildungssystem ist nicht<br />
weiterentwickelt worden<br />
⊲ keine Bildungschancengleichheit<br />
⊲ fehlende qualifizierte Arbeitskräfte<br />
(Erzieher/innen, Sozialarbeiter/innen,<br />
Pädagog/innen)<br />
Konkrete nächste Schritte:<br />
⊲ Vernetzung von Kitas, Schulen,<br />
sozialen Einrichtungen <strong>und</strong><br />
Eltern<br />
⊲ Forum der Vertreter/innen bilden<br />
Konkrete Forderung:<br />
⊲ Abschaffung der Bildungsgebühr<br />
für alle<br />
⊲ Einführung von Gesamtschulen<br />
⊲ kontinuierliche Aktualisierung<br />
der Bildungsstandards<br />
Wer macht es / sollte es machen?<br />
⊲ vor Ort: Eltern <strong>und</strong> Bildungs-/<br />
Sozialeinrichtungen<br />
⊲ politisch: Ortsräte, Stadträte,<br />
Landtag<br />
Tauschringe,<br />
Selbsthilfe,<br />
Nachbarschaft<br />
fördern<br />
Besuchsdienst<br />
Begegnung,<br />
Gemeinschaft<br />
Begegnungsstätten,<br />
Sozialarbeit,<br />
Mediation<br />
Stadtteilzentren<br />
Gemeinsame<br />
Räume (Gärten,<br />
Gemeinschaftshaus,<br />
Treffpunkte,<br />
Spielplatz)<br />
menschenwürdiges<br />
Wohnen<br />
keine Schnüffelei<br />
durch<br />
Behörden<br />
Anhebung der<br />
Wohnungsgrößen<br />
Toiletten Recht auf<strong>und</strong><br />
menschenwürdiges<br />
Wohnung<br />
Bad in jeder<br />
Wohnen<br />
»Was ist im Bereich Wohnen, Leben, Freizeit, Mobilität, Miteinander
15 Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen<br />
Wohnumfeld<br />
verbessern<br />
keine Getto-Bildung<br />
Rückbau<br />
Auflockerung<br />
enger Bebauung<br />
Spielflächen,<br />
Freizeitangebote,<br />
Parks<br />
schaffen<br />
freie Wahl der<br />
Wohnung<br />
Wohnen,<br />
Leben,<br />
Freizeit,<br />
Mobilität,<br />
Miteinander<br />
etc.<br />
Vermeidung<br />
von Angst-<br />
Räumen<br />
Jugendarbeit<br />
im Lebensumfeld<br />
Nachbarschaftshilfe<br />
organisieren<br />
Identität zum<br />
Viertel stärken<br />
weniger Cityorientierte<br />
Stadtplanung<br />
Lärmschutz<br />
innerhalb/<br />
außerhalb der<br />
Wohnung<br />
Gr<strong>und</strong>versorgung<br />
im Quartier<br />
sichern<br />
Quartiere besser<br />
mischen<br />
Vereine, Freizeit<br />
bezahlbares<br />
Wohnen<br />
Sozialcard<br />
Vereine zahlen<br />
keine Gebühren<br />
(Müll, Hallenbenutzung,<br />
. . . )<br />
kein Leerstand<br />
für Spekulationsobjekte<br />
Wohnungslosigkeit<br />
<strong>verhindern</strong><br />
Förderung von<br />
ökologischen<br />
Investitionen<br />
→ Wärmedämmung<br />
Übernahme<br />
von Mitgliedsbeiträgen<br />
Freizeit, Sport,<br />
Kultur → kostenlos<br />
genossenschaftliche<br />
Organisation<br />
des Wohnens<br />
städtische<br />
Konzepte<br />
regenerative<br />
Energie<br />
stärkere finanzielle<br />
Unterstützung<br />
flexibler Wohnraum<br />
(bezahlbar)<br />
einkommensabhängige<br />
Energiekostenzuschüsse<br />
etc. unbedingt zu tun, um <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong> zu <strong>verhindern</strong>?«
Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen 16<br />
Eine Projektidee aus Hannover:<br />
Recht auf menschenwürdiges Wohnen<br />
Darum geht es:<br />
⊲ Schaffen von Gemeinschafts-Räumen<br />
⊲ Treffpunkte in Nachbarschaften schaffen<br />
⊲ Stadtteilzentren (für Aktivitäten von/für Bürger/innen)<br />
⊲ Gärten (verantwortlich z. B. Hausgemeinschaften),<br />
Hinterhöfe etc.<br />
Voraussetzungen:<br />
⊲ solidarisches Wohnen, interkulturelles Wohnen<br />
⊲ bezahlbarer Wohnraum<br />
Umsetzung zunächst bei:<br />
⊲ städtische Wohnungen, Genossenschaften <strong>und</strong> Wohnungsbaugesellschaften<br />
Konkrete nächste Schritte:<br />
⊲ vorhandene Beispiele andernorts anschauen<br />
⊲ Mitgliedschaften in Genossenschaften <strong>und</strong> Wohnungsbaugesellschaften<br />
nutzen<br />
⊲ Einladungstreffen von/mit Multiplikatoren<br />
⊲ auf kommunaler Ebene Einfluss auf städtische Wohnung<br />
nehmen (Anträge, Bündnisse, Forderung etc.)<br />
⊲ wo es möglich ist, ggf. individuell an private Vermieter<br />
herantreten<br />
⊲ Menschen durch Öffentlichkeitsarbeit gewinnen<br />
⊲ Jutta <strong>und</strong> Patrick erarbeiten Vorschlag für die Partei<br />
<strong>und</strong> die Fraktionen<br />
Wer macht es / sollte es machen?<br />
⊲ Partei, Fraktionen<br />
⊲ Genossenschaftsmitglieder über Einfluss auf Vertreterversammlungen<br />
⊲ Wohnungsbaugesellschaften<br />
⊲ Wohlfahrt- <strong>und</strong> Sozialverbände, Kirchen etc.<br />
Eine Projektidee aus Wolfsburg:<br />
Einführung MOBILCARD<br />
Darum geht es:<br />
⊲ Ermäßigte Fahrpreise im ÖPNV für »Arme«<br />
⊲ Bündnis- <strong>und</strong> Netzwerkarbeit in dieser Sache entwickeln<br />
Konkrete nächste Schritte:<br />
⊲ Leserbrief/-Kampagne<br />
⊲ Gipfelgespräch Patta mit OB<br />
⊲ Zusammenarbeit mit B’90 <strong>und</strong> SPD suchen<br />
⊲ Anfrage im Rat durch WL<br />
⊲ Einwohnerfragest<strong>und</strong>e nutzen<br />
⊲ Zusammenarbeit mit Ver.di (Busfahrer)<br />
⊲ Gründung eines Bündnisses für die Mobilkarte<br />
⊲ Mögliche Aktionen: Infostände <strong>und</strong> Unterschriften<br />
sammeln (auch im VW-Werk)<br />
⊲ Wohlfahrtsverbände <strong>und</strong> Kirchen ansprechen<br />
Wer macht es / sollte es machen?<br />
⊲ IGM-AK<br />
⊲ WL (Stadtrat)<br />
⊲ DIE <strong>LINKE</strong><br />
Eine Projektidee aus Wilhelmshaven:<br />
Stadtteilarbeit<br />
Beratung/Hilfestellung in sozialen Fragen<br />
Darum geht es:<br />
⊲ Initiativen, Netzwerke nutzen, ausbauen, schaffen<br />
⋆ ALI<br />
⋆ Tauschring<br />
⋆ Insolvenzhilfe<br />
⋆ ALSO<br />
⋆ Mütterzentrum<br />
⋆ sozialpsychiatrischer Dienst<br />
Konkrete nächste Schritte:<br />
⊲ Erfahrungsaustausch findet regelmäßig statt<br />
⊲ Besuchsdienst<br />
Wer macht es / sollte es machen?<br />
⊲ siehe oben
17 Ergebnisse der <strong>Armut</strong>sforen<br />
Eine Projektidee aus Wilhelmshaven:<br />
Dialog zwischen »Jung <strong>und</strong> Alt«<br />
Darum geht es:<br />
⊲ Vorstellungen »junger Menschen« an ihr<br />
Leben <strong>und</strong> an die gesellschaftliche Entwicklung<br />
zum Thema machen <strong>und</strong> ins Interesse<br />
älterer Menschen rücken<br />
Konkrete nächste Schritte:<br />
⊲ junge Menschen dort ansprechen, wo sie<br />
sind<br />
⊲ Personen (Lehrer/Sozialarbeiter) ansprechen<br />
⊲ Anzeige im Gegenwind<br />
Wer macht es / sollte es machen?<br />
⊲ »Alle die wollen«<br />
Eine politische Forderung aus Wilhelmshaven:<br />
Dialog zwischen »Jung <strong>und</strong> Alt«<br />
Darum geht es:<br />
⊲ Jung <strong>und</strong> Alt müssen in einen Austausch<br />
über die zukünftige Entwicklung der Gesellschaft<br />
kommen<br />
Konkrete Forderung:<br />
⊲ Diesen als festen Bestandteil in den Schulunterricht<br />
aufnehmen<br />
Wer macht es / sollte es machen?<br />
⊲ Kultusministerium<br />
⊲ Parteien<br />
Wohnen,<br />
Leben,<br />
Freizeit,<br />
Mobilität,<br />
Miteinander<br />
etc.<br />
Eine Projektidee aus Wilhelmshaven:<br />
alternative Wohnformen<br />
Darum geht es:<br />
⊲ Mehrgenerationenhaus<br />
⊲ Ergänzung in sozialen Belangen<br />
⊲ gegenseitige Hilfe im Alltag<br />
⊲ Beibehaltung des Selbstwertgefühls<br />
Konkrete nächste Schritte:<br />
⊲ Infobeschaffung<br />
⊲ Öffentlichkeitsarbeit<br />
⊲ Referent einladen<br />
Wer macht es / sollte es machen?<br />
⊲ Parteien<br />
⊲ Sozialverbände/Initiativen<br />
⊲ Stadt/Verwaltung<br />
⊲ Öffentlichkeit<br />
⊲ Bürger<br />
Eine Projektidee aus Wilhelmshaven:<br />
Nachbarschafts-Laden<br />
Darum geht es:<br />
⊲ Gemeinsam zu nutzende (Wohn-)<br />
Räume für soziale Belange <strong>und</strong> Aktivitäten<br />
Konkrete nächste Schritte:<br />
⊲ Bündnispartner suchen!<br />
⊲ Stadtverwaltung <strong>und</strong> Rat einbinden<br />
(Gespräche führen)<br />
Wer macht es / sollte es machen?<br />
⊲ Kirchen<br />
⊲ Sozialverbände<br />
⊲ Parteien (DIE <strong>LINKE</strong>)<br />
⊲ Gewerkschaften<br />
⊲ etc.<br />
Eine Projektidee mit politischer Forderung<br />
aus Göttingen:<br />
Quartiersverbesserung<br />
Darum geht es:<br />
⊲ Identifizierung mit dem Wohnviertel/dem<br />
Ort<br />
⊲ Gr<strong>und</strong>versorgung im Stadtteil/in<br />
der Region sichern<br />
⊲ Mindeststandards für das Wohnen<br />
Konkrete Forderung:<br />
⊲ Nachbarschaftshilfe stärken/<br />
Nachbarschafts-Laden<br />
⊲ Spiel- <strong>und</strong> Freizeitflächen schaffen<br />
⊲ Sozialarbeit/Quartiersmanagement/Gemeinwesenarbeit<br />
⊲ Anreize für wohnungsnahes Kleingewerbe<br />
schaffen – Wochenmarkt<br />
Wer macht es / sollte es machen?<br />
⊲ GöLinke-Fraktion <strong>und</strong> ggf. andere<br />
Parteien<br />
⊲ berufsständige Organisationen<br />
⊲ Kirchen<br />
⊲ Sozialverbände<br />
⊲ etc.
Kinderarmut – Ursachen <strong>und</strong> Folgen 18<br />
3 Kinderarmut – Ursachen – Ursachen <strong>und</strong> Folgen<strong>und</strong> Folgen<br />
Dr. Michael Kl<strong>und</strong>t<br />
Deutschland ist eines der reichsten<br />
Länder der Welt, <strong>und</strong> der Reichtum in<br />
Deutschland ist in den vergangenen Jahren<br />
rapide angewachsen. Zwischen den<br />
Jahren 2000 <strong>und</strong> 2007 hat sich allein<br />
das Geldvermögen von gut zwei Billionen<br />
Euro auf 4,6 Billionen Euro mehr<br />
als verdoppelt. Allerdings konzentriert<br />
sich das Vermögen auf eine immer kleinere,<br />
dafür immer reichere Schicht. Die<br />
reichsten zehn Prozent besaßen schon<br />
vor sieben Jahren fast 60 Prozent des<br />
gesamten Nettovermögens. Neuere Verteilungszahlen<br />
liegen nicht vor. Die Kehrseite<br />
dieser Konzentration von Reichtum<br />
ist eine wachsende <strong>Armut</strong>. Die<br />
ärmsten zehn Prozent hatten schon<br />
vor sieben Jahren nicht nur kein Vermögen,<br />
sie waren sogar in Höhe von<br />
knapp zwei Prozent des gesamten Nettovermögens<br />
verschuldet. 1 Diese Verteilungsschieflage<br />
ist in allen Generationen<br />
anzutreffen. Trotzdem lassen Debatten<br />
über Kinderarmut das Problem unbeachtet,<br />
dass einerseits vermehrt Kinder<br />
in <strong>Armut</strong> aufwachsen <strong>und</strong> andererseits<br />
manche Kinder <strong>und</strong> Jugendliche in<br />
der B<strong>und</strong>esrepublik sehr wohlhabend<br />
sind. Es gab hierzulande noch nie so<br />
viele Haushalte ohne materielle Sorgen<br />
<strong>und</strong> noch nie so viele Kinder mit<br />
einem großen Vermögen wie heute. Und<br />
das zum Teil schon unmittelbar nach<br />
der Geburt, wenn Eltern ihren Wertpapierbesitz<br />
auf ihre Kinder übertragen,<br />
um mehr Freibeträge <strong>und</strong> damit Steuervorteile<br />
zu erlangen. 2 Die Erbschafts<strong>und</strong><br />
Schenkungs-Steuerreformen seit<br />
der liberal-konservativen B<strong>und</strong>esregierung<br />
haben das begünstigt. Selbst eine<br />
Studie der Konrad Adenauer Stiftung<br />
sieht Deutschland »auf dem Weg in eine<br />
neue Art von Klassengesellschaft ( . . . ),<br />
wobei die Trennungslinie eben nicht nur<br />
über Einkommen <strong>und</strong> Vermögen, sondern<br />
auch über kulturelle Dimensionen<br />
1<br />
Vgl. DIW-Wochenbericht, Nr. 45, 2007.<br />
2<br />
Vgl. Christoph Butterwegge/Michael Kl<strong>und</strong>t,<br />
Die Demografie als Ideologie <strong>und</strong> Mittel sozialpolitischer<br />
Demagogie?, Bevölkerungsrückgang,<br />
»Vergreisung« <strong>und</strong> Generationengerechtigkeit,<br />
in: Christoph Butterwegge/Michael Kl<strong>und</strong>t<br />
(Hrsg.), Kinderarmut <strong>und</strong> Generationengerechtigkeit.<br />
Familien- <strong>und</strong> Sozialpolitik im demografischen<br />
Wandel, 2. Aufl. Opladen 2003, S. 59 ff.<br />
wie etwa Bildungskapital <strong>und</strong> Bildungsaspirationen,<br />
aber auch Werte <strong>und</strong> Alltagsästhetik<br />
verläuft. Ebenso erweisen<br />
sich Ernährung, Ges<strong>und</strong>heit, Kleidung<br />
<strong>und</strong> Medienumgang als Abgrenzungsfaktoren.<br />
Der Zulauf zu privaten Schulen<br />
ebenso wie das Umzugsverhalten von<br />
Eltern der Bürgerlichen Mitte geben ein<br />
beredtes Zeugnis dieser Entwicklung.« 3<br />
Die ungleiche Verteilung der Vermögen<br />
wird zukünftig durch den Generationenzusammenhang<br />
sogar noch weiter verschärft,<br />
da sich mit der Zunahme der<br />
Erbschaften auch die sozialen Gegensätze<br />
vergrößern werden – denn Personen<br />
aus höheren Bildungsschichten,<br />
die meist höhere soziale Positionen<br />
erreichen, erben höher als Personen<br />
mit niedrigerem Bildungsstand. Darüber<br />
hinaus heiraten wohlhabende Menschen<br />
in der Regel innerhalb derselben<br />
Schicht, sodass Reichtum noch einmal<br />
konzentrierter vorkommt. 4 Gleichzeitig<br />
leben viele Kinder <strong>und</strong> Jugendliche in<br />
<strong>Armut</strong>. Da sie zur Altersgruppe gehören,<br />
die am häufigsten <strong>und</strong> stärksten<br />
davon betroffen ist, sprechen Sozialwissenschaftler/innen<br />
seit einigen Jahren<br />
auch von einer »Infantilisierung der<br />
<strong>Armut</strong>«.<br />
Ausmaß <strong>und</strong><br />
Erscheinungsformen<br />
Trotz sinkender Arbeitslosigkeit müssten<br />
viele Kinder auf Sozialhilfeniveau<br />
leben, so der »Kinderreport Deutschland<br />
2007« des Deutschen Kinderhilfswerks.<br />
Zum gleichen Ergebnis kommen<br />
Studien des Kinderhilfswerks der Vereinten<br />
Nationen (UNICEF) <strong>und</strong> der Prognos<br />
AG aus dem vergangenen Jahr. Laut »Kinderreport«<br />
gelten 14 Prozent aller Jungen<br />
<strong>und</strong> Mädchen in Deutschland als arm<br />
3<br />
Michael Borchard/Christine Henry-Huthmacher/Tanja<br />
Merkle/Carsten Wippermann,<br />
Eltern unter Druck. Selbstverständnisse, Befindlichkeiten<br />
<strong>und</strong> Bedürfnisse von Eltern in verschiedenen<br />
Lebenswelten (hrsg. von der Konrad-Adenauer-Stiftung<br />
e. V.) Berlin 2008, S. 8.<br />
4<br />
Vgl. Gösta Esping-Andersen, Kinder <strong>und</strong> Rente:<br />
Welchen Wohlfahrtsstaat brauchen wir?, in:<br />
Blätter für deutsche <strong>und</strong> internationale Politik<br />
1/2006, S. 59.<br />
(vgl. auch Kapitel 4 über »Schon vor<br />
der Krise: jedes vierte Kind arm«).<br />
Seit Einführung von Hartz IV hat sich<br />
die Zahl der auf Sozialhilfe angewiesenen<br />
Kinder auf gut 2,5 Millionen verdoppelt.<br />
Laut der Prognos-Untersuchung<br />
im Auftrag des B<strong>und</strong>esfamilienministeriums<br />
sind 2,36 Millionen Kinder in<br />
Deutschland »von <strong>Armut</strong> betroffen«. 5<br />
Etwa 5,9 Millionen Kinder leben in Haushalten<br />
mit einem Jahreseinkommen von<br />
15 300 Euro <strong>und</strong> weniger – das sind r<strong>und</strong><br />
ein Drittel aller kindergeldberechtigten<br />
Kinder. War 1965 nur jedes 75. Kind<br />
unter sieben Jahren auf Sozialhilfe angewiesen,<br />
ist es heute mehr als jedes<br />
sechste.<br />
Während die B<strong>und</strong>esregierung in<br />
ihrer Antwort auf die Große Anfrage der<br />
Linksfraktion bei Kindern eine <strong>Armut</strong>srisikoquote<br />
von zwölf Prozent angibt,<br />
hat die Studie des Prognos-Instituts<br />
eine <strong>Armut</strong>srisikoquote von 17,3 Prozent<br />
ermittelt. Die <strong>Armut</strong>srisikoquote gibt<br />
an, wie hoch der Anteil der Personen<br />
mit einem Einkommen unterhalb der<br />
<strong>Armut</strong>srisikoschwelle an der Bevölkerung<br />
ist. Die <strong>Armut</strong>srisikoschwelle ist<br />
das Einkommen, unter dem von Einkommensarmut<br />
zu sprechen ist. Im dritten<br />
<strong>Armut</strong>s- <strong>und</strong> Reichtumsbericht bezieht<br />
sich die B<strong>und</strong>esregierung durchgehend<br />
auf die Kinder-<strong>Armut</strong>s-Risikoquote von<br />
zwölf Prozent. Dieser Report informiert<br />
aber auf Seite 306 darüber, dass die<br />
<strong>Armut</strong>srisikoquote von 1998 bis 2005<br />
kontinuierlich von zwölf auf 18 Prozent<br />
gestiegen ist. Damit verb<strong>und</strong>en stieg<br />
auch die <strong>Armut</strong>srisikoquote der unter<br />
15-Jährigen von 16 Prozent vor elf Jahren<br />
auf 26 Prozent vor vier Jahren. Für<br />
Jugendliche zwischen 16 Jahren <strong>und</strong> 24<br />
Jahren ist die <strong>Armut</strong>srisikoquote sogar<br />
von 18 Prozent auf 28 Prozent gestiegen.<br />
Die neuesten Studien von UNICEF <strong>und</strong><br />
der Prognos AG machen auf die besondere<br />
<strong>Armut</strong>sgefährdung bei Kindern von<br />
Alleinerziehenden aufmerksam. Demnach<br />
besteht das höchste <strong>Armut</strong>srisiko<br />
mit r<strong>und</strong> 40 Prozent in Haushalten von<br />
5<br />
Prognos AG (im Auftrag des Kompetenzzentrums<br />
familienbezogene Leistungen im B<strong>und</strong>esministerium<br />
für Familie, Senioren, Frauen <strong>und</strong><br />
Jugend), <strong>Armut</strong>srisiken von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen<br />
in Deutschland, Berlin/Basel 2008, S. 16.
19 Kinderarmut – Ursachen <strong>und</strong> Folgen<br />
Alleinerziehenden. 6 <strong>Das</strong> bedeutet, dass<br />
mehr als zwei Millionen Kinder <strong>und</strong><br />
Jugendliche, das sind r<strong>und</strong> 15 Prozent,<br />
morgens oft ohne Frühstück in den<br />
Kindergarten oder die Schule kommen.<br />
Sie sind häufig aufgr<strong>und</strong> von Fehl- <strong>und</strong><br />
Mangelernährung krank, nehmen selten<br />
bis gar nicht an Klassenfahrten oder<br />
ähnlichen Ausflügen teil <strong>und</strong> besitzen<br />
deutlich eingeschränkte Zukunftschancen.<br />
Resümierend stellte der B<strong>und</strong>esvorsitzende<br />
der Arbeiterwohlfahrt, Manfred<br />
Ragati, fest: »<strong>Armut</strong> schlägt sich<br />
in unterschiedlichen Formen sozialer<br />
<strong>Ausgrenzung</strong> nieder. Die Einschränkung<br />
der Teilhabe an den materiellen <strong>und</strong><br />
immateriellen Ressourcen der Gesellschaft<br />
begrenzt insgesamt die Lebenschancen<br />
von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen<br />
für eine selbstbestimmte Entwicklung,<br />
die Einpassung in die gesellschaftlichen<br />
Normen <strong>und</strong> Werte sowie die soziale<br />
Positionierung im späteren Berufsleben.<br />
Dies gilt besonders für (arme) Kinder<br />
<strong>und</strong> Jugendliche ohne deutschen<br />
Pass.« 7<br />
Angesichts der gigantischen Reichtumsentwicklung<br />
in Deutschland, der<br />
explodierenden Unternehmensgewinne<br />
<strong>und</strong> Managergehälter ist die <strong>Armut</strong><br />
von Millionen Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen<br />
ein verfassungswidriger Skandal erster<br />
Güte <strong>und</strong> eine Form struktureller<br />
Gewalt. Auch wenn sich Kinderarmut<br />
nicht allein in Geldmangel ausdrückt,<br />
können offizielle <strong>Armut</strong>sindizes zumindest<br />
einen Eindruck davon vermitteln,<br />
was es heißt, unter solchen Bedingungen<br />
leben zu müssen. Mehr als 2,5 Millionen<br />
Kinder <strong>und</strong> Jugendliche müssen mit<br />
dem Sozialhilfesatz oder weniger auskommen,<br />
mit ungenügenden Regelsatzleistungen<br />
für Ges<strong>und</strong>heit, Schulsachen<br />
<strong>und</strong> Bildung – von Spielzeug, Sport- <strong>und</strong><br />
Freizeitkosten ganz zu schweigen. Die<br />
Einkommensarmut von Kindern hat mit<br />
Hartz IV <strong>und</strong> der Agenda 2010 einen historischen<br />
Höchststand <strong>und</strong> eine neue Qualität<br />
erreicht. Für Ernährung, Bekleidung<br />
<strong>und</strong> die Teilnahme am sozialen Leben<br />
ihrer Kinder aufzukommen, ist für diese<br />
Familien schon schwer genug. Doch die<br />
Anschaffung von Büchern, Schulmaterialien,<br />
Klassenfahrten <strong>und</strong> Kindergeburts-<br />
6<br />
Vgl. Hans Bertram (Hrsg.), Mittelmaß für Kinder.<br />
Der UNICEF-Bericht zur Lage der Kinder in<br />
Deutschland, München 2008, S. 155 f.; Prognos<br />
AG, a. a. O., S. 13 f.<br />
7<br />
Manfred Ragati, Sozialbericht 2000 der Arbeiterwohlfahrt.<br />
Jedes siebte Kind wächst in <strong>Armut</strong><br />
auf, in: Soziale Sicherheit 11/2000, S. 369.<br />
tage sind praktisch nicht mehr zu bezahlen.<br />
Bildungschancen sind damit von<br />
Anfang an beeinträchtigt, während chronische<br />
<strong>Armut</strong> auch eine deutlich niedrigere<br />
Lebenserwartung bedeutet.<br />
Psychosoziale Folgen<br />
Bei allen Einschränkungen hinsichtlich<br />
methodischer <strong>und</strong> empirischer Schwierigkeiten<br />
der Sozial- <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heits-<br />
Berichterstattung in der B<strong>und</strong>esrepublik<br />
ist gesichert, dass materielle <strong>Armut</strong><br />
die Ges<strong>und</strong>heit beeinflusst. Kinder <strong>und</strong><br />
Jugendliche, die in sozial benachteiligten<br />
Verhältnissen leben, sind gleich in<br />
mehrfacher Hinsicht gefährdet (siehe<br />
Kasten).<br />
Andreas Klocke hält die Ges<strong>und</strong>heitsrisiken<br />
armer Kinder <strong>und</strong> Jugendlicher<br />
für höher als jene wohlhabender AltersgenossInnen,<br />
unabhängig davon, welcher<br />
Indikator aus dem Kasten gewählt<br />
wird. Deshalb beeinflusse die <strong>Armut</strong>slage<br />
das ges<strong>und</strong>heitliche Befinden <strong>und</strong><br />
die Lebensfreude der Heranwachsenden<br />
durchgängig negativ: »Die erhöhte<br />
psychosoziale Morbidität der Kinder<br />
<strong>und</strong> Jugendlichen aus den sozial schwachen<br />
Familien weist auf Konsequenzen<br />
für die kindlichen <strong>und</strong> jugendlichen Sozialbeziehungen<br />
<strong>und</strong> die Sozialisation hin.<br />
Rückzug aus sozialen Kontakten <strong>und</strong><br />
eine zunehmende Einsamkeit, wie es<br />
als Reaktionsmuster von armen Menschen<br />
im Erwachsenenalter bekannt ist,<br />
zeigt nach den präsentierten Bef<strong>und</strong>en<br />
seine Gültigkeit auch für die Gruppe der<br />
Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen in <strong>Armut</strong>sfamilien.«<br />
8<br />
Nicht nur die Ges<strong>und</strong>heit, auch das<br />
Ges<strong>und</strong>heitsverhalten von Kindern <strong>und</strong><br />
Jugendlichen wird durch <strong>Armut</strong> negativ<br />
beeinflusst: »So ist der Anteil der<br />
Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen, die als regelmäßige<br />
(tägliche) Raucher anzusehen<br />
sind, in der <strong>Armut</strong>sgruppe erhöht. Ähnliche,<br />
auf Gr<strong>und</strong> der geringen Prävalenzraten<br />
jedoch nur mit Vorsicht zu interpretierende<br />
Unterschiede zeigen sich<br />
beim regelmäßigen Alkoholkonsum. Die<br />
Zahnhygiene ( . . . ) ebenso wie die nur<br />
geringe Teilnahme an sportlichen Aktivitäten<br />
(außerhalb des Schulsports) oder<br />
8<br />
Andreas Klocke, <strong>Armut</strong> bei Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen<br />
<strong>und</strong> die Auswirkungen auf die Ges<strong>und</strong>heit,<br />
in: Robert Koch-Institut (Hrsg.), Ges<strong>und</strong>heitsberichterstattung<br />
des B<strong>und</strong>es 3/2001, S. 9.<br />
der überdurchschnittliche TV-Konsum<br />
belegen hingegen klar ein ungünstigeres<br />
Ges<strong>und</strong>heitsverhalten der Kinder<br />
<strong>und</strong> Jugendlichen aus den sozial schwachen<br />
Familien.« 9 Zu wenig Geld zum<br />
Leben zu haben, beeinflusst auch das<br />
Ernährungsverhalten. 10 Materiell arme<br />
Kinder <strong>und</strong> Jugendliche essen mehr Fast<br />
Food, sie sind häufiger mangelernährt<br />
<strong>und</strong> übergewichtig.<br />
Die benachteiligende Lebenslage<br />
wirkt sich nicht nur negativ auf die<br />
Ges<strong>und</strong>heit der Betroffenen aus, sondern<br />
auch auf ihre Bildungskompetenzen.<br />
Kinder <strong>und</strong> Jugendliche aus<br />
höheren sozialen Schichten erhalten in<br />
der Bildung mehr Förderung <strong>und</strong> sind<br />
dadurch erfolgreicher. Hinzu kommt,<br />
dass selbst bei gleicher Leistung der<br />
familiäre Hintergr<strong>und</strong> der Schüler/innen<br />
maßgeblich über ihre Bildungschancen<br />
entscheidet. 11 So werden Bildungs- <strong>und</strong><br />
damit Karriere- <strong>und</strong> Partizipations-Chancen<br />
»vererbt«. Der Eliteforscher Michael<br />
Hartman berichtet ähnliches über die<br />
zentralen Einflussfaktoren beim Übergang<br />
zu weiterführenden Schulen nach<br />
der Primarstufe. Nicht nur die milieubedingt<br />
besseren Leistungen der Kinder<br />
aus den höheren Schichten <strong>und</strong> Klassen<br />
machen sich dabei bemerkbar, sondern,<br />
so Hartmann, »auch die je nach sozialer<br />
Herkunft stark differierenden Beurteilungen<br />
der Lehrkräfte. So benötigt zum<br />
Beispiel nach einer Erhebung unter allen<br />
Hamburger Fünftklässlern ein Kind, dessen<br />
Vater das Abitur gemacht hat, ein<br />
Drittel weniger Punkte für eine Gymnasialempfehlung<br />
als ein Kind mit einem<br />
Vater ohne Schulabschluss. Bei Versetzungsentscheidungen<br />
sind dieselben<br />
Mechanismen zu beobachten.« 12 Ähnliche<br />
Ergebnisse förderte zuletzt der<br />
Mainzer Soziologe Stefan Hradil in einer<br />
repräsentativen Schulstudie in Wiesbaden<br />
zutage. 13 Die soziale Herkunft entscheidet<br />
danach erheblich über den<br />
Schulerfolg der Kinder.<br />
9<br />
Ebenda, S. 9.<br />
10<br />
Vgl. ebenda, S. 10.<br />
11<br />
Vgl. Michael Kl<strong>und</strong>t, Von der sozialen zur Generationengerechtigkeit?,<br />
a. a. O., S. 105 ff.<br />
12<br />
Michael Hartmann, Die Geheimnisse des<br />
Erfolgs – oder: Wie wird man Elite?, in: BdWi-<br />
Studienheft 3/2005, S. 5.<br />
13<br />
Vgl. Skandalöses Schüler-Lotto. Lehrer lassen<br />
arme Kinder zu selten ans Gymnasium, in: SPIE-<br />
GEL online v. 11. 09. 2008.
Kinderarmut – Ursachen <strong>und</strong> Folgen 20<br />
Herrschende Politik<br />
macht Kinder arm<br />
Fragt man die B<strong>und</strong>esregierung nach<br />
ihrer Zwischenbilanz zum »Nationalen<br />
Aktionsplan für ein kindgerechtes<br />
Deutschland 2005–2010«, so kann man<br />
nur beruhigt sein. »Die Situation von<br />
Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen in Deutschland<br />
verbessert sich merklich.« <strong>Das</strong><br />
ist das Fazit des Zwischenberichts<br />
zum Nationalen Aktionsplan »Für ein<br />
kindgerechtes Deutschland 2005–2010«,<br />
den der Parlamentarische Staatssekretär<br />
im B<strong>und</strong>esministerium für Familie,<br />
Senioren, Frauen <strong>und</strong> Jugend, Hermann<br />
Kues, im Dezember vergangenen Jahres<br />
vorgelegt hat. Die vielen <strong>Armut</strong>sstudien<br />
von Prognos, UNICEF, dem Deutschen<br />
Kinderhilfswerk oder der Organisation<br />
für wirtschaftliche Zusammenarbeit<br />
<strong>und</strong> Entwicklung (OECD) sprechen<br />
eine andere Sprache. Davon lässt<br />
sich die Regierung jedoch nicht beirren.<br />
»Wir sind auf dem richtigen Weg«, meint<br />
Kues bei der Vorstellung des Zwischenberichts.<br />
»<strong>Das</strong> Kinderförderungsgesetz<br />
zum Beispiel beseitigt die letzten juristischen<br />
Hürden zum Ausbau der Kinderbetreuung.<br />
<strong>Das</strong> ist ein ganz wesentlicher<br />
Meilenstein für mehr Kinderfre<strong>und</strong>lichkeit!«<br />
Wie materielle <strong>Armut</strong> die Ges<strong>und</strong>heit von Kindern <strong>und</strong><br />
Jugendlichen beeinflusst<br />
⊲ Deutlich höhere Säuglingssterblichkeit nach der Geburt als in den<br />
oberen sozialen Schichten<br />
⊲ Deutlich mehr Kinder, die mit einem Gewicht von weniger als 2500<br />
Gramm geboren werden<br />
⊲ Zweimal höhere Sterblichkeitsrate durch Unfälle als bei Kindern aus<br />
privilegierten Schichten<br />
⊲ Sehr viel häufigeres Auftreten akuter Erkrankungen<br />
⊲ Höhere Anfälligkeit für chronische Erkrankungen. ⋆<br />
⋆<br />
Vgl. Birgit Fischer, Statt eines Vorwortes: Mit einer sozial tief gespaltenen Gesellschaft<br />
ins 3. Jahrtausend?!, a. a. O., S. 16; Andreas Mielck, <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit: Ergebnisse der<br />
sozial-epidemiologischen Forschung in Deutschland, in: Andreas Klocke/Klaus Hurrelmann<br />
(Hrsg.), Kinder <strong>und</strong> Jugendliche in <strong>Armut</strong>. Umfang, Auswirkungen <strong>und</strong> Konsequenzen, Opladen/Wiesbaden<br />
1998, S. 225 ff.; Ministerium für Frauen, Jugend, Familie <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit des<br />
Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), 7. Kinder- <strong>und</strong> Jugendbericht der Landesregierung NRW,<br />
Düsseldorf 1999, S. 115 f.<br />
<strong>Das</strong>s ganztägige <strong>und</strong> gebührenfreie<br />
Kinderbetreuungsangebote in Deutschland<br />
immer noch Mangelware sind, interessiert<br />
den Staatsekretär nicht. Ihn<br />
interessiert auch nicht, dass im Zusammenhang<br />
mit dem Ausbau der Kinderbetreuung<br />
die Gefahr der Privatisierung<br />
<strong>und</strong> Kommerzialisierung in der Kinder-<br />
<strong>und</strong> Jugendhilfe droht. Kues bleibt<br />
dabei: »Chancengerechtigkeit in der Bildung<br />
für alle Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen<br />
steht auf der politischen Tagesordnung<br />
ganz oben.« Dieser Aussage steht das<br />
Schulbedarfspaket entgegen. Schulkinder,<br />
die von Hartz IV leben müssen,<br />
erhalten danach für Schulsachen nur bis<br />
zur zehnten Klasse Geld vom Staat <strong>und</strong><br />
werden so vom Abitur ausgeschlossen.<br />
Im Konjunkturpaket II bleiben außerdem<br />
die unter Sechsjährigen <strong>und</strong> die 14- bis<br />
17-jährigen Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen von<br />
jeder Hartz-IV-Erhöhung ausgenommen<br />
(vgl. auch Kapitel 4 über »Willkürlich<br />
festgelegte Regelsätze«). Doch selbst<br />
davon lässt sich die B<strong>und</strong>esregierung<br />
ihre gute Laune nicht verderben. »Hinzu<br />
kommen wirksame <strong>und</strong> verlässliche<br />
Familienleistungen wie das Elterngeld<br />
oder das erhöhte Kindergeld – sie schützen<br />
Familien vor dem Abrutschen in<br />
<strong>Armut</strong>«, heißt es in einer Mitteilung<br />
des B<strong>und</strong>esfamilienministeriums vom<br />
Dezember vergangenen Jahres. <strong>Das</strong> Kindergeld<br />
wurde seit sieben Jahren nicht<br />
mehr erhöht. Seitdem sind die Lebenserhaltungskosten<br />
aber überproportional<br />
gestiegen. Trotzdem warteten die Regierungsparteien<br />
mit der Erhöhung bis zum<br />
Wahljahr 2009. Hartz-IV-Kinder haben<br />
auch davon nichts. Ihnen wird die Kindergelderhöhung<br />
voll auf die Sozialleistung<br />
angerechnet, <strong>und</strong> mehr als die Hälfte<br />
aller Eltern erhalten ein Elterngeld von<br />
weniger als 500 Euro. Vor allem Geringverdienende<br />
<strong>und</strong> Erwerbslose hatten<br />
vom B<strong>und</strong>eserziehungsgeld, das bis vor<br />
drei Jahren gezahlt wurde, weitaus mehr<br />
profitiert als vom jetzigen Elterngeld.<br />
Im vergangenen Jahr ist der dritte<br />
<strong>Armut</strong>s- <strong>und</strong> Reichtumsbericht der B<strong>und</strong>esregierung<br />
erschienen. Doch wie<br />
kann es sein, fragte sich die Regierung,<br />
dass mit dem sogenannten Wirtschaftsaufschwung<br />
die Kinderarmut kaum weniger<br />
wurde? Hat die Regierung nicht alles<br />
Erdenkliche getan, um mehr soziale<br />
Gerechtigkeit zu schaffen? Schon die<br />
rot-grüne B<strong>und</strong>esregierung hatte in<br />
ihrem ersten <strong>und</strong> zweiten <strong>Armut</strong>s- <strong>und</strong><br />
Reichtumsbericht vor acht beziehungsweise<br />
vier Jahren Rezepte zur Bekämpfung<br />
von <strong>Armut</strong> aufgeführt. Vor allem<br />
die rot-grüne Renten- <strong>und</strong> Steuerpolitik<br />
wurde im ersten <strong>Armut</strong>s- <strong>und</strong> Reichtums-
21 Kinderarmut – Ursachen <strong>und</strong> Folgen<br />
bericht als herausragende Maßnahme<br />
genannt. In ihrem zweiten <strong>Armut</strong>s- <strong>und</strong><br />
Reichtumsbericht verwies die B<strong>und</strong>esregierung<br />
auf die Agenda 2010 als zentrales<br />
Mittel zur Bekämpfung von <strong>Armut</strong>.<br />
Bei genauerer Betrachtung entpuppten<br />
sich jedoch gerade die Renten- <strong>und</strong> Krankenreformen<br />
von B<strong>und</strong>esarbeitsminister<br />
Walter Riester <strong>und</strong> B<strong>und</strong>esges<strong>und</strong>heitsministerin<br />
Ulla Schmidt genauso<br />
als kolossale Umverteilungsprojekte<br />
von unten nach oben wie die Steuerreformen<br />
der B<strong>und</strong>esfinanzminister Hans<br />
Eichel <strong>und</strong> Peer Steinbrück. Die Strukturprinzipien<br />
der umgestalteten Alters- <strong>und</strong><br />
Krankenversicherung forcieren durch<br />
die Teilprivatisierung des sozialen Risikos<br />
<strong>und</strong> die Entlastung der Arbeitgeber<br />
eine wieder zunehmende Altersarmut.<br />
Gleichzeitig werden durch den<br />
Zwang zur privaten Vorsorge Finanz<strong>und</strong><br />
Versicherungs-Konzerne subventioniert.<br />
Die rot-grünen <strong>und</strong> schwarzroten<br />
Steuerreformen haben B<strong>und</strong>, Länder<br />
<strong>und</strong> Kommunen weitgehend verarmen<br />
lassen <strong>und</strong> die Spitzeneinkommen<br />
sowie Gewinne <strong>und</strong> Vermögen radikal<br />
steuerlich entlastet.<br />
Die B<strong>und</strong>esregierung der Großen<br />
Koalition sieht sich mit den Ergebnissen<br />
des dritten <strong>Armut</strong>s- <strong>und</strong> Reichtumsbericht<br />
in ihrer Politik bestätigt. Sie<br />
hebt besonders ihre Steuer-, Arbeitsmarkt-,<br />
Ges<strong>und</strong>heits-, Renten- <strong>und</strong> Familienpolitik<br />
hervor. Die B<strong>und</strong>esregierung<br />
meint allen Ernstes, mit der drastischen<br />
Senkung der Unternehmenssteuern,<br />
der Anhebung der Mehrwertsteuer<br />
<strong>und</strong> der Rente ab 67 etwas gegen die<br />
soziale Spaltung in diesem Land getan<br />
zu haben. Dieser Unfug wird folgendermaßen<br />
begründet: »Die beschlossene<br />
Anhebung der Regelaltersgrenze in der<br />
gesetzlichen Rentenversicherung (GRV)<br />
auf 67 Jahre stabilisiert den Beitragssatz<br />
der gesetzlichen Rentenversicherung<br />
<strong>und</strong> damit die finanzielle Belastung für<br />
die Beitragszahler. Die Anhebung des<br />
Rentenalters führt zukünftig zu einer<br />
höheren Altersrente, wenn die Versicherten<br />
länger arbeiten <strong>und</strong> damit zusätzliche<br />
Entgeltpunkte erwerben.« 14 Kein<br />
Wort davon, dass kaum jemand bis 67<br />
arbeitet. So biegt man sich die Realität<br />
zurecht. Die Steuerpolitik der vergangenen<br />
Jahre bezeichnet die B<strong>und</strong>esregie-<br />
14<br />
B<strong>und</strong>esministerium für Arbeit <strong>und</strong> Soziales<br />
(Hrsg.), Lebenslagen in Deutschland. Der dritte<br />
<strong>Armut</strong>s- <strong>und</strong> Reichtumsbericht der B<strong>und</strong>esregierung,<br />
Bonn 2008, S. 176 f.<br />
rung als »sozial gerecht«, 15 weist allerdings<br />
an anderer Stelle in verklausulierter<br />
Form auf das Gegenteil hin: »Betrachtet<br />
man die Wirkung der Steuern auf die<br />
Einkommensverteilung, so schwächt die<br />
regressive Wirkung der Verbrauchsteuern<br />
(etwa Mehrwertsteuer, Mineralöl<strong>und</strong><br />
Kraftfahrzeugsteuer) die progressive<br />
Wirkung der Einkommensteuer insgesamt<br />
ab.« 16<br />
Im Feld der Familienpolitik hat die<br />
B<strong>und</strong>esfamilienministerin Ursula von<br />
der Leyen (CDU) zwar nicht ganz<br />
Unrecht, wenn sie betont, dass der Kinderzuschlag,<br />
das Elterngeld <strong>und</strong> der Ausbau<br />
von Kinder-Betreuungs-Einrichtungen<br />
wichtig gegen Kinderarmut seien.<br />
Doch diese Gegenstrategien bewegen<br />
sich nicht nur im Rahmen fortgesetzter<br />
neoliberaler Privatisierungspraktiken<br />
bei Rente, Ges<strong>und</strong>heit, Pflege oder<br />
Bildung <strong>und</strong> sind so nur ein Trostpflästerchen<br />
für die Verschärfung pola-<br />
15<br />
Ebenda, S. 177.<br />
16<br />
Ebenda., S. 17/55.<br />
risierter Lebenslagen. Die Gegenstrategien<br />
sind auch unzureichend ausgestaltet<br />
<strong>und</strong> sozial ungerecht verteilt. <strong>Das</strong><br />
fängt bei dem viel zu niedrigen Kinderzuschlag<br />
von höchstens 140 Euro für<br />
viel zu wenige einkommensschwache<br />
Eltern an. Diese können damit zwar<br />
ihren Bedarf, aber nicht den ihrer Kinder<br />
decken. So wirkt sich das Ganze<br />
als reine Subvention des Niedriglohnsektors<br />
aus, während die Kinderarmut<br />
nur geringfügig bekämpft wird. Beim<br />
seit zwei Jahren gewährten Elterngeld<br />
ist das anders. Hier wurde von vorneherein<br />
daran gedacht, gut verdienende<br />
Eltern bei der Kindererziehung zu unterstützen,<br />
indem 67 Prozent vom letzten<br />
Nettolohn bis zu 1800 Euro für bis zu<br />
14 Monate gewährt werden. Arbeitslose<br />
oder gering verdienende Eltern werden<br />
dagegen durch das Mindestelterngeld<br />
von 300 Euro für bis zu 14 Monate abgespeist.<br />
Bis vor drei Jahren erhielten die<br />
Eltern noch ein Erziehungsgeld in Höhe<br />
von 450 Euro für zwölf Monate oder 300<br />
Euro für 24 Monate. Auch der Ausbau
Kinderarmut – Ursachen <strong>und</strong> Folgen 22<br />
der Kinderbetreuung ist prinzipiell zu<br />
begrüßen, wenn er nur nicht so schleppend<br />
verlaufen würde. Die B<strong>und</strong>esregierung<br />
müsste neben der Quantität<br />
der Betreuungsplätze auch die Qualität<br />
durch andere Betreuungsschlüssel<br />
sowie durch Weiterbildung <strong>und</strong> bessere<br />
Bezahlung der ErzieherInnen fördern.<br />
Doch auch das hilft nur dann gegen<br />
Kinderarmut, wenn wenigstens das Mittagessen<br />
kostenlos ist <strong>und</strong> auch sonst<br />
keine Gebühren anfallen. Die Verantwortlichen<br />
müssen außerdem den Privatisierungs-<br />
<strong>und</strong> Prekarisierungs-Tendenzen<br />
auf dem »Betreuungsmarkt« widerstehen.<br />
Gegenmaßnahmen <strong>und</strong><br />
Alternativen<br />
Ausmaß, Erscheinungsformen <strong>und</strong> Hintergründe<br />
von Kinderarmut in Deutschland<br />
muss man vor dem Hintergr<strong>und</strong><br />
des globalen Kapitalismus <strong>und</strong> des geänderten<br />
Sozialstaats betrachten. Sozial-,<br />
Familien- <strong>und</strong> Kinderpolitik kann Kinderarmut<br />
vermeiden oder abbauen. Arbeitslosenquoten,<br />
Familienstatus <strong>und</strong> die<br />
Geburt von Kindern sollten deshalb<br />
im Zusammenhang von Verteilungsrelationen,<br />
sozialpolitischen Traditionen<br />
<strong>und</strong> Gegenmaßnahmen betrachtet werden.<br />
Nur dann werden der wirkliche<br />
Umfang <strong>und</strong> die Gründe von Kinderarmut<br />
sichtbar. Anhand des Vergleichs<br />
von Strukturen der besonders betroffenen<br />
Risikogruppen lässt sich die<br />
Wirkung sozial benachteiligter Lebenslagen<br />
auf Kinder <strong>und</strong> ihre Familien<br />
untersuchen. Die Folgen hinsichtlich<br />
der Zukunftschancen armer Kinder<br />
<strong>und</strong> Jugendlicher führen zur Frage,<br />
welche arbeitsmarkt-, familien- <strong>und</strong><br />
sozialpolitischen Maßnahmen <strong>und</strong> bildungspolitischen<br />
Handlungsstrategien<br />
gegen Kinderarmut anzuraten sind.<br />
Dabei stehen Gegenstrategien in den<br />
Bereichen Beschäftigungs-, Bildungs-,<br />
Ges<strong>und</strong>heits-, Familien- <strong>und</strong> Sozialpolitik<br />
sowie Konzepte zur Umverteilung<br />
von Arbeitszeit, Einkommen <strong>und</strong> Vermögen<br />
im Vordergr<strong>und</strong> (vgl. auch Kapitel<br />
4 über »Kinderarmut verringern<br />
<strong>und</strong> <strong>verhindern</strong> – Maßnahmen«).<br />
Hartz IV <strong>und</strong> die Agenda 2010 mit ihrer<br />
Privatisierung sozialer Risiken <strong>und</strong> dem<br />
Zwang zu Lohndumping sind nicht nur<br />
<strong>Armut</strong> <strong>und</strong> Demütigung, sondern auch<br />
öffentliche Verwahrlosung per Gesetz.<br />
Dagegen müssten zu wirklichen Reformen<br />
im Bereich des Arbeitsmarktes<br />
eine deutliche Arbeitszeitverkürzung,<br />
ein gesetzlicher Mindestlohn <strong>und</strong> ein<br />
öffentlichen Beschäftigungssektor gehören.<br />
<strong>Das</strong> eröffnet nicht nur vielen Arbeitslosen<br />
eine neue Lebensperspektive, sondern<br />
ist auch familienfre<strong>und</strong>lich. Der<br />
Hartz-IV-Regelsatz müsste in einem ersten<br />
Schritt auf mindestens 435 Euro<br />
steigen, während Kinder eine bedarfsorientierte<br />
Gr<strong>und</strong>sicherung von wenigstens<br />
420 Euro erhalten sollten. Im Bildungsbereich<br />
muss man statt des dreigliedrigen<br />
Schulsystems eine Ganztagsschule<br />
für alle Kinder entwickeln. In den<br />
Kindertagesstätten müsste der gebührenfreie<br />
Ganztags-Rechtsanspruch auf<br />
eine Betreuung für unter Dreijährige<br />
bis zum nächsten Jahr realisiert sein.<br />
Wer die Spaltung der Gesellschaft in<br />
Arm <strong>und</strong> Reich verringern will, kommt<br />
zur Finanzierung nicht an einer Vermögenssteuer,<br />
einer gerechten Erbschaftssteuer<br />
<strong>und</strong> einem angehobenen Spitzensteuersatz<br />
vorbei. Denn ein sich selbst<br />
arm machender Staat kann <strong>Armut</strong> nicht<br />
bekämpfen.<br />
Dr. Michael Kl<strong>und</strong>t, geboren 1973, ist<br />
Politikwissenschaftler <strong>und</strong> arbeitet als<br />
Referent für die Linksfraktion im B<strong>und</strong>estag.<br />
Er hat u. a. gemeinsam mit<br />
Prof. Christoph Butterwegge über das<br />
Thema <strong>Armut</strong> publiziert.
23 Kinderarmut in einem reichen Land<br />
4 Kinderarmut in einem einem reichen Land reichen Land<br />
Prof. Dr. Christoph Butterwegge<br />
<strong>Armut</strong> <strong>und</strong> Kinderarmut waren jahrzehntelang<br />
keine Themen, die die deutsche<br />
Öffentlichkeit bewegten. Höchstens in<br />
der Vorweihnachtszeit, im Sommerloch<br />
oder am Weltkindertag am 20. September<br />
nahmen die Massenmedien der B<strong>und</strong>esrepublik<br />
davon Notiz. Aus mehreren<br />
Gründen wurde <strong>Armut</strong> leicht übersehen:<br />
⊲ <strong>Das</strong> <strong>Armut</strong>sbild vieler Menschen ist<br />
von absoluter Not <strong>und</strong> Elend in den<br />
Entwicklungsländern geprägt. <strong>Das</strong><br />
hindert viele Bürger/innen daran,<br />
analoge Erscheinungen »vor der eigenen<br />
Haustür« zu erkennen.<br />
⊲ In der Nachkriegszeit waren eher<br />
ältere Menschen, vor allem Rentnerinnen,<br />
von Unterversorgung betroffen.<br />
Man sprach erst Ende der 80er-Jahre<br />
<strong>und</strong> Anfang der 90er-Jahre von einer<br />
»Infantilisierung der <strong>Armut</strong>«, als junge<br />
Menschen zur am häufigsten <strong>und</strong> am<br />
stärksten von <strong>Armut</strong> bedrohten Altersgruppe<br />
wurden.<br />
⊲ Sogar Erzieher/innen, Lehrer/innen<br />
<strong>und</strong> andere Pädagog(inn)en übersehen<br />
manchmal als Angehörige der Mittelschicht<br />
die Probleme von Kindern<br />
aus Unterschichtfamilien, die in weniger<br />
bürgerlich geprägten Stadtteilen<br />
oder einem »sozialen Brennpunkt«<br />
wohnen.<br />
⊲ Manche Zeitgenossen versuchen, die<br />
Schuld für materielle <strong>Armut</strong> den<br />
Betroffenen oder, im Falle der Kinder,<br />
den Eltern in die Schuhe zu schieben.<br />
Diese seien angeblich »faul«, »saufen«<br />
oder könnten »nicht mit Geld<br />
umgehen«. Man erwartet von den<br />
Armen im Gr<strong>und</strong>e, dass sie sich nach<br />
der Münchhausenmethode »am eigenen<br />
Schopf« aus ihrer Lage befreien.<br />
Ignoriert wird, bewusst oder unbewusst,<br />
dass dies sinnvoller Angebote<br />
der Sozial-, Arbeitsmarkt- <strong>und</strong><br />
Beschäftigungspolitik bedarf, die es<br />
immer weniger gibt.<br />
⊲ Nicht Wenige glauben irrtümlich, Kinderarmut<br />
im Kamen, Kassel oder<br />
Karlsruhe sei weniger problematisch<br />
als in der »armen dritten Welt«. Deshalb<br />
lohne es sich nicht, über dieses<br />
Problem zu sprechen. Dabei kann<br />
<strong>Armut</strong> hierzulande sogar erniedrigender,<br />
deprimierender <strong>und</strong> bedrückender<br />
sein. Denn Kinder <strong>und</strong> Jugendliche<br />
sind in einer Wohlstands- <strong>und</strong><br />
Konsumgesellschaft einem stärkeren<br />
Druck durch die Werbeindustrie wie<br />
auch ihrer Spielkamerad(inn)en <strong>und</strong><br />
Mitschüler/innen ausgeliefert. Sie<br />
müssen beim Tragen teurer Markenkleidung<br />
oder beim Besitz neuer, möglichst<br />
teurer Konsumgüter »mithalten«.<br />
Empathie <strong>und</strong> Solidarität erfahren<br />
die von <strong>Armut</strong> betroffenen Kinder<br />
dagegen weniger als dies normalerweise<br />
der Fall ist.<br />
⊲ Mit der <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> den Armen hat<br />
kaum jemand gern zu tun, weil<br />
selbst der Umgang damit stigmatisiert.<br />
Außerdem gehören die Betroffenen<br />
nach eher negativen Erfahrungen<br />
selten zu den Menschen, deren<br />
offenes Wesen ihnen Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong><br />
Sympathie einbringt.<br />
Mittlerweile avanciert Kinderarmut<br />
fast zu einem Modethema, das immer<br />
wieder Schlagzeilen macht. Gleichwohl<br />
haben sich die Fachwissenschaft, Massenmedien<br />
<strong>und</strong> etablierte Parteien nie<br />
ernsthaft damit auseinandergesetzt,<br />
dass ein zunehmender Teil der Bevölkerung<br />
sozial ausgeschlossen wird. Gleichzeitig<br />
häuft eine Minderheit immer mehr<br />
Reichtum an, was die Regierungspolitik<br />
durch gesenkte Gewinnsteuern, Entlastung<br />
der Unternehmen <strong>und</strong> Steuergeschenke<br />
an Firmenerben fördert. Nach<br />
wie vor wenig beachtet ist, dass diese<br />
Entwicklung akut den inneren Frieden,<br />
die Humanität <strong>und</strong> die Zukunftsfähigkeit<br />
der Gesellschaft gefährdet – denn mit<br />
der sich vertiefenden sozialen Kluft hängen<br />
Drogenmissbrauch, Gewaltkriminalität<br />
<strong>und</strong> wachsende Brutalität zusammen.<br />
Schon vor der Krise:<br />
jedes vierte Kind arm<br />
Der dritte <strong>Armut</strong>s- <strong>und</strong> Reichtumsbericht,<br />
den die B<strong>und</strong>esregierung im<br />
Juni vergangenen Jahres verabschiedet<br />
hat, beschönigt die soziale Lage<br />
von Millionen Menschen mit statistischen<br />
Taschenspielertricks – vor allem<br />
die Situation der Familien <strong>und</strong> Kinder<br />
(vgl. auch Kapitel 3 über »Ausmaß <strong>und</strong><br />
Erscheinungsformen«). Trotzdem ist<br />
inzwischen weiten Teilen der Öffentlichkeit<br />
bewusst, dass (Kinder-)<strong>Armut</strong> nicht<br />
nur in der sogenannten Dritten Welt, sondern<br />
auch hierzulande ein Problem ist.<br />
Dies gilt zumindest dann, wenn man<br />
darunter nicht nur absolutes Elend, sondern<br />
auch ein relatives Maß an sozialer<br />
Ungleichheit versteht. Diese hindert<br />
Betroffene daran, sich ihrer persönlichen<br />
Fähigkeiten entsprechend zu<br />
entfalten, sich optimal zu entwickeln<br />
<strong>und</strong> selbstbestimmt am gesellschaftlichen,<br />
kulturellen <strong>und</strong> politischen Leben<br />
teilzunehmen. Wenn man so will, handelt<br />
es sich hierbei um »strukturelle<br />
Gewalt« (Johan Galtung), die Kinder <strong>und</strong>
Kinderarmut in einem reichen Land 24<br />
Jugendliche noch härter trifft als Erwachsene.<br />
Von den 11,44 Millionen Kindern unter<br />
15 Jahren lebten im März vor zwei Jahren<br />
nach Angaben der B<strong>und</strong>esagentur<br />
für Arbeit fast 1,93 Millionen Kinder<br />
in Bedarfsgemeinschaften nach dem<br />
Sozialgesetzbuch (SGB) II – landläufig<br />
»Hartz-IV-Haushalte« genannt. Damals<br />
hatte der vergangene Konjunkturaufschwung<br />
seinen Höhepunkt erreicht. Zu<br />
den »Hartz-IV-Kindern« gesellen sich die<br />
übrigen Betroffenen: Kinder in Sozialhilfehaushalten,<br />
in Flüchtlingsfamilien, die<br />
r<strong>und</strong> ein Drittel weniger als die Sozialhilfe<br />
erhalten <strong>und</strong> die sogenannten Illegalen.<br />
Hinzu kommt eine Dunkelziffer<br />
eigentlich Anspruchsberechtigter, die<br />
aus Unwissenheit, Scham oder anderen<br />
Gründen keinen Antrag auf Sozialhilfe<br />
oder Arbeitslosengeld II stellen. Rechnet<br />
man alle Betroffenen zusammen,<br />
lebten knapp drei Millionen Kinder <strong>und</strong><br />
damit jedes vierte Kind unter 15 Jahren<br />
auf oder unter dem Sozialhilfeniveau.<br />
<strong>Das</strong> Problem wird durch regional ungleiche<br />
Entwicklungen erheblich verschärft.<br />
Es besteht ein Ost-West- <strong>und</strong> ein Nord-<br />
Süd-Gefälle. Beispielswiese kamen in<br />
Görlitz 44,1 Prozent aller Kinder unter<br />
15 Jahren aus Hartz-IV-Haushalten, im<br />
bayerischen Starnberg waren es dagegen<br />
nur 3,9 Prozent. Selbst in einer westdeutschen<br />
Großstadt wie Bremen gibt<br />
es Ortsteile, in denen mehr als 60 Prozent<br />
aller Kinder zu den Sozialgeldbezieher(inne)n<br />
gehören, die damit nur<br />
geringe Bildungschancen <strong>und</strong> berufliche<br />
Perspektiven haben.<br />
Kinderarmut ist mehr, als nur wenig<br />
Geld zu haben. Sie bedeutet für die<br />
Betroffenen auch, persönlicher Entfaltungs-<br />
<strong>und</strong> Entwicklungsmöglichkeiten<br />
beraubt, sozial benachteiligt <strong>und</strong> unterversorgt<br />
zu sein – letzteres beispielsweise<br />
im Hinblick auf Bildung, Ges<strong>und</strong>heit<br />
<strong>und</strong> die Wohnsituation. Wenn man<br />
sinnvollere, qualitative <strong>und</strong> nichtmonetäre<br />
Kriterien für das Armsein anlegt,<br />
steigt die Zahl armer Kinder sogar auf<br />
mehr als drei Millionen. Über die Hälfte<br />
davon leben auf Sozialhilfeniveau. Die<br />
Eltern der anderen Kinder haben entweder<br />
keinen Antrag gestellt oder etwas<br />
mehr Geld zur Verfügung, ohne deshalb<br />
ihrem Nachwuchs eine sorgenfreie Kindheit<br />
ermöglichen zu können. Darin drücken<br />
sich die Sorgen <strong>und</strong> Existenznöte<br />
vieler Familien aus, während andere<br />
zumindest keine materiellen Probleme<br />
haben.<br />
Wie sich Kinderarmut<br />
äußert<br />
Kinderarmut äußert sich in einem wohlhabenden,<br />
wenn nicht reichen Land wie<br />
der B<strong>und</strong>esrepublik weniger spektakulär<br />
als in Mozambik oder Bangladesch,<br />
wo Menschen auf der Straße verhungern.<br />
<strong>Armut</strong> wirkt hier eher subtil, aber<br />
nicht minder dramatisch <strong>und</strong> lange (vgl.<br />
auch Kapitel 6 über »»Keinen Ausweg<br />
mehr sehen««). Hierzulande ist es für<br />
Kinder manchmal noch schwerer, arm<br />
zu sein, als in einer Gesellschaft, die<br />
sämtlichen Mitgliedern nur das Allernötigste<br />
bietet. Konsumchancen wie<br />
das Tragen von »Markenklamotten«, der<br />
Besitz eines tollen Handys <strong>und</strong> moderner<br />
Unterhaltungselektronik <strong>und</strong> teure<br />
Freizeitaktivitäten entscheiden mit darüber,<br />
welche Möglichkeiten ein Kind im<br />
Fre<strong>und</strong>eskreis oder in der Clique hat.<br />
Kinder <strong>und</strong> Jugendliche werden jenseits<br />
von Nike <strong>und</strong> Nokia in der Gruppe nicht<br />
ernst genommen. <strong>Das</strong> kann zu psychosozialen<br />
Belastungen führen <strong>und</strong> den<br />
Ausschluss junger Menschen aus vielen<br />
Lebenszusammenhängen nach sich<br />
ziehen.<br />
Besonders für Kinder <strong>und</strong> Jugendliche,<br />
deren Lebenswelt viel stärker als<br />
die der Erwachsenen durch eine zunehmende<br />
Kommerzialisierung geprägt ist,<br />
hat arm zu sein weit reichende Auswirkungen.<br />
Mit Einkommen, Beruf, Wohnen,<br />
Ges<strong>und</strong>heit, Bildung <strong>und</strong> Freizeit<br />
sind die unterschiedlichsten Lebensbereiche<br />
betroffen <strong>und</strong> weisen Defizite<br />
auf. Bei einem Kind ist ein Defizit beispielsweise<br />
im Wohnbereich gegeben,<br />
wenn es kein eigenes Zimmer hat. Da<br />
auch die familiären Wohnverhältnisse<br />
beengt sind, wird der Kindergeburtstag<br />
nicht im Kreis der Schulkamerad(inn)en<br />
<strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>e zu Hause gefeiert. Zusammen<br />
mit anderen Restriktionen kann<br />
das eine Isolation der Betroffenen nach<br />
sich ziehen. In vielen Familien reicht das<br />
Haushaltsgeld heute höchstens bis zur<br />
Monatsmitte; von da an ist Schmalhans<br />
Küchenmeister. Da den Eltern das Geld<br />
für die Klassenfahrt ihres Sprösslings<br />
fehlt, täuscht man oft ein Unwohlsein<br />
des Kindes vor. Betroffen sind vor allem<br />
Alleinerziehende, meist Frauen, <strong>und</strong> kinderreiche<br />
Familien. Deren Haushaltseinkommen<br />
ist zu gering, um den Unterhalt<br />
von Kindern zu bestreiten, was<br />
zu sozialer Unterversorgung <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong>,<br />
sogenannter Exklusion, führt<br />
(vgl. Kapitel 6 über »<strong>Armut</strong> als Folge<br />
sozialer <strong>Ausgrenzung</strong>«). Für die betroffenen<br />
Familien erwachsen daraus ökonomische,<br />
soziale <strong>und</strong> psychische Belastungen,<br />
sie geraten häufig sogar in eine<br />
schwere Zerreißprobe – denn Familien<br />
sind ein »emotionaler Puffer« (Sabine<br />
Walper) zwischen dem kapitalistischen<br />
Wirtschaftssystem, das die soziale <strong>Ausgrenzung</strong><br />
hervorruft <strong>und</strong> den Kindern.<br />
Kinder <strong>und</strong> Jugendliche sind aufgr<strong>und</strong><br />
solcher Benachteiligungen in ihrer geistigen<br />
Entwicklung, schulischen Leistungsfähigkeit,<br />
psychischen Stabilität <strong>und</strong> physischen<br />
Konstitution gefährdet.<br />
Alleinerziehende <strong>und</strong> kinderreiche<br />
Familien tragen nicht nur ein größeres
25 Kinderarmut in einem reichen Land<br />
Risiko als Kinderlose, arm zu werden,<br />
sondern bleiben auch länger in einer<br />
Notlage. Zwischen den prekären Lebenslagen<br />
von Familien, den psychosozialen<br />
Folgen für die Kinder <strong>und</strong> Sozialisationsdefiziten<br />
besteht ein Kausal- oder Wechselverhältnis.<br />
Dieses kann in einen »Teufelskreis<br />
der <strong>Armut</strong>« führen <strong>und</strong> einen<br />
»intergenerationalen Schneeball-Effekt«<br />
(Michael Klein) hervorrufen. <strong>Armut</strong> wird<br />
dann quasi vererbt. Dies gilt vor allem<br />
für SGB-Bedarfsgemeinschaften oder<br />
Hartz-IV-Haushalte.<br />
Warum Familien <strong>und</strong> Kinder<br />
verarmen<br />
Sind junge Menschen arm oder unterversorgt,<br />
macht man dafür gewöhnlich ihre<br />
Eltern, ein von der Norm abweichendes<br />
Verhalten wie übermäßigen Alkoholkonsum<br />
oder Einschneidendes in der Familienbiografie<br />
verantwortlich. Kinder gelten<br />
– im Unterschied zu arbeitslosen<br />
Erwachsenen, Bettlern <strong>und</strong> Obdachlosen<br />
– als »würdige Arme«. Man schiebt<br />
ihnen nicht persönlich die Schuld an<br />
ihrer Not zu, sondern blickt viel eher auf<br />
die gesellschaftlichen Verhältnisse. <strong>Das</strong><br />
ist tatsächlich der Gr<strong>und</strong> dafür, warum<br />
es heute mehr <strong>Armut</strong> gibt <strong>und</strong> meist<br />
Kinder <strong>und</strong> Jugendliche davon betroffen<br />
sind. In der öffentlichen Diskussion wie<br />
der Fachliteratur werden die Auslöser<br />
von (Kinder-)<strong>Armut</strong> allerdings häufig mit<br />
deren Ursachen verwechselt. Strukturelle<br />
Zusammenhänge <strong>und</strong> gesellschaftliche<br />
Verhältnisse, unter denen Menschen<br />
leben oder in denen Kinder aufwachsen,<br />
sind die Voraussetzungen für<br />
Verarmungsprozesse. Bestimmte Ereignisse<br />
im Lebenslauf lösen diese aus<br />
oder lassen sie voll wirken. Dadurch<br />
scheint es, als sei der Tod des Familienernährers,<br />
die Trennung vom Ehepartner<br />
oder eine Mehrlingsgeburt Schuld<br />
am Entzug von Geld <strong>und</strong> damit auch<br />
anderen Ressourcen für die Kinder <strong>und</strong><br />
Jugendlichen. Tatsächlich waren die<br />
Eltern oder Mütter schon vor dem betreffenden<br />
Schicksalsschlag nur unzureichend<br />
abgesichert.<br />
<strong>Armut</strong>sphänomene, Mangelerscheinungen<br />
<strong>und</strong> soziale Bedürftigkeit sind<br />
nichts Neues, vielmehr so alt wie die<br />
Menschheit selbst. Auch die Kinderarmut,<br />
eine besonders subtile Form der<br />
<strong>Ausgrenzung</strong> <strong>und</strong> der Gewalt gegenüber<br />
den schwächsten Gesellschaftsmitgliedern,<br />
gibt es keineswegs erst seit kurzem.<br />
Gleichwohl besitzt sie »postmoderne«<br />
Züge, deren Ursachen in jüngerer<br />
Zeit zu suchen sind. Macht man den<br />
als »Globalisierung« bezeichneten Prozess<br />
einer Umstrukturierung fast aller<br />
Gesellschaftsbereiche nach Markterfordernissen<br />
<strong>und</strong> Kommerzialisierung für<br />
die Verarmung, soziale Polarisierung<br />
<strong>und</strong> Entsolidarisierung verantwortlich,<br />
liegen die Wurzeln von (Kinder-)<strong>Armut</strong><br />
auf drei Ebenen:<br />
⊲ Im Produktionsprozess löst sich<br />
das »Normalarbeitsverhältnis« tendenziell<br />
auf – ein Prozess, den<br />
Wirtschaftslobbyisten <strong>und</strong> Politiker<br />
unter den Stichworten »Liberalisierung«,<br />
»Deregulierung« <strong>und</strong> »Flexibilisierung«<br />
vorantreiben. Statt vollwertige<br />
Arbeitsplätze zu erhalten, werden<br />
immer mehr Beschäftigte in<br />
atypische, prekäre, befristete, Leih<strong>und</strong><br />
Teilzeit-Arbeitsverhältnisse abgedrängt,<br />
bei denen das Einkommen<br />
nicht mehr zum Leben reicht (Kapitel<br />
4 über »Willkürlich festgelegte<br />
Regelsätze« <strong>und</strong> Kapitel 7 über<br />
»Arm trotz Arbeit«). Davon sind<br />
auch die Familienangehörigen betroffen.<br />
Außerdem bieten diese Jobs<br />
gerade im viel beschworenen »Zeitalter<br />
der Globalisierung« nicht den<br />
erforderlichen arbeits- <strong>und</strong> sozialrechtlichen<br />
Schutz.<br />
⊲ Bei der Kindererziehung verliert die<br />
»Normalfamilie« an Gewicht. Gemeint<br />
ist die durch das Ehegattensplitting<br />
im Einkommensteuerrecht staatlich<br />
subventionierte traditionelle Hausfrauen-Ehe<br />
mit ein, zwei oder drei Kindern.<br />
Daneben treten Lebens- <strong>und</strong><br />
Liebesformen, die für die Kinder tendenziell<br />
weniger materielle Sicherheit<br />
gewährleisten. Beispiele sind Ein-<br />
Elternteil-Familien, »Patchwork-Familien«<br />
oder nichteheliche Partnerschaften.<br />
⊲ Der forcierte Wettbewerb zwischen<br />
nationalen »Wirtschaftsstandorten«<br />
führt entsprechend der neoliberalen<br />
Standortlogik zu einem Abbau von<br />
Sicherungselementen für »weniger<br />
Leistungsfähige«. Zu ihnen zählen<br />
auch Erwachsene, die mehrere Kinder<br />
haben. Kinder <strong>und</strong> Jugendliche<br />
sind stark von Arbeitslosigkeit <strong>und</strong>/<br />
oder <strong>Armut</strong> betroffen, weil das Projekt<br />
eines »Um-« oder besser Abbaus<br />
des Sozialstaates auf Kosten vieler<br />
Eltern geht.<br />
Hartz-Gesetze machen<br />
arm<br />
Die »Sozialreformen« der vergangenen<br />
Jahre machen arm. Die sogenannten<br />
Hartz-Gesetze, die Ges<strong>und</strong>heitsreformen<br />
<strong>und</strong> die im »Rentenversicherungs-<br />
Nachhaltigkeits-Gesetz« umgesetzten<br />
Vorschlägen der sogenannten Rürup-<br />
Kommission sind nichts weiter als ein<br />
Um- <strong>und</strong> Abbau des Sozialstaats. Seine<br />
ganze Architektur, Struktur <strong>und</strong> Konstruktionslogik<br />
werden verändert. Es<br />
geht längst nicht mehr nur um Leistungskürzungen<br />
im sozialen Sicherungssystem,<br />
sondern um einen Systemwechsel:<br />
Um eine zentrale gesellschaftliche<br />
Richtungsentscheidung, die das Gesicht<br />
der B<strong>und</strong>esrepublik auf absehbare Zeit<br />
prägen dürfte. <strong>Das</strong> nach Peter Hartz<br />
benannte Gesetzespaket markiert eine<br />
historische Zäsur für die Entwicklung<br />
von <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> Unterversorgung in Ost<strong>und</strong><br />
Westdeutschland. Besonders mit<br />
Hartz IV waren gr<strong>und</strong>legende Änderungen<br />
im Arbeits- <strong>und</strong> Sozialrecht verb<strong>und</strong>en,<br />
die das politische Klima der B<strong>und</strong>esrepublik<br />
auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte<br />
verschlechtern dürften.<br />
Mit dem im Januar 2003 in Kraft<br />
getreteten sog. »Ersten Gesetz für<br />
moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt«<br />
(Hartz I) wurden die Barrieren<br />
der Bedürftigkeitsprüfung erhöht, die<br />
sich Bezieher/innen von Arbeitslosenhilfe<br />
unterziehen mussten. Während die<br />
Vermögensfreibeträge deutlich gesenkt<br />
<strong>und</strong> die Mindestfreibeträge für verdienende<br />
Partner/innen um 20 Prozent<br />
gekürzt wurden, entfiel der Erwerbstätigenfreibetrag<br />
ganz. Bis dahin wurde<br />
die Bemessungsgr<strong>und</strong>lage der Arbeitslosenhilfe<br />
einmal im Jahr um drei Prozent<br />
gekürzt, die so errechnete Leistung für<br />
Langzeitarbeitslose wegen der gesetzlich<br />
vorgesehenen Dynamisierung aber<br />
erhöht. <strong>Das</strong> unterblieb fortan. Dadurch<br />
stieg das Risiko für Langzeitarbeitslose,<br />
sozialhilfebedürftig zu werden, drastisch.<br />
Auf der Gr<strong>und</strong>lage des »Zweiten<br />
Gesetzes für moderne Dienstleistungen<br />
am Arbeitsmarkt« (Hartz II) wurden<br />
»Ich-« <strong>und</strong> »Familien-AGs« sowie »Mini-<br />
« <strong>und</strong> »Midi-Jobs« eingeführt. Mit letzteren<br />
ist die sozialversicherungspflichtige<br />
Beschäftigung im Niedriglohnbereich<br />
zwischen 400 Euro <strong>und</strong> 800 Euro<br />
monatlich gemeint. Mit dem »Dritten<br />
Gesetz für moderne Dienstleistungen
Kinderarmut in einem reichen Land 26<br />
am Arbeitsmarkt« (Hartz III), das im<br />
Januar vor fünf Jahren in Kraft trat, strukturierte<br />
man die »B<strong>und</strong>esagentur für<br />
Arbeit« um. Die Nürnberger Behörde<br />
sollte nach dem Vorbild der Privatwirtschaft<br />
<strong>und</strong> mit Hilfe moderner Managementkonzepte<br />
ein Dienstleistungsunternehmen<br />
werden. Die als »Betreuungsk<strong>und</strong>en«<br />
abgestempelten Langzeitarbeitslosen<br />
haben seither kaum mehr<br />
eine Chance, sich durch eine gezielte<br />
<strong>und</strong> hochwertige Qualifizierungsmaßnahme<br />
weiterzubilden. Stattdessen werden<br />
sie mit kurzen, möglichst kostengünstigen<br />
Trainingsmaßnahmen abgespeist.<br />
Außerdem wurde die Höchstbezugszeit<br />
des Arbeitslosengeldes von<br />
32 Monaten für über 57-Jährige auf<br />
18 Monate für über 55-Jährige verkürzt –<br />
was die Große Koalition vor zwei Jahren<br />
nach entsprechenden Vorstößen von Jürgen<br />
Rüttgers (CDU) <strong>und</strong> Kurt Beck (SPD)<br />
teilweise wieder rückgängig machte.<br />
Vor vier Jahren wurde mit dem »Vierten<br />
Gesetz für moderne Dienstleistungen<br />
am Arbeitsmarkt« (Hartz IV) die<br />
Arbeitslosenhilfe durch das Arbeitslosengeld<br />
(Alg) II ersetzt – eine reine Fürsorgeleistung,<br />
die nicht mehr den früheren<br />
Lebensstandard zum Maßstab<br />
der Leistungsgewährung an Langzeitarbeitslose<br />
macht. Millionen Menschen<br />
mussten von heute auf morgen mit<br />
deutlich weniger Geld auskommen. <strong>Das</strong><br />
Alg II müsste deshalb präziser »Sozialhilfe<br />
II« heißen. Gleichzeitig teilte<br />
man die bisherigen Sozialhilfeempfänger/innen<br />
in erwerbsfähige, die Arbeitslosengeld<br />
II beziehen <strong>und</strong> nichterwerbsfähige,<br />
die Sozialgeld oder Sozialhilfe<br />
erhalten. Nicht im Erwerbsleben stehende<br />
Menschen werden dadurch nach<br />
dem Grad ihrer Nützlichkeit <strong>und</strong> wirtschaftlichen<br />
Verwertbarkeit unterteilt,<br />
was einer Stigmatisierung Vorschub leistet.<br />
Die drastischen Verschlechterungen<br />
trafen nicht nur ehemalige Bezieher/innen<br />
von Arbeitslosenhilfe – zum Beispiel<br />
Frauen, deren Ehemänner mit<br />
ihrem Einkommen über den neuen, niedrigeren<br />
Freibeträgen lagen. Auch Empfänger/innen<br />
von Sozialhilfe, die nicht<br />
erwerbsfähig sind, also nicht mindestens<br />
drei St<strong>und</strong>en täglich arbeiten können,<br />
müssen Einbußen hinnehmen. Wie<br />
für Arbeitslosengeld-II-Bezieher/innen<br />
sind für sie die meisten wiederkehrenden<br />
einmaligen Leistungen entfallen.<br />
Dazu zählen Kleidungsstücke wie einen<br />
Wintermantel für die Kinder oder die<br />
Reparatur defekter Haushaltsgeräte wie<br />
einer Waschmaschine, die die Sozialhilfeempfänger/innen<br />
früher zusätzlich<br />
beantragen konnten. Heute ist in dringenden<br />
Fällen nur ein Darlehen möglich,<br />
das die Arbeitslosen zurückzahlen müssen.<br />
Darunter leiden vor allem Familien<br />
mit Kindern, die einen hohen Bedarf an<br />
solchen Leistungen haben.<br />
Willkürlich festgelegte<br />
Regelsätze<br />
Beim Regelsatz für die Hilfe zum Lebensunterhalt<br />
(HLU) stehen sich Kinder unter<br />
sieben Jahren seit dem Hartz-IV-Gesetz<br />
zwar etwas besser, weil der Eckregelsatz<br />
leicht angehoben wurde. Die übrigen<br />
Kinder <strong>und</strong> die Jugendlichen bekommen<br />
dagegen weniger Geld als früher.<br />
<strong>Das</strong> heimlich gekürzte Sozialgeld nahm<br />
die B<strong>und</strong>esregierung erst mit dem »Konjunkturpaket<br />
II« <strong>und</strong> auch nur für die<br />
7- bis 13-Jährigen wieder zurück. Sie hob<br />
deren Regelsatz ab Juli dieses Jahres<br />
von 60 auf 70 Prozent des Eckregelsatzes<br />
für allein lebende Erwachsene<br />
an. Diese Vorgänge zeigen zur Genüge,<br />
dass die herrschende Politik das Wohl<br />
der Betroffenen nie ernsthaft im Auge<br />
hatte. Geplante Steuererleichterungen<br />
kommen zwar auch den Geringverdiener(inne)n<br />
zugute, sind aber eher ein<br />
Tropfen auf den heißen Stein. Dringend<br />
nötig wäre, den Hartz-IV-Regelsatz auch<br />
für Erwachsene deutlich auf mindestens<br />
450 Euro anzuheben. <strong>Das</strong> würde die<br />
Wirtschaft beleben, weil Arme gezwungen<br />
sind, ihr gesamtes Einkommen<br />
fast unmittelbar in den Konsum zu stecken.<br />
Deshalb würde so nicht nur mehr<br />
soziale Gerechtigkeit verwirklicht, sondern<br />
die Maßnahme wäre auch ökonomisch<br />
sinnvoll.<br />
Anfang des Jahres hat das B<strong>und</strong>essozialgericht<br />
den Hartz-IV-Regelsatz für<br />
Kinder als nicht gr<strong>und</strong>gesetzkonform<br />
beurteilt <strong>und</strong> die Angelegenheit dem<br />
B<strong>und</strong>esverfassungsgericht in Karlsruhe<br />
zur höchstrichterlichen Entscheidung<br />
vorgelegt. Die soziale Ungerechtigkeit,<br />
dass Kinder unter 14 Jahren mit 60 Prozent<br />
<strong>und</strong> ältere Kinder <strong>und</strong> Jugendliche<br />
mit 80 Prozent des Erwachsenenregelsatzes<br />
abgef<strong>und</strong>en werden, muss ein<br />
Ende haben. Kinder wachsen noch, sie<br />
brauchen deshalb mehr Kleidung <strong>und</strong><br />
häufiger neue Schuhe als Erwachsene.<br />
Dem hat der Gesetzgeber bisher nicht<br />
Rechnung getragen, sondern die Regelsätze<br />
willkürlich festgelegt. Der sogenannte<br />
Eckregelsatz für Haushaltsvorstände<br />
von 345 Euro im Monat ist eine<br />
politische Größe. Davon pauschal 60<br />
oder 80 Prozent für Kinder abzuleiten,<br />
trug den spezifischen Bedürfnissen von<br />
Kindern überhaupt nicht Rechnung.<br />
Langzeitarbeitslose müssen jede »zumutbare«<br />
Stelle annehmen, auch wenn<br />
die Bezahlung weder tarifgerecht ist<br />
noch dem ortsüblichen Lohn entspricht<br />
– eine Rutschbahn in die <strong>Armut</strong>. Nach<br />
dem Auslaufen des Arbeitslosengeldes<br />
I bekommen Erwerbslose das Arbeitslosengeld<br />
II. Mit monatlich 345 Euro Gr<strong>und</strong>betrag<br />
für den Haushaltsvorstand im<br />
Westen <strong>und</strong> 331 Euro im Osten sowie<br />
den Erstattungen für Unterkunft <strong>und</strong><br />
Heizung – wenn sie »angemessen« sind<br />
– war das Alg II so hoch wie der Sozi-
27 Kinderarmut in einem reichen Land<br />
alhilferegelsatz. Vor drei Jahren wurde<br />
das Arbeitslosengeld II auf Westniveau<br />
angehoben, ein Jahr später um zwei<br />
Euro <strong>und</strong> im Juli vergangenen Jahres<br />
auf 351 Euro erhöht. Kinder bis 13 Jahre<br />
erhielten zunächst ein Sozialgeld von<br />
207 Euro im Westen <strong>und</strong> 199 Euro im<br />
Osten, seit Juli vergangenen Jahres sind<br />
es einheitlich 211 Euro. Jugendliche von<br />
14 bis 18 Jahren bekamen im Westen 276<br />
Euro, im Osten 256 Euro. Seit Juli vergangenen<br />
Jahres werden einheitlich 281<br />
Euro gezahlt.<br />
Working Poor<br />
Seit Hartz IV müssen Langzeitarbeitslose<br />
gegen eine minimale »Mehraufwandsentschädigung«<br />
von einem oder<br />
zwei Euro pro St<strong>und</strong>e im öffentlichen<br />
Interesse liegende Arbeit leisten. Wenn<br />
sie sich weigern, werden die Leistungen<br />
um 30 Prozent gekürzt <strong>und</strong> später<br />
komplett gestrichen. Auf dem Arbeitsmarkt<br />
führen die sogenannten Ein-Euro-<br />
Jobs Zu einem Verdrängungswettbewerb<br />
von oben nach unten. Geringqualifizierte<br />
werden durch Alg-II-Bezieher/innen<br />
ersetzt, was Auswirkungen<br />
auf das gesamte Lohngefüge hat.<br />
Durch Umsetzung des im Vermittlungsausschuss<br />
von B<strong>und</strong>estag <strong>und</strong><br />
-rat weiter radikalisierten Konzepts der<br />
sogenannten Hartz-Kommission hat der<br />
staatlich subventionierte Niedriglohnsektor<br />
an Bedeutung gewonnen (vgl.<br />
auch Kapitel 7 über »Arm trotz Arbeit«).<br />
Gemeint sind die Ausweitung von »haushaltsnahen«<br />
Minijobs <strong>und</strong> der Leiharbeit<br />
durch Einrichtung von Personal-Service-<br />
Agenturen sowie die »Entbürokratisierung«<br />
der zeitweilig in »Ich-« oder »Familien-AGs«<br />
organisierten Scheinselbstständigkeit.<br />
Den armen Erwerbslosen,<br />
die das Fehlen von oder die unzureichende<br />
Höhe der Entgelt-Ersatzleistungen<br />
auf das Existenzminimum zurückwirft,<br />
treten massenhaft erwerbstätige<br />
Arme zur Seite. Längst reichen selbst<br />
viele Vollzeitarbeitsverhältnisse nicht<br />
mehr aus, um »eine Familie zu ernähren«.<br />
Die Folge sind ein oder mehrere Nebenjobs<br />
nach Feierabend <strong>und</strong> an Wochenenden.<br />
Die Kinder der davon Betroffenen<br />
bekommen ihre Eltern kaum noch zu<br />
Gesicht, <strong>und</strong> die Eltern mit einem McJob<br />
müssen ihre Kinder vernachlässigen.<br />
Von den »Ich-AGs«, die in großer<br />
Zahl entstehen sollten, versprach sich<br />
die B<strong>und</strong>esregierung einen Schub an<br />
marktwirtschaftlicher Dynamik. Arbeitslose,<br />
die sich selbstständig machen<br />
wollten, bekamen im ersten Jahr 600<br />
Euro pro Monat, 360 Euro im zweiten<br />
Jahr <strong>und</strong> 240 Euro pro Monat im dritten<br />
Jahr an Förderung. Nur wenige Arbeitslose<br />
versuchten sich als »Ich-AG«-Gründer/innen,<br />
<strong>und</strong> viele von ihnen scheiterten<br />
– was einen kritischen Beobachter<br />
kaum verw<strong>und</strong>ert.<br />
Nicht nur die materielle Situation,<br />
auch die Position von Frauen <strong>und</strong> alleinerziehenden<br />
Müttern auf dem Arbeitsmarkt<br />
hat sich durch die Hartz-Gesetze<br />
verschlechtert. Mini- <strong>und</strong> Midi-Jobs übernehmen<br />
größtenteils Frauen. »Haushaltsnahe<br />
Dienstleistungen«, die sie<br />
erbringen sollen, heißen im Klartext:<br />
Besserverdienende, die dafür Steuervergünstigungen<br />
erhalten, bieten den<br />
Frauen einen Job als Reinigungskraft,<br />
Kinderfrau oder Haushälterin bei geringer<br />
Bezahlung. Ist die »Mini-Jobberin«<br />
mit einem sozialversicherungspflichtig<br />
Beschäftigten verheiratet, braucht sie<br />
wegen der kostenfreien Familienmitversicherung<br />
keine Krankenkassenbeiträge<br />
zu entrichten. Um die vollen Leistungen<br />
der Rentenversicherung in Anspruch<br />
nehmen zu können, muss eine Putzfrau<br />
jedoch ergänzende Beiträge zahlen.<br />
Andernfalls drohen Sozialhilfebedürftigkeit<br />
<strong>und</strong> Altersarmut.<br />
Kinder- <strong>und</strong> Jugend-<strong>Armut</strong> wird<br />
»normal«<br />
Durch die Einführung des Arbeitslosengeldes<br />
II für Langzeitarbeitslose <strong>und</strong><br />
Niedriglohnbezieher/innen sind neue<br />
Zonen der <strong>Armut</strong> entstanden, wovon<br />
gerade die Familien betroffen sind.<br />
Wie die Rekordhöhe der Kinderarmut<br />
nach Inkrafttreten der Arbeitsmarktreformen<br />
zeigt, gehören Heranwachsende<br />
<strong>und</strong> ihre Mütter gemeinsam mit<br />
den Migrant(inn)en zu den Hauptverlierer(inne)n<br />
von Hartz IV. Hinzu kommt<br />
ein weiterer, nicht geldlicher Aspekt:<br />
Wenn man Zumutbarkeitsregelungen<br />
verschärft <strong>und</strong> von den Arbeitssuchenden<br />
mehr Mobilität verlangt, verringern<br />
sich die Chancen für Familien, ein geregeltes,<br />
nicht durch Zeitdruck oder räumliche<br />
Trennung von Eltern <strong>und</strong> Kindern<br />
beeinträchtigtes Leben zu führen.<br />
Die Hartz-Gesetze hintertreiben Bemühungen<br />
zur <strong>Armut</strong>sbekämpfung. Besonders<br />
Hartz IV trägt durch das Abdrängen<br />
der Langzeitarbeitslosen <strong>und</strong> ihrer<br />
Familienangehörigen in den Fürsorgebereich<br />
dazu bei, dass Kinderarmut<br />
»normal« <strong>und</strong> so schwerer skandalisierbar<br />
wird. Die finanzielle Lage von Familien<br />
mit Empfänger(inne)n von Arbeitslosenhilfe<br />
hat sich durch den Übergang<br />
zum Arbeitslosengeld II verschlechtert,<br />
was erhebliche materielle Einschränkungen<br />
für betroffene Kinder einschließt.<br />
Gleichzeitig dürfte die daraus resultierende<br />
Resignation von Erwachsenen<br />
eine negative Vorbildwirkung auf die Kinder<br />
haben.<br />
Eine soziale Gr<strong>und</strong>sicherung, wie sie<br />
das Arbeitslosengeld II laut Gesetzestext<br />
sein möchte, muss vor <strong>Armut</strong> schützen,<br />
damit sie diesen Namen auch verdient.<br />
<strong>Das</strong> kann man in Anbetracht<br />
der äußerst niedrigen Gr<strong>und</strong>beträge<br />
vom Arbeitslosengeld II nicht behaupten.<br />
Auf zwei Jahre befristete Übergangszuschläge<br />
von maximal 160 Euro für<br />
Erwachsene <strong>und</strong> bis zu 60 Euro für Kinder<br />
monatlich, die nach einem Jahr halbiert<br />
werden, schützen nicht vor <strong>Armut</strong>.<br />
Diese Zuschläge <strong>verhindern</strong> nicht, dass<br />
Familien, die darauf zurückgreifen müssen,<br />
an den Rand der Gesellschaft<br />
gedrängt werden. Gleiches gilt für die<br />
bis Ende 2007 auf drei Jahre befristeten<br />
Kinderzuschläge für Geringverdiener<br />
von maximal 140 Euro monatlich.<br />
Betroffen sind auch die Kinder, deren<br />
Väter aufgr<strong>und</strong> ihres gegenüber der<br />
Arbeitslosenhilfe niedrigerne Arbeitslosengeldes<br />
II keinen oder weniger Unterhalt<br />
zahlen können – denn die Unterhaltsvorschusskassen<br />
der Jugendämter<br />
springen maximal sechs Jahre lang ein<br />
<strong>und</strong> auch nur bis zum zwölften Lebensjahr<br />
des Kindes.<br />
Die vor drei Jahren vorgenommenen<br />
»Korrekturen« an Hartz IV kann man<br />
trotz Anhebung des Arbeitslosengeldes<br />
II im Osten auf westdeutsches Niveau<br />
nur als »Hartz V« bezeichnen. Damit sollen<br />
jedes Jahr mehrere Milliarden Euro<br />
eingespart werden. Die Korrekturen verschärfen<br />
den Druck auf Langzeitarbeitslose<br />
weiter. Heranwachsende <strong>und</strong> junge<br />
Erwachsene unter 25 Jahren müssen wieder<br />
bei ihren Eltern wohnen. Man nimmt<br />
ihnen per Mittelentzug die Möglichkeit,<br />
einen eigenen Hausstand zu gründen,<br />
was einer so reichen <strong>und</strong> hoch individualisierten<br />
Gesellschaft unwürdig ist. Die<br />
übrigen Kürzungs- <strong>und</strong> Kontrollmaßnahmen<br />
im Zweiten SGB-II-Änderungsgesetz<br />
<strong>und</strong> im Hartz-IV-Fortentwicklungsgesetz<br />
zeigen, dass Hartz IV nicht das
Kinderarmut in einem reichen Land 28<br />
Ende der »Reformen« oder besser des<br />
Sozialabbaus ist. Dieses <strong>Armut</strong>sgesetz<br />
ist vielmehr ein Zwischenschritt auf dem<br />
Wege vom Sozialversicherungsstaat hin<br />
zum Fürsorge-, Almosen- <strong>und</strong> Suppenküchenstaat.<br />
Skandalöse Steuerpolitik<br />
Im Januar vor zwei Jahren hat die B<strong>und</strong>esregierung<br />
die Mehrwertsteuer von<br />
16 Prozent auf 19 Prozent erhöht. <strong>Das</strong><br />
geht vor allem zu Lasten von Familien<br />
von Geringverdienern <strong>und</strong> Transferleistungsempfänger(inne)n,<br />
weil diese<br />
einen Großteil ihres Einkommens in<br />
den Konsum stecken müssen. Deshalb<br />
trifft sie die Mehrwertsteuer stärker als<br />
Besserverdienende. Verbrauchssteuern<br />
sind eher unsozial, weil sie die Leistungsfähigkeit<br />
<strong>und</strong> die finanzielle Lage der<br />
Steuerpflichtigen nicht berücksichtigen.<br />
Die sogenannte »Reichensteuer« ist<br />
eine Beruhigungspille für die SPD-Basis.<br />
Bürger/innen werden erst ab einem Jahreseinkommen<br />
von 250 000 Euro <strong>und</strong><br />
Verheiratete ab einem Jahreseinkommen<br />
von 500 000 Euro erfasst. Unternehmer,<br />
Freiberufler <strong>und</strong> Selbstständige<br />
sind ausgenommen. Gleichzeitig<br />
öffnet sich die Schere zwischen Arm<br />
<strong>und</strong> Reich weiter: (Kinder-)<strong>Armut</strong> steigt,<br />
(Kinder-)Reichtum auch. Firmenerben<br />
werden seit Anfang des Jahres von der<br />
betrieblichen Erbschaftsteuer befreit,<br />
wenn sie das Familienunternehmen<br />
zehn Jahre lang fortführen <strong>und</strong> die Bruttolohnsumme<br />
in dieser Zeit konstant halten.<br />
Selbst Entlassungen größeren Stils<br />
sind so möglich, wenn die Lohnsumme<br />
aufgr<strong>und</strong> von Inflation <strong>und</strong> dadurch<br />
bedingter Lohn- <strong>und</strong> Gehaltssteigerungen<br />
nicht sinkt. Ausgerechnet die Kinder<br />
der reichsten Familien à la Burda,<br />
Oetker <strong>und</strong> Klatten haben ein Steuergeschenk<br />
der Großen Koalition in Milliardenhöhe<br />
erhalten. Reiche <strong>und</strong> Superreiche<br />
werden immer mehr aus der finanziellen<br />
Verantwortung für das Gemeinwesen<br />
entlassen, wenn sie sich nicht<br />
bereits steuersparend ins Ausland abgesetzt<br />
haben, wie die Beckenbauers, Netzers<br />
<strong>und</strong> Schumachers – von den Massenmedien<br />
gleichwohl immer noch als<br />
»Kaiser« oder »deutsche Helden« gefeiert.<br />
Die der globalen Finanzmarktkrise<br />
offenbar auf dem Fuße folgende Weltwirtschaftskrise<br />
verschärft durch eine<br />
stark wachsende Arbeitslosigkeit die<br />
soziale Schieflage in der B<strong>und</strong>esrepublik<br />
noch. Für die <strong>Armut</strong>sbekämpfung<br />
dürfte nach den riesigen Summen<br />
für die Banken-Rettungs-Pakete in den<br />
Staatshaushalten eher weniger Geld<br />
bereit stehen. Neue, auf Leistungskürzungen<br />
zielende »Reformen« sind deshalb<br />
keineswegs ausgeschlossen. Wenn<br />
die staatlichen Beteiligungen wirkungslos<br />
bleiben <strong>und</strong> die staatlichen Bürgschaften<br />
fällig werden, müssen wahrscheinlich<br />
Arme <strong>und</strong> Mittelschichten die<br />
Zeche durch »Sparprogramme« bezahlen.<br />
Die Verursacher der Krise kommen<br />
nicht nur ungeschoren davon. Obwohl<br />
sie zu den Profiteuren der neoliberalen<br />
»Modernisierung« gehören, wird ihnen<br />
unter die Arme gegriffen.<br />
Kinderarmut verringern<br />
<strong>und</strong> <strong>verhindern</strong> – Maßnahmen<br />
Heutige <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> Kinderarmut in der<br />
B<strong>und</strong>esrepublik sind vor allem eine<br />
Folge der Globalisierung <strong>und</strong> der neoliberalen<br />
Umstrukturierungen fast aller<br />
Lebensbereiche. <strong>Armut</strong> kann man deshalb<br />
ohne ihr Gegenstück, den in wenigen<br />
Händen konzentrierten Reichtum,<br />
nicht verstehen (Kapitel 6 über »<strong>Armut</strong><br />
<strong>und</strong> Reichtum – zwei Seiten einer<br />
Medaille«). Wer über den Reichtum<br />
nicht reden will, sollte auch zur <strong>Armut</strong><br />
schweigen. Oder anders ausgedrückt:<br />
Wer die wachsende Kinderarmut mit<br />
Erfolg bekämpfen will, muss die Reichen<br />
stärker zur Kasse bitte. Infrage<br />
kommen die Wiedereinführung der Vermögensteuer<br />
<strong>und</strong> die Erhöhung der<br />
Erbschaftsteuer. Nur dann hat der<br />
Staat genügend Geld, das notwendig<br />
ist, um <strong>Armut</strong> wirksam zu bekämpfen.<br />
Kinderarmut kann man nur durch<br />
eine Beschäftigungs-, Bildungs-, Familien-<br />
<strong>und</strong> Sozialpolitik beseitigen, die<br />
auch Arbeit, Einkommen <strong>und</strong> Vermögen<br />
umverteilt. Durch einzelne Schritte, wie<br />
höhere Transferleistungen an die Eltern,<br />
kann man prekäre Lebenslagen zwar<br />
verbessern, ihre Ursachen aber kaum<br />
beseitigen. Nötig ist ein Wechsel vom<br />
»schlanken« oder besser magersüchtigen<br />
Staat hin zu einem Sozialstaat, der<br />
eingreift <strong>und</strong> gleichzeitig stärker auf die<br />
veränderten Arbeits- <strong>und</strong> Lebensbedingungen<br />
der Eltern ausgerichtet ist.<br />
Die sich heute in allen entwickelten<br />
Industriestaaten verfestigende Massenarbeitslosigkeit<br />
zieht oft einen sozialen<br />
Abstieg nach sich. Dieser verläuft<br />
meist stufenförmig <strong>und</strong> trifft nicht nur<br />
die direkt Betroffenen hart, sondern<br />
auch deren Familien. Vor allem Alleinerziehende<br />
haben das Nachsehen. Deshalb<br />
ist die nachhaltige Verringerung<br />
der Arbeitslosigkeit auch ein Hebel,<br />
um Kinderarmut zu bekämpfen. Eine<br />
konsequentere Beschäftigungspolitik<br />
müsste alle Möglichkeiten nutzen, um<br />
mehr Stellen zu schaffen. Die Palette<br />
reicht von einer Umverteilung der Arbeit<br />
durch Überst<strong>und</strong>enabbau <strong>und</strong> einer<br />
Verkürzung der Wochen- <strong>und</strong> Lebens-<br />
Arbeitszeit über staatliche Investitionsprogramme<br />
bis zu einem öffentlich geförderten<br />
Dienstleistungssektor.<br />
Kinderarmut nimmt vor allem zu,<br />
weil »Normalarbeitsverhältnisse« immer<br />
weniger werden. Deshalb muss man<br />
den Flächentarifvertrag bewahren <strong>und</strong><br />
einen gesetzlichen Mindestlohn einführen,<br />
wie er in den meisten EU-Staaten<br />
längst besteht. Sinnvoll wäre auch,<br />
Arbeitszeitregelungen in Betrieben <strong>und</strong><br />
Verwaltungen einzuführen, die an die<br />
Lebensbedürfnisse der Beschäftigten<br />
<strong>und</strong> ihrer Familien angepasst sind. <strong>Das</strong><br />
Normalarbeitsverhältnis müsste quasi<br />
neu justiert werden: Beschäftigte müssten<br />
zwischen Vollzeitarbeit, Teilzeitarbeit<br />
<strong>und</strong> Arbeitsunterbrechung ohne<br />
Einbußen an sozialer Sicherheit <strong>und</strong><br />
beruflichen Weiterbildungsmöglichkeiten<br />
wechseln können. Arbeitgeber müssten<br />
auf die je nach der Lebenssituation<br />
wechselnden Interessen ihrer Beschäftigten<br />
Rücksicht nehmen. Ein neues, flexibles<br />
Normalarbeitsverhältnis, das an<br />
die veränderten Bedingungen der Globalisierung<br />
angepasst ist, muss genauso<br />
wie das althergebrachte gesellschaftlich<br />
eingebettet <strong>und</strong> sozial flankiert sein.<br />
Dazu gehört auch ein Ausbau der öffentlichen<br />
Infrastruktur mit Ganztagsbetreuung<br />
für Kinder unter drei Jahren <strong>und</strong><br />
die Ganztagsschule. Da sich Kinderarmut<br />
meist auf Frauen- oder Mütterarmut<br />
zurückführen lässt, sind Arbeitsplätze<br />
erforderlich, die eine bessere<br />
Vereinbarkeit von Beruf <strong>und</strong> Familie<br />
ermöglichen. Auf dem Weg dahin kann<br />
man zwei Strategien unterscheiden. Die<br />
simultane setzt auf den Ausbau öffentlicher<br />
Kinderbetreuungseinrichtungen,<br />
die sukzessive Strategie dagegen bevorzugt<br />
ein »Erziehungsgehalt«.<br />
»Umverteilung von oben nach unten!«<br />
<strong>und</strong> nicht »Umverteilung von den Kin-
29 Kinderarmut in einem reichen Land<br />
derlosen zu den Eltern!« müsste die<br />
Devise einer gerechteren Familienpolitik<br />
lauten. Dafür kommt auf den ersten<br />
Blick eine massive Erhöhung des<br />
Kindergeldes infrage, wie das der Deutsche<br />
Kinderschutzb<strong>und</strong> verlangt. <strong>Das</strong><br />
zwischen 1998 bis 2002 drei Mal angehobene<br />
Kindergeld ist zwar die wichtigste<br />
Sozialleistung, um <strong>Armut</strong> von Familien<br />
zu bekämpfen. Es wird aber voll auf die<br />
Unterhaltszahlungen oder Unterhaltsersatzleistungen<br />
für die Kinder angerechnet.<br />
<strong>Das</strong> bedeutet, dass ausgerechnet<br />
die Familien <strong>und</strong> Haushalte nicht<br />
von Erhöhungen profitieren, deren Einkommen<br />
am niedrigsten sind. Da arme<br />
Kinder nicht in den Genuss des höheren<br />
Kindergeldes kommen, weil dieses<br />
auf die Sozialhilfe <strong>und</strong> das Arbeitslosengeld<br />
II oder Sozialgeld angerechnet<br />
wird, vertieft sich die soziale Spaltung.<br />
Die Kinder der Transferleistungsempfänger/innen<br />
werden bis zur zehnten<br />
Klasse mit einem Schulstarterpaket von<br />
100 Euro abgespeist – wohl damit keine<br />
Missverständnisse darüber aufkommen,<br />
wer Abitur machen soll <strong>und</strong> wer nicht.<br />
So viel zum Versprechen der B<strong>und</strong>eskanzlerin,<br />
»Bildung für alle« zu ermöglichen<br />
<strong>und</strong> Deutschland angeblich zur<br />
»Bildungsrepublik« machen zu wollen.<br />
Die flächendeckende Versorgung mit<br />
Ganztagsschulen, Kindergarten-, Krippen-<br />
<strong>und</strong> Hortplätzen hätte dagegen<br />
einen doppelten Nutzen. Einerseits<br />
würden von <strong>Armut</strong> betroffene oder<br />
bedrohte Kinder umfassender betreut<br />
<strong>und</strong> systematischer gefördert als bisher.<br />
Andererseits könnten ihre Eltern<br />
leichter als sonst einer Vollzeitbeschäftigung<br />
nachgehen, was finanzielle Schwierigkeiten<br />
verringert. Größere Unternehmen<br />
müssten ergänzend für Alleinerziehende<br />
günstige Arbeitszeitmodelle<br />
<strong>und</strong>/oder Betriebskindergärten anbieten.<br />
Die Ganztagschule kann als Regelschule<br />
soziale Handikaps kompensieren.<br />
Sie ermöglicht, die Kinder durch<br />
das gemeinsame Mittagessen besser<br />
mit Lebensmitteln zu versorgen, eine<br />
gezielte Unterstützung bei der Erledigung<br />
von Hausaufgaben <strong>und</strong> eine sinnvollere<br />
Freizeitgestaltung. Ohne die<br />
schon längst überfällige Abschaffung<br />
des dreigliedrigen Schulsystems bleibt<br />
die Ganztagsschule allerdings Stückwerk,<br />
weil sie nichts an der von PISA<br />
offen gelegten Auswahl nach sozialer<br />
Herkunft ändern würde.<br />
Schulen müssen nicht nur länger<br />
geöffnet sein, sondern sich auch in ihrer<br />
Struktur stärker für Kinder <strong>und</strong> Jugendliche<br />
öffnen. Bildungspolitik, besonders<br />
die Schulpolitik, <strong>und</strong> Sozialpädagogik<br />
sind gleichermaßen gefordert, für<br />
alle Menschen befriedigende Lebensverhältnisse<br />
<strong>und</strong> ein Höchstmaß an<br />
Chancengleichheit zwischen Kindern<br />
unterschiedlicher sozialer <strong>und</strong> ethnischer<br />
Herkunft zu schaffen. Bildung<br />
ist keine politische W<strong>und</strong>erwaffe im<br />
Kampf gegen die <strong>Armut</strong>. Sie kann aber<br />
gerade im viel beschworenen »Zeitalter<br />
der Globalisierung«, in der eine hohe<br />
Arbeitsproduktivität <strong>und</strong> die Qualifikation<br />
des »Humankapitals« Standortfaktoren<br />
sind, die Lebenschancen von Kindern<br />
aus »Problemfamilien« verbessern.<br />
<strong>Das</strong> klappt allerdings nicht, wenn Bildung<br />
den Marktgesetzen <strong>und</strong> privaten<br />
Verwertungsinteressen unterworfen ist<br />
<strong>und</strong> dadurch nur für die kaufkräftige<br />
K<strong>und</strong>schaft zur Verfügung steht.<br />
<strong>Das</strong> deutsche System der sozialen<br />
Sicherung ist nicht nur auf Erwerbsarbeit<br />
<strong>und</strong> die Ehe als Lebensform, sondern<br />
auch auf Erwachsene ausgerichtet.<br />
Eine Kinder- <strong>und</strong> Jugendpolitik, die<br />
<strong>Armut</strong> verringern <strong>und</strong> vermeiden will,<br />
darf nicht zulassen, dass die kommunalen<br />
Angebote für diese Altersgruppe aufgr<strong>und</strong><br />
staatlicher Sparmaßnahmen <strong>und</strong><br />
leerer öffentlicher Kassen weiter zusammengestrichen<br />
werden. Bildungs-, Erziehungs-<br />
<strong>und</strong> Kultureinrichtungen sind für<br />
die Entwicklung <strong>und</strong> freie Entfaltung<br />
der Persönlichkeit sozial benachteiligter<br />
Kinder unentbehrlich. Deshalb dürfen<br />
sie nicht privatisiert werden, wie das<br />
der neoliberale Zeitgeist fordert, sondern<br />
der Staat muss diese Einrichtungen<br />
betreiben <strong>und</strong> weiter ausbauen.<br />
Politik für Kinder <strong>und</strong> Jugendliche<br />
muss auch Politik von <strong>und</strong> mit Kindern<br />
<strong>und</strong> Jugendlichen sein. Kinder<strong>und</strong><br />
Jugendforen vor Ort könnten dazu<br />
beitragen, dass die Betroffenen selbst<br />
mit entscheiden, wenn es darum geht,<br />
<strong>Armut</strong> zu verringern <strong>und</strong> zu <strong>verhindern</strong>.<br />
Eine <strong>Armut</strong>sbekämpfung von oben, die<br />
die »vor Ort« bestehenden Verhältnisse<br />
ignoriert, müsste in der kommunalen<br />
Sozialpolitik von Städten <strong>und</strong> Gemeinden<br />
durch eine <strong>Armut</strong>sbekämpfung von<br />
unten ergänzt oder ersetzt werden.<br />
Prof. Dr. Christoph Butterwegge, geboren<br />
1951, lehrt Politikwissenschaft an<br />
der Universität zu Köln. <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> Sozialstaat<br />
sind die Schwerpunkte seiner<br />
Arbeit.<br />
Literatur:<br />
Butterwegge, Christoph: Krise <strong>und</strong><br />
Zukunft des Sozialstaates, 3. Aufl. Wiesbaden<br />
(VS – Verlag für Sozialwissenschaften)<br />
2006<br />
Butterwegge, Christoph/Kl<strong>und</strong>t, Michael/<br />
Belke-Zeng, Matthias: Kinderarmut in<br />
Ost- <strong>und</strong> Westdeutschland, 2. Aufl. Wiesbaden<br />
(VS – Verlag für Sozialwissenschaften)<br />
2008<br />
Butterwegge, Christoph/Lösch, Bettina/Ptak,<br />
Ralf: Kritik des Neoliberalismus,<br />
2. Aufl. Wiesbaden (VS – Verlag für<br />
Sozialwissenschaften) 2008<br />
Butterwegge, Christoph/Lösch, Bettina/Ptak,<br />
Ralf (Hrsg.): Neoliberalismus.<br />
Analysen <strong>und</strong> Alternativen, Wiesbaden<br />
(VS – Verlag für Sozialwissenschaften)<br />
2008
<strong>Armut</strong> <strong>und</strong> Kinderarmut in Bremen 30<br />
5 <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>und</strong> Kinderarmut in Bremenin Bremen<br />
Inga Nitz<br />
In Deutschland verschärfen sich soziale<br />
Gegensätze. Die steigende <strong>Armut</strong>squote<br />
bei gleichzeitiger Spreizung der<br />
Einkommen, feste <strong>Armut</strong>slagen aufgr<strong>und</strong><br />
dauerhafter Arbeitslosigkeit, das<br />
gewachsene Abstiegsrisiko sozialer Mittelschichten<br />
sowie ungleiche Bildungschancen<br />
sind deutliche Anzeichen für<br />
diese Entwicklung. In den Städten zeigt<br />
sich die gesellschaftliche Polarisierung<br />
durch eine schärfer werdende Trennung<br />
von wohlhabenden <strong>und</strong> sozial benachteiligten<br />
Bevölkerungsgruppen. Soziologen<br />
sprechen auch von Segregation. Zu<br />
befürchten ist, dass dieser Prozess zu<br />
einer dauerhaften <strong>Ausgrenzung</strong> von Teilen<br />
der städtischen <strong>Armut</strong>sbevölkerung<br />
führt. Sozialer Status <strong>und</strong> Lebenserwartung<br />
sind eng miteinander verb<strong>und</strong>en.<br />
Die mittlere Lebenserwartung von Angehörigen<br />
sozialer Oberschichten liegt um<br />
mehrere Jahre über der von Angehörigen<br />
sozialer Unterschichten.<br />
Auswirkungen sozialer<br />
Polarisierung<br />
Eine sozialräumliche Analyse von Daten<br />
zur Lebenserwartung <strong>und</strong> Sterblichkeit<br />
im Auftrag der Stadt Bremen belegt,<br />
dass sich mit zunehmender gesellschaftlicher<br />
Ungleichheit auch die sozialen<br />
Unterschiede in der Lebenserwartung<br />
<strong>und</strong> Sterblichkeit vergrößern. Gegenübergestellt<br />
wurden die am meisten<br />
segregierten Wohngebiete: Die privilegierten<br />
bürgerlichen Wohnquartiere,<br />
ehemals vom Abriss bedrohte Gründerzeit-Viertel<br />
am Cityrand, die traditionellen<br />
Arbeiterviertel <strong>und</strong> die Hochhaussiedlungen<br />
des sozialen Wohnungsbaus<br />
am Stadtrand. Der Auswertungszeitraum<br />
umfasst den Zeitraum zwischen<br />
1970 <strong>und</strong> 2003. In dieser Zeit vergrößerten<br />
sich vor allem die Gegensätze zwischen<br />
den bürgerlichen Wohngegenden<br />
auf der einen Seite <strong>und</strong> den Arbeitervierteln<br />
sowie den Hochhaussiedlungen auf<br />
der anderen Seite. <strong>Das</strong> verdeutlichen<br />
zahlreiche Daten. Beispielhaft ist die<br />
gegenläufige Entwicklung bei Einwohnerzahl<br />
<strong>und</strong> Erwerbstätigkeit. In den bürgerlichen<br />
Quartieren nahmen die Bevölkerung<br />
<strong>und</strong> die Zahl der sozialversicherungspflichtig<br />
Beschäftigten deutlich zu.<br />
Dagegen verringerten sich in den Arbeitervierteln<br />
<strong>und</strong> in den Hochhaussiedlungen<br />
sowohl die Zahl der BewohnerInnen<br />
als auch die Beschäftigung teilweise<br />
drastisch.<br />
Lebenserwartung <strong>und</strong> Sterblichkeit<br />
Zwischen 1970 <strong>und</strong> 2003 wuchsen die<br />
Unterschiede in der Lebenserwartung<br />
<strong>und</strong> Sterblichkeit. Besonders ausgeprägt<br />
ist dieser Trend bei den Männern:<br />
In den bürgerlichen Vierteln stieg die<br />
mittlere Lebenserwartung eines neugeborenen<br />
Jungen um fast sieben Lebensjahre<br />
von 71 im Jahr 1979 auf 77,9 Jahre<br />
vor sechs Jahren. In den Arbeitervierteln<br />
nahm die mittlere Lebenserwartung<br />
dagegen im selben Zeitraum nur<br />
um 5,4 Lebensjahre von 67,1 auf 72,5<br />
Jahre zu. In den Hochhaussiedlungen<br />
war der Anstieg der Lebenserwartung<br />
am geringsten. Hier erhöhte sich die<br />
mittlere Lebenserwartung im Betrachtungszeitraum<br />
um vier Jahre von 69,1 auf<br />
73,1 Jahre. Analog entwickelten sich bei<br />
den Männern die Sterberaten. Während<br />
sich die Sterblichkeit zwischen 1970 <strong>und</strong><br />
2003 in den bürgerlichen Vierteln fast<br />
halbierte (minus 48 Prozent), lagen die<br />
Rückgänge in den Arbeitervierteln mit<br />
36,3 Prozent <strong>und</strong> in den Hochhaussiedlungen<br />
mit 27,5 Prozent deutlich niedriger.<br />
Ähnlich verlief die Entwicklung bei<br />
den Sterbefällen unter 65 Jahren. Diese<br />
sogenannte vorzeitige Sterblichkeit ging<br />
in den bürgerlichen Wohnvierteln um<br />
mehr als die Hälfte zurück (minus 50,8<br />
Prozent). In den Arbeitervierteln sank<br />
die Rate dagegen nur um 29,4 Prozent,<br />
in den Hochhaussiedlungen sogar<br />
nur um 15,2 Prozent. Bei vermeidbaren<br />
Sterbefällen zeigt sich das gleiche Bild.<br />
Gemeint sind Todesfälle in einem Alter,<br />
das deutlich unter der durchschnittlichen<br />
Lebenserwartung der Bevölkerung<br />
liegt <strong>und</strong> die durch eine angemessene<br />
Behandlung <strong>und</strong> Vorsorge vermeidbar<br />
sein sollten. Diese Todesfälle verringerten<br />
sich in den bürgerlichen Vierteln<br />
um 52,6 Prozent. In den Arbeitervierteln<br />
betrug der Rückgang 31,8 Prozent, in<br />
den Hochhaussiedlungen 20,5 Prozent.<br />
Diese Entwicklung führte zu einer deutlichen<br />
Ausweitung der sozialräumlichen<br />
Unterschiede in der Sterblichkeit. Im<br />
Vergleich zu den bürgerlichen Vierteln<br />
lag die Gesamtsterblichkeit zwischen<br />
1970 <strong>und</strong> 1974 in den Arbeitervierteln<br />
um 25,6 Prozent <strong>und</strong> in den Hochhaussiedlungen<br />
um 9,2 Prozent höher. Bis<br />
zum Ende der Beobachtungsperiode<br />
zwischen 2000 <strong>und</strong> 2003 hatten sich<br />
diese Abstände massiv ausgeweitet. Verglichen<br />
mit den bürgerlichen Vierteln
31 <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> Kinderarmut in Bremen<br />
war die Sterberate in den Arbeitervierteln<br />
nun um 54,1 Prozent <strong>und</strong> in den<br />
Hochhaussiedlungen um 52,2 Prozent<br />
höher.<br />
Bei den Frauen weitete sich die Kluft<br />
in der Lebenserwartung <strong>und</strong> Sterblichkeit<br />
nicht ganz so dramatisch aus. In<br />
den bürgerlichen Vierteln stieg die mittlere<br />
Lebenserwartung eines neugeborenen<br />
Mädchens um sechs Lebensjahre<br />
von 77,5 im Jahr 1979 auf 83,5 Jahre im<br />
Jahr 2003. In den Arbeitervierteln nahm<br />
die mittlere Lebenserwartung um 5,4<br />
Jahre zu <strong>und</strong> stieg von 74,2 auf 79,6<br />
Jahre. In den Hochhaussiedlungen stieg<br />
sie um 4,9 Jahre von 76 auf 80,9 Jahre.<br />
Bei den Frauen verringerte sich die Sterberate<br />
zwischen 1970 <strong>und</strong> 2003 in den<br />
bürgerlichen Vierteln mit 43,3 Prozent<br />
am stärksten. In den Arbeitervierteln<br />
nahm die Rate um 39,2 Prozent ab, in<br />
den Hochhaussiedlungen um 28,2 Prozent.<br />
Bei den Sterbefällen unter 65 Jahren<br />
halbierte sich in den bürgerlichen<br />
Vierteln die Rate. In den Arbeitervierteln<br />
dagegen war der Rückgang mit<br />
37,5 Prozent <strong>und</strong> vor allem in den Hochhaussiedlungen<br />
mit 14,4 Prozent deutlich<br />
schwächer. Die vermeidbaren Todesfälle<br />
verringerten sich in den bürgerlichen<br />
Vierteln um 26,1 Prozent. In den<br />
Arbeitervierteln betrug der Rückgang<br />
22,9 Prozent, in den Hochhaussiedlungen<br />
sank die Rate mit 5,5 Prozent kaum.<br />
Auch bei den Frauen vergrößerten sich<br />
die sozialräumlichen Sterblichkeitsunterschiede.<br />
Im Vergleich zu den bürgerlichen<br />
Vierteln lag die Sterberate zu<br />
Beginn der Beobachtungsperiode zwischen<br />
1970 <strong>und</strong> 1974 in den Arbeitervierteln<br />
um 23,6 Prozent <strong>und</strong> in den Hochhaussiedlungen<br />
um 4,1 Prozent höher.<br />
Bis zum Ende des Analysezeitraums zwischen<br />
2000 <strong>und</strong> 2003 hatte sich dieser<br />
Abstand in den Arbeitervierteln auf 32,4<br />
Prozent <strong>und</strong> in den Hochhaussiedlungen<br />
auf 31,8 Prozent vergrößert.<br />
Kinderarmut<br />
Die Sozialhilfequote, die den Anteil<br />
der SozialhilfeempfängerInnen an der<br />
Gesamtbevölkerung angibt, lag Ende<br />
Dezember vor vier Jahren in der Stadt<br />
Bremen bei 8,3 Prozent. Unter Kindern<br />
<strong>und</strong> Jugendlichen war diese Quote mit<br />
19,7 Prozent fast zweieinhalb Mal höher.<br />
Insgesamt erhielten 45 334 Personen<br />
Sozialhilfe, davon waren 17 187 unter 18<br />
Jahre alt. Damit waren in der Stadt Bremen<br />
mit 37,9 Prozent mehr als ein Drittel<br />
der Hilfebezieher minderjährig. Der<br />
Anteil der unter 18-Jährigen an der Bremer<br />
Bevölkerung betrug dagegen nur 16<br />
Prozent. Im April vor drei Jahren bezogen<br />
in der Stadt Bremen fast 21 000<br />
Kinder unter 15 Jahren Sozialgeld nach<br />
dem Sozialgesetzbuch (SGB) II, das sind<br />
knapp 30 Prozent aller Kinder in dieser<br />
Altersgruppe. Diese Zahlen machen<br />
noch einmal deutlich, dass <strong>Armut</strong>slagen<br />
bei Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen überdurchschnittlich<br />
häufig auftreten.<br />
Handlungsbedarf für die<br />
Hansestadt<br />
Notwendig ist die Entwicklung neuer<br />
Politikansätze nicht nur auf globaler,<br />
europäischer oder nationaler, sondern<br />
auch auf der regionalen <strong>und</strong> lokalen<br />
Ebene. Gerade sozial benachteiligte<br />
Bevölkerungsgruppen sind auf Ressourcen<br />
vor Ort <strong>und</strong> auf eine funktionierende<br />
Infrastruktur im Wohnquartier<br />
angewiesen. In Bremen gehören stadtteilorientierte<br />
Maßnahmen schon länger<br />
zum Repertoire sozialpolitischer<br />
Interventionen. Der Begriff Intervention<br />
steht in der Sozialen Arbeit für zielgerichtetes<br />
sozialarbeiterisches Eingreifen.<br />
Schon vor zwanzig Jahren trat die<br />
Stadt mit dem Programm »Nachbesserung<br />
von Großsiedlungen« problematischen<br />
Entwicklungen entgegen. Daran<br />
anknüpfend beschloss die Bremer Bürgerschaft<br />
neun Jahre später das Programm<br />
»Wohnen in Nachbarschaften<br />
(WiN)«, das schließlich mit dem B<strong>und</strong>-<br />
Länder-Projekt »Soziale Stadt« zusammengeführt<br />
wurde. Diese mit fast 20<br />
Millionen Euro geförderten Maßnahmen<br />
sollen die Lebenssituation in benachteiligten<br />
Stadtvierteln verbessern <strong>und</strong><br />
zeigen inzwischen einige Erfolge.<br />
Vom Ansatz her sind solche Programme<br />
»quartiersorientierte Sozialpolitik«.<br />
Diese bemüht sich gemeinsam<br />
mit der Bevölkerung aus dem benachteiligten<br />
Stadtviertel um den Erhalt<br />
<strong>und</strong> Ausbau lokaler Ressourcen. Die<br />
Zielgruppen solcher Maßnahmen gelten<br />
im Gegensatz zu früher prinzipiell<br />
als Akteure <strong>und</strong> nicht mehr als Opfer,<br />
was ein Fortschritt ist. Allerdings ist<br />
zu überlegen, ob die hier mitschwingende<br />
Vision einer aktiven, sich selbst<br />
regulierenden Bürgergesellschaft nicht<br />
die benachteiligten Stadtviertel überfordert?<br />
Schließlich sind es die gesellschaftlich<br />
integrierten Teile der Bevölkerung,<br />
die die Problemviertel verlassen.<br />
Durch diesen Exodus von BürgerInnen,<br />
die sich vielleicht auch einmal<br />
engagieren, um ihr Viertel mitzugestalten,<br />
gehen soziale Kompetenzen verloren.<br />
SoziologInnen sprechen bei solchen<br />
EinwohnerInnen auch von »Citoyens«.<br />
Diese werden aber gebraucht,<br />
um Interessen zu benennen <strong>und</strong> sich<br />
in den rauer werdenden Verteilungskämpfen<br />
durchzusetzen. In der Bewertung<br />
des WiN-Programms wird deshalb<br />
auch angemerkt, dass »die Erwartungen<br />
an eine Bewohnerbeteiligung nicht zu<br />
hoch gesteckt werden (dürfen)«. Insbesondere<br />
MigrantInnen beteiligen sich<br />
kaum. Flankierende Maßnahmen zur
<strong>Armut</strong> <strong>und</strong> Kinderarmut in Bremen 32<br />
Stärkung bürgerschaftlichen Engagements<br />
<strong>und</strong> gemeinschaftsorientierter<br />
Unterstützungsnetze sind deshalb vorerst<br />
unverzichtbar.<br />
Ges<strong>und</strong>heitsförderung in Quartierspolitik einbinden –<br />
Maßnahmen<br />
Direkte Ges<strong>und</strong>heitsförderung<br />
⊲ Netzwerkbildung<br />
⊲ Ges<strong>und</strong>heitshäuser<br />
⊲ Nachbarschaftstreffs<br />
⊲ Präventionsangebote für spezielle Zielgruppen<br />
Mittelbare Ges<strong>und</strong>heitsförderung<br />
⊲ Veränderungen der bebauten Umwelt, um Umweltbelastungen <strong>und</strong><br />
Unfälle zu <strong>verhindern</strong><br />
⊲ Kooperation mit Schulen <strong>und</strong> Beschäftigungsförderung<br />
Ges<strong>und</strong>heitsförderung<br />
gehört zwar nicht zu den ausdrücklichen<br />
Zielen des WiN-Programms, ist aber für<br />
die Quartierspolitik wichtig. <strong>Das</strong> Projekt<br />
»Soziale Stadt« liefert diverse Beispiele<br />
dafür, wie man dieses Thema<br />
direkt oder indirekt einbinden kann<br />
(siehe Kasten). Von den genannten<br />
Maßahmen taten sich bislang Präventionsprogramme<br />
schwer, die sich an<br />
sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen<br />
richten. Diese Programme erreichen<br />
vor allem Angehörige höherer<br />
sozialer Schichten. Dort ist der Bedarf,<br />
sozialarbeiterisch einzugreifen, weitaus<br />
geringer ist als in sozialen Unterschichten.<br />
Mit der Internetplattform »Ges<strong>und</strong>heitsförderung<br />
bei sozial Benachteiligten«<br />
ermöglicht die B<strong>und</strong>eszentrale<br />
für ges<strong>und</strong>heitliche Aufklärung, Erfahrungen<br />
auszutauschen <strong>und</strong> Informationen<br />
zu recherchieren. NutzerInnen der<br />
Plattform können voneinander lernen<br />
<strong>und</strong> vermeiden so kostspielige Fehlschläge.<br />
Quartiersbezogene Programme bieten<br />
gute Möglichkeiten, Ges<strong>und</strong>heitsthemen<br />
zu transportieren. Um Impulse<br />
wirkungsvoll zu verstärken, ist eine<br />
sektorenübergreifende, multiprofessionelle<br />
Zusammenarbeit aller relevanten<br />
Akteure notwendig. An diesen konzertierten<br />
Maßnahmen sollten sich, neben<br />
den Einrichtungen des Ges<strong>und</strong>heitswesens,<br />
auch Institutionen aus den Bereichen<br />
Bildung, Arbeit <strong>und</strong> Stadtentwicklung<br />
beteiligen.<br />
Die Konzentration von Ressourcen ist<br />
vor dem Hintergr<strong>und</strong> allgemein begrenzter<br />
finanzieller Spielräume eine weitere<br />
Handlungsmaxime. Die zur Verfügung<br />
stehenden Mittel sind dort einzusetzen,<br />
wo sie am meisten benötigt<br />
werden <strong>und</strong> wo sie wahrscheinlich die<br />
größte Wirkung entfalten. Auch die Verantwortlichen<br />
im Ges<strong>und</strong>heitsamt sollten<br />
sich überlegen, vorhandene Kapazitäten<br />
zugunsten weniger Interventionsgebiete<br />
zusammenzuziehen.<br />
Fazit<br />
⊲ <strong>Armut</strong> ist keine Frage persönlicher<br />
Fehler <strong>und</strong> Unzulänglichkeiten.<br />
⊲ <strong>Armut</strong> ist keine Frage der »Überflüssigkeit«<br />
von Menschen oder Gruppen.<br />
⊲ <strong>Armut</strong> ist kein unvermeidlicher Nebeneffekt<br />
von »Modernisierungsprozessen«.<br />
⊲ <strong>Armut</strong> ist ein Versagen der Politik.<br />
⊲ <strong>Armut</strong> ist ein gesellschaftlicher Skandal.<br />
⊲ <strong>Armut</strong> trifft nicht alle gleich. Arbeitslose,<br />
Alleinerziehende (meist Frauen),<br />
Familien mit Kindern, Familien mit<br />
Migrationshintergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> Ältere<br />
sind am häufigsten von <strong>Armut</strong> betroffen.<br />
⊲ Die soziale Spaltung nimmt zu. In<br />
armen Stadtvierteln stirbt man drei<br />
Jahre früher als in reichen.<br />
⊲ <strong>Armut</strong> verstärkt sich selbst, wirkt sozialräumlich<br />
<strong>und</strong> über Generationen<br />
hinweg.<br />
⊲ <strong>Armut</strong> geht einher mit Reichtum.<br />
Private Vermögen, Unternehmensgewinne<br />
<strong>und</strong> Spitzengehälter sind unerhört<br />
angewachsen. Die wirtschaftlichen<br />
Umbrüche haben für Viele<br />
Arbeitslosigkeit, <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong><br />
gebracht. Einige Wenige dagegen<br />
haben wirtschaftliche Macht, viel<br />
Geld <strong>und</strong> steigen auf – das ist kein<br />
Zufall.<br />
⊲ <strong>Armut</strong>sbekämpfung darf man nicht<br />
nur der Politik überlassen. Viele setzen<br />
sich engagiert dafür ein, dass<br />
Menschen Arbeit, Einkommen <strong>und</strong><br />
Teilhabe bekommen: in den Quartieren,<br />
in Schulen <strong>und</strong> Kindertagesstätten,<br />
in sozialen <strong>und</strong> kulturellen<br />
Projekten, manchmal auch in Behörden<br />
<strong>und</strong> Unternehmen. Vor allem die<br />
von <strong>Armut</strong> Betroffenen selbst kämpfen<br />
darum, sich <strong>und</strong> ihren Kindern<br />
Lebenschancen zu erhalten. Sie brauchen<br />
Unterstützung, Schutz, Hilfe<br />
<strong>und</strong> Geld. Aber das erhalten sie<br />
immer weniger. Stattdessen gibt es<br />
oft genug Geringschätzung, Bürokratie<br />
<strong>und</strong> Desinteresse.<br />
⊲ Eine solidarische Gesellschaft, eine<br />
solidarische Stadt kann sich nicht<br />
damit begnügen, die Folgen zu lindern,<br />
die ein falsches Wirtschaftssystem<br />
<strong>und</strong> eine falsche Politik allen aufbürden.<br />
⊲ Wir brauchen eine neue Umverteilung<br />
für gleiche Lebensverhältnisse,<br />
gerechte Teilhabe, soziale Rechte!<br />
⊲ Wir brauchen materielle <strong>und</strong> gesellschaftliche<br />
Anerkennung aller sozialen<br />
Tätigkeiten, die heute nicht bezahlt,<br />
nicht gefördert, nicht unterstützt, oft<br />
nicht einmal wahrgenommen werden!<br />
⊲ Wir brauchen starke Sozialräume in<br />
einem Sozialstaat, in dem man Lebensentscheidungen<br />
frei von <strong>Armut</strong>srisiken<br />
treffen kann!<br />
⊲ Wir fordern eine andere Steuerpolitik,<br />
eine andere Beschäftigungspolitik,<br />
eine andere Beteiligung oder kurz<br />
<strong>und</strong> knapp: deutlich weniger Kapitalismus!<br />
Inga Nitz, geboren 1979, ist Mitglied der<br />
Partei DIE <strong>LINKE</strong> <strong>und</strong> Sprecherin für<br />
Arbeit <strong>und</strong> Wohnen in der Fraktion DIE<br />
<strong>LINKE</strong> in der Bremischen Bürgerschaft.
33 <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> soziale <strong>Ausgrenzung</strong><br />
6 <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>und</strong> soziale soziale <strong>Ausgrenzung</strong> <strong>Ausgrenzung</strong><br />
Dr. Stefan Thomas<br />
Mein Beitrag wird sich der Frage nach<br />
den Definitionen, Formen <strong>und</strong> Ursachen<br />
von <strong>Armut</strong> aus der Perspektive einer<br />
»Sozialpsychologie des Alltags« nähern<br />
(vgl. Thomas 2008). Phänomene, mit<br />
denen die Betroffenen in der Welt konfrontiert<br />
sind, werden sowohl von der<br />
sozialen Seite als auch von der individuellen<br />
Seite her wissenschaftlich bearbeitet.<br />
Diese doppelte Herangehensweise<br />
ist beim Thema <strong>Armut</strong> entscheidend,<br />
weil soziale <strong>Ausgrenzung</strong> mit psychischer<br />
Desintegration wie Resignation,<br />
Hilflosigkeit <strong>und</strong> Selbstaufgabe zusammenfällt.<br />
Beides bildet einen destruktiven<br />
Zirkel der <strong>Armut</strong>. Meine Argumente<br />
sind in Thesenform aufgebaut.<br />
<strong>Armut</strong> <strong>und</strong> Reichtum<br />
– zwei Seiten einer<br />
Medaille<br />
Um das <strong>Armut</strong>sproblem zu verstehen,<br />
muss man über die ungerechte Verteilung<br />
von Reichtum sprechen. Allerorten<br />
ist zu beobachten, dass die soziale<br />
Ungleichheit in Deutschland größer wird.<br />
<strong>Armut</strong> ist immer weniger ein Problem<br />
von Randgruppen, sondern betrifft die<br />
Gesellschaft im Gesamten (vgl. Häußermann,<br />
Kronauer & Siebel 2004; Butterwege<br />
2006). Dabei könnte der Widerspruch<br />
kaum größer sein. Während der<br />
gesellschaftliche Reichtum in immer<br />
neue Größenordnungen vorstößt, sind<br />
immer mehr Menschen von einer angemessenen<br />
gesellschaftlichen Teilhabe<br />
ausgeschlossen. Zahlen aus den Sozialwissenschaften<br />
können nicht eindeutiger<br />
belegen, dass die Ungleichheit<br />
zwischen arm <strong>und</strong> reich wächst. Der<br />
Bef<strong>und</strong> wachsender sozialer Ungleichheit,<br />
durch ein Auseinanderklaffen von<br />
Arm <strong>und</strong> Reich, lässt sich schon anhand<br />
weniger Zahlen veranschaulichen: <strong>Das</strong><br />
jährliche Bruttosozialprodukt, also der<br />
gesellschaftliche Reichtum, den die<br />
BewohnerInnen eines Landes in einem<br />
Jahr erwirtschaften, wächst stetig. Es<br />
hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren<br />
auf mehr als 2400 Milliarden Euro<br />
im vergangenen Jahr verdoppelt. Gleichzeitig<br />
geht die Schere zwischen Arm<br />
<strong>und</strong> Reich bei der Verteilung des in der<br />
BRD erwirtschafteten Reichtums auseinander<br />
– ablesbar beispielsweise an<br />
der Lohnquote. Der Anteil am erwirtschafteten<br />
gesellschaftlichen Reichtum<br />
aus Erwerbsarbeit ist in den vergangenen<br />
Jahren sukzessive zurückgegangen.<br />
Während der Lohnanteil vor acht Jahren<br />
noch bei 72,2 Prozent des Volkseinkommens<br />
lag, sank dieser bis auf 64,6<br />
Prozent im Jahr 2007. Dagegen ist im<br />
gleichen Maße die Kapitalquote gestiegen,<br />
gemeint sind die Gewinne aus<br />
Kapital <strong>und</strong> Vermögenswerten. Diese<br />
Form der Umverteilung verdeutlichen<br />
beispielsweise Zahlen aus dem Jahr<br />
2005, die zeigen, in welche Taschen<br />
die jährliche Steigerung des Volkseinkommens<br />
geflossen ist. Trotz der 26,2<br />
Milliarden Euro, die es vor vier Jahren<br />
aufgr<strong>und</strong> des gestiegenen Volkseinkommens<br />
mehr zu verteilen gab, sanken die<br />
Arbeitnehmerentgelte um 5,6 Milliarden<br />
Euro. Gleichzeitig legten die Gewinne<br />
<strong>und</strong> Vermögenseinkommen um 31,8 Milliarden<br />
Euro zu (Statistisches B<strong>und</strong>esamt<br />
2006). Die Zunahme sozialer Ungleichheit<br />
zeigt sich aber auch in der Veränderung<br />
der Durchschnittseinkommen über<br />
verschiedene Einkommensgruppen hinweg.<br />
Während das untere Einkommensfünftel,<br />
also die Ärmsten in Deutschland,<br />
zwischen 1995 <strong>und</strong> 2005 Einkommensverluste<br />
von 1,3 Prozent hinnehmen<br />
mussten, legten die Einkommen<br />
des obersten Fünftels um fast neun Prozent<br />
zu.<br />
Wohin der Reichtum fließt, wird klar,<br />
wenn man sich die rasant gestiegenen<br />
Kapitalausschüttungen aus Unternehmensgewinnen<br />
anschaut. Die Verschiebung<br />
der Einkommensverteilung<br />
von Löhnen zu Unternehmensgewinnen<br />
führt dazu, dass die Vermögensbesitzer<br />
immer reicher werden. <strong>Das</strong> zeigt<br />
sich nicht nur an der rapiden Zunahme<br />
an Millionären <strong>und</strong> Milliardären. Zum<br />
öffentlichen Skandal wurde die Verteilung<br />
des gesellschaftlich produzierten<br />
Reichtums angesichts der immensen<br />
Einkommenszuwächse bei Managern.<br />
Bei den Wirtschaftseliten haben die<br />
jährlich erzielten Einkommen, vor allem<br />
der Vorstandsvorsitzenden, exorbitante<br />
Dimensionen erreicht, die selbst den<br />
großen Traum des kleinen Mannes vom<br />
Lottogewinn in den Schatten stellen. Im<br />
Durchschnitt haben die Vorstandsvorsitzenden<br />
von Unternehmen, die im Deutschen<br />
Aktienindex (DAX) zusammengefasst<br />
sind, vor zwei Jahren 4,8 Millionen<br />
Euro eingesteckt. Wo das zig- bis<br />
h<strong>und</strong>ertfache eines durchschnittlichen<br />
Arbeitslohnes bezogen wird, drängt sich<br />
mit Blick auf die Verteilungsgerechtigkeit<br />
die Frage auf, ob hier überhaupt<br />
noch von »Verdienen« gesprochen werden<br />
kann.
<strong>Armut</strong> <strong>und</strong> soziale <strong>Ausgrenzung</strong> 34<br />
Medien fokussieren Sicht<br />
der Mittelschicht<br />
<strong>Armut</strong> wird zwar in den Medien zum<br />
Thema, aber nur aus der Sicht der<br />
Mittelschicht. <strong>Das</strong> Schicksal der Ärmsten<br />
bleibt ausgeblendet. Im Herbst vor<br />
drei Jahren begann in Deutschland eine<br />
Debatte über die Bildung einer neuen<br />
Unterschicht, der eine von der Friedrich-<br />
Ebert-Stiftung in Auftrag gegebenen Studie<br />
zugr<strong>und</strong>e lag (Friedrich-Ebert-Stiftung<br />
2007). <strong>Das</strong> sogenannte Prekariat<br />
wurde als neue Gruppe in der deutschen<br />
Sozialschichtung entdeckt, das nicht<br />
mehr der klassischen Unterschicht<br />
zuzurechnen ist. Vielmehr drohen größere<br />
Teile der Mittelschicht in prekäre<br />
<strong>Armut</strong>slagen abzurutschen (Heitmeyer<br />
2008; Grabka & Frick 2008; Schultheis<br />
2005). In der sich ausbreitenden »Zone<br />
der Gefährdung« sind f<strong>und</strong>amentale<br />
Sicherheiten nicht mehr gegeben, weil<br />
immer mehr Menschen von Arbeitslosigkeit<br />
<strong>und</strong> unsicheren Arbeitsverhältnissen<br />
betroffen sind. Diese Debatte<br />
griffen die Medien auf, weil es um die<br />
Ängste der Mittelschicht geht. Dagegen<br />
tauchen in der Diskussion die dauerhaft<br />
Armen, die soziale Unterschicht,<br />
die Ausgeschlossenen nur am Rande<br />
auf. Während für das Prekariat die Aussicht<br />
auf Wiedergewinnung sozialen<br />
Anschlusses nicht ganz unrealistisch<br />
erscheint, herrscht in den »Zonen der<br />
<strong>Ausgrenzung</strong>« längst lethargische Hoffnungslosigkeit<br />
– also bei Menschen,<br />
die dauerhaft auf Sozialleistungen angewiesen<br />
sind, alten <strong>und</strong> kranken Menschen<br />
sowie MigrantInnen (Castel 2000,<br />
S. 13).<br />
<strong>Armut</strong> als Folge sozialer<br />
<strong>Ausgrenzung</strong><br />
<strong>Armut</strong> ist Folge eines dynamischen<br />
Prozesses sozialer <strong>Ausgrenzung</strong>, man<br />
spricht auch von Exklusion. In der europäischen<br />
Debatte über <strong>Armut</strong>sprozesse<br />
<strong>und</strong> Elendsquartiere hat der Begriff<br />
der Exklusion einige Prominenz erlangt,<br />
nachdem er in die EU-<strong>Armut</strong>s-Berichtserstattung<br />
eingeflossen war (Kronauer<br />
2002; Bude & Willisch 2008). Im direkten<br />
Vergleich mit den gängigen <strong>Armut</strong>skonzepten<br />
geht es bei Exklusion nicht<br />
in erster Linie um eine Zustandsbeschreibung<br />
individuellen Ressourcenmangels.<br />
Vielmehr rücken die sozialen<br />
Prozesse in den Vordergr<strong>und</strong>, die<br />
zum Ausschluss von der gleichberechtigten<br />
Teilhabe am gesellschaftlichen<br />
Reichtum führen. <strong>Armut</strong> ist daher als<br />
Resultat der fortschreitenden Anhäufung<br />
von negativen Selektionsmerkmalen<br />
im Sperrfeuer sich überschneidender<br />
Exklusionsprozesse zu verstehen.<br />
Kronauer (2007) betont, dass es bei<br />
der Exklusion nicht um »<strong>Ausgrenzung</strong><br />
aus der Gesellschaft« gehen kann, sondern<br />
dass es sich um »<strong>Ausgrenzung</strong> in<br />
der Gesellschaft« handelt. Die Unterscheidung<br />
von Zentrum <strong>und</strong> Peripherie<br />
ist fürs Verständnis besser geeignet.<br />
Im Zentrum der Gesellschaft finden<br />
sich jene Sozialräume, die aufgr<strong>und</strong><br />
ihrer Ressourcen- <strong>und</strong> Machtausstattung<br />
besonders attraktiv sind. Im Kampf<br />
um die knappen Güter eines guten <strong>und</strong><br />
schönen Lebens setzen sich besonders<br />
leicht die Bevölkerungsgruppen durch,<br />
die selbst schon am Besten mit Ressourcen<br />
ausgestattet sind: Geld, Bildung <strong>und</strong><br />
Sozialkontakte, Insiderwissen, sozial<br />
angemessene Verhaltenskodizes <strong>und</strong><br />
Unterscheidungsformen, Macht, Status<br />
<strong>und</strong> Prestige. Exklusion bedeutet, dass<br />
den Ausgegrenzten nur die ressourcen<strong>und</strong><br />
statusarmen Peripherien bleiben:<br />
Hochhaussiedlungen im sozialen Wohnungsbau<br />
oder verarmte Innenstadtgettos<br />
<strong>und</strong> prekäre Beschäftigungsverhältnisse.<br />
Hier gelingt der Anschluss<br />
an wichtige Versorgungsbereiche mehr<br />
schlecht als recht.<br />
Exklusion setzt an der unzureichenden<br />
Integration in den Arbeitsmarkt an.<br />
Durch andauernde Arbeitslosigkeit verfestigt<br />
sich rasch die Gewissheit, von<br />
der Gesellschaft nicht gebraucht zu werden,<br />
keine Bedeutung für die Mitmenschen<br />
zu haben, als Überflüssiger entwertet<br />
zu sein (Bude 1998). Auf der anderen<br />
Seite mündet Dauerarbeitslosigkeit<br />
in <strong>Armut</strong>, wodurch sich der Ausschluss<br />
von allen Lebensbereichen, in denen<br />
Geld die Eintrittskarte ist, weiter verschärft.<br />
Doch ziehen die durch <strong>Armut</strong><br />
verursachten Integrationsprobleme bei<br />
Weitem größere Kreise. Die betroffenen<br />
Menschen geraten rasch in den Sog<br />
sozialer Desintegration. Ohne Geld ist<br />
der Anschluss ans soziale Leben, der<br />
Kino-, Theater-, Museumsbesuch, die<br />
Vereinsmitgliedschaft, ein Bier in der<br />
Kneipe, die Einbindung in den arbeitenden<br />
Fre<strong>und</strong>es- <strong>und</strong> Bekanntenkreis nur<br />
schwer aufrechtzuerhalten. Die Verengung<br />
der Lebenskreise grenzt die Entfaltung<br />
der eigenen Persönlichkeit immer<br />
stärker auf die am sozialen Rand vorgef<strong>und</strong>enen<br />
wertlosen Teilhabe- <strong>und</strong> Teilnahme-Möglichkeiten<br />
ein.<br />
Der Ausschluss aus den einzelnen<br />
Lebensfeldern führt schließlich zur Überlagerung<br />
sozialer <strong>Ausgrenzung</strong>sformen,<br />
sodass die von <strong>Armut</strong> betroffenen Menschen<br />
in ein »Feld der Exklusion« eingeschlossen<br />
werden (vgl. auch Kapitel<br />
7 über »<strong>Armut</strong> verfestigt sich«).<br />
»Hat jedoch der Ausschluss aus einem<br />
Folgen für den Einschluß in ein anderes<br />
Subsystem, dann mehren sich die<br />
Mißerfolge <strong>und</strong> verstärkt sich die Abweichung:<br />
Keine zertifizierte Ausbildung,<br />
keine reguläre Beschäftigung, keine<br />
ges<strong>und</strong>e Ernährung, kein ausreichendes<br />
Einkommen, keine dauerhaften Intimbeziehungen,<br />
keine elterliche Verantwortung,<br />
kein Interesse an den politischen<br />
Angelegenheiten, kein Zugang zur<br />
Rechtsberatung, keine ausreichende<br />
Krankenversicherung« (Bude 2008, S. 18).<br />
<strong>Das</strong> Bedrohliche der Exklusion resultiert<br />
daraus, dass es kein punktuelles Phänomen<br />
bleibt (Ludwig-Mayerhofer & Barlösius<br />
2001, S. 45). Wenn die Integration<br />
in die Gesellschaft an einer Stelle<br />
anfängt zu erodieren, dann verstärken<br />
sich die sozialen Abstiegsprozesse<br />
rasch über verschiedene Lebenslagen<br />
hinweg. Arbeitslosigkeit verursacht Einkommensarmut,<br />
beides führt zum Rückzug<br />
vom kulturellen Leben, sodass über<br />
eine Begrenzung der Lebenskreise auch<br />
das Netzwerk an sozialen Beziehungen<br />
schrumpfen wird.<br />
Die individuelle Seite: psychische<br />
Desintegration<br />
Die soziale Seite der Exklusion ergänzt<br />
die individuelle Seite, die man als psychische<br />
Desintegration beschreiben<br />
kann. Wie wir aus der psychologischen<br />
Stress- <strong>und</strong> Belastungsforschung<br />
wissen, führen erschwerte Lebensumstände,<br />
die unter <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong><br />
entstehen, zur Resignation, zur<br />
Hilflosigkeit, zum individuellen Rückzug<br />
(Bonß, Keupp & Koenen 1984). Mit<br />
wachsendem Abstand zum gesellschaftlichen<br />
Leben schwinden alle Hoffnungen,<br />
jemals den Weg zurück in die legitimen<br />
Sphären der Teilhabe <strong>und</strong> Anerkennung<br />
zu finden. Damit vollziehen die<br />
Betroffenen ihren sozialen Ausschluss<br />
in gewissem Sinne selbst. Um eine Indi-
35 <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> soziale <strong>Ausgrenzung</strong><br />
vidualisierung des <strong>Armut</strong>sproblems zu<br />
vermeiden, ist es daher wichtig, genau<br />
zu schauen, wie diese psychischen Reaktionsformen<br />
über die sozialen Lebensbedingungen,<br />
den Mangel, die Chancenlosigkeit,<br />
die <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> Entbehrungen<br />
vermittelt sind.<br />
»Keinen Ausweg mehr sehen«<br />
In der sich verfestigenden Dynamik<br />
von sozialer Exklusion <strong>und</strong> psychischer<br />
Desintegration sieht der Einzelne am<br />
Ende keinen Ausweg mehr. Damit erhält<br />
<strong>Armut</strong> in den modernen Wohlstandsgesellschaften<br />
nicht durch Hunger ihre<br />
Brisanz. Die Betroffenen leiden vor<br />
allem am umfassenden Kontrollverlust<br />
über die eigenen Lebensumstände, der<br />
mit einer durchgreifenden Beschädigung<br />
von Identität, Selbstwert <strong>und</strong><br />
Handlungsfähigkeit endet. Von außen<br />
erscheint der Weg aus der Not so einfach:<br />
Sozialleistungen beantragen, Wohnung<br />
anmieten, Ausbildung machen,<br />
Arbeiten gehen. Dagegen erklärt sich<br />
aus dem Zusammenhang von sozialer<br />
Exklusion <strong>und</strong> der psychischen Desintegration,<br />
warum die Menschen diese<br />
Handlungsschritte nicht mehr unternehmen.<br />
Die <strong>Armut</strong>sproblematik kann man<br />
daher nur unter Berücksichtigung der<br />
sozialen Ausschlussmechanismen <strong>und</strong><br />
der psychischen Folgekosten angemessen<br />
verstehen. <strong>Armut</strong> ist kein Schicksal,<br />
das äußerlich bleiben kann, sondern das<br />
Individuum ist mit Leib <strong>und</strong> Seele in die<br />
sozialen Ausschlussprozesse einbezogen<br />
(Thomas 2007). Der <strong>Armut</strong>szirkel ist<br />
schließlich kaum noch aufzusprengen,<br />
weil die Menschen weder über die äußeren<br />
noch über die individuellen Handlungsvoraussetzungen<br />
verfügen. Einmal<br />
in die Zonen des sozialen Ausschlusses<br />
abgedrängt, ist der Ausblick auf<br />
ein besseres Leben, in dem Eigeninitiative<br />
<strong>und</strong> Zukunftspläne wieder zählen,<br />
zu verdüstert. Denn je weiter die Menschen<br />
vom gesellschaftlichen Leben<br />
abgedrängt werden, desto beschwerlicher<br />
<strong>und</strong> unüberschaubarer muss der<br />
weite Weg zurück erscheinen.<br />
<strong>Armut</strong> schädigt nachhaltig<br />
die Identität<br />
Wenn sich Menschen normalerweise<br />
begegnen, dann kreisen die Gespräche<br />
zunächst einmal meist um folgende Themen:<br />
Wer bin ich? Was kann ich? Was<br />
mache ich? Jemand, der arbeitslos ist,<br />
macht nichts Vorzeigbares. Da er keine<br />
besonderen Fähigkeiten <strong>und</strong> Eigenschaften<br />
unter Beweis stellen kann, muss es<br />
ihm auch schwer fallen zu sagen, wer<br />
er ist. Identität bedeutet, sich selbst<br />
als Person bestimmen <strong>und</strong> sich anhand<br />
einer einzigartigen Lebensgeschichte<br />
auszeichnen zu können. Was bedeutet<br />
es nun für das eigene Selbstbild, wenn<br />
man bei den allgemeinen Bewertungsmaßstäben,<br />
an denen sich persönlicher<br />
Erfolg misst, nicht mehr mithalten kann?<br />
Man kann nicht selbst für sein Leben<br />
sorgen, ein eigenes Einkommen fehlt,<br />
<strong>und</strong> sich seine Wünsche <strong>und</strong> Träume zu<br />
erfüllen, ist passé.<br />
Die Identität wird nachhaltig beschädigt,<br />
wenn im Leben alle Erfahrungsbereiche<br />
abhanden kommen, in denen<br />
man am sozialen Leben teilhaben <strong>und</strong><br />
teilnehmen kann. Vielmehr wird das Ausgeliefertsein<br />
an die äußeren Lebensumstände<br />
immer wieder als entfremdend,<br />
übermächtig, traumatisierend erfahren:<br />
etwa der Eintritt in die Arbeitslosigkeit,<br />
jede neue geschriebene Bewerbung,<br />
von der man nichts mehr hört,<br />
die Hilflosigkeit auf dem Jobcenter, die<br />
triste Zukunftsperspektive (Seligman<br />
1979). Die Arbeitslosenforschung zeigt,<br />
dass die Betroffenen das Mehr an Zeit,<br />
nicht zur kreativen Freizeitgestaltung<br />
nutzen. Vielmehr ziehen sich die Menschen<br />
ausgebrannt <strong>und</strong> resigniert vom<br />
sozialen Leben zurück. Die Arbeitslosen<br />
müssen die ständige Infragestellung<br />
<strong>und</strong> Isolation als gegeben <strong>und</strong> unabänderlich<br />
hinnehmen, umso mehr sie<br />
in der Vergangenheit versucht haben,<br />
diese zu überwinden. Unter der Last des<br />
Ausschließungsdrucks zerbricht schließlich<br />
die eigene Identität, weil man<br />
sich nicht mehr – vor sich selbst <strong>und</strong><br />
anderen – als kompetente, leistungsfähige<br />
<strong>und</strong> lebendige Person darstellen<br />
kann.<br />
Verlust von Anerkennung <strong>und</strong><br />
Selbstwert<br />
Die Identität wird auch auf einer zweiten<br />
Ebene beschädigt. Nicht nur die<br />
inhaltliche Identitätskonfiguration zerbricht,<br />
sondern auch die Entwicklung<br />
von Selbstvertrauen, Selbstachtung <strong>und</strong><br />
Selbstschätzung sind gestört. <strong>Das</strong> Individuum<br />
ist in seinem praktischen Selbstverhältnis<br />
von der Erfahrung von Anerkennung<br />
durch seine Mitmenschen<br />
abhängig (Honneth 2003). Erst indem<br />
der Einzelne sich als geliebte, geachtete<br />
<strong>und</strong> wertgeschätzte Person erfahren<br />
kann, kann er seinen Selbstwert nicht<br />
nur für sich, sondern auch nach außen<br />
hin begründen <strong>und</strong> ausweisen. Missachtung<br />
<strong>und</strong> Demütigung führen dagegen<br />
dazu, dass den betroffenen Menschen<br />
die Möglichkeit versperrt bleibt,<br />
sich als sozial wertgeschätzte Person<br />
zu begreifen. <strong>Das</strong> ständige Scheitern<br />
an der gesellschaftlichen Norm einer<br />
selbständigen, autonomen Person, die<br />
durch Arbeit für ihr eigenes Einkommen<br />
sorgt <strong>und</strong> sich selbst verwirklichen<br />
kann, wirkt im höchsten Maße demoralisierend.<br />
Die Verunsicherung, die sich<br />
aus dem Verlust der Handlungsfähigkeit
<strong>Armut</strong> <strong>und</strong> soziale <strong>Ausgrenzung</strong> 36<br />
ergibt, zerstört schließlich das psychische<br />
F<strong>und</strong>ament der eigenen Selbstbejahung<br />
<strong>und</strong> Selbstakzeptanz (Margalit<br />
1997, S. 43).<br />
Praktische <strong>und</strong> politische<br />
Konsequenzen<br />
Am Ende meines Beitrags möchte<br />
ich abschließend einen Ausblick auf<br />
die praktischen <strong>und</strong> politischen Konsequenzen<br />
geben, die aus den dargelegten<br />
Bef<strong>und</strong>en zu ziehen sind. Dabei<br />
sollte deutlich geworden sein, dass sich<br />
<strong>Armut</strong> nicht auf Einkommensarmut reduzieren<br />
lässt. Zur Abschaffung von <strong>Armut</strong><br />
reicht es nicht aus, nur das Arbeitslosengeld<br />
II zu erhöhen. Denn die soziale<br />
<strong>Ausgrenzung</strong> enthält dem betroffenen<br />
Menschen allgemeine Lebenschancen<br />
vor <strong>und</strong> macht ihn dadurch als Person<br />
überflüssig. Aus dieser sozialen<br />
Entwertung ergibt sich schließlich die<br />
viel zu beobachtende Resignation <strong>und</strong><br />
Selbstaufgabe. Die Betroffenen kümmern<br />
sich nicht mehr um zentrale Alltagsbereiche,<br />
um Arbeit, Einkommen,<br />
Wohnung <strong>und</strong> soziale Kontakte. Die<br />
Frage lautet also, was ist zu unternehmen,<br />
um diese Dynamik von sozialer<br />
Exklusion <strong>und</strong> individueller Desintegration<br />
zu durchbrechen? Nur dann werden<br />
<strong>Armut</strong>, Elend, Tristesse, Not <strong>und</strong> Leid<br />
nicht mehr das Schicksal so vieler Menschen<br />
sein.<br />
Bürgergeld einführen<br />
Am Anfang steht die Einführung eines<br />
Bürgergeldes, das für einen auskömmlichen,<br />
abgesicherten <strong>und</strong> schamfreien<br />
Lebensunterhalt sorgt. <strong>Das</strong> Bürgergeld<br />
muss oberhalb des soziokulturellen Existenzminimums<br />
liegen, um <strong>Armut</strong> <strong>und</strong><br />
Ausschluss wirkungsvoll <strong>und</strong> dauerhaft<br />
zu bekämpfen (Gorz 2000, S. 110 ff.).<br />
<strong>Das</strong> ist besonders wichtig, weil die F<strong>und</strong>amente<br />
der Arbeitsgesellschaft erodieren.<br />
Aufgr<strong>und</strong> struktureller Voraussetzungen<br />
ist mit Vollbeschäftigung<br />
nicht mehr zu rechnen. <strong>Das</strong> Bürgergeld<br />
muss deshalb soziale Sicherung auf<br />
dem Niveau eines sozial akzeptablen<br />
Lebensstandards garantieren – unabhängig<br />
von der Präsenz auf dem Arbeitsmarkt<br />
(Sonnenfeld 2001, S. 82). Aufgr<strong>und</strong><br />
von Massenarbeitslosigkeit geht es hier<br />
um die Verwirklichung eines sozialen<br />
Gr<strong>und</strong>rechts. Sicherlich muss darüber<br />
gesprochen, diskutiert <strong>und</strong> gestritten<br />
werden, was sich genau als soziokulturell<br />
akzeptabler Lebensstandard definieren<br />
lässt. Dieser liegt aufgr<strong>und</strong> vorliegender<br />
Erfahrungswerte auf jeden<br />
Fall oberhalb der jetzigen Bezugshöhen<br />
des Arbeitslosengelds II. Ohne konkrete<br />
Modelle hier diskutieren zu können, darf<br />
Bürgergeld aber nicht wie bisher als ein<br />
Almosen gegeben werden (hierzu etwa<br />
Engler 2005). Es muss einen allgemeinen<br />
Rechtsanspruch geben, der dem<br />
Einzelnen nicht entzogen werden kann,<br />
damit der Bezug von Sozialleistungen<br />
nicht zur entwürdigenden Bittstellerei<br />
wird.<br />
Neue Integrations- <strong>und</strong> Anerkennungsformen<br />
Die Einführung eines Bürgergelds darf<br />
nicht auf eine moralische Entlastung<br />
der Gesellschaft von der Verantwortung<br />
für sozialen Ausschluss reduziert<br />
bleiben. Ein besonderer Stellenwert<br />
kommt der Schaffung neuer Integrations-<br />
<strong>und</strong> Anerkennungsformen zu. Nur<br />
dann können die Ausgeschlossenen <strong>und</strong><br />
sozial Benachteiligten tatsächlich den<br />
Status eines vollwertigen Mitglieds der<br />
modernen Gesellschaft erlangen. Um<br />
<strong>Armut</strong> aufzuheben, müssen die Integrationspfade<br />
in die Gesellschaft, in<br />
die verschiedensten Institutionen <strong>und</strong><br />
Lebensbereiche für alle Menschen verlässlich<br />
offen stehen. Die Teilhabechancen<br />
am gesellschaftlichen Leben dürfen<br />
nicht soziale Ungleichheiten nach<br />
dem Prinzip weiter festigen: Derjenige,<br />
der nichts hat, bleibt auch von allen<br />
anderen Dingen ausgeschlossen. Wertschätzung<br />
<strong>und</strong> Achtung in der Gesellschaft<br />
dürfen kein knappes Gut mehr<br />
sein, sondern müssen zu einer Selbstverständlichkeit<br />
im sozialen Umgang<br />
miteinander werden. Dabei geht es<br />
nicht allein um eine Veränderung von<br />
Moral, Werten <strong>und</strong> Verhalten. Jeder<br />
Mensch muss eine sinnvolle Aufgabe<br />
in seinem Leben übernehmen können,<br />
über die er Würde <strong>und</strong> Selbstachtung<br />
erlangen kann. Arbeit ist nicht nur bloßes<br />
Mittel der Existenzsicherung. Vielmehr<br />
begründen sich aus einer umfassenden<br />
Teilhabe <strong>und</strong> Teilnahme am<br />
sozialen Leben elementare Selbstbestimmungs-<br />
<strong>und</strong> Mitbestimmungsrechte.<br />
Anstatt die Menschen durch Ein-Euro-<br />
Jobs zu ihrem »Glück« zu zwingen,<br />
könnte man mit ihnen gemeinsam überlegen,<br />
welche Arbeiten sie sich zutrauen,<br />
wo sie gebraucht werden, ob sie vielleicht<br />
selbst Projekte entwerfen wollen<br />
(Willisch 2008, S. 329 ff.). Ein zweiter<br />
Arbeitsmarkt abseits vom Verwertungsdruck<br />
könnte niedrigschwellige Arbeitsmöglichkeiten<br />
für diejenigen schaffen,<br />
die aufgr<strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitlicher, physischer<br />
<strong>und</strong> psychischer Einschränkungen<br />
nicht mehr in der Konkurrenzgesellschaft<br />
mithalten können. Die Arbeit<br />
müsste wieder lernen, sich den Menschen<br />
zuzuwenden, anstatt über Rationalisierungsprogramme<br />
nur noch darauf<br />
zu zielen, den Einzelnen überflüssig<br />
zu machen. Arbeit ist andererseits<br />
nicht alles. Die Integrationspfade müssen<br />
sich auch in andere Gesellschaftsbereiche<br />
öffnen, indem auf ganz unterschiedlichen<br />
Ebenen Beteiligungsformen<br />
geschaffen werden, die nicht überfordern<br />
<strong>und</strong> wieder ausgrenzend wirken.<br />
Psychosoziale Unterstützungsangebote<br />
für die Müden, Hilflosen <strong>und</strong> Resignierten<br />
müssen ausgebaut werden. Es<br />
reicht nicht, nur für soziale Absicherung<br />
<strong>und</strong> ein Angebot auf Integration<br />
<strong>und</strong> Anerkennung zu sorgen, wenn die<br />
Menschen den Glauben an ihre Fähigkeiten<br />
<strong>und</strong> Möglichkeiten längst verloren<br />
haben. Professionelle Unterstützung<br />
als auch freiwillige Gemeinwesenarbeit<br />
sollen Menschen ein niedrigschwelliges<br />
Integrationsangebot mit menschlichem<br />
Antlitz unterbreiten. Im Mittelpunkt<br />
muss dabei der Aufbau von positiven<br />
Erfahrungs- <strong>und</strong> Handlungsbereichen<br />
stehen. Diese können das biographisch<br />
angelegte Misstrauen derjenigen,<br />
die gegenüber Gesellschaft,<br />
Arbeitsmarkt <strong>und</strong> bürokratischen Institutionen<br />
ihren Ausschluss erfahren haben,<br />
überwinden. Dafür müssen psychosoziale<br />
Angebote stärker vernetzt <strong>und</strong><br />
auf Kooperation ausgerichtet sein, um<br />
adäquat helfen <strong>und</strong> unterstützen zu<br />
können, ohne selbst wieder ausgrenzend<br />
zu wirken. Gerade Menschen aus<br />
<strong>Armut</strong>slagen reagieren häufig gegenüber<br />
den Institutionen der Gesellschaft,<br />
die sie als ausgrenzend erlebt haben,<br />
mit einer gehörigen Portion Misstrauen.<br />
Dabei darf sich die psychosoziale Pro-
37 <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> soziale <strong>Ausgrenzung</strong><br />
fession nicht damit begnügen, Arbeitslosengeld-II-Karrieren<br />
nur am gesellschaftlichen<br />
Rand zu stabilisieren. Die Hilfe<br />
muss für eine reale Perspektive sorgen,<br />
die Betroffenen ermöglicht, aus<br />
den Randzonen von Sozialeistungsbezug<br />
<strong>und</strong> psychosozialer Fürsorge herauszutreten.<br />
Diskurs zu humanen Gr<strong>und</strong>lagen<br />
unserer Gesellschaft<br />
Die Aufhebung von <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> sozialer<br />
Ungleichheit setzt eine öffentliche<br />
Debatte über die Gr<strong>und</strong>lagen unserer<br />
Gesellschaft voraus. In deren Mittelpunkt<br />
gehört die soziale Frage in<br />
ihrer Bedeutung für das 21. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />
Diese zielt darauf, eine wahrhaft demokratische<br />
<strong>und</strong> auf sozialer Gerechtigkeit<br />
beruhende Gesellschaft zu verwirklichen,<br />
in der alle Menschen in den<br />
solidarischen B<strong>und</strong> gleichberechtigter<br />
Teilnahme- <strong>und</strong> Teilhabechancen eingeschlossen<br />
sind. Die Gesellschaft muss<br />
sich fragen, ob sie eine wachsende Kluft<br />
bei der Verteilung gesellschaftlicher<br />
Güter <strong>und</strong> Ressourcen weiterhin in Kauf<br />
nehmen will. Wirtschaft <strong>und</strong> Politik stehen<br />
nur allzu oft den Bedürfnissen der<br />
Menschen gleichgültig gegenüber. Stattdessen<br />
sollte das Projekt eines humanen,<br />
lebenswerten, integrierten Gemeinwesens<br />
in den Mittelpunkt sozialer Verständigung<br />
<strong>und</strong> Handelns rücken. Ihre<br />
Identität kann Gesellschaft nur über Solidarität,<br />
demokratische Entscheidungsformen<br />
<strong>und</strong> ein soziales Miteinander<br />
finden, wo die freie Entwicklung eines<br />
jeden die Bedingung für die freie Entwicklung<br />
aller ist. Hier wird es keine Zauberlösung<br />
geben. Im besten Falle ließe<br />
sich ein gesellschaftlicher Konsens darüber<br />
anstreben, wie die entfesselten<br />
Marktkräfte wieder einzugrenzen sind,<br />
um die die Ansprüche der Menschen<br />
nach Integration, Teilhabe <strong>und</strong> Lebensqualität<br />
einzulösen.<br />
Dr. Stefan Thomas, geboren 1971, lehrt<br />
<strong>und</strong> forscht an der FU Berlin <strong>und</strong> hat<br />
unter anderem ein Buch über das<br />
Leben von Jugendlichen am Bahnhof<br />
Zoo veröffentlicht.<br />
Literatur<br />
⊲ Bonß, W., Keupp, H. & Koenen, E.<br />
(1984). <strong>Das</strong> Ende des Belastungsdiskurses?<br />
Zur subjektiven <strong>und</strong> gesellschaftlichen<br />
Bedeutung von Arbeitslosigkeit.<br />
In W. Bonß & R. G. Heinze<br />
(Hrsg.), Arbeitslosigkeit in der Arbeitsgesellschaft<br />
(S. 143–188). Frankfurt/M.:<br />
Suhrkamp.<br />
⊲ Bude, H. (1998). Die Überflüssigen als<br />
transversale Kategorie. In P. A. Berger<br />
& M. Vester (Hrsg.), Alte Ungleichheiten,<br />
neue Spaltungen (S. 363–382).<br />
Opladen: Leske + Budrich.<br />
⊲ Bude, H. (2008). Die Ausgeschlossenen.<br />
<strong>Das</strong> Ende vom Traum einer<br />
gerechten Gesellschaft. München:<br />
Hanser.<br />
⊲ Bude, H. & Willisch, A. (Hrsg.). (2008).<br />
Exklusion. Die Debatte über die »Überflüssigen«.<br />
Frankfurt/M.: Suhrkamp.<br />
⊲ Butterwegge, C. (2006). Krise <strong>und</strong><br />
Zukunft des Sozialstaates (3., erweiterte<br />
Auflage). Wiesbaden: VS Verlag<br />
für Sozialwissenschaften.<br />
⊲ Castel, R. (2000). Die Metamorphosen<br />
der sozialen Frage. Eine Geschichte<br />
der Lohnarbeit. Konstanz: UVK.<br />
⊲ Engler, W. (2005). Bürger, ohne Arbeit.<br />
Für eine radikale Neugestaltung der<br />
Gesellschaft. Berlin: Aufbau.<br />
⊲ Friedrich-Ebert-Stiftung. (2007). Politische<br />
Milieus in Deutschland: Die Studie<br />
der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn:<br />
Dietz.<br />
⊲ Gorz, A. (2000). Arbeit zwischen<br />
Misere <strong>und</strong> Utopie. Frankfurt/M.:<br />
Suhrkamp.<br />
⊲ Grabka, M. M. & Frick, J. R. (2008).<br />
Schrumpfende Mittelschicht – Anzeichen<br />
einer dauerhaften Polarisierung<br />
der verfügbaren Einkommen? [Electronic<br />
Version]. DIW – Wochenbericht,<br />
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⊲ Häußermann, H., Kronauer, M. &<br />
Siebel, W. (2004). An den Rändern<br />
der Städte. <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong>.<br />
Frankfurt/M.: Suhrkamp.<br />
⊲ Heitmeyer, W. (Hrsg.). (2008). Deutsche<br />
Zustände (Folge 6). Frankfurt/M.:<br />
Suhrkamp.<br />
⊲ Honneth, A. (2003). Umverteilung als<br />
Anerkennung. Eine Erwiderung auf<br />
Nancy Fraser. In N. Fraser & A. Honneth<br />
(Hrsg.), Umverteilung oder Anerkennung?<br />
eine politisch-philosophische<br />
Kontroverse (S. 129–224). Frankfurt/M.:<br />
Suhrkamp.<br />
⊲ Kronauer, M. (2002). Exklusion. Die<br />
Gefährdung des Sozialen im hoch<br />
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Campus.<br />
⊲ Kronauer, M. (2007). Integration <strong>und</strong><br />
Ausschluss. In P. Gazareth, A. Juhasz<br />
& C. Magnin (Hrsg.), Neue soziale<br />
Ungleichheit in der Arbeitswelt (S. 45–<br />
58). Konstanz: UVK.<br />
⊲ Ludwig-Mayerhofer, W. & Barlösius, E.<br />
(2001). Die <strong>Armut</strong> der Gesellschaft. In<br />
E. Barlösius & W. Ludwig-Mayerhofer<br />
(Hrsg.), Die <strong>Armut</strong> der Gesellschaft<br />
(S. 11–67). Opladen: Leske <strong>und</strong> Budrich.<br />
⊲ Margalit, A. (1997). Politik der Würde.<br />
Über Achtung <strong>und</strong> Verachtung. Berlin:<br />
Fest.<br />
⊲ Schultheis, F. & Schulz, K. (Hrsg.).<br />
(2005). Gesellschaft mit begrenzter<br />
Haftung. Zumutungen <strong>und</strong> Leiden im<br />
deutschen Alltag. Konstanz UVK-Verlag.<br />
⊲ Seligman, M. E. P. (1979). Erlernte Hilflosigkeit.<br />
München: Urban & Schwarzenberg.<br />
⊲ Sonnenfeld, C. (2001). Aktive Arbeitsmarktpolitik<br />
heißt: Zwang. In P. Bourdieu<br />
(Hrsg.), Der Lohn der Angst.<br />
Flexibilisierung <strong>und</strong> Kriminalisierung<br />
in der »neuen Arbeitsgesellschaft«<br />
(Liber Jahrbuch, Band 3) (S. 71–83).<br />
Konstanz: UVK.<br />
⊲ Statistisches B<strong>und</strong>esamt (2006). Bruttoinlandsprodukt<br />
2005. Wiesbaden:<br />
Statistisches B<strong>und</strong>esamt.<br />
⊲ Thomas, S. (2007). Exklusion <strong>und</strong><br />
Embodiment: Formen sozialen Ausschlusses<br />
im modernen Kapitalismus.<br />
In C. Würmann, M. Schuegraf,<br />
S. Smykalla & A. Poppitz (Hrsg.),<br />
Welt.Raum.Körper. Transformationen<br />
<strong>und</strong> Entgrenzungen von Körper <strong>und</strong><br />
Raum (S. 37–56). Bielefeld: transcript.<br />
⊲ Thomas, S. (2008). Exklusion <strong>und</strong><br />
Selbstbehauptung. Eine (sozial-)psychologische<br />
Studie über <strong>Armut</strong> bei<br />
jungen Menschen. Berlin: Freie Universität<br />
Berlin.<br />
⊲ Willisch, A. (2008). Die paradoxen<br />
Folgen mechanischer Integration. In<br />
H. Bude & A. Willisch (Hrsg.), Exklusion.<br />
Die Debatte über die »Überflüssigen«<br />
(S. 309–331). Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Rückzug oder Widerstand? 38<br />
7 Rückzug oder oder Widerstand? Widerstand?<br />
Dr. Werner Seppmann<br />
<strong>Armut</strong> ist schon lange kein Randgruppenproblem<br />
mehr. Sie beschränkt sich<br />
nicht nur auf die statistisch erfassten<br />
Armen, die mittlerweile fast 18 Prozent<br />
der Bevölkerung ausmachen. Denn mindestens<br />
genau so groß ist die Gruppe<br />
jener, die faktisch von der Hand in den<br />
M<strong>und</strong> lebt <strong>und</strong> jederzeit sozial abstürzen<br />
kann. Nicht erst seit dem Ausbruch<br />
der aktuellen Krise werden von dem<br />
sozialen Abwärtssog zunehmend Kreise<br />
erfasst, die sich vor kurzem noch in<br />
gesicherten Positionen glaubten. Immer<br />
öfter erscheinen bei den karitativen Einrichtungen<br />
Menschen, die es sich vor<br />
wenigen Jahren kaum hätten vorstellen<br />
können, einmal »so tief zu sinken«<br />
– <strong>und</strong> der Sog nach unter verstärkt<br />
sich. Immer mehr Menschen geraten<br />
in die Gefährdungszonen <strong>und</strong> leben in<br />
ständiger Angst vor sozialem Absturz.<br />
Sie erleben diese Entwicklungen wie<br />
eine Naturkatastrophe, die ihr Leben<br />
durcheinander wirbelt. Doch sind diese<br />
sozialen Deformationen alles andere als<br />
ein unvermeidliches »Schicksal«, sondern<br />
Ausdruck der ausbeutungsorientierten<br />
Umgestaltung der Sozialverhältnisse<br />
seit den 90er-Jahren.<br />
Arm trotz Arbeit<br />
Um die Profitrate zu erhöhen, hat die<br />
herrschende Politik die sozialen Sicherheitsstandards<br />
herunter gefahren, die<br />
Arbeitsmärkte dereguliert <strong>und</strong> ein leistungssteigerndes<br />
Druckszenarium aufgebaut.<br />
Durch wachsende Arbeitslosigkeit,<br />
sich ausbreitende soziale Verunsicherungen<br />
<strong>und</strong> ausgehöhlte soziale<br />
Sicherungssysteme wurden immer Lohnabhängige<br />
gezwungen, zu abgesenkten<br />
Löhnen zu arbeiten (vgl. auch Kapitel<br />
4 über »Working Poor«). Unter diesen<br />
Bedingungen wuchs beständig die<br />
Zahl der Lohnabhängigen, die trotz<br />
einer »Vollerwerbsstelle« nicht mehr<br />
in der Lage sind, aus eigener Kraft<br />
ihren Lebensunterhalt zu sichern. Zwar<br />
ist Arbeitslosigkeit immer noch eine<br />
der Hauptursachen von <strong>Armut</strong>, jedoch<br />
erhielten schon vor zwei Jahren 1,3 Millionen<br />
Beschäftigte aufstockende Hartz-<br />
IV-Leistungen, weil das Einkommen<br />
nicht mehr zum Leben reicht. Dadurch<br />
werden Niedriglöhne subventioniert.<br />
Der Kreis der Berechtigten ist noch viel<br />
größer. R<strong>und</strong> sechs Millionen Arbeitnehmerinnen<br />
<strong>und</strong> Arbeitnehmer, das sind<br />
ein Viertel der Vollzeitbeschäftigten,<br />
gehören zu den »arbeitenden Armen«.<br />
Früher wurden die kapitalistischen<br />
Metropolengesellschaften charakterisiert<br />
als Wohlstandszonen. Heute kann<br />
man vor dem Hintergr<strong>und</strong> der aktuellen<br />
Entwicklungen durchaus davon<br />
sprechen, dass sich »<strong>Armut</strong>sgesellschaften«<br />
herausbilden – denn die Tendenzen<br />
zur sozialen Degradierung <strong>und</strong> gravierenden<br />
Positionsverschlechterungen<br />
besitzen eine strukturelle Dimension:<br />
Die derzeitige Form der Kapitalverwertung<br />
führt zur Ausbreitung <strong>und</strong> Festigung<br />
von <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> Bedürftigkeit. Um<br />
die Profite zu sichern <strong>und</strong> die Ausbeutungsraten<br />
zu erhöhen, organisierte die<br />
neoliberale Offensive einen Angriff auf<br />
den Lebensstandard der Lohnabhängigen.<br />
Die Einkommen stagnierten bei<br />
gleichzeitig erhöhten Anforderungen an<br />
Leistung <strong>und</strong> »Flexibilität«. <strong>Das</strong> Kapital<br />
konnte so vorgehen, weil die Massenarbeitslosigkeit<br />
<strong>und</strong> die Internationalisierung<br />
des Arbeitsmarktes die Chance<br />
erhöhten, die Arbeitskräfte gegeneinander<br />
auszuspielen. Zusätzliche Handlungsspielräume<br />
entstanden in der B<strong>und</strong>esrepublik,<br />
weil die herrschende Politik<br />
das soziale Leistungsniveau systematisch<br />
absenkte <strong>und</strong> die Betroffenen<br />
zwingt, jede Arbeit zu jedem<br />
Preis anzunehmen. <strong>Das</strong> Kapital wurde<br />
durch die »Arbeitsmarktreformen« geradezu<br />
eingeladen, die Arbeitskräfte ruinösen<br />
Bedingungen zu unterwerfen. Vor<br />
allem durch diese Rahmenbedingungen<br />
haben sich Zonen prekärer Beschäftigung<br />
bilden können, in denen nicht<br />
selten Löhne unterhalb des Existenzminimums<br />
gezahlt werden. Verarmung<br />
<strong>und</strong> zunehmende Bedürftigkeit sind also<br />
keine Entgleisung der ausbeutungsorientierten<br />
Umgestaltungsstrategien, sondern<br />
beabsichtigt <strong>und</strong> entsprechen dem<br />
neoliberalen Kalkül. Weder das politische<br />
Personal, noch die wissenschaftlich<br />
verkleideten Propagandaredner des<br />
Kapitals haben mit ihren Absichten hinterm<br />
Berg gehalten. Schon im November<br />
vor sieben Jahren sprach der damalige<br />
Wirtschaftsminister Wolfgang Clement<br />
(SPD) von erwarteten Einschüchterungseffekten<br />
der »Arbeitmarktreformen«:<br />
»Die Gewerkschaften werden<br />
Tarifverträgen für Zeitarbeiter zustimmen,<br />
die 20 Prozent unter den Löhnen<br />
der Stammbelegschaften liegen.«<br />
Geirrt hat sich Clement nur im Umfang<br />
des Lohnsenkungseffekts, der in einigen<br />
Bereichen der Arbeitswelt deutlich<br />
höher ausgefallen ist. Auch der allgegenwärtige<br />
Wirtschafts-Interessen-Professor<br />
Hans-Werner Sinn präzisierte zu diesem<br />
Zeitpunkt: »In Wahrheit geht es um<br />
eine Lohnsenkung. Die kommt zustande,<br />
weil durch die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe,<br />
die bislang Begünstigten auf<br />
Sozialhilfe zurückfallen <strong>und</strong> bereit sein<br />
werden, für weniger Geld zu arbeiten.«<br />
Es ging also um den Aufbau einer sozialen<br />
Druckfassade, um die Lohnabhängigen<br />
zu verunsichern.<br />
<strong>Armut</strong> verfestigt sich<br />
Für einen Teil der Betroffenen sind Phasen<br />
der Bedürftigkeit nur ein Durchgangsstadium.<br />
Für viele andere dagegen<br />
festigt sich die <strong>Armut</strong>. Wer in <strong>Armut</strong><br />
absinkt, dem gelingt es immer seltener,<br />
ihr zu entkommen (vgl. auch Kapitel<br />
6 über »<strong>Armut</strong> als Folge sozialer<br />
<strong>Ausgrenzung</strong>«). Die Betroffenen scheinen<br />
auf lange Sicht aus der Arbeitswelt<br />
<strong>und</strong> den sozialen »Normalitätsbereichen«<br />
ausgeschlossen zu sein. Fast<br />
ein Zehntel der Bevölkerung lebt in<br />
verfestigter <strong>Armut</strong>. Zwischen 1996 <strong>und</strong><br />
2000 waren knapp 54 Prozent der Betroffenen<br />
auch nach fünf Jahren noch in<br />
einer <strong>Armut</strong>ssituation. Diese »Beharrungsquote«<br />
lag zwischen 2002 <strong>und</strong> 2006<br />
in der B<strong>und</strong>esrepublik schon bei mehr<br />
als 66 Prozent. Ein Wechsel in eine auskömmliche<br />
Einkommensklasse gelingt<br />
denen, die »unten« gelandet sind, immer<br />
seltener. Wer in diesen Zonen materieller<br />
<strong>Armut</strong> <strong>und</strong> sozialer Verlorenheit landet,<br />
ist zunehmend sich wechselseitig<br />
verstärkenden Benachteiligungen ausgesetzt.<br />
Für viele Arbeitslose ist das
39 Rückzug oder Widerstand?<br />
Leben eine Kreisbewegung ohne Struktur<br />
<strong>und</strong> festem Ziel geworden. Noch<br />
vielen vergeblichen Versuchen einer<br />
beruflichen Widereingliederung gehen<br />
auch die letzten Hoffnungen, dass es<br />
wieder aufwärts gehen könnte, verloren.<br />
Mit dem Eindruck des Scheiterns<br />
schwinden zunehmend die psychischen<br />
Widerstandskräfte, gewinnen Resignation<br />
<strong>und</strong> Fatalismus die Oberhand.<br />
Wo bleibt der Widerstand?<br />
Wie bei jeder Wirtschaftskrise, so<br />
ist auch dieses Mal zu befürchten,<br />
dass den bisher schon Benachteiligten<br />
die größten Opfer abverlangt werden.<br />
Die bisherigen Maßnahmen gegen die<br />
Depression dienten vor allem dazu, das<br />
Finanzkapital zu stützen <strong>und</strong> die Krisenlasten<br />
für die Mittelklasse erträglich<br />
zu halten. <strong>Das</strong>s in den Diskussionen<br />
über die Reaktionen auf die Krise<br />
die Ansprüche <strong>und</strong> Lebensinteressen<br />
der tatsächlich Bedürftigen keine Rolle<br />
spielen, hat einen schlechten Gr<strong>und</strong>:<br />
Der soziale Konfrontationskurs der vergangenen<br />
Jahre hat sich für den herrschenden<br />
Block politisch als harmlose<br />
Angelegenheit dargestellt. Die meisten<br />
Krisenopfer ziehen sich schamhaft<br />
zurück <strong>und</strong> fühlen sich aufgr<strong>und</strong> der herrschenden<br />
ideologischen Regulationsmechanismen<br />
für ihre Situation selbst<br />
verantwortlich. Ob es jedoch bei dieser<br />
politischen Friedhofsruhe bleiben<br />
wird, ist nicht ausgemacht. Bewusstsein<br />
<strong>und</strong> Mentalitäten sind nicht unverrückbar<br />
festgeschrieben, aber an ihrer<br />
Veränderung muss gearbeitet werden.<br />
Dabei kann man an reale Entwicklungen<br />
anschließen – denn neben Verzweiflung<br />
<strong>und</strong> Resignation, mit denen die<br />
Herrschenden gut leben können, hat<br />
sich auch eine beträchtliche Wut aufgestaut.<br />
Wenn sich <strong>Armut</strong> weiter ausbreitet,<br />
neue Schichten in den sozialen<br />
Abstiegstrudel gezogen werden, könnte<br />
eine Situation entstehen, in der die Karten<br />
neu gemischt werden. Ein Beispiel<br />
sind die Montagsdemonstrationen, die<br />
sich vor fünf Jahren spontan als eine eindrucksvolle<br />
Bewegung gegen Deklassierung<br />
<strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong>, Verarmung <strong>und</strong><br />
Demütigung entwickelten. Diese Bewegung<br />
hat zumindest eine Ahnung davon<br />
vermittelt, dass es Grenzen der Zumutungen<br />
gibt <strong>und</strong> die individualisierten<br />
Verarbeitungsformen der Krise aufbrechen<br />
können. Fraglich bleibt, wie man<br />
die Entstehung solcher kollektiven Protestformen<br />
fördern kann. Eine antikapitalistische<br />
Linke hat die Aufgabe, Forderungen<br />
zu formulieren, in denen sich die<br />
Armen <strong>und</strong> Ausgegrenzten mit ihren Problemen<br />
<strong>und</strong> Lebensansprüchen wiederfinden<br />
können. Jedoch dürfte sich ein<br />
solcher Forderungskatalog nicht nur auf<br />
die unmittelbare Nothilfe beschränken.<br />
Darüber hinaus müssen auch Perspektiven<br />
eines selbst bestimmten Lebens thematisiert<br />
werden. Angesichts der herrschenden<br />
Resignation ist nichts dringlicher,<br />
als das Bewusstsein zu verbreiten,<br />
sich an der Gestaltung der sozialen<br />
Existenzbedingungen aktiv beteiligen zu<br />
können.<br />
Dr. Werner Seppmann, geboren 1950,<br />
ist Sozialwissenschaftler <strong>und</strong> Publizist.<br />
Er ist Mitherausgeber der Marxistischen<br />
Blätter <strong>und</strong> schreibt regelmäßig<br />
für die Zeitschrift Ossietzky.
Fazit 40<br />
Fazit<br />
Gemeinwesenarbeit stützen –<br />
Teilhabe sichern – <strong>Armut</strong> bekämpfen<br />
8 Gemeinwesenarbeit stützen –<br />
Teilhabe sichern – <strong>Armut</strong> bekämpfen<br />
Patrick Humke-Focks<br />
Betrachtet man die Ergebnisse der verschiedenen<br />
Foren, so ist augenfällig,<br />
dass es trotz der unterschiedlichen individuellen<br />
Zusammensetzungen der einzelnen<br />
Veranstaltungen große Schnittmengen<br />
in der Arbeit vor Ort, bei Forderungen,<br />
bei politischen Einschätzungen<br />
<strong>und</strong> bei der Entwicklung von Projekten<br />
gegeben hat. <strong>Das</strong> haben wir als Organisatoren<br />
in dieser Form nicht erwartet.<br />
Wir hatten eigentlich damit gerechnet,<br />
dass regionale Unterschiede von<br />
größerer Bedeutung wären <strong>und</strong> wir auf<br />
der jeweiligen lokalen Ebene auf unterschiedliche<br />
Weise zielgruppenorientiert<br />
hätten vorgehen müssen.<br />
<strong>Das</strong>s das in dieser Form nicht notwendig<br />
war, erleichterte uns die weitere<br />
Arbeit, die Auswertung der Ergebnisse,<br />
die Entwicklung parlamentarischer<br />
Initiativen <strong>und</strong> von Veranstaltungen<br />
der Linksfraktion.<br />
In den Foren wurde eine Vielzahl von<br />
Themen diskutiert. Um nur einige zu<br />
nennen: Die Bedeutung der Gemeinwesenarbeit,<br />
die Gestaltung des Wohnumfelds<br />
in ärmeren Gegenden, die Verbesserung<br />
der Infrastruktur in den Stadtvierteln<br />
<strong>und</strong> Dörfern oder die Schwierigkeiten,<br />
medizinische Versorgungseinrichtungen<br />
zu erreichen. Ebenso Fragen<br />
der Pflege, des Wohnens <strong>und</strong> der<br />
Selbstorganisation oder die Notwendigkeit,<br />
Sozialtarife einzuführen, um auch<br />
armen Leuten die Teilhabe am gesellschaftlichen<br />
Leben zu ermöglichen. All<br />
diese Debatten haben maßgeblich dazu<br />
beigetragen, Netzwerke zu bilden <strong>und</strong><br />
die kommunale Ebene mit der Landesebene<br />
zu verknüpfen; <strong>und</strong> sie haben uns<br />
Anstöße für unsere parlamentarische<br />
Arbeit geliefert.<br />
Gemeinwesenarbeit<br />
Die Gemeinwesenarbeit ist eine der Säulen<br />
der sozialen Arbeit in ärmeren Vierteln<br />
in der Stadt <strong>und</strong> auf dem Lande. Sie<br />
setzt dort an, wo sich Menschen begegnen,<br />
wo sie miteinander leben, dort wo<br />
ihr Lebensmittelpunkt ist. Damit die<br />
Gemeinwesenarbeit funktioniert, müssen<br />
das Land <strong>und</strong> die zuständige Kommune<br />
anerkennen, dass es einen Anlaufpunkt<br />
geben muss, in dem die Entwicklung<br />
des Gemeinwesens professionell<br />
moderiert <strong>und</strong> begleitet wird. Deshalb<br />
schlagen wir vor, Konzepte wie das Programm<br />
»Soziale Stadt« weiter auszubauen<br />
<strong>und</strong> seitens des Landes finanziell<br />
zu unterstützen, damit mittelfristig alle<br />
Quartiere gefördert werden können, die<br />
einen entsprechenden Bedarf haben.<br />
Ausbau der Infrastruktur<br />
Einig waren sich die Teilnehmenden<br />
der <strong>Armut</strong>sforen darin, dass die Infrastruktur<br />
in vielen Wohnquartieren mangelhaft<br />
ist. Derzeit wird die Nahversorgung<br />
mit Ärzten, Geschäften, Postfilialen<br />
<strong>und</strong> ÖPNV immer schlechter, was<br />
vor allem für alte <strong>und</strong> immobile Menschen<br />
schlecht ist. Immer weniger Ärzte<br />
sind bereit, in sozial »belasteten« Quartieren<br />
eine Praxis zu unterhalten; gleiches<br />
gilt für Pflegeeinrichtungen. Die<br />
Angebote des ÖPNV sind häufig unterentwickelt<br />
<strong>und</strong> zwingen diejenigen, die<br />
außerhalb der Zentren leben, oft zu weiten<br />
Wegen. Menschen mit geringem<br />
oder gar keinem Einkommen müssen<br />
deshalb schwer zumutbare Wege auf<br />
sich nehmen. Darüber hinaus darf die<br />
Schaffung von menschenwürdigem <strong>und</strong><br />
bezahlbarem Wohnraum nicht aus den<br />
Augen verloren werden – der Gr<strong>und</strong><br />
dafür ist der Niedergang des sozialen<br />
Wohnungsbaus.<br />
Wohnumfeldgestaltung<br />
Auch in diesem Bereich sahen die Teilnehmer<br />
der <strong>Armut</strong>sforen große Defizite;<br />
entwickelten aber Vorschläge, wie die<br />
Lage zu verbessern wäre. Eine entscheidende<br />
Voraussetzung für die Pflege <strong>und</strong><br />
den Ausbau sozialer Beziehungen ist es,<br />
Räume einzurichten, in denen kein Konsumzwang<br />
herrscht. Dies fördert die<br />
Teilhabe am gesellschaftlichen Leben –<br />
bzw. ermöglicht sie erst für diejenigen,<br />
die kein Geld haben, um am Konsum<br />
teilzunehmen. Die Neugestaltung des<br />
Wohnumfelds soll unter Einbeziehung<br />
der Bevölkerung geschehen. Die Anwohner<br />
sollen die wichtigsten Akteure sein<br />
<strong>und</strong> selbst Entscheidungskompetenz
41 Fazit<br />
kann das tun, indem er Sozialtarife für<br />
die Bahn, für den ÖPNV, für die Bildung<br />
<strong>und</strong> für die (Sozio-)Kultur einführt.<br />
<strong>Armut</strong>s- <strong>und</strong> Reichtumsberichterstattung<br />
in Niedersachsen<br />
besitzen. Gerade in Fragen der Standorte<br />
<strong>und</strong> der Ausstattung von Spielplätzen,<br />
von Grillplätzen oder anderen Treffpunkten<br />
<strong>und</strong> beim Bau von Nachbarschaftszentren<br />
mit Bildungsangeboten,<br />
Räumen für Feiern etc. sind die Anwohnerinnen<br />
<strong>und</strong> Anwohner die Expertinnen<br />
<strong>und</strong> Experten. Sie in den Entscheidungsprozess<br />
einzubinden, wirkt dabei identitätsstiftend.<br />
Förderung der Selbstorganisation<br />
Die Erfahrungen mit dem Programm<br />
»Soziale Stadt« haben gezeigt: Wo es<br />
durchgeführt wurde <strong>und</strong> wird, ist die<br />
Selbstorganisation der Anwohner deutlicher<br />
ausgeprägt als anderswo. Die<br />
Leute planen ihren Alltag gemeinsam,<br />
bauen Nachbarschaftsgärten, veranstalten<br />
Sprachkurse <strong>und</strong> andere Fortbildungen<br />
<strong>und</strong> organisieren regelmäßige Sozialberatungen.<br />
Durch die Identifikation<br />
mit dem eigenen Viertel entwickelt sich<br />
eine positive Form der sozialen Kontrolle;<br />
die Vertretung der eigenen Interessen<br />
nach außen verbessert sich. Die<br />
Anwohner werden von der Politik ernstgenommen<br />
– <strong>und</strong> teilen die Erfahrung,<br />
dass man trotz einer schwierigen sozialen<br />
Lage etwas durchsetzen kann, wenn<br />
man sich organisiert.<br />
Kinderarmut<br />
<strong>Armut</strong> ist sichtbar. Diese Tatsache<br />
wurde auf den <strong>Armut</strong>sforen gerade in<br />
der Debatte über Kinderarmut deutlich.<br />
Nirgends sind die sozialen Unterschiede<br />
so greifbar wie in den Schulen: Dort<br />
kann jeder sehen, über welchen Geldbeutel<br />
die Eltern verfügen – arme Kinder<br />
tragen schlechtere Kleidung oder haben<br />
kein Spielzeug, das sie mitbringen können;<br />
sie haben kein Pausenbrot <strong>und</strong> können<br />
an Klassenfahrten nicht teilnehmen;<br />
<strong>und</strong> wenn sie Geburtstag haben, können<br />
sie keine Fre<strong>und</strong>e einladen, weil<br />
sie sich ja selbst die Geschenke für<br />
die Geburtstagsfeiern anderer nicht leisten<br />
können – dies alles führt zu einer<br />
alltäglichen <strong>Ausgrenzung</strong> durch <strong>Armut</strong>.<br />
Kostenloses Essen für ärmere Schülerinnen<br />
<strong>und</strong> Schüler, Lernmittelfreiheit <strong>und</strong><br />
kostenlose Schülerbeförderung würden<br />
diese Probleme nicht lösen, sie könnten<br />
aber helfen, wenigstens ihre Folgen zu<br />
lindern.<br />
Sozialtickets<br />
Wer heute am gesellschaftlichen Leben<br />
teilhaben will, muss mobil sein. Wenn<br />
arme Leute nicht schon deshalb von<br />
Schwimmbad- oder Theaterbesuchen<br />
ausgeschlossen sein sollen, weil sie das<br />
Bad oder das Theater nicht erreichen<br />
können, brauchen sie Sozialtarife für<br />
den öffentlichen Nahverkehr. Gleiches<br />
lässt sich auf alle gesellschaftlichen<br />
Bereiche übertragen: Der Staat <strong>und</strong> die<br />
Kommunen haben die Verantwortung<br />
dafür zu tragen, dass allen Menschen<br />
der Zugang zu Bildung, Kultur <strong>und</strong> sozialen<br />
Leistungen gewährt wird, <strong>und</strong> er<br />
Einig waren sich die <strong>Armut</strong>sforen auch<br />
in der Frage der <strong>Armut</strong>sberichterstattung<br />
in Niedersachsen: Sie muss besser<br />
werden, <strong>und</strong> sie muss häufiger stattfinden.<br />
Der regelmäßig von der Landesregierung<br />
<strong>und</strong> vom statistischen Landesamt<br />
vorgelegte Bericht ist nicht aussagekräftig<br />
genug, um daraus verallgemeinerbare,<br />
nach Regionen <strong>und</strong> Lebenslagen<br />
aufgefächerte Forderungen abzuleiten.<br />
Die Landesregierung muss die Autorinnen<br />
<strong>und</strong> Autoren des Berichts mit ausreichend<br />
Mitteln ausstatten, um diesen<br />
Ansprüchen zu genügen.<br />
Trotz ihres Umfangs reicht diese Broschüre<br />
nur aus, um einige der Positionen<br />
anzureißen, die auf den <strong>Armut</strong>sforen<br />
diskutiert wurden – doch die hier dargestellten<br />
Ergebnisse sprechen, denke<br />
ich, eine deutliche Sprache. Sie sind zu<br />
einer Leitlinie unserer Parlamentsarbeit<br />
geworden. Welche Initiativen wir in den<br />
letzten Monaten zum Thema <strong>Armut</strong> in<br />
den Landtag eingebracht haben, finden<br />
sie, nebst Hinweisen auf weiterführende<br />
Texte, im Anhang.<br />
Die Erkenntnisse der <strong>Armut</strong>sforen<br />
waren für die Linksfraktion bemerkenswert;<br />
wir werden die gemeinsamen Ziele<br />
weiterhin hoch motiviert verfolgen. <strong>Das</strong><br />
nunmehr erprobte Konzept <strong>Armut</strong>sforum<br />
wollen wir weiterentwickeln <strong>und</strong><br />
andernorts wiederholen. Wir würden<br />
uns auch freuen, wenn es viele Nachahmer<br />
gäbe, die es ebenfalls ausprobierten<br />
<strong>und</strong> sich dann mit uns in Verbindung<br />
setzten, um die Ergebnisse auszutauschen.<br />
Unsere Arbeit muss sich daran messen<br />
lassen, ob es uns gelingt, die parlamentarische<br />
Ebene mit der außerparlamentarischen<br />
zu verbinden. Über Anregungen<br />
Ihrerseits würden wir uns sehr<br />
freuen. Lassen Sie uns gemeinsam die<br />
<strong>Armut</strong> <strong>und</strong> ihre Auswirkungen bekämpfen<br />
<strong>und</strong> zusammen für eine Gesellschaft<br />
einstehen, in der Soziale Ungerechtigkeit<br />
<strong>und</strong> <strong>Armut</strong> zu Fremdwörtern geworden<br />
sind.
Fazit 42<br />
9 Interessante Links Links<br />
Patrick Humke-Focks<br />
Reden von Patrick Humke-Focks gegen<br />
<strong>Armut</strong> <strong>und</strong> soziale <strong>Ausgrenzung</strong><br />
35. Sitzung, 27. März 2009<br />
⊲ Zukunft der hausärztlichen Versorgung in Niedersachsen –<br />
Antrag der Fraktionen der CDU <strong>und</strong> der FDP – Drs. 16/617 /<br />
S. 4155, 4158<br />
⊲ Beschäftigungsoffensive in Niedersachsen – Einstieg in<br />
einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor – Antrag<br />
der Fraktion DIE <strong>LINKE</strong> – Drs. 16/1039 / S. 4161, 4164<br />
http://www.landtag-niedersachsen.de<br />
/infothek/steno/steno_16_WP/endber035.pdf<br />
33. Sitzung, 25. März 2009<br />
⊲ Keine Blockade zulasten von Langzeitarbeitslosen – Arbeitsverwaltung<br />
jetzt zukunftsfähig machen <strong>und</strong> kommunale<br />
Verantwortung stärken! – Antrag der Fraktion der FDP –<br />
Drs. 16/1085 / S. 3898<br />
⊲ Einzige (abschließende) Beratung: a) Entwurf eines Gesetzes<br />
zur Änderung des Gesetzes über das Landesblindengeld<br />
für Zivilblinde – Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU <strong>und</strong><br />
der FDP – Drs. 16/960 – b) Der unvergessene Wortbruch<br />
der Regierung Wulff – Blindengeld wieder vollständig zahlen<br />
– Antrag der Fraktion der SPD – Drs. 16/810 – Beschlussempfehlung<br />
des Ausschusses für Soziales, Frauen, Familie<br />
<strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit – Drs. 16/1061 / S. 3934<br />
⊲ Zweite Beratung: Einrichtung von Pflegestützpunkten endlich<br />
in Angriff nehmen! – Antrag der Fraktion Bündnis 90/<br />
Die Grünen – Drs. 16/897 – Beschlussempfehlung des Ausschusses<br />
für Soziales, Frauen, Familie <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit –<br />
Drs. 16/1063 / S. 3971, 3972<br />
http://www.landtag-niedersachsen.de<br />
/infothek/steno/steno_16_WP/endber033.pdf<br />
32. Sitzung, 20. Februar 2009<br />
⊲ Erste Beratung: Einrichtung von Pflegestützpunkten endlich<br />
in Angriff nehmen! – Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die<br />
Grünen – Drs. 16/897 / S. 3770<br />
http://www.landtag-niedersachsen.de<br />
/infothek/steno/steno_16_WP/endber032.pdf<br />
31. Sitzung, 19. Februar 2009<br />
⊲ Einzige (abschließende) Beratung: Hungerlöhne beseitigen<br />
– Billigpflege <strong>verhindern</strong>: Auch die Pflege braucht einen<br />
gesetzlichen Mindestlohn – Antrag der Fraktion der SPD<br />
– Drs. 16/404 – Beschlussempfehlung des Ausschusses<br />
für Soziales, Frauen, Familie <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit – Drs. 16/874<br />
– Änderungsantrag der Fraktion der SPD – Drs. 16/961 /<br />
S. 3619<br />
⊲ Erste Beratung: Endlich Verantwortung für das Schicksal<br />
früherer Heimkinder übernehmen: aufklären, unterstützen,<br />
entschädigen – Antrag der Fraktion der SPD – Drs.<br />
16/896 / S. 3612<br />
http://www.landtag-niedersachsen.de<br />
/infothek/steno/steno_16_WP/endber031.pdf<br />
29. Sitzung, 16. Januar 2009<br />
⊲ Erste Beratung: Taten statt warmer Worte – Kindergelderhöhung<br />
auch für arme Familien – Antrag der Fraktion<br />
Bündnis 90/Die Grünen – Drs. 16/802 / S. 3347, 3348<br />
http://www.landtag-niedersachsen.de<br />
/infothek/steno/steno_16_WP/endber029.pdf<br />
28. Sitzung, 15. Januar 2009<br />
⊲ Kommunale Finanzmisere in Niedersachsen <strong>und</strong> ihre Folgen<br />
– Anfrage der Fraktion DIE <strong>LINKE</strong> – Drs. 16/822 /<br />
S. 3228<br />
⊲ Erste Beratung: Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der<br />
Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Verbesserung des Schutzes von Kindern<br />
in Niedersachsen – Gesetzentwurf der Landesregierung –<br />
Drs. 16/755 / S. 3247<br />
http://www.landtag-niedersachsen.de<br />
/infothek/steno/steno_16_WP/endber028.pdf<br />
24. Sitzung, 10. Dezember 2008<br />
⊲ Zweite Beratung Haushalt 2009 – Debatte über ausgewählte<br />
Haushaltsschwerpunkte (Einzelplan 5 – Soziales, Frauen,<br />
Familie <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit – Kultus) / S. 2833–38<br />
http://www.landtag-niedersachsen.de<br />
/infothek/steno/steno_16_WP/endber024.pdf<br />
22. Sitzung, 14. November 2008<br />
⊲ Zukunft der hausärztlichen Versorgung in Niedersachsen<br />
S. 2562<br />
http://www.landtag-niedersachsen.de<br />
/infothek/steno/steno_16_WP/endber022.pdf<br />
21. Sitzung, 13. November 2008<br />
⊲ Anfrage von DIE <strong>LINKE</strong>: Was macht die Landesregierung<br />
gegen extreme <strong>Armut</strong> im Winter? / S. 2392<br />
http://www.landtag-niedersachsen.de<br />
/infothek/steno/steno_16_WP/endber021.pdf<br />
20. Sitzung, 12. November 2008<br />
⊲ Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Wohnraumförderung<br />
/ S. 2345<br />
http://www.landtag-niedersachsen.de<br />
/infothek/steno/steno_16_WP/endber020.pdf
43 Fazit<br />
16. Sitzung, 18. September 2008<br />
⊲ Kinderarmut bekämpfen – Konkretes Handeln statt Ankündigungen<br />
<strong>und</strong> unverbindlicher B<strong>und</strong>esratsentscheidungen /<br />
S. 1748, 1754<br />
http://www.landtag-niedersachsen.de<br />
/infothek/steno/steno_16_WP/endber016.pdf<br />
15. Sitzung, 17. September 2008<br />
⊲ Kostenvergleich von Wertgutscheinpraxis <strong>und</strong> Barauszahlung<br />
bei Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz<br />
– Antrag der Fraktion DIE <strong>LINKE</strong> / S. 1701<br />
http://www.landtag-niedersachsen.de<br />
/infothek/steno/steno_16_WP/endber015.pdf<br />
14. Sitzung, 16. September 2008<br />
⊲ Ges<strong>und</strong>heitsfonds 2009: Alles wird teurer, nichts wird besser!<br />
– Antrag der Fraktion der FDP / S. 1484<br />
http://www.landtag-niedersachsen.de<br />
/infothek/steno/steno_16_WP/endber014.pdf<br />
13. Sitzung, 3. Juli 2008<br />
⊲ Anfrage zum <strong>Armut</strong>s- <strong>und</strong> Reichtumsberichterstattung in<br />
Niedersachsen / S. 1333<br />
http://www.landtag-niedersachsen.de<br />
/infothek/steno/steno_16_WP/endber013.pdf<br />
6. Sitzung, 8. Mai 2008<br />
⊲ Freiwillige Selbstverpflichtung – Antrag der Fraktion DIE<br />
<strong>LINKE</strong> / S. 581<br />
⊲ Den Fortschritt sichern, Arbeitslosigkeit bekämpfen, Bürokratie<br />
vermeiden – Antrag der Fraktionen der CDU <strong>und</strong> der<br />
FDP / S. 561, 562, 564<br />
http://www.landtag-niedersachsen.de<br />
/infothek/steno/steno_16_WP/endber006.pdf<br />
4. Sitzung, 10. April 2008<br />
⊲ Missbraucht Finanzamt Ein-Euro-Jobber? – Anfrage der<br />
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen / S. 235<br />
http://www.landtag-niedersachsen.de<br />
/infothek/steno/steno_16_WP/endber004.pdf<br />
Parlamentarische Initiativen des Referates<br />
Soziales <strong>und</strong> Europa gegen <strong>Armut</strong><br />
<strong>und</strong> soziale <strong>Ausgrenzung</strong><br />
Juniplenum 2009: Mündliche Anfrage:<br />
Welche zusätzlichen Maßnahmen plant die Landesregierung<br />
im Bereich der Alkoholprävention für junge Menschen?<br />
http://www.landtag-niedersachsen.de<br />
/Drucksachen/Drucksachen_16_2500/1001-1500<br />
/16-1335.pdf<br />
Drs. 16/1345 02. 06. 2009, Entschließungsantrag:<br />
Der Landtag unterstützt die Forderungen der Erzieher/-innen,<br />
Sozialpädagogen/-innen <strong>und</strong> Sozialarbeiter/-innen in den<br />
niedersächsischen Kindertageseinrichtungen<br />
http://www.landtag-niedersachsen.de<br />
/Drucksachen/Drucksachen_16_2500/1001-1500<br />
/16-1345.pdf<br />
Az. II/721-312 11. 05. 2009; Kleine Anfrage:<br />
Zukunft der Pflege in Niedersachsen<br />
http://www.landtag-niedersachsen.de<br />
/Drucksachen/Drucksachen_16_2500/1001-1500<br />
/16-1409.pdf<br />
Drs. 16/1267 07. 05. 2009, Änderungsantrag:<br />
Eine Region stellt sich vor: Erwartungen aus Niedersachsen<br />
an das neue europäische Parlament<br />
http://www.landtag-niedersachsen.de<br />
/Drucksachen/Drucksachen_16_2500/1001-1500<br />
/16-1267.pdf<br />
Az. II/721-300 04. 05. 2009, Kleine Anfrage:<br />
Kinderarbeit in Niedersachen<br />
http://www.landtag-niedersachsen.de<br />
/Drucksachen/Drucksachen_16_2500/1001-1500<br />
/16-1467.pdf<br />
Drs. 16/1107 25. 03. 2009, Änderungsantrag:<br />
Zukunft der hausärztlichen Versorgung in Niedersachsen<br />
http://www.landtag-niedersachsen.de<br />
/Drucksachen/Drucksachen_16_2500/1001-1500<br />
/16-1107.pdf<br />
Drs. 16/1039 17. 03. 2009, Entschließungsantrag:<br />
Beschäftigungsoffensive in Niedersachsen – Einstieg in einen<br />
öffentlich geförderten Beschäftigungssektor<br />
http://www.landtag-niedersachsen.de<br />
/Drucksachen/Drucksachen_16_2500/1001-1500<br />
/16-1039.pdf<br />
Drs. 16/1301 6. 03. 2009 Kleine Anfrage mit Antwort:<br />
Unterschiedliche Sanktionsquoten in den Agenturen für Arbeit<br />
http://www.landtag-niedersachsen.de<br />
/Drucksachen/Drucksachen_16_2500/1001-1500<br />
/16-1301.pdf<br />
Drs. 16/891 10. 02. 2009, Entschließungsantrag:<br />
Für ein Europa der Menschen – <strong>Armut</strong> konsequent bekämpfen<br />
http://www.landtag-niedersachsen.de<br />
/Drucksachen/Drucksachen_16_2500/0501-1000<br />
/16-0891.pdf
Fazit 44<br />
Drs. 16/701 28. 11. 2008, Entschließungsantrag:<br />
Für ein soziales Europa – verbindliche Regelungen für soziale<br />
Gr<strong>und</strong>rechte<br />
http://www.landtag-niedersachsen.de<br />
/Drucksachen/Drucksachen_16_2500/0501-1000<br />
/16-0701.pdf<br />
Drs. 16/629 24. 10. 2008, Dringliche Anfrage:<br />
Was macht die Landesregierung gegen extreme <strong>Armut</strong> im<br />
Winter?<br />
http://www.landtag-niedersachsen.de<br />
/Drucksachen/Drucksachen_16_2500/0501-1000<br />
/16-0629.pdf<br />
Drs. 16/670 17. 10. 2008, Kleine Anfrage:<br />
R<strong>und</strong>funkgebühren für Menschen in Ausbildung<br />
http://www.landtag-niedersachsen.de<br />
/Drucksachen/Drucksachen_16_2500/0501-1000<br />
/16-0670.pdf<br />
Drs. 16/542 08. 10. 2008, Änderungsantrag:<br />
Der Deckel muss weg – Landesregierung nicht aus der Verantwortung<br />
entlassen – Krankenhausfinanzierung <strong>und</strong> flächendeckende<br />
Versorgung in Niedersachsen sicherstellen<br />
http://www.landtag-niedersachsen.de<br />
/Drucksachen/Drucksachen_16_2500/0501-1000<br />
/16-0542.pdf<br />
Drs. 16/270 03. 07. 2008 (Plenum, Anfrage Nr.2), Mündliche<br />
Anfrage:<br />
<strong>Armut</strong>s- <strong>und</strong> Reichtumsberichterstattung<br />
http://www.landtag-niedersachsen.de<br />
/Drucksachen/Drucksachen_16_2500/0001-0500<br />
/16-0270.pdf<br />
Drs. 16/207 30. 05. 2008, Dringliche Anfrage:<br />
Handlungsbedarf zur Sicherung sozialer Standards im EU-<br />
Recht <strong>und</strong> des Lohnniveaus im niedersächsischen Baugewerbe<br />
http://www.landtag-niedersachsen.de<br />
/Drucksachen/Drucksachen_16_2500/0001-0500<br />
/16-0207.pdf<br />
Drs. 16/184 28. 05. 2008, Entschließungsantrag:<br />
Der Deckel muss weg – Landesregierung nicht aus der Verantwortung<br />
entlassen – Krankenhausfinanzierung <strong>und</strong> flächendeckende<br />
Versorgung in Niedersachsen sicherstellen<br />
http://www.landtag-niedersachsen.de<br />
/Drucksachen/Drucksachen_16_2500/0001-0500<br />
/16-0184.pdf<br />
10 Eine Auswahl weiterführender Literatur Literatur<br />
⊲ Andreß, Hans-Jürgen (u. a.): Wenn aus liebe rote Zahlen<br />
werden. Überdie wirtschaftlichen Folgen von Trennung<br />
<strong>und</strong> Scheidung; Wiesbaden2003.<br />
⊲ Bischoff, Joachim: Allgemeines Gr<strong>und</strong>einkommen. F<strong>und</strong>ament<br />
für sozialeSicherheit?; Hamburg 2007.<br />
⊲ Blaschke, Ronald: Garantiertes Gr<strong>und</strong>einkommen. Entwürfe<br />
<strong>und</strong>Begründungen aus den letzten 20 Jahren, Frage<strong>und</strong><br />
Problemstellungen;Dresden 2004.<br />
⊲ Bude, Heinz: Die Ausgeschlossenen. <strong>Das</strong> Ende vom Traum<br />
einer gerechtenGesellschaft; München/Wien 2008.<br />
⊲ Burger, Karin: <strong>Armut</strong>szeugnis. Ratgeber in <strong>Armut</strong>sfragen;<br />
Belm-Vehrte2007.<br />
⊲ Butterwegge, Christoph: <strong>Armut</strong> in einem reichen Land.<br />
Wie das Problemverharmlost <strong>und</strong> verdrängt wird; Frankfurt/Main<br />
2009.<br />
⊲ Butterwegge, Christoph/Kl<strong>und</strong>t, Michael/Belke-Zeng, Matthias:<br />
Kinderarmut in Ost- <strong>und</strong> Westdeutschland;2. Aufl.,<br />
Wiesbaden 2008.<br />
⊲ Gern, Wolfgang/Segbers, Franz (Hrsg.): Als K<strong>und</strong>ebezeichnet,<br />
als Bettler behandelt. Erfahrungen aus der Hartz-<br />
IV-Welt;Hamburg 2009.<br />
⊲ Heizmann, Karin/Schmidt, Angelika (Hrsg.):Frauenarmut.<br />
Hintergründe, Facetten, Perspektiven;Frankfurt/Main 2001.<br />
⊲ Zinn, Karl Georg: Wie Reichtum <strong>Armut</strong> schafft. Verschwendung,Arbeitslosigkeit<br />
<strong>und</strong> Mangel; 4. Aufl., Köln 2006.
Impressum:<br />
Herausgeberin:<br />
DIE <strong>LINKE</strong>. Fraktion im Niedersächsischen Landtag<br />
Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz 1<br />
30159 Hannover<br />
Fotos: Uwe Helmes<br />
Satz <strong>und</strong> Layout: Oliver Heins, Hannover, www.scriptorium-adp.de<br />
Druck: AktivDruck & Verlag GmbH, Göttingen<br />
V. i. S. d. P: Christa Reichwaldt, Parlamentarische Geschäftsführerin