1 1 Aus den Quellen der Erinnerung die Gegenwart speisen ...
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berührt. Nach Untersuchungen von Tomatis reagiert <strong>der</strong> Fetus auf <strong>die</strong> Stimme <strong>der</strong><br />
Mutter, sie schlägt eine Brücke vom Innenraum zum Außenraum ( Decker-Voigt,<br />
2000, S. 283 ). Die Stimme des Säuglings ist für ihn selbst <strong>die</strong> Verbindung zum<br />
Außen, zu Kontakt und Befriedigung seiner Bedürfnisse. „...lebenslang wer<strong>den</strong><br />
wir in <strong>den</strong> Tiefen unseres Unbewussten mit Stimmausdruck eine „heile Welt“<br />
assoziieren“ (Decker-Voigt, 2000, S. 282). Wenn mir etwas „Atemberaubendes“<br />
„<strong>die</strong> Sprache verschlägt“, wenn mir etwas „ zum Hals heraushängt“, ich „<strong>die</strong> Zähne<br />
zusammenbeiße“, wird umgangssprachlich auf <strong>die</strong> Verbindung von Emotionen<br />
und Hals-Rachenraum und Stimme hingewiesen. „Atmung und Stimme sind für<br />
<strong>die</strong> emotionale Oszillation zwischen Innenraum und Außenraum, für <strong>den</strong> <strong>Aus</strong>gleich<br />
zwischen Eindrucks- und <strong>Aus</strong>druckspotentialen im Menschen von zentraler<br />
psychohygienischer Bedeutung“ (S. Rittner, 1990, S. 108). Gerade bei alten o<strong>der</strong><br />
dementen Menschen unterstützt <strong>die</strong>se Verbindung zur Psyche ihre Möglichkeiten<br />
<strong>der</strong> Psychohygiene – wie oft erleben wir bei alten Menschen einen verbissenen<br />
o<strong>der</strong> verkniffenen Gesichtsausdruck.<br />
Singen hat auch körperlich nicht zu unterschätzende Wirkung, vor allem bei alten<br />
Menschen, <strong>die</strong> nicht mehr viel in Bewegung sein können. Die Atmung, oft sehr<br />
verflacht im Alter, wird intensiviert, ein gutes Atemtraining, und Lie<strong>der</strong> regen zu<br />
Bewegung an, sei es auch nur im Sitzen. Ich behaupte, dass auch <strong>die</strong> innere Mitbewegung<br />
bei einem Wan<strong>der</strong>lied o<strong>der</strong> einem Tango schon einen bewegen<strong>den</strong> Effekt<br />
besitzt.<br />
Die menschliche Stimme verän<strong>der</strong>t sich natürlich durch <strong>den</strong> Alterungsprozess.<br />
Der Stimmumfang wird deutlich kleiner, eine Folge <strong>der</strong> Verhärtung des Kehlkopfes<br />
im Alter, und das Zittern in <strong>der</strong> Stimme ist uns allen bekannt. Das allerdings<br />
ist vor allem eine Frage des nicht geübt Seins. Diese Verän<strong>der</strong>ung kann Verunsicherung<br />
hervorrufen. Eine Frau fragt öfters besorgt danach, wie ihre Stimme <strong>den</strong>n<br />
klinge, und wird von <strong>den</strong> Mitsingen<strong>den</strong> dann beruhigt. Ihre allgemeine Verunsicherung<br />
findet hier auch ihren <strong>Aus</strong>druck. Die erlebte Fremdheit in <strong>der</strong> Stimme ist<br />
meines Erachtens Abbild für <strong>die</strong> I<strong>den</strong>titätsirritation überhaupt, mit <strong>der</strong> <strong>die</strong>se Frau<br />
nun im Alterungsprozess konfrontiert wird. Hier kann mit Unterstützung <strong>der</strong> Therapeutin<br />
eine I<strong>den</strong>titäts-Stärkung stattfin<strong>den</strong>, ein I<strong>den</strong>titätsgewinn durch das eigene<br />
Hören.<br />
Die Arbeit mit<br />
Lie<strong>der</strong>n<br />
„In Lie<strong>der</strong>n, <strong>die</strong> <strong>den</strong> Patienten bekannt sind, ist quasi ein Stück Leben co<strong>die</strong>rt bzw.<br />
eingeschmolzen, was durch Jahre - o<strong>der</strong> jahrzehntelanges Pausieren in Vergessenheit<br />
geraten konnte, aber bei Gebrauch sofort wie<strong>der</strong> <strong>die</strong> alte Lebendigkeit erreichen<br />
kann.“ (Schwabe, in: D. Muthesius, MTU 1990, S. 132 ). Gerade <strong>die</strong>se Lebendigkeit,<br />
<strong>die</strong> Emotionalität betrachte ich als das Wertvolle bei <strong>die</strong>ser Arbeit –<br />
das Anknüpfen an einprägende Erlebnisse, das Eintauchen in Atmosphären, <strong>die</strong><br />
eindrücklich waren. So können gerade demente Menschen sich ihrer selbst rückversichern,<br />
einen Teil ihrer verlorengegangenen I<strong>den</strong>tität wie<strong>der</strong>fin<strong>den</strong>, sei es auch<br />
nur für kurze Zeit. Diese emotionale Erfahrung stärkt <strong>die</strong> Person. „Personare“-<br />
durchtönen – im Singen und Klingen wie<strong>der</strong> Selbst wer<strong>den</strong>.<br />
Erstaunlich sind Erlebnisse – und sie fin<strong>den</strong> in meiner Arbeit mit Dementen häufig<br />
statt, - dass Menschen, <strong>die</strong> sich nicht mehr verständlich äußern können, plötzlich<br />
<strong>den</strong> Refrain eines Liedes lautstark mitsingen. Dieses Lied, <strong>die</strong> damit verbun<strong>den</strong>e<br />
Erfahrung, liegt auf einer sog. „<strong>Erinnerung</strong>sinsel“, einem Phänomen bei Demenzerkrankungen,<br />
erklärbar im Kontext <strong>der</strong> Emotionalität dementer Menschen –<br />
<strong>die</strong>se Fähigkeit bleibt ja sehr lange erhalten.<br />
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