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Zur Genealogie des neuen Ornaments im digitalen Zeitalter. Eine ...

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Jörg H. Gleiter, <strong>Zur</strong> <strong>Genealogie</strong> <strong>des</strong> <strong>neuen</strong> <strong>Ornaments</strong> <strong>im</strong> <strong>digitalen</strong> <strong>Zeitalter</strong><br />

Jörg H. Gleiter<br />

<strong>Zur</strong> <strong>Genealogie</strong> <strong>des</strong> <strong>neuen</strong> <strong>Ornaments</strong><br />

<strong>im</strong> <strong>digitalen</strong> <strong>Zeitalter</strong>. <strong>Eine</strong> Annäherung<br />

In: ARCH + 189, 10/2008<br />

Wann <strong>im</strong>mer die Frage nach dem Ornament aufbricht, ist dies ein<br />

Zeichen eines grundlegenden Strukturwandels in der Architektur,<br />

eines Wandels, der mithin als Krise und tiefer Einschnitt in das<br />

etablierte Selbstverständnis der Disziplin erfahren wird. Am Ornament<br />

scheiden sich die Geister, aber weniger <strong>im</strong> Sinne <strong>des</strong> Geschmacks als<br />

insofern sich an ihm die zentralen theoretischen Fragestellungen einer<br />

Zeit auskristallisieren. Das Ornament ist der Kampfplatz der Theorie.<br />

So wäre es ein Missverständnis, wollte man mit Ernst Gombrich<br />

behaupten, dass sich das Ornament nicht näher definieren lasse, dieses<br />

aber auch nicht nötig sei, da man schließlich auch über »Kunst« und<br />

»Leben« spräche, obwohl beide sich auch nicht auf einen eindeutigen<br />

Begriff reduzieren lassen.<br />

1


Jörg H. Gleiter, <strong>Zur</strong> <strong>Genealogie</strong> <strong>des</strong> <strong>neuen</strong> <strong>Ornaments</strong> <strong>im</strong> <strong>digitalen</strong> <strong>Zeitalter</strong><br />

Seit einiger Zeit nun ist die Rede vom „Wiederaufleben <strong>des</strong><br />

<strong>Ornaments</strong>“ und vom „<strong>neuen</strong> Ornament“ 1 . Als Beispiele dafür werden<br />

der künstliche Moiréeffekt von Ben van Berkels Kaufhaus (2008) in<br />

Kaohsiung City in Taiwan aufgeführt, Jun Aokis Fassade aus gläsernen<br />

Röhren für Louis Vuitton in Roppongi (2003) oder die kristalline<br />

Erscheinung von Barkow Leibingers Trutec Building (2006) in Seoul.<br />

Aber auch Jürgen Mayer H.s Dannfoss Pavilion (2007) und selbst der<br />

Entwurf für den Water Flux Pavilon (2009) in Évolène von Roche und<br />

Lavaux gelten als Vertreter <strong>des</strong> <strong>neuen</strong> <strong>Ornaments</strong>. Die Frage ist aber, ob<br />

denn jeder Moiréeffekt und je<strong>des</strong> mit geometrischen oder organischen<br />

Formen gestanzte Lochblech schon ein Ornament ist? Kann ein Muster<br />

aus wiederholten Elementen allein dadurch, dass es computergesteuert<br />

produziert und vervielfältigt wurde, schon ein neues Ornament genannt<br />

werden?<br />

Eigenartigerweise beziehen sich die aktuellen Debatten beinahe<br />

ausschließlich auf die Ornamenttheorien <strong>des</strong> frühen<br />

Maschinenzeitalters, auf Owen Jones, John Ruskin, William Morris oder<br />

Louis Sullivan und Adolf Loos. Man verweist auf den repetitiven<br />

Charakter geometrischer Elemente, auf die Rückkehr organischer<br />

Figuren, auf den großflächigen Einsatz pixelartiger Kleinstrukturen<br />

und auf bedruckte Glasfassaden bis hin zur Medienfassade. Lässt sich<br />

aber ernsthafterweise mit den Kategorien <strong>des</strong> Maschinenzeitalters – mit<br />

Repetition, Serialisierung und Standardisierung, mit Morris, Jones und<br />

Ruskin – überhaupt das neue Ornament <strong>des</strong> <strong>digitalen</strong> Habitats<br />

erkennen? Was unterscheidet denn das neue Ornament <strong>im</strong> <strong>digitalen</strong><br />

Habitat vom Ornament <strong>des</strong> Maschinenzeitalters oder gar von den<br />

handwerklichen Verfahren klassischer Ornamente? Was sind die<br />

sichtbaren Merkmale <strong>des</strong> <strong>neuen</strong> <strong>Ornaments</strong>, wo doch gerade die<br />

<strong>digitalen</strong> Verfahren die Entkoppelung der Sichtbarkeit 2<br />

Struktur ihrer Erzeugung betreiben?<br />

von der<br />

Der vorliegende Aufsatz ist der Versuch einer Annäherung an das neue<br />

Ornament <strong>im</strong> <strong>digitalen</strong> <strong>Zeitalter</strong>. Er ist der Versuch ein Phänomen zu<br />

beschreiben, <strong>des</strong>sen Existenz kaum bestritten werden kann, für das es<br />

aber bisher keine klare Definition gibt.<br />

Das Ornament: Denkmal einer Krise Die Periodizität, mit der die<br />

Ornamentdebatten <strong>im</strong>mer wieder ins kulturelle Bewusstsein<br />

zurückkehren, legt mit Gérard Raulet und Burghart Schmidt die These<br />

nahe, dass man in der Krise <strong>des</strong> <strong>Ornaments</strong> den „Ausdruck eines<br />

Krisenbewußtseins der Moderne“ 3 wie auch eines ihrer<br />

konstituierenden Merkmale sehen muss. Das Ornament ist keine<br />

autonome gestalterische Praxis, sondern eine Funktion der Architektur<br />

<strong>im</strong> sich dynamisch ändernden, allgemeinen kulturellen Kräftefeld. Am<br />

Ornament schärft die Architektur der Moderne ihre konzeptuelle<br />

Ausrichtung, am Ornament findet ihre Rekonzeptualisierung <strong>im</strong> je<br />

veränderten kulturellen Kräftefeld statt. Daher ist das „Wiederaufleben<br />

<strong>des</strong> <strong>Ornaments</strong> in der zeitgenössischen Architektur“ heute, am<br />

Übergang vom mechanischen zum <strong>digitalen</strong> <strong>Zeitalter</strong>, weniger<br />

erstaunlich als dies oft suggeriert wird; es ist Zeichen eines tief<br />

greifenden Wandels der Architektur.<br />

Daraus folgt, dass die Ornamentfrage der frühen Moderne längst ihren<br />

singulären Status als Zeitenwende, als Nullpunkt der Moderne<br />

verloren hat. Die oft konstatierte Einzigartigkeit der Ornamentdebatten<br />

zu Beginn der Moderne gehört ins Reich <strong>des</strong> Mythos. Auch ist es<br />

keineswegs so, dass von „einigen wenigen, denkwürdigen,<br />

postmodernen Exper<strong>im</strong>enten“ abgesehen, die „Sprache <strong>des</strong> <strong>Ornaments</strong><br />

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Jörg H. Gleiter, <strong>Zur</strong> <strong>Genealogie</strong> <strong>des</strong> <strong>neuen</strong> <strong>Ornaments</strong> <strong>im</strong> <strong>digitalen</strong> <strong>Zeitalter</strong><br />

in der Architektur jahrzehntelang verstummt“ 4 gewesen wäre. Ein<br />

Blick in die zweite Hälfte <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts enthüllt, dass die<br />

Moderne eine permanente Debatte über das Ornament geführt hat,<br />

dass die theoretischen Auseinandersetzungen gerade am Ornament<br />

sich vollzogen haben. Walter Gropius hatte dies auf die Formel<br />

gebracht: „Vorwärts zur Tradition! Das Ornament ist tot! Lang lebe das<br />

Ornament!“ 5 Die historische Analyse zeigt, dass – ganz <strong>im</strong> Sinne von<br />

Gropius – mit der in den 60er Jahren einsetzenden Kritik an der<br />

orthodoxen Moderne das Ornament zum Katalysator der<br />

Rekonzeptualisierung der Architektur wurde. Dieses vollzog sich unter<br />

dem Einfluss <strong>des</strong> Strukturalismus, später unter dem Einfluss der<br />

Semiotik und <strong>des</strong> Poststrukturalismus und führte direkt in den<br />

postmodernen Methoden- und Stilpluralismus. Manifest wurde dies <strong>im</strong><br />

Struktur- und Statuswandel 6 <strong>des</strong> <strong>Ornaments</strong> seit den 60er Jahren: in<br />

der Transformation vom Objektcharakter zum Verfahrenscharakter <strong>des</strong><br />

<strong>Ornaments</strong>, von der historischen Rückbezüglichkeit <strong>des</strong> klassischen<br />

<strong>Ornaments</strong> zum kritisch-performativen Ornament am Ende <strong>des</strong> 20.<br />

Jahrhunderts.<br />

Für den Zeitraum seit den 60er Jahren lassen sich drei<br />

Ornamentverfahren unterscheiden: das strukturale Ornament, das<br />

ironisch-allegorische Ornament und das performativ-kritische<br />

Ornament. Das strukturale Ornament ist eng gekoppelt an die Debatten<br />

<strong>des</strong> Strukturalismus, an die aus der Abstraktion der 20er und 30er Jahre<br />

sich heraus entwickelnde konkrete Kunst und die Anfänge der<br />

Computergrafik, wie sie Mitte der 60er Jahre in Stuttgart von Frieder<br />

Nake, Georg Nees und A. Michael Noll 7 entwickelt wurde. Dem<br />

strukturalen Ornament widmete sich 1965 die Züricher Ausstellung<br />

Ornament ohne Ornament 8 . Auf konstruktiver Seite gehört hierzu<br />

Buckminster Fullers geodätische Dome, <strong>im</strong> Gebäudemaßstab das<br />

Waisenhaus von Aldo van Eyck (1960) oder die<br />

geisteswissenschaftlichen Institute, die sogenannte Rostlaube der FU<br />

Berlin (1967-72) von Georg Candilis, Alexis Josic und Shadrach Woods.<br />

James Stirlings Stuttgarter Staatsgalerie steht dagegen für das ironischallegorische<br />

Ornament der Postmoderne. Die theoretische Grundlage<br />

dafür war Walter Benjamins Theorie der Allegorie, so wie Benjamin<br />

diese erst am barocken Trauerspiel entwickelt und später an der<br />

Analyse der Hauptstadt <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts, an Paris, seiner<br />

Architektur, seinen Passage und Boulevards für die Moderne präzisiert<br />

hatte. Exemplarisch für den Strukturwandel vom strukturalen zum<br />

kritisch-performativen Ornament, der sich vor dem Hintergrund der<br />

Linguistik und <strong>des</strong> Poststrukturalismus vollzog, steht in ihrer<br />

konsequent theoretischen Durchformulierung Peter Eisenmans Serie<br />

von Hausentwürfen von House I (1968) bis zum Guardiola House<br />

(1988).<br />

Im <strong>Zeitalter</strong> der <strong>digitalen</strong> Technologien lässt sich heute für das neue<br />

Ornament nicht mehr unvermittelt an der Problemlage <strong>des</strong> späten 19.<br />

und frühen 20. Jahrhunderts, am frühen Maschinenzeitalter und seinen<br />

Theorien anknüpfen. Mit dem skizzierten Struktur- und Statuswandel<br />

steht das Ornament heute in einer langen Tradition der<br />

Ornamentdebatten <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts. Schon lange steht es nicht<br />

mehr für das Verbotene, Abartige, Unmoralische oder auch nur für<br />

schlechten Geschmack <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts. Brett Steele hat darauf<br />

hingewiesen, dass die Sprache <strong>des</strong> <strong>Ornaments</strong> heute weniger aus der<br />

Prozessualität der Maschinenproduktion und ihrer serialisierten<br />

Rationalität als aus den sie „steuernden Programmen und<br />

Codierungen“ 9 resultiert. Entscheidend ist, dass diese nicht mehr in<br />

erster Linie analogen sondern algorithmischen, <strong>digitalen</strong> Verfahren<br />

folgen, mit allen Konsequenzen, die das für die Sichtbarkeit der<br />

3


Jörg H. Gleiter, <strong>Zur</strong> <strong>Genealogie</strong> <strong>des</strong> <strong>neuen</strong> <strong>Ornaments</strong> <strong>im</strong> <strong>digitalen</strong> <strong>Zeitalter</strong><br />

Architektur bringt. So sind all jene Versuche mit Skepsis zu betrachten,<br />

die wie Oliver Domeisens Aufsatz Ornament und Freispruch 10 <strong>im</strong><br />

Wiederaufleben <strong>des</strong> <strong>Ornaments</strong> heute einen späten und überfälligen<br />

Befreiungsschlag von den Fesseln der Ornamentdebatten der frühen<br />

Moderne, vor allem von Adolf Loos Ornament und Verbrechen sehen<br />

wollen. Davon kann nicht die Rede sein. Über die Zeitenwende der<br />

frühen Moderne hinweg gibt es eine ungebrochene <strong>Genealogie</strong> <strong>des</strong><br />

<strong>Ornaments</strong> <strong>im</strong> 20. Jahrhundert.<br />

Die doppelte ontologische Polung <strong>des</strong> <strong>Ornaments</strong> Was ist also das<br />

Neue am <strong>neuen</strong> Ornament <strong>des</strong> <strong>digitalen</strong> <strong>Zeitalter</strong>s? Welches ist seine<br />

Funktion <strong>im</strong> Kontext <strong>des</strong> <strong>digitalen</strong> Habitat? Was unterscheidet das neue<br />

Ornament vom Ornament <strong>im</strong> Maschinenzeitalter und wo wiederum<br />

bestehen Affinitäten und Kontinuitäten? <strong>Zur</strong> Beantwortung dieser<br />

Fragen bedarf es eines kurzen historischen Rückblicks.<br />

Klassischerweise ist das Ornament definiert als das Beiherspielende,<br />

die Akzidenz zur Substanz, das Maskenhafte, der Schleier, die<br />

Bekleidung und das Nebensächliche, das Rahmende, das Parergonale<br />

oder – negativ gewendet – das Aufgeklatschte und Applizierte, das<br />

Dekorum und der Zierrath. Das Ornament ist also nicht das Ding an<br />

sich, sondern das, was verdeckt und dabei auf anderes aufmerksam<br />

macht. Andererseits geht das Ornament keineswegs in der<br />

kommunikativen Struktur auf, sondern besitzt eine über den<br />

Zeichencharakter hinausgehende phänomenale Präsenz. Im Ornament<br />

erhält Präsenz, was <strong>im</strong> Artefakt selbst nicht oder nicht mehr sichtbar ist,<br />

<strong>im</strong> Ornament kommt ein Abwesen<strong>des</strong> zur Anschauung.<br />

Die Analyse der Ornamentdebatten der vergangenen 150 Jahre zeigt,<br />

dass <strong>im</strong> Zentrum der theoretischen Debatten der Moderne die je<br />

veränderte, kulturelle Funktion <strong>des</strong> <strong>Ornaments</strong> steht. In der frühen<br />

Moderne war es in besonderer Weise der Übergang von den<br />

handwerklichen Verfahren zur Maschinenproduktion, was die Frage<br />

nach dem Ornament herausforderte. Hier setzte Gottfried Sempers<br />

Kritik am klassizistischen Ornamentbegriff an. Im Übergang der<br />

Produktionsweise von der Hand zur Maschine brach ein Aspekt <strong>des</strong><br />

<strong>Ornaments</strong> durch, der bis dahin in den Theorien <strong>des</strong> <strong>Ornaments</strong> wenig<br />

Aufmerksamkeit gefunden hatte: Die Genese <strong>des</strong> <strong>Ornaments</strong> und <strong>des</strong><br />

Stils aus den Herstellungsverfahren der Architektur. So heißt es bei<br />

Semper in Über Baustile, dass das Ornament oder der Stil „die<br />

Übereinst<strong>im</strong>mung einer Kunsterscheinung mit ihrer<br />

Entstehungsgeschichte [sei], mit allen Vorbedingungen und<br />

Umständen ihres Werdens“. Im Ornament trete uns die Architektur<br />

nicht als Ideales, also „nicht als etwas Absolutes, sondern als ein<br />

Resultat entgegen“ 11 .<br />

Wichtig für die Frage nach dem <strong>neuen</strong> Ornament <strong>im</strong> Übergang von der<br />

Maschinenlogik zu den <strong>digitalen</strong> Verfahren ist Sempers Feststellung,<br />

dass das Ornament die Bedingungen der Möglichkeit der Architektur,<br />

ihr Gemachtwerden und Gemachtsein zur Anschauung bringt. Im<br />

Ornament scheint der „Bezug zwischen der Form und der Geschichte<br />

ihrer Entstehung“ 12 auf. Nach Sempers Bekleidungstheorie verweisen<br />

die Ornamente unmittelbar auf die Entstehungsbedingungen der<br />

Architektur, zum Beispiel auf die Ursprünge der Wand in den textilen<br />

Wandbehängen. Nach Semper bildeten Teppiche, die über ein Gerüst<br />

gespannt waren, die ersten architektonischen, Raum schaffenden<br />

Elemente. Das Gewoben- und Geflochtensein als Urform der Wand<br />

zeichne sich heute noch in den vielfältigen Flächenornamenten ab. Im<br />

Zahnschnitt <strong>des</strong> Ges<strong>im</strong>s bilde sich das ursprünglich hölzerne Gebälk<br />

der griechischen Tempel ab. In der Entasis und den Kannelüren, in der<br />

Basis und den Kapitellen der klassischen Säulenordnungen werde die<br />

4


Jörg H. Gleiter, <strong>Zur</strong> <strong>Genealogie</strong> <strong>des</strong> <strong>neuen</strong> <strong>Ornaments</strong> <strong>im</strong> <strong>digitalen</strong> <strong>Zeitalter</strong><br />

Wirkungsweise der Säule sinnlich präsent. Das geschähe aber<br />

keineswegs in m<strong>im</strong>etischer Verdoppelung der realen Struktur, sondern<br />

in der Übertragung in die Struktur sinnlicher Erfahrung, das heißt<br />

weniger ikonisch abbildend als indexikalisch verweisend.<br />

Im Ornament scheint, so lässt sich hier festhalten, der ontologische<br />

Ursprung der Architektur auf. Daraus folgt, dass die Ornamente –<br />

Adolf Loos nahm diesen Gedanken später auf – keine freien<br />

Erfindungen sind. Sie sind keine reine Phantasieprodukte. Ihre<br />

Erscheinungsform ist an den Prozess ihres Gemachtwerdens und ihre<br />

Funktionsweise gebunden. Hier gilt es den Vorwurf der<br />

materialistischen Verengung der Ornamenttheorie Sempers zu<br />

begegnen. Denn nach Semper gehen keineswegs nur die technischmateriellen<br />

Verfahrensweisen ins Ornament ein, sondern ebenso die<br />

händischen Verfahren <strong>des</strong> Handwerkers. Das Ornament entsteht<br />

zwischen den technisch-materiellen Verfahren und seiner händischen<br />

Bearbeitung. Das Gemachtwerden und seine Artikulation <strong>im</strong> Ornament<br />

betrifft also die beiden Seiten <strong>des</strong> architektonischen Prozesses, die<br />

konstruktive Ebene auf der materialen Seite wie auch die<br />

anthropologische Ebene auf der Seite <strong>des</strong> Handwerkers und<br />

Architekten. Im Sinne eines übergeordneten ontologischen<br />

Begründungszusammenhangs fließt <strong>im</strong> Ornament bei<strong>des</strong> zusammen<br />

und drängt zur sichtbaren Präsenz. Das Ornament ist die Schnittfläche<br />

zwischen der technischen und der anthropologischen Seite <strong>des</strong><br />

Produktionsprozesses der Architektur, so dass man von einer<br />

doppelten ontologischen Polung <strong>des</strong> <strong>Ornaments</strong> sprechen kann.<br />

Zum Struktur- und Statuswandel <strong>des</strong> <strong>Ornaments</strong> Die doppelte<br />

ontologische Polung <strong>des</strong> <strong>Ornaments</strong> ist für die Frage nach dem <strong>neuen</strong><br />

Ornament <strong>des</strong>wegen von Bedeutung, weil sich seit Semper <strong>im</strong> weiteren<br />

Verlauf der Ornamentdebatten eine Verschiebung <strong>des</strong> Gleichgewichts<br />

zwischen der konstruktiven und der anthropologischen Seite ergab.<br />

Daraus resultiert wesentlich der Status- und Strukturwandel <strong>des</strong><br />

<strong>Ornaments</strong> in der Moderne.<br />

An diesem Punkt setzt Adolf Loos’ Kritik an der Praxis <strong>des</strong> <strong>Ornaments</strong><br />

<strong>im</strong> aufkommenden Maschinenzeitalter an. Unter dem Einfluss der<br />

Psychoanalyse gab Loos der anthropologischen Seite mehr Gewicht<br />

und gab ihr eine psychologische Ausrichtung. Durch die Mehrarbeit<br />

am Ornament fließen, wie Loos in Ornament und Verbrechen ausführte,<br />

die emotionalen „Überschüssigkeiten“ 13 <strong>des</strong> Handwerkers ins<br />

architektonische Werk ein. In anderen Worten, das Ornament dient,<br />

jenseits der Funktionalität <strong>des</strong> Objektes, der Triebsubl<strong>im</strong>ierung. Das<br />

Ornament ist triebökonomisch motiviert und steht außerhalb von<br />

wirtschaftlichen Erwägungen. Daher erklärt sich auch die von Loos<br />

geforderte Abschaffung <strong>des</strong> <strong>Ornaments</strong> in der Maschinenproduktion.<br />

Die Maschine kennt keine Triebe, es kann in der Maschinenproduktion<br />

keine Triebverdrängung stattfinden. Da die anthropologische Seite <strong>des</strong><br />

Herstellungsprozesses fehlt, kann es an den Objekten aus der<br />

Maschinenproduktion kein klassisches Ornament geben. Um für den<br />

Schuster befriedigend zu sein, darf nach Loos auch heute noch ein<br />

handgemachter Schuh die überlieferten, gestanzten Ornamente zeigen,<br />

nicht aber der maschinengefertigte Schuh. Hier ist dasselbe Ornament<br />

nostalgischer Überschuss und mithin unökonomisch.<br />

Loos schließt andererseits nicht aus, dass aus der Prozessualität der<br />

Maschinenproduktion, ihrer <strong>im</strong>manenten Logik entsprechend, eigene<br />

neue Ornamente entstehen können, in denen sich der Prozess <strong>des</strong><br />

maschinellen Gemachtseins abzeichnet. Aus demselben Grund wandte<br />

sich Loos gegen die Erfindung von Ornamenten, denn die Ornamente<br />

entwickeln sich aus dem dynamischen Prozess <strong>des</strong> Gemachtwerdens<br />

5


Jörg H. Gleiter, <strong>Zur</strong> <strong>Genealogie</strong> <strong>des</strong> <strong>neuen</strong> <strong>Ornaments</strong> <strong>im</strong> <strong>digitalen</strong> <strong>Zeitalter</strong><br />

einer Sache, auf der materiellen wie auch auf der anthropologischen<br />

Seite. Werden Dinge für ihren traditionellen Gebrauch hergestellt, so<br />

dürfen sie auch die alten Ornamente haben. Dinge für neue Funktionen<br />

müssen jedoch neu entwickelt werden, ohne die Applikation<br />

vergangener Ornamente. So heißt es bei Loos: „Alles, was frühere<br />

jahrhunderte geschaffen haben, kann heute, sofern es noch brauchbar<br />

ist, kopiert werden. Neue erscheinungen unserer kultur<br />

(eisenbahnwagen, telephone, schreibmaschinen usw.) müssen formal<br />

ohne bewußten anklang an einen bereits überwundenen stil gelöst<br />

werden. Änderungen an einem alten gegenstande, um ihn den<br />

modernen bedürfnissen anzupassen, sind nicht erlaubt. Hier heißt es:<br />

Entweder kopieren oder etwas neues schaffen.“ Loos setzt dann hinzu:<br />

„Damit will ich aber nicht gesagt haben, daß das neue <strong>im</strong>mer das<br />

entgegengesetzte <strong>des</strong> vorhergehenden ist.“ 14<br />

Loos Ornamenttheorie ist von komplexer Art. Neben dem<br />

psychologischen Argument entwickelt er sie auch auf soziologischer,<br />

ökonomischer, kunsttheoretischer, entwicklungsphysiologischer und<br />

historischer Ebene. Das triebpsychologische Argument steht jedoch <strong>im</strong><br />

Zentrum, daher die These von der Verdrängung <strong>des</strong> <strong>Ornaments</strong>.<br />

Michael Müller erweiterte dann Loos’ Argument zur These von der<br />

Verdrängung <strong>des</strong> <strong>Ornaments</strong> ins Material. Müllers Argument ist, dass<br />

dort, wo mit der Maschinenproduktion die Triebverdrängung ins<br />

formale Ornament nicht mehr möglich ist, Loos die Triebverdrängung<br />

ins Material verlagert habe. Beispielhaft hierfür ist der von Loos oft,<br />

besonders in den Innenräumen, eingesetzte Cipolinomarmor. Im Sinne<br />

von Sempers Bekleidungstheorie tritt hier die verschiedenfarbige<br />

Marmorierung an die Stelle <strong>des</strong> formalen <strong>Ornaments</strong>. In der<br />

schlierenartigen Struktur <strong>des</strong> Marmors zeichnet sich quasi der<br />

prähistorische Entstehungsprozess, das heißt das Gemachtsein <strong>des</strong><br />

Steines ab, der andererseits erst <strong>im</strong> Prozess der händischen<br />

Bearbeitung, <strong>des</strong> Schleifens und Polierens durch den Steinmetz zur<br />

Sichtbarkeit gebracht wird. Mit der handwerklichen Tätigkeit der<br />

Bearbeitung <strong>des</strong> Materials wird so, selbst <strong>im</strong> <strong>Zeitalter</strong> der<br />

Maschinenverfahren, die Doppelpoligkeit der <strong>Ornaments</strong>struktur und<br />

damit das Gleichgewicht zwischen der konstruktiv-materiellen und<br />

anthropologischen Seite wiederhergestellt.<br />

Der Verfahrenscharakter <strong>des</strong> <strong>Ornaments</strong> <strong>im</strong> Maschinenzeitalter<br />

zeichnet sich auf exemplarische Weise in Otto Wagners Fassade der<br />

Postsparkasse in Wien ab. Hier sind es die gleichmäßig über die<br />

Fassade verteilten Aluminiumanker, die heute ornamentalen Charakter<br />

haben, nachdem sie ursprünglich <strong>im</strong> Bauprozess für die dünnen<br />

Marmorplatten der Fassade funktionale Bedeutung hatten. In sie ging<br />

unmittelbar das Gemachtsein, das heißt die Herstellungsbedingungen<br />

der Fassade ein. Denn die Anker aus Aluminium waren zunächst<br />

funktionale Elemente, die in der ersten Phase <strong>des</strong> Bauprozesses dazu<br />

dienten, die sehr dünnen Marmorplatten in der vorgesehenen Position<br />

zu halten. Mit dem Abbinden <strong>des</strong> Mörtels jedoch wurden die Anker<br />

nach und nach von ihrer Funktion entlastet, bis sie funktionslos als<br />

Ornamente übrig blieben. Die einstmals <strong>im</strong> Bauprozess funktionalen<br />

Elemente wandelten sich zum Ornament. Ornamente sind sie, wo in<br />

ihnen ein Verweis auf das Gemachtsein der Fassade enthalten ist.<br />

Mit den 50er Jahren und ihrer Kritik an den serialisierten, repetitiven,<br />

automatisierten Verfahren der kapitalistischen Planungsrationalität<br />

fand dann erneut eine Rekonzeptualisierung der Architektur statt. Es<br />

war der Versuch, unter Bezug auf die Semiotik und die Linguistik die<br />

Sprachlichkeit der Architektur, die in den Ornamentdebatten der<br />

frühen Moderne zum Teil verloren gegangen war, wiederzugewinnen.<br />

So fand eine Verschiebung von der konstruktiven zur<br />

6


Jörg H. Gleiter, <strong>Zur</strong> <strong>Genealogie</strong> <strong>des</strong> <strong>neuen</strong> <strong>Ornaments</strong> <strong>im</strong> <strong>digitalen</strong> <strong>Zeitalter</strong><br />

anthropologischen Seite statt, aber weniger in einer Rehabilitierung der<br />

handwerklichen Verfahren, als vielmehr in der Fokusierung auf die<br />

Prozessualität der Entwurfsverfahren. Im Übergang von der<br />

Objektorientierung zu den Entwurfsverfahren, vom strukturalistischen<br />

zum kritisch-performativen Ornament 15 resultierte dies <strong>im</strong> Status- und<br />

Strukturwandel <strong>des</strong> <strong>Ornaments</strong>.<br />

Ornament als „Zuwachs an Sein“ Das Ornament ist also kein „byproduct“<br />

eines Interesses an formalen Lösungen oder geometrischen<br />

Formen. Es erwächst aus dem Gemachtwerden der Architektur und<br />

seiner Thematisierung. Das Ornament ist also nichts Aufgesetztes,<br />

sondern Resultierende <strong>des</strong> architektonischen Programms, ohne dass es<br />

darin restlos aufgeht. Wo es das Ding selbst nicht ist, kann es bewusst<br />

in die Sichtbarkeit gebracht, missachtet oder auch unterdrückt werden.<br />

Die Dialektik <strong>des</strong> <strong>Ornaments</strong> besteht in seiner Maskenhaftigkeit, in der<br />

phänomenalen Präsenz <strong>des</strong> Abwesenden, das die Architektur schließt<br />

und öffnet und transparent macht <strong>im</strong> Sinne seiner Ontologie, <strong>im</strong> Sinne<br />

der Bedingungen der Möglichkeit von Architektur. Das Ornament ist,<br />

mit einem Wort Hans-Georg Gadamers, „Zuwachs an Sein“ 16 .<br />

Mit dem algorithmischen Programmen der <strong>digitalen</strong> Technologien, mit<br />

mass-customization und scripting software vollzieht sich heute<br />

abermals eine Verschiebung innerhalb der Doppelpoligkeit <strong>des</strong><br />

<strong>Ornaments</strong>. Es sind nicht mehr die repetitiven, selbstähnlichen und<br />

serialisierten Verfahren der Maschinentechnologie und ihre analoge<br />

Logik, die das neue Ornament definieren, sondern die einer<br />

algorithmischen Logik folgenden <strong>digitalen</strong> Technologien. Daher ist<br />

auch vieles von dem, was heute als neues Ornament bezeichnet wird,<br />

kaum mehr als eine Wiederauflage <strong>des</strong> analogen Maschinenornaments<br />

oder <strong>des</strong> klassischen <strong>Ornaments</strong>, auch wenn sie mithilfe von <strong>digitalen</strong><br />

Technologien realisiert werden. Was als Ornament erscheint, ist oft<br />

lediglich ein Muster aus sich wiederholenden Figuren, die bar jeder<br />

Verbindung zum spezifischen Gemachtsein <strong>des</strong> Objekts sind. Sie<br />

bleiben den Dingen äußerlich und scheinen aufgesetzt und sind daher<br />

Muster und nicht Ornamente.<br />

Aus diesem Grund hat zum Beispiel der Bildeffekt in der Fassade <strong>des</strong><br />

Weinguts Gantenbein 17 in Fläsch wenig mit dem <strong>neuen</strong> Ornament zu<br />

tun, auch wenn es in diesem Kontext wiederholt thematisiert wurde.<br />

Wenn überhaupt scheint es in der Tradition <strong>des</strong> klassischen <strong>Ornaments</strong><br />

zu stehen. Mithilfe eines Computerprogramms wurden hier die<br />

Ziegelsteine der Fassade in unterschiedlicher Verkantung geschichtet,<br />

so dass aufgrund der je verschiedenen Lichtreflexionen in der Fassade<br />

das Bild von überd<strong>im</strong>ensionalen Weintrauben bildhaft-m<strong>im</strong>etisch<br />

erscheint. Die „vielschichtige[n]Effekte“ stehen jedoch in keiner<br />

Beziehung zu den <strong>digitalen</strong> Techniken, die sie erzeugt haben. Nichts<br />

kommt zur Sichtbarkeit, was dem Verfahren <strong>im</strong>manent, aber unsichtbar<br />

geblieben wäre. Die <strong>digitalen</strong> Technologien sind hier nur ausführen<strong>des</strong><br />

Organ. Die Bildeffekte hätten jederzeit auch empirisch ermittelt und<br />

umgesetzt werden können. Damit qualifiziert sich das Ornament <strong>im</strong><br />

Weingut Gantenbein nicht als „neu“ in dem hier diskutierten Sinne –<br />

womit noch nichts über die Qualität <strong>des</strong> Gebäu<strong>des</strong> an sich ausgesagt<br />

ist.<br />

Die hier skizzierte, vorläufige Definition <strong>des</strong> <strong>neuen</strong> <strong>Ornaments</strong> eröffnet<br />

die Möglichkeit, Architekturen zu interpretieren, die bisher rätselhaft<br />

erschienen und sich einer eindeutigen Bewertung entzogen haben.<br />

Dazu gehört Arata Isozakis Entwurf für den <strong>neuen</strong> Bahnhof von<br />

Florenz. Gewaltige amorphe Strukturen überspannen die Gleise und<br />

tragen ein Dach, das, ausgebildet als dünne Scheibe, beinahe<br />

schwerelos scheint und in keinem Verhältnis zur bizarren baum- oder<br />

7


Jörg H. Gleiter, <strong>Zur</strong> <strong>Genealogie</strong> <strong>des</strong> <strong>neuen</strong> <strong>Ornaments</strong> <strong>im</strong> <strong>digitalen</strong> <strong>Zeitalter</strong><br />

knochenartigen Tragstruktur steht, auf das es aufgelagert ist. Die<br />

Tragstruktur, die aus organischen Formen zu bestehen scheint, ist<br />

jedoch Resultat eines computerbasierten, algorithmischen<br />

Rechenprozesses, der für eine gleichmäßige Verteilung der Spannung<br />

innerhalb der Tragstruktur sorgt. Das Resultat ist eine baumartige<br />

Gestalt aus amorphen, an- und abschwellenden Strukturen.<br />

Ornamentcharakter <strong>im</strong> Sinne <strong>des</strong> <strong>neuen</strong> <strong>Ornaments</strong> entsteht dort, wo in<br />

der Gestalt <strong>des</strong> Tragwerks der Verlauf der statischen Spannungen<br />

sichtbar gemacht wird, aber nicht analog wie in den Kannelüren und<br />

der Schwellung (Entasis) der Säule, sondern übersetzt in die amorphe<br />

Struktur <strong>des</strong> Tragwerks selbst.<br />

Barkow Leibingers projektierter DAM-Pavillon scheint einer ähnlichen<br />

Linie zu folgen. In den zum Einsatz kommenden Coil-Röhren findet –<br />

ähnlich zu Isozakis Projekt in Florenz – die digitale Logik der<br />

Lasertechnologie ihre Übersetzung ins Architektonische und damit in<br />

die sinnliche Erfahrung <strong>im</strong> Alltag. Wie in beiden Projekten sichtbar<br />

wird, findet mit dem <strong>neuen</strong> Ornament eine neuerliche Verschiebung<br />

innerhalb der ontologischen Doppelpoligkeit <strong>des</strong> <strong>Ornaments</strong> statt. Mit<br />

dem Maschinenzeitalter, so wurde hier argumentiert, fand eine<br />

Verschiebung von der anthropologischen auf die technisch-materielle<br />

Seite <strong>des</strong> <strong>Ornaments</strong> statt, während mit der Resemiotisierung der<br />

Architektur mit Beginn der 60er Jahre eine Verschiebung auf die<br />

anthropologische Seite zu beobachten war, die aber nicht mehr die<br />

handwerkliche Seite der Produktion sondern die kognitive Seite <strong>des</strong><br />

Entwurfes berührte, damit weniger die materielle Herstellung durch<br />

den Handwerker sondern den entwerferischen Prozess <strong>des</strong> Architekten<br />

betraf. Es wäre jetzt verfehlt zu glauben, dass heute mit den <strong>digitalen</strong><br />

Verfahren das Pendel einfach wieder auf die andere Seite<br />

zurückschlüge. Das ist nicht der Fall. Denn das neue Ornament ist<br />

best<strong>im</strong>mt von dem, das Mario Carpo für das digitale <strong>Zeitalter</strong> das<br />

„Ende <strong>des</strong> albertianischen Paradigmas“ bezeichnet hat. Die Stärke der<br />

Renaissance beruhte nach Alberti wesentlich auf der Trennung <strong>des</strong><br />

intellektuellen Aktes <strong>des</strong> Designers von der unmittelbaren Ausführung<br />

durch den Handwerker. Und gerade diese Trennung, die über 500<br />

Jahre Gültigkeit hatte, kommt heute ins Wanken. Denn die <strong>digitalen</strong><br />

Werkzeuge, die nicht mehr analogen sondern algorithmischen Regeln<br />

folgen, heben die Trennung zwischen dem „intellectual act of <strong>des</strong>ign“<br />

und dem „material act of building“ zusehens wieder auf. Zu<br />

beobachten ist eine neue „interactive connectiveness“, wie dies Carpo<br />

nennt, zwischen den kognitiven Prozessen und den materiellen<br />

Herstellungsverfahren. Die Bedingung für das neue Ornament liegt<br />

dann gerade hier: in der „interaktiven Verknüpfung“ zwischen den<br />

Design- und Konstruktionsverfahren. Über die algorithmischen<br />

Prozessualität der <strong>digitalen</strong> Verfahren findet eine Verschränkung der<br />

konstruktiv-materiellen mit der anthropologischen Seite der doppelten<br />

Ontologie <strong>des</strong> <strong>Ornaments</strong> heute statt. (2008)<br />

1 Francesca Ferguson, Ornament neu aufgelegt, in: Ornament neu aufgelegt, SAM Nr. 5, hrsg.<br />

v. Oliver Domeisen und Francesca Ferguson, Basel 2008, S. 1.<br />

2 Vgl. dazu Claus Pias, Punkt und Linie zum Raster – <strong>Zur</strong> <strong>Genealogie</strong> der Computergrafik, in:<br />

Ornament und Abstraktion, hrsg. v. Markus Brüderlin, Köln 2001.<br />

3 Gérard Raulet und Burghart Schmidt (Hg.), Kritische Theorie <strong>des</strong> <strong>Ornaments</strong>, Wien, Köln,<br />

We<strong>im</strong>ar 1993.<br />

4 Francesca Ferguson, Ornament neu aufgelegt, a. a. O., S. 1.<br />

5 Walter Gropius, Für eine lebendige Architektur, in: Ders., Ausgewählte Schriften, hrsg. v.<br />

Hartmut Probst u. Christian Schädlich, Bd. 3, Berlin 1987, S. 169, S. 39.<br />

6 Vgl. dazu Struktur und Ornament (Paulgerd Jesberg, 1976), Die Verdrängung <strong>des</strong> <strong>Ornaments</strong><br />

(Michael Müller, 1977), Kritische Theorie <strong>des</strong> <strong>Ornaments</strong> (hrsg. v. Gérard Raulet u. Burghart<br />

Schmidt, 1993), Ornament und Geschichte. Studien zum Strukturwandel <strong>des</strong> <strong>Ornaments</strong> in der Moderne<br />

(hrsg. v. Heinz Paetzold und Ursula Franke, 1996), Vom Parergon zum Labyrinth. Untersuchungen<br />

zur kritischen Theorie <strong>des</strong> <strong>Ornaments</strong> (hrsg. v. Gérard Raulet und Burghart Schmidt, 2001),<br />

Rückkehr <strong>des</strong> Verdrängten. Kritische Theorie <strong>des</strong> <strong>Ornaments</strong> in der architektonischen Moderne (Jörg H.<br />

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Jörg H. Gleiter, <strong>Zur</strong> <strong>Genealogie</strong> <strong>des</strong> <strong>neuen</strong> <strong>Ornaments</strong> <strong>im</strong> <strong>digitalen</strong> <strong>Zeitalter</strong><br />

Gleiter, 2003). Vor kurzem ist Das Ornamentale und die architektonische Form. Systemtheoretische<br />

Irritationen (Michael Dürfeld, 2008) erschienen, ein sehr lesenswerter Versuch einer<br />

systemtheoretischen Klärung <strong>des</strong> Ornamentbegriffs.<br />

7 Vgl. dazu Die Neuen Tendenzen – <strong>Eine</strong> europäische Künstlerbewegung 1961-1973,<br />

Ausstellungskatalog <strong>des</strong> Museums für Konkrete Kunst, Ingolstadt 2007.<br />

8 Ornament ohne Ornament, hrsg. v. Mark Buchmann, Zürich 1965.<br />

9 Brett Steele, Codiertes Schneiden, Biegen und Stapeln: Maschinen und Ornament in der<br />

Architektur, in. Ornament neu aufgelegt, a. a. O., S. 28.<br />

10 Oliver Domeisen, Ornament und Freispruch, in: Ornament neu aufgelegt, a. a. O., S. 6-10.<br />

11 Gottfried Semper, Über Baustile (1869), in: Ders., Wissenschaft, Industrie und Kunst und<br />

andere Schriften über Architektur, Kunsthandwerk und Kunstunterricht, Mainz u. Berlin 1966,<br />

S. 107.<br />

12 Gottfried Semper, Über Baustile, a. a. O., S. 107.<br />

13 Adolf Loos, Ornament und Verbrechen, in: ders., Sämtliche Schriften in zwei Bänden, Wien<br />

u. München 1962, Bd. 1, S. 277.<br />

14 Adolf Loos, Der Stil und die Bronze-Industrie, in: ders., Sämtliche Schriften in zwei<br />

Bänden, a. a. O., S. 28.<br />

15 Für eine weiter gehende Erörterung <strong>des</strong> Status- und Strukturwandels <strong>des</strong> <strong>Ornaments</strong> s. h.<br />

Jörg H. Gleiter, Rückkehr <strong>des</strong> Verdrängten. <strong>Zur</strong> kritischen Theorie <strong>des</strong> <strong>Ornaments</strong> in der<br />

architektonischen Moderne, We<strong>im</strong>ar 2003 und Jörg H. Gleiter, Von Loos bis Eisenman.<br />

Kritische Theorie <strong>des</strong> <strong>Ornaments</strong>, in: Ders., Architekturtheorie heute, Bielefeld 2008.<br />

16 Architektur als Zuwachs an Sein. Hans-Georg Gadamer <strong>im</strong> Gespräch mit Catherine<br />

Hürzeler, in: Beyond Metropolis. <strong>Eine</strong> Auseinandersetzung mit der verstädterten Landschaft,<br />

hrsg v. Ra<strong>im</strong>und Blödt, Frid Bühler, Faruk Murat, Jörg Seifert, Sulgen u. Zürich 2006.<br />

17 Unter dem Thema <strong>des</strong> <strong>neuen</strong> <strong>Ornaments</strong> wird das Gebäude von Oliver Domeisen<br />

besprochen in: Ornament neu aufgelegt, a. a. O., S. 14 ff.<br />

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