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Sommer 2013 - Klaus Bensmann

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Von Hirschen,<br />

Indianern und<br />

altem Handwerk<br />

42<br />

<strong>Sommer</strong> <strong>2013</strong>


Ein Münsterländer<br />

tauscht Kanada gegen<br />

das Allgäu und lebt hier<br />

mit seinem Wunschberuf.<br />

<strong>Klaus</strong> <strong>Bensmann</strong> ist<br />

einer der letzten gelernten<br />

Sämischgerber und<br />

betreibt zusammen mit<br />

seiner Frau Petra in<br />

Bad Hindelang eine<br />

Lederschneiderei<br />

– speziell für Hirschleder.<br />

Großes Bild: In der Ledermanufaktur entstehen<br />

Hosen, Röcke, Hemden, Westen, Jacken und<br />

Mäntel aus heimischen Hirschhäuten<br />

Oben: An der Nähmaschine entstehen<br />

von Hand gefertigte Unikate.<br />

<strong>2013</strong> <strong>Sommer</strong><br />

43


Das Rattern einer Nähmaschine<br />

dringt durch die Stille. Dem<br />

Geräusch folgend, betrete ich einen entzückenden<br />

kleinen Laden, in dem der<br />

Blick auf gefilzte Handstulpen, Keramikschalen<br />

und Blechhasen fällt. Allgäuer<br />

Kunsthandwerk vom Feinsten, in dem<br />

man sich in stundenlangem Stöbern<br />

verlieren möchte. Doch dies ist nicht<br />

das Ziel meines Besuches. An der Stirnseite<br />

des Raumes fällt Licht durch hohe<br />

Fenster auf lange Holztische. Leder stapelt<br />

sich hier. Leder in allen Naturfarben<br />

auf den Tischen, in den Regalen, an den<br />

Wänden, auf dem Boden. Dazwischen<br />

Geweihe, Bilder, Felle. Der einzigartige<br />

urtypische Lederduft, vermischt mit dem<br />

zimtigen Aroma des Gewürztees aus<br />

einem zierlichen Samowar, zieht durch<br />

den hohen Raum. Klassische alte Nähmaschinen<br />

mit riesigen Garnrollen reihen<br />

sich unter den Fenstern aneinander. An<br />

einer von ihnen sitzt <strong>Klaus</strong> <strong>Bensmann</strong>.<br />

Von Kanada ins Allgäu<br />

Konzentriert ist sein Kopf über ein<br />

Stück Leder gebeugt. Es scheinen die Teile<br />

einer kurzen Hose zu sein, über die seine<br />

Finger in geschulter Manier gleiten.<br />

Unter der tannengrünen Baskenmütze<br />

mit der Ledereinfassung empfängt mich<br />

ein wacher, offener Blick hinter den<br />

runden Brillengläsern. Zum Leinenhemd<br />

trägt er eine Lederhose und Hosenträger,<br />

um den Hals einen roten Schal. Weite<br />

Wälder kommen einem da in den Sinn,<br />

Lagerfeuer, Natur pur.<br />

Stände nicht ein Laptop in der Ecke<br />

und klingelte nicht ein Telefon, fühlte<br />

man sich hier der schnelllebigen Welt ein<br />

Stück entronnen. Zwischen Bad Hindelang<br />

und Hinterstein haben <strong>Klaus</strong> und<br />

Petra <strong>Bensmann</strong> eine neue Heimat für<br />

ihre besondere Aufgabe gefunden. Seit<br />

1982 sind die beiden Münsterländer im<br />

Allgäu. Hier erlernten Sie auch die spezielle<br />

Hirschleder-Gerbung. »Das Handwerk<br />

liegt in der Familie und in meinem<br />

ureigenen So-sein«, sagt <strong>Bensmann</strong>.<br />

Als junges Paar gingen die beiden zu-<br />

Das Besonderer an <strong>Klaus</strong> <strong>Bensmann</strong>s<br />

Unikaten ist die feine Struktur und<br />

der besondere Duft des Leders.<br />

44<br />

<strong>Sommer</strong> <strong>2013</strong>


nächst nach Kanada, um dort ihr Glück<br />

zu suchen. Sie fanden den Zugang zur<br />

Natur, lebten im Freien und hüteten als<br />

Rancher Viehherden. »In unserem Arbeitsgebiet<br />

lebte ein alter Jäger und Trapper,<br />

der dort seine Fallen aufstellte.« Dieser<br />

beherrschte das sogenannten »Braintanning«,<br />

eine uralte Gerbmethode der<br />

amerikanischen Ureinwohner. Bei dieser<br />

wird die Hirschhaut mit dem Hirn des<br />

Tieres intensiv eingerieben und anschließend<br />

geräuchert. Der 1900 geborene<br />

Trapper war bei Indianern aufgewachsen,<br />

fertigte im <strong>Sommer</strong> in seiner Lederwerkstatt<br />

Gewänder für die Indianer und lebte<br />

im Winter als Fallensteller und Pelzjäger.<br />

»Er war mein erster Lehrer in Sachen<br />

Hirschleder, ihm verdanke ich den Zugang<br />

zu meinem jetzigen Beruf«, erzählt<br />

<strong>Bensmann</strong>.<br />

Eine alte Naturgerbung<br />

– die Sämischgerbung<br />

Der Gebrauch von Häuten und Fellen<br />

reicht bis in die Anfänge der Menschheit<br />

zurück, denn tierische Häute erhielten die<br />

Menschen ganz einfach als Nebenprodukt<br />

der Jagd. Deren Möglichkeiten wussten<br />

sie schon früh zu nutzen. Die Anfänge der<br />

Gerberei liegen in der Altsteinzeit, wo die<br />

Häute mit tierischen Fetten und Ölen<br />

haltbar gemacht wurden.<br />

Die Sämischgerbung ist eine alte Naturgerbung,<br />

die heute nur noch selten angewendet<br />

wird. Der Arbeitsaufwand ist sehr<br />

hoch, eine Technisierung praktisch nicht<br />

möglich und die Zahl der Sämischgerber<br />

gering. Die wenigen noch existierenden<br />

Sämischgerber in Deutschland verwenden<br />

als Ausgangsmaterial Wildhäute, in<br />

erster Linie Hirschhäute. Diese werden<br />

nach dem Entfleischen, Enthaaren und<br />

Äschern mit Fischtran mehrmals gewalkt.<br />

Die anschließende Oxidation wandelt die<br />

Eiweißfasern der Haut in Lederfasern um.<br />

Nach dem Auswaschen der überschüssigen<br />

Fette und dem Trocknen erhalten<br />

die Lederhäute durch erneutes Walken<br />

und Stollen ihre Geschmeidigkeit zurück.<br />

Durch das sorgfältige Schleifen der Oberfläche<br />

wird sämisch gegerbtes Leder angenehm<br />

weich und zeichnet sich durch<br />

einen besonders samtigen Flor aus.<br />

Im <strong>Sommer</strong>, Herbst und Winter sammelt<br />

<strong>Klaus</strong> <strong>Bensmann</strong> die Hirschdecken,<br />

im Januar kommen sie zum Sämisch-<br />

Gerber. Nach der Gerbung färbt dieser<br />

Familie <strong>Bensmann</strong> fertigt auch Rahmentrommeln, die mit Hirschrohhaut bespannt werden.<br />

<strong>2013</strong> <strong>Sommer</strong>


das Leder ein, indem er Farbstoffe wie<br />

Blau- und Gelbholzextrakt durch mehrmaliges<br />

Bürsten der Oberfläche aufträgt.<br />

Wenn das gegerbte und eingefärbte Leder<br />

zurückkommt, geht für <strong>Klaus</strong> und Petra<br />

<strong>Bensmann</strong> die Arbeit richtig los. Lange<br />

und kurze Hosen, Jacken, Mützen, Gürtel<br />

und Taschen wollen zugeschnitten,<br />

genäht und bestickt werden. Nicht nur<br />

Trachtenkleidung, sondern auch alltagstaugliche<br />

Stücke schneidert <strong>Bensmann</strong><br />

nach Maß.<br />

Die Kraft des Hirsches<br />

»Für uns ist die Arbeit mit Hirschleder<br />

ein Stück Kultur, die hier im Allgäu ein<br />

Zuhause hat«, sagt <strong>Bensmann</strong>. Besonders<br />

wichtig ist ihm einheimische Rohware.<br />

»Dank dem Traditionsbewusstsein im<br />

Allgäu hat es noch eine Bedeutung,<br />

woher etwas kommt.« Der Kontakt zum<br />

Jäger, Metzger und Gerber ist für den<br />

Lederschneider von großer Bedeutung<br />

und gehört zu dieser Einheit dazu.<br />

Heutzutage ist Hirschleder ein Ausnahmeprodukt<br />

mit Ausstrahlung. Ein Blick in<br />

die Zeit unserer Vorfahren zeigt, dass die<br />

Menschheit mit dem Hirsch aus der Zeit<br />

der Jagd besonders verbunden ist. Der<br />

Hirsch lieferte dem Menschen alles, was er<br />

brauchte: Haut, Sehnen, Fleisch und Fell.<br />

Dieses gewaltige Tier hinterlässt auch<br />

heute noch einen starken Eindruck. Es<br />

steht für Kraft, Qualität und löst großen<br />

Respekt aus. Dieses Gefühl überträgt sich<br />

auch auf die Träger von Hirschleder.<br />

Trommeln im Rhythmus der Erde<br />

Petra <strong>Bensmann</strong> beugt sich über ein<br />

Stück Hirschrohhaut, welches über einen<br />

runden Holzrahmen gespannt ist. Mit<br />

schmalen, ebenfalls aus roher Hirschhaut<br />

geschnittenen Lederbändern, spannt sie<br />

ein kunstvolles Muster, zieht die zwei<br />

mal sieben Bänder durch 28 Löcher.<br />

»Diese Schnürung erfolgt nach keltischem<br />

Vorbild«, erklärt sie. Die Bänder werden<br />

Oben: Petra <strong>Bensmann</strong> schnürt die Trommel<br />

nach keltischem Prinzip.<br />

Links: <strong>Klaus</strong> <strong>Bensmann</strong> schneidert neben<br />

Trachtenkleidung auch alltagstaugliche Stücke<br />

nach Maß.<br />

kunstvoll zu einem Kreuz geflochten.<br />

Die senkrechte Achse symbolisiert die<br />

geistige und die spirituelle Welt, die waagerechte<br />

Achse unser materielles, irdisches<br />

Dasein. Der Kreis, hier die Rundung der<br />

Trommel, verbindet beide Welten miteinander<br />

und steht für das ewige Leben.<br />

Wer das Erlebnis »Trommel bauen« selber<br />

spüren möchte, kann dies bei einem<br />

Workshop von Petra <strong>Bensmann</strong> tun.<br />

Auch Treffen zum gemeinsamen Trommeln<br />

gibt es in Zukunft im Handwerkshof.<br />

In einer Gruppe Gleichgesinnter<br />

werden Trommelrhythmen eingeübt<br />

und erlebt. Die euphorisierende<br />

Wirkung des schamanischen drei –<br />

sieben – Hertz-Taktes wurde von vielen<br />

Naturvölkern eingesetzt. Stammesschamanen<br />

bezeichnen diesen Trommelrhythmus<br />

auch als den Pulsschlag der<br />

Mutter Erde. Wie Geophysiker herausfanden,<br />

liegt der »Atemrhythmus« der<br />

Erde, ein regelmäßiges Ausdehnen und<br />

wieder Zusammenziehen, genau in<br />

diesem Frequenzbereich.<br />

Kraft der Ahnen<br />

Auch <strong>Klaus</strong> <strong>Bensmann</strong> schöpft seine<br />

Kraft aus der Verbindung zu den Ahnen.<br />

»Mein Handwerk lässt sich über 100 000<br />

Jahre zurückverfolgen. Daher kommen<br />

die Kraft und die Unterstützung, dieses<br />

auch durch eine Zeit zu tragen, in der<br />

vieles wegrationalisiert wird. Gutes<br />

Handwerk erschafft eine starke Verbindung<br />

zur Natur des Ursprungsmaterials<br />

und zu dem Tier, von dem es stammt,«<br />

sagt er. Dankbarkeit, Offenheit und<br />

Freude seien hierfür die Grundlagen.<br />

Zum Abschied schenkt mir <strong>Klaus</strong> Benmann<br />

ein kleines Lederetui aus Hirschleder.<br />

Jetzt weiß ich, dass es so viel mehr<br />

ist als nur ein hübscher, nützlicher<br />

Gegenstand. Es erzählt eine Geschichte.<br />

Eine Geschichte von mächtigen Tieren<br />

aus tiefen Wäldern und Menschen, die in<br />

unserer schnelllebigen Zeit altes Wissen<br />

und tiefverwurzelte Symbolik wieder aufleben<br />

lassen.<br />

»Früher war nicht alles besser, aber<br />

besser verarbeitet.« Getreu diesem Motto<br />

hält <strong>Klaus</strong> <strong>Bensmann</strong> das traditionelle<br />

Handwerk am Leben.<br />

Text: Susanne Reitberger /<br />

Fotos: Susanne Reitberger (5); privat (2) f<br />

46<br />

<strong>Sommer</strong> <strong>2013</strong>

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