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60 Jahre Kriegsende - Vertreibung als Teil ... - Guenterposch.de

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genannte Kriegsfolgengesetzgebung vorläufig abgeschlossen. Dieses Gesetz geht über die sozialen Aspekte weit hinaus.<br />

Es hatte und hat <strong>de</strong>n Sinn, <strong>de</strong>n Deutschen aus <strong>de</strong>m Osten einen angemessenen Platz in <strong>de</strong>r hier heimischen<br />

Gesellschaft zu gewährleisten. Der wirtschaftlichen Einglie<strong>de</strong>rung zu Beginn <strong>de</strong>r 50er <strong>Jahre</strong> und <strong>de</strong>r ersten Sicherung<br />

wenigstens elementarster Grundbedürfnisse sollte nun die gesellschaftliche Einglie<strong>de</strong>rung folgen. Integration, nicht<br />

Assimilation war und ist das Ziel dieses Gesetzes. Das sind die i<strong>de</strong>ellen Grundgedanken von Einglie<strong>de</strong>rungspolitik, die<br />

<strong>de</strong>n Vertriebenen nicht mit bloßer Caritas, son<strong>de</strong>rn mit Solidarität und Gleichberechtigung begegnen will. Den grausamen<br />

Kriegs- und Nachkriegsverlusten Deutschlands stehen auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite unschätzbare Gewinne <strong>de</strong>r<br />

Aufnahmegesellschaft gegenüber, auch wenn diese das zunächst überhaupt nicht so gesehen hat: Das unsichtbare<br />

Fluchtgepäck <strong>de</strong>r Vertriebenen, ihr technisches, handwerkliches o<strong>de</strong>r aka<strong>de</strong>misches know how, ihre sieben-,<br />

achthun<strong>de</strong>rtjährige kulturelle Erfahrung im Neben- und Miteinan<strong>de</strong>r mit ihren slawischen, madjarischen, baltischen o<strong>de</strong>r<br />

rumänischen Nachbarn hat Deutschland nachhaltig geprägt - Erfahrungen, die in Verbindung mit vielfacher<br />

Mehrsprachigkeit in keinem an<strong>de</strong>ren westlichen Industriestaat so verdichtet sind wie in Deutschland! Die<br />

Heimatvertriebenen haben interkulturelle Kompetenz mitgebracht. Und sie haben <strong>als</strong> unsichtbares Fluchtgepäck ihre<br />

kulturelle I<strong>de</strong>ntität eingebracht. Nichts, was sofort sichtbar gewesen wäre, son<strong>de</strong>rn das, was in Kopf und Herzen<br />

mitgetragen wur<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>r Heimat hierher.Das Kulturgut <strong>de</strong>r Vertriebenen ist unverzichtbarer <strong>Teil</strong> <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntität <strong>de</strong>s ganzen<br />

<strong>de</strong>utschen Volkes. Das Erbe <strong>de</strong>r Karlsuniversität in Prag hat unser Volk genauso geprägt wie das <strong>de</strong>r Universitäten<br />

Königsberg, Breslau, Dorpat, Czernowitz o<strong>de</strong>r Hei<strong>de</strong>lberg, Tübingen, Marburg, München, Leipzig o<strong>de</strong>r Berlin. Das zu<br />

ignorieren hieße, geistige Wurzeln kappen. So war es weise, dass die junge Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland die<br />

Verantwortung für das gesamte kulturelle Erbe unabhängig von Grenzen und von staatlicher Zugehörigkeit hervorhoben.<br />

„Bund und Län<strong>de</strong>r haben das Kulturgut <strong>de</strong>r <strong>Vertreibung</strong>sgebiete in <strong>de</strong>m Bewusstsein <strong>de</strong>r Vertriebenen und Flüchtlinge, <strong>de</strong>s<br />

gesamten <strong>de</strong>utschen Volkes und <strong>de</strong>s Auslan<strong>de</strong>s zu erhalten, Archive, Museen und Bibliotheken zu sichern, zu ergänzen<br />

und auszuwerten, sowie Einrichtungen <strong>de</strong>s Kunstschaffens und <strong>de</strong>r Ausbildung sicherzustellen und zu för<strong>de</strong>rn. Sie haben<br />

Wissenschaft und Forschung bei <strong>de</strong>r Erfüllung <strong>de</strong>r Aufgaben, die sich aus <strong>de</strong>r <strong>Vertreibung</strong> und <strong>de</strong>r Einglie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r<br />

Vertriebenen und Flüchtlinge ergeben, sowie die Weiterentwicklung <strong>de</strong>r Kulturleistungen <strong>de</strong>r Vertriebenen und Flüchtlinge<br />

zu för<strong>de</strong>rn". Dieser gesetzliche Auftrag ist geboren aus <strong>de</strong>r Erkenntnis, dass es ein gemeinsames kulturelles Fundament<br />

gibt. Hier liegt heute manches im Argen und im Bewusstsein <strong>de</strong>r Menschen ist es nicht.Die schönsten Seiten unseres<br />

Vaterlan<strong>de</strong>s sind in seinem kulturellen Reichtum mit vielen unterschiedlichen Facetten zu fin<strong>de</strong>n. In schöpferischem Geist<br />

erwuchsen über die Jahrhun<strong>de</strong>rte Musik, Literatur, Philosophie, Baukunst und Malerei. Und herausragen<strong>de</strong> Köpfe hatten<br />

ihre Heimat in <strong>de</strong>n <strong>Vertreibung</strong>sgebieten. Namen wie Immanuel Kant, Käthe Kollwitz, Arthur Schopenhauer o<strong>de</strong>r Adalbert<br />

Stifter sind einige Beispiele dafür.Heute, <strong>60</strong> <strong>Jahre</strong> nach Beginn <strong>de</strong>r gezielten Massenvertreibungen kann man von einer<br />

alles in allem gelungenen Einglie<strong>de</strong>rung von weit über zwölf Millionen Vertriebenen und vier Millionen Aussiedlern in die<br />

<strong>de</strong>utsche Gesellschaft sprechen. Vieles, was in <strong>de</strong>n 50er <strong>Jahre</strong>n noch dringend und drängend war, ist es eben heute nicht<br />

mehr - dank <strong>de</strong>r Einglie<strong>de</strong>rungsleistung, die die Vertriebenen, die Aussiedler und die Einheimischen gemeinsam erbracht<br />

haben. Diese großartige Gemeinschaftsleistung war und ist nahezu ein Wun<strong>de</strong>r. Erst daraus konnte Frie<strong>de</strong>n und<br />

Wohlstand in Deutschland und Europa erwachsen.Der französische Politikwissenschaftler Alfred Grosser hat die<br />

Integration <strong>de</strong>r Vertriebenen und Flüchtlinge <strong>als</strong> die größte sozial- und wirtschaftspolitische Aufgabe bezeichnet, die von <strong>de</strong>r<br />

Bun<strong>de</strong>srepublik gemeistert wor<strong>de</strong>n sei. Dem kann man nur zustimmen. Dennoch wird in <strong>de</strong>r Darstellung <strong>de</strong>r<br />

Nachkriegsgeschichte Deutschlands diese grandiose Leistung praktisch nicht benannt, son<strong>de</strong>rn überwiegend ignoriert.<br />

Warum aber konnte diese Herkulesaufgabe gelingen? Die Aufnahme einer solch großen Zahl von Menschen in so kurzer<br />

Zeit hätte schon ein intaktes Staatswesen vor kaum lösbare Probleme gestellt.Zweierlei hat dazu beigetragen. Der erste<br />

Grund: Die Heimatvertriebenen haben nicht Rachegedanken kultiviert, son<strong>de</strong>rn immer und immer wie<strong>de</strong>r manifestiert,<br />

dass sie Versöhnung wollen mit <strong>de</strong>n Staaten und <strong>de</strong>n Menschen, die sie vertrieben haben. Und in <strong>de</strong>r schon legendären<br />

Charta von 1950 zu<strong>de</strong>m artikuliert: „Wir wer<strong>de</strong>n durch harte, unermüdliche Arbeit teilnehmen am Wie<strong>de</strong>raufbau<br />

Deutschlands und Europas". Aber auch in <strong>de</strong>r DDR haben die Vertriebenen unter ganz an<strong>de</strong>ren, viel schwierigeren<br />

Bedingungen ihren Beitrag zum Aufbau geleistet. Obwohl sie sich nicht zusammenschließen durften, keine Not- und<br />

Trostgemeinschaften bil<strong>de</strong>n konnten wie die Vertriebenen im Westen Deutschlands.Der zweite Grund, warum unsere<br />

Demokratie eine Chance hatte, zu wachsen und stabil zu wer<strong>de</strong>n: Die Parteien <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland<br />

unterstützten über zwei Jahrzehnte einmütig die Anliegen <strong>de</strong>r Vertriebenen und waren sich ihrer Verantwortung sehr<br />

bewusst. Nicht nur Bun<strong>de</strong>skanzler A<strong>de</strong>nauer, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>r Fraktionsvorsitzen<strong>de</strong> <strong>de</strong>r sozial<strong>de</strong>mokratischen<br />

Opposition, Kurt Schumacher, und Erich Ollenhauer <strong>als</strong> Parteivorsitzen<strong>de</strong>r stan<strong>de</strong>n an <strong>de</strong>r Seite <strong>de</strong>r Heimatvertriebenen<br />

und mit ihnen <strong>de</strong>r frei<strong>de</strong>mokratische Bun<strong>de</strong>spräsi<strong>de</strong>nt Theodor Heuss.Doch En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r <strong>60</strong>-er <strong>Jahre</strong> wan<strong>de</strong>lte sich das<br />

Klima. Es kam zu einem Prozess <strong>de</strong>r Entsolidarisierung großer <strong>Teil</strong>e <strong>de</strong>r politischen Klasse, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r politisch<br />

links Stehen<strong>de</strong>n gegenüber <strong>de</strong>n Vertriebenen. Ein Mantel <strong>de</strong>s Schweigens und Verschweigens begann sich über<br />

Deutschland zu legen, durchbrochen durch verbale Attacken auf Vertriebene.Selbstkritisch stellte Bun<strong>de</strong>sinnenminister<br />

Otto Schily 1999 in seiner Re<strong>de</strong> im Berliner Dom fest: „Die politische Linke hat in <strong>de</strong>r Vergangenheit, das lässt sich lei<strong>de</strong>r<br />

nicht bestreiten, zeitweise über die <strong>Vertreibung</strong>sverbrechen, über das millionenfache Leid, das <strong>de</strong>n Vertriebenen zugefügt<br />

wur<strong>de</strong>, hinweggesehen, sei es aus Desinteresse, sei es aus Ängstlichkeit vor <strong>de</strong>m Vorwurf, <strong>als</strong> Revanchist gescholten zu<br />

wer<strong>de</strong>n, o<strong>de</strong>r sei es in <strong>de</strong>m Irrglauben, durch Verschweigen und Verdrängen eher <strong>de</strong>n Weg zu einem Ausgleich mit<br />

unseren Nachbarn im Osten zu erreichen. Dieses Verhalten war Ausdruck von Mutlosigkeit und Zaghaftigkeit.<br />

Inzwischen wissen wir, dass wir nur dann, wenn wir <strong>de</strong>n Mut zu einer klaren Sprache aufbringen und <strong>de</strong>r Wahrheit ins<br />

Gesicht sehen, die Grundlage für ein gutes und friedliches Miteinan<strong>de</strong>r fin<strong>de</strong>n können". Auch wenn bis heute noch nicht<br />

je<strong>de</strong>r davon zu überzeugen war, so gibt es immerhin eine lebendige Diskussion, <strong>de</strong>r sich kein Medium verschließt.Dem<br />

objektiven Sachverhalt <strong>de</strong>r völligen gewaltsamen Umformung <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Nachkriegsgesellschaften durch die<br />

Aufnahme soziokulturell, religiös o<strong>de</strong>r dialektal teilweise total von <strong>de</strong>n Aufnahmeregionen unterschie<strong>de</strong>nen Vertriebenen<br />

stand über sehr lange Zeit eine subjektive Wahrnehmungsverweigerung dieser ganz Deutschland und das gesamte<br />

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