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Louis Althusser: Ideologie und ideologische Staatsapparate Über ...

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darbieten. Ich schlage eine empirische Liste vor, die natürlich detailliert untersucht werden, in Frage<br />

gestellt, verbessert <strong>und</strong> verändert werden muß. Bei allen Einschränkungen, die dieses Erfordernis mit<br />

sich bringt, können wir im Augenblick folgende Institutionen als Ideologische <strong>Staatsapparate</strong><br />

bezeichnen (die Reihenfolge der Aufzählung hat keine besondere Bedeutung):<br />

- der religiöse ISA (das System der verschiedenen Kirchen),<br />

- der schulische ISA (das System der verschiedenen öffentlichen <strong>und</strong> privaten Bildungsinstitutionen),<br />

- der familiäre ISA 8<br />

- der juristische ISA 9<br />

- der politische ISA (das politische System, zu dem u.a. die verschiedenen Parteien gehören),<br />

- der gewerkschaftliche ISA,<br />

- der ISA der Information (Presse, Radio, Fernsehen usw.),<br />

- der kulturelle ISA (Literatur, Kunst, Sport usw.).<br />

Ich sage: die ISA sind nicht mit dem (repressiven) Staatsapparat identisch. Worin unterscheiden sie<br />

sich? Zum einen können wir beobachten, daß es einen (repressiven) Staatsapparat gibt gegenüber einer<br />

Vielzahl Ideologischer <strong>Staatsapparate</strong>. Vorausgesetzt sie existiert, so ist die Einheit, die diese Vielzahl<br />

der ISA bildet, nicht unmittelbar sichtbar.<br />

Zum anderen können wir feststellen, daß, während der einheitliche (repressive) Staatsapparat ganz<br />

zum öffentlichen Sektor gehört, der größte Teil der ISA (in ihrer scheinbaren Zerstreutheit) im<br />

Gegenteil dem privaten Sektor angehört. Privat sind die Kirchen, die Parteien, die Gewerkschaften, die<br />

Familien, einige Schulen, die Mehrzahl der Zeitungen, die kulturellen Unternehmen usw. usf.<br />

Lassen wir unsere erste Beobachtung einen Augenblick beiseite. Aber man wird zweifellos die zweite<br />

aufgreifen, um zu fragen, mit welchem Recht ich als <strong>ideologische</strong> <strong>Staatsapparate</strong> Institutionen<br />

bezeichnen kann, die in ihrer Mehrzahl keinen öffentlichen Status besitzen, sondern ganz einfach<br />

private Institutionen sind. Als bewußter Marxist war Gramsci bereits mit einem Satz diesem Einwand<br />

zuvorgekommen. Die Unterscheidung zwischen dem Öffentlichen <strong>und</strong> dem Privaten ist eine<br />

Unterscheidung, die dem bürgerlichen Recht innewohnt <strong>und</strong> die gültig ist bei (untergeordneten)<br />

Gebieten, wo das bürgerliche Recht seine "Macht" ausübt. Das Gebiet des Staates entzieht sich ihm,<br />

denn es steht "über dem Recht": Der Staat, der der Staat der herrschenden Klasse ist, ist weder<br />

öffentlich noch privat, er ist vielmehr die Bedingung jeder Unterscheidung zwischen öffentlich <strong>und</strong><br />

privat. Wiederholen wir das vom Standpunkt unserer Ideologischen <strong>Staatsapparate</strong>. Es kümmert nicht,<br />

ob die Institutionen, die sie bilden, "öffentlich" oder "privat" sind. Was kümmert, ist ihre<br />

Funktionsweise. Private Institutionen können durchaus "funktionieren" als Ideologische<br />

<strong>Staatsapparate</strong>. Eine ein wenig genauere Analyse eines beliebigen ISA würde genügen, um dies zu<br />

beweisen.<br />

Aber kommen wir zum Wesentlichen. Was die ISA vom (repressiven) Staatsapparat unterscheidet, ist<br />

folgender gr<strong>und</strong>legender Unterschied: der repressive Staatsapparat "arbeitet" auf der Gr<strong>und</strong>lage der<br />

Gewalt, während die Ideologischen <strong>Staatsapparate</strong> auf der Gr<strong>und</strong>lage der <strong>Ideologie</strong> "arbeiten".<br />

Wir können dies genauer formulieren, indem wir diese Unterscheidung berichtigen. Ich sage daher,<br />

daß jeder Staatsapparat, ob er nun repressiv oder ideologisch ist, zugleich auf der Gr<strong>und</strong>lage der<br />

Gewalt <strong>und</strong> der <strong>Ideologie</strong> "arbeitet", aber mit einem sehr wichtigen Unterschied, der eine<br />

'Verwechslung der Ideologischen <strong>Staatsapparate</strong> mit dem (repressiven) Staatsapparat verbietet. Der<br />

(repressive) Staatsapparat arbeitet als solcher nämlich auf massive Weise in erster Linie auf der<br />

Gr<strong>und</strong>lage der Repression (die physische inbegriffen), während er nur in zweiter Linie auf der<br />

Gr<strong>und</strong>lage der <strong>Ideologie</strong> arbeitet. (Es gibt keinen rein repressiven Apparat). Beispiele: die Armee <strong>und</strong><br />

die Polizei arbeiten auch auf der Gr<strong>und</strong>lage der <strong>Ideologie</strong>, sowohl um ihren eigenen Zusammenhalt<br />

<strong>und</strong> ihre Reproduktion zu sichern, als auch mit den "Werten", die sie nach außen propagieren.<br />

Gleichermaßen muß man sagen, - aber in entgegengesetzter Richtung -, daß die <strong>ideologische</strong>n<br />

<strong>Staatsapparate</strong> auf massive Weise in erster Linie auf der Gr<strong>und</strong>lage der <strong>Ideologie</strong> arbeiten, während sie<br />

aber in zweiter Linie auf der Gr<strong>und</strong>lage der Repression arbeiten; auch wenn sie im Grenzfall - aber nur<br />

im Grenzfall - sehr gemildert, versteckt, ja sogar symbolisch ist. (Es gibt keinen rein <strong>ideologische</strong>n<br />

Apparat.) Auf diese Weise "dressieren" die Schule <strong>und</strong> die Kirchen mit den entsprechenden Methoden<br />

der Strafe, des Ausschlusses, der Auswahl usw. nicht nur ihre Priester, sondern auch deren Pfarrkinder.<br />

Auf diese Weise die Familie... Auf diese Weise der Kulturelle ISA (die Zensur, um nur sie zu nennen)<br />

... usw. Ist es nötig zu erwähnen, daß diese Determination eines "doppelten" Arbeitens (in erster Linie,

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