Download - Weiterbildungsmaßnahme Boxe Éducative

Boxe Éducative:
Eine Möglichkeit, den Boxsport erzieherisch
an Ganztagsschulen zu nutzen?
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Wissenschaftliche Prüfungsarbeit
Gemäß § 12 der Landesverordnung über die Erste Staatsprüfung für das
Lehramt an Realschulen vom 21.03.1982 in der derzeit gültigen Fassung
des Kandidaten
Florian Wolf
der Universität Koblenz-Landau in Koblenz
im Fach
Sport
Thema
Boxe Éducative:
Eine Möglichkeit, den Boxsport
erzieherisch an Ganztagsschulen
zu nutzen?
Erstgutachter
Zweitgutachter
Prof. Dr. Otto Schantz
Dr. Gerd Blaumeiser
Abgabedatum der
wiss. Prüfungsarbeit 08.11.2011
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Boxe Éducative:
Eine Möglichkeit, den Boxsport erzieherisch
an Ganztagsschulen zu nutzen?
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1. EINLEITUNG..............................................................................................4
2. KRITISCHE BETRACHTUNGEN DES BOXSPORTS...............................9
2.1 Differenzierung des Boxsports.......................................................................................................9
2.1.1 Profiboxen...............................................................................................................................10
2.1.2 Amateur-/ olympisches Boxen ................................................................................................11
2.1.3 Das Fitnessboxen ....................................................................................................................11
2.1.4 Leichtkontaktboxen.................................................................................................................12
2.1.5 Kampfsport und Kampfkunst ..................................................................................................13
2.2 Sportmedizinische Perspektive ....................................................................................................14
2.2.1 Typische Boxsportverletzungen ..............................................................................................15
2.2.2 Verletzungen der oberen Extremitäten....................................................................................16
2.2.3 Verletzungen des Gesichts ......................................................................................................16
2.2.4 Verletzungen des Schädel- Hirnapparates...............................................................................17
2.2.6 Resümee der sportmedizinischen Betrachtung........................................................................21
2.3 Moralisch-ethische Betrachtungen ..............................................................................................21
2.3.1 Betrachtungen aus sport-ethischer Perspektive .......................................................................22
2.3.2 Die Humanisierung des Boxens ..............................................................................................24
3. SOZIALPÄDAGOGISCHER NUTZEN DES BOXE ÉDUCATIVE............27
3.1 Gewalt und Gewaltprävention.....................................................................................................27
3.1.1 Definition von Gewalt und Aggression...................................................................................27
3.1.2 Erklärungsmodelle für Aggression..........................................................................................29
3.1.2.1 Die „Dampfkessel-Theorie“ ............................................................................................29
3.1.2.2 Frustrations-Aggressionstheorie......................................................................................30
3.1.2.3 Lerntheoretisches Modell ................................................................................................31
3.1.3 Gewalt an Schulen...................................................................................................................31
3.1.4 Faktoren der Gewalt an Schulen .............................................................................................33
3.1.5 Gewaltprävention durch Kampf- und Boxsport ......................................................................35
3.1.6 Die Zielgruppe ........................................................................................................................39
3.2 Soziales Lernen durch Kampf- und Boxsport ............................................................................40
3.2.1 Kooperative Aspekte im Boxsport ..........................................................................................40
3.2.2 Respekt im und durch das Boxtraining ...................................................................................44
3.2.3 Boxsport und Charakterbildung ..............................................................................................46
3.3 Erlebnis- und Erfahrungsebenen.................................................................................................48
3.3.1 Kämpfen als Erlebnis ..............................................................................................................48
3.3.1.1 Der Begriff „Kämpfen“ ...................................................................................................48
3.3.1.2 Entwicklungstheoretische Aspekte des Kämpfens ..........................................................49
3.3.1.3 Aspekte des Kämpfens im Leichtkontaktboxen ..............................................................50
3.3.2 Erlebnisebenen des Kampfsports ............................................................................................51
3.3.2.1 Psychische Erlebnisebene................................................................................................52
3.3.2.2 Physische Erlebnisebene .................................................................................................54
3.3.2.3 Symbolhafte Handlungen im Boxsport ...........................................................................56
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4. ANALYSE SCHULISCHER UND AUßERSCHULISCHER
BOXSPORTPROJEKTE ..............................................................................59
4.1 Methodisches Vorgehen................................................................................................................59
4.2 Olympisches Boxen im Projektrahmen.......................................................................................60
4.2.1 Projekt: „Durchboxen im Leben“............................................................................................61
4.2.2 Projekt: Box-out ......................................................................................................................62
4.3 Leichtkontaktboxen im Projektrahmen......................................................................................63
4.3.1 „Boxe Éducative“ in Frankreich..............................................................................................64
4.3.2 „Light-Conact Boxing“ in der Schweiz...................................................................................65
4.3.3 Pilotprojekt in Niedersachsen..................................................................................................65
4.4 Kernaussagen der Interviews.......................................................................................................72
4.4.1 Die Zielgruppe ........................................................................................................................72
4.4.2 Sportmotorische Aspekte ........................................................................................................73
4.4.3 Das Verletzungsrisiko .............................................................................................................74
4.4.4 Methodische Aspekte ..............................................................................................................74
4.4.5 Pädagogischer Rahmen ...........................................................................................................76
4.4.6 Soziale Ebene..........................................................................................................................77
4.5 Analyse und Interpretation .........................................................................................................78
5. RESÜMEE UND AUSBLICK....................................................................87
7. LITERATUR .............................................................................................92
8. ANHANG..................................................................................................97
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1. Einleitung
Plattgehauene und deformierte Nasen, blutende Gesichter oder Boxer, die
einen Kampf nicht überlebt haben: All das sind Assoziationen, die vielen
durch den Kopf gehen, wenn sie an Boxsport denken. Wer diese Bilder mit
dem Boxen verbindet, wird Probleme haben, das Boxen als Sportart zu akzeptieren.
Für ihn ist es ein reines Spektakel, beim dem sich zwei Menschen
aus unerfindlichen Gründen gegenüberstehen, um sich dann im Seilgeviert
bis aufs Blut zu bekämpfen. Geld und Ruhm scheinen das Ziel zu sein, dass
sie Schmerzen und Angst vergessen lässt. Um das Bild noch zu vervollständigen
sei hier das Publikum erwähnt, das wie im alten Rom nach Brot und
Spielen verlangt. Sie sind letztendlich diejenigen, die das Spektakel finanziell
unterstützen und es dadurch für die Veranstalter aus reinen Profitgründen
interessant machen.
Sieht man das Boxen aus dieser Perspektive, ist schnell der Bogen zu den
Boxkämpfen im antiken Griechenland gespannt. Hier galt das Boxen mehr
als Vorbereitung zum Krieg und weniger als Sport aus heutiger Sicht. Das
Regelwerk war relativ schlicht und machte sich um die Gesundheit der
Kämpfer keine großen Sorgen. Im Gegenteil: Es war besser im Ring ehrenvoll
zu sterben als unehrenhaft zu gewinnen.
Das Boxen als Sportart, wie wir es heute kennen, hat seine Wurzeln, genau
wie viele andere Sportarten, in England. Hier wurde 1867 vom Marquess of
Queensberry ein Regelwerk erstellt, das sich dann im Laufe der Zeit immer
weiter zu Gunsten des Gesundheitschutzes der Boxer entwickelte.
Bis zu dieser Stelle der vorliegenden Arbeit wurde vom „Boxen“ gesprochen,
um eine terminologische Abgrenzung zum Boxen als Sportart vorzunehmen.
Erst durch eine engere Regelgebung bekam das Boxen zunehmend sportlichen
Charakter, auch wenn das bei vielen Profikämpfen heute immer noch in
Frage gestellt werden kann.
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Das Thema der vorliegenden Arbeit behandelt eine Variante des Boxsports,
die man, gemäß der oben skizzierten Entwicklung, als „die Spitze des Eisbergs“
bezeichnen kann. Es geht um Boxsport ohne Blutvergießen, ohne
zertrümmerte Nasen und ohne Sorgen, nach dem Training mit Kopfschmerzen
nach Hause zu kommen. Dennoch bleiben die Spannung und der Reiz,
den der Boxsport dem Wesen nach mit sich bringt, weitgehend erhalten. Mit
„Boxe Éducative“ ist ein Konzept gemeint, bei dem im Leichtkontaktmodus
geboxt wird – also ohne harte Schläge. Das Boxen stellt im Rahmen dieses
Konzepts das Medium dar, um das sich meist ein sozialpädagogisches Gesamtkonzept
dreht. Die detaillierte Beschreibung und Differenzierung beider
Begriffe erfolgt im Verlauf dieser Arbeit unter 2.1.4.
Boxen führt nicht nur zu negativen Assoziationen, sondern es übt auch eine
große Faszination aus. Nicht Wenige lehnen den Boxsport so lange ab, bis
man ihnen selbst Boxhandschuhe überstülpt. Doch die Faszination für den
Boxsport liegt nicht allein auf der körperlichen Ebene, sondern auch auf einer
geistigen. Seit es das Kino gibt, wird das Boxen immer wieder zum Gegenstand
zahlreicher Filme. Ein sozial Benachteiligter fängt mit dem Boxen an
und kämpft sich gewissermaßen nach oben durch. Auch zeugen zahlreiche
literarische Werke für eine große Anziehungskraft aus dem Bereich der Dichter
und Denker. Viele Autoren haben sich demzufolge dem Thema auf philosophischer
Ebene gewidmet.
Die Literaturlage auf der sportwissenschaftlichen Ebene hingegen muss als
eher gering eingeschätzt werden. Obwohl die Zahl der aktiven Kampfsporttreibenden
nach dem Zweiten Weltkrieg kontinuierlich anstieg, hat sich die
westdeutsche Sportpädagogik wenig um die Kampfsportarten oder um das
Phänomen „Kämpfen“ gekümmert (vgl. Binhack, 1998, S. 14). Ebenfalls vernachlässigt
wurde eine allgemeine sportpädagogische Thematisierung sportlicher
Aktivitäten in Schule und Verein, die mit gewissen Risiken verbunden
sind, zu denen man die Kampfsportarten sicherlich zählen kann (Gissel &
Schwier, 2003, S. 7).
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In der DDR war das anders. Hier waren die Kampfsportarten Judo, Ringen
und Boxen für den Staat interessant. Grund war die einfache Rechnung,
dass man wegen der Einteilung in die verschiedenen Gewichtsklassen mit
weniger Aufwand mehr Medaillen bei den Olympischen Spielen hohlen konnte
als bei den Mannschaftssportarten.
Die DDR führte die Kampfsportarten als Wahlpflichtfach im Schulsport ein.
Die Schüler konnten ab der neunten Klasse zwischen Judo, Ringen und Boxen
wählen. Das Boxtraining wurde hier jedoch so gestaltet, dass das Verletzungsrisiko
weitgehend abgemildert wurde.
Im dritten Reich wurde der Boxsport ebenfalls im Rahmen der Schule etabliert.
Das ursprüngliche Boxsportverbot des Preußischen Kultusministeriums
wurde am 24. Oktober, 1933 außer Kraft gesetzt. Auch wenn es nicht zu ü-
bersehen ist, dass der Boxsport im Dritten Reich instrumentalisiert wurde,
finden sich in den Lehrbüchern, die sich mit dem Boxen im schulischen
Rahmen beschäftigten durchaus vernünftige methodische Hinweise. Überliest
man die Aussagen ideologischer Verblendung im Einleitungsteil, folgen
in den methodischen Kapiteln hier und da verwertbare Ansätze. Die sportpädagogische
Literatur der DDR bezüglich des Boxsports zeugt dagegen von
weit mehr Kompetenz. Die meisten der heute erhältlichen Lehrbücher über
das Boxen, stammen noch von den gleichen Autoren. Sie können im Grunde
genommen auf zwei Lehrwerke beschränkt werden: „Boxen basics“ von den
Gebrüder Ellwanger und „Boxen für Einsteiger“ von Horst Fiedler. Das beste
Lehrwerk ist sicherlich das, aus Sowjetzeiten stammende „Handbuch des
Boxens“, von Gradopolow. Ebenso wie die Lehrbücher aus dem Dritten
Reich beschränkt sich auch die Original DDR- und Sowjetliteratur nicht nur
auf sportpädagogische oder methodisch-didaktische Hinweise. Auch hier
erscheint der Boxsport mehr als Mittel zum Zweck, um ein sozialistisches
Menschenbild heranzubilden.
Wenn auch die Anzahl der Lehrwerke über das Boxen eher gering ist und für
die hier vorliegende Arbeit wenig Verwertbares bietet, weil sie zu methodisch
und didaktisch ausgerichtet ist, findet sich im gesamten Spektrum der
Kampfsportarten eine bessere Literaturlage.
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In den letzten Jahren wurde das Thema „Kämpfen“ im schulsportlichen
Rahmen aufgegriffen. So findet sich der Aspekt des Kämpfens in einigen
Lehrplänen verschiedener Bundesländer wie beispielsweise Baden-
Württemberg, Hessen oder Berlin. Allerdings werden hier lediglich die
Kampfsportarten Judo und Ringen erwähnt, oder es wird allgemein auf das
Raufen und Rangeln Bezug genommen. Im hessischen Lehrplan für Realschulen
wird explizit darauf hingewiesen, dass das Boxen in Kontext Schule
nicht gestattet wird, weil im Allgemeinen schlagende Sportarten nicht in den
Schulsport integriert werden dürfen (vgl. Hessisches Kultusministerium, S. 9).
Die Fragestellung der vorliegenden Arbeit bezieht sich auf die erzieherischen
Möglichkeiten, die mit dem Boxsport im Rahmen der Ganztagsschule verbunden
werden können. Dieser Rahmen erklärt sich aus der Tatsache, dass
es problematisch wäre, den Boxsport als Pflichtfach innerhalb des regulären
Schulsports zu integrieren. Die Ganztagsschule bietet hingegen eine ideale
Plattform, um neue und interessante Bewegungsfelder in den schulischen
Alltag zu installieren. Nicht selten sind die Projekte der Ganztagsschule von
den geläufigen Sportarten wie Fußball oder Basketball geprägt. Auch wenn
die Schüler das in der Masse oft so wünschen, gibt es dennoch diejenigen,
die sich gerne sportlich betätigen würden, denen aber die entsprechenden
Möglichkeiten fehlen. Selbst den Schülern, die sich bisher auf die klassischen
Sportarten – Fußball steht hier sicherlich Spitze – „eingeschossen“
haben, könnte sich hier ein neues Themenfeld eröffnen. Sei es nur die Erweiterung
ihres sportmotorischen Horizontes. Denn der Boxsport bietet zahlreiche
Trainingsinhalte, die sich auch positiv auf andere Sportarten auswirken
können. An dieser Stelle sind wir schon bei sportmotorischen Argumenten
angekommen die für den Boxsport sprechen. Diese Perspektive soll jedoch
im Rahmen der vorliegenden Arbeit nur am Rande behandelt werden.
Der Schwerpunkt liegt mehr auf den sozialpädagogischen Aspekten. Hier gilt
es zu prüfen, ob im Boxsport ein besonderer Nutzen besteht und wenn ja,
welcher.
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In diesem Rahmen wird zunächst anhand der Literaturlage geprüft, welche
sozialförderlichen Aspekte sich im Boxsport finden lassen. Hinzu kommen
Gedanken und eigene Erfahrungen des Verfassers als aktiver Boxsportler
aus dem Bereich des olympischen Amateurboxens, die dann in diese Aspekte
mit einfliesen.
Die Ergebnisse dieser Auswertung werden dann in Korrelation zu den Erfahrungen
gebracht, die im schulischen Rahmen mit dem Leichtkontaktboxen
gemacht wurden. Die Erfahrungsberichte liefern Dr. Arwed Marquardt, Förderschullehrer
und Verfasser eines Projektberichtes über ein Pilotprojekt zu
dem hier behandelten Thema und Stefan Käser, Diplompädagoge und der
Vorreiter, der das Leichtkontaktboxen in der Schweiz populär gemacht hat.
Des Weiteren wird der Projektbericht zum praktischen Teil der vorliegenden
Arbeit mit einbezogen.
Diese Vorgehensweise beruht auf der einfachen Tatsache, dass die sportwissenschaftliche
Literaturlage über das Boxen im Leichtkontaktmodus noch
geringer ausfällt, als es beim klassischen Boxen ohnehin der Fall ist. Es finden
sich neben dem Projektbericht des Pilotprojektes, auf das im weiteren
Verlauf noch detaillierter eingegangen wird, lediglich noch zwei Diplomarbeiten
aus der Schweiz.
Dr. Arwed Marquardt und Stefan Käser, wurden per Telefon nach ihren Erfahrungen
im schulischen Kontext befragt. Das Gespräch wurde aufgezeichnet
und steht als Transkript und als Original-Audiodatei im Anhang zur Verfügung.
Die Kernaussagen finden sich unter dem Gliederungspunkt 4.4.
Nach der Gegenüberstellung erfolgt eine Auswertung bezüglich der Korrelation
von Theorie und Praxis. Anhand dieser Ergebnisse wird dann ein Resümee
gezogen.
Bevor es zu einer Betrachtung aus der sozialpädagogischen Perspektive
kommt, soll im folgenden Abschnitt (2.) kritisch auf den Boxsport eingegangen
werden. Dies erfolgt zunächst auf allgemeiner Ebene und wird dann auf
den hier behandelten Gegenstand, das Leichtkontaktboxen übertragen.
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2. Kritische Betrachtungen des Boxsports
Im Rahmen seiner sportethischen Betrachtung nennt Kuchler (1969, S. 248)
drei Vorwürfe, die gegen den Boxsport erhoben werden und die es zu diskutieren
gilt:
1. Boxen verdirbt den Charakter.
2. Das Wesen des Boxsports besteht allein darin, den Gegner
anzugreifen.
3. Boxen schädigt die Gesundheit.
Die Hauptsäulen, auf denen die kritische Auseinandersetzung mit dieser
Sportart demnach erfolgen muss, sind zum einen die moralisch-ethische
Perspektive, die sportmedizinische sowie die psychologische oder genauer
gesagt die Perspektive der Charakterbildung.
Die vorliegende Arbeit greift zunächst die sportmedizinische und dann die die
ethisch-moralische Perspektive auf. Also diejenigen Grundpfeiler der Kritik
am Boxsport, die auch der öffentliche Diskurs am häufigsten in den Mittelpunkt
stell. Im weiteren Verlauf wird dann, im Rahmen der sozialpädagogischen
Perspektive, der Aspekt der Charakterbildung betrachtet.
Die Auseinandersetzung bildet das Fundament, auf das jede weitere Überlegung
für den vorliegenden Gegenstand aufgebaut werden kann. Hierzu ist es
Notwendig von Beginn an den Boxsport zu Differenzieren.
2.1 Differenzierung des Boxsports
Die breite Palette des Boxsports ist in Deutschland, genau wie in vielen anderen
Ländern, eher unbekannt. Das Bild vom Boxsport beschränkt sich daher
meist auf das, was das Fernsehen zeigt. Und das ist in der Regel das
Profiboxen. Was der Zuschauer dort sieht, sind nicht selten reine Ringschlachten:
Klaffende Rissverletzungen im Augenbereich, geschwollene
Jochbeine, blutende Nasen und Knockouts, bei denen der Geschlagene mit
zuckenden Beinen am Boden liegt und auf einer Trage aus dem Ring befördert
werden muss, weil er über etliche Minuten das Bewusstsein verloren
hat.
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Wäre dieses Bild repräsentativ für den Boxsport im Allgemeinen, hätte die
hier vorliegende Arbeit keine Berechtigungsgrundlage. Denn derartige Bilder
wären im Schulrahmen undenkbar.
Das geringe Maß an Differenzierung in den moralisch-ethischen Diskussionen
und teilweise auch in den sportmedizinischen Betrachtungen rund um
den Boxsport soll hier nicht wiederholt werden. Vielmehr ist es von entscheidender
Bedeutung für die vorliegende Arbeit, dass eine Differenzierung vorgenommen
wird, da die spezifischen Unterschiede der einzelnen Facetten
des Boxsport zu groß sind, als dass man auf eine Unterscheidung und demzufolge
auf eine Abgrenzung untereinander verzichten könnte. Es wird also
im folgenden Abschnitt auf die wesentlichen Bereiche eingegangen, die sich
innerhalb der Sportart Boxen etabliert haben.
2.1.1 Profiboxen
Das Profiboxen stellt im Boxsport die brutalste Erscheinungsform dar. Trotz
einer Entwicklung, die eine Verbesserung des Schutzes der Sportler mit sich
brachte, bleibt es eine Sportart, die vor allem im Wettkampfgeschehen sehr
gefährlich bleibt.
Die Rundenzeiten betragen drei Minuten und werden mit einer einminütigen
Pause unterbrochen. Die Rundenzahl hängt vom Kampf selbst ab oder von
dem, was vorher vereinbart wurde. Weltmeisterschaftskämpfe zählen jedoch
immer zwölf Runden. Im Wettkampf ist der Kopfschutz nicht erlaubt. Dies
bringt zahlreiche Gefahren mit sich, die unter dem Punkt 2.3 eingehender
erwähnt werden. Ebenso verhält es sich mit den Handschuhen. Bis zur Gewichtsklasse
Mittelgewicht werden Handschuhe mit acht Unzen getragen. Ab
dem Mittelgewicht wird mit Handschuhen geboxt, die zehn Unzen betragen.
Die Unzenzahl steht in unmittelbarer Abhängigkeit zur Polsterung. Je höher
sie ist, desto stärker sind die Handschuhe gepolstert.
Das Profiboxen beinhaltet bei weitem nicht das hohe Maß an Schutzbestimmungen
wie es der Amateurboxverband vorsieht. Eine gute medizinische
Betreuung und Kämpfe, bei denen relativ gleichwertige Gegner aufeinander
treffen, finden sich nur im oberen Niveau. Im unteren Bereich kann man zahlreiche
Aufbaukämpfe beobachten, bei denen man aussichtsreichen Nach-
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wuchsboxern Gegner in den Ring stellt, die in der Leistungsklasse und nicht
selten auch in der Gewichtsklasse weit unterhalb ihrer Kontrahenten liegen.
Beide Faktoren erhöhen die Chancen auf einen Sieg durch Knock-out, was
wiederum für eine gute Kampfbilanz sorgt. Derartiges Vorgehen wäre im
Amateurboxen, schon aufgrund der bestehenden Regeln und Schutzbestimmungen,
gar nicht möglich.
2.1.2 Amateur-/ olympisches Boxen
Der Amateurboxsport unterscheidet sich in zahlreichen Punkten vom Profiboxen.
Die Wettkampfbestimmungen des Deutschen Boxsportverbandes
beinhalten, wie bereits erwähnt, eine Fülle von Bestimmungen, die dem
Schutz der Sportler dienen sollen. Amateurboxer kämpfen, unabhängig ihrer
jeweiligen Gewichtsklasse mit Zehn-Unzen-Handschuhen, also zwei Unzen
mehr als die Gewichtsklassen bis zum Mittelgewicht bei den Profis (vgl.
DABV-Wettkampfbestimmungen. Des Weiteren muss im Rahmen der
Schutzkleidung ein Kopfschutz getragen werden. Dieser dient nicht nur dem
eigenen Schutz, sondern vor allem auch dem Schutz des Gegners. Ein Zusammenprallen
mit den Köpfen kann fatalerer Folgen haben als Faustschläge
mit dem gepolsterten Handschuh.
Die Rundenzahl beschränkt sich auf maximal vier zu jeweils zwei Minuten.
Zwischen den Runden liegt eine Minute Pause.
Im Amateurbereich wird klar zwischen Anfänger und Fortgeschrittene unterschieden.
Erst mit sieben Siegen kann sich der Amateurboxer als Fortgeschritten
bezeichnen. Neben den eben erwähnten Rahmenbedingungen unterliegen
Amateure einer strengen ärztlichen Aufsicht sowie einigen Schutzbestimmungen
bei Niederschlägen durch Kopftreffer.
2.1.3 Das Fitnessboxen
Beim Fitnessboxen handelt sich um eine „spielerische Variante des eigentlichen
Boxens, bei der nicht aufeinander eingeschlagen wird (Kürzel & Wastl,
1997, S. 6). Die Übungen des Fitnessboxens sind denen des Amateur- bzw.
des Profiboxtrainings entnommen. Sandsacktraining, Seilspringen, aber auch
Pratzentraining oder Übungen ohne Gerät gehören zum festen Bestandteil
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des Fitnessboxens. Teilweise werden Übungen aus dem Aerobicbereich mit
boxartspezifischen Übungen kombiniert.
Das Training des Fitnessboxens ist nicht wettkampforientiert, sondern es unterliegt
in erster Linie gesundheitsrelevanten Aspekten (vgl. ebda., S. 12). Es
ist in Übungsauswahl und Trainingsstruktur ganzheitlich ausgerichtet und
zielt auf die Förderung der koordinativen Fähigkeiten ab, die das Boxtraining
nachweislich in besonders hohem Maße fördert (vgl. ebda., S. 15, nach Jonath
& Krempel, 1991, S. 381).
Das Hauptunterscheidungsmerkmal des Fitnessboxens zu den übrigen Facetten
des Boxsports liegt, neben der fehlenden Wettkampforientierung, darin,
dass Schläge nicht unmittelbar gegen den Gegner gerichtet sind, sondern
lediglich auf den hochgehaltenen Handschuh oder Pratzen abzielen. Es wird
also nicht die reguläre Schlagfläche anvisiert. Verletzungen aufgrund von
Schlagwirkung fallen demnach vollständig aus. Es sein denn, der Schlagende
verfehlt das eigentlich vorgesehene Ziel.
2.1.4 Leichtkontaktboxen
Abschließend wird nun die Form des Boxsports angesprochen, die auch den
Gegenstand der vorliegenden Arbeit darstellt: das Leichtkontaktboxen.
Es handelt sich beim Leichtkontaktboxen um eine Form des Boxsports, die
keine harten Schläge erlaubt. Schläge dürfen den Gegner lediglich touchieren.
Das Leichtkontaktboxen ist im institutionellen Rahmen, also in Vereinen,
Projekten oder im schulischen Rahmen, eine relativ junge Erscheinungsform.
Dennoch liegt jedem guten Amateurtraining das Boxen im Leichtkontaktmodus
zu Grunde. Es würde keinen Sinn machen, bei Partnerübungen oder in
jedem Sparring ständig harte Schläge anzubringen. Das leichte Sparring ermöglicht
es den Sportlern, komplexe Bewegungsmuster einzuüben, ohne
dabei Angst zu haben, hart getroffen zu werden. Es dient demnach dem A-
mateur, genau wie dem Profi, seine technischen boxerischen Fähigkeiten
weiter zu entwickeln. Das Leichtkontaktboxen kann als erweitertes Fitnessboxen
bezeichnet werden. Obwohl sich fast die ganze Spannbreite des klassischen
Boxtrainings im Rahmen des Leichtkontaktrahmens wieder lässt, gibt
es dennoch die Einschränkung, dass bei Partnerübungen oder im Sparring
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mit sehr geringer Kraft geschlagen werden muss. Wie tief nun die Kluft zwischen
dem Training des Leichtkontaktboxen und einem Profikampf ist, soll
ein Zitat von Schweiger (1998, S. 20) verdeutlichen, der den Sachverhalt folgendermaßen
auf den Punkt bringt:
„An dieser Stelle möchte ich deutlich machen, daß angeleitete Elemente
des Boxtrainings in einer Schulsporthalle mit einem Profikampf ungefähr
soviel gemeinsam haben wie das Singen unter der Dusche mit einem
Konzert der Rolling Stones.“
Im institutionellen Rahmen findet sich das Leichtkontaktboxen vor allem in
Frankreich und in der Schweiz wieder. Diese Abwandlung des Boxsports hat
sich in Frankreich auf institutioneller Ebene, also im Schul- oder Projektrahmen,
unter dem Begriff „Boxe Éducative“ schon seit den 1970er Jahren etabliert
(vgl. Liggenstorfer, S. 9). Während sich das Leichtkontaktboxen auf die
rein sportliche Ebene reduzieren lässt, ist das Boxe Éducative eng mit einer
sozialpädagogischen Ausrichtung gekoppelt.
1999 wurde das Leichtkontaktboxen von Stefan Käser im Rahmen eines
Wahlpflichtfaches im Schulsport angeboten (vgl. ebd., S. 13). Es hat sich
dann in der Schweiz kontinuierlich ausgebreitet. Mittlerweile werden in diesem
Rahmen regelmäßige Turniere ausgetragen.
In Niedersachsen startete 2007 ein Pilotprojekt an teilnehmenden Schulen.
Das vom Kultusminister genehmigte Projekt sah zunächst die Einführung des
Boxsports in Form des Fitnessboxens vor. Es durfte demnach nur ohne Körperkontakt
trainiert werden. Nach einer einjährig vorgenommenen Evaluation
wurde der Körperkontakt unter der Prämisse eingeräumt, dass es sich dabei
nur um das im Leichtkontaktmodus übliche Touchieren handeln dürfe.
Im späteren Verlauf der vorliegenden Arbeit wird expliziter auf das Projekt
eingegangen, zumal eine umfangreiche Auswertung vorliegt, auf die im Detail
eingegangen wird.
2.1.5 Kampfsport und Kampfkunst
Neben der Differenzierung des Boxsports innerhalb dieser Sportart soll eine
begriffliche Abgrenzung erfolgen, die den hier behandelten Gegenstand von
anderen kampfsportlichen Formen unterscheiden soll. Barnickel (2009, S.
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11) unterscheidet zwischen Kampfsport und Kampfkunst. Während beim
Kampfsport der sportliche Wettkampfcharakter im Vordergrund steht, sieht er
bei den Kampfkünsten die Schwerpunkte mehr auf der Selbstverteidigung.
Und damit verbunden, in der „Erhaltung und [..] Perfektion von Techniken in
Verbindung von esoterischen oder kulturellen Traditionen und Geisteshaltungen“
(ebd.).
2.2 Sportmedizinische Perspektive
Bevor die Möglichkeit überhaupt in Betracht gezogen wird, dem Boxsport in
Form des Leichtkontaktboxens in der Schule einen Raum zu geben, muss
die Unbedenklichkeit aus sportmedizinischer Sicht geklärt werden.
Ob und inwieweit der Boxsport eine Gefahr für die Gesundheit darstellt, soll
daher an dieser Stelle erörtert werden. Die Fachwelt der Sportmediziner ist in
dieser Frage so gespalten, wie in kaum einer anderen Sportart. Dies lässt
sich nicht allein aus der sportmedizinischen Betrachtungsweise erklären,
sondern liegt auf der anderen Seite oft an der fehlenden Differenzierung zwischen
Amateur- und Profiboxen. Darüber hinaus liegen die Ursachen in der
moralisch-ethischen Perspektive der jeweiligen Sportmediziner.
Im Folgenden werden zunächst die typischen, boxsportspezifischen Verletzungen
aufgelistet. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf den Verletzungen
des Schädel-Hirn-Apparates, da der Boxsport in erster Linie mit Verletzungen
aus diesem Bereich in Verbindung gebracht wird. Eine Etablierung des Boxsports
in den schulsportlichen Rahmen kann demnach nur dann erfolgen,
wenn die sportmedizinischen Bedenken diesbezüglich ausgeräumt werden
können.
Die Literaturlage sportmedizinischer Beiträge zum Boxsport fällt im deutschsprachigen
Raum eher gering aus. Weitaus ergiebiger sind die Beiträge aus
dem angloamerikanischen Sprachraum.
Da eine sportmedizinische Auseinandersetzung mit dem Leichtkontaktboxen
noch nicht erfolgt ist, liegt der Schwerpunkt auf Untersuchungen und Forschungsergebnissen,
die sich mit dem Amateurboxen beschäftigt haben.
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2.2.1 Typische Boxsportverletzungen
Eine umfangreiche Studie bezüglich der Verletzungsarten wurde in den Jahren
1979 bis 1982 im Rahmen von Amateurkämpfen des Deutschen Amateur-Boxverbandes
in allen Gewichtsklassen durchgeführt. An der Studie beteiligt
waren 912 Aktive, registriert wurden insgesamt 111 Verletzungen. Es
sei angemerkt, dass zu dieser Zeit noch ohne den heute pflichtmäßig zu tragenden
Kopfschutz und mit acht, statt mit den heute üblichen zehn Unzen-
Handschuhen geboxt wurde. Der Boxsport wird im Allgemeinen mit Schädel-
Hirn-Traumen in Verbindung gebracht. Die erwähnte Studie lieferte jedoch
erstaunliche, zu diesem Vorurteil divergente Daten.
An erster Stelle der Verletzungen standen mit 45,1% Hauttraumen und offene
Hautverletzungen. Diese äußerten sich durch Riss- und Schürfwunden im
Gesichtsbereich. So genannte „Cuts“, also Rissen im Bereich der Augenbrauen,
Verletzungen des Lippen-Mund-Bereichs, sowie des Nasenrückens,
wurden zum einen durch reguläre Schlagwirkung, jedoch nicht selten auch
durch Kopfstöße und irreguläre Treffer mit der Innenhand verursacht. Die
oben geschilderten Verletzungen konnten vor Ort behandelt werden und
stellten keine dauerhaften Schädigungen in der Zeit nach Auftreten dar. Diese
Zahlen ähneln den Ergebnissen einer Langzeitbeobachtung der Londoner
Boxing Association, in der insgesamt 136 Verletzungen in 4350 Wettkämpfen
gemeldet wurden. Dabei entsprachen 57, also 42% den oben genannten
Verletzungen, wobei der größte Teil den Cutverletzungen am Auge zuzuordnen
war (vgl. Blonstein, 1966, S. 130).
Neben den offenen Traumata wurden, mit 27,9%iger Häufigkeit, geschlossene
Verletzungen des Bewegungs- und Stützapparats festgestellt. Hierbei
handelte es sich überwiegend um Hand- und Fingerverletzungen. Mit 16,2%
dokumentiert die Studie geschlossene Verletzungen der Nase, Augen, der
Ohren, sowie des Mundbereichs und der Kieferregion.
Mit nur 10,8% wurden die für den Boxsport als typisch geltenden Schädel-
Hirn-Traumen festgestellt. Es handelte sich dabei zum einen um sechs
Knock-outs durch einen oder mehrere Schläge auf den Kopf, die mit sekundenlangen
Bewusstseinsstörungen einhergingen, im Nachfolgenden jedoch
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keine dauerhaften Beschwerden verursachten. Darüber hinaus wurden sechs
Kopf-K.O. registriert, die minutenlange Bewusstseinsstörungen zur Folge
hatten und in nachfolgenden Untersuchungen neurologische Auffälligkeiten
aufwiesen (vgl. Lemme, 1986, S. 137-139).
2.2.2 Verletzungen der oberen Extremitäten
Die Gelenke der Hände, des Ellenbogens, sowie der Schulter sind, zusammen
mit ihrem jeweiligem Bänder- und Sehnenapparat, starken Beanspruchungen
ausgesetzt, wenn Schläge ausgeführt werden. Zu dem müssen die
Schläge des Gegners im Rahmen der Deckungsarbeit abgefangen werden.
Laut Steinbrück & Martini (1980, S. 105) betreffen ca. 27,2% aller Sportverletzungen
den Bereich der Arme.
Die von Lemme bereits erwähnte Studie belegte mit einer Verletzungsquote
von 25,2% der oberen Extremitäten diese Zahlen. In derselben Studie entfielen
32% der festgestellten Verletzungen aus dem Bereich der oberen Extremitäten
allein auf die Finger (vgl. Lemme, 1986, S. 137). Noble (1987, S.
342) erwähnt in einem Artikel des „American Journal of Sports Medicine“ eine
Studie, in der 1000 Handverletzungen im Boxsport zu 39% auf den Bereich
der Daumen und der radial angrenzenden Mittelhandknochen zurückzuführen
sind. Meistens handelt es um, im Boxsport übliche Handverletzungen
Kontusionen, zum Teil begleitet von Distorsionen, überwiegend mit Gelenkkapsel-
und Knorpelläsionen der Mittelhandknochen und Fingergrundgelenke
(vgl. Brausenwein-Plank, Franke u.a, 1964, S. 148). Es folgen die
Frakturen in diesem Bereich. Die Benettsche Fraktur, eine Schrägfraktur - an
der Basis des ersten Mittelhandknochens, gilt als typische Boxsportverletzung.
2.2.3 Verletzungen des Gesichts
Im Zusammenhang mit den Gesichtsverletzungen ist vor allem die Nase zu
erwähnen, da sich hier besonders markante und sichtbare Deformierungen
ergeben können. Die Bereiche der Augen, der Jochbeine, der Ohren und des
Zahn-Kieferbereiches werden hier nicht behandelt, da sie durch entsprechende
Schutzmaßnahmen (Mund- und Kopfschutz) weitgehend vermieden
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werden können und nur selten Verletzungen in diesem Bereich auftreten. Die
Nase ist weniger gut zu schützen und steht den Schlägen regelrecht im Weg.
Durch dieselben können Frakturen des Knorpel-/Knochengerüstes oder Luxationen
an der Knochenknorpelgrenze der Nase entstehen. Diese Art von
Verletzungen sind Ursachen für die als „Boxernase“ bekannte Sattelnase.
Brüche des Nasenbeins sind sehr selten. Selbst in Zeiten, in denen ohne
Kopfschutz gekämpft wurde und Kopfstöße ungedämpft gegen das Nasenbein
hätten landen können, wurden wenige Brüche derselben dokumentiert
(vgl. Blonstein, 1966, S. 133). Frakturen des Septums, also der Nasenscheidewand,
können zu Einengungen des Nasenkanals und damit zu Atembehinderungen
führen.
2.2.4 Verletzungen des Schädel- Hirnapparates
Die Hirntraumen gehören, wie schon erwähnt, zu der Art von Verletzungen
im Boxsport, die demselben seinen schlechten Ruf eingebracht haben. An
dieser Stelle ist es besonders wichtig eine Unterscheidung zwischen Profi-
und Amateurboxen vorzunehmen, da hier in Regelwerk und Schutzkleidung
schon entscheidende Unterschiede vorhanden sind, die einen großen Einfluss
auf die Verletzungsintensität haben.
Hirntraumen entstehen im Boxsport durch die Beschleunigung des Kopfes
bei Schlagwirkung. Hierbei wird zwischen Translations- und Rotationsbeschleunigung
unterschieden. Eine reine Rotationsbeschleunigung entsteht
bei einem Haken, der von unten als Aufwärtshaken oder als Seithaken gegen
den Kopf geschlagen wird. Eine reine Translationsbeschleunigung tritt bei
Schlägen zum Kopf aus anatomischen Gründen nicht auf, da der Schädel
über der gelenkigen Halswirbelsäule befestigt ist. Bei geraden Schlägen entsteht
zwar eine Translationsbeschleunigung, jedoch immer gekoppelt mit
einer Rotationsbeschleunigung (vgl. Metzel & Sellier, 1977, S. 17).
Wird der Kopf durch einen Faustschlag beschleunigt, überträgt sich die Beschleunigung
aufgrund der damit einhergehenden Trägheitskräfte auf das
Gehirn erst zeitverzögert. Daraus folgt eine Verdrehung zwischen Gehirn und
der knöchernen Begrenzung. Es entstehen dabei Beschleunigungs-, Verzögerungs-
und Reibungskräfte, die das Gehirn schädigen können (vgl. Moser,
17

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1980, S. 1f.). Bestimmte Blutgefäße werden dabei angespannt und können
platzen. Der Aufwärtshaken auf die Kinnspitze gilt in diesem Zusammenhang
als einer der gefährlichsten Schläge. Er kann mit relativ gering geschlagener
Intensität schon deutlichen Schaden anrichten. Hierbei wird die ganze Kraft
des Schlages über die Mandibula auf die Schädelbasis übertragen, der Kopf
in eine heftige Rotationsbeschleunigung gebracht und nach hinten gerissen.
Der Hals bremst die Beschleunigungskräfte stark ab. Durch das abrupte Abbremsen
wird das Gehirn im Bereich der Occipitallappen gegen die Schädelkalotte
und gegen das Tentorium gepresst. Dabei vergrößert sich der Abstand
zwischen Hirn und Dura im Stirnbereich, was eine Anspannung der
Hauptvenen des Gehirns zur Folge hat. Platzen diese Venen, kommt es zu
Blutungen zwischen der harten Hirnhaut und der Spinngewebshaut, also zur
subduralen Blutungen. Diese Verletzung kann, verzögert oder unmittelbar
nach Auftreten, zum Tode führen. Durch die entstehende Rotationsbeschleunigung
des Aufwärtshakens an das Kinn kann es darüber hinaus zu
Verletzungen des Hirnstammes und des Kleinhirns kommen, wenn diese gegen
die Schädelbasis gedrückt werden. Das Quetschen der Gefäße der
Schädelbasis kann vorübergehende Durchblutungsstörungen der kleinen
Versorgungsgefäße, der basalen Ganglien und er tiefen Hemisphärenanteile,
verursachen.
Ein Schlag gegen die Region der Schläfe kann ebenfalls zu einem Kopf-K.o.
führen. Bei einem solchen Schlag kommt es in der Regel zu einer Kombination
aus einer Seitbewegung des Kopfes mit einer Rotationsbewegung rückwärts.
Das Gehirn presst sich durch das Abbremsen des Kopfes gegen die
Hirnsichel und entgegengesetzter Schädelkalotte. Auch hier können durch
die entsprechende Hirnbewegungen Blutgefäße platzen und subdurale Blutungen
entstehen.
Schwere Verletzungen des Gehirns können darüber hinaus entstehen, wenn
ein Boxer nach einem Kopf-K.o. bewusstlos zu Boden fällt und mit dem Hinterkopf
aufschlägt. Eine Pressung des Gehirns im Bereich der Occipitallappen,
des Hirnstamms und des Kleinhirns gegen die knöcherne Begrenzung
ist die Folge (vgl. Sportärztekollektiv, 1959, S. 36f.).
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Wie bereits erwähnt, ist der Grad der Beschleunigung des Kopfes der Faktor,
der die Intensität von Hirnverletzungen bestimmt. Metzel und Sellier (1977,
S. 17f.) stellten eine Statistik auf, die Auskunft über Anzahl der Treffer am
Kopf, sowie deren Beschleunigungswerte ergab. Dafür ließen sie Amateure
in mittleren und leichten Gewichtsklassen drei Runden mit 12 Unzen-
Handschuhen gegeneinander kämpfen. Sie stellten bei ihrer Untersuchung
fest, dass ungeübte Amateure in einer Kampfsituation normalerweise nicht
die Schwelle überschreiten, die erforderlich ist, um eine Gehirnerschütterung
zu verursachen. Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass es sich in der Studie
um mittlere und leichte Gewichtsklassen und ungeübte Amateure handelte.
Geübte Amateure sind durchaus in der Lage höhere Beschleunigungswerte
am Kopf des Gegners zu erzeugen, die dann auch die Schwelle der möglichen
Bewusstlosigkeit erreichen können.
Trotz der Erkenntnis, dass die Schläge im Kampfgeschehen meist nicht die
Intensität haben, eine Gehirnerschütterung oder schwere Hirnschädigungen
auszulösen, ist es die Summe von Schlägen, die eine genauere Beachtung
erfordert. Hier können dauerhafte Funktionsstörungen des Hirnapparates
entstehen. Versuche an Tierschädeln ergaben, dass die wiederholte Gewalteinwirkung
auf den Schädel zu irreversiblen Lähmungserscheinungen, sowie
pathomorphologischen Veränderungen des Hirns führte (vgl. Metzel & Sellier,
1977 nach Sellier & Unterharscheidt, 1963, S. 1-140).
Die typischste aller chronischen Hirnverletzungen im Boxsport stellt die so
genannte Encephalophathia traumatica pugilistica dar. Sie zählt als Syndrom
zu den sogenannten traumatischen Demenzerkrankungen. Pathophysiologisch
liegt der Encephalopathia traumatica pugilistica ein Neuronenuntergang
sowie narbige Veränderungen des Hirngewebes zugrunde. Sie wurde
zum ersten Mal 1928 von Martland als „Punch-drunk“ dokumentiert (vgl.
Haglund & Eriksson, 1993, S. 98)
Je nach Studie wird die Häufigkeit des Auftretens mit unterschiedlichen Zahlen
angegeben. Bei den Profiboxern schwanken diese zwischen 9 und 25%
(vgl. ebda.). Das Auftreten dieser chronischen Schädigung ist eng mit der
Anzahl der Kämpfe und der Dauer der Boxkarriere verbunden. An dieser
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Stelle ist es wichtig zu erwähnen, dass die Encephalophathia traumatica pugilistica
im Amateurboxsport eigentlich nicht auftritt (vgl. ebda.). Blonstein
(1966, S. 135) schreibt hierzu, dass er sie seit zwanzig Jahren gar nicht mehr
im Boxsport beobachten konnte und schließt das Profiboxen mit ein. Zahlreiche
Forschungsergebnisse, die sich diesem Thema widmeten, sehen die
Verbesserungen in Regelwerk und medizinischer Betreuung ebenfalls als
Hauptgründe für den drastischen Rückgang der Encephalophathia traumatica
pugilistica.
Im Zusammenhang mit der von Lemme (1986, S. 137-139), bereits oben erwähnten
Studie, ist es erstaunlich, dass von 111 registrierten Verletzungen
innerhalb von drei Jahren bei 912 Aktiven lediglich sechs Symptome auftraten,
die eine deutliche Commotio-Symptomatik aufwiesen.
Anders sieht es diesbezüglich jedoch in der Beobachtung der Londoner Boxing
Association aus. Hier entfielen nach Blonstein (1966, S. 130) 60 Knock-
Outs auf 136 Verletzungen insgesamt, was eine K.O.-Quote von 41% aller
gemeldeten Verletzungen entspricht. Von den 60 Knock-Out werden lediglich
neun mit einer begleiteten Amnesie, jedoch keine mit einem Bewusstseinsverlust
dokumentiert. Inwieweit es sich hierbei um das klassische Kopf-K.O.
handelte, kann auf Grundlage der vorliegenden Quelle nicht geklärt werden.
Ebenso könnte es sich um technische Knock-Outs oder Schläge auf die Leber
handeln, die zum Kampfabbruch führten.
Loosemore, Knowles ua. (2008, S. 809) veröffentlichten eine Übersicht über
sämtliche Studien zu dem Thema der chronischen Hirntraumen im Amateurboxsport.
Alle verfügbaren Studien von 1950 bis 2007 wurden mit einbezogen.
Zusammenfassend konnte festgestellt werden, dass die Beweislage für
chronische Hirnschädigungen im Amateurboxsport eher gering ausfällt. Die
Gefahren des Boxsports sind nach den oben erwähnten Fakten vor allem
davon abhängig, in welchem Rahmen diese Sportart betrieben wird (vgl.
McCrory, 2002, S.2). Trotzdem sind die Gefahren für akute, sowie chronischen
Schädigungen des Gehirns vorhanden.
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2.2.6 Resümee der sportmedizinischen Betrachtung
Das Verletzungsrisiko des Amateurboxsports ist nicht höher als das anderer
Sportarten. Die Verletzungen des Schädel-Hirn-Apparates fallen eher gering
aus. Allerdings sollte die Möglichkeit dieser Verletzung besonders kritisch
gesehen werden. Hier spielt der Trainer eine besondere Rolle. Er muss die
Aggression, die ungezügelte Natur der Jugendlichen und die damit einhergehende
Unvernunft bremsen, um sie vor Langzeitschäden des Schädel-Hirn-
Apparates durch das Boxen zu bewahren. Der K.O.-Schlag muss in doppelter
Weise als Niederlage gesehen werden: Zum einen für den Niedergeschlagenen
selbst, aber auch für den, der seinen Gegner niedergeschlagen
hat.
Niederschläge beim Leichtkontaktboxen sind nicht zu erwarten. Das touchieren
des Gegners – so wie es das Regelwerk vorsieht – löst in der Regel keinen
Kopf-K.O. aus. Auch werden die leichten Schläge auf die übrigen K.O.-
Punkte nicht derartige Wirkung entfalten. Stefan Käser, Trainer und Mitinitiator
des Leichtkontaktboxens in der Schweiz, konnte keine Kopfverletzungen
in Training oder Wettkämpfen beobachten (vgl. Marquardt, 2010, S. 58).
2.3 Moralisch-ethische Betrachtungen
Trotz dieser Tatsache eines verschwindend kleinen Verletzungsrisikos bleibt
noch die Frage offen, ob der Boxsport, gleich in welcher Form, aus moralisch-ethischer
Perspektive vertretbar ist. Für Kuchler (1969, S. 253) besteht
die „Gretchenfrage für den Boxsport“ darin, ob er aus sportmedizinischer
Sicht vertretbar ist oder genauer gesagt, ob er ein ernstzunehmendes Potential
hat, dauerhafte Schäden zu verursachen.
Die sportmedizinische Unbedenklichkeit sollte hier der Moral nicht den Rang
ablaufen und über eine Unbedenklichkeit im Allgemeinen entscheiden. Wer
den Boxsport auf Leistungsebene betreibt, ist sich über die gesundheitlichen
Gefahren bewusst und er wird sich besonders intensiv damit auseinander
gesetzt haben.
Weniger werden ihn die moralisch-ethischen Aspekte beschäftigen. Diese
werden in der Regel der Begeisterung für die ausgeübte Sportart unterstellt.
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An dieser Stelle geht es allerdings darum, den Boxsport – auch im Leichtkontaktmodus
– aus einer sport-ethischen Perspektive heraus zu betrachten.
Denn es muss in Punkto Boxsport mindestens doppelt so viel Aufklärungsarbeit
geleistet werden, wie es in anderen Sportarten der Fall ist.
2.3.1 Betrachtungen aus sport-ethischer Perspektive
Nicht wenige Stimmen haben dem Boxsport den Status als Sportart aberkannt.
Grund dafür ist die Tatsache, dass es Teil des Regelwerks ist, einen
Sieg zu erringen, wenn der Gegner derart durch Schläge malträtiert wurde,
dass er das Bewusstsein verliert oder aus anderen Gründen kampfunfähig
ist. Jakobi (1979, S. 92) schreibt dazu folgendes:
„Der Sport hört da auf, Sport zu sein, wo der Sieg des einen nur durch
Verletzung des anderen errungen werden kann. Das ist gegen das Wesen
des Sports, weil das spielerische Kräftemessen der Kern des
Sports ist und somit keine bewußte Verletzung des Gegners – auch
nicht in einer Kampfsportart – duldet.“
Was also in anderen Sportarten zur Disqualifizierung führt und außerhalb des
Boxrings strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen würde, ist hier erklärtes
Ziel. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass Faustschläge zum
Gesicht oder Bauchbereich in Sportarten wie beispielsweise Handball als
Foulspiel mit erheblicher Strafe geahndet werden. Denn das Ziel hierbei ist
es, lediglich den Ball in das Tor zu bekommen und nicht den Gegner mit
Faustschlägen zu treffen. Beim Boxen wissen die aufeinander treffenden
Gegner, dass sie Treffer setzen müssen und dass sie getroffen werden können.
Vergleicht man einen willentlichen Schlag in das Gesicht eines Gegners
beim Handball und beim Boxen, so wird deutlich, dass die moralische Verwerflichkeit
beim Handballer wesentlich höher einzustufen ist, als beim Boxer.
Schließlich war seinem Gegner von vorneherein klar, dass darin das erklärte
Ziel der ausgeübten Sportart liegt. Es bleibt dennoch die Frage offen,
ob Faustschläge gegen einen Menschen grundsätzlich und in jeglicher Weise
vertretbar sind.
Auch das Leichtkontaktboxen, welches in seiner Intensität zwar weit vom
Profiboxen entfernt ist, zielt darauf ab, Menschen mit der Faust zu treffen. Es
ist zwar nicht das Ziel, den Gegner kampfunfähig zu machen oder zu verlet-
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zen, doch die Schläge richten sich dennoch gegen den Kontrahenten. Vergleichbar
wäre hier ein Computerspiel, welches eine Gewaltsituation simuliert.
Die Gewalttat findet in einem virtuellen Rahmen statt, der jedoch keine
realen Personen verletzt. Doch würde man hier lediglich die materielle Welt
von der virtuellen trennen und damit die virtuelle Gewalt rechtfertigen, dann
ginge man davon aus, dass es keinen Zusammenhang zwischen einer materiellen
und einer nichtmateriellen Welt gäbe. Folglich müsste man auch die
Welt der Gedanken von der materiellen Welt abkoppeln, was niemand tun
würde, weil in den Gedanken der Ursprung dessen liegt, was das Individuum
letztendlich in die physikalische Welt überträgt. Übernimmt man diesen Gedankengang
und überträgt ihn auf unseren hier zu behandelnden Gegenstand,
so müsste man das Leichtkontaktboxen mit einer Schlägerei bezeichnen,
die durch die Einführung bestimmter Regeln in einen Rahmen gesetzt
wird, der die realen Auswirkungen einer Schlägerei in einem möglichst hohen
Maße unterbindet. Aus dieser Perspektive müsste man demnach auch das
Fechten kritisch beleuchten. Geht es doch hier auch um Degenhiebe gegen
einen Menschen. Zwar sind die Kontrahenten geschützt und die Auseinandersetzung
findet ohne Risiko für Leib und Leben statt, doch auch hier handelt
es sich um einen Angriff mit einer Waffe auf einen Menschen, also auch
ein simuliertes Duell, welches ohne Schutzkleidung tödlich oder zumindest
schmerzhaft enden würde.
Der entscheidende Unterschied liegt in der Intention. Die Schlägerei beabsichtigt,
den anderen zu verletzen, ihm die eigene Überlegenheit zu verdeutlichen,
ihn zu demütigen, um sich selbst über ihn stellen zu können. Ähnliche
Erscheinungsformen finden sich im Profi- und Amateurboxen wieder, denn
hier lässt es das Regelwerk zu, obgleich dasselbe auch einen engen Rahmen
vorgibt, der klare Grenzen setzt.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass die meisten Profi- und Amateurboxer mit
dem größten Respekt ihren Gegner gegenüberstehen. Wenn unfair gekämpft
wird, liegt dies meist nicht in der Absicht des Kämpfers, sondern eher an den
beschränkten Fähigkeiten.
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Die Intention des Leichtkontaktboxens ist es also, den Gegner zu touchieren,
und ihn niemals so zu treffen, dass er körperlich zu Schaden kommt. Was
hier beabsichtigt ist, findet sich bereits als Titel des von Sonnenberg (2005)
verfassten Buches „Boxen. Fechten mit der Faust“.
Auch Jakobi (1979, S. 93) sieht im Fechtsport eine Analogie zu einer möglichen
Form des Boxens, welche sich auf Treffer beschränken müsse, die keine
gesundheitlichen Schädigungen beim Kontrahenten verursachten. So fordert
er an gleicher Stelle, den K.o.-Schlag sowie harte Schläge zu verbieten.
Ein Sieg dürfe nur „durch geschickte Abwehr“ und klug angebrachte Treffer
zu Stande kommen (vgl. ebd.).
2.3.2 Die Humanisierung des Boxens
Die lange Geschichte des Boxsports verdeutlicht, dass er, genau wie beispielsweise
das Laufen, Springen, Werfen, ein permanenter Bestandteil des
menschlichen Sporttreibens im erweiterten Sinne war und ist. Im erweiterten
Sinne deshalb, weil hier genau unterschieden werden muss, wann das Boxen
als reiner Kampf und wann als Sport zu bezeichnen ist. Das griechische
Boxen der Antike war in erster Linie mehr Teil der Kriegsvorbereitung, und
betonte wesentlich stärker das Kämpferische, als es der Boxsport im heutigen
Sinne tut. Elias & Dunning (2003, S. 248) sprechen in diesem Zusammenhang
davon, dass das griechische Boxen „vom Kampfethos des Kriegsadels“
geprägt war. Das Boxen kam, neben anderen Kampftechniken, zum
Tragen, wenn in kriegerischen Auseinandersetzungen Mann gegen Mann
gekämpft werden musste. Dies widerspricht der Auffassung des modernen
Menschen vom Sport. Diem (1960) definiert den Sport in seinem Vorwort als
ein „zweckfreies, lusterfülltes, leistungsstrebendes Spiel“. Diese Definition
divergiert schon aufgrund der Aspekte „zweckfrei“ und „Spiel“ mit der Sichtweise
der griechischen Antike. Die Zweckfreiheit bestand aufgrund der engen
Bindung zum Militärischen nicht und es fällt schwer von Spiel zu sprechen,
wenn sich zwei Menschen mit nahezu bloßen Fäusten so lange auf
den Schädel oder andere empfindliche Körperpartien schlagen, bis einer von
beiden das Bewusstsein verliert oder aufgrund von schweren Verletzungen
nicht mehr weiterkämpfen kann.
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Anders verhält es sich mit dem so genannten „englischen Boxen“, das sich
im 18. und 19. Jahrhundert zu einer Zeit in England entwickelt hat, in der der
Sport zu dem wurde, was wir heute kennen. Hier lässt sich quasi die erste
Station des Boxens im sportlichen Sinne festmachen. Boxen verliert die
Zweckbindung an das Militärische. Durch die Einführung eines Regelwerks,
das die Kontrahenten wesentlich besser vor ernsthaften Verletzungen
schützt, werden die Gefahren zwar nicht ausgeschlossen, aber dennoch eingedämmt.
Dieser ersten Station folgen weitere, die die, mit dem Boxsport verbundenen
Gefahren, zunehmend eindämmen. So lässt sich eine Art Transformation
vom zweckgebundenen, kämpferischen Faustkampf zum zweckungebundenen
und spielerischen Boxsport festmachen. Das Spielerische im Boxsport
muss unter gewissen Einschränkungen gesehen werden. Es fällt schwer,
vom spielerischen Charakter einer Sportart zu sprechen, bei der der Gegner
absichtlich verletzt wird. Dennoch spricht Diem (1960, S. 6) im Zusammenhang
mit dem Boxsport von einem „Spiel des Erwachsenen“. Nahezu jeder
Sport hat seine Schmerzgrenzen. Selbst dem Schachspieler wird nach einer
mehrstündigen Partie der Rücken oder der Kopf Schmerzen bereiten.
Die Schmerzen und der Grad der Verletzungen sind im Boxsport von zahlreichen
Faktoren abhängig und werden individuell wahr genommen. Das
Leichtkontaktboxen birgt, wie bereits erwähnt, ein sehr geringes Verletzungsrisiko.
Dies liegt in der Natur des Regelwerks. So wird der Sieg nicht dadurch
errungen, dass der Gegner kampfunfähig geschlagen wird, sondern indem er
durch das Touchieren der vorgeschriebenen Trefferflächen im Punkteverhältnis
am Ende des Kampfes vorne liegt. Allein die Tatsache, dass die
Kampfdauer zeitlich festgelegt ist, zeichnet den modernen Charakter der
Sportart Boxen aus.
Als noch zu Beginn des englischen Boxens gekämpft wurde, bis einer der
Kontrahenten nicht mehr dazu in der Lage war, so ist die Kampfdauer bei
Profis wie bei den Amateuren festgelegt.
Der damit verbundene Prozess der Humanisierung, scheint im Leichtkontaktboxen
eine Form erreicht zu haben, die es aus moralisch-ethischer Per-
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spektive durchaus zulässt, ohne Bedenken an diese Sportart heran zu gehen.
Würde man das Leichtkontaktboxen als kritisch bezeichnen, müsste
man dies auch mit der Sportart Fechten tun.
Elias & Dunning (2003, S. 46) sehen in der Entwicklung des Boxens eine
„Zunahme an Sensibilität“, welche sich neben der Einführung von immer
strengeren Regeln, Boxhandschuhen und Boxklassen (Gewichtsklassen)
äußert. In der Antike fand lediglich die Unterscheidung zwischen Jünglingen
und Männern statt (vgl. ebd., S. 247).
So konnte das Boxen aus seiner ursprünglich kämpferischen Intention in einen
rein sportlichen Rahmen transportiert werden (ebd.). Aus dem Faustkampf
wurde so der Boxsport. Die Versportlichung sowie die weltweite Ausbreitung
des Boxsports, sind für Elias & Dunning (ebd.) ein Beispiel für einen
„Zivilisierungsschub“.
Sie verbinden den Charakter des parlamentarischen Systems mit der Bereitschaft
und der Fähigkeit, Konflikte argumentativ, also rein verbal, austragen
zu müssen. Das parlamentarische System, welches die Standesgesellschaft
abgelöst hat, lebt von der körperlosen Auseinandersetzung. Sie würde nicht
funktionieren, wenn unter den Abgeordneten das Recht des Stärkeren herrschen
würde. Mit „der Kraft des Arguments, der Fähigkeit zur Überzeugung
und der Kunst des Kompromisses“ (ebd., 2003, S. 74) muss der moderne
Mensch kämpfen und sich durchsetzen, um sich innerhalb der bestehenden
Regeln zu bewegen.
Elias & Dunning ziehen die Parallele zum Sport (ebd.). Auch hier ist die
Selbstbeherrschung und die Bereitschaft, sich auf Kompromisse einzulassen
eine wichtige Tugend, die der Sporttreibende erlernen kann und muss. Insbesondere
das Leichtkontaktboxen ringt den Kontrahenten ein hohes Maß an
Selbstbeherrschung ab.
Das sich Durchsetzen im Wettkampf kann nur erfolgen, wenn die Schläge
ohne Härte geschlagen werden. Was also dem Ursprung des Boxens zu Eigen
war – den Gegner mit harten Schlägen auszuschalten – ist hier nicht
erlaubt.
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3. Sozialpädagogischer Nutzen des Boxe Éducative
Der folgende Abschnitt der vorliegenden Arbeit befasst sich mit den Aspekten
des erzieherischen Aspekten, des hier behandelten Themas. Dieser Teil
der Arbeit bildet gewissermaßen den Theorieteil, der sich in drei Hauptbereiche
unterteilt: Beginnend mit den Möglichkeiten der Gewaltprävention, über
das Themenfeld des sozialen Lernens, bis hin zur einer erlebnispädagogischen
Perspektive im erweiterten Sinne.
3.1 Gewalt und Gewaltprävention
3.1.1 Definition von Gewalt und Aggression
An dieser Stelle soll das Thema Gewalt und Gewaltprävention durch Kampfsport
betrachtet werden. Der gewaltpräventive Aspekt durch Kampfsportarten
wird an dieser Stelle deshalb erwähnt, weil es schon zu einem Klischee geworden
ist, das im Kampfsport eben dieses Potential liegt. Doch ebenso finden
sich Stimmen, die vom Gegenteil überzeugt sind und glauben, der
Kampsport sei Motor für die Gewaltbereitschaft.
Es werden theoretische Grundlagen zu diesem Thema angesprochen und
dann im weiteren Verlauf die gewaltpräventiven Möglichkeiten und Grenzen
des Kampf- und vor allem des Boxsports eingegangen.
Der Begriff „Gewalt“ kann auf breiter Ebene diskutiert werden. Die folgenden
Aspekte können in diesem Rahmen sicherlich keine vollständige und lückenlose
Definition des Gewaltbegriffes liefern. Dies hängt vor allem damit zusammen,
dass es keine allgemeingültige Definition gibt, die den Begriff „Gewalt“
ausreichend erklärt. Darüber hinaus hat Gewalt zahlreiche Facetten
und Erscheinungsformen. Sie tritt sichtbar und physisch, aber auch auf anderen
Ebenen auf und wird subjektiv unterschiedlich wahrgenommen.
Galtung (1975, S. 9) teilt die Gewalt in einen „enggefaßten Begriff“ und in
einen „erweiterten Begriff“ ein. Der enge Begriff bezieht sich vor allem auf
materielle Schädigung und auf die Schädigung von Leib und Leben, wobei er
die Tötung als extremste Form von Gewalt sieht (vgl. ebd.). Innerhalb seiner
Definition von Gewalt bezieht sich für ihn der enge Begriff auf die rein physische
Ebene (vgl. ebd., S. 10). Der erweiterte Gewaltbegriff sieht auch in der
bloßen Vermeidbarkeit bestimmter Umstände und der damit verbundenen
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Schädigung ein Vorliegen von Gewalt. Demzufolge prägte Galtung (ebd., S.
12) den Begriff der „strukturellen Gewalt“ und meint damit einen indirekten
Typ von Gewalt, der nicht von einem Individuum ausgeht, sondern von einem
System, welches sich aufgrund von „ungleichen Machtverhältnissen für „ungleiche
Lebenschancen“ sorgt (ebd.).
Neben einem physischen Gewaltbegriff tritt noch die psychische Ebene, die
sich meist durch verbales Verhalten äußert.
Erscheinungsformen sind beispielsweise das Mobbing, Beleidigungen und
Demütigungen. Physische Gewalt kann jedoch auch durch Ignoranz oder
nonverbales Verhalten ausgeübt werden. Doch gleich, welche Art der Schädigung
vorliegt, Gewalt übt immer eine unerwünschte Macht über eine Person
aus und sorgt damit für eine Schädigung (vgl. Gade, 2007, S. 14).
Das Thema Gewalt ist eng verknüpft mit dem der Aggression. Der Begriff
„Aggression“ bedeutet in der ursprünglichen Übersetzung „auf jemanden zugehen
oder auf etwas zugehen“, was zunächst nicht nach einer damit einhergehenden
Gewalthandlung klingt.
Trotz dieser im Ursprung gewaltunabhängigen Bedeutung, wird Aggression
meist als ein negatives Gefühl definiert, welches sich dann durch Gewalthandlungen
äußert, die darauf abzielen, den anderen zu verletzen (vgl.
Weißmann, 2007, S. 13 nach Bründel & Hurrelmann, 1994, S. 23). Selg
(1982, S. 352) definiert „Aggression“ wie folgt: „Eine Aggression besteht in
einem gegen einen Organismus oder ein Oraganismusssurrogat gerichteten
Austeilen schädigender Reize [...]“. Diese „schädigenden Reize“ haben zum
Ziel zu Verletzen, zu Zerstören, zu Beschädigen, aber auch zu beleidigen
und Schmerzen zu verursachen.
Die Begriffe Aggression und Gewalt scheinen sich in ihren Definitionen nicht
sonderlich zu unterscheiden. Das liegt wahrscheinlich einfach daran, dass
sie meist gepaart auftreten. Gewalt im engeren Sinn tritt nie ohne Aggression
auf und Aggressionen verursachen meist auch Formen von Gewalt im engeren
Sinne. Dennoch lässt sich der Begriff der „Aggression“ nicht einfach auf
eine rein negative Ebene bringen.
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Fromm (1988, S. 14) unterscheidet daher die Aggression zum einen in die
oben bereits angesprochene Form, aber auch in eine „gutartige [Form] der
Aggression“. Unter der „gutartigen Aggression“ versteht er eine grundlegende
Eigenschaft, die und dazu befähigt, uns im Bedrohungsfalle zu verteidigen
(vgl. ebd. S. 207f). So wird die Aggression zu einem lebenserhaltenden
Grundgefühl, welches nach Fromm (ebda. S. 219) neben dem Angriff auch
die Flucht als Option der Verteidigung zulässt.
Während beim Tier die jeweilige Veranlagung der Tierart darüber entscheidet,
ob es flüchtet oder sich in einer Stresssituation zur Wehr setzt, kann sich
der Mensch entscheiden.
Die Fähigkeit, sich zu entscheiden, wird dabei durch Manipulationen unterschiedlichster
Art beeinflusst (vgl. Weißmann, 2007, S. 17). Fromm (1988, S.
223) nennt in diesem Zusammenhang Ängste als eine Triebfeder für Aggressionen.
Im aggressiven Verhalten sieht er die Möglichkeit, den „passiven Zustand
der Angst“ zu verlassen (ebd.).
Im Folgenden werden verschiedene Theorien dargestellt, die sich mit der
Aggression beschäftigen. Aggression kann aus verschiedenen Perspektiven
betrachtet werden. Daher finden sich neben den soziologisch geprägten Auseinandersetzungen,
auch psychologische und biologische Ansätze zur Beschreibung
und Erklärung.
Die nachfolgend aufgeführten Modelle sind diejenigen, die sich regelmäßig
im Literaturkontext der Gewaltprävention finden.
3.1.2 Erklärungsmodelle für Aggression
3.1.2.1 Die „Dampfkessel-Theorie“
Der Tierverhaltensforscher Konrad Lorenz ist zusammen mit Sigmund Freud
einer der Hauptvertreter der Triebtheorie. Beide sehen im aggressiven Verhalten
weniger die Beeinflussung äußerer Reize.
Nach Lorenz' Auffassung ist die Aggressivität „ein Trieb, der durch eine ständig
fließenden Energiequelle gespeist wird und nicht notwendigerweise das
Resultat einer Reaktion [kursiv im Original] auf äußere Reize ist“ (Fromm,
1977, S. 33). Lorenz sieht in der Aggression die Entladung dieser angestauten
Energien. Bestimmte Reize sorgen für diesen Vorgang. Während er im
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Tierreich das Entladen der Aggression als arterhaltend beurteilt, betrachtet er
es beim Menschen weitaus kritischer. Kritisch deshalb, weil sie spontan abläuft
und daher schwer zu kontrollieren ist (Lorenz, 1983, S. 54). Hingegen
wäre nach seiner Auffassung die Aggression als Reaktion auf bestimmte
Umstände besser zu kontrollieren, da man die Umstände, die aggressives
Verhalten verursachen, „erforschen und ausschalten“ könnte (ebd., S. 55).
Nach dieser Auffassung wurde der Begriff der „Dampfkessel-Theorie“ entwickelt.
Analog zu einem Dampfkessel, in dem die Hitze für einen Überdruck im
Kessel sorgt, welcher sich dann durch ein geöffnetes Ventil entlädt, ist der
Aggressionstrieb die Hitze, die für die Entstehung der Aggressionen verantwortlich
ist und die Reize stellen das Ventil dar, durch das sich die Reize entladen
können. Eindeutige Belege, die diese Theorie bestätigen, gibt es nicht.
Dennoch kann Lorenz für seine Triebtheorie keine eindeutigen Belege nennen
(vgl. Stärk, 2007, S. 16).
3.1.2.2 Frustrations-Aggressionstheorie
Eine weitere Aggressionstheorie, die oft im Zusammenhang mit dem Sport
genannt wird, ist die Frustrations-Aggressionstheorie. Sie wird in der Literatur
auch als Hypothese statt als Theorie bezeichnet. Im Gegensatz zur Triebtheorie
geht sie von einem reaktiven Verhalten aus (Selg, 1972, S. 11) Dieser
Theorie zu Folge entsteht Aggression dann, wenn ein Ziel vereitelt wird, also
wenn Frustmomente auftreten (vgl. ebd.). Selg nennt den Kernsatz dieser
Theorie, indem er Dollard zitiert: „Aggression ist immer eine Folge von Frustration“
(ebd.). Weiter heißt es an gleicher Stelle: „Frustration führt immer zu
einer Aggression.“ Die Aggression richtet sich dann nicht selten gegen Unbeteiligte.
Sie wird also umgeleitet. Weißmann (ebd.) zitiert das Beispiel einer
Schülersituation, bei der ein Schüler gewalttätig einem anderen Schüler gegenüber
begegnet, weil er sich einer starken Lehrerpersönlichkeit gegenüber
lächerlich gemacht fühlt. So entlädt sich der Frust, der durch eine ihm überlegene
Person entstanden ist, auf eine, die ihm unterlegen ist. Was nun entstehen
kann, ist eine Kettenreaktion.
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3.1.2.3 Lerntheoretisches Modell
Der lerntheoretische Ansatz geht davon aus, dass aggressives Verhalten
durch Beobachten und Bekräftigung erlernt wird. Zahlreiche Experimente
bestätigen dies (vgl. Stärk, 2007, S. 19). Stärk (ebd.) bezieht sich auf ein Beispiel
von Nolting (2004, S. 113), der in der Belohnung von aggressiven Verhalten
die Steigerung desselben beobachtet hat und daher diesen Vorgang
mit einem Erfolgslernen begründet.
Also ähnlich dem, was in der Pädagogik als „positive Verstärkung“ bezeichnet
wird. Stärk (2007, S. 20) nennt bezüglich des Sports das vorsätzliche
Foulspiel, welches dann eher wiederholt wird, wenn es nicht vom Schiedsrichter
gesehen wurde und damit auch nicht geahndet wird. Umgekehrt geschieht
das mit einem Foulspiel, dass mit einer Strafe geahndet wird. Die
Ahndung wirkt dann eher abschrecken seine regelverletzende Handlung zu
wiederholen.
Aggressives Verhalten ist also nach der lerntheoretischen Auffassung ein
Nachahmen aufgrund des Erfolges eines beobachteten Modells. Mit Modell
sind hier Bezugspersonen, meist Eltern gemeint. Ihr Verhalten wird modellhaft
übernommen. Aggressives Verhalten bekommt demnach ein allgemein
soziales Erscheinungsbild. Es bezieht sich nicht in erster Linie auf ein Individuum,
welches in sich den Keim für Aggressionen trägt, so wie es die Triebtheorie
darstellt, sondern es betont vielmehr die Rolle des prägenden Umfeldes.
Aggressives Verhalten kann demnach nur dann eingedämmt werden,
wenn es nicht vorgelebt wird (vgl. Stärk, 2007, S. 20).
3.1.3 Gewalt an Schulen
Betrachtet man die allgemeinen Statistiken zum Thema Gewalttaten, kann
man feststellen, das beispielsweise die Delikte der Körperverletzung von
1993 bis 2003 um fast 60% zugenommen haben, während die vollendeten
Sexualmorde um 38% gesunken sind. Interessant hierbei ist, dass nach Bevölkerungseinschätzung
die Sexualmorde drastisch (um 259%) gestiegen
sind.
Bei der Körperverletzung stimmen die Einschätzungen mit den tatsächlichen
Zahlen fast überein (vgl. Lange & Leffler, 2010, S. 13). Sicherlich prägen die
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Medien die Entstehung des jeweiligen Bildes bei der Bevölkerung. Doch wie
es tatsächlich an deutschen Schulen und damit verbunden unter Kindern und
Jugendlichen um das Thema Gewalt bestellt ist, muss genauer betrachtet
werden.
Allgemein zeigt die aktuelle Statistik des Bundesministerium des Innern
(2011, S. 9), dass die Gewaltdelikte 2010 – ebenso wie bereits in 2009 – insgesamt
zurückgehen.
Dies betrifft vor allem die Fälle der schweren Körperverletzung, während die
Fälle der leichten, vorsätzlichen Körperverletzung leicht gestiegen sind. Obwohl
die Zahlen eine tendenzielle Rückläufigkeit aufzeigen, darf man den
drastischen Anstieg in punkto gefährliche und schwere Körperverletzung auf
ca. 100% von 1992 bis 2008 nicht ausblenden. An den Schulen kann von
1993 bis 2003 ein Rückgang der Unfälle durch das Raufen festgestellt werden
(vgl. Lange & Leffler, 2010, S. 33). Pro 1000 Schüler wurden 1993 noch
15,5 Raufunfälle registriert, 2003 sank die Zahl auf 11. Die „Gewaltspitze in
der Zeit der Pubertät liegt bei den 13-15jährigen“ (Weißmann, 2007, S. 34.),
vor allem unter den männlichen Schülern.
Das die Gewalttaten unter Jugendlichen zurückging, bestätigt auch eine
Wiederholungsbefragung, die in Stuttgart, München, Hannover und Schwäbisch
Gmünd durchgeführt wurde. Nach dieser Befragung sind die Delikte
um ein Sechstel gesunken (vgl. ebd. S. 68).
Trotz dieser statistischen Erhebungen ist Vorsicht geboten, sich daraus ein
vorschnelles Urteil zu bilden.
Die Gewalterscheinung, wie sie sich im allgemeinen Bild zeigt, scheint auf
die Schule übertragbar zu sein. Das von den Medien dargestellte Ausmaß
der Gewalt scheint nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten überein zu
stimmen (vgl. Weißmann, 2007, S. 30 nach Schubarth, 2000, S. 73). Weißmann
(2007, S. 32) stellt nach der Auswertung zahlreicher Studien fest, dass
die Mehrzahl der Schüler nicht als gewalttätig oder gewaltbereit zu bezeichnen
ist.
Dies träfe lediglich auf 3-4% zu. Ebenso beruft sich Bach (2010, S. 95) auf
eine Studie, die an ostdeutschen Schulen belegen konnte, dass die Aggres-
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sionen an den Schulen nicht gestiegen sind. Dennoch weist er darauf hin,
dass sich das Aggressionsproblem an Schulen auf einem hohen Niveau bewege.
Ein Aspekt, der die statistischen Erhebungen relativiert, denn ein hohes
Maß an Gewalt und Aggression kann nicht als positiv eingestuft werden,
nur weil es sich nicht verschlimmert. Es bleibt dennoch ein Problem, das
Gewalt- und Aggressionsverhalten der Kinder und Jugendlichen an Schulen
eindeutig zu messen und im Vergleich darzustellen.
Bach (ebd.) merkt an, dass zu wenige Studien über dieses Thema existieren,
die ein wirklich aussagekräftiges Bild abgeben könnten. Es herrscht also Uneinigkeit
und die Meinungen gehen diesbezüglich auseinander.
Neben die körperliche Gewalt tritt die nicht minder destruktive verbale.
Weißmann (2007, S. 31) erwähnt die Einigkeit der Studien bezüglich diesen
Aspekts. Das hohe Maß an verbaler Gewalt in Form von Beschimpfungen
wird als ernstzunehmendes Problem gesehen. Während also Uneinigkeit
über Ausmaß und Entwicklung von körperlichen Gewalttaten an Schulen
herrscht, so wird die verbale Gewalt einheitlich als bedenkliches Problem
gesehen.
Trotz der Uneinigkeiten dürfen die Zahlen und Ergebnisse der Studien nicht
dazu führen, dass der Handlungsbedarf in Frage gestellt wird. Zudem muss
angemerkt werden, dass das subjektive Empfinden des Gewaltphänomens
an Schulen von Lehrern wie von Schülern als tendenziell steigend empfunden
wird.
3.1.4 Faktoren der Gewalt an Schulen
Die Schule ist ein Ort, der in sich ein breites Spektrum von Faktoren birgt, die
Aggressionen und damit verbunden, gewalttätige Handlungen hervorbringen
kann. Schule ist aber auch einer der Orte, an denen sich auch die außerschulischen
Aggressionsfaktoren in ihrer Auswirkung, in Form von Gewalttaten,
präsentieren.
Ein schulimmanenter Faktor stellt schon allein die Schulform dar. So finden
sich an den Sonderschulen, statistisch gesehen, die meisten Gewalttaten.
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gefolgt von der Hauptschule 1 . Das Schlusslicht bilden die Gymnasien (vgl.
Weißmann, 2007, S. 34).
Als schulinterne Faktoren eröffnet sich ein weites Feld. So ist neben der
Schulhof- und Gebäudegestaltung, auch die Unterrichtsgestaltung, Lehrerpersönlichkeit
und die Gesamtorganisation der Schule zu nennen.
Gade (2007, S. 14) spricht in diesem Zusammenhang das Machtverhältnis
zwischen Schüler und Lehrer an. So könne bei entsprechendem Verhalten
des Lehrers eine Situation für den Schüler entstehen, die er als Gewalt empfindet
(vgl. ebd., S. 15). Eine überzogene Fremdbestimmung des Lehrers
dem Schüler gegenüber, nimmt dem Schüler einen gewissen Freiraum und
die dadurch erfahrene Einengung kann als Gewalt bezeichnet werden. Demzufolge
können die schülerinternen Machtkämpfe zum einen als Ausübung
von Gewalt bezeichnet werden, weil sie die gegenseitige Unterdrückung zum
Ziel haben und zum anderen sind zu zusätzlich als Auslöser oder Ursachen
für Gewalthandlungen selbst zu sehen.
Heinz (2010, S. 52) sieht in schlechten schulischen Leistung einen weiteren
Faktor, der bei den betroffenen Schülern die Gewaltbereitschaft steigen lässt.
Die persönliche Gewalterfahrung wird von ihm als weiterer Hauptfaktore genannt.
So fördert zum einen die elterliche Gewalt zu Hause ebenso die Gewaltbereitschaft,
wie die Erfahrung, selbst Opfer einer Gewalttat geworden zu
sein. Die Schule kann sicherlich als ein, im negativen Sinne, idealer Ort bezeichnet
werden, an dem Kinder und Jugendliche diese Erfahrung machen.
Auch ist ein Jugendlicher, der aus einem Elternhaus stammt, in dem Gewalt
nicht missbilligt wird, eher gefährdet, gewalttätig zu werden (vgl. ebd.). Neben
den extrinsischen Faktoren nennt er das Temperament, was allerdings
auch von den äußeren Umständen geformt und beeinflusst wird. Die häufig
vorgebrachte Vermutung, dass der Migrationshintergrund als eine Hauptursache
für eine verstärkte Gewaltbereitschaft zu sehen sei, wird von Heinz
(ebd.) negiert. Nicht die Herkunft entscheidet über mehr oder weniger Gewaltbereitschaft,
sondern die oben genannten Faktoren. Wenn dabei Kinder
1 Seit dem Schuljahr 2009/2010 werden in Rheinland-Pfalz die Realschulen und die Hauptschulen
zusammengefasst und als Realschule plus bezeichnet. Von daher müssen die statistischen Werte diesbezüglich
an die veränderte Situation angepasst werden.
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und Jugendliche mit Migrationshintergrund eher betroffen sind, liegt dies keine
ethnischen Ursachen, sondern soziale.
3.1.5 Gewaltprävention durch Kampf- und Boxsport
Gewalt mit Kampfsport einzudämmen oder gar zu verhindern, klingt zunächst
wie die Forderung, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Dennoch
treten immer häufiger zahlreiche Projekte mit dem Ziel, den Kampfsport als
Mittel zur Gewaltprävention einzusetzen, zu Tage. Es gehört zu den klassischen
Klischees des Boxsports, das er das Potential besitzt, aus dem unkontrollierten
und unkontrollierbaren Straßenschläger einen Menschen zu
machen, der seine Aggression im Ring auslebt und dadurch zu einem gesellschaftsfähigen
Menschen wird.
Die Möglichkeiten, die dem Kampfsport zugesprochen werden, können auf
das vermeintliche Potential des Sports im Allgemeinen übertragen werden.
So wird der Sport wird nicht selten als das Mittel der Sozialisation und der
Eindämmung von aggressiven Verhalten gesehen. Für den Kriminologen
Pfeiffer beispielsweise stellt der Sport eine „Schutzimpfung“ gegen Gewalt
dar (vgl. Hofmann, 2010, S. 115). Doch es würde die Komplexität der Gewalt
in ihren unterschiedlichsten Erscheinungsformen unterschätzen, beriefe man
sich lediglich auf die Katharsistheorie, die im Sport eine Möglichkeit sieht,
überschüssige negative Energie abzubauen. Sport kann konstruktiv wie destruktiv
wirken. Er kann das soziale Miteinander fördern, kann aber ebenso
gut im Bereich des Leistungssports die „Übernahme von egoistischen Handlungsformen“
fördern (ebd.). So kann der Sport zu einem Abbau der Aggressionen
beitragen, kann sie aber auch fördern (vgl. ebd., S. 116). Hofmann
(2010, S. 118) hat in einer eigenen Studie gezeigt, dass der Grad der körperlichen
Gewaltanwendung nur geringfügig mit dem sportlichen Engagements
in Verbindung gebracht werden kann. Ein Unterschied findet sich lediglich
auf Geschlechterebene.
Hofmann (2010, S. 122) bezieht sich auf eine weitere Studie, die zu dem Ergebnis
kam, dass Mobbing – also psychische Gewalt - vor allem von sportengagierten
Jugendlichen aus dem Hochleistungssport ausgeht.
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Physische Gewalt findet sich vor allem unter den Spielsportlern mit Körperkontakt,
während sich bei den Individualsportlern ohne Körperkontakt das
geringste physische Gewaltpotential gezeigt hat.
Hofmann kommt zu dem Schluss, dass es nicht empirisch belegbar ist, dass
der Sport ein gewaltpräventives Potential mit sich bringt. Er sieht den stärksten
Faktor für die Gewaltprävention mehr auf der Beziehungsebene der Jugendlichen
zu den Eltern. Auch ein gutes Selbstwertgefühl ist nach den Ergebnissen
der Studie ein wesentlich höherer Faktor als der Sport an sich
(ebd., S. 121). Dennoch geht er davon aus, dass das Sportengagement zu
einer Verbesserung des Selbstwertgefühls beitragen kann. Demnach wäre
nicht das Sporttreiben selbst diejenige Größe, die die Gewaltbereitschaft eindämmt.
Sport kann jedoch als eine Art Plattform für sozialfördernde Maßnahmen
gesehen werden, die zu einer Verbesserung des Selbstbildes und
damit verbunden auch zu einer Verbesserung des Sozialbildes führen kann.
Eine Minderung der Gewaltbereitschaft würde in der Konsequenz daraus
entstehen.
Ebenso sieht Stärk (2007, S. 85) im Sportunterricht eine Möglichkeit im Zusammenhang
mit der Gewaltprävention. Dies verlangt jedoch bestimmte
Voraussetzungen auf methodischer und didaktischer Ebene (vgl. ebd.). Darüber
hinaus sieht sie in erster Linie die Behandlung der Primärursachen der
Gewalt als Maßnahme mit Langzeitwirkung. Sie beruft sich diesbezüglich auf
Pilz (2000, S. 188) und macht darauf aufmerksam, dass grundlegende Verhaltensänderungen
auch einer Änderung der dafür verantwortlichen Strukturen
bedarf.
Was nun den Boxsport und den Kampfsport im Allgemeinen angeht, so können
sicherlich die oben angesprochenen Aspekte darauf übertragen werden.
Eine Studie von Brettschneider, Brandl-Bredenbeck und Hofmann, 2005, hat
gezeigt, dass der jugendliche Kampfsportler im Vergleich zu anderen Sportarten
tendenziell eher zur physischen Gewalt tendiert. Wie die Abbildung
zeigt, befindet sich der Unterschied zwischen den einzelnen Sportarten zwar
in einem eher geringen Ausmaße, dennoch lässt sich eine Abstufung festmachen.
Während die Individualsportler mit Körperkontakt – also die Kampf-
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sportler – die Spitzenposition einnehmen, befinden sich die Mannschaftssportler
ohne Körperkontakt (Volleyballer) auf dem untersten Platz der Skala.
Relativ dicht auf die Gruppe der Individualsportler mit Körperkontakt folgen
die Mannschaftssportler mit Körperkontakt. Es scheint als seien die entscheidenden
Faktoren der Individualsport und der Körperkontakt. Ob sich
nun Jugendliche mit einem gesteigerten Hang zur Gewaltbereitschaft für die
entsprechenden Sportarten entscheiden oder ob die Sportarten dafür verantwortlich
sind, ergibt sich im Rahmen der Studie nicht.
Dennoch muss das Ergebnis der oben genannten Studie schon allein deshalb
ernst genommen werden, weil die weit verbreitete Meinung genau diese
Tendenz für eine Regel hält. Demnach sind Menschen, die Kampfsport
betreiben im Allgemeinen gewaltbereiter als andere Sporttreibende. Um dennoch
eine Lanze für den Boxsport zu brechen, soll Lothar Kannenberg, Begründer
des Projektes „Durchboxen“, zu Wort kommen und aus seiner Erfahrung
berichten. Er sieht in der Ausübung des Boxsports nicht die Gefahr,
dass Jugendliche zu mehr Gewalt neigen. In einem Interview vermerkt er:
„Wer behauptet, durch das Boxtraining lernen Gewalttätige jetzt auch
noch effektiver zu schlagen, dann ist das aus meiner Sicht falsch. Die
Aggressionen habe ich in mir, mit oder ohne Boxen und wenn ich mich
geschlagen habe, war es egal ob [ich] die Techniken konnte oder nicht“
(Leffler, 2010, S. 130).
Zum Thema „Gewaltprävention durch Kampfsport“ lassen sich gegensätzliche
Perspektiven ausmachen, die sich auf Studien, Statistiken oder auf Erfahrungswerte
beziehen. Die oben erwähnte Studie erfasst beispielsweise
nicht, ob sich diejenigen Jugendlichen, die ohnehin ein Problem mit Aggression
und Gewalt haben, gerade für den Kampfsport interessieren und eben
nicht für Volleyball. Umgekehrt ist es wahrscheinlich, dass ein Jugendlicher,
der die körperliche Auseinandersetzung per se ablehnt, für Volleyball entscheidet.
Ebenso ließe sich die Aussage Kannenbergs relativieren, indem
man ihm vorwerfen könnte, er verallgemeinere seine persönlichen Erfahrungen.
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Ob der Boxsport, gleich auf welche Art er angeboten wird, einen besonderen
Vorteil in Sachen Gewaltprävention darstellt, kann an dieser Stelle noch nicht
eindeutig gesagt werden. Dennoch soll noch eine wichtige Unterscheidung
bezüglich der gewaltpräventiven Tauglichkeit zwischen den Kampfkünsten
und dem Kampfsport Erwähnung finden.
Da die Kampfkünste vor allem die Selbstverteidigung im Fokus ihrer Ausbildung
haben, und dadurch auch ein Schwerpunkt darauf liegt, Schlaghemmungen
zu verlieren, sieht Barnickel in erster Linie den Kampfsport als das
bessere Mittel der Wahl zur Gewaltprävention (ebd., S. 12). Er begründet
diese Auffassung mit der Tatsache, dass gewaltbereite Jugendliche ohnehin
kaum Schlaghemmungen besitzen, was dazu führen könnte, dass die Vermittlung
von gefährlichen Schlägen, wie es bei den Kampfkünsten der Fall
ist, das Problem vergrößern kann, als es zu lösen. Der Kampfsport, so Barnickel
(ebd.), biete im Gegensatz zu den Kampfkünsten ein begrenztes Repertoire
an anwendbaren Techniken. Diese Einschränkung zeigt, dass der
Kampfsport nicht das gleiche Potential besitzt wie eine Kampfkunst, sich in
einem Kampf ohne Regeln behaupten zu können – was im Grunde auch nie
das Ziel sein darf. Der Boxsport, gleich in welcher Form, ist relativ engen Regeln
unterworfen. Neben der erlaubten Schlagfläche, dürfen die Schläge nur
mit einer bestimmten Schlagfläche erfolgen. Dies schließt Schläge mit der
Innenhand oder dem Handrücken aus. Auch sei hier angemerkt, dass ein
sauber ausgeführter Boxschlag auf knöcherne Schädelpartien unweigerlich
zu Verletzungen des Schlagenden selbst führt, was nichts anderes bedeutet,
dass der Schöpfer die Hand nicht für Faustschläge entworfen hat. Dies ist
der Grund, warum die Kämpfer in der Antike Lederriemen um ihre Faust wickelten.
Nur so hatten sie einen gewissen Schutz, der bei harten Schlägen
die komplexen, knöchernen Strukturen der Hand stabilisierten. Und dies ist
auch der Grund dafür, dass der moderne Boxer, neben den Bandagen, noch
gut gepolsterte Handschuhe trägt. Der Boxsport ist in seiner modernen Form
also nicht oder nur bedingt als Form der Selbstverteidigung zu sehen, denn
der Handschuh schützt nicht nur gegen eigene Verletzungen, sondern auch
vor Verletzungen, die durch die Abwehr von Schlägen des Gegners erfolgen
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können. Eine Doppeldeckung mit bloßen Fäusten könnte nur sehr eingeschränkt
den Schädel und das Gesicht schützen, würde aber unweigerlich zu
schweren Verletzungen der Hand und des Unterarms führen. Zudem stellt es
eine brutale Art der Selbstverteidigung dar, einen Angreifer mit bloßen Fäusten
ins Gesicht zu schlagen.
3.1.6 Die Zielgruppe
Aus den oben genannten Faktoren könnten nun Rückschlüsse auf die Zielgruppe
gezogen werden, die erreicht werden soll.
Demnach müsste man sich auf die Zielgruppe der männlichen, 13-15jährigen
Haupt- oder Sonderschüler mit schlechten schulischen Leistungen und strukturschwacher
Herkunft beziehen. Doch nur, weil bestimmte Gruppen weniger
Gewaltbereitschaft zeigen wie die oben genannte Zielgruppe, bedeutet das
nicht, dass hier keine Aggressionen vorlägen, welche sich in Gewalthandlungen
widerspiegeln. Nicht zu unterschätzen ist auch die Art und Weise wie
sich Aggressionen entladen. So gibt es sicherlich zahlreiche Kinder und Jugendliche,
die sich permanent auf niedrigem Niveau prügeln. Sie verhalten
sich in der Verarbeitung ihrer Aggressionen extrovertiert. Sie äußern sich
unmittelbar nach Frusterfahrungen oder anderen negativen Gefühlen und
lassen diesen freien Lauf. Nach der oben beschriebenen Dampfkessel-
Theorie könnte man sagen, sie warten nicht bis der Kessel zu platzen droht,
sondern sie suchen sich sehr schnell ein geeignetes Ventil. Anders sieht es
bei denjenigen aus, die selten ihren Gefühlen Ausdruck verleihen. Sie verdienen
vielleicht mehr Beachtung, da nicht erkennbar ist, was in ihnen vorgeht.
Gleichgültigkeit, eine Art seelische Gelähmtheit, die sie in ihren Gefühlsäußerungen
behindert oder einfach eine persönlichkeitsbedingte Introvertiertheit
können die Ursachen sein. Die Gefahr bei diesen Kindern und
Jugendlichen besteht darin, dass sich ihr Ärger und Frust auf einem höheren
Niveau entlädt.
Diesen Überlegungen zu Folge soll sich das Konzept des Boxe Éducative
nicht klischeemäßig auf eine bestimmte Zielgruppe fokussieren, die statistisch
gesehen eine größere Neigung zur Gewaltbereitschaft aufweist. Vielmehr
kann das Konzept genutzt werden, einem breiten Spektrum Raum zu
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geben, sich mit einer Sportart zu beschäftigen, die auf Viele einen faszinierenden
Reiz ausübt. Die Zielgruppe sind beispielsweise diejenigen, die ihre
Motivation für die klassischen Sportarten wie Fußball, Handball oder Leichtathletik
verloren haben, weil sie im Vergleich nicht mithalten können. Der
Boxsport eröffnet ihnen die Möglichkeit, in Punkto Sport einen neuen Weg zu
finden, der sie aus der Sportfrustration herausführt und dazu beitragen kann,
ihre Motivation für das Sporttreiben zu steigern. Die damit verknüpften Erfolgserlebnisse
bergen schon in sich ein gewaltpräventives Potential.
3.2 Soziales Lernen durch Kampf- und Boxsport
Im Wettkampf scheint kein Platz für Sympathien zu sein. Der Betrachter eines
Boxkampfs bekommt vielleicht den Eindruck, dass die Einhaltung der
Regeln für die aggressiven Kämpfer schon das Höchste der Gefühle darstellt.
Es kann nicht bestritten werden, dass es dieses Phänomen gibt und
dennoch zeigt sich nach vielen energisch geführten Kämpfen immer wieder,
wie respektvoll sich die Kämpfer nach dem Kampf begegnen. Dieser gegenseitige
Respekt kommt sicherlich nicht von ungefähr und es stellt sich die
Frage, inwiefern das Boxtraining selbst Komponenten enthält, die soziale
Kompetenzen wie Respekt oder Empathie fördern. Ebenso muss der Frage
nachgegangen werden, welche Aspekte der Persönlichkeitsentwicklung der
Boxsport bedienen kann.
Welchen Beitrag der Kampfsport und insbesondere der Boxsport in Gestalt
des Leichtkontaktboxens im Kontext des sozialen Lernens, und damit eng
verbunden mit der eigenen Persönlichkeits- und Charakterbildung zu leisten
im Stande ist, soll an dieser Stelle behandelt werden.
3.2.1 Kooperative Aspekte im Boxsport
Boxsport wird meist mit Seilspringen, Sandsacktraining oder Schattenboxen
in Verbindung gebracht. Doch neben den Einzelübungen sind die zentralen
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Bestandteile des Boxtrainings Partnerübungen und der freie Kampf, also das
Sparring 2 .
Der kooperative Aspekt beim Boxen kann auf drei Bereiche hin betrachtet
werden: Die Partnerarbeit, das Sparring und der Wettkampf selbst. Dass
Partnerarbeit mit Kooperation zusammenhängen muss, verrät schon der
Name. Das Sparring in Verbindung mit Kooperation zu nennen, ist sicherlich
schon in weitaus größerem Maße erklärungsbedürftig. Dem boxerischen
Wettkampf in eine kooperative Relation zu stellen, kann als gewagt bezeichnet
werden.
Binhack hat sich dem Phänomen des Kampfes im Allgemeinen aus einer
Perspektive heraus genähert, die dem Kooperationsgedanken im Prozess
des Kämpfens eine tiefenpsychologische Richtung geben. Er deutet in diesem
Zusammenhang auf ein Phänomen hin, das sich in vielen alten Sprachen
findet. Neben der grammatischen Form des Plurals tritt die eigenständige
Form des Duals. Die Zweizahl kann zum einen als eine kooperativ intendierte
Einheit und zum anderen auch als antagonistisch betrachtet werden
(vgl. Binhack, 2010, S. 142). Kämpfen kann auch als ein gegenseitiges Reiben
gesehen werden. Hier bedarf es eben dieser Zweisamkeit als kleinste
Einheit. Wenn das Gegenüber zur Herausforderung wird, beginnt der Kampf
im erweiterten Sinn. Eigene Grenzen müssen dann reflektiert und gegebenenfalls
überwunden werden. Dem Gegenüber müssen hingegen die eigenen
Grenzen aufgezeigt werden. In jeder Beziehung, gleich auf welcher E-
bene, kann das gegenseitige Reiben als eine Art Kampf verstanden werden.
Die Auseinandersetzung bildet eine Grundlage, die eine entscheidende Notwendigkeit
für unsere Entwicklung darstellt. Sie stellt auch ein ureigenes
menschliches Bedürfnis dar.
Binhack (ebd.) holt in seinen Überlegungen weit aus und erwähnt in diesem
Zusammenhang, die mythischen Überlieferungen, die von einer paradiesischen
Einheit sprechen, welches dann jedoch durch ein Spannungsverhältnis
zerbrach. Die Sehnsucht und die damit verbundene Suche nach Wieder-
2 Der Begriff „Sparring“ wird im Deutschen auch als „freier Kampf bezeichnet“. In der vorliegenden
Arbeit werden beide Begriffe synonym verwendet.
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herstellung dieser Einheit stellt ein menschliches Grundbedürfnis dar. Die
Auseinandersetzung mit sich selbst und mit dem Gegenüber sind entscheidende
Pfeiler auf denen diese Wiederherstellung gegründet ist. Das Kämpfen
kann demnach als eine Erscheinungsform der Seele gesehen werden,
die in der Auseinandersetzung eine Lösung für dieses Problem sucht.
Neben der Beschäftigung mit dem Gegner gehört zum Kämpfen vor allem
auch die Auseinandersetzung mit sich selbst. Der Prozess des Kämpfens
kann nur funktionieren, wenn die Auseinandersetzung auf beiden Ebenen
stattfindet. Lange schreibt in diesem Zusammenhang: „Das Kämpfen ist so
gesehen ein hoch komplexer dialogischer Prozess, in dem die Kämpfer ü-
beraus situativ und zugleich auch höchst sensibel und reflexiv handeln müssen“
(2010, S. 205). Der „dialogische Prozess“, bezogen auf die oben gemachten
Ausführungen, findet dabei auf einer impliziten Ebene statt. Die Aktion
des Kämpfens selbst ist der Dialog.
Während für den kampfsportlichen Wettkampf die Ebene des Unterbewussten
bemüht werden muss, um hier einen positiven Kooperationsaspekt hinein
zu definieren, gestaltet sich das bei den Partnerübungen weitaus leichter.
Die Partnerübungen sind von einer expliziten Kommunikationsebene gekennzeichnet.
Hier müssen sich die Übungspartner gegenseitig korrigieren,
was zwar oft, aber nicht immer, auch auf nonverbaler Ebene möglich ist.
In den Partnerübungen werden Schläge, Schlagkombinationen, Meidbewegungen
oder komplexe Varianten davon eingeübt, im freien Kampf wird versucht,
das Erlernte anzuwenden. Obwohl Boxen zu den Individualsportarten
zählt, ist es nur möglich, diese Sportart zu einer technischen Reife zu bringen,
wenn man die regelmäßige Partnerarbeit pflegt. Bei den Partnerübungen
kommt es nicht darauf an, den anderen hart zu treffen oder zu gewinnen.
Viel wichtiger ist, dass im Miteinander eine fruchtbare Zusammenarbeit entsteht.
Dazu zählen vor allem das gegenseitige Beobachten und Korrigieren
zu den wichtigsten Handlungsformen, um den Lernerfolg zu sichern (vgl.
Austermühle, 1981, S. 19). Eine gute Partnerarbeit kennzeichnet sich demnach
dadurch, dass kommuniziert wird. Stummes Absolvieren einer Bewe-
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gungsaufgabe ist das sicherste Kennzeichen für fehlende Produktivität. Marquardt
betont in diesem Zusammenhang das eine produktive Partnerarbeit
nur dann möglich ist, wenn man die Schüler bereits im Vorfeld verantwortungsbewusst
an den Kampfsport herangeführt hat (vgl. Marquardt, 1998, S.
9). Nur so wären sie in der Lage „den Übungspartner nicht als Gegner, sondern
als Partner wahrzunehmen“ (vgl. ebd.). Durch die Partnerübungen wird
zum einen die Reaktion geschult, zum anderen werden Blockaden für die
Sparringseinheiten abgebaut (vgl. Sonnenberg, 2005, S. 56).
Das Sparring stellt Steigerung zu den Partnerübungen dar und ist wiederum
eine Vorstufe für den Wettkampf. Hier werden die Bewegungsmuster in der
freien Interaktion mit dem Partner 3 geübt und ausprobiert. Das Sparring kann
in verschiedene Intensitätsstufen eingeteilt werden. Im Leichtkontaktmodus
findet sich, auf die Schlaghärte bezogen, die geringste Intensität. Steht ein
Amateur- oder Profiboxer vor einem Wettkampf, absolviert er wettkampfvorbereitende
Sparringskämpfe. Diese werden dann in einer Intensität geführt,
die dem Wettkampf sehr nahe kommen, um ihn an die Wettkampfhärte zu
gewöhnen.
Im Sparring findet sich im Rahmen des Trainings der Aspekt des Kämpfens
am deutlichsten wieder. Hier findet eine freie Interaktion ohne Bewegungsvorgaben
statt. Die bei den Partnerübungen vorhandene Vorausschaubarkeit
fehlt. Es müssen eigene Handlungsmuster entworfen werden und die Voraussetzung
dafür ist die gute Beobachtung und Reflexion des Partners in
Kombination der Abwägung eigener Fähigkeiten.
Obwohl der Partner im freien Kampf mehr zum Gegner wird, als es bei den
Partnerübungen der Fall ist, steht dennoch das partnerschaftliche Miteinander
im Vordergrund. Das Sparring hat nicht zum Ziel, den Übungspartner zu
besiegen, sondern eigenen Schwächen zu erkennen und die Schwächen des
Partners aufzudecken.
3 Es wird hier von „Partner“ gesprochen, weil es zum einen die allgemeine Terminologie des Boxsports
so vorgibt und weil an diese Sichtweise hier im Besonderen angesprochen und thematisch behandelt
wird. Man spricht demnach nicht vom „Sparringsgegner“, sondern vom „Sparringspartner“.
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Besonders eindrucksvoll wird der Prozess im und um das Sparring von Loïc
Wacquant beschrieben. Ein Trainingspartner Wacquants äußert sich zu diesem
Thema folgendermaßen: „Die [Sparringspartner; Anm. d. Verf.] sind da,
um mir zu helfen wie auch ich da bin, ihnen zu helfen“ (kursiv im Original),
(Wacquant, 2003, S. 89).
Wacquant geht in den Betrachtungen seiner persönlichen Erfahrungen mit
dem Sparring noch einen Schritt weiter, wenn er schreibt:
„Wie ich beim häufigen Boxen mit Ashante lernen konnte, sind Sparringspartner
durch eine sehr spezielle körperliche Brüderschaft miteinander
verbunden, die auf den Risiken beruht, denen jeder durch den
Anderen ausgesetzt ist“ (Wacquant, 2001, S. 71).
Die Aktivitäten des Sparrings, und in noch gesteigerter Form der Wettkampfe
sebst, sind der dialogische Prozess selbst. Und genau wie bei der verbalen
Kommunikation, in der bestimmte Regeln beachtet werden müssen und die
nur funktioniert, wenn man sich gegenseitig zuhört, auf Fragen antwortet und
auf Aussagen angemessen reagiert, ist auch die implizite Kommunikation im
Prozess des Kämpfens bestimmten Regeln unterworfen. Dazu gehört beispielsweise,
dass sich die „Kommunikationspartner“ ihren eigenen Emotionen
unterwerfen und sich nicht von ihnen leiten lassen. Auch muss sich ein
Übungspartner im Falle einer Überlegenheit zurückhalten. Er darf die eigene
Überlegenheit nicht auf Kosten des Gegners ausspielen, um dadurch das
Gefühl der Überlegenheit weiter kultivieren zu können. Nur dann kann eine
fruchtbare Kooperation stattfinden.
3.2.2 Respekt im und durch das Boxtraining
Ilho (1981, S. 20) schreibt: „Die Auseinandersetzung mit dem Partner bedingt
ein gutes Partnerverhältnis und kollektives Verhalten.“ Ebenso könnte man
sagen, dass die Bedingung für die Auseinandersetzung mit dem Partner nur
durch ein gutes Partnerverhältnis und die Fähigkeit, sich kollektiv zu verhalten,
möglich ist.
Beobachtet man bei Partnerübungen, in Sparringsituationen oder im Wettkampf
das Verhalten zweier Kontrahenten, lässt sich ein hohes Maß respektvollen
Verhaltens feststellen. Es gehört zum „guten Ton“ im Boxsport, dass
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dem Gegner wie dem Trainer des Gegners nach dem Kampf die Hände geschüttelt
werden, auch Umarmungen sind keine Seltenheit. Lothar Kannenberg
sagt in einem Interview, dass er erst durch den Boxsport, Respekt und
Fairplay gelernt habe:
„Ich habe zum ersten Mal Respekt gefühlt, als ich in einem Boxring alleine
einem anderen gegenüberstand, der genauso alleine war wie ich.
Über den Sport habe ich Respekt erfahren, ich brauchte ihn mir nicht
mehr auf der Straße erkämpfen!“ (Leffler, 2010, S. 130).
Aus dieser Erfahrung heraus, hält Kannenberg den Boxsport als geeignet,
um ein gegenseitig respektvolles füreinander zu entwickeln. Voraussetzung
sei jedoch, dass sich die Jugendlichen selbst und die anderen als wertvoll
empfinden (vgl. ebd.).
Der fehlende Respekt, den Jugendliche oft füreinander empfinden, stellt einen
entscheidenden Hinderungsgrund dar, sich eigene Grenzen zu setzen
und die Grenzen der anderen zu respektieren. Für Kannenberg ist eine entscheidende
Voraussetzung, um den Boxsport betreiben zu können, dass die
Jugendlichen ihr häufig aggressives und impulsives Verhalten Regeln unterwerfen
(vgl. ebd.). Bei Partnerübungen und im Sparring müssen klare Grenzen
definiert werden und es müssen Regeln eingehalten werden (vgl. Marquardt,
1998, S. 9; Leffler, 2010, S. 130). An dieser Stelle ist schon im Vorfeld
Kommunikation nötig. Finden sich gleichwertige Gegner, die sich schon
kennen, minimiert sich diese Herausforderung. Doch Übungspartner, die sich
nicht kennen und wo einer der Beiden boxerisch überlegen ist, muss im Vorfeld
besonders genau geklärt werden, wo die Grenzen sind. Hier kommt vor
allem auch die Rolle des Trainers zum tragen. Marquardt (ebd.) schreibt,
dass er sich oft als Übungspartner zur Verfügung stellt, um möglichen Aggressionen
entgegenwirken zu können. Aggressives Verhalten kann schnell
entstehen, wenn ein überlegener Übungspartner die Grenzen des Schwächeren
nicht respektiert. Als Folge wird die Übung technisch unsauber ausgeführt,
die Schläge werden unkontrolliert und unangebracht hart ausgeführt
und die Stresssituation steigt. Umgekehrt kann es für den boxerisch Unterlegenen
ein sehr bereicherndes Gefühl sein, mit einem stärkeren Gegner Ü-
bungen durchzuführen und mit ihm zu sparren. Nimmt der Stärkere Rück-
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sicht auf den Schwächeren und überfordert er ihn nicht über seine Fähigkeiten
hinaus, kann es für beide zu einer bereichernden Erfahrung werden.
Während der Schwächere dazulernt und sicherlich auch in seinem Selbstbewusstsein
gestärkt wird, erlebt der Stärkere das Gefühl eines Trainers oder
eines Lehrers, der Verantwortung für jemanden übernimmt.
3.2.3 Boxsport und Charakterbildung
Carl Diem betont das charakterbildende Potential des Boxsports. Er spricht
dem Boxen neben der Tugend „sich in Schmerz und Gefahr als stark zu beweisen“
4 die Selbstbeherrschung zu, die den Boxer dazu befähigt, sich entgegen
aufkommender Gefühle wie Zorn, Schmerzen und Erschöpfung, Herr
seiner selbst zu bleiben (vgl. Diem, 1960, S. 7). Der Boxer setzt sich nicht
nur im Wettkampf, sondern auch im Sparring, einer besonderen Situation
aus. Er muss sich selbst der Gefahr entziehen und dabei selber punkten. Er
kommt an körperliche und nicht selten auch an mentale und emotionale
Grenzen. Er muss beispielsweise lernen, mit der Verzweiflung umzugehen,
die ein Gegner in ihm auslösen kann, den er selbst nie trifft, er jedoch ständig
Treffer einstecken muss. Körperliche, aber auch emotionale Grenzen zu erreichen
und sie zu überwinden, stellt ein wichtiger Faktor für die Persönlichkeitsentwicklung
und die Identitätsbildung dar (vgl. Lange, 2010, S. 206).
Für Diem (ebd.) besteht das „Schönheitsideal“ 5 des Boxens, neben der
Selbstbeherrschung und der Kontrolle über aufkommende Emotionen, darin,
dass sich der Boxer zu keiner Hinterlist hinreißen lässt, um zu gewinnen. Die
Vollendung dieser Tugend erhält durch den von Diem (ebd.) zitierten Aphorismus
Giraudoux' besonderen Pathos, wenn dieser schreibt: „Ein Mann erhält
eine Ohrfeige. Er antwortet nicht. Er ist ein Boxer.“ Hier wird ein Charakterzug
beschrieben, welcher für unsere westlich geprägte Moralvorstellung
schon einen gewissen religiösen Stellenwert besitzt. Es kommt der Forde-
4 Diese Aspekte greifen beim olympischen Amateur- und im Profiboxen. Beim Boxen im Leichtkontaktmodus
sollten keine Schmerzen durch Schlagwirkung auftreten.
5 Den Begriff „schön“ verwendet er bezüglich des Spiels. Er übernimmt die Auffassung Aristoteles,
dass der eigentliche Sinn des Spiels, das Schöne ist. So suche sich jeder das Spiel, welches seinem
persönlichen Schönheitsideal entspräche (vgl. Diem, 1960, S. 6f.).
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rung Jesu sehr nahe, der sagt: „[...], wenn dich jemand auf deine rechte Backe
schlägt, dem halte auch die andere hin“ (Bibel, Mt. 5, 39). Und obwohl
dem Aphorismus der Aspekt des Hinhaltens der anderen Wange fehlt und er
sich auf das passive Nichtantworten beschränkt, zeugt dieses Verhalten von
einer Größe, die nur derjenige erfüllen kann, der es geschafft hat, über sich
selbst hinaus zu wachsen. Diem (1960, S. 67) sieht in dem Bewusstsein der
Kraft des Boxers und in seiner daraus resultierenden Überlegenheit, die
Triebfeder für diese Zurückhaltung. Ihm reicht das Bewusstsein der Überlegenheit,
dass, was Diem als „die Zurückhaltung des Starken“ bezeichnet
(ebd.). Was hier jedoch als Tugend angepriesen wird, stößt gerade im „Bewusstsein
der Überlegenheit“ an eine gewisse Grenze. Nicht die Bereitschaft
zu vergeben steht aus dieser Perspektive im Vordergrund, sondern vielmehr
das Gefühl der eigenen Überlegenheit. Hier muss die Frage gestellt werden,
wie viel, wie hart und wie lange muss ein Boxer trainieren, bis er alle Ohrfeigen
die diese Welt zu bieten hat, einstecken kann, ohne zu antworten.
Diese Überlegungen verdeutlichen, dass dem Boxsport nicht den pathetischen
Wert hat, den der oben zitierte Aphorismus auf den ersten Blick ausstrahlt.
Dies wäre nur dann gerechtfertigt, wenn man die Reaktion der Zurückhaltung
auf wirklich jeden Boxsporttreibenden beziehen könnte. Doch
nicht jeder Boxer hält sich mit einer Antwort zurück, wenn er geschlagen
wird.
Dennoch soll die Kritik am Pathos solcher Aussagen nicht diejenigen Aspekte
des Boxsports überschatten, die tatsächlich Persönlichkeits- und Charakterbildend
sind.
Nach Austermühle (1981, S. 10) liegt ein großer Nutzen der Persönlichkeitsbildung
in den Kampfsportarten,
„weil sie eine sportliche Auseinandersetzung fordern, in der die Persönlichkeit
– gewissermaßen ganz auf sich allein gestellt – nur dann den
sportlichen Wettkampf siegreich beenden kann, wenn sie mit Selbstvertrauen
an die eigene Kraft und Leistungsfähigkeit in die sportliche Auseinandersetzung
geht und auch so die erworbenen sportlichen Fähigkeiten
und Fertigkeiten einsetzt.“
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3.3 Erlebnis- und Erfahrungsebenen
Der Boxsport bietet eine Reihe von erlebnispädagogischen Aspekten. Die
Erlebnispädagogik sieht ihre Priorität in der positiven Persönlichkeitsentwicklung.
Um dieses Ziel zu erreichen, finden sich in der Erlebnispädagogik folgende
Aspekte: Zusammenarbeit, gemeinsames Überschreiten von physischen
und psychischen Grenzen, Selbsterfahrung und Selbsteinschätzung
(vgl. Stärk, 2007, S. 42 nach Ziegenspeck, 1998, S. 29). Ob und inwieweit
die genannten Aspekte im Boxsport zu finden sind, soll nachfolgend besprochen
werden
3.3.1 Kämpfen als Erlebnis
Die oben behandelten Aspekte haben schon deutlich gemacht, dass der Boxsport
eine große Faszination ausübt. Nicht wenige Autoren, die sich mit dem
Thema auseinander gesetzt haben, sehen in der Ausübung von Kampfsportarten
das erlebnispädagogische Potential.
Die uns umgebende Lebenswirklichkeit ist relativ arm an Möglichkeiten, sich
selbst intensiv zu erleben. Subjektive Grenzerfahrungen durch Bungeesprünge
oder Extremsportarten wie Marathon oder Triathlon haben in den
letzten Jahrzehnten zugenommen (vgl. Binhack, 2010, S. 175). Die Tendenzen
zeigen das Bedürfnis, physische und psychische Grenzen kennenzulernen
und sie zu überschreiten. Wie schon erwähnt, können im Kampfsport
bestimmte Grenzerfahrungen gemacht werden (vgl. Binhack, 1998, S. 175).
Dabei bietet der Kampfsport den Vorteil, dass das Erleben dieser Erfahrungen,
nicht wie bei Fallschirmspringen oder beim Bungeejumping, rein auf
sich bezogen stattfindet, sondern immer in der Interaktion mit einem Partner.
3.3.1.1 Der Begriff „Kämpfen“
Zunächst soll eine Klärung des Begriffs „Kämpfen“ erfolgen, um klare Abgrenzungen
zu der weitläufigen Verwendung herzustellen und, um somit
Missverständnissen vorzubeugen.
Der Begriff „Kämpfen“ hat semantisch gesehen viele Facetten. Im Krieg wird
gekämpft, man kämpft gegen eine schwere Krankheit oder um die Zuneigung
einer Person. Im Sport wird um den Sieg gekämpft und in der Politik für die
Durchsetzung der eigenen Ziele.
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Demnach lässt sich das Kämpfen durch seine jeweilige Zielsetzung unterscheiden.
Das Ziel des Kämpfens bestimmt auch die Intensität. Im Kampf um
Leben und Tot, wie es im Krieg der Fall ist, findet sich eine weitaus gesteigerte
Intensität als im sportlichen Wettkampf. Diese gesteigerte Intensität
macht sich auf der seelischen wie auf der körperlichen Ebene bemerkbar.
Während der sportliche Wettkampf eine befreiende, fast schon kathartische
Wirkung hat, ist die kriegerische Auseinandersetzung mit traumatischen Erlebnissen
verbunden.
Neben dem Ziel kann das Kämpfen auch aufgrund der Folgen unterschieden
werden. Im Profiboxen kommt der Kampf am ehestem dem gleich, was weitläufig
darunter verstanden wird. Hier muss der Kämpfer tatsächlich auf hohem
Niveau um seine körperliche Unversehrtheit fürchten und gleichzeitig
seinem Gegner das antun, was er bei sich selbst versucht zu vermeiden. Für
Binhack (2010, S. 153) liegt im Ernstkampf das Bestreben, den Kampf so
schnell wie möglich zu beenden. Eine schnelle Entscheidung in einer körper-
und lebensbedrohlichen Situation sorgt dafür, dass die damit verbundene
innere Spannung möglichst schnell aufgelöst wird. Darüber kann eine schnelle
Entscheidung eigene Verletzungen vermeiden.
Doch im Zusammenhang des hier behandelten Gegenstandes wird der
Kampf in erster Linie als eine unter Regeln gestellte Interaktionsform gesehen,
die dadurch eher dem Spiel zuzuordnen ist. Binhack charakterisiert das
Spiel, im Gegensatz zum Kampf, als einen Vorgang, der auf eine gewisse
Unendlichkeit angelegt ist. Es geht im Spiel also nicht darum, möglichst
schnell eine Entscheidung herbei zu führen, sondern es geht um des Spielens
Willen selbst (vgl. ebd., S. 153). Die weitläufig gebrauchte Ausdrucksweise
für den Boxsport ist jedoch nicht „Spielen“. Man „spielt“ nicht Boxen,
sondern man „geht boxen“. Man „wetteifert“ auch nicht beim Boxen, sondern
man „kämpft“.
3.3.1.2 Entwicklungstheoretische Aspekte des Kämpfens
Beobachtet man Kinder und Jugendliche, so stellt man fest, dass das Rangeln,
Ringen und Raufen zum festen Bestandteil ihrer Interaktion gehört. Ilho
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(1981, S. 17) drückt es drastischer, aber dennoch treffend aus, wenn erschreibt;
„Den Gegner körperlich zu besiegen, kommt ihren altersgemäßigen
Einstellungen entgegen.“ Oft ist es dabei nicht sofort erkennbar, ob es sich
um eine Rangelei handelt, die einen eher freundschaftlichen Hintergrund hat
oder ob dahinter ein ernstzunehmender Konflikt steht, der nun auf der körperlichen
Ebene ausgetragen wird. Es fällt oft schwer, zu entscheiden, wie
viel Rangelei eine erziehungsberechtigte Person zulassen sollte oder darf.
Auf der einen Seite macht es keinen Sinn, jede noch so kleine Rauferei zu
unterbinden, auf der anderen Seite kann daraus auch schnell eine Große
werden.
Trotz dieser Gratwanderung zwischen diesen zwei Polen, ist das Phänomen
der körperlichen Auseinandersetzung als Bedürfnis vorhanden. Das Kämpfen
hat für Kinder den Reiz des Unmittelbaren. Sie bekommen im Raufen und im
Rangeln eine sehr direkte Rückmeldung (vgl. Lange, 2010, S. 207). Lange
(ebd., S. 204) schreibt weiter dazu: „Kämpfer bekommen den Status quo ihrer
Fitness, Geschicklichkeit, Schlagfertigkeit immer sofort und Unmittelbar
zurück gemeldet.“
3.3.1.3 Aspekte des Kämpfens im Leichtkontaktboxen
Wie schon oben angesprochen, bekommt das das Kämpferische im Leichtkontaktboxen
einen spielerischen Rahmen, während sich dabei die Aspekte
des Kämpfens im archaischen Sinne reduzieren. Das Leichtkontaktboxen
kann demnach als spielerisch-kämpferische Form gesehen werden. Demzufolge
kann es im oben genannte Sinne nur eine terminologische Bestimmung
eines Vorgangs sein, den man eigentlich „Spielen“ nennen müsste, denn es
handelt sich hier eher um ein Spiel mit den Fäusten als ein Kampf mit den
Fäusten. Die kämpferische Herausforderung liegt mehr in der Andeutung als
im eigentlichen Sinne. Es wird damit dem Fechtsport ähnlich. Hier wird die
eigentliche Gefährdung durch Schutzmaßnahmen quasi ausgeschlossen.
Somit wird auch hier ein Kampf auf Leben und Tod zu einem spielerischen
Messen der Kräfte. Beim Boxen nimmt die spielerische Komponente in dem
Maße zu, je weniger hart geschlagen wird und desto ausgeprägter die
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Schutzkleidung ist 6 . Werden die oben genannten Voraussetzungen erfüllt,
kann die von Binhack (1998, S. 69) beschriebene „schwebende Leichtigkeit“
im Kampf entstehen die im Bereich des Ernstkampfes nicht denkbar wäre.
3.3.2 Erlebnisebenen des Kampfsports
An dieser Stelle werden Erlebnisebenen des Kampfsports im Allgemeinen
und im speziellen im Bereich des Leichtkontaktboxens behandelt. Da die Literaturlage
zum Leichtkontaktboxen eher spärlich ausfällt, muss sich hier auf
allgemeine Daten über das Kampfsportthema bezogen werden.
Der Kampfsport bietet nach Marquardt (1998, S. 6) verschiedene Ebenen
des Erlebens. Marquardt teilt die Erlebnisebenen in folgende Kategorien ein:
Physisches Erleben, psychisches und soziales Erleben. Als eine weitere Kategorie
erwähnt er das symbolische Erleben, eine Ebene, die sich auf alle
vorher genannten beziehen lässt und auf das im Folgenden ein besonderes
Augenmerk gelegt werden soll. Das „symbolische Erleben“ wird von Marquardt
(ebd.) als „eine Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit“ beschrieben, die
nicht durch eine kognitive Auseinandersetzung erfolgen kann. Es lassen sich
demnach Parallelen ziehen, in denen sich Aspekte des Boxsports auf die
Lebenswirklichkeit übertragen lassen.
Der rein sportliche Rahmen des Boxsports ist weitgehend von denjenigen
Betrachtungen getrennt, die sich mit dem Symbolcharakter dieser Sportart
beschäftigen. Diese finden sich in der Literatur wieder. Schriftsteller, die eine
Leidenschaft für den Boxsport haben oder die in ihm die Symbolkraft erkannt
haben, setzen sich mit dieser Thematik auseinander. Dem klassischen Boxtrainer
interessiert hingegen meist nur das, was er sieht und nicht das, was
sich dahinter verbirgt. Doch genau dieser Ebene sollte wegen des hohen erzieherischen
Potentials im schulischen Rahmen besondere Beachtung geschenkt
werden.
6 Hierzu zählen vor allem das Gewicht der Handschuhe und die Art des Kopfschutzes. Im Amateurbereich
werden in der Regel 10 Unzen-Handschuhe getragen, es können im Training aber auch 16 Unzen-Handschuhe
getragen werden, die dann wesentlich stärker gepolstert sind. Beim Kopfschutz gibt
es Modelle, die das komplette Gesichtsfeld durch ein Gitter schützen. Verletzungen im Gesichtsfeld
können somit fast ausgeschlossen werden.
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Im Vorfeld der Folgenden Überlegungen muss noch angemerkt werden, dass
Kampfsporterlebnisse nur dann eine pädagogische Dimension erhalten,
wenn sie langfristig betrieben werden (vgl. ebd.). Schweiger (1998, S. 20)
vermerkt des Weiteren in diesem Zusammenhang: „Die persönlichkeitsbildenden
Elemente springen nicht aus dem Sandsack und formen einen neuen,
sozial gefestigten Menschen.“ Er sieht auf der einen Seite eine hohe
Verantwortung bei den Gruppenleitern, die die Aufgabe haben, Schwächen,
Ängste und auch die Stärken der Teilnehmer zu thematisieren.
Zudem sei noch die individuelle Bereitschaft des Jugendlichen zu nennen,
sich rein sportlich mit dem Boxsport zu beschäftigen oder ob er darüber hinaus
bereit ist, Erlebnisse, Erfahrungen und mögliche Erkenntnisse auf seinen
Alltag zu übertragen (vgl. ebd.).
3.3.2.1 Psychische Erlebnisebene
Marquardt (1998, S. 8) sieht im Kampfsport das Potential, dass sich hier im
Besonderen psychische Entwicklungsprozesse auslösen können.
In einer boxerischen Trainingseinheit sind die Zeiten, die zwei Boxer mit dem
freien Kampf, also dem Sparring, verbringen, meist auf drei bis fünf Runden
zu je zwei bis drei Minuten beschränkt. Die zeitlich kurze Dauer ist jedoch in
ihrer Intensität äußerst hoch. Von Rundenanfang bis Rundenende wird ein
hohes Maß an Konzentration gefordert. Während eines Fußballspiels gibt es
bestimmte Zeiten, in denen der einzelne Spieler mehr oder weniger stark
gefordert wird. Beim Boxen muss der Athlet zu jeder Zeit voll konzentriert
sein. Er ist quasi permanent in Bewegung und muss ebenso permanent agieren
wie reagieren. Neben einem hohen Maß an körperlicher Beanspruchung
gesellt sich daher auch eine hohe psychische Belastung. Dies trifft gerade
dann zu, wenn das Sparring sehr intensiv geführt wird. So sorgt die Summe
aus hoher physischer und psychischer Belastung für die hohe Intensitätsdichte.
Beim Leichtkontaktboxen, genau wie im Training der Amateure und
Profis auch, findet kein Kampf statt, der die Sportler mit der gleichen Angst in
den Ring steigen lässt, wie es bei einem Profikampf der Fall ist. Von daher
kann auf der psychischen Ebene lediglich von einem Gefühl der Vorsicht gegenüber
den Schlägen des Gegners gesprochen werden. Dennoch werden
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Schläge, die sich gegen den eigenen Kopf richten, stets als Gefahr wahrgenommen.
Das Bewusstsein der Gefahr durch potentielle Schläge des Gegners sorgt für
eine psychische Belastung. Das Sparring mit einem Unterlegenen Gegner
stellt kaum Anforderungen an die psychische Belastbarkeit. Unter diesen Bedingungen
stellt es kein Problem dar, mehrere Runden zu kämpfen, ohne
eine hohe Belastung zu spüren. Einem überlegenen Gegner gegenüber zu
stehen, stellt eine hohe Belastungsintensität in psychischer und physischer
Hinsicht dar.
Sich selbst den, im Leichtkontaktmodus, leichten und relativ ungefährlichen,
Schlägen zu stellen, braucht es ein gewisses Maß an Selbstüberwindung.
Die natürliche Reaktion wäre, sich ab- oder wegzuducken. Beim Boxen muss
man aufrecht bleiben, um nicht seinerseits die Handlungsfähig zu verlieren.
Die Überwindung der Angst getroffen zu werden, stellt also eine zentrale
Voraussetzung für das Erlernen des Boxsports dar. Nur wenn man zuvor gelernt
hat, sich den Schlägen zu stellen, können die boxarttypischen Meidbewegungen
erlernt werden. Bevor also der spielerische Kampf mit einem
Gegner erfolgen kann, muss zunächst der eigene, innere Kampf gegen die
natürlichen Reaktionen und den damit verbundenen Bewegungsmustern gewonnen
werden.
Das Leichtkontaktboxen ist die optimale Voraussetzung, auch im Amateur-
und Profibereich, um die Angst vor Schlägen zum eigenen Körper abzubauen.
Wer gelernt hat, im Schlaghagel stehen zu bleiben und die Fähigkeit erworben
hat, darin noch agieren zu können, bekommt das Gefühl, sich bewährt
zu haben,
Hier kommt ein Aspekt zur Geltung, der in den Bereich des Wagnis- und Risikoerlebens
einzuordnen ist. Kinder und Jugendliche suchen Situationen, in
denen sie sich bewusst oder unbewusst in Gefahr begeben. Sich in einen
„Schlaghagel“ zu begeben setzt, unabhängig von der Intensität, ein gewisses
Maß an Risikofreude voraus.
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3.3.2.2 Physische Erlebnisebene
In der Interaktion werden die eigene Kraft und die des Gegners erlebt und
erfahren. Allerdings muss hier nach der Kampfsportart unterschieden werden.
Das gegenseitige Erfahren und Erleben von Kraft findet in den verschiedenen
Kampfsportarten auf unterschiedliche Weise statt. Die Distanz
zum Gegner entscheidet über die Art und Intensität. So hat das Kräftemessen
beim Ringen eine andere Erscheinungsform als im Boxsport (vgl. Binhack,
1998, S. 117). Findet beim Ringen, bedingt durch den engen Gegnerkontakt,
ein sehr direktes Erfahren der eigenen und der gegnerischen Körperkraft
statt, ist beim Boxsport diese Erfahrung auf anderer Ebene zu suchen.
Kraft spielt hier nur dann eine Rolle, wenn hart geschlagen wird. Da die
Schlaghärte beim Leichtkontaktboxen auf ein Minimum reduziert wird, fällt
auch der Aspekt der diesbezüglichen Erfahrbarkeit gegnerischer Kraft weg –
worin jedoch im hier behandelten Kontext ein Vorteil zu sehen ist. Die gegnerische
Kraft in der boxerischen Interaktion findet sich im Leichtkontaktboxen
also weniger auf der Ebene der muskulären Kraft wieder. Vielmehr zählt hier
die Fähigkeit, die boxarttypischen Bewegungsmuster in der Interaktion sinnvoll
umzusetzen. Dies erfordert das Einüben zahlreicher Bewegungsmuster,
die dann als Aktion oder als Reaktion abgerufen werden können. Ein geschultes
Reaktionsvermögen ist hier eine wichtige Grundlage. Mit anderen
Worten: Körperliche Kraft kann im Leichtkontaktboxen nicht der Parameter
sein, der über eine erfolgreiche Interaktion entscheidet. Es sind die technischen
Fähigkeiten. Ein technisch gut geschulter Boxer wird dem technisch
weniger gut geschulten, aber körperlich Überlegenen, trotzdem den Rang
ablaufen. Selbst beim Amateur- und Profiboxen, wo die Kraft eine wesentlich
größere Rolle spielt, kann ein körperlich unterlegener Gegner als Sieger den
Ring verlassen. Zahlreiche Profikämpfe sprechen für diese These. Muhammad
Ali 7 wurde gegen den körperlich stärkeren Sonny Liston 1964 Weltmeister
im Schwergewicht. Er lies seinem schlagkräftigen Gegner nicht den
Hauch einer Chance, wich seinen Schlägen durch gute und schnelle Beinarbeit
aus und zermürbte ihn mit ebenso schnellen Schlägen.
7 1964 trug Muhammad Ali noch seinen Geburtsnamen: Cassius Marcellus Clay Jr. Er änderte den
Namen noch im selben Jahr.
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Als weiteres signifikantes Beispiel können in diesem Zusammenhang die
Showkämpfe zwischen Stefan Raab und der Boxweltmeisterin Regina Halmich
angeführt werden. Der 88 Kilo schwere und einen Kopf größere Raab
blieb gegen die 52,5 Kilo leichte Boxerin jeweils chancenlos. Die Beispiele
zeigen, dass die körperliche Überlegenheit im Boxsport durch Schnelligkeit,
Reaktion und technischem Training ausgespielt werden kann. Die Erfahrung,
einen körperlich Stärkeren boxerisch zu kontrollieren, stellt gerade für die
sonst körperlich Benachteiligen ein besonderes Erlebnis dar und kann das
Selbstvertrauen stärken. Dies gilt insbesondere für Mädchen. Im Gespräch
mit dem Künstler Georg Grosz bemerkte Max Schmeling folgendes:
Mit Taktik und Strategie kann ein intelligenter Boxer im Ring auch einen
Riesen ausmanövrieren“ (Püschel, 2000, S. 28).
Die fehlende Schlaghärte im Leichtkontaktboxen kann auf den ersten Blick
als Einschränkung erscheinen, da sie doch derjenige Faktor darstellt, der
diesem Sport die besondere Spannung verleiht. Doch hier ergibt sich ein
Vorteil, der oben angesprochen wurde: Ein körperlich Schwacher kann die
Erfahrung machen, dass er dem körperlich Überlegen seinerseits auf boxerischer
Ebene überlegen ist. Er muss nicht die bedrohliche Schlaghärte seines
Gegners fürchten und kann sich losgelöst der damit verbundenen Bedrohung
mit ihm messen. Um starke körperliche Unterschiede auf technischer Ebene
zu kompensieren, bedarf es einen hohen Trainingsaufwand. Hätte Sonny
Liston im Weltmeisterschaftskampf 1964 bei Muhammad Ali nur einen gezielt
harten Treffer landen können, wäre er vielleicht Weltmeister geblieben. Das
Boxen im Leichtkontaktmodus schließt diese Möglichkeit theoretisch aus.
Praktisch muss gewährleistet sein, dass sich die Partner in der Intensität der
Schlaghärte auch kontrollieren können.
Beim Leichtkontaktboxen gibt es keine Gewichtsklassen, sondern es wird
nach Größe unterschieden. Wenn nur locker geschlagen werden darf, kann
die Körpermasse nicht in den Schlag hineingelegt werden. Demnach spielt
das Gewicht beim Leichtkontaktboxen keine Rolle. Die Körpergröße ist hier
entscheidender.
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3.3.2.3 Symbolhafte Handlungen im Boxsport
An dieser Stelle wird unter Berufung auf Marquardt (1998, S. 6) auf einzelne
Symbole oder Symbolhandlungen eingegangen, die zusammen mit den
Schülern direkt im kommunikativen Austausch reflektiert werden können.
Die oben angesprochene Partnerarbeit stellt, wie schon erwähnt, einen hohen
kommunikativen Anspruch an die jeweiligen Partner. Gegenseitiges Beobachten
und Korrigieren sind dabei ein wesentlicher Bestandteil. Auch hier
lässt sich ein symbolhafter Aspekt ableiten: Jeder Mensch braucht Korrektur
und muss lernen, Kritik zu ertragen. Beim Boxen wird beispielsweise die
Kampfhaltung kritisiert, in der Lebenswirklichkeit ist es die falsche Geisteshaltung.
Beide Ebenen der Kritik bedürfen einer Bereitschaft diese anzunehmen.
Erst dann kann eine Veränderung stattfinden. Wer sich also auf Partnerarbeit
einlässt, Korrekturen annimmt und sich zudem noch die Entwicklung
seines Übungspartners wichtig macht und ihn seinerseits korrigiert, wird
die Erfahrung von Erfolgserlebnissen machen, die sich nicht nur auf der
sportlichen Ebene, sondern auch auf der sozialen Ebene zeigen. „Gemeinsames
Erarbeiten schweißt zusammen“ könnte die daraus gewonnene Erkenntnis
sein. Diese Erfahrung der positiven Kooperation und die damit verbundenen
Erfolgserlebnisse könnten dann zu einem wichtiger Baustein in der
Sozialisation werden und zu einer Erfahrung werden, die sich auf weitere
Lebenssituationen übertragen ließe.
Eine der grundlegenden Fähigkeiten beim Boxen ist der sichere Stand in einer
guten Kampfstellung. Dabei dürfen die Beine nicht zu eng und nicht zu
breit stehen. Das Gewicht ruht gleichmäßig auf beiden Beinen, die Knie sind
minimal gebeugt, während sich der Körperschwerpunkt auf der Längsachse
befindet. Ein guter Boxer bewegt sich fast ausschließlich auf den Fußballen.
So kann er schnell mit kurzen schnellen Schritten agieren und reagieren.
Die Arme schützen Kinn und Leber, der Bauch ist leicht angespannt, um vor
Schlägen gewappnet zu sein.
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Während der Bewegungen im Kampf oder in kampfähnlichen Situationen
wird diese Haltung immer wieder verlassen, muss aber sofort wieder eingenommen
werden. Dabei stellt die Kontrolle des Gleichgewichts eine der wichtigsten
Herausforderungen dar. Agiert ein Boxer, muss er die Kampfhaltung
und den sicheren Stand kurzfristig aufgeben. In dieser Phase seiner Handlung
ist er offen für Angriffe des Gegners. Deshalb muss der Boxer nach Aktionen
immer wieder zum sicheren Stand zurückfinden, um im Gleichgewicht
zu bleiben.
Dem „sicheren Stand“ als Ausgangsposition für alle anderen Aktivitäten kann
ein Symbolcharakter zugeschrieben werden. Im Boxsport vermittelt das routiniert
kompakte und dennoch lockere Stehen in der Kampfstellung ein Gefühl
der Sicherheit. Aus einer verkrampften oder zu laschen Körperhaltung
lässt sich weder agieren noch reagieren.
Ebenso verhält es sich im realen Leben. Wer ein Leben führen will, in dem er
„mit beiden Beinen auf dem Boden steht“, braucht einen „sicheren Stand“ –
er braucht ein Fundament, damit er sein Haus nicht auf Sand, sondern auf
Felsen baut.
Ebenso wie sich der Boxer vor dem Spiegel beobachtet und selbst korrigiert,
braucht es im Leben Spiegel in Form von Selbst- oder Fremdreflexionen sowie
die Bereitschaft sich zu korrigieren oder Korrekturen zuzulassen. Beobachtet
man im Boxsport diejenigen, die nur halbherzig an ihren technischen
Fähigkeiten arbeiten und vergleicht sie mit denen, die viel Zeit vor dem Spiegel
verbringen, dann lässt sich beobachten, dass die Nachlässigen im Sparring
oder im Wettkampf ständig Frusterlebnisse haben, während sich die anderen
den Lohn ihrer Mühe mit Fortschritten und Erfolgen ausgezahlt bekommen.
Das Gleichgewicht beim Boxen kann symbolisch auf das Gleichgewicht im
Leben verglichen werden. So muss sich im Leben, genau wie beim Boxen,
immer wieder das innere Gleichgewicht gesucht werden. Ebenso muss die
innere Haltung stimmen. Auch hier ist die Fähigkeit der Selbstreflexion gefragt.
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Boxe Éducative:
Eine Möglichkeit, den Boxsport erzieherisch
an Ganztagsschulen zu nutzen?
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In einer Kampfsituation darf die Auseinandersetzung des eigenen Gleichgewichts
nicht zur Hauptbeschäftigung werden, „denn man muss sich auf die
Gestaltung des gegnerischen Gleichgewichts einstellen, was als Widerständigkeit
erlebt wird [...]“ (Lange, 2010, S. 205). Lange bezeichnet diesen Vorgang
als die Überwindung der „Ichhaftigkeit“ (vgl. ebd.). Hier kommt ein weiterer
Aspekt hinzu. Das Gleichgewicht stellt aus dieser Perspektive also eine
Grundvoraussetzung dar, die in der Auseinandersetzung bereits vorhanden
sein muss. Die Auseinandersetzung mit dem Gegner kann nur dann wirklich
erfolgen, wenn die Beschäftigung mit sich selbst in den Hintergrund tritt.
Die besondere Wichtigkeit dieser Fähigkeit liegt vor allen darin begründet,
dass es im Kampfsport ein hohes Maß an fehlender Abwägbarkeit gibt (vgl.
ebd.). Was auf der einen Seite für Spannung sorgt, muss auf der anderen
Seite eingeübt und trainiert werden. Wiederum auf das reale Leben übertragen,
können nur dann die Widerstände des Lebens erfolgreich bewältigt
werden, wenn bereits die Voraussetzung vorhanden sind, die einen befähigen,
diesen Widerständen begegnen zu können, ohne dass man in der Situation
die Voraussetzungen dafür entwickeln muss.
Kurt Hahn (o.J., S. 9) prägte den Satz: „Pädagogik soll die Hindernisse nicht
beseitigen, sondern nur überwindlich machen“. Ebenso verhält es sich im
Kampfsport. Es ist nicht das Ziel, den Gegner zu beseitigen, er soll lediglich
überwunden werden. Damit dies gelingt, ist neben dem koordinativen und
dem konditionellen Training die Auseinandersetzung mit sich und mit dem
Gegner verbunden. Der Kämpfer, gleich aus welcher Kampfsportart er
kommt, muss seine Schwächen kennen oder kennenlernen. Er muss aber
auch lernen, die Schwächen des Gegners zu erkennen, um sie für sich zu
nutzen. Diese Auseinandersetzung mit sich und dem Anderen ist die Voraussetzung
dafür, dass der Gegner überwunden werden kann. Findet eine erfolgreiche
Auseinandersetzung statt und können Handlungsmuster angewendet
werden, die Erfolg bringen, wird die Mühe belohnt. Hindernisse im
Leben können als Parallele dazu gesehen werden. Auch sie können und dürfen
nicht einfach beseitigt werden. Genau wie in der sportlichen Kampfsitua-
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an Ganztagsschulen zu nutzen?
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tion bedarf es der Selbstreflexion und der Analyse des Hindernisses selbst,
wenn es gilt, es zu überwinden.
4. Analyse schulischer und außerschulischer Boxsportprojekte
4.1 Methodisches Vorgehen
Der vorangegangene Teil der vorliegenden Arbeit wurde vor allem auf einer
theoretischen und literaturgestützten Grundlage bearbeitet. Da das Thema
„Boxe Éducative“ nicht nur eine theoretische Idee ist, sondern ein Konzept,
dass schon seit einigen Jahren in die Praxis übertragen wurde, sollen an dieser
Stelle diejenigen praktischen Erfahrungen ausgewertet werden, die für
die vorliegende Fragestellung relevant sind. Es werden Projekte vorgestellt,
in denen der Boxsport - auch das olympische Boxen - pädagogisch genutzt
wird. Dies dient jedoch lediglich der Information. Es wurde diesbezüglich keine
Auswertung vorgenommen, daher sollen die Projekte hier lediglich erwähnt
und nur in Verbindung der hier gemachten Erkenntnisse Relation dazu
gestellt werden.
Da es im Rahmen dieser Arbeit in erster Linie nicht um den Boxsport als
Sportart selbst geht, sondern um das sozialpädagogische Potential, soll auch
in diesem Teil der Arbeit der Schwerpunkt auf eben dieser Fragestellung liegen.
Deshalb werden diejenigen Projekte, die sich mit dem Leichtkontaktboxen
beschäftigen, umfangreicher behandelt. Ein Schwerpunkt dabei bildet der
Bericht eines Pilotprojektes in Niedersachsen, in dem Boxen in Kooperation
mit Schulen und Vereinstrainern, angeboten wurde. Zum anderen wurde ein
Interview mit Dr. Arwed Marquardt, dem Verfasser und Koordinator des Projektberichtes,
geführt. Auf Marquardt wurde sich bereits im ersten Teil dieser
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Boxe Éducative:
Eine Möglichkeit, den Boxsport erzieherisch
an Ganztagsschulen zu nutzen?
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Arbeit an einigen Stellen berufen. Der Förderschullehrer bringt selbst eine
langjährige Erfahrung im Bereich Kampsport und insbesondere des Boxe
Éducative mit.
Das andere Interview wurde mit Stefan Käser geführt. Auch er wurde bereits
oben erwähnt, als es um die Darstellung des Boxe Éducative ging. Stefan
Käser ist der Präsident von „Light-Contact Boxing“, einer Abteilung des
Schweizer Boxsportberbandes „SwissBoxing“.
Er ist Ausbildungsverantwortlicher und Mitglied der Sportkommission von
„SwissBoxing“. Käser ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass sich das
Leichtkontaktboxen in der Schweiz etablieren konnte. Seine Diplomarbeit
„Integrationsmöglichkeiten des „boxe éducative“ in den Schweizer Schulsport„
kann nach umfangreicher Recherchearbeit rund um das Thema, als
Novum im deutschsprachigen Raum bezeichnet werden.
Die Fragestellungen beider Interviews beziehen sich vorwiegend auf diejenigen
Aspekte, die bereits im theoretischen Teil der Arbeit behandelt wurden.
Beide Interviews wurden aufgrund der räumlichen Distanz zu beiden Interviewpartnern
per Fernsprecher geführt. Sie wurden über ein Mini-Disk-
Aufnahmegerät gespeichert und danach nach einfachen Regeln transkribiert.
In der Transkription finden sich daher keine Hinweise auf stimmliche Veränderungen.
Nonverbale Äußerungen – außer der Zustimmung durch Laute –
wurden beim transkribieren nicht berücksichtig, weil sie für die Bearbeitung
des vorliegenden Themas nicht relevant sind. Teilweise wurden sprachliche
Unebenheiten leicht „geglättet“. Dabei wurde darauf geachtet, dass sich der
Sinn der Aussagen weder grundsätzlich noch geringfügig veränderte. Im Anhang
wird eine CD beigefügt, die die transkribierten Texte inklusive Fragenkatalog
enthält, sowie die Interviews im Audioformat.
Unter dem Punkt 4.4 werden die Kernaussagen der Interviews zusammengefasst.
4.2 Olympisches Boxen im Projektrahmen
Im folgenden Abschnitt werden kurz die zwei Projekte angesprochen, die in
Deutschland die größte Popularität genießen. Beide nutzen das olympische
Boxen als Medium für eine Sozialarbeit. Während sich das Projekt Box-out
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Boxe Éducative:
Eine Möglichkeit, den Boxsport erzieherisch
an Ganztagsschulen zu nutzen?
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im schulischen Rahmen zunächst auf das Fitnessboxen beschränkt, bietet es
in weiterführenden Projekten auch das olympische Boxen an.
4.2.1 Projekt: „Durchboxen im Leben“
„Durchboxen im Leben“ ist eine Jugendhilfeeinrichtung in Diemelstadt-
Rhoden, die in einem ehemaligen Versuchs- und Lehrbetrieb für Waldarbeit
und Forsttechnik eine Vollzeitbetreuung für maximal 20 männliche Jugendliche
anbietet.
Neben dem Gesamtleiter Lothar Kannenberg, stehen den Jugendlichen Pädagogen,
lizenzierte Boxtrainer, sportlich ausgebildetes Personal und Handwerker
mit pädagogischer Erfahrung zur Verfügung (vgl. Durchboxen im Leben
e.V. o.J., S. 3).
Das Angebot richtet sich vor allen diejenigen Jugendlichen im Alter von 14
bis 17 Jahren, die besonders durch Gewaltdelikte immer wieder auffällig geworden
sind. Die Aufenthaltsdauer beträgt sechs Monate.
Das Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, die persönlichen Ressourcen der Jugendlichen
zu entdecken (vgl. ebd., S. 6). Sie sollen lernen, „sich zu öffnen
und kooperative, soziale Verhaltensformen zu üben“ (vgl. ebd., S. 4). Ebenso
soll das Selbstbewusstsein der Jugendlichen gestärkt werden und sie sollen
lernen, eigene Interessen zu entwickeln und dafür einzutreten (vgl.ebd.).
Die Umsetzung dieser Ziele erfolgt durch einen straffen Tagesplan, der von
früh morgens bis zum schlafen nahezu lückenlos vorgegeben ist. Es soll zu-
nächst eine äußere Ordnung geschaffen werden, die sich dann positiv auf
das innere Chaos übertragen soll (vgl. ebd., S. 5). Im Mittelpunkt des Tages-
geschehen stehen vor allem körperliche Aktivitäten aus dem sportlichen
Bereich, aber auch handwerkliches Arbeiten. Gespräche werden dabei oft
während des lockeren Joggens geführt. Der Sport löst Verkrampfungen und
schafft damit eine gute Gesprächsatmosphäre (vgl. ebd., S. 9). Bei den
sportlichen Aktivitäten gehört, neben den erlebnispädagogisch geprägten An-
teilen, vor allem der Boxsport zum festen Bestandteil des Konzeptes:
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Boxe Éducative:
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„Die sportliche Disziplin und das Fair Play unterstützen die Jungendlichen
bei ihrer Persönlichkeitsentwicklung. Ihre aggressiven Impulse
haben in der Zeit vor dem Trainingscamp häufig zu unkontrollierten und
unüberlegten Handlungen geführt. Beim Boxen sind diese Eigenschaften
hinderlich. Die Jugendlichen lernen beim Boxen, Regeln einzuhalten,
diszipliniert am Sandsack zu arbeiten und ihr Gegenüber zu respektieren.
Die Jugendlichen, die dann einen Boxkampf austragen, bekommen
Anerkennung und Beifall – egal ob sie als Sieger oder Verlierer
den Ring verlassen“ (ebd., S. 7).
Der Boxsport bietet einen Rahmen, in dem die Jugendlichen an ihre psychischen
und physischen Grenzen herangeführt werden. Sie sollen dann ermutigt
werden, sich immer wieder selbst zu überwinden. Die Selbstüberwindung
soll ihnen dann ein positives Selbstbild verschaffen (vgl. ebd., S. 9).
Das Projekt beschränkt sich natürlich nicht auf die rein körperlich ausgerichteten
Aktivitäten, aber sie liefern den Rahmen für Reflektionen und Gespräche.
4.2.2 Projekt: Box-out
Neben Lothar Kannenbergs Projekt „Durchboxen“ gehört Box-out zu Zeit zu
den populärsten Boxsportprojekten in Deutschland. Während bei Kannenbergs
Projekt ein „stationärer“ Aufenthalt nötig ist, wird bei Box-out „ambulant“
gearbeitet.
Gewaltprävention durch Integration ist das erklärte Ziel des Projekts. Bildung,
soziales und personales Lernen sind der Weg dorthin. Selbstbewusst wird im
Konzept erklärt:
„Was Familie nicht schafft, leistet Box-out – Wir geben Orientierung und
Perspektiven und bieten in gänzlicher anderer Art und Weise ein Familienzugehörigkeitsgefühl.
Menschen werden durch Menschen integriert,
über einen langen Zeitraum – von der Schule bis zum Ende der Berufsausbildung“
(Box-out, 2011, S. 4).
Box-out hat sich zum Ziel gesetzt, Kindern und Jugendlichen die Werte wie
Disziplin, Regelbewusstsein und Respekt zu vermitteln. Sie sollen mit Hilfe
des Projektes lernen, sich in den sozialen Rahmenbedingungen zurecht zu
finden (vgl. ebd.). Auch hier spielen übertragbare Aspekte des Boxsports auf
das reale Leben im Alltag eine Rolle (vgl. ebd.).
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Boxe Éducative:
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Das Konzept Box-out findet im schulischen Rahmen statt und bezieht sich
von daher vor allem auf den „fitnessorientierten Boxsport“ (vgl. ebd., S. 5).
Das Konzept sieht vor, dass sich die im Training erworbene Leistungsfähigkeit
auf die Schule und später dann auf das Leben im Alltag überträgt.
Neben der Ausbildung im sportlichen Bereich, betont das Konzept den Nutzen
des Boxsports bezüglich der sozialen Kompetenzen (vgl. ebd.).
Box-out bietet das Boxen im Schulrahmen ab der siebten Klasse vor allem
an Haupt-, Real-, Gesamt- und Förderschulen und teilweise auch an Gymnasien
an. Das Projekt wird auf sechs Monate begrenzt. Auf sechs Monate begrenzt,
findet einmal die Woche ein Boxtraining statt. Neben dem sportlichen
Trainingszielen werden pädagogische Ziele verfolgt, die mit den Themen
Gewalt, Regeln, Disziplin und Respekt zu tun haben (ebd., S. 7).
Das Projekt wurde bisher in über 30 Schulen in Hamburg umgesetzt. Es kam
relativ schnell auch zu einer bundesweiten Nachfrage (ebd.).
Über das Schulprojekt hinaus wird den interessierten Jugendlichen mit dem
Projekt „Box-out gym“ ein Folgeangebot gemacht. Hier können sie weiter
trainieren. Die Betreuung umfasst darüber hinaus auch die Vermittlung von
Praktika, Berufsvorbereitung und schulische Hilfen in Form von Hausaufgabenbetreuung
und Nachhilfeunterricht (ebd., S. 8).
Im Rahmen des „9-PlusProgrammes“ können die Jugendlichen durch die
Kooperation mit Schulen und Ausbildungsbetrieben eine Unterstützung für
ihren Berufsweg erhalten. Sie werden dann in ihrer Ausbildung weiter betreut
und begleitet.
Box-out ist dem Wesen nach dem Boxe Éducative nach französischen Vorbild
sehr ähnlich. Der Boxsport dient als Medium, das das Interesse der Jugendlichen
weckt. Im Training bekommen sie dann Möglichkeiten, Hilfe auf
sozialpädagogischer Ebene zu erhalten.
4.3 Leichtkontaktboxen im Projektrahmen
Wie schon erwähnt, kann das Leichtkontaktboxen einfach als eigenständiger
Bereich des Boxsports gesehen und betrieben werden. Oder es kann im
Rahmen eines pädagogischen Konzeptes als Aufhänger, als Medium oder
als Magnet genutzt werden, um Kinder und Jugendliche zu erreichen.
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4.3.1 „Boxe Éducative“ in Frankreich
Frankreich kann als „Mutterland“ des Boxe Éducative bezeichnet werden. Es
entstand in den 1970er Jahren und wurde von Jean Letessier entwickelt, der
sich zum Ziel setzte, den Boxsport in ein kindgerechtes Schema zu bringen
(vgl. Liggenstorfer, 2009, S. 13). Boxe Éducative wird in Frankreich meist im
Rahmen von pädagogisch betreuten Projekten angeboten.
Das Boxen im Leichtkontaktmodus ist quasi das Medium, um das sich die
sozialpädagogische Betreuung aufbaut. Kinder und Jugendliche können im
Projektrahmen Förderungen auf verschiedenen Ebenen erfahren. Neben einer
regelmäßigen Hausaufgabenhilfe werden Möglichkeiten geschaffen, dass
sich die Kinder und Jugendliche sinnvoll beschäftigen.
Marquardt (2010, S. 62) berichtet von dem Pariser Projekt „Boxing-Beats“, in
dem der ehemalige Profiboxer Said Bennajem den Kindern und Jugendlichen
das Boxen in einem alten Fabrikgebäude beibringt. Er sieht seine Hauptaufgabe
jedoch weniger im Boxsport selbst als in der Vermittlung von sozialen
Kompetenzen (vgl. ebd.). Bennajem nimmt 15 Schulklassen pro Halbjahr auf.
Die Trainingszeiten belaufen sich auf eine Stunde pro Woche.
Die meisten der teilnehmenden Schüler kommen aus sozial benachteiligten
Vierteln. Für viele Teilnehmer stellt das Projekt „Boxe Éducative“ die einzige
Anbindung an einen Verein dar. Sie haben die Möglichkeit über das Projekt
hinaus als Amateure weiterzumachen, was viele schon erfolgreich getan haben
(vgl. ebd., S. 62). Das Projekt wird von Trainern auch als Vorstufe zum
olympischen Amateurboxen gesehen (vgl. ebd., 2010, S. 61).
Neben den sportlichen Erfolgen konnten auch Erfolge im sozialen Bereich
verzeichnet werden. Die Schüler besuchten regelmäßiger die Schule, was
nicht der Normfall zu sein. Darüber hinaus wuchs das Interesse an Hausaufgaben
und Schule. Auch konnte Bennajem beobachten, das sich das Sozialverhalten
verbesserte und die Kriminalitäts- und Gewaltrate abnahm (vgl.
ebd.).
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4.3.2 „Light-Conact Boxing“ in der Schweiz
Das Leichtkontaktboxen ist in der Schweiz als Unterabteilung in den Schweizer
Boxsportverband „SwissBoxing“ eingegliedert. „Light-Contact-Boxing“
konnte sich in der Schweiz in den letzten zehn Jahren so etablieren, dass es
mittlerweile von elf Vereinen in der Schweiz angeboten wird 8 .
Es finden regelmäßige Wettkämpfe statt, was für eine schnelle Verbreitung
sorgt. Für viele Vereinstrainer stellt das Leichtkontaktboxen eine Vorstufe
zum Amateurboxen dar. Diese Sichtweise lässt sich auch im Rahmen des
Boxe Éducative wieder finden. Dennoch steht, im Gegensatz zum französischen
Vorbild Boxe Éducative, in der Schweiz vor allem die sportliche Komponente
im Vordergrund und weniger die pädagogische.
Der Schweizer Boxsportverband sieht für Trainer im Leichtkontaktboxen e-
benso eine Ausbildung vor, so wie es für die Trainer aus dem Olympischen
boxen auch der Fall ist (vgl. SwissBoxing, 2011). Für Sportlehrerinnen und –
lehrer finden regelmäßige Ausbildungseinheiten aus dem Bereich des
Leichtkontaktboxens statt, die in den Schulsport übertragen werden können.
4.3.3 Pilotprojekt in Niedersachsen
Der Niedersächsische Kultusminister Bernd Busemann bewilligte am
15.02.2007 das Modellprojekt "Boxen im außerunterrichtlichen Schulsport".
In einer Pressemeldung äußert er, dass er keinerlei Bedenken in der Genehmigung
sieht und begründet dies mit der Durchsetzung einiger Regeln
wie der „Vermeidung von Körperkontakt, zusätzliche Betreuung durch eine
Schulsozialarbeiterin oder einen Schulsozialarbeiter und sportliche Leitung
durch besonders qualifizierte Trainer an Landesstützpunkten des Niedersächsischen
Box-Sport-Verbandes". Partnerorganisationen wie Weißer Ring,
Landes-Sport-Bund und dem Niedersächsischen Box-Sport-Verband unterstützten
das Projekt.
Busemann sieht in der Umsetzung des Boxsports in diesem Rahmen eine
Bereicherung. Es schule Kondition, Auge-Hand-Koordination, die Körperkoordination,
die Reaktion sowie die Körperspannung. Neben dem Potential im
physischen Bereich erwähnt er auch soziale Aspekte.
8 Weitere Hinweise auf: http://www.light-contact.ch/
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Eine Möglichkeit, den Boxsport erzieherisch
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Das Pilotprojekt startete zunächst an zehn niedersächsischen Schulen aller
Schultypen, außer der Grundschule. Die Anzahl der teilnehmenden Schulen
verringerte sechs auf sechs Schulen zu Beginn der Evaluationsphase.
Das Projekt wurde auf Anordnung des Kultusministers neben den Boxtrainern
auch von Sportpädagogen begleitet.
Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf den Projektbericht von Dr.
Arwed Marquardt, der in Zusammenarbeit mit der Leibniz Universität Hannover
unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Detlef Kuhlmann und
Prof. Dr. Gunter A. Pilz das Projekt betreute und evaluierte.
Ein zentrales Thema des hier vorgestellten Projektes stellt der Körperkontakt
dar. Wie oben bereits kritisch betrachtet, stellt nicht der Körperkontakt selbst
das eigentliche Problem da, sondern das Schlagen.
So war die erste Projektphase vom fehlenden Körperkontakt gekennzeichnet.
Eine Voraussetzung für die Genehmigung des Projektes durch den Kultusminister
bestand darin, dass ohne Körperkontakt gekämpft wird (vgl. Marqardt,
2010, S. 20). Der fehlende Körperkontakt in der Boxsport-AG wurde
unterschiedlich aufgefasst. Die Boxtrainer bemängelten, dass „die impliziten
Vorteile des Boxsports gar nicht voll ausgeschöpft werden könnten“ (ebd.).
Des Weiteren wurde an der Attraktivität gezweifelt, wenn der Körperkontakt
ausgeschlossen würde. Weiter befürchteten die Trainer, dass die Schüler
nicht mehr zu motivieren seien, anstrengende und technikbezogene Übungen
zu machen, ohne sie in der Partnerarbeit anwenden zu können (vgl.
ebd., S. 39).
Die Befürworter der Vorgabe befürchteten die Kritik der Eltern und sahen
auch keine besonderen Vorteile in der Ausübung des Boxsports mit Körperkontakt.
Auch die Sichtweisen seitens der Schulleitung gingen in eine ähnliche
Richtung. Hier wurde vor allem die Außenwirkung des Projektes im Falle
von blutigen Nasen oder ähnlichen, boxsporttypischen Verletzungen, in Betracht
gezogen (vgl. ebd., S. 40).
Bei einer Befragung der Schüler zum Thema „Körperkontakt“ stellte sich heraus,
dass die Schüler ein besonderes Bedürfnis nach Sicherheit haben. Die
boxsporttypischen Klischees, wie oben bereits erwähnt, zeigten sich an-
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Boxe Éducative:
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an Ganztagsschulen zu nutzen?
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scheinend auch in dieser Schülerbefragung. So äußerten sie Ängste vor
Kopftreffern, gebrochenen Nasen und blauen Augen (vgl. ebd., S. 21).
Neben den Ängsten zeigten sich die befragten Kinder aber auch neugierig.
Selbst die Unsicheren betonten, dass sie das Boxen miteinander als spannend
und faszinierend empfänden.
Von insgesamt 49 Befragten sprachen sich lediglich sieben gegen den Körperkontakt
aus. (ebd., S. 22).
Die Kinder und Jugendliche haben ein Bedürfnis danach zu kämpfen und
sich auf dieser Ebene zu messen. Doch die Bereitschaft dazu sinkt, wenn
ernste Risiken und Gefahren für die Gesundheit damit verbunden sind – was
ja auch als gesunde Einstellung zu werten ist. Die Risiken und Gefahren liegen
jedoch weniger in der Realität begründet, als vielmehr in der Vorstellung
der Köpfe derjenigen, die den Boxsport nur aus der Perspektive des Profiboxens
betrachten. Auch die Sorge vor den Eltern kann von zwei Seiten entschärft
werden: Zum einen ist Leichtkontaktboxen nicht gefährlicher als Fußball
oder Handball und zum andern führt Marquardt an, dass das die Teilnahme
nicht verpflichtend, sondern freiwillig sei (vgl. ebd., S. 21). Selbst die
Teilnahme an den Übungen mit Körperkontakt kann innerhalb des Trainings
erfolgen oder auch nicht (vgl. ebd., S. 41). Aufgrund der oben angeführten
Argumentation wurde die Einführung des Körperkontakts genehmigt (vgl.
ebd., S. 23).
Nach der Einführung des Körperkontakts konnten positive Erfahrungen bezüglich
des Sozialverhaltens, aber auch auf körperlicher Ebene gemacht
werden. Die Befragungen der Schüler ergaben, dass sie durch den Körperkontakt
für den Partner sensibilisiert wurden. So konnten Verbesserungen
auf der koordinativen Ebene sowie in der Technikausübung beobachtet werden.
Die Schüler wurden von Marquardt in vier Typen eingeteilt: Während der
„Typ 1“ denjenigen repräsentiert, der ein körperbetontes Boxen betreiben will
und plant, in einen Verein beizutreten, gehört der „Typ 4“ zu den Unsicheren.
Meist betrifft dies Mädchen, die sportlich nicht besonders engagiert sind.
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So reichen die Typeneinteilung nach Marquardt vom „Kämpfer“ über den
„Sportler“ und dem „Neugierigen“ bis hin zum „Unsicheren“. (ebd.)
Die Einteilung stellt die Grundlage für die methodische und didaktische Vorgehensweise
für die Gestaltung des Trainings dar. Den „Kämpfer“, der sich
eventuell im Vereinsrahmen mit härteren Sparringseinheiten wohler fühlen
würde, könnte im Leichtkontaktmodus die Spannung fehlen. Für den „Unsicheren“
könnte der an Schlaghärte reduzierte Körperkontakt schon zuviel
sein.
Regeln spielen im Boxsport eine große Rolle. Marquardt weist in diesem Zusammenhang
darauf hin, dass in den Boxsportprojekten mit Jugendlichen
eine besondere Betonung auf Regeln und Grenzen liegt. Pünktliches Erscheinen,
Disziplin, Fairness und Rücksicht und das strenge Verbot, sich auf
der Straße nicht auf Schlägereien einzulassen, werden von Marquardt genannt
(vgl. ebd., S. 24). Im Projekt selbst wurden Regeln festgelegt, die die
Bekleidung der Schüler betreffen, die das Verhalten und die die jeweilige
Ahndung bei Regelverstößen regelten.
Die Bekleidungsregeln im Projekt zielten in erster Linie auf das im Sportunterricht
geläufige Phänomen ab, dass die Schüler ihre Sportkleidung regelmäßig
vergessen. Die davon betroffenen Schüler mussten im Projektrahmen
zugucken oder den Geräteraum aufräumen.
Eine der Hauptvorgaben zum Verhalten bestand in der Einhaltung von Ruhe.
Dies betraf vor allen die Zeiten, in denen der Trainer Anweisungen gab oder
etwas erklärte. Aber auch während des Trainings selbst, also vor allem beim
Aufwärmen und der Funktionsgymnastik. Ziel war es für eine größtmögliche
Ruhe zu sorgen.
Regelverstöße wurden von den jeweiligen Trainern im Projekt nicht in der
gleichen Form geahndet, wie sie es aus dem Leistungssport gewohnt sind.
Dennoch wurde unmittelbar auf Regelverstöße durch sukzessive Steigerung
reagiert. Mit Ermahnungen beginnend, über Liegestütze vor der Gruppe,
Auszeiten auf der Bank bis hin zum Ausschluss vom Training für eine bestimmte
Zeit. Im Verlauf des Projektes bis zum verfassen des Projektberich-
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tes wurden drei Schüler wegen Regelverstößen ausgeschlossen (vgl. ebd.,
S. 28).
Marquardt reflektiert in seinem Projektbericht das Einführen und Durchsetzen
der Regeln, wie sie von den Trainern praktiziert wurde. Die Trainer haben,
gemäß ihrer Gewohnheit aus dem Leistungssport, klare Regeln vorgegeben.
Nach Marquardts Auffassung steigert jedoch das gemeinsame Erarbeiten
von Regeln im schulischen Rahmen die Akzeptanz bei den Schülern. Darüber
hinaus empfiehlt er, Regeln nicht als Verbote bekannt zu geben (vgl.
ebd., S. 54). Dennoch zeigt seine Befragung, dass die Schüler mit der Art
und Weise wie die Trainer die Regeln um- und durchsetzten keine Probleme
hatten (vgl. ebd., S. 30).
Ein wichtiger Aspekt im Rahmen der Boxsport-AG stellt die Kooperation zwischen
der Schule und dem Verein – hier insbesondere der Trainer – und den
Sozialpädagogen dar. Marquardt verdeutlicht die Problematik der unterschiedlichen
Perspektiven und Vorstellungen über die Art der Umsetzung.
Die leistungssportbezogenen Trainer haben dabei ebenso Vorurteile gegenüber
dem Schulsport wie Pädagogen gegenüber dem Boxsport. Marquardt
sieht ein größeres Potential in der sportpädagogischen Begleitung. Er orientiert
sich damit an der Konzeption des Boxe Éducative nach Pariser Vorbild.
Hier fließen neben der rein technischen Vermittlung auch ausgeprägte sozialpädagogische
Komponenten mit ein. Trotz der unterschiedlichen Auffassungen
wird die Zusammenarbeit zwischen Trainern und den Schulen als
positiv bewertet (vgl. ebd., S. 31).
Eine für die vorliegende Arbeit zentrale Bedeutung liegt in denjenigen Ergebnissen
des Projektes, die einen sozialpädagogischen Nutzen des Konzepts
belegen können. Diesbezüglich sollen im folgenden Abschnitt insbesondere
diejenigen Beobachtungen und Auswertungsergebnisse des Projektes betrachtet
werden, die eben diesen Schwerpunkt aufweisen.
Marquardt (ebd., S. 43) beobachtet insbesondere mit der Einführung des
Körperkontakts in der zweiten Projektphase positive Erscheinungen bezüglich
des Verhaltens untereinander. Störende Verhaltensweisen wurden weni-
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ger und der Respekt vor dem Gegenüber in der Partnerarbeit wurde gesteigert
(vgl. ebd.).
Marquardt sieht im sprachlichen Austausch und in der Arbeit am „gemeinsamen
Symbolsystem, dem Boxsport“ einen sozialverbessernden Faktor. Hier
kommt der kooperative Aspekt der Partnerarbeit zum Tragen. Kinder kämen
in Kontakt, die sonst nichts miteinander zu tun hätten. Auch konnte beobachtet
werden, dass der Kontakt über den Projektrahmen hinaus reiche.
Beobachtet wurde auch, dass gerade die sportlich eher „schwachen“ Schüler
von den anderen gelobt wurden, wenn sie eine Technik erfolgreich umsetzen
konnten (vgl. ebd., S. 47).
Dennoch räumt Marquardt ein, dass das Projekt an seine Grenzen kommt,
wenn es um die schwierigen Schüler geht. Hier sieht er die Verbesserungsmöglichkeiten
im Verhalten nur durch zusätzliche Unterstützung.
Im Bereich der Gewaltprävention konnten im Allgemeinen keine eindeutigen
positiven Aussagen gemacht werden. Die meisten Teilnehmer, die durch aggressives
Verhalten aufgefallen sind, nahmen meist nicht über längeren Zeitraum
an der AG teil. Dennoch konnten bei Einzelfällen Verbesserungen bezüglich
des Aggressionspotentials beobachtet werden. Marquardt sieht darüber
hinaus einige Vorteile im Bereich der Gewaltprävention und beruft sich
auf eine Begleitstudie des Hamburger Boxsportprojektes „Box Out“, in der
Görrisch feststellen konnte, dass sich das Aggressionspotential verringert
habe (vgl. ebd., S. 46).
Marquardt (ebd.) beruft sich vor allem auf die oben erwähnten sozialverbessernden
Entwicklungen und sieht da vor allem diejenigen Faktoren, die ein
aggressives Verhalten minimieren helfen.
Das Projekt war von vornherein als koedukatives Projekt angesetzt. Es begann
zunächst mit einem Verhältnis von 60 Jungs und 30 Mädchen. In der
zweiten Phase schrumpfte der Anteil der Jungs auf 50, während der Anteil
der Mädchen konstant auf 30 blieb. Diese Tendenz und er relativ hohe Mädchenanteil
wurde von den Initiatoren nicht erwartet (vgl. ebd., S. 33).
Während die Jungen im Projektrahmen vor allen ihre Fitness verbessern wollen
und den Vergleich und die Konkurrenz in den Übungen suchten, lag die
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Ausrichtung der Mädchen eher darauf, gut gekleidet zu sein und eine „gute
Figur zu machen“ (vgl. ebd., S. 36). Die Mädchen wollten getrennte Gruppen.
Die Begründung war die Angst vor zu engen Körperkontakt mit den Jungen.
Marquardt berichtet, dass gerade schüchterne Mädchen von dem Projekt
profitieren konnten. „Sie fanden hier einen Raum in dem sie ihre Kraft kennenlernen
konnten und durch die Gruppe positiven Zuspruch erfuhren“ (ebd.,
S. 36). Des Weiteren berichtet er, dass mehrere Mädchen durch die Teilnahme
an der AG ihr Selbstbewusstsein steigern konnten und dass einige in
ihrer Selbstwahrnehmung mutiger wurden (ebd.).
Marquardt zieht eine positive Bilanz: „Aufgrund der beschriebenen Potenziale
[sic] eines pädagogisch orientierten Boxsportangebots kann aus unserer
Sicht ausgesagt werden, dass das Projekt aus seinem Pilotstatus in ein regelhaftes
Angebot überführt werden kann“ (ebd., S. 54).
Trotz des Optimismus sieht Marquardt die Grenzen des Projektes und benennt
sie. Demnach kommt das Projekt insbesondere bei den schwierigen
Schülern an Grenzen. Hier schlägt er eine stärkere Einbindung sozialpädagogischer
Fachkräfte vor. Des Weiteren sieht er eine Überforderung mancher
Schüler, wenn Vereinstrainer ihr Training zu leistungsorientiert gestalten.
Auch spricht er die relativ hohe Fluktuation an, räumt jedoch ein, dass sie in
einem normalen Rahmen stattfand.
Trotz der oben angesprochenen Punkte, überwiegen dennoch die Chancen,
die Marquardt durch das Boxsport-Projekt sieht. Neben den weiter oben bereits
angesprochenen positiven Beobachtungen, nennt Marquardt die hohe
Attraktivität für diejenigen Schüler, die ein Interesse am Individualsport haben.
Des Weiteren sieht er Integrationsmöglichkeiten von Schülern mit
Migrationshintergrund, die bereits in ihrer Heimat mit dem Boxsport Kontakt
hatten (ebd., S. 53).
Damit das Boxsport-Projekt an Attraktivität gewinnt, schlägt Marquardt folgende
Maßnahmen vor:
• Turniere im Leichtkontaktmodus unter Schülern, aber auch unter den
am Projekt teilnehmenden Lehrerinnen und Lehrern
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• Prüfungen nach klaren Leistungsvorgaben und ein damit verbundener
Wechsel der Bandagenfarbe nach dem Vorbild asiatischer Kampfsportarten.
Grundsätzlich spricht er die Notwendigkeit an, dem Konzept des Boxe Éducative
einen eigenen methodisch-didaktischen Rahmen zu geben, der sich
vom olympischen Amateurboxtraining unterscheidet. So sieht er diesbezüglich
vor allem die Kraft- und Impulskontrolle, die Körpersensibilisierung und
Koordination und die Erfahrung eigener und fremder Grenzen als klare Ziele
(vgl. ebd., S. 65).
4.4 Kernaussagen der Interviews
An dieser Stelle werden nun diejenigen Kernaussagen genannt, die in den
Interviews für die hier zu behandelnde Fragestellung von Bedeutung sind.
4.4.1 Die Zielgruppe
Die Zielgruppe im Projektrahmen setzt sich nach Marquardt (vgl. A, S. 1) 9
aus einem breiten Spektrum zusammen. Neben den Jungs interessierten
sich auch besonders die Mädchen für das Boxprojekt. Auch Schüler, die in
den Mannschaftssportarten eher „untergehen“ konnten hier einen Platz finden,
sich sportlich zu betätigen (vgl. ebd.). Auch Käser (vgl. B, S. 13) sieht
hier für die gleiche Zielgruppe eine Chance. Er sieht die Vorteile darin, dass
jeder mit den gleichen Vorraussetzungen anfängt (vgl. B, S. 13). Der Quervergleichs,
wie er im Mannschaftssport üblich ist, fällt quasi weg. An diese
Stelle tritt dann der Vergleich allein mit dem Übungspartner (vgl. B, S. 13).
Nach seiner Auffassung ist das Leichtkontaktboxern gerade für Kinder mit
Übergewicht geeignet. Dies erklärt er damit, dass aufgrund der fehlenden
Sprünge beispielsweise die Gelenkbelastung nicht sehr hoch ist (vgl. B, S.
15). Hinzu kommt der Vorteil, besonders für diese Zielgruppe, dass im Wettkampf
und bei den Sparrings im Leichtkontaktboxen die Größe und nicht das
Gewicht über den Übungspartner entscheidet. Des Weiteren nimmt er eine
Einteilung der Zielgruppe in drei Bereiche vor: Die Kinder und Jugendliche,
9 „A“ bezieht sich auf den Interviewpartner, der in der Anlage als „A“ gekennzeichnet wird – hier also
Dr. Arwed Marquardt. „B“ ist dann der zweite Interviewpartner – Stefan Käser. Da sich das transkribierte
Interview separat im Anhang befindet, ist hier auch die Seitenzahl gesondert angegeben.
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die noch nicht der Schlaghärte des olympischen Amateurboxens ausgesetzt
werden sollten und auch nicht lernen sollten, jemand anderen hart zu schlagen.
Weiter nennt er den Bereich des Schulsports, in dem harte Schläge aus
ethischen Gründen nicht in Frage kommen. Als letzten Bereich sieht er diejenigen
Erwachsenen, die den Boxsport ausüben wollen, ohne am nächsten
Tag mit einem blauen Auge zur Arbeit gehen zu müssen (vgl. B, S. 14).
Die fehlende Schlaghärte wird nach seiner Auffassung nur von denen vermisst,
die sich in besonders hohem Maße kämpferisch messen wollen und
wo dann die Schlaghärte eine wichtige Komponente darstellt (vgl. B, S. 17).
Dennoch geht der Reiz und die Spannung nicht verloren, nur weil die Härte
fehlt. Im Gegenteil: Käser sieht hier vor allem eine Steigerung, weil der
„Spaßfaktor“ zunimmt (vgl. B, S. 17).
4.4.2 Sportmotorische Aspekte
Für Käser (B, S. 15) behält das Leichtkontaktboxen, trotz fehlender Härte, die
positiven Eigenschaften des olympischen Amateurboxens. Er nennt in diesem
Zusammenhang den Aspekt des Ganzkörpertrainings, die Reaktionsschnelligkeit,
die Kraftausdauer und die Beobachtungsgabe. Nach den oben
genannten Aspekten kann das Leichtkontaktboxen als Gesundheitssport bezeichnet
werden (vgl. B, S. 15). Dies kennzeichnet sich auch dadurch, dass
das Leichtkontaktboxen ein Ganzkörpertraining ist, bei dem sämtliche Körperteile
permanent in Bewegung sind. Wenn auch nicht in der gleichen anaeroben
Intensität wie das beim olympischen Boxen der Fall ist (vgl. B, S.
17).
Auf sportmotorischer Ebene sieht Marquardt große Möglichkeiten: Genaues
Beobachten von Bewegungsabläufen durch den Trainer ist hier viel besser
möglich als in den Mannschaftsportarten (vgl. A, S. 7). Es können individuelle
Korrekturen, auch von kleinen Fehlern, erfolgen, was sich dann besonders
gut auf die koordinative Schulung auswirken kann (vgl. A, S. 6). Auch sieht er
im Bereich der Körpererfahrung unterschiedliche Ebenen, die mit einer hohen
Ausprägung angesprochen werden (vgl. A, S. 7). Dabei nennt er die
Kraftdosierung, die Anspannung und Entspannung. Marquardt (ebd.) bezieht
sich auf die Partnerübungen, wenn er sagt: „Die Verbindung zwischen kör-
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perlichen Empfinden und sprachlichen Handeln ist hier so, wie ich es bisher
noch nicht erlebt habe“.
Marquardt kritisiert, dass den Schülern oft die Möglichkeiten fehlen, sich im
Schulrahmen körperlich auseinander zu setzten (vgl. A, S. 9)
4.4.3 Das Verletzungsrisiko
Das Verletzungsrisiko im Leichtkontaktboxen wird von Käser und Marquardt
als unbedenklich gesehen (vgl. A, S. 3; B, S. 15). Lediglich bei harten Schlägen
gegen den Sandsack kam es selten zu Handverletzungen (vgl. A, S. 3).
Käser registrierte in seiner zehnjährigen Erfahrung im schulischen Leichtkontaktboxen
nur einmal Nasenbluten (vgl. B, S. 15). Im Vereinsrahmen beobachtete
er bisher nur einmal einen blutenden Zahn, der aufgrund eines
Kopfstoßes verursacht wurde. Es wurde zu dieser Zeit allerdings noch ohne
Kopfschutz gekämpft (vgl. B, S. 16).
4.4.4 Methodische Aspekte
Zunächst sei an dieser Stelle angemerkt, dass dem Trainer und dessen Persönlichkeit
von Käser und Marquardt ein wesentlicher Stellenwert beigemessen
wurde. Er gibt die pädagogische Richtung vor und entscheidet maßgeblich
darüber, welche Schwerpunkte gesetzt werden (vgl. A, S. 10, B, S. 18).
Dies betrifft demnach auch die an dieser Stelle erwähnten methodischen Aspekte.
Die Methodik wird von beiden besonders betont. Wenn beispielsweise Fragen
zur Sozialkompetenz gestellt wurden, waren die Antworten meist verknüpft
mit methodischen Hinweisen. Marquardt sieht die methodische Vorgehensweise
der Vereinstrainer (Strenge, domestizierendes Auftreten, Bestrafungen
durch Liegestütze usw.), die die einzelnen Schülergruppen im
Projektrahmen betreuten, als nicht übertragbar. Dies betrifft vor allem die bei
Schwierigen. Hier blieben diese Methoden ohne Erfolg. Bei den einfacheren
Schülern hingegen waren sie eher anwendbar (vgl. A, S.4).
„[E]in schlüssig aufgebautes Training“, mit sinnvollem Phasenwechsel
(Spannung, Entspannung) bietet keine Angriffsfläche für Regelüberschreitungen
und hat eine größere Wirkung als die oben genannten Methoden
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(ebd.). Neben einer klaren Regelgebung sieht Käser die Persönlichkeit als
wesentlichen Faktor diesbezüglich. Demnach sieht er im Vorleben des Trainers
einen entscheidenden Aspekt (vgl. B, S.19).
Die koordinativ anspruchsvollen Bewegungsabläufe sind nicht für jeden leicht
zu lernen. Marquardt sieht es daher als wichtigen Aspekt an, das die Motivation
durch eine spielerische Vermittlung aufrechterhalten wird. Er sieht dabei
vor allem die Notwendigkeit, dass die Schüler auch nachvollziehen können,
warum sie bestimmte Bewegungsabläufe lernen müssen (vgl. A, S. 2).
Leichtkontaktboxen bleibt eine schlagende Sportart. Die Intensität von einem
lockeren Sparring kann schnell ansteigen und das Maß des „Touchierens“
überschreiten.
Hier sind methodische Maßnahmen wichtig, um dies zu vermeiden. Marquardt
erklärt in diesem Zusammenhang, dass er die größte Gefahr in der
Zeit beobachtet hat, in der sich die Schüler Bandagen anlegten. Sie begannen,
außerhalb des trainergeleiteten Rahmens, gegeneinander zu kämpfen.
Dies hat er dadurch unterbunden, dass er das Anlegen der Bandagen nur
noch im Sitzkreis durchführen ließ (vgl. A, S. 3).
Auch hält er es für unbedingt erforderlich, das eingegriffen wird, wenn ein
Schüler sich bezüglich seiner Schlaghärte nicht im Griff hat. Er sucht dann
Übungen an Geräten, die zu einer Verbesserung der Kontrolle über seine
Schlaghärte führen soll. Er empfiehlt in diesem Zusammenhang nicht den
Boxsack, der sich als diesbezüglich als kontraproduktiv erweisen würde,
sondern den Doppelendball, der nur bei geminderter Schlaghärte zu kontrollieren
ist (vgl. A, S. 8).
Käser sieht weitaus weniger die Notwendigkeit bei den Partnerübungen oder
in den Sparringkämpfen eingreifen zum müssen, so wie das im olympischen
Amateurboxen der Fall ist. Hier kommt es öfter vor, dass der Trainer eingreifen
muss, weil zu hart geschlagen wird (vgl. B, S. 17).
Es sind vor allem die methodische Maßnahmen die auch hier verantwortlich
für die Ruhe und die kontrollierten Emotionen in den Partnerübungen und im
Sparring gemacht werden können. Dazu zählt Käser die Phasen der „Neubesinnung“,
die durch den häufigen Partnerwechsel oder durch die Übungsform
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selbst ausgelöst wird (vgl. B, S. 16). Auch der Rollenwechsel ist bei Käser
fester Bestandteil der Trainingsstruktur. Hierbei werden die Übenden abwechselnd
als Ringrichter über ein Paar eingesetzt. Neben einem Phasenwechsel,
der ebenfalls zur Ruhe im Training beiträgt, wird dabei zusätzlich
die Möglichkeit geschaffen, dass die Schüler die Schiedsrichterperspektive
kennenlernen. Sie bekommen dadurch ein anderes Verhältnis zu den Regeln,
weil sie selbst in die Lage versetzt werden, dass sie Regeln durchsetzen
müssen: „Regeln werden besser akzeptiert, wenn man sie selber durchsetzen
muss“ (vgl. B, S.16). Käser sieht des Weiteren eine Gefahr, wenn
Schüler längere Zeit unbeaufsichtigt Sparring machen. Hier kann es ebenfalls
zu emotional geladenen Handlungen führen (vgl. ebd.).
4.4.5 Pädagogischer Rahmen
Käser und Marquardt betonen den hohen Stellenwert von Symbolen und Ritualen.
Das „Shake-hand“, welches im Boxsport üblich ist, wird von beiden
als wichtiges Ritual gesehen, das von den Schülern als durchweg positiv aufgenommen
wird (vgl. A, S. 11; B, S.18). Marquardt erwähnt die guten Erfahrungen
eines sprachlichen Austauschs mit den Schülern, über das Thema
„Shake-hands“ (vgl. A, 11).
Insgesamt bejahen Marquardt und Käser die Möglichkeiten, bestimmten Inhalten
des Leichtkontaktboxens eine Symbolkraft zukommen zu lassen (vgl.
ebd.). Käser sieht in der Reflektion bestimmter symbolischer Handlungen ein
großes Potential, wenngleich er seine Ausrichtung eher aus der sportlichen
Perspektive sieht. Er bezieht sich dabei insbesondere auf die Möglichkeiten
der Gewaltprävention (vgl. B, S. 19)
Ein weiteres Beispiel für den Transfer nennt Marquardt in Bezug auf die Körperhaltung.
Macht sich jemand im Sparring groß oder macht er sich klein und
kämpft in geduckter Körperhaltung. Hier sieht er einen möglichen Transfer im
Auftreten in der Öffentlichkeit (vgl. A, S. 12). Dennoch macht er deutlich,
dass der Trainer die reflektierenden Anteile bestimmter Aspekte nicht überstrapazieren
sollte. Hier ist vor allem die Sensibilität gefragt und das Gespür,
ob die Schüler dafür aufnahmebereit sind oder sich sperren (vgl. ebd.). Demnach
sieht er den pädagogischen Rahmen als wichtig an, warnt aber davor,
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dass es sich zu einem „psychomotorischen Boxen“ entwickelt (vgl. A, S. 6).
Auch stellt er an gleiche Stelle klar, dass die sportliche Ernsthaftigkeit nicht
zu kurz kommen darf. Es ist für ihn wichtig, dass auch leistungsorientierte
Erwartungen an die Schüler gestellt werden (vgl. ebd.).
Bezüglich der Motivation erwähnt Marquardt das große Potential der Präsentation
der Boxsport-AG im schulischen Rahmen, wie auch im außerschulischen
Rahmen bei Stadtfesten beispielsweise.
Er empfiehlt Schulregeln mit den Regeln der Box-AG aufzugreifen und zu
verbinden (vgl. A, 5).
Käser sieht in der Regelgebung allgemein auch die als zentrale Ausrichtung
des jeweiligen Sports (vgl. B S.19). Als Beispiel nennt er das olympische
Amateurboxen. Hier werden aufgrund der Regelgebung Treffer auch dann
als gültig gewertet, wenn sie mit wenig Schlaghärte erfolgen. Die Konsequenz
daraus ist, dass es sinnvoll ist, nicht hart zu schlagen, um dadurch
seine Treffer besser einzuteilen (vgl. B, S. 21f.)
Ebenso verhält es sich mit dem Leichtkontaktboxen. Werden harte Schläge
mit Bestrafung geahndet und der Niederschlag mit einer Disqualifikation,
lernt man, sich gemäß dieser Regel angepasst zu verhalten (vgl. ebd.).
4.4.6 Soziale Ebene
Käser und Marquardt beschreiben das Sozialverhalten innerhalb des Boxtrainings
als durchweg positiv (vgl. A, S. 7; B, S. 16). Marquardt sieht die
Möglichkeit für die Ausweitung sozialer Kontakte, gerade bei denjenigen, die
sonst nicht miteinander klar kommen (vgl. ebd.).
Marquardt berichtet bezüglich der Sozialkompetenz von positiven Rückmeldungen
seitens seiner Kollegen an der Schule (vgl. A, S. 8). Ebenso sieht er
in der Boxsport AG an der Schule an der er tätig ist, einen beobachtbaren
Beitrag für einen Gewaltrückgang und sieht die Ursache darin, dass wie bereits
oben angesprochen, ein Rahmen geschaffen wurde, der es den Schülern
erlaubt, sich körperlich miteinander auseinanderzusetzen (vgl. A, S.9).
Auch Käser sieht das Leichtkontaktboxen als ideale Möglichkeit, um soziale
Ziele umzusetzen (vgl. B, 18). Für ihn bietet das Boxtraining einen schützenden
Rahmen, um eigene Grenzen zu finden. Er nennt ein Beispiel aus der
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Praxis, bei dem ein Jungen immer wieder ausgerastet ist. Er sollte zunächst
vom Training ausgeschlossen werden. Aufgrund von Gesprächen hat sich
sein Verhalten dann aber deutlich verbessert (vgl. B, S. 21). Der geschützte
Rahmen bietet die Möglichkeit, sich kämpferisch durchsetzen, ohne einen
anderen dabei zu schaden (vgl. B, S.18). Ebenso können die Schüler in diesem
Rahmen lernen, sich in einer Eins-gegen-Eins-Situation zu messen, was
für Viele eine große Herausforderung darstellt (vgl. ebd.).
Boxen schult die Eigenverantwortlichkeit. Im Teamsport ist das Mitlaufen
möglich, man kann sich leichter hinter den Teamkameraden verstecken.
Beim Boxen ist das nicht möglich. Hier muss jeder Einzelne für sich selbst,
aber auch für den Übungspartner Verantwortung übernehmen (vgl. B, S. 18).
Viele Kompetenzen können nur in der Partnerarbeit entwickelt werden (vgl.
B, S.19).
Trotz aller positiver Aspekte, die von Marquardt und Käser genannt wurden,
lehnt Marquardt es ab, den Boxsport als eine Art Wundermittel zu verkaufen.
Er erwähnt Untersuchungen zum Thema Boxsport und Gewaltprävention und
sieht sie sehr kritisch, da nicht wirklich deutlich wird, was die eigentlichen
Faktoren sind, die ein Rückgang der Gewalt verursachen (vgl. A, S.10). Auch
Käser warnt vor Studien, die die Kampfsportarten im Allgemeinen untersuchen.
Der Ausgang dieser Studien wird dann verallgemeinert ohne nach
Kampsportart zu differenzieren (vgl. B, S. 21).
4.5 Analyse und Interpretation
Der erste Teil der vorliegenden Arbeit enthält vorwiegend Aussagen aus der
Literatur rund um den Kampf- und Boxsport. Hinzu kommen die eigenen Vorstellungen
und Gedanken, die sich aus den Erfahrungen als aktiver Boxsporttreibender
entwickelt haben. Im zweiten Teil wurde dann der Blick auf
die praktische Umsetzung des Leichtkontaktboxens im schulischen Rahmen
gerichtet. So dienen die Erfahrungen der zwei Vorreiter auf diesem Gebiet,
Käser und Marquardt, als Grundlage, um die Fragestellung, die der vorliegenden
Arbeit ihren Titel verliehen hat, erörtern zu können. Im Folgenden
sollen dafür die einzelnen Aspekte weitgehend gemäß der Gliederungsstruktur
des theoretischen Teils abgearbeitet werden.
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Im ersten Teil wurden die sportmedizinischen Gefahren des Amateurboxens
ausführlich behandelt. Das Ergebnis zeigte, dass gesundheitliche Risiken
bestehen, diese jedoch nicht das Ausmaß erreichen, das sich in den zahlreichen
Vorurteilen wieder findet. Das Amateurboxen ist vom Verletzungsrisiko
her nicht mit dem Profiboxen zu vergleichen. Dies gilt insbesondere für Verletzungen
des Schädel-Hirn-Apparates. Soll sich der Boxsport in den schulischen
Rahmen integrieren können, muss die Unbedenklichkeit für Verletzungen
des Schädel-Hirn-Apparates quasi ausgeschlossen sein. Eine Gehirnerschütterung,
die sich ein Schüler im Rahmen einer Fußball-AG zuzieht, würde
ohne Bedenken als Sportunfall hingenommen werden. Die gleiche Verletzung
in einer Boxsport-AG würde empörende Reaktionen hervorrufen. Auch
das Bild der jeweiligen Schule nähme in der Öffentlichkeit Schaden, wenn
Schüler regelmäßig mit blauen Augen und blutenden Nasen aus der Schule
kämen. Eben diese Bedenken zeigten sich beim Pilotprojekt in Niedersachsen
(vgl. Marquardt, 2010, S. 40).
In zehn Jahren einmal Nasenbluten und ein angeschlagener Zahn wegen
eines unbeabsichtigten Kopfstoßes ist die Verletzungsbilanz, die Käser im
Vereins- und Schulrahmen bezüglich der beobachteten Verletzungen gezogen
hat. Marquardt konnte im Pilotprojekt nur Verletzungen registrieren, die
aufgrund zu harten Schlagens gegen den Sandsack entstanden sind. Auch
wenn man die Unbedenklichkeitserklärungen vieler Sportmediziner bezüglich
des Amateurboxsports kritisch hinterfragen kann, so hat sich doch erwiesen,
dass das Boxen im Leichtkontaktmodus ohne jegliche Risiken und Gefahren
für Leib und Leben durchgeführt werden kann. Eine Kategorisierung, die man
auch auf das olympische Boxen zutreffen würde, wenn die Härte der Schläge
wegfiele. Und genau das ist beim Leichtkontaktboxen der Fall.
Käser bestätigte im Interview darüber hinaus die vorteilhaften Gesundheitsaspekte,
die sich auch beim olympischen Amateurboxen finden lassen und
betont die gelenkschonenden Bewegungsmuster, die besonders bei Übergewichtigen
dafür sorgen, dass sie im Leichtkontaktboxen ein sportliches
Betätigungsfeld finden können.
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Die ethisch-moralische Betrachtung des Boxsports kann, wie oben bereits
besprochen, auf verschiedenen Ebenen erfolgen.
Unabhängig der sportmedizinischen Unbedenklichkeiten, handelt es sich
trotzdem um eine Sportart, bei der man sich gegenseitig schlägt. Auch wenn
die Intensität im Leichtkontaktboxen ein Maß erreicht hat, dass das Sandsacktraining
gefährlicher macht als ein Leichtkontaktsparring, bleibt es eine
schlagende Sportart, die man von daher per se als moralisch bedenklich einstufen
kann. Das Leichtkontaktboxen erreicht natürlich nicht das Maß des
Profiboxens, in dem ein weitaus höherer Diskussionsbedarf bezüglich Moral
und Ethik besteht. Und ob sich die negativen Aspekte des Boxens tatsächlich
auf die Boxsporttreibende auswirken, ist sicherlich individuell unterschiedlich.
Ein zentraler Aspekt der vorliegenden Arbeit liegt in der Fragestellung, ob der
Boxsport erzieherisch genutzt werden kann. Die Gewaltprävention wurde
dabei als ersten Aspekt im Theorieteil erwähnt. Die Vermutung, der Boxsport
und der Kampfsport im Allgemeinen würden dazu führen, dass sich Aggressionen
und Gewalt durch deren Ausübung reduzieren lassen, kann pauschal
weder positiv noch negativ beantwortet werden. Marquardt konnte beobachten,
dass sich im Projektrahmen bei Einzelnen das aggressive Verhalten reduzierte.
Er räumte allerdings ein, dass besonders diejenigen, die durch aggressives
Verhalten aufgefallen sind, nicht lange am Projekt teilnahmen, weil
sie aufgrund ihres Verhaltens ausgeschlossen werden mussten (vgl. 4.3.3).
Damit fällt im Grunde die unter 3.1.6 erwähnt Zielgruppe derjenigen, die besonders
anfällig für aggressives und gewaltbereites Verhalten sind eher weg.
An der Schule, in der er selbst ein Boxsport-Projekt leitet, konnte er eine positive
Bilanz ziehen, was sich auch durch positive Rückmeldungen seitens
der Kollegen äußerte (vgl. 4.4.6). Dabei bezog er sich zum einen auf den
sozialförderlichen Rahmen, den das Boxsport-Projekt beziehungsweise die
Boxsport-AG bietet und zum anderen erklärt er sich diesen Umstand in der
Möglichkeit der Schüler, sich beim Leichtkontaktboxen körperlich zu messen,
was sonst nicht in dem Maße möglich sei (vgl. 4.4.6).
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Marquardt bringt es jedoch auf den Punkt, wenn er behauptet, dass man den
Boxsport nicht als „Wundermittel“ für die Gewaltprävention sehen sollte.
Auch Käser sieht zwar große Chancen bezüglich der Gewaltprävention, doch
auch er räumt ein, dass die meisten Studien zu diesem Thema kein reelles
Bild darüber vermitteln, weil die Differenzierung fehlt (vgl. ebd.).
Es wurden einzelne Projekte angesprochen, bei denen der Boxsport eine
zentrale Rolle einnimmt. Die Projekte wenden sich meist an Jugendliche mit
einer schlechten Lebensperspektive. Die Konzepte der Einrichtungen stellen
die positiven, charakter- und persönlichkeitsbildenden Möglichkeiten des
Boxsports in den Mittelpunkt ihrer Begründung. Darüber hinaus propagieren
sie die sozialförderlichen Aspekte in der kämpferischen Auseinandersetzung
(vgl. 4.2). Ob die Erfolge und der damit verbunden Wachstum der hier vorgestellten
Projekte in erster oder in zweiter Linie mit dem Boxsport selbst zusammenhängt,
kann nicht eindeutig beantwortet werden, da hier entsprechende
Studien fehlen. Auch darf die Außenwirkung, die den Boxsport in
beiden Projekten als den zentralen Faktor darstellt, nicht darüber hinwegtäuschen,
dass es neben der Möglichkeit, den Boxsport innerhalb der Projekte
auszuüben, zahlreiche Faktoren gibt, die in ihrer Summe sicherlich einen
wesentlich größeren Beitrag zu Sozialisierung leisten. Zumindest scheint diese
Art von Projekten gerade für die Medien wesentlich interessanter zu sein,
als eine Gruppe Jugendlicher, die versucht ihre sozialen Defizite durch den
Besuch eines Yoga-Camps in den Griff zu bekommen.
Marquardt hat darauf hingewiesen, dass die Studien zum Thema Kampfsport
und Gewaltprävention mit Vorsicht zu sehen sind. Oft werden die eigentlichen
Faktoren, die für eine Verbesserung des Verhaltens sorgen nicht eindeutig
ermittelt (vgl. 4.4.6). Da die Projekte sehr umfangreich und ganzheitlich
gestaltet sind und der Boxsport eben nicht das Zentrum ihrer Ausrichtung
bildet, muss folglich davon ausgegangen werden, dass die Konzepte nur im
„Gesamtpaket“ funktionieren. Ein weiterer, aber nicht unerheblicher, Aspekt
liegt allein in der Tatsache begründet, dass nur diejenigen Jugendlichen an
den Projekten teilnehmen, die das auch wirklich wollen.
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So kann allein die Bereitschaft zur Veränderung schon als entscheidender
Faktor gesehen werden. Es ist wahrscheinlich, dass sich die Jugendlichen
ebenfalls einem Projekt anschließen würden, in dem Fußball gespielt wird.
An dieser Stelle der Überlegungen kommen zahlreiche der oben genannten
Argumente für das Sozialförderliche des Boxsports zum Tragen. Zunächst
bietet sich beim Boxsport die Möglichkeit an individuell zu trainieren. Der
Reiz des Boxens liegt jedoch in der kämpferischen Auseinandersetzung.
Dass die Bedürfnisse dafür vorhanden sind, zeigen die oben angesprochenen
Punkte im Theorie- (vgl. 3.2.1; 3.3.1.2) wie auch im Praxisteil (vgl. 4.4.6).
Auch die Erfahrungen auf dem Gebiet des Sozialverhaltens, die die Einführung
des Körperkontakts im Pilotprojekt mitbrachte, spricht für den Aspekt
der gegenseitigen Auseinandersetzung (4.3.3) Die damit verbundene Motivation,
die zweifelsfrei für den Boxsport vorhanden ist (vgl. 4.4.1; 4.3.3), kann
als Plattform benutzt werden, um besonders diejenigen Schüler zum Sporttreiben
zu animieren, die sich aufgrund fehlender körperlicher oder motorische
Fähigkeiten schon vom Sport zurückgezogen haben (vgl. 4.4.1). Die
Erfahrungen konnten zeigen, dass sich das Selbstbewusstsein vieler Schüler,
insbesondere vieler Mädchen stärken lies (vgl. 4.3.3). In ähnlicher Weise
verhält es sich für die Übergewichtigen Schüler. Sie finden im Leichtkontaktboxen
eine Sportart, für die sie körperlich geeignet sind, ohne dabei das Gefühl
zu haben in einen speziellen Förderunterricht für adipöse Kinder und
Jugendliche geraten zu sein. Im Gegenteil, sie erlernen eine der härtesten
Sportarten überhaupt – ohne jedoch die harten Seiten wirklich kennnenzulernen.
Vielleicht kann an dieser Stelle der Erfahrungsbericht von Loïc Wacquant
bemüht werden. Er schreibt, dass sich die Boxer im Allgemeinen als
eine besondere Art von Sportler empfinden, was er mit dem kämpferischen
Charakter dieser Sportart und mit dem asketischen Lebensstil erklärt (vgl.
Wacquant, 2003, S. 72). Er spricht hier natürlich nicht von einer Boxsport-AG
im Leichtkontaktmodus, die nur einmal die Woche auf einer breitensportlicher
Ebene stattfindet, sondern von Amateurboxer, die versuchen, sich regelrecht
aus dem Ghetto heraus zu boxen. Dennoch spielt auch im breitensportlichen
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Rahmen, wie oben beispielhaft anhand der Übergewichtigen und motorisch
eingeschränkten Schüler gezeigt wurde, das Image eine gewisse Rolle.
Das Thema Selbstvertrauen wurde im Theorieteil unter dem Aspekt der Gewaltprävention
behandelt vgl. 3.1.5). Demnach führt Selbstvertrauen auch zu
einem positiven Selbstbild, was sich dann wiederum zu einem verbesserten
Sozialbild ausweiten kann. Hier wird also das bestätigt, was oft so selbstverständlich
in Bezug auf den Boxsport behauptet wird, dass er Förderlich für
das Selbstvertrauen ist. Über das Woher des Selbstvertrauens kann gestritten
werden. Das beim Boxsport gewonnene Selbstvertrauen kann sich aufgrund
verschiedener Ursachen entwickeln. Es kann sich aufgrund des
Images entwickeln, das diese Sportart als hart und körperbetont darstellt.
Allein das Bewusstsein, das jemand den Boxsport betreibt, verhilft dieser
Person schon zu einem gewissen Respekt. Da würde niemand fragen, ob
man nur zum Seilspringen das Boxtraining besucht oder sich schon in harten
Zweikämpfen gemessen hat. Dennoch ist kein Boxsporttreibender vor Angriffen
auf der Straße im Wesentlichen sicherer, als wenn er einen anderen
Sport ausüben würde. Man wird nicht unbesiegbar, nur weil man ein bisschen
Boxen gelernt hat. Darüber hinaus reicht der in den schulischen Projekten
angebotene Umfang auch nicht aus, um sich Selbstverteidigungsfähigkeiten
anzutrainieren. Was dennoch bleibt, ist die Erfahrung, sich der Schläge
des Partners gestellt zu haben ohne wegzulaufen oder sich zu verstecken.
Und gerade diese Erfahrung der Selbstüberwindung kann neben dem Image,
zu einer tatsächlichen eine Verbesserung des Selbstbildes beitragen.
Neben der Imagetheorie 10 kann die Körpererfahrung als Begründung angeführt
werden. Marquardt berichtet von den positiven körperlichen Erfahrungen,
die besonders die sonst zurückhaltenden Mädchen, im Rahmen des
Pilotprojektes im Boxsport machen konnten (vgl. 4.3.3). Hier konnten Erfahrungen
mit den eigenen Kräften gemacht werden, die sie sonst in dem Maße
noch nicht erfahren haben.
10 Der Begriff „Imagetheorie“ ist in diesem Zusammenhang kein terminologisch feststehender Begriff.
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Eng verknüpft mit der Körpererfahrung ist die Einführung des Körperkontaktes.
Es kann von Vorteil gesehen werden, dass die Einführung im Rahmen
des Pilotprojektes erst nach einem Jahr stattgefunden hat.
So konnten direkte Vergleiche zwischen einem Boxtraining mit und ohne
Körperkontakt gezogen werden. Marquardt vermerkte in seinem Pilotbericht
diesbezüglich, dass sich nach der Einführung des Körperkontaktes das Sozialverhalten
verbesserte und dass es zu weniger Störungen im Training kam.
Die Partnerübungen stellen haben sich als gute Möglichkeit erwiesen, Schüler
zusammen zu bringen, die sich sonst nichts miteinander zu tun hatten
(vgl. 4.4.6). So können soziale Kontakte ausgeweitet werden und Vorurteile
überwunden werden.
Darüber hinaus wurde von den Trainern beobachtet, dass der gegenseitige
Respekt der Schüler anstieg, als der Körperkontakt eingeführt wurde (vgl.
4.3.3). Marquardt erwähnt, dass die Partnerübungen den Schülern von
Grund auf einen gewissen Respekt einflößten. Er sagt dazu noch im Interview,
dass allein das Anziehen der Handschuhe für eine Atmosphäre sorgt,
in der man den Schülern die Ernsthaftigkeit anmerkt, mit der sie an die Partnerübungen
und das Sparring heran gehen. Dies bestätigt Austermühle
(1981, S. 10), der gerade in den bewussten Gefahren des Boxsports auch
den Motor für gegenseitige Fairness und Respekt sieht.
Wenn es um das soziale und kooperative Miteinander geht, betonen Marquardt
und Käser immer wieder den hohen Stellenwert des pädagogischen
und des methodischen Rahmens. Im Theorieteil wurden einige Autoren erwähnt,
die in der Trainerrolle diejenige Person sehen, die die Richtung vorgeben.
Sie müssen sich zunächst grundsätzlich darüber klar werden, welche
Richtung mit dem Leichtkontaktboxen eingeschlagen werden soll. Es kann
rein sportlich betrieben werden oder als Plattform für ein sozialpädagogisch
ausgerichtetes Projekt sein, wie es beim Boxe Éducative in Frankreich der
Fall ist. Und selbst wenn man das Leichtkontaktboxen aus rein sportlicher
Sicht im leistungssportlichen Rahmen betreibt, reduziert das zwar die sozialpädagogische
Verantwortung, doch die Herausforderungen bleiben.
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Käser greift ein Beispiel aus seiner Arbeit als Trainer im Rahmen der Vereinsarbeit
auf, in dem er durch beharrliche Gespräche mit einem auffälligen
Jungen erreichen konnte, dass sich dieser in seinem Verhalten verbesserte
(vgl. 4.4.6). Das Beispiel an dieser Stelle soll verdeutlichen, dass der Boxsport
nicht allein aus sich heraus für ein gutes soziales Klima sorgen kann,
sondern, dass dafür methodisch-didaktische sowie pädagogische Maßnahmen
notwendig sind.
Bei dem oben erwähnte Beispiel Käsers zu bleiben, hätte er sich in dieser
Situation auch dagegen entscheiden können, den Jungen weiterhin zu trainieren.
Seine Ausrichtung ist, wie er im Interview mitteilte, eher eine Sportliche.
Dennoch hat hier nicht nur sportlich, sondern eben auch pädagogisch in
einem Maße gehandelt, das viele Vereinstrainer abgelehnt hätten. Im Schulrahmen
stellt sich die Möglichkeit nicht wie im Leistungssport. Hier muss gewissermaßen
pädagogisch gehandelt werden. Marquardt sieht diesbezüglich
die Vorteile in den sozialpädagogischen Möglichkeiten, die sich durch eine
Boxsport-AG an Schulen ergeben. Allerdings muss dafür auch ein Rahmen
geschaffen werden. So weist er darauf hin, dass schnell die Grenzen bei
schwierigen Schülern erreicht sind und dass hier Unterstützung erforderlich
wäre (vgl. 4.3.3). Wie bereits oben erwähnt, fällt genau die Zielgruppe, für die
ein gewaltpräventives Training wichtig wäre, weg, weil sie sich aufgrund ihres
Sozialverhaltens nicht unter den Bedingungen integrieren ließen, wie sie im
Projektrahmen vorhanden waren. Würde man der Forderung Marquardts
nachkommen und das Projekt auf sozialpädagogischer Ebene weiter ausbauen
und unterstützen, könnte hier eine Plattform für eben diese Jugendlichen
entstehen. Dies würde dann auch dem ursprünglichen Vorbilde des
Boxe Éducative gerecht werden.
Ebenso wichtig ist das methodisch-didaktische Vorgehen. Regeln können
dem Trainingsablauf zwar Struktur geben, sind aber im Schulrahmen nicht in
der gleichen Weise anwendbar wie auf Vereinsebene. Damit die in einer
Boxsport-AG bestehenden Regeln auch von den Schülern angenommen
werden, müssen laut Marquardt mit ihnen gemeinsam erarbeitet werden.
Domestizierendes Verhalten seitens der Trainer und striktes Beharren auf
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Regeln, die im Falle von Verstößen mit Liegestützen vor der Gruppe geahndet
werden, hält er für unangebracht (vgl. 4.3.3). Das weitaus erfolgreichere
Konzept, um eine ruhige Trainingseinheit ohne nennenswerte Störungen zu
erreichen, sieht er in einer „schlüssig aufgebauten“ Trainingseinheit, bei der
die Schüler gar nicht erst auf die Idee kommen, zu stören (vgl. 4.4.4).
Die Phasenwechsel, die von Käser angesprochen wurden, können ebenfalls
als ein methodisch wichtiger Bestandteil gesehen werden (vgl. ebd.). Es
bringt Ruhe in das Training und verhindert, dass sich Emotionen bei Ü-
bungskämpfen hochschaukeln können. Auch hier wird deutlich, dass eine
Gefährdung durch harte Schläge, die aufgrund fehlender Konzentration oder
durch das Hochschaukeln von Emotionen, vermieden werden kann, wenn
sinnvolle Phasenwechsel im Trainingsplan eingebaut werden.
Die Sensibilisierung ist ohnehin ein entscheidender Bestandteil des Leichtkontaktboxens.
Spezielle Sensibilisierungsübungen müssen durchgeführt
werden, damit die Schlaghärte kontrolliert werden kann. Beobachtet man
Leichtkontaktkämpfe könnte der Laie meinen, es handele sich fast um einen
olympischen Amateurkampf. Die Schlaghärte ist jedoch so stark abgemildert,
dass man bei Treffern tatsächlich von einem Touchieren sprechen kann.
Bezug nehmend auf die Symbole im Punkt 3.3.3.3 soll hier noch der Bezug
zur Praxis hergestellt werden. Marquardt sieht einen hohen Stellenwert und
auch die Chancen, die in der Reflexion bestimmter symbolhafter Handlungen
oder Gegebenheiten liegen. Doch er warnt davor, dass zu viel reflektiert wird.
Er erachtet es als sehr wichtig, dass die Trainer und Lehrer diesbezüglich
sensibel mit dem umzugehen, was die Schüler in den Situationen wirklich
benötigen.
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5. Resümee und Ausblick
Leichtkontaktboxen ist aus sportmedizinischer Sicht so unbedenklich, dass
es getrost als Gesundheitssport betrieben werden kann. Es eignet sich von
dieser Seite her optimal für die Schule. Hartnäckigen Verfechtern auf dem
Gebiet der Boxsportgegner aus ethisch-moralischen Gründen bleibt nur noch
eine Kosten-Nutzen-Rechnung vorzulegen, in der das Leichtkontaktboxen
ohne Zweifel eine Sportart bleibt, in der nach wie vor nach einem Menschen
geschlagen wird, was sich streng genommen auf Kosten eines gewissen e-
thischen Anspruchs vollzieht. Die Spanne des Nutzens reicht hingegen von
gesundheitlichen Aspekten über die sportmotorischen bis hin zu den sozialförderlichen
Möglichkeiten aus den Trainingsinhalten. Das Leichtkontaktboxen
ist dabei Gesundheitssport, ohne das Image von langweiligen Rehaübungen
zu bedienen, sondern eher im Gegenteil. Boxhandschuhe anziehen,
einen Kopfschutz tragen und sich im Ring einem anderen gegenüberstehen
übt alleine schon auf viele einen großen Reiz aus.
Die Partnerübungen und der freie Kampf bis hin zum Wettkampf stellen Formen
der sportlichen Interaktion dar, bei denen zwei Menschen sehr stark
aufeinander bezogen sind. Es kommt fast zwangsläufig zu einem Miteinander.
Die Qualität des Miteinanders wird von der Sozialkompetenz des Einzelnen
bestimmt. An dieser Stelle soll die Behauptung aufgestellt werden, dass
der Boxsport charakterbildend sein muss. Es ist schwer, diese These wissenschaftlich
zu belegen oder anhand irgendeiner Studie zu untermauern.
Wer aber längere Zeit Boxsport betreibt, und seine Trainingszeiten nicht mit
dem Sandsack verbringt, sondern mit Partnerübungen und Sparring, der
muss entweder schon ein gesundes Maß an Kooperationsbereitschaft haben
oder es noch lernen. Wer dazu nicht in der Lage ist, wird diesen Sport auch
nicht lange ausüben können – es sei denn, er konzentriert sich wieder auf
den Boxsack, der in Sachen Sozialkompetenz weniger anspruchsvoll ist.
Die Bereitschaft und die Fähigkeit zu kommunizieren muss vorhanden sein,
um eine produktive Übungs- oder Sparringseinheit durchführen zu können.
Im Boxsport auf leistungssportlicher Ebene hat dies sicherlich noch einen
höheren Stellenwert als im Breitensport.
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Dennoch können und müssen Kinder und Jugendliche in einer schulisch
ausgerichteten Boxsport-AG mit Leistungsansprüchen konfrontiert werden.
Das fördert ihre Motivation und nur so können sie ein Wachstum in ihren Fähigkeiten,
Fertigkeiten auf sportlicher, aber auch auf sozialer Ebene erleben.
Boxen im Fitnessbereich ist auf Dauer monoton. Auf einen Sandsack einzuschlagen
motiviert viele, wenn sie zum ersten Mal zum Boxtraining kommen.
Es reichen allerdings wenige Minuten und die erste Euphorie weicht erschöpfender
Ernüchterung darüber, dass Boxsport mehr sein muss als Sandsacktraining,
Seilspringen und Liegestütze. Der Boxsport hat ohne Zweifel seine
monoton wirkenden Übungsabläufe. Sie dienen jedoch einer technischen
oder koordinativen Ausbildung, die einen dazu befähigt, sich in einer Kampf-
oder kampfähnlichen Situation sicher und boxarttypisch zu bewegen. Sieht
man sich Kämpfe von technisch gut ausgebildeten Boxern an, lässt sich eine
Ästhetik beobachten, die zeitweise wie ein Tanz wirkt. Zu einem ästhetischen
Miteinander im Gegeneinander kann es nur kommen, wenn die erforderlichen
Bewegungsmuster immer und immer wieder in Partnerarbeit eingeübt
wurden. Wer im Boxring nicht ständig auf der Flucht sein will, muss beispielsweise
Meidbewegungen einüben. Er muss dann noch lernen, nach einer
Meidbewegung heraus seinerseits zu kontern. Das Auge für das Geschehen
zu entwickeln, Käser nannte es „Beobachtungsgabe“ (vgl. 4.2.2),
gehört zu den zentralen Herausforderungen im Training. Im schulischen Kontext
muss der Spagat zwischen spielerischer Vermittlung des Boxsports auf
der einen Seite und technisch fundierter Ausbildung auf der anderen Seite
geschafft werden. Dafür muss ein methodisch-didaktischer Rahmen geschaffen
werden, der speziell auf die Zielgruppe der Schüler zugeschnitten ist.
Zwar wurde auf die Methodik und Didaktik in der vorliegenden Arbeit nicht so
detailliert eingegangen wie auf die sozialpädagogischen Aspekten, dennoch
hängen beide eng zusammen und können nicht getrennt voneinander betrachtet
werden. In beiden Interviews fiel auf, dass auf Fragen, die auf Sozialkompetenzen
abzielten immer auch methodisch-didaktische Hinweise gegeben
wurden. Der Boxsport im Leichtkontaktmodus ist anders zu behandeln
als eine Ballsportart aus dem Bereich der Mannschaftssportarten. Der Stun-
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denverlauf muss viel detaillierter geplant werden. Phasenwechsel von Spannung
und Entspannung müssen in die Planung mit einfließen. Es müssen
Gelegenheiten geschaffen werden, in denen die Schüler zur Ruhen kommen
können, um nicht Gefahr zu laufen, in einer Partnerübung die Kontrolle zu
verlieren. Die Sensibilisierung der Schüler für die Schlaghärte muss auf hohem
Niveau stattfinden. Hier ist es für den Lehrer wichtig zu erkennen, ob
und wann jemand dieses Niveau noch nicht erreicht hat. Der Stundenablauf
muss so schlüssig sein, dass sich möglichen Störungen keine Chance bietet.
Der Lehrer muss ständig seine Augen auf das Geschehen gerichtet haben,
um schnell eingreifen zu können. All diese Forderungen auf dem methodisch-didaktischem
Sektor sind das Fundament dafür, dass sich das Leichtkontaktboxen
im Schulrahmen auch auf einer sozialförderlichen Schiene bewegen
kann. Im theoretischen Teil der Arbeit wurde die sozialförderliche Seite
der Partnerübungen und des Sparrings angesprochen. Die Erfahrungen
aus denen diese Folgerungen geschöpft wurden, entstammen alle aus einem
Rahmen, in dem ein Trainer vorhanden war, der konsequent Grenzen und
Regeln vorgab. In Loïc Wacquants Erfahrungsbericht geht das besonders
deutlich hervor. Der Trainer hat im Boxsport einen anderen Stellenwert als
beim Fußball beispielsweise. Er genießt in der Regel mehr Ansehen und Respekt.
Das hängt sicherlich damit zusammen, dass er, insbesondere beim
Amateurboxen, eine andere Art der Verantwortung für seine Schützlinge
trägt: Er muss entscheiden, wer für einen Kampf bereit ist und wer nicht. Er
muss erkennen, ob sich jemand im Wettkampf behaupten und schützen
kann. Aus dieser besonderen Verantwortung heraus entspringt automatisch
ein intensiveres Beobachten und Beurteilen des Einzelnen. Es entspringt
daraus meist auch ein härterer Ton, der den Ernst deutlich macht, den das
Training hat. Auch wenn beim Leichtkontaktboxen die Gefahren wesentlich
niedriger sind, als es beim Amateurboxen der Fall ist, sollten Trainer oder
Lehrer im Schulrahmen die gleiche Einstellung haben oder entwickeln wie
die Trainer aus dem Bereich des leistungssportlichen Boxens, ohne jedoch
mit der gleichen domestizierenden Bestimmtheit aufzutreten wie es oft die
Vereinstrainer tun. Nur dann gelingt der Spagat zwischen Leistung und Spiel.
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Wenn die Bedingung den oben genannten entsprechen, kann das Projekt
„Boxe Éducative“ im Rahmen der Ganztagsschule nur positive Effekte mit
sich bringen. Doch neben den pädagogischen und methodisch-didaktischen
Herausforderungen, stellen sich auch Herausforderungen praktischer Natur,
die im nachfolgenden Ausblick näher betrachtet werden:
Leichtkontaktboxen stellt eine Sportart dar, die im deutschen Schulwesen
sehr neu ist. Findet sich eine Möglichkeit, die rechtlichen Voraussetzungen
dafür zu schaffen, dass sich diese Variante des Boxsports in den Schulen
etablieren kann und finden sich Schulen, die sich trotz möglicher Vorurteile
darauf einlassen, treten dennoch praktische Herausforderungen hinzu. Es
müssten neben den Anschaffungen von Boxhandschuhen, Kopfschutze,
Bandagen und sonstigen Trainingsgeräten Trainer gefunden werden, die eine
AG leiten können. Es hat sich im Pilotprojekt gezeigt, dass nicht jeder
Vereinstrainer für diese Arbeit geeignet ist. In Niedersachsen, wo das Pilotprojekt
stattfand, werden regelmäßig Aus- und Weiterbildungen für das
Leichtkontaktboxen angeboten. Diese Fortbildung ist in Niedersachsen eine
der Voraussetzungen dafür, dass im Schulrahmen eine AG geleitet werden
darf. Das Training muss von einem lizenzierten Boxtrainer in Kooperation mit
einem Schulpädagogen geleitet werden. Beide müssen eine 16-stündige
Weiterbildung für das Leichtkontaktboxen belegen.
Marquardt wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Lehrer ohne
Boxsporterfahrung nach dieser Ausbildung in der Lage waren, kleine Trainingseinheiten
zu leiten. Ein fundiertes Training verlangt jedoch auch fundierte
Kenntnisse und Erfahrung. Der Mangel an eben diesem qualifizierten Personal
ist im Boxsport ohnehin gegeben, was sich folglich auch auf das hier
angedachte Vorhaben ausweiten würde.
Von Vorteil wäre eine ähnlich positive Entwicklung wie in der Schweiz, wo
das Leichtkontaktboxen in den Schweizer Boxsportverband eingebettet ist.
Für den Deutschen Boxsportverband würden sich hier einige Vorteile ergeben:
Gäbe es das Leichtkontaktboxen als feste Größe innerhalb des Deut-
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schen Boxsportverbandes, könnten sich hier diejenigen aktiv am Boxsport
beteiligen, die zwar grundsätzlich Interesse an dieser Sportart zeigen und die
dennoch vor möglichen Gesundheitsgefahren abgeschreckt werden. Im
Leichtkontaktboxen liegt das Potential, den Boxsport auf breiter Ebene einer
Interessensgruppe zugänglich zu machen, denen das Fitnessboxen zu wenig
Spannung bietet und die dennoch nicht in Kauf nehmen wollen, mit einem
blauen Auge zur Arbeit gehen zu müssen, weil das Sparring härter ausfiel,
als geplant war. Insgesamt ist die Schweiz diesbezüglich um gut zehn Jahre
an Entwicklung voraus. Das Leichtkontaktboxen hat einen festen Platz im
Schweizer Boxsportverband eingenommen und es finden regelmäßig Turniere
statt. Gerade die Tatsache des Wettkampfes befördert das Leichtkontaktboxen
von dem Bereich des Breiten- in den des Leistungssports, was dazu
führt, dass auch die Leistungsorientierten innerhalb des Leichtkontaktboxens
eine Plattform haben. Die Amateurboxverbände hätten gute Möglichkeiten,
junge Nachwuchsboxer über die Leichtkontaktschiene zu gewinnen. In
Frankreich ist dies im Rahmen des Boxe Éducative absolut üblich.
Das Leichtkontaktboxen stellt eine durchweg positive Sportart dar. Sollte sich
diese Sportart nicht im gleichen Maße entwickeln wie sie es in der Schweiz
getan hat, dann kann das nicht am fehlenden Interesse der jeweiligen Zielgruppen
liegen, sondern daran, dass die organisatorischen und institutionellen
Rahmenbedingungen fehlen. Damit dies nicht eintritt, ist das Engagement
derjenigen gefragt, die ohnehin schon auf dem Gebiet engagiert sind. Darüber
hinaus müssen Trainer, Sponsoren und die Medien gewonnen werden,
um Projekte im Rahmen des Boxe Éducative ins Leben zu rufen.
Betrachtet man abschließend, was auf dem Gebiet des Leichtkontaktboxens
mit seiner sportlichen Ausrichtung und dem Boxe Éducative mit seiner pädagogischen
Zielsetzung in Deutschland bereits ins Rollen gebracht wurde,
stimmt das zuversichtlich, dass es zu einer kontinuierlichen Ausbreitung
kommt, von der Schüler und Schulen profitieren können.
Ausbreitung
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8. Anhang
siehe Beigefügte CD
97

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____________________________________________________________________
Ich versichere, dass ich die Arbeit selbständig verfasst und keine anderen als
die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe.
_______________
Ort, Datum
_____________
Unterschrift
98

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