Artikel Katalog - Graduiertenkolleg Wert und Äquivalent
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WERTE IM WIDERSTREIT<br />
Von Bräuten, Muscheln, Geld <strong>und</strong> Kupfer<br />
Hrsg. Charlotte Trümpler, Peter Breunig<br />
mit Doktorandinnen <strong>und</strong> Doktoranden des <strong>Graduiertenkolleg</strong>s<br />
»<strong>Wert</strong> <strong>und</strong> <strong>Äquivalent</strong>«, Goethe-Universität Frankfurt a. M.
43<br />
Selma Abdelhamid<br />
VERSUNKENE WERTE<br />
Meine Dissertation behandelt die Ladungen von<br />
römischen Schiffen, die im 1. Jahrh<strong>und</strong>ert v. Chr.<br />
an der südfranzösischen Küste sanken. Die meisten<br />
waren auf dem Weg von Italien nach Südfrankreich.<br />
Der genaue Abfahrtshafen ist unbekannt; die Route<br />
jedoch lässt sich anhand der transportierten Dinge<br />
ansatzweise rekonstruieren, wenn man annimmt,<br />
dass diese nahe ihrem Produktionsort aufgeladen<br />
wurden. Der Fokus der Untersuchung liegt auf dem<br />
materiellen <strong>Wert</strong> dieser Waren. Im Vergleich der<br />
Schiffe wird deutlich, dass die Ladungen unterschiedliche<br />
<strong>Wert</strong>e besaßen.<br />
In der Antike wurden Flussläufe <strong>und</strong> Meere nicht<br />
als trennende, sondern als verbindende Elemente<br />
betrachtet: Verglichen mit Überlandwegen, die zu<br />
Fuß, mit Hilfe von Zug- oder Reittieren zurückgelegt<br />
wurden, war das Reisen auf dem Schiff verhältnismäßig<br />
schnell. Seerouten wurden zu wichtigen<br />
Kommunikationsachsen, aber auch zu Transportwegen<br />
für Objekte <strong>und</strong> insbesondere Handelswaren.<br />
Die verschifften Güter waren vielfältiger Natur.<br />
Nicht alle blieben unter Wasser erhalten: Anders<br />
als Tonobjekte verrotteten Holz, Textilien oder<br />
Getreide. Schiffswracks liefern daher kein realistisches<br />
Bild der gesamten Schiffsladung. Die Zusammensetzung<br />
zahlreicher Transporte ist jedoch,<br />
zumindest teilweise, bekannt.<br />
Eine wesentliche Rolle nahmen Nahrungsmittel<br />
ein, im römischen Kulturraum hauptsächlich Weizen,<br />
Wein, Öl <strong>und</strong> Fischsauce. Während Getreide<br />
in Säcken transportiert wurde, füllte man die flüssigen<br />
Substanzen in Amphoren. Diese waren mit<br />
Stempeln versehen, anhand derer sich der Produktionsort<br />
der Gefäße ablesen lässt. Geht man davon aus,<br />
dass die Amphoreninhalte aus logistischen Gründen<br />
nahe der Töpferei produziert wurden, liefern die<br />
Stempel auch einen indirekten Hinweis auf die Herkunft<br />
der Waren. Dennoch sind bisweilen Beispiele<br />
von Amphorentransporten über größere Distanzen<br />
oder von wiederverwendeten Gefäßen bekannt.<br />
Ein kleiner Teil der transportierten Objekte kann<br />
Luxusgütern zugeschrieben werden, d. h. Gegenständen<br />
mit hohem materiellem <strong>Wert</strong>, die für das unmittelbare<br />
Überleben nicht entscheidend waren, so Marmorgesteine,<br />
wilde Tiere für die Zirkusspiele oder<br />
Bronzeobjekte. Mehrere bekannte Wracks hatten<br />
links: Dionysische Maske griechischer<br />
Herstellung (Aufsatz einer Bronzevase),<br />
um 70 v. Chr., gef<strong>und</strong>en auf dem Schiffswrack<br />
La Fourmigue C, Südfrankreich<br />
(Musée d’archéologie de Nice-Cimiez,<br />
Frankreich)<br />
rechts: Dressel IB-Amphora aus<br />
dem Wrack Dramont A, 1. Jh. v. Chr.,<br />
gef<strong>und</strong>en beim Cap du Dramont,<br />
Südfrankreich
44<br />
bronzene Gefäße <strong>und</strong> Möbel geladen, darunter ein<br />
Schiff in Mahdia (Tunesien), Antikythera (Griechenland)<br />
oder La Fourmigue (Frankreich). Möglicherweise<br />
stammen ihre Waren aus derselben Werkstatt<br />
in Delos. In La Fourmigue entdeckte man Vasen,<br />
Kandelaber <strong>und</strong> mehr als 300 Klinenteile (Liegen,<br />
auf denen hauptsächlich gespeist wurde), deren<br />
Zusammenbau durch die auf den Stücken angebrachte<br />
griechische Nummerierung erleichtert<br />
werden sollte. In Italien waren diese Gegenstände,<br />
wie aus schriftlichen Quellen bekannt ist, heiß<br />
begehrt <strong>und</strong> dienten der Ausstattung der Häuser<br />
der Oberschicht. Dazu gehörten angesehene Familien<br />
oder auch Emporkömmlinge wie Caius Licinus<br />
Verres, der berühmte sizilianische Statthalter, der<br />
von Cicero wegen Amtsmissbrauch <strong>und</strong> Kunstraub<br />
angeklagt wurde. Die Klinen kamen bei prunkvollen<br />
Essgelagen zum Einsatz, nicht selten in einem eigens<br />
dafür konzipierten Bankettsaal. Erworben wurden<br />
sie auf einem ausgedehnten Kunstmarkt, dessen<br />
Händler im ganzen Mittelmeer aktiv waren. Einige<br />
griechische Werkstätten produzierten sogar gezielt<br />
Einrichtungsgegenstände für die römischen Villen.<br />
Anschließend gelangten die Waren über den Seeweg<br />
nach Westen, zum Beispiel nach Italien oder nach<br />
Frankreich. Die Händler der Schiffsladung in La<br />
Fourmigue scheinen sich allgemein auf die Vermarktung<br />
von Luxusgütern spezialisiert zu haben. Sie<br />
handelten nicht nur mit Möbeln, sondern auch mit<br />
Marmor. An Bord gef<strong>und</strong>ene Gesteinsproben werden<br />
als Vorführmaterial gedeutet <strong>und</strong> lassen vermuten,<br />
dass damit Bestellungen für kommende Reisen aufgenommen<br />
wurden. Der F<strong>und</strong>ort des Schiffswracks an<br />
der südfranzösischen Küste legt nahe, dass die Waren<br />
an dort ansässige K<strong>und</strong>en verkauft werden sollten.<br />
Im Kontrast zu besonders wertvollen Ladungen wie<br />
der in La Fourmigue stehen Frachten mit alltäglichen<br />
Gütern <strong>und</strong> Rohstoffen, wie Glas <strong>und</strong> Metallbarren.<br />
Das Wrack Planier 3 in Südfrankreich beispielsweise<br />
hatte Realgar <strong>und</strong> blaue Fritte geladen.<br />
Realgar, ein rot-orangenes Arsenmineral, diente als<br />
Farbstoff. Frittekugeln wurden zu Glasobjekten weiterverarbeitet.<br />
Besonders überrascht hat die Wissenschaftler,<br />
die die Schiffe untersuchten, dass auch<br />
Pferdekopf, Teil einer bronzenen Armlehne einer Kline griechischer<br />
Herkunft, 1. Hälfte 1. Jh. v. Chr., gef<strong>und</strong>en auf dem Schiffswrack<br />
La Fourmigue C, Südfrankreich (Musée d‘archéologie de Nice-Cimiez,<br />
Frankreich)<br />
Rekonstruktion einer Kline griechischer Herstellung<br />
(Liegen, auf denen hauptsächlich gespeist wurde)
45<br />
Gebrauchskeramik transportiert wurde. Allgemein<br />
hatte man angenommen, diese sei von derart geringem<br />
<strong>Wert</strong>, dass sie nur lokal hergestellt <strong>und</strong> genutzt<br />
wurde. Auf dem Schiffswrack in La Madrague de<br />
Giens in Südfrankreich jedoch kamen h<strong>und</strong>erte<br />
von Tellern, Deckeln, Kannen <strong>und</strong> Krügen zu Tage.<br />
Sie waren in Kisten über Amphoren gestapelt <strong>und</strong><br />
gehörten eindeutig nicht zum Bordgeschirr, sondern<br />
zur Fracht – <strong>und</strong> lieferten den Beweis dafür, dass sich<br />
ihre Verschiffung wirtschaftlich gelohnt haben muss.<br />
Die Auswahl der Waren erfolgte auf Entscheidung<br />
eines Händlers, der unter den verfügbaren Objekten<br />
bewusst Dinge aussuchte, von denen er annahm,<br />
sie würden bei der Ankunft Absatz finden. Der<br />
anschließende Eintausch der Güter war vermutlich<br />
von Fall zu Fall unterschiedlich. Sicher kamen nicht<br />
nur Münzgeld zum Einsatz, sondern auch andere<br />
<strong>Wert</strong>gegenstände. Dafür spricht, dass Münzen nur<br />
in bescheidenen Maßen aus den Schiffswracks<br />
geborgen wurden. Auf dem Schiff in Cavalière in<br />
Südfrankreich beispielsweise fand man insgesamt<br />
nur 11 Münzen, davon fünf Bronzemünzen aus<br />
Marseille, fünf numidische Münzen aus Nordafrika<br />
<strong>und</strong> eine spanische Münze. Dass Währungen in der<br />
Antike bis weit über ihr Ursprungsgebiet gültig sein<br />
konnten, ist bekannt. Dennoch bleibt rätselhaft, wo<br />
<strong>und</strong> wie die an Bord dieses Schiffes verkehrenden<br />
Händler die Münzen erstanden hatten, insbesondere<br />
jene aus Spanien <strong>und</strong> aus Numidien. Eine Möglichkeit<br />
wären Tauschgeschäfte vor Ort; genauso denkbar<br />
ist jedoch, dass sie sie in einem der international<br />
frequentierten Häfen des Mittelmeers erhandelten.<br />
Tatsächlich waren Hafenanlagen die bedeutendsten<br />
Austauschplattformen der antiken Welt. Am Übergang<br />
vom Land zum Meer gelegen, waren sie zugleich<br />
Export- <strong>und</strong> Importraum: Eine auf das Meer ausgerichtete<br />
Kontaktzone, die Personen, Ideen <strong>und</strong> Güter<br />
verband.<br />
Titel der Dissertation:<br />
Versunkene <strong>Wert</strong>e – In Schiffswracks thesaurierte<br />
Tauschgüter.<br />
Klassische Archäologie an der TU Darmstadt,<br />
Prof. Dr. Franziska Lang<br />
Zusammensetzbare Klinenteile griechischer Herstellung, 1. Hälfte 1. Jh. v. Chr.,<br />
gef<strong>und</strong>en auf dem Schiffswrack La Fourmigue C, Südfrankreich (Musée d’archéologie<br />
de Nice-Cimiez, Frankreich)<br />
nachfolgende Seite:<br />
Ausgrabung <strong>und</strong> Dokumentation des Schiffswracks Planier 3, 1. Jh. v. Chr., gef<strong>und</strong>en<br />
nahe der Insel Planier, Südfrankreich<br />
Numidische Münze aus Nordafrika<br />
eines ostmassylischen Herrschers,<br />
206 – 88 v. Chr., gef<strong>und</strong>en auf einem<br />
Schiffswrack in Cavalière, Südfrankreich
77<br />
ABBILDUNGSNACHWEIS<br />
Antikenmuseum der Universität Heidelberg: S. 36 rechts, 37, 38 links Mitte<br />
Archäologisches Museum, Frankfurt a. M.: S. 40<br />
Archäologisches Museum, Olympia: S. 15 rechts<br />
Marija Bajalović-Birtasˇ ević, Srednjevekovna nekropola u Mirijevu, Belgrad 1960:<br />
S. 65 links<br />
Miriam Balmuth, Hacksilber to Coinage, New York 2001: S. 17<br />
Achim Bednorz, Köln: S. 56 rechts<br />
bpk /Antikensammlung, SMB, Berlin: S. 35 rechts<br />
Barry Cunliffe, Roman Bath Discovered, Stroud 2000 4 : S. 57<br />
Anamaria Depner, Augsburg: S. 72 – 74, 75 unten, 76<br />
Deutsche B<strong>und</strong>esbank, Frankfurt a. M.: S. 16, 18, 20 rechts<br />
Maria-Louise Dittrich, Marburg: S. 22<br />
DRASSM, Marseille, Frankreich: S. 43 – 47<br />
Jean Elsen & ses Fils s. a. – Auktion 90, Nr. 468: S. 66<br />
Katherine Erdman, University of Minnesota: S. 58<br />
Forschungsgruppe Nok-Kultur: S. 49, 51 (Barbara Voss <strong>und</strong> Monika Heckner); 48, 50<br />
Frobenius Institut, Frankfurt a. M.: S. 21 links, 24, 25, 29, 30 rechts, 36 links, 38 rechts<br />
oben <strong>und</strong> Mitte, 59, 61, 71 links unten, 75 oben (Peter Steigerwald); 41<br />
Grabungsprojekt Tell Chuera: S. 9, 27, 28, 30 links<br />
Grabungsprojekt Tell Mozan: S. 31 – 34<br />
Jakob Hanke, Frankfurt a. M.: S. 56 links<br />
Robert Kern, Bad Reichenhall: S. 55 rechts<br />
Kathrin Knodel, Frankfurt a. M.: S. 69, 70, 71 links oben <strong>und</strong> rechts<br />
Landkreis Berchtesgadener Land: S. 53<br />
Ministry of Education, Religious Affairs, Culture & Sports, General Secretariat<br />
of Culture, Numismatic Museum, »Coins and Numismatics«, Athen 1996:<br />
S. 15 links<br />
Museo di Santa Giulia, Brescia, Italien: S. 42<br />
Museo Nazionale Romano, Rom: S. 35 links<br />
Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M.: S. 63 rechts (Wolfgang Günzel)<br />
Museum of Art, Rhode Island School of Design, Providence, USA: S. 21 rechts<br />
Nationalmuseum, Krusˇ evac, Serbien: S. 65 rechts, 67<br />
Janina von Römer, Frankfurt a. M..: S. 60, 62, 63 links <strong>und</strong> Mitte<br />
Sammlung des Archäologischen Instituts der Georg-Augustus-Universität<br />
Göttingen: S. 38 rechts unten (Stephan Eckardt)<br />
Soprintendenza per i Beni Archeologici dell’Abruzzo, Chieti, Italien: S. 39<br />
Universitätsarchiv, Frankfurt a. M.: S. 23<br />
Vorderasiatisches Museum, Berlin: S. 10, 14<br />
Max Wieser, Piding: S. 55 links<br />
Württembergische Metallwarenfabrik AG, Geislingen an der Steige:<br />
S. 38 links oben <strong>und</strong> unten
78<br />
IMPRESSUM<br />
Begleitbroschüre zur Ausstellung<br />
WERTE IM WIDERSTREIT – VON BRÄUTEN, MUSCHELN, GELD UND KUPFER<br />
Eine Ausstellung des <strong>Graduiertenkolleg</strong>s »<strong>Wert</strong> <strong>und</strong> <strong>Äquivalent</strong>« im Hessischen Ministerium<br />
für Wissenschaft <strong>und</strong> Kunst, Wiesbaden, vom 12. Oktober bis 16. Dezember 2012<br />
Ausstellung<br />
Leitung <strong>und</strong> Konzeption<br />
Charlotte Trümpler, Peter Breunig mit Doktorandinnen<br />
<strong>und</strong> Doktoranden des <strong>Graduiertenkolleg</strong>s »<strong>Wert</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Äquivalent</strong>«, Goethe-Universität Frankfurt a. M.<br />
Gestaltung<br />
Studierende des Fachbereichs Gestaltung der Hochschule<br />
Darmstadt – nach Entwurf Nicole Lössner /<br />
Bernadette Engel, Überarbeitung <strong>und</strong> Ausführung<br />
Sara Spörecke, Katharina Klueber.<br />
Betreuung Ursula Gillmann<br />
Film<br />
Jan Frederik Berger, Sophia Edschmid,<br />
Institut für Kunstpädagogik, Schwerpunkt Film,<br />
Goethe-Universität Frankfurt a. M.<br />
Kommunikationsdesign<br />
Kommunikationskontor_Düsseldorf<br />
<strong>Katalog</strong><br />
Herausgeber<br />
Charlotte Trümpler, Peter Breunig mit Doktorandinnen<br />
<strong>und</strong> Doktoranden des <strong>Graduiertenkolleg</strong>s »<strong>Wert</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Äquivalent</strong>«, Goethe-Universität Frankfurt a. M.<br />
Text- <strong>und</strong> Bildredaktion<br />
Charlotte Trümpler, Peter Breunig<br />
Gestaltung<br />
Kommunikationskontor_Düsseldorf,<br />
Mitarbeit Katrin Büttgen<br />
Copyright<br />
<strong>Graduiertenkolleg</strong> »<strong>Wert</strong> <strong>und</strong> <strong>Äquivalent</strong>«,<br />
Goethe-Universität Frankfurt a. M.<br />
www.value-and-equivalence.de<br />
Förderer der Ausstellung <strong>und</strong> der Broschüre<br />
DFG – Deutsche Forschungsgemeinschaft, Bonn<br />
Vereinigung von Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Förderern der Johann<br />
Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a. M. e. V.