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Interessenkollision und gemeinschaftliche Berufsausübung

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<strong>Interessenkollision</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>gemeinschaftliche</strong> <strong>Berufsausübung</strong><br />

– was gilt?<br />

Die Konkretisierung des Verbots der Vertretung<br />

widerstreitender Interessen (§ 43 a Abs. 4 BRAO)<br />

in der Berufsordnung (§ 3 BORA)<br />

Dr. Christian Deckenbrock, Köln*<br />

Die Dynamik des Anwaltsmarkts wirft beim Verbot der Vertretung<br />

widerstreitender Interessen viele neue Fragen auf:<br />

Dürfen Anwälte einer Sozietät kollidierende Mandate wahrnehmen?<br />

Wann muss eine Sozietät, die einen Sozietätswechsler<br />

aufnimmt, widerstreitende Mandate niederlegen?<br />

Was gilt in der – seit Mitte Dezember 2007 zulässigen –<br />

Sternsozietät? Und wie werden Anwälte in einer Bürogemeinschaft<br />

behandelt? Die Satzungsversammlung hat versucht,<br />

mit dem seit 1. Juli 2006 geltenden § 3 BORA die<br />

Streitfragen zu beantworten. Der Autor untersucht unter<br />

Berücksichtigung der inzwischen umfangreichen Literatur,<br />

was nach seiner Auffassung jetzt gilt. Der Beitrag ist damit<br />

eine wichtige Orientierung für Anwälte in Kollisionsfällen.<br />

I. Einleitung<br />

Seit den sog. Bastille-Entscheidungen des BVerfG vom 14.<br />

Juli 1987 1 hat der Druck auf die anwaltlichen Berufspflichten<br />

erheblich zugenommen. Die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte<br />

Berufsfreiheit stellt strenge Anforderungen sowohl<br />

an den Gesetzgeber als auch an die Satzungsversammlung<br />

der B<strong>und</strong>esrechtsanwaltskammer, die die BORA zu verantworten<br />

hat. Eine weitere Angriffswelle auf das Berufsrecht<br />

geht von Europa aus, von wo aus ebenfalls Grenzen an die<br />

Rechtmäßigkeit einer Berufspflicht gesetzt werden. 2<br />

Diese<br />

Vorgaben verlangen allerdings keine vollständige Abschaffung<br />

des Berufsrechts. Im Gegenteil: Es entspricht dem<br />

Rechtsstaatsgedanken <strong>und</strong> dient der Rechtspflege, dass dem<br />

Bürger aus Gründen der Chancen- <strong>und</strong> Waffengleichheit<br />

Rechtsk<strong>und</strong>ige zur Verfügung stehen, zu denen er Vertrauen<br />

hat <strong>und</strong> die seine Interessen möglichst frei <strong>und</strong> unabhängig<br />

von staatlicher Einflussnahme wahrnehmen können. Insbesondere<br />

die Kernpflichten („core values“), die anwaltliche<br />

Unabhängigkeit, die Verschwiegenheitspflicht <strong>und</strong> das Verbot<br />

der Vertretung widerstreitender Interessen, sind für das<br />

durch persönliche <strong>und</strong> eigenverantwortliche Dienstleistung<br />

charakterisierte Vertrauensverhältnis zum Mandanten, zum<br />

Schutz der Interessen des Mandanten <strong>und</strong> zur Aufrechterhaltung<br />

einer funktionsfähigen Rechtspflege unerlässlich. 3<br />

Die mit Abstand größte Aufmerksamkeit erfahren in der<br />

Praxis momentan die (möglichen) Interessenkonflikte des<br />

Rechtsanwalts. 4<br />

Ganz aktuell ist in einem Beitrag für diese<br />

Zeitschrift betont worden, dass zu keinem anderen Thema<br />

nur annähernd so viele Anfragen an die Kammern gerichtet<br />

werden wie zu den <strong>Interessenkollision</strong>en. 5 Dabei hat dieses<br />

Verbot, das heute berufsrechtlich in § 43 a Abs. 4 BRAO <strong>und</strong><br />

in § 3 BORA geregelt ist sowie vom Straftatbestand des § 356<br />

StGB flankiert wird, eine lange Tradition. Es hat seinen Ursprung<br />

in der praevaricatio des Anklägers im römischen<br />

Quästionenprozess (Dig. 47.15). Der praevaricator war ein<br />

Ankläger, der den Strafprozess unredlich mit dem Ziel<br />

führte, dem Angeklagten zum Freispruch oder zumindest zu<br />

einem milden Urteil zu verhelfen. Dank der Rechtskraft des<br />

Urteils wurde dieser dann vor einer neuen Anklage <strong>und</strong><br />

rechtmäßiger Verurteilung bewahrt. Prävarikation wurde<br />

also etwa begangen, wenn der Ankläger wahre, dem Angeklagten<br />

aber ungünstige Beweise unterdrückte oder verschleierte.<br />

Später übertrug man die Prävarikation des Anklägers<br />

(praevaricatio propria) auf den von ihr abgeleiteten<br />

Tatbestand der Sachwalteruntreue (praevaricatio impropria).<br />

Diese Form der praevaricatio – das Wort lässt sich mit Begriffen<br />

wie „den geraden Weg verlassen“ oder „spaltzüngige<br />

Streithilfe“ übersetzen – <strong>und</strong> damit auch das Verbot der Vertretung<br />

widerstreitender Interessen sind ein Gr<strong>und</strong>satz unseres<br />

Rechtssystems, der für den einzelnen Anwalt jedenfalls<br />

seit der Einführung der freien Advokatur 1878 endgültig<br />

anerkannt <strong>und</strong> nicht mehr wegzudenken ist. 6<br />

Trotz der langen Tradition des strafrechtlichen Parteiverrats<br />

<strong>und</strong> des berufsrechtlichen Verbots der Vertretung widerstreitender<br />

Interessen wird die Praxis durch die Entwicklung<br />

des Anwaltsmarkts fortwährend vor neue Herausforderungen<br />

gestellt. So waren etwa die Existenz weltweit operierender<br />

Anwaltskanzleien, das Massenphänomen des Sozietätswechsels<br />

<strong>und</strong> die Möglichkeit der Bildung von<br />

Sternsozietäten noch vor 20 Jahren nicht absehbar. Das Feld<br />

der Interessenkonflikte ist also weit, so weit, dass es angesichts<br />

des hier zur Verfügung stehenden Raumes ein aussichtsloses<br />

Unterfangen wäre, auf alle Aspekte r<strong>und</strong> um den<br />

strafrechtlichen Parteiverrat <strong>und</strong> das berufsrechtliche Verbot<br />

der Vertretung widerstreitender Interessen einzugehen.<br />

Gr<strong>und</strong>lagenfragen wie etwa die Reichweite des Tatbestandsmerkmals<br />

„dieselbe Rechtssache“ 7 oder die Bestimmung der<br />

Interessenlage des Mandanten (subjektiv oder objektiv) 8 bleiben<br />

daher nachfolgend außer Betracht. Dieser Beitrag beschränkt<br />

sich vielmehr auf den zum 1. Juli 2006 neu gestalteten<br />

§ 3 BORA, wobei das Verhältnis zu §§ 45, 46 BRAO<br />

bereits Gegenstand eines gesonderten Beitrags war. 9 Die Satzungsregelung,<br />

mit welcher der denkbar knapp gehaltene<br />

§ 43 a Abs. 4 BRAO konkretisiert werden soll, stößt in der Literatur<br />

auf erheblichen Widerspruch. Während manche in<br />

ihr den „Untergang des Anwaltsstandes“ 10 sehen oder von der<br />

„Selbstentkernung der Anwaltschaft“ 11 sprechen, geht anderen<br />

die mit ihr verb<strong>und</strong>ene Liberalisierung nicht weit genug.<br />

MN Aufsätze * Der Aufsatz basiert auf der Dissertation des Verfassers „Strafrechtlicher Parteiverrat<br />

<strong>und</strong> berufsrechtliches Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen“,<br />

die jüngst im Deutschen Anwaltverlag (ISBN 978-3-8240-5248-6) erschienen ist.<br />

Die Arbeit ist von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln<br />

mit dem CBH Promotionspreis 2009 ausgzeichnet worden.<br />

1 BVerfGE 76, 171 = NJW 1988, 191 = AnwBl 1987, 598; BVerfGE 76, 196 = NJW<br />

1988, 194 = AnwBl 1987, 603.<br />

2 Dazu Henssler, AnwBl 2009, 1 ff.<br />

3 BVerfGE 76, 171, 190 = NJW 1988, 191, 193 = AnwBl 1987, 598, 602; BVerfGE<br />

110, 226, 252, 259 = NJW 2004, 1305, 1307, 1309 = AnwBl 2004, 309, 315, 317;<br />

BVerfGE 113, 29, 49 = NJW 2005, 1917, 1919 = AnwBl 2005, 578 (Ls.). Siehe<br />

auch Henssler, ZZP 115 (2002), 321, 324 f.; Gaier, BRAK-Mitt. 2006, 2, 4.<br />

4 Siehe die Nachweise bei Deckenbrock, AnwBl 2009, 16 Fn. 2.<br />

5 Offermann-Burckart, AnwBl 2008, 446.<br />

6 Vgl. (jeweils auch zu den weiteren Entwicklungen) Hübner, in: LK/StGB, Bd. 7,<br />

10. Aufl. 1988, § 356 vor Rn. 1 „Entstehungsgeschichte“; Eylmann, in: Henssler/<br />

Prütting, BRAO, 2. Aufl. 2004, § 43 a Rn. 126 ff.<br />

7 Dazu Deckenbrock, Strafrechtlicher Parteiverrat <strong>und</strong> berufsrechtliches Verbot der<br />

Vertretung widerstreitender Interessen, 2009, Rn. 120 ff., 271 ff.<br />

8 Deckenbrock (Fn. 7), Rn. 145 ff., 279 ff.<br />

9 Deckenbrock, AnwBl 2009, 16 ff.<br />

10 Krenzler, BRAK-Mitt. 2003, 249 (zustimmend Hartung, NJW 2006, 2721, 2724).<br />

11 Scharmer, BRAK-Mitt. 2006, 150.<br />

170 AnwBl 3 / 2009 <strong>Interessenkollision</strong> <strong>und</strong> <strong>gemeinschaftliche</strong> <strong>Berufsausübung</strong>, Deckenbrock


MN Aufsätze 12 Deckenbrock (Fn. 7), Rn. 287.<br />

II. Die persönliche Disqualifikation des Anwalts<br />

(§ 3 Abs. 1 BORA)<br />

Das in § 3 Abs. 1 BORA geregelte Tätigkeitsverbot weist im<br />

ersten Halbsatz keine Besonderheiten gegenüber der Regelung<br />

des § 43 a Abs. 4 BRAO auf. Die Tatbestandsmerkmale<br />

„Rechtsanwalt“, „in derselben Rechtssache“, „im widerstreitenden<br />

Interesse“ <strong>und</strong> „bereits beraten oder vertreten hat“<br />

sind schon § 43 a Abs. 4 BRAO zu entnehmen. 12<br />

Die Satzungsversammlung<br />

hat damit die ihr in § 59 b Abs. 2 Nr. 1 e)<br />

BRAO eingeräumte Befugnis einer Konkretisierung nicht<br />

wahrgenommen, sondern hat sich auf die Wiederholung<br />

der gesetzlichen Regelung beschränkt, ohne ausfüllungsbedürftige<br />

Tatbestandsmerkmale wie etwa den Interessenwiderstreit<br />

inhaltlich näher zu bestimmen. 13<br />

Immerhin ist der Wortlaut des § 3 Abs. 1 BORA gelungener<br />

als der des § 43 a Abs. 4 BRAO. So heißt es anstelle<br />

des in § 43 a Abs. 4 BRAO verwandten „vertreten“ in § 3<br />

Abs. 1 BORA „beraten oder vertreten“, was der Bedeutung<br />

des Tatbestandsmerkmals gerechter wird. Klargestellt wird<br />

zudem, dass das Verbot auch greift, wenn die Beratung oder<br />

Vertretung des anderen Interesses nicht gleichzeitig, sondern<br />

sukzessive erfolgt. Ebenfalls zu begrüßen ist der – bei<br />

§ 43 a Abs. 4 BRAO noch fehlende – ausdrückliche Hinweis<br />

darauf, dass dem Anwalt nur „in derselben Rechtssache“ die<br />

Vertretung widerstreitender Interessen untersagt ist. Neben<br />

dieser Klarstellungsfunktion kommt § 3 Abs. 1 BORA insbesondere<br />

eine Verweisungsfunktion zu, indem er als<br />

Anknüpfungspunkt für § 3 Abs. 2 <strong>und</strong> 3 BORA dient. 14<br />

III. Fälle <strong>gemeinschaftliche</strong>r <strong>Berufsausübung</strong><br />

(§ 3 Abs. 2 BORA)<br />

1. Regelungskompetenz der Satzungsversammlung<br />

§ 3 Abs. 2 BORA a. F. hatte – zu Recht, wie der Sozietätswechsler-Beschluss<br />

des BVerfG 15 schließlich bestätigte – eine<br />

heftige Debatte über seine Verfassungsmäßigkeit entfacht.<br />

Ein wesentlicher Aspekt dieser Diskussion war die formelle<br />

Verfassungsmäßigkeit der Satzungsnorm. Teile der Rechtsprechung<br />

<strong>und</strong> eine Reihe von Autoren hatten diese mit dem<br />

Hinweis verneint, § 43 a Abs. 4 BRAO sei eine auf den Einzelanwalt<br />

zugeschnittene Norm. 16<br />

Da § 59 b Abs. 2 BRAO<br />

eine Regelungskompetenz nur „im Rahmen der Vorschriften<br />

dieses Gesetzes“ gewähre, sei der Satzungsversammlung die<br />

Statuierung neuer Berufspflichten nicht möglich. Der Satzungsgeber<br />

dürfe sich nicht in Widerspruch zu den Freiräumen<br />

setzen, die der Gesetzgeber nicht angetastet habe. 17 Die<br />

Satzungsversammlung als Anwaltsparlament müsse zudem<br />

den Vorgaben der Wesentlichkeitstheorie Folge leisten. Hiernach<br />

bedürften alle wesentlichen Eingriffe in die Berufsfreiheit<br />

einer ausreichend bestimmten gesetzlichen Gr<strong>und</strong>lage. 18<br />

Es sei unbestritten, dass Tätigkeitsverbote eines Rechtsanwalts<br />

<strong>und</strong> damit auch das Verbot der Vertretung widerstreitender<br />

Interessen stets zu den wesentlichen – statusbildenden<br />

– Eingriffen gehörten. 19 § 3 Abs. 2 BORA führe sogar<br />

zu einer „lawinengleichen Vervielfachung“ von Tätigkeitsverboten.<br />

20<br />

Das BVerfG hat – etwas überraschend – zur Diskussion<br />

um die formelle Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs. 2 BORA<br />

a. F. keine Stellung bezogen, sondern die Nichtigkeit der<br />

Norm allein auf materielle Erwägungen gestützt. Kleine-Cosack<br />

hat daraus geschlossen, die formellen verfassungsrechtlichen<br />

Bedenken stellten sich auch bei der Neufassung des<br />

§ 3 Abs. 2 BORA. 21 Diese Sichtweise geht jedoch von der<br />

nicht mehr vetretbaren Prämisse aus, dass sich § 43 a Abs. 4<br />

BRAO lediglich an den Einzelanwalt richtet. Der Senat hat<br />

dagegen betont, dass es Aufgabe der Fachgerichte sei, die<br />

momentan bestehende gesetzliche Lücke im Wege richterlicher<br />

Rechtsfortbildung zu schließen. Dem stehe der in<br />

Art. 20 Abs. 3 GG angeordnete Vorrang des Gesetzes nicht<br />

entgegen. Das BVerfG vertritt damit die Auffassung, dass<br />

aus § 43 a Abs. 4 BRAO trotz Fehlens einer ausdrücklichen,<br />

§§ 45 Abs. 3, 46 Abs. 3 BRAO vergleichbaren Sozietätsklausel<br />

eine Erstreckung auf Fälle <strong>gemeinschaftliche</strong>r <strong>Berufsausübung</strong><br />

abgeleitet werden kann. 22<br />

Damit ist der Debatte<br />

über die formelle Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs. 2<br />

BORA ihre Gr<strong>und</strong>lage entzogen worden. Das BVerfG hat sie<br />

durch beredtes Schweigen beendet. 23<br />

2. Gr<strong>und</strong>sätzliche Erstreckung des Verbots<br />

in § 3 Abs. 2 S. 1 BORA<br />

Wendet man sich § 3 Abs. 2 BORA auf materiell-rechtlicher<br />

Ebene zu, findet man folgendes Regelungssystem vor: Nach<br />

§ 3 Abs. 2 S. 1 BORA wird das den Einzelanwalt treffende<br />

Verbot auf „alle mit ihm in derselben <strong>Berufsausübung</strong>s-<br />

[oder Büro]gemeinschaft gleich welcher Rechts- oder Organisationsform<br />

verb<strong>und</strong>enen Rechtsanwälte“ erstreckt (zur<br />

Bürogemeinschaft IV. 3.). Von dieser Ausdehnung werden<br />

damit nicht nur die in einer als Gesellschaft bürgerlichen<br />

Rechts organisierten Sozietät, sondern auch alle in einer<br />

Partnerschaftsgesellschaft, Anwalts-GmbH, Anwalts-AG <strong>und</strong><br />

in einer in Deutschland tätigen ausländischen Anwaltskanzlei<br />

24 verb<strong>und</strong>enen Berufsträger erfasst – unabhängig davon,<br />

ob sie Partner, Angestellte oder freie Mitarbeiter sind. 25 Die<br />

Scheinsozietät ist ebenfalls eine <strong>Berufsausübung</strong>sgemeinschaft<br />

i. S. d. § 3 Abs. 2 S. 1 BORA. 26<br />

Anknüpfungspunkt für die Erstreckung des Verbots ist<br />

Abs. 1. Bei der Prüfung der Voraussetzungen des Tätigkeitsverbots<br />

ist daher in einem ersten Schritt zu beurteilen, ob<br />

13 Vgl. auch Schramm, Das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen, 2004,<br />

S. 98.<br />

14 Kleine-Cosack, BRAO, 5. Aufl. 2008, § 3 BORA Rn. 5.<br />

15 BVerfGE 108, 150 = NJW 2003, 2520 = AnwBl 2003, 521.<br />

16 Siehe nur AGH Stuttgart, Beschluss vom 9.11.1999 – AGH 21/99 (II) (n. v.); AnwG<br />

Köln, AnwBl 2000, 200, 201; Kütemann, <strong>Interessenkollision</strong> des Anwalts, 2002,<br />

S. 83 ff.; Wirtz, Die Regelungskompetenz der Satzungsversammlung, 2004,<br />

S. 205 ff., 213; Kleine-Cosack, AnwBl 1998, 417, 420 f.; Kilian, WM 2000, 1366,<br />

1376; Henssler, NJW 2001, 1521, 1528; Schlosser, NJW 2002, 1376, 1380 f.; a. A.<br />

Eylmann (Fn. 6), § 3 BORA Rn. 6; Prütting, AnwBl 1999, 361, 363.<br />

17 Henssler, ZIP 1998, 2121, 2124.<br />

18 BVerfGE 33, 125, 157 ff. = NJW 1972, 1504, 1506 ff.; BVerfGE 36, 212, 216 f. =<br />

NJW 1974, 232; BVerfGE 76, 171, 185 = NJW 1988, 191 f. = AnwBl 1987, 598,<br />

601.<br />

19 Siehe nur Kleine-Cosack, AnwBl 1998, 417, 420 f.; Henssler, NJW 2001, 1521,<br />

1528.<br />

20 Vgl. etwa Kilian, BB 2003, 2189, 2190.<br />

21 Kleine-Cosack, AnwBl 2003, 539, 546; ders., AnwBl 2006, 13, 18.<br />

22 BVerfGE 108, 150, 159 f. = NJW 2003, 2520 = AnwBl 2003, 521, 523; BVerfGK 8,<br />

239, 241 f. = NJW 2006, 2469 = AnwBl 2006, 580.<br />

23 Vgl. den vom Ausschuss 4 der Satzungsversammlung gebilligten Begründungstext<br />

zu § 3 BORA (SV-Mat. 12/2006), BRAK-Mitt. 2006, 213 f. sowie Feuerich, in: Feuerich/Weyland,<br />

BRAO, 7. Aufl. 2008, § 3 BORA Rn. 7 f.; Harting, Berufspflichten<br />

des Strafverteidigers <strong>und</strong> Sanktionierung pflichtwidrigen Verhaltens, 2008,<br />

S. 177 f.; a. A. Kilian, BB 2003, 2189, 2192.<br />

24 Zum Problem der sog. double deontology siehe etwa Henssler, AnwBl 2004, 458,<br />

462 f.<br />

25 Siehe nur Feuerich (Fn. 23), § 3 BORA Rn. 11.<br />

26 So auch Kleine-Cosack (Fn. 14), § 3 BORA Rn. 8 <strong>und</strong> Feuerich (Fn. 23), § 3 BORA<br />

Rn. 11, der sich damit allerdings in Widerspruch zu seinen Ausführungen bei<br />

§ 43 a Rn. 66 setzt. Ausführlich Deckenbrock (Fn. 7), Rn. 510 ff.<br />

<strong>Interessenkollision</strong> <strong>und</strong> <strong>gemeinschaftliche</strong> <strong>Berufsausübung</strong>, Deckenbrock AnwBl 3 / 2009 171


MN Aufsätze 27 Kleine-Cosack (Fn. 14), § 43 a Rn. 96.<br />

überhaupt einem Einzelanwalt die Mandatsübernahme untersagt<br />

wäre. Bei der Subsumtion unter die Tatbestandsmerkmale<br />

„dieselbe Rechtssache“, „<strong>Interessenkollision</strong>“ <strong>und</strong> „vertreten“<br />

spielt es keine Rolle, ob ein <strong>und</strong> derselbe Anwalt oder<br />

zwei verschiedene Anwälte einer Sozietät die widerstreitenden<br />

Mandate betreuen. Die bei Kleine-Cosack anklingende<br />

Überlegung, dass § 3 BORA ein bewegliches System der Tatbestandsmerkmale<br />

enthalte, 27<br />

überzeugt nicht: Der Norm<br />

lässt sich nicht entnehmen, dass alle Tatbestandsmerkmale<br />

in einer Art Gesamtabwägung zu beurteilen sind.<br />

3. Ausnahme: Einverständnis der betroffenen Mandanten<br />

§ 3 Abs. 2 S. 2 BORA sieht von der gr<strong>und</strong>sätzlichen Erstreckung<br />

des Tätigkeitsverbots eine Ausnahme vor, „wenn sich<br />

im Einzelfall die betroffenen Mandanten in den widerstreitenden<br />

Mandaten nach umfassender Information mit der<br />

Vertretung ausdrücklich einverstanden erklärt haben <strong>und</strong> Belange<br />

der Rechtspflege nicht entgegenstehen“. Da sich diese<br />

Ausnahme nur auf Abs. 2, nicht aber auf Abs. 1 bezieht, verdeutlicht<br />

die Systematik der Norm, dass das Einverständnis<br />

nur in Sozietätskonstellationen von Bedeutung ist. Gegenüber<br />

einem Einzelanwalt können die Mandanten nicht in eine<br />

Vertretung widerstreitender Interessen einwilligen.<br />

a) Gesetzeswidrigkeit des Einverständnisvorbehalts?<br />

Mit der Neufassung des § 3 Abs. 2 BORA ist die Satzungsversammlung<br />

über die Vorgaben des BVerfG hinausgegangen,<br />

das sich ausdrücklich nur zum Fall des nicht vorbefassten<br />

Sozietätswechslers geäußert hat. Hartung hält diese erweiterte<br />

Dispositionsbefugnis der Mandanten für gesetzeswidrig.<br />

Er begründet seine Sichtweise damit, dass „die Satzungsversammlung<br />

aus § 59 b Abs. 2 Nr. 1e) BRAO“ nicht „die<br />

Ermächtigung ableiten“ könne, „die gesetzliche Regelung<br />

des § 43 a Abs. 4 BRAO lockern oder aufheben zu können“.<br />

Unter den in § 3 Abs. 2 S. 2 BORA genannten Voraussetzungen<br />

wäre es einem Anwalt gestattet, gegen das gesetzliche<br />

Verbot des § 43 a Abs. 4 BRAO zu verstoßen, mithin eine<br />

„verbotene Vertretung widerstreitender Interessen“ durchzuführen.<br />

28<br />

Sein Fazit: „Solange der B<strong>und</strong>esgesetzgeber § 43 a<br />

Abs. 4 BRAO nicht dahin einschränkt, dass unter bestimmten<br />

Voraussetzungen widerstreitende Interessen wahrgenommen<br />

<strong>und</strong> vertreten werden dürfen, verbleibt es mithin<br />

bei der uneingeschränkten Geltung des § 43 a Abs. 4<br />

BRAO.“ 29<br />

Hartungs Argumentation ist widersprüchlich: So stellt er<br />

anfangs heraus, § 43 a Abs. 4 BRAO richte sich allein an den<br />

Einzelanwalt <strong>und</strong> werde nur über die Satzungsregelung des<br />

§ 3 Abs. 2 BORA auf Sozietätsmitglieder erstreckt. Im weiteren<br />

Verlauf seiner Ausführungen vertritt er dann plötzlich<br />

die These, dass § 43 a Abs. 4 BRAO durch § 3 Abs. 2 S. 2<br />

BORA eingeschränkt werde. Hartung übersieht zum einen,<br />

dass in § 43 a Abs. 4 BRAO bereits unmittelbar eine personelle<br />

Erstreckung angelegt ist (III. 1.). Zum anderen meint<br />

er, der Norm sei zwingend zu entnehmen, dass das Verbot<br />

der Vertretung widerstreitender Interessen nicht dispositiv<br />

sei. Insoweit erkennt er nicht, dass der Fall eines in seiner<br />

Person gegensätzliche Interessen wahrnehmenden Rechtsanwalts<br />

mit der Konstellation der Vertretung widerstreitender<br />

Interessen durch verschiedene Anwälte einer Sozietät<br />

nicht eins zu eins vergleichbar ist. Von einer Gesetzeswidrigkeit<br />

des § 3 Abs. 2 S. 2 BORA wegen unzulässiger Einschränkung<br />

von § 43 a Abs. 4 BRAO kann somit keine Rede sein. 30<br />

b) Anforderungen an das Einverständnis<br />

§ 3 Abs. 2 S. 2 BORA konkretisiert die Anforderungen an<br />

ein wirksames Einverständnis <strong>und</strong> verlangt, dass „sich im<br />

Einzelfall die betroffenen Mandanten in den widerstreitenden<br />

Mandaten nach umfassender Information mit der Vertretung<br />

ausdrücklich einverstanden erklärt haben“.<br />

Eine solch umfassende Information <strong>und</strong> Aufklärung sollte<br />

sich auf die Sach- <strong>und</strong> Rechtslage beziehen. 31<br />

Der Hinweis<br />

auf die Rechtslage sollte die Feststellung beinhalten, dass einer<br />

Sozietät im Gr<strong>und</strong>satz die Wahrnehmung konfligierender<br />

Mandate nicht gestattet ist <strong>und</strong> nur das nun in Rede stehende<br />

Einverständnis ausnahmsweise ein Tätigkeitsverbot<br />

vermeiden kann. Welche Informationen darüber hinaus offenbart<br />

werden müssen, ist eine Frage des Einzelfalls. Entscheidend<br />

ist, welches Wissen der Mandant für ein verantwortungsvolles<br />

<strong>und</strong> freies Urteil benötigt. Mitunter kann das<br />

Aufzeigen abstrakter Gefahren ausreichend sein: So mag bei<br />

einer Konkurrentenklage der Hinweis genügen, dass die eine<br />

Position nur zulasten der anderen durchgesetzt werden<br />

kann. Zu berücksichtigen ist auch, welchem Umfeld der<br />

Mandant entstammt. Gegenüber einem Verbraucher können<br />

weit höhere Anforderungen bestehen als gegenüber einem<br />

Unternehmen mit eigener Rechtsabteilung. 32 Die Aufklärung<br />

muss darüber informieren, welche Maßnahmen zur Sicherung<br />

der Vertraulichkeit von der Sozietät (dazu noch III.<br />

3. c.) ergriffen werden, um den Fluss sensiblen Wissens innerhalb<br />

der <strong>Berufsausübung</strong>sgemeinschaft zu verhindern.<br />

Denn nur so kann der Rechtsuchende beurteilen, ob er seiner<br />

Sozietät trotz der Doppelmandatierung vertrauen kann.<br />

Information <strong>und</strong> Einverständnis müssen sich stets auf<br />

den Einzelfall beziehen. Keinesfalls zulässig sind Blankozustimmungen,<br />

bei denen ein Mandant schon vor dem Auftreten<br />

eines Interessenkonflikts pauschal darin einwilligt,<br />

dass im Fall des Falls von anderen Sozietätsanwälten gegensätzliche<br />

Interessen vertreten werden dürfen. Eine Einzelfallaufklärung<br />

kann ersichtlich nicht zu einem Zeitpunkt erfolgen,<br />

zu dem die Umstände des Einzelfalls noch nicht<br />

bekannt sind. Aus dem Erfordernis eines ausdrücklichen Einverständnisses<br />

folgt, dass ein Tätigwerden auf Basis einer<br />

konkludenten Einwilligung ausscheidet. 33 Erst recht ist eine<br />

mutmaßliche Einwilligung <strong>und</strong>enkbar. 34<br />

Die Annahme des<br />

widerstreitenden Mandats ist zudem erst nach Erteilung des<br />

ausdrücklichen Einverständnisses möglich, weil der einmal<br />

erfolgte Berufsrechtsverstoß nicht ex post beseitigt werden<br />

kann. Damit kann weder während noch nach Abschluss des<br />

zweiten Mandats ein Einverständnis eingeholt werden. 35<br />

Nicht erforderlich ist dagegen die Schrift- oder Textform der<br />

Einverständniserklärung. Anders als frühere Entwurfs-<br />

28 Hartung, in: Hartung/Römermann, BORA, 4. Aufl. 2008, § 3 Rn. 106; ebenso ders.,<br />

NJW 2006, 2721, 2722; ders., AnwBl 2007, 752.<br />

29 Hartung (Fn. 28), § 3 Rn. 107.<br />

30 Ebenfalls einen Widerspruch in Hartungs Argumentation sehen Feuerich (Fn. 23),<br />

§ 3 BORA Rn. 8, 12, 34; Kilian, in: Koch/Kilian, Anwaltliches Berufsrecht, 2007, B<br />

Rn. 644; Maier-Reimer, NJW 2006, 3601, 3603 Fn. 38 <strong>und</strong> wohl auch Busse, NJW<br />

2007, 497. Ohne klare Stellungnahme Römermann, AnwBl 2006, 831, 832.<br />

31 Scharmer, BRAK-Mitt. 2006, 150, 152 meint offenbar, dass die Belehrung nicht von<br />

der Kanzlei durchgeführt werden müsse, sondern die Zustimmungserklärung auch<br />

vom Gegner beigebracht werden könne.<br />

32 Vgl. Westerwelle, NJW 2003, 2958, 2960.<br />

33 Feuerich (Fn. 23), § 3 BORA Rn. 18.<br />

34 Anders dagegen Richter, in: Hense/Ulrich, WPO, 2008, § 53 Rn. 17 für den Wirtschaftsprüfer.<br />

35 A. A. Hartung (Fn. 28), § 3 Rn. 148 = NJW 2006, 2721, 2726 ohne Begründung.<br />

Feuerich (Fn. 23), § 3 BORA Rn. 17; Kilian (Fn. 30), B Rn. 652 <strong>und</strong> Kleine-Cosack,<br />

AnwBl 2006, 13, 16 halten ein Einverständnis im Laufe der Mandatsarbeit, nicht<br />

jedoch nach Abschluss des Mandats für ausreichend.<br />

172 AnwBl 3 / 2009 <strong>Interessenkollision</strong> <strong>und</strong> <strong>gemeinschaftliche</strong> <strong>Berufsausübung</strong>, Deckenbrock


MN Aufsätze 36 Siehe aber Purrucker, BRAK-Mitt. 2007, 150, 152.<br />

fassungen verlangt § 3 Abs. 2 S. 3 BORA nur noch, dass sie<br />

– wie die Information – in Textform erfolgen soll. 36 Die Satzungsversammlung<br />

hat davon abgesehen, zwingend Textform<br />

zu fordern, damit reine Formverstöße bei materiell bedenkenfreier<br />

Beratung oder Vertretung keine Sanktionen<br />

auslösen. 37<br />

Allerdings empfiehlt sich schon angesichts des<br />

Beweislastrisikos die Einhaltung der Schrift- oder Textform.<br />

Unklar ist, ob die Mandanten an das einmal erklärte Einverständnis<br />

geb<strong>und</strong>en sind. Unzweifelhaft bleibt es jeder<br />

Partei unbenommen, das eigene Mandat über eine Kündigung<br />

(§ 627 BGB) sofort zu beenden. Kann aber auch die Sozietät<br />

über einen Widerruf der Zustimmung zur Niederlegung<br />

des anderen Mandats gezwungen werden? In der<br />

Literatur wird fast durchweg die Auffassung vertreten, dass<br />

ein Widerruf jederzeit möglich sein müsse, 38<br />

ja sogar noch<br />

nicht einmal einzelvertraglich ausgeschlossen werden könne.<br />

Wo derart sensible Werte wie anwaltliche Treue <strong>und</strong> –<br />

vielfach höchstpersönliches – Vertrauen zur Disposition<br />

stünden, müsse dem Mandanten jederzeit der Weg zurück<br />

offenstehen. 39 Der vom Berufsrechtsausschuss der Satzungsversammlung<br />

gebilligte Begründungstext zu § 3 Abs. 2<br />

BORA geht ebenfalls von einer freien Widerrufbarkeit des<br />

Einverständnisses aus. Breche in einem Strafverfahren gegen<br />

mehrere Beschuldigte die ursprünglich gleichgerichtete Verteidigungsstrategie<br />

mit parallelen Interessen auf <strong>und</strong> verteidige<br />

sich der eine Beschuldigte zulasten des anderen,<br />

stünden Belange der Rechtspflege der Fortführung beider<br />

Mandate entgegen. 40<br />

Dieser Begründungstext macht deutlich, dass von der Satzungsversammlung<br />

die beiden Fragen, wann ein Interessenwiderstreit<br />

vorliegt <strong>und</strong> inwieweit bei vorhandener <strong>Interessenkollision</strong><br />

ein Einverständnis der betroffenen Mandanten<br />

relevant ist, miteinander vermengt werden. Selbstverständlich<br />

ist eine Änderung der Mandanteninteressen, durch die<br />

eine ursprüngliche Interessengleichheit in einen Interessenkonflikt<br />

verwandelt wird, beachtlich <strong>und</strong> begründet für die<br />

Sozietät die Pflicht zur Niederlegung beider Mandate, falls<br />

die betroffenen Klienten nun nicht in die Konfliktvertretung<br />

einwilligen. Dies folgt aus dem Umstand, dass erst mit der<br />

Änderung der Interessenlage der Anwendungsbereich des<br />

§ 43 a Abs. 4 BRAO i. V. m. § 3 BORA eröffnet wird. Vorher,<br />

im Stadium der Interessengleichheit, ist ein Einverständnis<br />

der beiden Parteien nicht einmal erforderlich. 41<br />

Anders zu beurteilen ist die Situation, in der das Einverständnis<br />

der Mandanten die Wahrnehmung gegensätzlicher<br />

Interessen durch verschiedene Anwälte einer Sozietät ermöglicht.<br />

Richtigerweise darf eine solche Zustimmung dann<br />

nicht widerruflich sein, wenn sie auf einer ordnungsgemäßen<br />

Aufklärung beruht. Andernfalls hinge die Möglichkeit,<br />

das Mandat für die andere Partei bis zum Ende fortzuführen,<br />

von der Laune des Gegners ab. Im Interesse der Rechtssicherheit<br />

für den jeweils anderen Mandanten muss es daher<br />

hingenommen werden, dass das Einverständnis nicht frei widerruflich<br />

ist. Eine abweichende Sichtweise ist lediglich angebracht,<br />

wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass die<br />

Kanzlei ihre Mandanten falsch oder unzureichend aufgeklärt<br />

hat. In diesem Fall fehlt es bereits an einem wirksamen Einverständnis,<br />

sodass § 43 a Abs. 4 BRAO i. V. m. § 3 BORA<br />

den Anwälten einer Sozietät untersagt, konfligierende Mandate<br />

fortzuführen. Gleiches gilt, wenn sich die Maßnahmen,<br />

die zur Sicherung der Vertraulichkeit ergriffen worden sind,<br />

als lückenhaft erweisen. Ab dem Zeitpunkt, in dem der eigentlich<br />

zu unterbindende Informationsfluss erfolgt ist, steht<br />

der Mandatsfortführung das fehlende, weil nicht unter diesen<br />

Umständen erteilte Einverständnis entgegen. Diese Einschränkungen<br />

schützen die Interessen der Rechtsuchenden<br />

ausreichend. 42<br />

c) Folgen des erteilten Einverständnisses für die<br />

Verschwiegenheitspflicht<br />

Beauftragt ein Mandant eine Sozietät, willigt er gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

zugleich stillschweigend in die Weitergabe vertraulicher Informationen<br />

unter den Sozietätsmitgliedern ein. 43<br />

Eine solche<br />

Erlaubnis, die sich auch auf die Offenbarung von vertraulichen<br />

Informationen an später eintretende Anwälte<br />

erstreckt, 44<br />

kann allerdings nicht unterstellt werden, wenn<br />

der Mandant mit der Wahrnehmung kollidierender Interessen<br />

durch die Sozietät einverstanden ist. 45 Die mit der konkreten<br />

Mandatsbearbeitung betrauten Anwälte müssen in<br />

diesem Fall gegenüber anderen Berufsträgern der Kanzlei<br />

Verschwiegenheit wahren. Dies bedeutet nicht nur, dass den<br />

in der Sozietät tätigen Anwälten straf- <strong>und</strong> berufsrechtliche<br />

Sanktionen im Fall der Verletzung der Schweigepflicht drohen,<br />

sondern auch, dass vonseiten der Kanzlei bzw. ihrer Anwälte<br />

aktiv Maßnahmen zur Vermeidung einer Verletzung<br />

ergriffen werden müssen. Werden keine ausreichenden Mechanismen<br />

zum Schutz der geheimhaltungsbedürftigen Informationen<br />

geschaffen, liegt zumindest eine fahrlässige<br />

Verschwiegenheitspflichtverletzung vor. 46<br />

Denn die pflichtwidrige<br />

Weitergabe der vertraulichen Informationen kann<br />

nicht nur durch eine mündliche oder schriftliche Äußerung<br />

erfolgen, sondern bereits dadurch, dass einem anderen die<br />

Möglichkeit der Kenntniserlangung geboten wird. 47<br />

Wenn<br />

die Zusammenarbeit in der Sozietät so organisiert ist, dass<br />

die Gefahr einer Verschwiegenheitspflichtverletzung nicht<br />

hinreichend sicher gebannt werden kann, darf ein kollidierendes<br />

Mandat erst gar nicht angenommen werden. 48 Solche<br />

die Schweigepflicht sichernden Maßnahmen können sog.<br />

chinese walls sein, die aus der Finanzwelt <strong>und</strong> dem angloamerikanischen<br />

Rechtskreis bekannt sind. 49<br />

d) Alternative zum Einverständnis<br />

Die Einholung des Einverständnisses der betroffenen Mandanten<br />

ist nach dem eindeutigen Wortlaut <strong>und</strong> der klaren<br />

Systematik des § 3 Abs. 2 S. 2 BORA die einzige Möglichkeit<br />

für die Sozietät, die Erstreckung des Tätigkeitsverbots zu vermeiden.<br />

Kilian <strong>und</strong> Kleine-Cosack bezweifeln, dass ein alleini-<br />

37 SV-Mat. 12/2006, BRAK-Mitt. 2006, 213, 214.<br />

38 Kilian (Fn. 30), B Rn. 652; Harting (Fn. 23), S. 181; Kleine-Cosack, AnwBl 2006, 13,<br />

17 (anders aber nun ders. [Fn. 14], § 3 BORA Rn. 48 f.). Ebenso Erb, Parteiverrat<br />

– Rechtsgut <strong>und</strong> Einwilligung im Tatbestand des § 356 StGB, 2005, S. 213 f. (zu<br />

§ 356 StGB); Grunewald, AnwBl 2005, 437, 440; dies., ZEV 2006, 386, 388 <strong>und</strong><br />

Offermann-Burckart, ZEV 2007, 151, 153, die jedoch eine Einwilligung sogar im Hinblick<br />

auf den Einzelanwalt für relevant halten.<br />

39 Erb (Fn. 38), S. 214 (zu § 356 StGB).<br />

40 SV-Mat. 12/2006, BRAK-Mitt. 2006, 213, 215.<br />

41 Dazu ausführlich Deckenbrock (Fn. 7), Rn. 170 f.<br />

42 Siehe aber Sahan, AnwBl 2008, 698, 702, der für dasselbe Ergebnis auf die „Belange<br />

der Rechtspflege“ zurückgreift.<br />

43 BGH NJW 1995, 2915, 2916; BGHZ 148, 97, 102 = NJW 2001, 2462, 2463 =<br />

AnwBl 2001, 571.<br />

44 BGH NJW 1991, 1225; BGHZ 124, 47 = NJW 1994, 257; BGHZ 148, 97, 102 =<br />

NJW 2001, 2462, 2463 = AnwBl 2001, 571.<br />

45 A. A. Kleine-Cosack (Fn. 14), § 43 a Rn. 55.<br />

46 Vgl. Eylmann (Fn. 6), § 43 a Rn. 56; Kilian (Fn. 30), B Rn. 707; Schramm (Fn. 13),<br />

S. 113.<br />

47 Kilian (Fn. 30), B Rn. 707.<br />

48 Ähnlich Steuber, RIW 2002, 590, 593.<br />

49 Zu den Voraussetzungen siehe Deckenbrock (Fn. 7), Rn. 519, 729 ff. sowie Kilian,<br />

WM 2000, 1366, 1372 ff.<br />

<strong>Interessenkollision</strong> <strong>und</strong> <strong>gemeinschaftliche</strong> <strong>Berufsausübung</strong>, Deckenbrock AnwBl 3 / 2009 173


MN Aufsätze<br />

ges Abstellen auf das Einverständnis einer verfassungsrechtlichen<br />

Überprüfung standhält. 50 Vielmehr müsse eine Sozietätserstreckung<br />

auch dann ausscheiden, wenn ein schutzwürdiges<br />

Vertrauen des Mandanten nicht erkennbar sei, die<br />

Versagung des Einverständnisses rechtsmissbräuchlich sei<br />

oder die Interessen der betroffenen Rechtsanwälte <strong>und</strong> deren<br />

Mandanten überwögen. 51<br />

Das BVerfG hat allerdings einen<br />

„Rechtssatz des Inhalts, dass das Verbot der Vertretung widerstreitender<br />

Interessen auch für die mit einem Rechtsanwalt<br />

in einer Sozietät verb<strong>und</strong>enen Kollegen gilt, wenn die<br />

Mandanten mit der weiteren Tätigkeit des Sozius nicht einverstanden<br />

sind“, als mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar angesehen.<br />

52<br />

Die Erstreckung des Tätigkeitsverbots kann daher<br />

nicht anderweitig, etwa durch die Installierung von chinese<br />

walls vermieden werden. Die Errichtung solcher vertraulichkeitssichernder<br />

Maßnahmen kann allenfalls dazu beitragen,<br />

dass der Mandant sein Einverständnis erteilt.<br />

4. Rückausnahme: Entgegenstehende Belange der<br />

Rechtspflege<br />

a) Ursprung der Einschränkung<br />

Das BVerfG hat in seinen zwei Entscheidungen zur sozietätsweiten<br />

Geltung des § 43 a Abs. 4 BRAO zwar maßgeblich<br />

darauf abgestellt, ob die betroffenen Mandanten in die Wahrnehmung<br />

gegensätzlicher Interessen durch Sozietätsanwälte<br />

eingewilligt haben. In den Beschlüssen klingt jedoch an,<br />

dass es das Einverständnis nicht für das allein entscheidende<br />

Kriterium hält. So bestehe trotz erteilten Einverständnisses<br />

im Interesse der Rechtspflege Anlass zum Eingreifen, wenn<br />

hierfür sonstige Indizien sprächen, die den Mandanten verborgen<br />

geblieben oder von ihnen unzutreffend eingeschätzt<br />

worden seien. Die Rechtsanwaltskammern seien insoweit berechtigt<br />

<strong>und</strong> verpflichtet, allen Hinweisen nachzugehen. 53<br />

Belange der Rechtspflege könnten daher die Nichtannahme<br />

des Mandats bzw. dessen Beendigung erfordern. Eine derartige<br />

objektive Betrachtung ergänze das subjektive Vertrauenselement<br />

des Einverständnisses. 54<br />

b) Meinungsstand<br />

Eine konkrete Aussage, wann „Belange der Rechtspflege“<br />

trotz Einverständnisses ein Tätigkeitsverbot begründen<br />

können, ist der Rechtsprechung des BVerfG nicht zu entnehmen.<br />

Auch die meisten Stellungnahmen der Literatur zeugen<br />

von Ratlosigkeit. 55<br />

Selbst in dem vom Ausschuss 4 der Satzungsversammlung<br />

gebilligten Begründungstext zu § 3 BORA werden mehr<br />

Fragen aufgeworfen als Lösungsansätze vorgestellt: Belange<br />

der Rechtspflege, die eine unabhängige, verschwiegene <strong>und</strong><br />

geradlinige Wahrnehmung der Mandanteninteressen durch<br />

den Rechtsanwalt voraussetzten, könnten nicht nur im gerichtlichen<br />

Verfahren, sondern auch im außergerichtlichen<br />

Bereich einer Wahrnehmung widerstreitender Interessen<br />

durch unterschiedliche Rechtsanwälte derselben <strong>Berufsausübung</strong>sgemeinschaft<br />

entgegenstehen, wenngleich sie<br />

dort in der Regel gr<strong>und</strong>sätzlich ein geringeres Gewicht hätten.<br />

Maßgeblich sei zudem die Frage, inwieweit ein ungewollter<br />

Fluss geheimhaltungsbedürftiger Informationen<br />

denkbar sei. Ob Belange der Rechtspflege widerstreitenden<br />

Beratungsmandaten in der Sozietät entgegenstünden, hänge<br />

daher davon ab, ob die getroffenen Vorkehrungen zur Wahrung<br />

der Vertraulichkeit effektiv seien. 56 Hieraus folge in der<br />

Regel eine räumliche Trennung der Mandatsbearbeiter: „Ist<br />

beispielsweise innerhalb einer <strong>Berufsausübung</strong>sgemeinschaft<br />

am gleichen Ort die Gefahr groß, dass der Berater<br />

oder Vertreter des Gegners gewollt oder ungewollt geheimhaltungsbedürftige<br />

Informationen des Gegners erlangt, etwa<br />

beim abendlichen Blick in die Faxeingänge, könnte dies allein<br />

schon trotz vorliegender Einverständniserklärungen der<br />

Beratung oder Vertretung entgegenstehen. Umgekehrt bedeutet<br />

dies, dass Belange der Rechtspflege in der Regel nicht<br />

entgegenstehen, wenn widerstreitende Beratungsmandate<br />

von räumlich verschiedenen Büros derselben <strong>Berufsausübung</strong>sgemeinschaft<br />

geführt werden <strong>und</strong> überzeugende faktische<br />

Vorkehrungen zur Wahrung der Vertraulichkeit (sog.<br />

chinese walls) getroffen worden sind, sei es aus freien<br />

Stücken, sei es, weil die Mandanten davon ihre Zustimmungserklärungen<br />

abhängig gemacht haben. Ein widerstreitendes<br />

Beratungsmandat kann dann also mit Blick auf die<br />

Belange der Rechtspflege zwischen den Büros derselben <strong>Berufsausübung</strong>sgemeinschaft<br />

in Hamburg <strong>und</strong> München<br />

geführt werden, nicht aber innerhalb der Münchner oder<br />

Hamburger Kanzlei.“ 57<br />

Andere Stimmen gehen über das Erfordernis einer räumlichen<br />

Trennung der Mandatsbearbeiter hinaus <strong>und</strong> leiten<br />

aus den „Belangen der Rechtspflege“ sogar ab, dass eine Vertretung<br />

widerstreitender Mandate durch verschiedene Sozietätsanwälte<br />

generell nicht in Betracht komme, sondern nur<br />

im Fall des Sozietätswechsels. 58<br />

c) Konturlosigkeit des Merkmals „Belange der Rechtspflege“<br />

Diese Stellungnahmen zeigen die aus der Unbestimmtheit<br />

des Rechtsbegriffs folgenden Auslegungsschwierigkeiten.<br />

Letztlich werden alle Aspekte, die von Rechtsprechung <strong>und</strong><br />

Literatur im Zusammenhang mit den „Belangen der Rechtspflege“<br />

genannt werden, bereits bei der Wirksamkeit des Einverständnisses<br />

berücksichtigt. Wenn alle Beteiligten nach der<br />

notwendigen Aufklärung mit der Vertretung widerstreitender<br />

Interessen durch verschiedene Sozietätsmitglieder einverstanden<br />

sind, folgt schon aus dem erteilten Einverständnis<br />

selbst die Pflicht zur Errichtung von chinese walls (III. 3. c.).<br />

Ebenso wenig erfordern etwaige Belange der Rechtspflege,<br />

dass die gerichtliche Vertretung oder die Vertretung in<br />

Schiedsverfahren von verschiedenen Anwälten einer Sozietät<br />

oder gar von unterschiedlichen Büros übernommen werden<br />

müssen. Der Rechtsanwalt ist im forensischen <strong>und</strong> beratenden<br />

Bereich gleichermaßen Organ der Rechtspflege. 59<br />

50 Kleine-Cosack (Fn. 14), § 3 BORA Rn. 15, 45 ff.; Kilian (Fn. 30), B Rn. 648; ders.,<br />

BB 2003, 2189, 2193.<br />

51 Kleine-Cosack (Fn. 14), § 3 BORA Rn. 47.<br />

52 BVerfGK 8, 239, 242 = NJW 2006, 2469 = AnwBl 2006, 580.<br />

53 BVerfGE 108, 150, 164 = NJW 2003, 2520, 2522 = AnwBl 2003, 521, 524.<br />

54 BVerfGK 8, 239, 243 = NJW 2006, 2469, 2470 = AnwBl 2006, 580, 581.<br />

55 Etwa bei Kilian (Fn. 30), B Rn. 651; Dahns, NJW-Spezial 2005, 573; Grunewald,<br />

ZEV 2006, 386, 388; Kleine-Cosack, AnwBl 2006, 13, 17; Offermann-Burckart, ZEV<br />

2007, 151, 155; Quaas, NJW 2008, 1697, 1698; Scharmer, BRAK-Mitt. 2006, 150,<br />

154.<br />

56 SV-Mat. 12/2006, BRAK-Mitt. 2006, 213, 215. Ähnlich Feuerich (Fn. 23), § 3 BORA<br />

Rn. 23 ff.; Kilian (Fn. 30), B Rn. 651; Maier-Reimer, NJW 2006, 3601, 3603; Saenger/Riße,<br />

MDR 2006, 1386, 1387.<br />

57 SV-Mat. 12/2006, BRAK-Mitt. 2006, 213, 214 f.; zustimmend Feuerich (Fn. 23), § 3<br />

BORA Rn. 26. Vor dem Inkrafttreten des neu gefassten § 3 BORA wurde im<br />

Schrifttum zur Reichweite des § 43 a Abs. 4 BRAO eine so differenzierende<br />

Lösung vertreten, vgl. Henssler, NJW 2001, 1521, 1525 f. Auch das BVerfG hatte in<br />

der Sozietätswechsler-Entscheidung die Bedeutung einer räumlichen Trennung<br />

der Mandatsbearbeitung aufgegriffen <strong>und</strong> hervorgehoben, BVerfGE 108, 150, 163<br />

= NJW 2003, 2520, 2521 = AnwBl 2003, 521, 524.<br />

58 So AGH München, NJW-RR 2005, 1225, 1226; Purrucker, BRAK-Mitt. 2007, 150,<br />

152. Ähnlich Groß, in: Münchener Anwaltshandbuch Familienrecht, 2. Aufl. 2008,<br />

§ 2 Rn. 46; Hartung, AnwBl 2007, 752.<br />

59 Ebenso Schramm (Fn. 13), S. 232.<br />

174 AnwBl 3 / 2009 <strong>Interessenkollision</strong> <strong>und</strong> <strong>gemeinschaftliche</strong> <strong>Berufsausübung</strong>, Deckenbrock


MN Aufsätze 60 So ausdrücklich BVerfGE 108, 150, 162 f. = NJW 2003, 2520, 2521 = AnwBl 2003,<br />

Die These, dass eine Vertretung widerstreitender Mandate<br />

durch verschiedene Sozietätsanwälte generell unzulässig<br />

sei, ist nicht mit der Systematik des § 3 BORA in Einklang<br />

zu bringen. Bei einem derartigen Verständnis hätte es nicht<br />

einer generellen Ausnahmeregelung in § 3 Abs. 2 S. 2 BORA<br />

bedurft, sondern ausgereicht, für den Fall des Sozietätswechsels<br />

in § 3 Abs. 3 BORA eine Ausnahme zu schaffen. Auch<br />

eine unterschiedliche Behandlung von örtlichen <strong>und</strong> überörtlichen<br />

Sozietäten lässt sich § 3 Abs. 2 BORA nicht entnehmen.<br />

Sind die Mandanten mit der Interessenvertretung einverstanden,<br />

so ist nach dem Wortlaut der Norm eine<br />

Mehrfachvertretung konfligierender Mandate auch dann zulässig,<br />

wenn die mit den Mandaten befassten Anwälte an<br />

demselben Kanzleistandort tätig sind. Hätte die Satzungsversammlung<br />

eine derart generelle Differenzierung vorsehen<br />

wollen, hätte sie diese unproblematisch in § 3 Abs. 2 S. 2<br />

BORA festschreiben können. Im Gr<strong>und</strong>satz erlaubt das geltende<br />

Recht daher eine Vertretung widerstreitender Interessen<br />

sogar durch die beiden Anwälte einer Zweiersozietät.<br />

Inhaltlich ist die Beurteilung des Ausschusses allerdings<br />

insoweit zutreffend, als die nicht ausreichende Sicherung<br />

der Verschwiegenheitspflicht dazu führen kann, dass die Sozietät<br />

von einer Doppelvertretung Abstand nehmen muss.<br />

Selbst wenn die Sozietätsanwälte Gefahren für das anwaltliche<br />

Berufsgeheimnis nicht sehen, kann die lokale Trennung<br />

der verschiedenen Mandatsbearbeiter maßgeblich dazu<br />

beitragen, dass die betroffenen Mandanten überhaupt zur<br />

Zustimmung bereit sind. Sie ist aber kein berufsrechtliches<br />

„Muss“. Unzulässig wäre es, einen berufsrechtswidrigen<br />

Wissenstransfer aufgr<strong>und</strong> der fehlenden lokalen Trennung<br />

zu unterstellen. Es ist vielmehr gr<strong>und</strong>sätzlich davon auszugehen,<br />

dass die sozietätsverb<strong>und</strong>enen Anwälte ihren Berufspflichten<br />

nachkommen. 60<br />

Die vom Ausschuss 4 nach § 11 der Geschäftsordnung<br />

der Satzungsversammlung 61 erarbeitete Begründung zu § 3<br />

BORA ist zudem rechtlich völlig unverbindlich. Sie bringt<br />

nicht den Willen des Satzungsgebers zum Ausdruck. Deutlich<br />

wird dies bereits daran, dass die Begründung erst nach<br />

Inkrafttreten der Norm erstellt worden ist. Anders als die Begründung<br />

von Gesetzesentwürfen standen diese Ausführungen<br />

den Mitgliedern der Satzungsversammlung bei der Beschlussfassung<br />

nicht zur Verfügung. Die „Begründung“ ist<br />

auch im Nachhinein von der Satzungsversammlung nicht<br />

gebilligt worden, sondern bleibt eine Stellungnahme eines<br />

Ausschusses, dessen Mitglieder nur einen kleinen Teil der<br />

Versammlung ausmachen, die der Neufassung des § 3<br />

BORA letztlich zugestimmt hat. Des fehlenden rechtlichen<br />

Charakters der „Begründung“ scheint sich die Satzungsversammlung<br />

selbst bewusst gewesen zu sein, ist sie doch nicht<br />

als „amtliche Mitteilung“, sondern unter der Rubrik „Aufsätze“<br />

in den BRAK-Mitteilungen veröffentlicht worden. 62<br />

IV. Sonderfälle<br />

1. Sozietätswechsler<br />

Die Satzungsversammlung hat – anders als in der vom<br />

BVerfG für nichtig erklärten Vorgängerfassung – den Fall<br />

des Sozietätswechslers in einem eigenständigen Absatz geregelt.<br />

Nach § 3 Abs. 3 BORA gelten „die Absätze 1 <strong>und</strong> 2 ...<br />

auch für den Fall, dass der Rechtsanwalt von einer <strong>Berufsausübung</strong>s-<br />

[oder Büro]gemeinschaft zu einer anderen <strong>Berufsausübung</strong>s-<br />

[oder Büro]gemeinschaft wechselt“. Die<br />

Norm stellt klar, dass der Wechsler selbst in derselben<br />

Rechtssache keine widerstreitenden Interessen vertreten<br />

darf, <strong>und</strong> zwar unabhängig davon, ob er persönlich in der alten<br />

Kanzlei mit dem Mandat befasst war (§ 3 Abs. 1 BORA)<br />

oder nicht (§ 3 Abs. 2 BORA).<br />

In der Literatur ist die Neuregelung darüber hinaus überwiegend<br />

so interpretiert worden, dass eine Sozietät, die einen<br />

nicht vorbefassten Anwalt in ihre Reihen aufnimmt, bei<br />

fehlender Zustimmung der Mandanten zur Mandatsniederlegung<br />

verpflichtet ist. 63 Ähnliches liest man in dem vom Ausschuss<br />

4 der Satzungsversammlung erarbeiteten Begründungstext<br />

zu § 3 BORA. Dort heißt es: „Vorstehendes (d. h.<br />

ein Tätigkeitsverbot aufseiten der aufnehmenden Kanzlei) gilt<br />

sowohl für den Kanzleiwechsler, der in dem die <strong>Interessenkollision</strong><br />

auslösenden Mandat in der abgebenden Kanzlei selbst<br />

beraten oder vertreten hat, als auch für den nach Absatz 2<br />

Satz 1 bloß mitverpflichteten Kanzleiwechsler, der das Mandat<br />

in der abgebenden Kanzlei nicht bearbeitet hat. Auch er<br />

kann aus dem Mandat geheimhaltungsbedürftige Informationen<br />

erlangt haben, die er aus Sicht des Mandanten nunmehr<br />

in die Kanzlei des Gegners mitnimmt.“ Einige Zeilen weiter<br />

wird die gr<strong>und</strong>sätzliche Erstreckung auf die in der neuen Sozietät<br />

mit dem gewechselten Anwalt verb<strong>und</strong>enen Berufsträger<br />

jedoch eingeschränkt: „Auslöser eines Tätigkeitsverbots<br />

kann andererseits aber stets nur die konkrete nahe liegende<br />

Möglichkeit der Erlangung geheimhaltungsbedürftiger Informationen<br />

sein. Wird das die <strong>Interessenkollision</strong> auslösende<br />

Mandat beispielsweise zwischen zwei großen überörtlichen<br />

Sozietäten <strong>und</strong> dort den Büros in Hamburg (Sozietät I)<br />

geführt, so steht dem Kanzleiwechsel eines Berufsträgers aus<br />

dem Berliner Büro der Sozietät II in das Hamburger Büro der<br />

Sozietät I § 3 Abs. 3 BORA nicht entgegen.“ 64<br />

Der Wortlaut des § 3 Abs. 3 BORA gibt eine solche Differenzierung,<br />

wie sie die „Begründung“ vorstellt, nicht her. 65<br />

Ebenso wenig kann ihm eine Erstreckung des Tätigkeitsverbots<br />

von einem nicht vorbefassten Anwalt auf die Neussozien<br />

entnommen werden. War der Sozietätswechsler mit der<br />

Sache nicht befasst, unterliegt er für die konkrete Rechtssache<br />

nicht dem Verbot des § 3 Abs. 1 BORA, darf aber<br />

dennoch aufgr<strong>und</strong> der in § 3 Abs. 2 BORA vorgesehenen Erstreckung<br />

– vorbehaltlich der beiderseitigen Mandantenzustimmung<br />

– nicht persönlich tätig werden. Dieses Verbot<br />

endet auch nicht mit seinem Wechsel in eine andere Kanzlei,<br />

wie aus § 3 Abs. 3 BORA folgt. Seine Kollegen in der neuen<br />

Sozietät „infiziert“ er jedoch nicht mit einem Tätigkeitsverbot,<br />

da für sie nicht die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2<br />

BORA erfüllt sind. Sie sind nicht mit einem Anwalt verb<strong>und</strong>en,<br />

der in derselben Rechtssache im widerstreitenden Interesse<br />

beraten oder vertreten <strong>und</strong> damit die Voraussetzungen<br />

des § 3 Abs. 1 BORA verwirklicht hat. 66<br />

521, 524.<br />

61 Er lautet: „Dem Beschluss zur Änderung der Berufsordnung oder Fachanwaltsordnung<br />

soll mit Übermittlung an das B<strong>und</strong>esministerium der Justiz nach § 191 e<br />

BRAO eine vom Vorsitzenden in Abstimmung mit dem Antragsteller verfasste Begründung<br />

beigefügt werden.“<br />

62 Ähnlich Kleine-Cosack (Fn. 14), § 3 BORA Rn. 1; Maier-Reimer, NJW 2006, 3601,<br />

3604; Römermann, AnwBl 2006, 831.<br />

63 Etwa von Feuerich (Fn. 23), § 3 BORA Rn. 32; Hartung (Fn. 28), § 3 Rn. 132 ff. =<br />

NJW 2006, 2721, 2725 f.; Saenger/Riße, MDR 2006, 1385, 1388 <strong>und</strong> wohl auch<br />

Quaas, NJW 2008, 1697, 1699.<br />

64 SV-Mat. 12/2006, BRAK-Mitt. 2006, 213, 215 (Klammer hinzugefügt); dem folgend<br />

Feuerich (Fn. 23), § 3 BORA Rn. 32; Saenger/Riße, MDR 2006, 1385, 1388.<br />

65 Siehe auch Kilian (Fn. 30), B Rn. 660; Maier-Reimer, NJW 2006, 3601, 3604.<br />

66 Ebenso Kleine-Cosack (Fn. 14), § 3 BORA Rn. 27, 40; Kilian (Fn. 30), B Rn. 660;<br />

Maier-Reimer, NJW 2006, 3601, 3604.<br />

<strong>Interessenkollision</strong> <strong>und</strong> <strong>gemeinschaftliche</strong> <strong>Berufsausübung</strong>, Deckenbrock AnwBl 3 / 2009 175


MN Aufsätze<br />

Wer § 3 Abs. 3 BORA eine weiter gehende Bedeutung zumessen<br />

möchte, verkennt den Rechtscharakter der Norm.<br />

Die Regelung bezweckt nicht, Sonderverbotstatbestände für<br />

den Sozietätswechsler zu schaffen, sondern will verhindern,<br />

dass ein Anwalt durch den Wechsel von jeglichem Tätigkeitsverbot<br />

befreit wird. Mit anderen Worten: § 3 Abs. 2 BORA<br />

begründet ein Tätigkeitsverbot für Anwälte, die mit einem<br />

unmittelbar nach § 3 Abs. 1 BORA disqualifizierten Anwalt<br />

in derselben <strong>Berufsausübung</strong>sgemeinschaft verb<strong>und</strong>en sind,<br />

nur so lange, wie diese Verbindung besteht. Die Erstreckungsnorm<br />

erfasst bereits ausweislich ihres Wortlauts nicht<br />

den Fall einer ehemaligen Verbindung. 67 Dafür hätte es der<br />

Aufnahme der Worte „oder verb<strong>und</strong>en gewesenen“ in den<br />

Tatbestand des § 3 Abs. 2 S. 1 BORA bedurft. Diese Lücke<br />

soll vielmehr mit § 3 Abs. 3 BORA überw<strong>und</strong>en werden, der<br />

insoweit in Form einer bloßen Verweisung § 3 Abs. 1 <strong>und</strong> 2<br />

BORA für anwendbar erklärt. Dies bedeutet, dass ein Anwalt<br />

nach seinem Ausscheiden aus einer Sozietät an das über § 3<br />

Abs. 2 BORA begründete Tätigkeitsverbot geb<strong>und</strong>en bleibt<br />

<strong>und</strong> selbst in derselben Rechtssache in seiner neuen Sozietät<br />

nicht im widerstreitenden Interesse tätig werden darf.<br />

Nicht ganz eindeutig ist die Satzungsregelung jedoch im<br />

Hinblick auf die Folgen eines Sozietätswechsels für die „alte“<br />

Sozietät, wenn der ausscheidende Anwalt das betreffende<br />

Mandat mitnimmt. Steht ihr dann eine Vertretung der Gegenseite<br />

offen? Für ein solches „Freiwerden“ der Sozietät<br />

spricht eine wörtliche Anwendung der Regelung des § 3<br />

Abs. 2 S. 1 BORA, die „das Verbot des Abs. 1“ auf alle Anwälte<br />

der Sozietät erstreckt. Sind indes der oder die Mandatsbearbeiter<br />

aus der Sozietät ausgeschieden, scheint es an einer<br />

Anknüpfung für die personelle Erstreckung des Verbots<br />

der Vertretung widerstreitender Interessen zu fehlen. Richtigerweise<br />

folgt aber aus § 3 Abs. 3 BORA, dass die in der Sozietät<br />

verbliebenen Anwälte nicht tätig werden dürfen. Wenn<br />

es dort heißt, dass „die Absätze 1 <strong>und</strong> 2 ... auch für den Fall“<br />

gelten, „dass der Rechtsanwalt von einer <strong>Berufsausübung</strong>s-<br />

[oder Büro]gemeinschaft zu einer anderen <strong>Berufsausübung</strong>s-<br />

[oder Büro]gemeinschaft wechselt“, ist damit nicht nur gemeint,<br />

dass dem vorbefassten Sozietätswechsler ein Tätigwerden<br />

im widerstreitenden Interesse versagt bleibt. Auch für<br />

die übrigen Anwälte soll sich durch den Wechsel keine neue<br />

Rechtslage ergeben. Ein anderes Ergebnis stünde im Widerspruch<br />

zu dem Fall des nicht vorbefassten Sozietätswechslers,<br />

der in seiner neuen Kanzlei nicht in kollidierende Mandate<br />

eingeb<strong>und</strong>en werden darf.<br />

2. Sternsozietät<br />

Wendet man die Regelung des § 3 BORA auf die seit der<br />

Aufhebung des Verbots der Sternsozietät 68 denkbaren neuen<br />

Sachverhalte an, muss bedacht werden, dass der Satzungsgeber<br />

zum Zeitpunkt der Neufassung des Verbots der Vertretung<br />

widerstreitender Interessen diese Fälle noch gar nicht<br />

regeln konnte. Auf eine Anpassung, wie sie der Gesetzgeber<br />

für das notarielle Mitwirkungsverbot (§ 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 7<br />

BeurkG) vorgenommen hat, 69 ist bislang verzichtet worden.<br />

Dennoch erstreckt sich ein den Sternsozius nach § 3 Abs. 1<br />

BORA persönlich treffendes Tätigkeitsverbot auf alle mit ihm<br />

zur <strong>gemeinschaftliche</strong>n <strong>Berufsausübung</strong> verb<strong>und</strong>enen Berufsträger.<br />

Dieses Ergebnis folgt bereits aus einem Vergleich<br />

mit dem Fall des vorbefassten Sozietätswechslers, dessen<br />

Wechsel für die ihn aufnehmende Sozietät über § 3 Abs. 3<br />

BORA gr<strong>und</strong>sätzlich eine Pflicht zur Niederlegung nach sich<br />

zieht (IV. 1.). Wenn in dieser Konstellation die aufnehmende<br />

Kanzlei zur Mandatsniederlegung verpflichtet wird, muss<br />

das Gleiche erst recht gelten, wenn die vorbefassten Anwälte<br />

sogar weiterhin das konfligierende Mandat betreuen. 70<br />

Nicht einschlägig ist die Sozietätsklausel des § 3 Abs. 2<br />

S. 1 BORA dagegen, wenn der socius multiplex auf keiner<br />

Seite in das Mandat eingeb<strong>und</strong>en wird. Abs. 2 dehnt das Tätigkeitsverbot,<br />

das sich aus Abs. 1 ergibt <strong>und</strong> an den vorbefassten<br />

Anwalt richtet, auf alle mit ihm in derselben <strong>Berufsausübung</strong>sgemeinschaft<br />

verb<strong>und</strong>enen Rechtsanwälte<br />

aus. Unterliegt der Mehrfachsozius dagegen einem nur mittelbar<br />

über § 3 Abs. 2 S. 1 BORA begründeten Tätigkeitsverbot,<br />

kann dieses nicht mithilfe einer neuerlichen Anwendung<br />

der Norm auf seine Kollegen in anderen Sozietäten<br />

erstreckt werden. Dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 3<br />

Abs. 2 S. 1 BORA lässt sich ein solches Verbot nicht entnehmen,<br />

da dieser ausschließlich an „das Verbot des Abs. 1“<br />

anknüpft. Außerdem stützt die Norm nur eine Verbotserstreckung<br />

auf mit dem vorbefassten Rechtsanwalt in derselben<br />

<strong>Berufsausübung</strong>sgemeinschaft verb<strong>und</strong>ene Anwälte. Durch<br />

den „Zusammenschluss“ mehrerer Sozietäten zu einer<br />

„Sternsozietät“ behalten diese ihre rechtliche Selbständigkeit.<br />

Es handelt sich zwar um einen „organisierten Zusammenschluss“<br />

von Rechtsanwälten, nicht aber um eine gemeinsame<br />

<strong>Berufsausübung</strong>, die durch die gemeinsame Entgegennahme<br />

von Aufträgen <strong>und</strong> Entgelt gekennzeichnet ist. 71<br />

Erst recht können mittelbare Verknüpfungen kein Tätigkeitsverbot<br />

nach sich ziehen. Verbindungen zwischen Sozietäten,<br />

die mittelbar dadurch erfolgen, dass ein Sozius als Mitglied<br />

einer zweiten Sozietät über andere (nicht mit dem<br />

Sachbearbeiter der ersten Kanzlei verb<strong>und</strong>ene) Personen mit<br />

einer dritten Sozietät beruflich verb<strong>und</strong>en ist, sind damit bedeutungslos.<br />

72<br />

3. Bürogemeinschafter<br />

§ 3 Abs. 2 S. 1 BORA dehnt das Tätigkeitsverbot auch auf<br />

den Bürogemeinschafter aus. Entsprechendes ordnet § 3<br />

Abs. 3 BORA für den Wechsel von oder zu einer Bürogemeinschaft<br />

an. Diese Ausdehnung bedeutet nicht nur einen<br />

Systembruch, sondern ist darüber hinaus verfassungswidrig.<br />

73<br />

Durch das Verbot der Vertretung widerstreitender<br />

Interessen soll in erster Linie verhindert werden, dass ein<br />

Anwalt zum Interessenvertreter verschiedener Mandanten<br />

mit konträren Zielen wird. Während bei der Sozietät der<br />

Rechtsuchende gerade die personellen Resourcen der gesamten<br />

Gesellschaft nutzen möchte, steht er zum Bürogemeinschafter<br />

in keiner vertraglichen Beziehung, mit der Folge,<br />

dass er ihn nicht als seinen Interessenvertreter <strong>und</strong> in seinem<br />

Lager stehend betrachtet.<br />

67 Das räumen auch Saenger/Riße, MDR 2006, 1385, 1388 trotz ihrer im Ergebnis anderen<br />

Auffassung ein.<br />

68 Siehe § 59 a, e BRAO n. F., geändert mit Wirkung zum 18.12.2007 durch Art. 4<br />

Nr. 3 <strong>und</strong> 4 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom<br />

12.12.2007, BGBl. I, S. 2840, 2848 f. Die Parallelregelung des § 31 BORA ist am<br />

18.1.2008 von der Satzungsversammlung der B<strong>und</strong>esrechtsanwaltskammer mit<br />

Wirkung zum 1.7.2008 aufgehoben worden, BRAK-Mitt. 2008, 65.<br />

69 Dazu Deckenbrock (Fn. 7), Rn. 606 f.; Henssler/Kilian, in: Festschrift für Hartung,<br />

2008, S. 65 ff.<br />

70 Henssler/Deckenbrock, DB 2008, 41, 47; im Ergebnis ebenso Quaas, NJW 2008,<br />

1697, 1699 f.<br />

71 Quaas, NJW 2008, 1697, 1699.<br />

72 Henssler/Deckenbrock, DB 2008, 41, 47.<br />

73 Kilian (Fn. 30), B Rn. 646; ders., AnwBl 2008, 707, 708. A. A. OLG Bremen,<br />

FamRZ 2008, 1544; Feuerich (Fn. 23), § 3 BORA Rn. 8, 11; Hartung (Fn. 28), § 3<br />

Rn. 104 = NJW 2006, 2721, 2724 sowie offenbar auch Harting (Fn. 23), S. 183;<br />

Maier-Reimer, NJW 2006, 3601, 3602; Saenger/Riße, MDR 2006, 1385, 1386; Sahan,<br />

AnwBl 2008, 698, 699, die jeweils nicht auf die Problematik der Einbeziehung der<br />

Bürogemeinschaft in § 3 Abs. 2 BORA eingehen. Ausführlich hierzu Deckenbrock,<br />

NJW 2008, 3529, 3531 ff.<br />

176 AnwBl 3 / 2009 <strong>Interessenkollision</strong> <strong>und</strong> <strong>gemeinschaftliche</strong> <strong>Berufsausübung</strong>, Deckenbrock


MN Aufsätze<br />

Auch die Auffassung, die Einbeziehung des Bürogemeinschafters<br />

sei angesichts der bestehenden Gefahren für die<br />

Verschwiegenheitspflicht notwendig, 74 überzeugt nicht.<br />

Diese Sichtweise qualifiziert das Verbot der Vertretung widerstreitender<br />

Interessen unzulässigerweise als Auffangtatbestand<br />

für Verstöße gegen die anwaltliche Schweigepflicht.<br />

Eine Konkretisierung des Verbots, wie sie die Satzungsversammlung<br />

nach § 59 b Abs. 2 Nr. 1 e) BRAO vornehmen<br />

wollte, liegt hierin nicht. Die Missachtung der Verschwiegenheitspflicht<br />

führt nicht dazu, dass ein Anwalt, der dieses Wissen<br />

zu Unrecht erlangt hat, nun (im Nachhinein) zum Interessenvertreter<br />

der Partei wird, deren Geheimnisse<br />

„verraten“ worden sind. Im Gegenteil: Gerade in der Erweiterung<br />

des Verbots auf den Bürogemeinschafter liegt eine<br />

Schwächung der Verschwiegenheitspflicht. Will ein Anwalt<br />

die Anforderungen des § 3 Abs. 2 S. 1 BORA erfüllen, muss<br />

er vor Mandatsannahme prüfen, ob sein Bürogemeinschaftspartner<br />

ein kollidierendes Mandat betreut (hat). Der Bürogemeinschafter<br />

wird damit zur Preisgabe von Informationen<br />

verpflichtet, die der – an sich vorrangigen (vgl. § 3 Abs. 5<br />

BORA) – Verschwiegenheitspflicht unterfallen.<br />

4. Kooperationspartner<br />

§ 3 Abs. 2 S. 1 BORA beinhaltet keine Erstreckung des Verbots<br />

der Vertretung widerstreitender Interessen auf den Kooperationspartner.<br />

Die Gegenauffassung, der zufolge die Kooperation<br />

nach Wortlaut, Systematik, Sinn <strong>und</strong> Zweck der<br />

Norm als <strong>Berufsausübung</strong>sgemeinschaft gelten soll, 75<br />

überzeugt<br />

angesichts der Rechtsnatur der als Innengesellschaft<br />

einzuordnenden Kooperation nicht. 76 Aus § 33 Abs. 1 BORA<br />

kann sich ebenfalls nichts anderes ergeben. Die Norm bestimmt,<br />

dass die Vorschriften der anwaltlichen Berufsordnung,<br />

die Rechte <strong>und</strong> Pflichten des Rechtsanwalts im Hinblick<br />

auf die Sozietät in Form der beruflichen<br />

Zusammenarbeit vorsehen, sinngemäß für alle anderen<br />

Rechtsformen der beruflichen Zusammenarbeit gelten. In<br />

der Literatur wird hieraus zwar der Schluss gezogen, § 33<br />

Abs. 1 BORA dehne den Anwendungsbereich der für die Sozietät<br />

geltenden Vorschriften auf die Kooperation aus. 77 Diese<br />

These wird indes dem berufsrechtlichen Regelungssystem<br />

nicht gerecht: Richtigerweise fallen alle Formen der beruflichen<br />

Zusammenarbeit außerhalb von <strong>Berufsausübung</strong>sgesellschaften<br />

nicht unter § 33 Abs. 1 BORA. Der Begriff der<br />

„beruflichen Zusammenarbeit“ bezieht sich offensichtlich<br />

auf § 59 a BRAO. Auch in dieser Vorschrift sind trotz der im<br />

Hinblick auf das Erfordernis der Vergesellschaftung nicht<br />

eindeutigen Wortwahl („berufliche Zusammenarbeit“) nur<br />

<strong>Berufsausübung</strong>sgesellschaften gemeint. Zuspruch erfährt<br />

diese Sichtweise durch die ausdrückliche Anordnung einer<br />

nur entsprechenden Geltung des § 59 a Abs. 1 <strong>und</strong> 2 BRAO<br />

für die nicht zu den <strong>Berufsausübung</strong>sgesellschaften zählende<br />

Bürogemeinschaft in § 59 a Abs. 3 BRAO. Dementsprechend<br />

74 So etwa SV-Mat. 12/2006, BRAK-Mitt. 2006, 213, 214; Eylmann (Fn. 6), § 3 BORA Rn. 12 f.<br />

75 Hartung (Fn. 28), § 3 Rn. 102; ders., NJW 2006, 2721, 2724; Feuerich (Fn. 23), § 3<br />

BORA Rn. 11 (für verfestigte Kooperationen); Quaas, NJW 2008, 1697, 1698.<br />

76 Dazu ausführlich Henssler/Deckenbrock, DB 2007, 447 ff.<br />

77 Feuerich (Fn. 23), § 33 BORA Rn. 2; Römermann, in: Hartung/Römermann (Fn. 28),<br />

§ 33 Rn. 21 f.; Hartung, in: Henssler/Prütting (Fn. 6), § 59 a Rn. 128; Quaas, NJW<br />

2008, 1697, 1700 (nach dem § 33 Abs. 1 BORA sogar eine Erstreckung auf die<br />

„Sternsozietät“ sicherstellt).<br />

78 Aus der Tatsache, dass in § 30 S. 1 BORA die Bürogemeinschaft, nicht aber die Kooperation<br />

erwähnt ist, folgt, dass auch § 30 BORA nicht geeignet ist, (mittelbar) die Erstreckung<br />

der anwaltlichen Pflichten auf den Kooperationspartner zu erreichen.<br />

79 So bereits Henssler, in: Henssler/Prütting (Fn. 6), § 33 BORA Rn. 6; Henssler/<br />

Deckenbrock, DB 2007, 447, 450.<br />

ist in § 3 Abs. 2 BORA die Anwendbarkeit der entsprechenden<br />

Berufspflicht auf die Bürogemeinschaft als reine Innengesellschaft<br />

ausdrücklich vorgesehen. 78 Dies wäre bei einem<br />

weiten Verständnis des § 33 Abs. 1 BORA entbehrlich. 79<br />

V. Zusammenfassung<br />

9 Erstens: § 3 Abs. 1, 1. Hs. BORA geht über § 43 a Abs. 4<br />

BRAO nicht hinaus. Die Satzungsbestimmung hat in erster<br />

Linie klarstellende Funktion. Daneben dient sie als Anknüpfungstatbestand<br />

für die in § 3 Abs. 2 <strong>und</strong> 3 BORA vorgesehene<br />

sozietätsweite Erstreckung.<br />

9 Zweitens: Das Einverständnis der Mandanten ist nur<br />

erheblich, wenn die widerstreitenden Mandate von verschiedenen<br />

Anwälten einer Sozietät wahrgenommen werden sollen.<br />

Wird es erteilt, folgt aus ihm die Pflicht der Sozietät <strong>und</strong><br />

der in ihr organisierten Anwälte, jeglichen Wissensfluss<br />

zwischen den die widerstreitenden Mandate betreuenden<br />

Berufsträgern zu unterbinden. Erfolgt dennoch ein Informationstransfer,<br />

kann dieser als Verschwiegenheitspflichtverletzung<br />

sanktioniert werden. Aufgr<strong>und</strong> dieser neuen<br />

Tatsachenlage berechtigen die zuvor erteilten Einverständniserklärungen<br />

nicht mehr zur Fortführung der konfligierenden<br />

Mandate. „Belange der Rechtspflege“ erfordern demgegenüber<br />

keine weiter gehenden Einschränkungen der<br />

Zulässigkeit einer Mehrfachvertretung.<br />

9 Drittens: Sowohl der vorbefasste als auch der bislang<br />

nicht mit der Sache betraute Sozietätswechsler sind persönlich<br />

daran gehindert, für ihre neue <strong>Berufsausübung</strong>sgemeinschaft<br />

Tätigkeiten für ein kollidierendes Mandat wahrzunehmen.<br />

Während das den vorbefassten Kanzleiwechsler<br />

treffende Tätigkeitsverbot auf alle Berufsträger der den Anwalt<br />

aufnehmenden Sozietät durchschlägt, kann ein widerstreitendes<br />

Mandat beim Eintritt eines vorher nicht mit der<br />

Angelegenheit befassten Anwalts auch ohne Zustimmung<br />

der betroffenen Parteien fortgeführt werden.<br />

9 Viertens: Ist ein Rechtsanwalt Mitglied in mehreren Sozietäten<br />

(Sternsozius), darf er ohne Zustimmung der betroffenen<br />

Mandanten auf keiner Seite in widerstreitende Mandate<br />

eingeb<strong>und</strong>en werden. Ohne eine solche Vorbefassung<br />

findet eine Erstreckung des den Sternsozius lediglich mittelbar<br />

treffenden Tätigkeitsverbots auf alle mit ihm irgendwie<br />

verb<strong>und</strong>enen Berufsträger nicht statt. Über einen nicht vorbefassten<br />

Sternsozius werden verschiedene Kanzleien nicht<br />

zu einer „<strong>Interessenkollision</strong>seinheit“ vereinigt.<br />

9 Fünftens: Die Einbeziehung des Bürogemeinschafters in<br />

§ 3 Abs. 2 BORA ist verfassungswidrig. Die Norm ist nicht<br />

von der Kompetenz der Satzungsversammlung gedeckt, soweit<br />

sie allein die Gefahr einer Verschwiegenheitspflichtverletzung<br />

sanktioniert. Der Kooperationspartner wird bereits<br />

vom Wortlaut des § 3 Abs. 2 S. 1 BORA nicht erfasst.<br />

Dr. Christian Deckenbrock, Köln<br />

Der Autor ist Akademischer Rat am Institut für Arbeits- <strong>und</strong><br />

Wirtschaftsrecht der Universität zu Köln (Geschäftsführender<br />

Direktor Prof. Dr. Martin Henssler).<br />

Sie erreichen den Autor unter der E-Mail-Adresse<br />

autor@anwaltsblatt.de.<br />

<strong>Interessenkollision</strong> <strong>und</strong> <strong>gemeinschaftliche</strong> <strong>Berufsausübung</strong>, Deckenbrock AnwBl 3 / 2009 177

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