Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.03.2003, Nr ... - Medium Magazin
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Feuilleton <strong>Frankfurter</strong> <strong>Allgemeine</strong> <strong>Zeitung</strong>, <strong>17.03.2003</strong>, <strong>Nr</strong>. 64, S. 33<br />
Ohne Streiflicht<br />
Krise auf dem <strong>Zeitung</strong>smarkt: Was uns das Wissen wert sein muß<br />
Die "Süddeutsche <strong>Zeitung</strong>" hat statt ihres munteren "Streiflichts" am Samstag auf der ersten Seite der<br />
<strong>Zeitung</strong> ein kleines, von viel Weißraum umgebenes Epitaph gedruckt. Es handelt sich um eine<br />
Stellungnahme der Redaktion, die in Form eines Lehrgedichts daherkommt: klassische Dialektik in<br />
drei argumentativen Stufen ("Ausgehend davon . . .", "in Erwägung ferner des Umstandes . . .",<br />
"eingedenk all dessen . . .").<br />
Anlaß für diese bisher einmalige Aktion ist die vom Verlag der "Süddeutschen <strong>Zeitung</strong>" verordnete<br />
Einstellung der <strong>Zeitung</strong>sbeilage für Nordrhein-Westfalen; angezeigt wurde im "Streiflicht" die Sorge<br />
der Hinterbliebenen, daß dem jüngsten Exitus weitere Abgänge und "irreparable Schäden fürs Blatt<br />
und den Journalismus insgesamt" folgen könnten. Durch ihre Aktion sagt die Redaktion sinnbildlich:<br />
Wir stehen an einem Punkt, wo der geistige Raum nicht mehr gefüllt wird und man im Begriff ist, eine<br />
ganze Sprache zu verlernen.<br />
Die Sprache von Witz, Intelligenz und Ironie, traditionell bei den großen <strong>Zeitung</strong>en zu Hause und dort<br />
immer weiter verfeinert, ist ja nichts anderes als manifest gewordenes Selbstbewußtsein. Um sie zu<br />
gebrauchen, bedarf es einiger Voraussetzungen; zum Beispiel der Erwartung, daß Reflexion und auch<br />
intellektuelle Qualität betriebswirtschaftlich gewollt, weil gesellschaftlich nachgefragt sind. Die<br />
Redakteure der Münchner <strong>Zeitung</strong> haben Zweifel, daß ihre neuen Besitzer das auch so sehen. Für die<br />
Gebildeten unter ihren Verächtern haben sie unüberhörbar, vielleicht auch unbewußt, Bertolt Brechts<br />
berühmte "Resolution der Kommunarden" in den Trauerrand kopiert. Darin heißt es: "In Erwägung: es<br />
will euch nicht glücken / Uns zu schaffen einen guten Lohn / Übernehmen wir jetzt selber die Fabriken<br />
/ In Erwägung: ohne euch reicht's für uns schon."<br />
Manche mögen das Alarmismus nennen. Oder wie andere meinen: die Hypochondrie von<br />
Journalisten, die jetzt einen Schmerz erleiden, mit denen andere gesellschaftliche Gruppen seit<br />
Jahrzehnten leben, ohne ihn deshalb schon für die Krankheit zum Tode zu halten. Mag sein, daß die<br />
Redaktion der "Süddeutschen <strong>Zeitung</strong>", die, wie die "Netzeitung" schreibt, etwas zu schadenfroh auf<br />
die Krise der anderen blickte, sich jetzt, wo es um die eigene Zukunft geht, mit der Nation verwechselt.<br />
Aber unrecht hat sie nicht.<br />
In einem wahrhaft evolutionären Prozeß hat sich in den vergangenen Jahren bei den deutschen<br />
Qualitätszeitungen eine wachsende und immer umfassendere intellektuelle Kompetenz<br />
herausgebildet. Die <strong>Zeitung</strong>en übernahmen sogar Aufgaben, die früher Fachpublikationen vorbehalten<br />
waren, ersetzten publizistische Organe und Institutionen, die nicht mehr finanzierbar oder<br />
massenfähig waren. Wie die Leimruten die Fliegen, so fingen sich in den Nischen der Redaktionen<br />
und Ressorts noch die seltensten Grillen und Schmetterlinge, kleine Kostbarkeiten in der Woche und<br />
am Samstag und Sonntag.<br />
Dieser Prozeß verlief synchron mit der beispiellosen Verflachung durch das Privatfernsehen einerseits<br />
und den monothematischen Konzentrationsbewegungen in der Publizistik à la WAZ andererseits.<br />
Enzensbergers Satz, ein Weltkonzern wie Bertelsmann habe im Laufe seiner ganzen Geschichte<br />
keinen einzigen Schriftsteller entdeckt oder durchgesetzt, läßt sich erweitern auf intellektuelle und<br />
politische Themen überhaupt. Die Arbeitsteilung funktionierte bislang reibungslos: Drei bis vier<br />
unabhängige überregionale Medien formulierten und animierten den politischen, wirtschaftspolitischen<br />
und intellektuellen Diskurs - anders als das staatlich subventionierte Fernsehen als einzige<br />
marktwirtschaftlich operierende und deshalb die Bedürfnisse des Landes spiegelnde Institutionen.<br />
Das steht auf dem Spiel. Jürgen Habermas hat in einer Wortmeldung in der "Süddeutschen <strong>Zeitung</strong>"<br />
formuliert: "Diese . . . <strong>Zeitung</strong>en bilden das Rückgrat für die diskursive Innenausstattung einer freien
politischen Meinungs- und Willensbildung. Sie sind der Nährboden für eine argumentative Substanz,<br />
die weder die regionale Tagespresse ersetzen noch ein durch Privatisierung bedrängtes Fernsehen<br />
wettmachen kann. Wenn einer zerfallenden politischen Öffentlichkeit dieser Boden entzogen wird,<br />
wächst der Spielraum für eine Manipulation des öffentlichen Bewußtseins. Die überregionale<br />
Tagespresse ist lebenswichtig für eine politische Kommunikation, die ihren Eigensinn behält."<br />
Vielleicht gehört es zu den nie gewürdigten Wundern der Wirtschaftswundergeschichte, daß<br />
hochkompetente, anspruchsvolle Medien letztlich zu einem Spottpreis vertrieben werden konnten,<br />
erfolgreich waren und sogar noch Profite erwirtschafteten. Vielleicht muß man in profaneren Zeiten,<br />
wo es Wunder nicht mehr gibt, darüber nachdenken, was einem Wissen wert ist - daß immerhin selbst<br />
ein von anderen Anzeigen finanziertes Organ wie der "Spiegel" mittlerweile in Euro kostet, was früher<br />
sechs D-Mark gewesen wären, zeigt die Tendenz auch im <strong>Magazin</strong>bereich.<br />
Aber neben Preis, redaktionellem Aufwand und der Frage, wer zu der Elite gehört, die Qualität erkennt<br />
und würdigt, stellt sich die Frage nach dem Wert von intellektueller Kompetenz an sich. Unzählige<br />
<strong>Zeitung</strong>en und Zeitschriften in diesem Lande, unzählige Internetforen und Newsgroups leben, bewußt<br />
oder unbewußt, von den Voraussetzungen, die täglich von den wenigen überregionalen<br />
Qualitätszeitungen, ihren Redakteuren und Korrespondenten geschaffen werden. Entpuppt sich<br />
dieses System als nicht mehr gewollt oder finanzierbar, dann schlägt sich der Substanzverlust sofort<br />
bis ins letzte Glied der intellektuellen Verwertungskette nieder.<br />
Die Qualitätszeitungen leiden nicht, weil sie zuviel Qualität produziert haben. Sie leiden, weil die<br />
Anzeigen fehlen. Ihr Dilemma ist, daß sie von denen, die in Deutschland mit <strong>Zeitung</strong>en noch Geld<br />
verdienen, nur begrenzt lernen können. Wo Qualität als Rationalisierungs- und Effizienzhindernis gilt,<br />
versagt die Expertise noch des wirtschaftlich aufgeklärtesten Redakteurs. Unter den Konzernen<br />
erlaubte sich in den vergangenen Jahrzehnten einzig Springer mit der "Welt" an Qualität zu glauben<br />
und dabei kontinuierlich Geld zu verlieren. Die Zeichen der Zeit machen auch dieses Engagement fast<br />
zum rührenden Epilog. Die WAZ-Gruppe oder die Schaubs, die jetzt in München soviel zu sagen<br />
haben, spielen ja gerne die Rolle der Klöterjahns, die sich im Haus der Buddenbrooks nach ihrem<br />
Geschmack einrichten. Unterdessen verkündet ein Erbe der sich dynastisch neu formierenden<br />
Bertelsmann-Familie Mohn, Berlusconi sei auch ein Vorbild für die deutsche Medienlandschaft.<br />
Qualitätsjournalismus lebt von Individuen, auch von Selbstbewußtsein, auch davon, daß Intellektualität<br />
gesellschaftlich über Einfluß verfügt - und sei es der subtile Einfluß, der sich intellektueller<br />
Einschüchterung verdankt. Nie war die berühmte machtgeschützte deutsche Innerlichkeit, das heißt:<br />
Gedankenreichtum und innere Freiheit, historisch reifer als in den großen überregionalen Organen.<br />
Sie sind in unserer medial-oralen Plappergesellschaft der einzige, der allerletzte Ort, in dem sich<br />
schriftsprachliche, das heißt: literarische Intelligenz überhaupt noch entfalten kann. Das heißt: jenes<br />
Minimum an Überprüfbarkeit, Logik, konsekutivem Diskurs, den Fernsehen und Internet vereiteln.<br />
Diese Tradition steht vor Beeinträchtigungen. Gewiß: Ein ausgefallenes "Streiflicht" ist keine<br />
Katastrophe, und auch der Untergang des Abendlandes steht nicht bevor. Aber es könnte sein, daß<br />
irgend etwas oder irgendwer diesem Land einen Teil seiner Seele raubt.<br />
FRANK SCHIRRMACHER<br />
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