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Das Leben, Traditionen und Bräuche in Máriakéménd

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<strong>Traditionen</strong> <strong>und</strong> <strong>Bräuche</strong><br />

Die deutschen Siedler blieben unter sich <strong>und</strong> bewahrten sich so ihre Tracht, ihre<br />

Sprache <strong>und</strong> ihre <strong>Bräuche</strong> aus der alten Heimat über zwei Jahrh<strong>und</strong>erte h<strong>in</strong>weg. Die<br />

Sprache blieb deutsch bis 1945/46, danach hörte Mariakemend auf e<strong>in</strong> deutsches<br />

Dorf zu se<strong>in</strong>. Die K<strong>in</strong>der mussten <strong>in</strong> der Schule dann von e<strong>in</strong>er St<strong>und</strong>e zur anderen<br />

ungarisch sprechen. Wer nur e<strong>in</strong> deutsches Wort verlauten ließ, bekam Schläge.<br />

Dies ist verständlicherweise allen sehr schwer gefallen, denn auch die Eltern konnten<br />

<strong>in</strong> den deutschen Geme<strong>in</strong>den nicht ungarisch sprechen.<br />

Die Feste <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>de wurden immer ganz groß <strong>und</strong> mit großer Leidenschaft<br />

<strong>und</strong> tagelang gefeiert. Jedes Jahr an "Peter <strong>und</strong> Paul" wurden alle 15-jährigen<br />

Mädchen mit e<strong>in</strong>em öffentlichen Ball <strong>in</strong> das gesellschaftliche <strong>Leben</strong> e<strong>in</strong>geführt. Um<br />

15.00 Uhr wurde zum Ball angespielt, d. h. es wurden drei Märsche auf der Straße<br />

gespielt, dann g<strong>in</strong>g es <strong>in</strong> den Tanzsaal. Jedes Mädchen wurde e<strong>in</strong>zeln here<strong>in</strong>geführt.<br />

Es wurde getanzt bis zur Vesperzeit, dann s<strong>in</strong>d alle heimgegangen, haben sich<br />

umgezogen <strong>und</strong> abends g<strong>in</strong>g der Tanz weiter. Während der ganzen Zeit standen die<br />

Mädchen stets im Halbkreis <strong>und</strong> hatten sich e<strong>in</strong>gehakt. Die Burschen standen auf der<br />

anderen Seite <strong>und</strong> wenn die Musik anf<strong>in</strong>g zu spielen, dann kamen die Burschen<br />

schnell <strong>und</strong> suchten sich e<strong>in</strong> Mädchen zum Tanz aus. Die Mütter saßen den ganzen<br />

Abend r<strong>in</strong>gsum im Saal auf Stühlen oder Bänken <strong>und</strong> schauten neugierig zu. Da war<br />

ich natürlich auch immer dabei, da me<strong>in</strong> Vater im Krieg war <strong>und</strong> ich nicht alle<strong>in</strong><br />

zuhause geblieben b<strong>in</strong>, so musste mich me<strong>in</strong>e Mutter überall h<strong>in</strong> mitnehmen. Beim<br />

Tanz, beim Sp<strong>in</strong>nen, Stricken, Bohnenverlesen, Kukuruzschälen (Maisschälen),<br />

überall war ich dabei <strong>und</strong> habe mich für alles <strong>in</strong>teressiert, was die Erwachsenen<br />

gesprochen haben.<br />

Zum Tanz hatten die Mädchen ganz besonders schöne Röcke an, meistens seidene,<br />

<strong>in</strong> sich gemusterte Oberröcke <strong>in</strong> w<strong>und</strong>erschönen Farben. Darunter trugen sie vier bis<br />

fünf gestärkte Unterröcke, die mit schönen Spitzen versehen waren. Wenn dann<br />

getanzt wurde, flogen die Röcke <strong>und</strong> die ganze Pracht der Unterröcke kam dann zur<br />

Entfaltung. Die Tracht war von Dorf zu Dorf sehr verschieden. Die Maria-kemender<br />

hatten fe<strong>in</strong>e Farben <strong>und</strong> lange Röcke, jedoch schon im Nachbardorf waren die<br />

Farben bunter <strong>und</strong> die Röcke kürzer.<br />

E<strong>in</strong> Kunstwerk waren auch die Frisuren der Mädchen. Es hieß dann, sie wurden<br />

"braad gekamplt", das hieß soviel, es wurden breite Zöpfe geflochten. Diese Kunst<br />

beherrschten e<strong>in</strong>ige Frauen im Ort, die wurden gerufen <strong>und</strong> den Mädchen wurden<br />

dann viele Zöpfe mit fünf oder gar sieben Strängen geflochten.


Diese Prozedur konnte zwei bis drei St<strong>und</strong>en dauern. Die Zöpfe wurden kunstvoll<br />

um den Kopf geschwungen <strong>und</strong> die Frisuren wurden beim Ball bew<strong>und</strong>ert.<br />

Wenn me<strong>in</strong>e Schwester Rosa für den Tanz fe<strong>in</strong> gemacht wurde, war es immer schön<br />

zuzuschauen. Rosa war 20 Jahre alt als wir geflüchtet s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> sie war<br />

"a hoat stramm Mensch", so wurden die hübschen Mädchen im Dorf genannt.<br />

Auch Fronleichnam wurde groß gefeiert. Zur Prozession wurde die ganze Straße mit<br />

Gras bestreut. Während der Prozession durch das Dorf waren alle Fenster geöffnet<br />

<strong>und</strong> es standen Heiligenbilder <strong>in</strong> den Fenstern. Nach der Prozession zog der Schäfer<br />

mit se<strong>in</strong>er Herde durch die Straßen, die Schafe haben das Gras gefressen <strong>und</strong> die<br />

Straßen waren wieder sauber.<br />

<strong>Das</strong> größte Fest <strong>in</strong> Mariakemend war natürlich der 15. August "Maria Himmelfahrt".<br />

Die Wallfahrer kamen aus allen Richtungen gezogen. Jede Nachbar-geme<strong>in</strong>de<br />

hatte ihren bestimmten Tag. Man wusste genau, heute kommen die Babarcer, oder<br />

die Saygener. Oft waren sie tagelang unterwegs <strong>und</strong> haben nachts bei Bauern im<br />

Heustadel geschlafen. Die Vesender kamen mit Blasmusik über die Kellerreihe<br />

herunter. Wir K<strong>in</strong>der wussten genau, wer an welchem Tag dran war. Wir standen<br />

dann am Straßenrand <strong>und</strong> warteten auf die Wallfahrer. Ich weiß auch noch genau,<br />

wie wir auf die Kroaten gewartet haben, die zur Wallfahrt kamen. Die Frauen hatten<br />

ganz kurze <strong>und</strong> ganz bunte Röcke an, die beim Gehen h<strong>in</strong> <strong>und</strong> her schwappten. Ihre<br />

Strümpfe waren mit bunten Noppen besetzt. Lustig hat das für uns K<strong>in</strong>der<br />

ausgesehen. Die Männer trugen ihre Hemden über den Hosen, was uns jedes Jahr zu<br />

dem Spruch: "Krowott, Krowott, dei Hem hängt haus, henna <strong>und</strong> vunna hengt's scho<br />

raus!" verleitet hat. Doch dann s<strong>in</strong>d wir gesprungen, so schnell wir konnten, denn<br />

wir hatten Angst, dass uns die Kroaten folgen würden. Doch auch heute noch fällt<br />

mir die bunte Tracht der Kroaten e<strong>in</strong>, wenn ich jemanden sehe, der sehr bunt<br />

gekleidet ist, dann denke ich auch heute noch: "des schaat krowotisch aus."<br />

<strong>Das</strong> Nationallied der Mariakemender war ihr Marienlied "Mit frohem Herzen will<br />

ich s<strong>in</strong>gen", was heute noch mit großer Inbrunst gesungen wird. Der Zustrom der<br />

Wallfahrer war so groß, daß zeitweise vier Pfarrer die Messen zelebrierten. In<br />

früheren Jahren hatte Mariakemend e<strong>in</strong>en Pfarrer <strong>und</strong> vier Kapläne. Viele Jahre<br />

waren auch elf Franziskaner-Pater <strong>in</strong> Mariakemend. Neben der Wallfahrtskirche<br />

stand e<strong>in</strong> großes Gasthaus, die Csarda, <strong>und</strong> dort wurde nach der Messe gefeiert. Um<br />

die Kirche herum war e<strong>in</strong> großer Markt. Es wurde richtig Kirmes gefeiert, natürlich<br />

auch mit e<strong>in</strong>em Kirmesball.<br />

Auch die Hochzeiten waren riesengroße Feste <strong>und</strong> wurden über drei, vier Tage<br />

gefeiert. Alle Geladenen mussten vor der Hochzeit Naturalien br<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> vom<br />

Hochzeitslader wurde angegeben, wieviel Kickel oder Eier, Mehl <strong>und</strong> dergleichen


jeder br<strong>in</strong>gen solle <strong>und</strong> so wurde schon tagelang vorher geschlachtet, gekocht <strong>und</strong><br />

gebacken.<br />

Im Herbst, wenn die Arbeit im We<strong>in</strong>garten <strong>und</strong> auf den Feldern getan war, dann kam<br />

die gesellige Zeit. <strong>Das</strong> Kukuruzbrechen war e<strong>in</strong>e sehr schwere Arbeit, doch das<br />

Kukuruzschälen gehörte zu den angenehmen Arbeiten <strong>und</strong> es wurden viele Fre<strong>und</strong>e<br />

dazu e<strong>in</strong>geladen. Man traf sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Scheune. In der Mitte war e<strong>in</strong> großer Haufen<br />

Kukuruz <strong>und</strong> der musste geschält werden. Dabei g<strong>in</strong>g es immer sehr lustig zu.<br />

Natürlich wurde auch zu dieser Arbeit der gute Mariakemender We<strong>in</strong> getrunken <strong>und</strong><br />

es wurde viel gesungen <strong>und</strong> gelacht.<br />

Die Frauen trafen sich auch zum Bohnenverlesen. Die Bohnen wurden nach dem<br />

Trocknen geklopft <strong>und</strong> dann mussten sie von Hand verlesen werden, damit der ganze<br />

Dreck weg war. Da man <strong>in</strong> Ungarn sehr viel Hülsenfrüchte gegessen hat, brauchte<br />

man auch viele Bohnen.<br />

Im W<strong>in</strong>ter g<strong>in</strong>gen die Frauen mit ihren Sp<strong>in</strong>nrädern zur "Kunkelstube". Auch<br />

zum Federschleißen hat man sich getroffen. Egal was gemacht wurde, es wurde<br />

immer alles geme<strong>in</strong>sam gemacht <strong>und</strong> so verbrachte man viele schöne Abende <strong>in</strong><br />

geselliger Geme<strong>in</strong>schaft. Meistens blieb man jahrgangsweise beie<strong>in</strong>ander.<br />

Auch die Männer waren geme<strong>in</strong>sam unterwegs. Meistens <strong>in</strong> der Kellerreihe oben.<br />

Dort wurde Karten gespielt <strong>und</strong> gesungen. <strong>Das</strong> We<strong>in</strong>holen war e<strong>in</strong> beliebtes Hobby<br />

<strong>und</strong> hat nach Aussagen der Älteren immer sehr viel Zeit <strong>in</strong> Anspruch genommen.<br />

E<strong>in</strong> ganz großes Fest war auch das Schlachten. Die ganze Verwandtschaft wurde<br />

dazu e<strong>in</strong>geladen <strong>und</strong> da dann sehr viel Fleisch schon an diesem Tag verzehrt wurde,<br />

musste man mehrere Schwe<strong>in</strong>e im W<strong>in</strong>ter schlachten. Wenn ich an das gute<br />

"Zwiefldunges" oder an die süßen "Krebbl" denke, dann läuft mir heute noch das<br />

Wasser im M<strong>und</strong>e zusammen. Abends kamen dann die "Verklatterer", das waren<br />

gute Bekannte, die sich verkleidet hatten. Da g<strong>in</strong>g es dann natürlich zünftig zu. Die<br />

"Verklatterer" sagten lustige Sprüchle<strong>in</strong> auf <strong>und</strong> öffneten ihre mitgebrachten<br />

Taschen, <strong>in</strong> welche man natürlich Würste <strong>und</strong> Kreppl re<strong>in</strong>legen musste. An e<strong>in</strong>en der<br />

Sprüche kann ich mich noch er<strong>in</strong>nern, u. zw.: "Ich hon ghirt, Ihr hot he<strong>und</strong> gschlocht<br />

<strong>und</strong> hot so gude Wirscht gemocht. Die Blutwirscht sen gut, die füllt ma mit Blut. Die<br />

Brotwirscht sen besser, die schneid ma mim Messer. Die Schworta-wirscht sen<br />

delikat, dozu ghirt an guda Krautsalat. Dr Lamberts-Vetter well en guda Schlächter<br />

sei, der steacht jo die Sau hena nei. Dr He<strong>in</strong>rich-Vetter nemmt die Sau beim Ohr <strong>und</strong><br />

tanzt mit ihr Mazur. Die Anna-Wos mit ihre lange Händ, hot die ganze Kreppl<br />

vrbrennt."


Auch wir K<strong>in</strong>der hatten e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Spruch parat, wenn wir zu Verwandten zum<br />

Verklattern g<strong>in</strong>gen: "Mir sen klane P<strong>in</strong>kl <strong>und</strong> stehn im W<strong>in</strong>kl. Losst uns net so lang<br />

steh, mir wella a Häusje weiter geh."<br />

Wir gehörten nicht zu den großen Bauern, es g<strong>in</strong>g uns jedoch auch nicht schlecht.<br />

Me<strong>in</strong>e Mutter, e<strong>in</strong>e geborene G<strong>und</strong>erlach, hatte von ihren Eltern zwei We<strong>in</strong>gärten<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong> paar Felder geerbt. Arbeit hatte me<strong>in</strong>e Mutter mehr als genug. Sie musste<br />

unsere We<strong>in</strong>gärten <strong>und</strong> Felder bearbeiten <strong>und</strong> auch noch zu den großen Bauern <strong>in</strong><br />

Taglohn gehen, damit die dann für uns Fuhrdienste geleistet haben.<br />

Wir hatten e<strong>in</strong> paar Schwe<strong>in</strong>e, Schafe, Gänse <strong>und</strong> Hühner. Jeden Morgen, außer im<br />

W<strong>in</strong>ter, kam der Kuhhirt, der Schwe<strong>in</strong>ehirt, der Schafhirt <strong>und</strong> der Gänsehirt durch<br />

die Straßen gezogen. Dann wurden die Stalltüren geöffnet <strong>und</strong> die Tiere zogen mit<br />

den Hirten auf die Weide. Abends kamen sie wieder zurück <strong>und</strong> jedes Tier hat<br />

wieder se<strong>in</strong>en Stall gef<strong>und</strong>en. Die Stalltüren aufzumachen, das war meistens die<br />

Arbeit der K<strong>in</strong>der. Denn die Mütter waren dann schon auf den Feldern. Die Arbeit<br />

auf den Feldern begann schon bei Sonnenaufgang, zwischen 4 <strong>und</strong> 5 Uhr. Da die<br />

Felder oft weit vom Dorf entfernt waren <strong>und</strong> der H<strong>in</strong>- <strong>und</strong> Rückweg sehr viel Zeit <strong>in</strong><br />

Anspruch nahm, blieb man den ganzen Tag draußen. Man hat sich etwas zum Essen<br />

oder Tr<strong>in</strong>ken mitgenommen.<br />

Bei den großen Bauern, wo oft mehr als 10 Personen auf den Feldern beschäftigt<br />

waren, wurde das Mittagessen "getragen". Es wurde daheim gekocht <strong>und</strong> von den<br />

Frauen <strong>in</strong> großen Töpfen oder Schüsseln auf dem Kopf zu den Feldarbeitern<br />

getragen. Unter das Gefäß wurde e<strong>in</strong>e Stoffrolle auf den Kopf gelegt, damit man gut<br />

die Balance halten konnte. Wenn me<strong>in</strong>e Mutter bei den Bauern im "Schnitt", d. h.<br />

bei der Ernte, geholfen hat, dann war auch ich oft dabei. Ich er<strong>in</strong>nere mich noch<br />

gerne an das geme<strong>in</strong>same Essen draußen auf dem Feld. Man saß im Schatten e<strong>in</strong>es<br />

großen Baumes <strong>und</strong> ließ es sich schmecken. Für die Erwachsenen standen natürlich<br />

auch e<strong>in</strong>ige Krüge We<strong>in</strong> bereit, dass dabei viel geredet <strong>und</strong> gelacht wurde, versteht<br />

sich von selbst.<br />

<strong>Das</strong> war auch für uns K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>e schöne, beschauliche Zeit. Obwohl die Leute<br />

damals viel <strong>und</strong> schwer arbeiten mussten, hatten sie doch viel mehr Zeit für<br />

Geme<strong>in</strong>samkeiten <strong>und</strong> Geselligkeiten.<br />

Auch die We<strong>in</strong>lese war für uns K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong> Fest. Tagelang durften wir oben im<br />

"Gebirg" vor den schönen Kellern spielen <strong>und</strong> Trauben essen, so viel wir wollten.<br />

Auch die Pfirsiche <strong>und</strong> "Quetsche" waren zu dieser Zeit reif. Me<strong>in</strong> Gott, war das<br />

e<strong>in</strong>e schöne Zeit. Ich denke oft <strong>und</strong> gerne an me<strong>in</strong>e w<strong>und</strong>erschöne, unbeschwerte<br />

K<strong>in</strong>dheit.


Me<strong>in</strong> Vater war bei der Geme<strong>in</strong>de angestellt, er war im Rathaus <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Erntezeit<br />

auch als Feldhüter e<strong>in</strong>gesetzt, er war „Konstabler“, was soviel wie Ortspolizist<br />

bedeutet. Der reife Mais <strong>und</strong> auch die Trauben mussten gehütet werden, es wurde<br />

sehr viel gestohlen.<br />

Unser Haus war kle<strong>in</strong>, es wurde von me<strong>in</strong>en Eltern 1924 im "Hechwald" gebaut. Der<br />

"Hechwald" ist landschaftlich die schönste Gasse <strong>in</strong> Mariakemend. Umrahmt von<br />

Akazienwäldern, <strong>in</strong> stiller Abgeschiedenheit war er das re<strong>in</strong>ste Paradies für uns<br />

K<strong>in</strong>der. Da kam ke<strong>in</strong> Auto <strong>und</strong> ke<strong>in</strong> Fuhrwerk. Die ganze Straße hat uns gehört. Im<br />

Sommer, wenn es sehr heiß war, dann war die Straße, bzw. der Weg, oft 20 cm mit<br />

warmem, ja sogar heißem Staub bedeckt. Und wenn es dann geregnet hat, war dies<br />

das schönste Spielzeug für uns. Da kamen dann alle K<strong>in</strong>der aus den Häusern <strong>und</strong> aus<br />

dem nassen, warmen Dreck haben wir Figuren geformt. Es war e<strong>in</strong>fach w<strong>und</strong>erschön<br />

<strong>und</strong> wir konnten uns damit st<strong>und</strong>enlang beschäftigen. Wenn es viel geregnet hat,<br />

wurde aus dem Staub auch oft Matsch <strong>und</strong> viele Male b<strong>in</strong> ich mit me<strong>in</strong>en<br />

"Holzglumbe" (Holzschuhe) stecken geblieben, wenn ich über die Straße zu me<strong>in</strong>er<br />

Fre<strong>und</strong><strong>in</strong> Evi wollte. Ich habe dann so lange gerufen, bis jemand kam <strong>und</strong> mich aus<br />

dem Matsch befreite. Aussteigen aus den "Holzglumbe" konnte ich ja nicht, denn<br />

dann wäre ich mit me<strong>in</strong>en "Streickbatschge" (gestrickte Schuhe, welche wir täglich<br />

anhatten <strong>und</strong> auf welche Ledersohlen genäht waren) im Dreck gestanden.<br />

Unser Haus hatte zwei große Zimmer <strong>und</strong> davon hatten wir noch e<strong>in</strong>es übrig. In dem<br />

e<strong>in</strong>en Zimmer wurde gekocht, gegessen <strong>und</strong> auch geschlafen. In diesem Zimmer<br />

spielte sich alles ab. Gerne denke ich an die gemütlichen, warmen W<strong>in</strong>tertage. Alle<br />

waren beie<strong>in</strong>ander. Die Petroleumlampe auf dem Tisch brannte <strong>und</strong> auch das Feuer<br />

im Herd hat e<strong>in</strong>e wohlige Wärme <strong>und</strong> Licht im Zimmer verbreitet. Wenn ich daran<br />

denke, dann riecht es <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Er<strong>in</strong>nerung immer nach Bratäpfeln.<br />

Abends hat die Mutter gestrickt oder sie saß am Sp<strong>in</strong>nrad. Oft saß ich auf e<strong>in</strong>em<br />

Schemelchen zu ihren Füßen <strong>und</strong> sie hat erzählt oder gesungen. Me<strong>in</strong> Vater hat sie<br />

mit der M<strong>und</strong>harmonika oder mit dem Schifferklavier begleitet. Und wenn ich mir<br />

dann me<strong>in</strong> Liebl<strong>in</strong>gslied wünschte, dann sagte me<strong>in</strong>e Mutter jedes Mal: "Och Kend,<br />

wellst scho wiedr flenn?" Wenn sie dann anf<strong>in</strong>g: "Maria saß we<strong>in</strong>end im Garten, im<br />

Grase lag schlummernd ihr K<strong>in</strong>d ...." dann s<strong>in</strong>d mir dicke Tränen über die Wangen<br />

geflossen <strong>und</strong> ich schluchzte vor lauter Rührung. Ich weiß nicht mehr, was ich mir<br />

da alles vorgestellt habe.<br />

<strong>Das</strong> zweite Zimmer war nur zum Vorzeigen da, es war die "vordere Stub". Da war<br />

es immer tadellos aufgeräumt. Es standen zwei Betten <strong>in</strong> der Stube, worauf meterhoch<br />

die Aussteuer, Bettwäsche <strong>und</strong> dergl. aufbewahrt wurde.Wenn Besuch kam,<br />

dann wurde die "vordere Stub" vorgezeigt. Als ich e<strong>in</strong>mal krank war, war me<strong>in</strong><br />

größter Wunsch, dass ich <strong>in</strong> dieser Stube liegen darf.


An jedes Haus war noch e<strong>in</strong>e Sommerkuchel angebaut. In dieser Sommerkuchel<br />

wurde im Sommer gekocht, damit es im Haus nicht so heiß wurde. Der Lehm- boden<br />

<strong>in</strong> den Zimmern war im Sommer angenehm kühl <strong>und</strong> im W<strong>in</strong>ter warm.<br />

Wir können es uns heute nicht mehr vorstellen, doch auch dieser Boden wurde<br />

aufgewischt, d. h. es wurde mit Wasser geputzt <strong>und</strong> er war immer sauber <strong>und</strong> mit<br />

schönen Teppichen belegt.<br />

<strong>Das</strong> <strong>Leben</strong> hat sich 3/4 des Jahres, wie <strong>in</strong> allen südlichen Ländern, hauptsächlich im<br />

Freien abgespielt. Vieles wurde geme<strong>in</strong>sam unternommen. Bemerkenswert ist auch,<br />

dass man sehr lange die verwandtschaftlichen Beziehungen gepflegt hat, man war<br />

über viele Generationen h<strong>in</strong>weg immer noch mite<strong>in</strong>ander verwandt, man war<br />

"Fre<strong>und</strong>", wie es geheißen hat.<br />

Typisch für die schönen Bauernhäuser ist der Vorgang mit se<strong>in</strong>en Säulen. Früher war<br />

der Vorgang immer offen, heute sieht man oft, dass alles verglast ist.<br />

Bemerkengswert ist auch, dass die alten Häuser nur zur Hofseite Fenster haben. E<strong>in</strong><br />

Fenster zum Nachbargr<strong>und</strong>stück war nicht erlaubt. Auffallend s<strong>in</strong>d auch die breiten<br />

Straßen <strong>in</strong> den ungardeutschen Dörfern. Neben den Straßen ist auf jeder Seite e<strong>in</strong><br />

breiter Graben <strong>und</strong> daneben der Fußweg, so dass zwischen den Häuser- reihen sehr<br />

viel Platz vorhanden ist. Der Platz zwischen dem Fußweg <strong>und</strong> der Straße wurde im<br />

Sommer liebevoll von den Angrenzern mit bunten Blumen bepflanzt.<br />

Es gibt noch sehr viel zu erzählen, von den geme<strong>in</strong>samen Spaziergängen der jungen<br />

Leute. Wo die Mädchen sonntags oder an schönen Sommerabenden e<strong>in</strong>gehakt <strong>und</strong><br />

s<strong>in</strong>gend durch das Dorf gezogen s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> die Burschen <strong>in</strong> respektvollem Abstand<br />

h<strong>in</strong>terher.<br />

Von dem großen Dorfplatz, wo geme<strong>in</strong>sam "getrappt" wurde, vom "Hullerbreikochen",<br />

vom "Brünnje", wo sich heilendes Wasser befand <strong>und</strong> wir K<strong>in</strong>der immer<br />

nach e<strong>in</strong>em W<strong>und</strong>er Ausschau hielten, könnte man noch erzählen.<br />

Dies alles will ich mir <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Er<strong>in</strong>nerung festhalten <strong>und</strong> bewahren.

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