Das Bayerland - OTTOBEUREN MACHT GESCHICHTE
Das Bayerland - OTTOBEUREN MACHT GESCHICHTE
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4. Oktober 1913 25. (Jubiläums-)Jahrgang Nummer 1<br />
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<strong>Das</strong> <strong>Bayerland</strong><br />
Illustrierte Wochenschrift für Bayerns Land und Volk<br />
Begründet von H. Leher, herausgegeben von Dr. Josef Weiß<br />
in Verbindung mit Dr. M. Doeberl, Dr. K. Trautmann und einem Kuratorium<br />
unter dem Vorsitze Sr. K. Hoheit des Prinzen Rupprecht von Bayern<br />
4. Okt. 1913 <strong>Das</strong> <strong>Bayerland</strong> XXV, 1 13<br />
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Ottobeuren<br />
Von Hans Steinberger, Prien. - Mit 12 Bildern<br />
Eines der großartigsten Kunstdenkmäler Deutschlands, Kirche und Kloster Ottobeuren,<br />
das schwäbische Escurial, thront inmitten des weiten, sonnigen Günztales nahe der alten<br />
Reichsstadt Memmingen. Die ganze Lieblichkeit voralpiner Landschaft erfreut hier mit<br />
reichem Wechsel; man sieht förmlich das Bestreben der Künstler der Rokokozeit, diese<br />
Architektur mit der sie umgebenden Natur zusammenzustimmen, diese stolze Glaubensburg<br />
mit der charakteristischen Klosterkathedrale und den riesigen Fronten der Prälatur durch die<br />
feine, zierliche Linienschönheit und die Wucht der Massen als Krönung eines großen,<br />
künstlerischen Gedankens im Wettstreite mit dem schlichten Reize der Umgebung<br />
triumphieren zu sehen.<br />
In das Jahr 764 fällt die Gründung dieses für zwölf Mönche adeliger Geburt bestimmten<br />
Klosters, unter dessen frühesten Äbten die kraftvolle Gestalt des hl. Ulrich aufragt. Trotz<br />
schwerer Drangsale rang sich Ottobeuren immer wieder empor, um als Hort der Künste und<br />
Wissenschaften zu blühen. Wie das Kloster 1543 eine später nach Dillingen verlegte<br />
Akademie gründete, so beriefen nach dem Dreißigjährigen Kriege Bischöfe und Hochschulen<br />
mit Vorliebe Conventualen der Reichsabtei als Lehrkräfte. Ottobeurens Blütezeit sah das 18.<br />
Jahrhundert. Am 5. Mai 1711 begann sein großer Abt Ruppert II. den Riesenbau des<br />
Klosters und der Kirche, welch letztere unter Abt Anselm im Jahre 1766 gleichzeitig mit der<br />
Milleniumsfeier des Stiftes durch Fürstbischof Josef von Augsburg feierlich geweiht wurde.<br />
Die Abtei war bei der Säkularisation eine der reichbegütertsten mit 20000 Untertanen und<br />
130000 Gulden Jahreseinkünften. Dem Abte Honorat brach die Kunde des Lüneviller<br />
Friedens das Herz; seinem Nachfolger Paulus war es beschieden, mit 45 Conventualen aus<br />
dieser stolzen Schöpfung vertrieben zu werden; am 3. Mai 1805 riefen Glocken und Orgel<br />
zur letzten, feierlichen Vesper und Complet - -; im Jahre 1834 verfügte König Ludwig I. die<br />
Wiedererstehung des Klosters als Priorat der Abtei St. Stephan
14 <strong>Das</strong> <strong>Bayerland</strong> XXV, 1 4. Okt. 1913<br />
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in Augsburg, wodurch diese altehrwürdige Kulturstätte zu neuer, segensreicher Tätigkeit<br />
erweckt wurde.<br />
In schweigender, erhabener Majestät steht der kraftvolle, fein silhouettierte Bau in der<br />
vollentwickelten, vom Rokoko schon wesentlich beeinflußten Formensprache des<br />
Barockstiles vor dem Beschauer. Beseligend, ergreifend waltet um diese<br />
Architekturschöpfung der Klosterfriede und der Hauch einer kunstfrohen Zeit. Hieher dringt<br />
kein Alltagslärm;<br />
[Bild: Fassade der Klosterkirche]<br />
eine wundersam erhebende Stimmung geleitet auf dem Gange durch die Kirche und das<br />
Kloster, in deren Räumen voll religiöser Weihe und künstlerischer Bedeutung Glanz und<br />
Pracht vergangener Tage neu erstehen. Aus den Baurechnungen tauchen längst<br />
verschollene transalpine Künstlernamen auf, deren Ideenreichtum und schöpferische Kraft<br />
die Klosterprunkräume wie aus einem Gusse formte und befruchtend auf die deutschen<br />
Meister des Kirchenbaues wirkte. Der Schöpfer des Bauplanes der Kirche ist unbekannt,<br />
bauführender Meister war Michael Fischer von München, der Baumeister von 32 Kirchen und<br />
23 Klöstern. In der malerischen Ausschmückung des Kirchenraumes betätigten neben<br />
Januar Zick und Josef Magges die Tiroler Künstler Jakob und Franz Zeiler ihre farbenfrohe<br />
Meisterschaft; die Stukkaturen und Plastiken schufen Michael Feichtmayer und Johann<br />
Christian, welch letzterer auch die Holzbildhauerei am Chorgestühl, an den Beichtstühlen<br />
und an der Orgel ausführte.<br />
Die Kirche ist ein mächtiger Hallenbau mit stark betontem halbrundem Querschiffe. Die im<br />
Halbrund vorspringende Hauptfront ist durch das hohe Frontispiz geschickt mit den durch<br />
Säulenstellungen belebten Turmbauten in Einklang gebracht und gesteigert. Über der<br />
Vierung krönt den Bau eine einfache Kuppel. Durch Anwendung runder Linien und kräftiger<br />
Gesimse ist die Massenwirkung elegant gemildert und durch die Kuppelbauten der<br />
Flankentürme stilrein abgeschlossen. Aller dekorative Reichtum ist auf die feingegliederte<br />
Hauptfassade, diesen das Ganze beherrschende architektonischen Meistergedanken<br />
konzentriert. Vier mächtige Rundsäulen, drei kräftig umrahmte Bogenfenster, ein hohes, von<br />
zwei kleinen Seitenpforten flankiertes Hauptportal bilden den Rahmen dieser schwungvollen<br />
Mittelpartie. Über dem Mittelfenster steht die Kolossalstatue des heiligen Benedikt, neben<br />
dem Frontaufbau erheben sich auf hohen Sockeln die Gestalten der Heiligen Alexander und<br />
Theodor und über dem Hauptportale thront St. Michael; von dort grüßen in goldenen Lettern<br />
die Worte hernieder: „<strong>Das</strong> Haus Gottes und Himmels-Pforten.“<br />
Den Eintretenden überrascht die Großartigkeit der Raumwirkung. Der Eindruck ist<br />
wahrhaft majestätisch von feierlicher Kraft und Ruhe, unvergleichlich in der Harmonie der<br />
Maße und Linien, ein vollendetes Werk einheitlichen und künstlerischen Schaffens. Eine<br />
Fülle reinsten Tageslichts, Goldglanzes und bunter Farbenpracht strahlt entgegen; in diesem<br />
Raume jubelt festliche, freudige Stimmung; nirgends ist strenge Steifheit klassischer,<br />
pompöser Renaissance zu schauen, sondern überall entzückt weiche Eleganz und<br />
ineinanderfließendes Linienspiel architektonischer und dekorativer Formen, das<br />
feingebrochener Goldton überflutet. Wirbeln dann vom kerzenschimmernden Hochaltar
lauduftige Weihrauchwolken in diese rauschende Farben- und Formensymphonie und<br />
erklingen die berühmten Orgeln bald in süßen Engelschören, bald mit der brausenden<br />
Donnerstimme des Weltenrichters durch den feierlichen Raum, so scheint eine im Geiste<br />
ahnungsvoll erträumte Herrlichkeit entschleiert und im stillen Entzücken schaut man dieses<br />
von flimmerndem Spiele goldener Lichtwellen durchwobene Reich verklärter Schönheit.<br />
Die imposante Großräumigkeit und Höhe wirkt überraschend; frei gleitet der Blick<br />
vorwärts in den gewaltigen, durch den Chor zu prachtvoller Perspektive vertieften Raum,<br />
empor zu der riesigen Sprengung der Haupt- und Querschiffgewölbe und überall wußte der<br />
Meister durch plastische Kolossalgebilde die architektonischen Stützpunkte zu maskieren.<br />
Die Grundrißbildung zeigt eine rein zentrale Anlage, in der Längenachse drei mächtige, von<br />
Kuppeln überwölbte Joche und ein in seiner ganzen Gliederung auf vergrößernde Wirkung<br />
berechnetes Querschiff. <strong>Das</strong> Langhaus enthält aufgeteilte Seitenschiffe mit Doppelarkaden<br />
zwischen den Kuppeljochen, die acht Gewölbepfeiler wirken monumental durch die<br />
Doppelpilaster und Stuckmarmorsäulen mit vergoldeten Kapitälen und die ganze<br />
Raumkonstruktion hebt das starkausladende Hauptgesimse in großzügiger Linie hervor.<br />
Dazu kommt noch die Kontraststeigerung aus dem weißen Grundton zur rosigen Färbung<br />
der Architekturglieder und dem Goldgeblitze der Plastikgebilde auf dem Gebälke bis zu den<br />
tiefen Farbenskalen der Decken- und Altargemälde. Plastik und Ornamentik in<br />
unerschöpflichem Phantasiereichtum treten allenthalben beherrschend entgegen und doch<br />
überwiegt die Kolossalität der figürlichen und dekorativen Ausstattung die architektonischen<br />
Riesenverhältnisse nicht. Zudem wirkt der milde Goldglanz des Zierrats in den<br />
Bogenöffnungen, Gewölbeflächen und Rahmenprofilen völlig diskret, wodurch die ganze<br />
Erhabenheit der Gewölbearchitekur zur unverminderten Geltung gelangt.<br />
Tiefes religiöses Empfinden spricht aus der von üppiger Ornamentik umrahmten<br />
Freskopracht und den plastischen<br />
4. Okt. 1913 <strong>Das</strong> <strong>Bayerland</strong> XXV, 1 15<br />
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[großes Bild: Inneres der Klosterkirche]<br />
Figuren an Gurtgesimsen, Pfeilern und Altären. Noch strahlen die Gemälde in originellem<br />
Schmelz und ungedämpfter Farbenglut. In effektvoller koloristischer Wirkung, gediegener<br />
Zeichnung und staunenswerter Beherrschung der Perspektive sind diese feinempfundenen<br />
Fresken ausgeführt. Nach oben wird die Farbengebung immer lichter, was die Höhenwirkung<br />
des Raumes nur noch steigert und auch dekorativ vorzüglich wirkt, und dabei welche<br />
Massen- und Flächenbeherrschung der Zeichnung!<br />
Schwer ist es, aus diesem virtuosen Zusammenklingen von Formen und Farben<br />
Einzelheiten herauszugreifen. Vom Chore aus entfaltet dieses herrliche Raumbild seine<br />
ganze<br />
16 <strong>Das</strong> <strong>Bayerland</strong> XXV, 1 4. Okt. 1913<br />
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unvergleichliche Wirkung, alles erscheint hier durch das Zusammenfluten der bei den hohen<br />
Fenstern hereindringenden Lichtmengen in ein Meer von Glanz und Farbe getaucht. Ein<br />
vornehmes Gebilde von klassischer Formenfülle ist der von sechs Säulen getragene riesige<br />
Stuckmarmoraltar, dessen<br />
[Bild: Chorgestühl der Klosterkirche mit Orgel]<br />
glitzernde Krönung bis zur Höhe der majestätischen Wölbung hinaufreicht, von wo aus<br />
wolkenumwallter Glorie das von liebreizenden Putten umschwebte Gottesauge<br />
herniederstrahlt. <strong>Das</strong> mächtige Altarbild behandelt in feinsinniger, tiefdurchdachter<br />
Komposition die heilige Dreifaltigkeit und die Erlösung. Gleich Alabasterfiguren wirken in den<br />
Säulenstellungen die überlebensgroßen Figuren der Heiligen: Petrus, Paulus, Ulrich und<br />
Konrad; Engelsgestalten und Putten, auf Wolkengebilden schwebend, beleben die<br />
Architektur des Altars und den Tabernakel, dessen Sockel, in Silber getrieben, das letzte<br />
Abendmahl zeigt. Zu den Deckengemälden: „Anbetung des Lammes durch die 24 Ältesten“<br />
und „Die neun Chöre der Engel mit der wildbewegten Gruppe des Engelsturzes“ nebst<br />
goldgetönten, alttestamentarischen Szenen in den Seitenfeldern leiten die den breiten Sims<br />
krönenden allegorischen Figuren: „Religion, Glaube, Hoffnung und Liebe“ stimmungsvoll<br />
über. -<br />
Ein erlesenes Meisterwerk in der Feinheit der Ornamentation und der figuralen Plastik<br />
stellt das Chorgestühl dar. Was soll man an dieser Prachtleistung üppigster Holzbildnerei<br />
mehr bestaunen: die wunderbar sichere Flächenwirkung und Raumgliederung, die überaus<br />
sorgfältige Ausarbeitung des durchbrochenen Schnitzwerkes an den Brüstungen, Aufsätzen<br />
und Rahmen der Reliefs und die charakteristisch modellierten Atlanten und Karyatiden.<br />
Überall wucherten dem Künstler unterm Schnitzmesser holdselige Putten hervor und das<br />
Schnitzwerk gleicht in seiner duftigen Zartheit zierlichster Filigranarbeit. In achtzehn Reliefs<br />
schuf der kunstfertige Meister Szenen aus dem Leben des heiligen Benedikt und Analogien<br />
aus dem Alten Testamente. Diese Reliefs wirken wie eine plastische Nachbildung von<br />
Kupferstichen alter Meister; antike Ruinen wechseln mit Barockpalästen und die<br />
dargestellten Personen bewegen sich unbefangen in Rokokokostümen inmitten biblischer<br />
oder frühchristlicher Vorgänge. Den künstlerischen Effekt dieser in verschiedenen Formaten<br />
ausgeführten Reliefs steigert noch die patinagetönte Vergoldung; entzückend wirkt gleich<br />
Spiegelbildern die landschaftliche Plastik und die Innenraumperspektive. Die Rückwandteile<br />
sind im obersten Felde mit vergoldeten Bildnissen von Propheten geschmückt. Prachtvolle<br />
Arbeiten des Kunsthandwerkes sind die vergoldeten, schmiedeeisernen Brüstungsaufsätze<br />
und Wandleuchter mit erfrischend natürlichem, stilisiertem Blatt- und Blumenrankwerk. Über<br />
dem Chorgestühl sind zu beiden Seiten die Orgelbauten mit 66 beziehungsweise 27<br />
Registern eingefügt; ihr silberschimmerndes Pfeifenwerk umkleidet die Gewölbepfeiler und<br />
das krönende Schnitzwerk schwingt sich bis zu den Kapitälen empor, wo es sich von den<br />
zarten Ornamenten der Arkadenbögen wirkungsvoll abhebt. Die Fresken in den<br />
Gewölbefeldern stellen die Menschwerdung, Auferstehung und Himmelfahrt des Erlösers<br />
dar.<br />
Zu beiden Seiten des Hochaltares bauen sich zwischen den Säulen in zwei Geschossen<br />
die mit graziösen Ornamenten-<br />
[Bild: Die Kanzel der Klosterkirche]
4. Okt. 1913 <strong>Das</strong> <strong>Bayerland</strong> XXV, 1 17<br />
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brüstungen und zartduftiger Rahmenschnitzerei gezierten Bogen vor. Ein riesiger<br />
Triumphbogen scheidet den Chor von dem Schiffe, in seiner Mitte prunkt das von Putten<br />
gehaltene Wappen des Abtes Anselm und der Abtei. In zierlichem, architektonischem Aufbau<br />
erhebt sich darunter der Kreuzaltar als Abschluß des Presbyteriums. Geschnitzte, vergoldete<br />
Engelsgestalten als Kerzenträger schmücken die schöngeschwungenen Marmorbrüstungen,<br />
zwei betende Engel knien auf dem Tabernakel zu Füßen des wertvollen, altchristlichen<br />
Kruzifixus, dessen Haupt eine silberne Krone trägt und von einem Strahlenkranze umgeben<br />
ist.<br />
Die Vierung des Lang- und Querschiffes bildet eine Kuppel von neunzehn Meter<br />
Durchmesser. Der gewaltige Raum strahlt in lebensfrischem Farbenglanze der großartigen,<br />
von prachtvollen Stuckgebilden umrahmten und in geistreicher Komposition die Stiftung der<br />
christlichen Kirche schildernden Fresken: „Sendung des heiligen Geistes“ und „Allegorie der<br />
Kirche und ihrer Kinder.“ In den Bogenzwickeln sind die vier Evangelisten mit ihren<br />
Symbolen dargestellt. Auf den Kanten des breitausladenden Gesimses thronen - von<br />
Engelsgestalten umgeben - die Gestalten der vier lateinischen Kirchenväter, besonders<br />
charakteristisch Gregor der Große und der heilige Hieronymus. Trotz aller Kolossalität<br />
erscheinen die Figuren in vollem Ebenmaße und die gleichsam im Raum schwebenden<br />
Engel und Putten entzücken durch die Natürlichkeit ihrer Bewegungen; all diese plastischen<br />
Gebilde erinnern durch schönen Linienfluß und durch ihre gemessene Ruhe an antike<br />
Meisterwerke. An jedem Pfeiler des Querschiffes steht in schön<br />
[Bild: Taufstein der Klosterkirche]<br />
gegliedertem Aufbau ein Altar, welcher statt eines Gemäldes über der Mensa Figuren von<br />
Heiligen enthält; Putten beleben die Krönungen, aus deren glitzernden Strahlenkranze sich<br />
einzelne Strahlen auf die Altarheiligen herniedersenken.<br />
[Bild: Deckengemälde der Klosterkirche: Gründung, Erhaltung und Bestätigung des<br />
Gotteshauses]<br />
Im östlichen Querschiffarme steigt der Hochaltar zu zwanzig Meter Höhe empor; seine<br />
Säulenarchitektur mit Heiligenfiguren ist eine der kunstvollsten Schöpfungen. <strong>Das</strong> Altarblatt<br />
zeigt das Martyrium des heiligen Alexander, ein kleines Gemälde in der Krönung Engel mit<br />
Palme und Krone und eine Nische das Eldernsche Gnadenbild. Der Hochaltar im westlichen<br />
Querschiffe enthält das prachtvolle Gemälde: „Papst Pius V. fleht um das Waffenglück der<br />
christlichen Armada, im Hintergrunde tobt die Schlacht von Lepanto“, das Bild in der Krönung<br />
stellt die Überreichung des Skapuliers an den Karmelitergeneral Simon Stock dar. Im<br />
üppigsten Rokoko prunken die vier Seitenaltäre im Querschiffe und die ebenda befindlichen<br />
Beichtstühle von formvollendeter Holzschnitzarbeit, an welchen jedes Detail<br />
herausgearbeitet ist. Die schönen Deckengemälde in den Querschiffarmen behandeln „<strong>Das</strong><br />
Bekenntnis der heiligen Felicitas und ihrer Söhne“ und „Maria als Fürbitterin“. In diesem<br />
ganzen Raum und seiner figurenreichen plastischen und malerischen Ausschmückung ist<br />
der Grundgedanke der Verbindung des Irdischen mit dem Himmlischen in immer neuen
Variationen zum Ausdruck gebracht. Verklärte Glorie umwebt die scheinbar aus der Höhe<br />
hernieder-<br />
18 <strong>Das</strong> <strong>Bayerland</strong> XXV, 1 4. Okt. 1913<br />
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schwebenden, von Wolkenballen getragenen Putten, welche allenthalben die Architektur<br />
belegen.<br />
Zwei herrliche, plastische Gebilde sind die am Eingange zum Hauptschiffe an den<br />
mächtigen Pfeilern angebrachten Ausstattungssujets: „Kanzel und Taufstein“. Erstere in<br />
Stuckmarmor ausgeführt, scheint auf Wolken in diese Wunderpracht von Engeln getragen,<br />
herabzuschweben; die reizenden Puttenfiguren an der Brüstung symbolisieren die<br />
Ausbreitung der katholischen Kirche über den Erdkreis; prächtige Arbeiten von gleicher<br />
Vollendung wie am Chorgestühl sind die reich umrahmten Reliefs in den Füllungen der<br />
Brüstungen. Eine hoheitsvolle Engelsgestalt am Fuße der Kanzel kennzeichnet durch ihre<br />
Geste nach einer die Worte: „Euntes docete omnes gentes“ tragenden Tafel die Bedeutung<br />
der Kanzel. Ein Kunstwerk für sich ist die schöne, von lieblichen Putten umrahmte Gruppe:<br />
„Verklärung Christi auf dem Berge Tabor“, welche die Mystik jenes biblischen Vorganges<br />
veranschaulicht. Gleich hohe Kunstreife zeigt die Taufsteingruppe. Von Wolken getragene<br />
Engel weisen auf eine Schrifttafel mit den Worten: „Baptizantes eos in nomine Patris et Filii<br />
et Spiritus sancti“ hin. In dem Relief „Sündenfall“ und in der plastischen Gruppe „Taufe<br />
Christi“ sind Ursache und Beginn der Erlösung dargestellt. Atlanten tragen den von Engeln<br />
gekrönten Aufsatz. Aus dem Gewölke darüber bricht ein lichter Strahlenkranz hervor, in<br />
dessen Mitte das Symbol des Heiligen Geistes von Engeln umschwebt erscheint, hoch<br />
darüber thront Gott-Vater.<br />
(Schluß folgt)<br />
11. Oktober 1913 25. (Jubiläums-)Jahrgang Nummer 2<br />
…<br />
<strong>Das</strong> <strong>Bayerland</strong><br />
11. Okt. 1913 <strong>Das</strong> <strong>Bayerland</strong> XXV, 2 29<br />
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Ottobeuren<br />
Von Hans Steinberger, Prien. - Mit 12 Bildern<br />
(Schluß)<br />
<strong>Das</strong> Deckengemälde im Langhause verherrlicht in feindurchdachter Komposition,<br />
trefflicher Farbenabstufung und genialer Gruppierung die um die Ausbreitung und<br />
Befestigung der christlichen Kirche verdienten Ordensmänner. Üppiges ornamentales Zierat<br />
umrahmt die in Goldton gehaltenen Fresken in den Bogenzwickeln mit Szenen aus der
Ordensgeschichte. Zur reichen Architektur leiten die Allegorien der Ordenstugenden und<br />
figurale Reliefs in den Arkadenbögen über; als Kerzenträger sind in sinniger Weise an den<br />
Pfeilern und in den Seitenkapellen Reliefportraits der zwölf Apostel in prächtigen<br />
Stuckrahmen. Ein von zwei Marmorsäulen getragener Musikchor, dessen Brüstung<br />
vergoldete Heiligenstatuen schmücken, ein Profangitter in graziösen Rokokoformen und<br />
Balkons bilden den Schluß des Hauptschiffes. <strong>Das</strong> Deckengemälde über dem Musikchore<br />
schildert die Stiftung, Bestätigung und Blütezeit des Stiftes Ottobeuren. Auf demselben<br />
erscheint Kaiser Karl der Große, St. Ulrich und in der Mitte kniet Abt Anselm, hinter dem die<br />
majestätische Kirche aufragt. Engelsgestalten beleben das Gemälde, zwei derselben halten<br />
ein Spruchband mit den biblischen Worten: „Crescas in mille millia“.<br />
In den neutestamentlichen Szenen der Deckenfresken in der Vorhalle ist die flüchtige,<br />
Farben und Formen virtuos beherrschende Manier Zeilers aus nächster Nähe zu betrachten.<br />
Wesentlich einfacher sind die freistehenden Altäre der Seitenkapellen, deren Gemälde<br />
und Deckenfresken die Heiligenlegende behandeln. Die Architektur bereichern auch hier<br />
schwebende Engel und Putten sowie Heiligenstatuen, die Wände schmücken prunkvolle<br />
Epitaphien. Ergreifend wirkt inmitten dieser schimmernden Pracht der schlichte Grabstein<br />
des Abtes Honorat im Fußboden durch seine lakonische Inschrift: „Grab des Honorat, eines<br />
schwachen Sünders“.<br />
Aus dem Schwelgen in Farbenglut, Goldglanz und Marmorpracht und aus der<br />
erhebenden Friedensstimmung der Kirche leitet gleich einem Vestibül die Sakristei in den<br />
behaglichen Prunk der Klosterräume über.<br />
30 <strong>Das</strong> <strong>Bayerland</strong> XXV, 2 11. Okt. 1913<br />
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Diese geistliche Rüstkammer birgt prachtvolle Riesenschränke für Ornate mit reicher<br />
Fülle von Schnitzereien, eingelegten und eingeätzten Bildwerken sowie als Surports<br />
Holzreliefs mit ergreifenden Passionsszenen. An einem Schrank hat Meister Heidelberger<br />
aus Memmingen im Scherze „zur gedächtnuß an zwey Orthen des Luthers und seines<br />
Käther-<br />
[Bild: Logen in der Klosterkirche]<br />
lin’s bildnuß“ hinterlassen. Von den Kirchenschätzen werden als kunstgeschichtliche<br />
Wertstücke der reichgetriebene Ulrichskelch, der Sankt Alexandersarg, das spanische<br />
Kreuz, der aus uralt maurischen, mit Blumen und Kampfszenen eingewobenen<br />
Darstellungen hergestellte Alexandermantel, ein Meßornat, aus dem silberbrokatenen<br />
Brautmantel Maria Antoinettes hergestellt, und eine Casula gezeigt, in welch letzterer Luther<br />
bei den Augustinern zu Memmingen das heilige Meßopfer zelebrierte.<br />
In den nun sich erschließenden Prunkräumen der Prälatur steigert sich das andachtsvolle<br />
Staunen zum höchsten Entzücken. <strong>Das</strong> drei Höfe umschließende Gebäudegevierte von 133<br />
Meter Länge, 120 Meter Breite und 21 Meter Höhe umfaßt 130 Säle und Zimmer, prächtige<br />
Treppenhäuser und Korridore mit 837 Fenstern. Ausgedehnte Wirtschaftsgebäude; der<br />
Prälaten- und Konventgarten reihen sich dem Kloster an, dessen durch Eckpavillons<br />
belebtes Äußere keine besondere dekorative Gliederung zeigt. Um so großartiger und<br />
harmonischer sind von dem prachtliebendsten Jahrhunderte im Inneren Architektur und<br />
Ausstattung durchgeführt; hier wiederspiegelt sich in der reizenden Rokokoornamentik von
künstlerisch reichster Erfindung die behagliche Prälaturenstimmung einer längst<br />
entschwundenen Zeit. Diese zierlichen Formen, leuchtenden Farben und feinabgetönte<br />
Prunkentfaltung gleichen wohligen Weisen aus der verträumten Poesie des achtzehnten<br />
Jahrhunderts, diese entzückenden Innenräume in ihrer graziösen und zarten Feingliedrigkeit<br />
mit unvergleichlichen Stuckdekorationen in üppig verschlungener Blumenornamentik sind<br />
echte Kinder einer der künstlerischen Phantasie in der Formensprache freien Spielraum<br />
gewährenden Zeit. Aus all dieser feinabgewogenen, unerschöpflichen Fülle von Ornamentik<br />
schauen die Deckengemälde des Venetianers Amiconi in lebhaftestem Kolorit von<br />
unverminderter Frische und in der lebendig flüchtigen Manier dieses vielbeschäftigten<br />
Meisters herab; unverkennbar ist in all diesen Räumen die künstlerische Steigerung und<br />
Vertiefung der Pracht und Formenschönheit. Schon der Kreuzgang fesselt durch seinen<br />
Reichtum an Gemälden und Stuckzieraten, in deren Schöpfung sich der berühmte Johann<br />
Zimmermann betätigte; von da an erschließt sich bei jedem Schritte der anmutsvolle<br />
Zauberreiz des Rokokos. Feierliche Eindrücke gewähren durch ihre reiche Stukkatur und<br />
Decken- und Wandgemälde der Kapitelsaal, das Refektorium und das Archiv. Den Schluß<br />
der ebenerdigen Prachträume bildet die Benediktuskapelle, in deren Plafondgemälde „Christi<br />
Himmelfahrt“ Amiconi seine phantasiereiche Gestaltungskraft meisterhaft entfaltete. Bei der<br />
Gestalt des Erlösers ist in deren scheinbaren Bewegung eine der beliebten optischen<br />
Täuschungen erzeugt. Von ergreifender Wirkung sind die Sterbeszenen der Heiligen<br />
Benedikt und Monika auf den Altargemälden.<br />
Die vornehme Eleganz der Treppenhäuser und Vorplätze umwoben Bildhauer, Maler und<br />
Stukkatoren mit eigenartigem Reiz. In Nischen bilden lebensgroße, allegorische Statuen<br />
Spalier, die Kuppelkassetten schmücken farbenfrische Gemälde und neben der<br />
architektonischen Ausstattung mit<br />
[Bild: Klostergang]<br />
11. Okt. 1913 <strong>Das</strong> <strong>Bayerland</strong> XXV, 2 31<br />
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Säulen und Balustraden bilden vierzehn prächtige Carara-Basreliefs mit Szenen aus dem<br />
Leben Christi den Kern der die Wände und Decken immer feiner und zierlicher<br />
überspinnenden Stuckornamentik. Besonders der Vorplatz zur Heiligen Kreuz- oder<br />
Abteikapelle überrascht durch auserlesene Dekoration und die biblischen Fresken Amiconis.<br />
In der kreisrunden Abteikapelle feiert die dekorative Ornamentik wahre Triumphe<br />
künstlerscher Erfindung. Liebliche Engelsköpfchen gliedern die feingeschwungene<br />
Umrahmung des allegorischen, in den Nebenfeldern von den vier Evangelisten, den<br />
Aposteln Petrus und Paulus und Engeln mit den Passionsinsignien und Rauchfässern<br />
umgebenen Deckenbildes von Amiconi: „Die Verherrlichung des blutigen und unblutigen<br />
Opfers“. Eine ergreifende Pieta inmitten des plastisch wirkenden landschaftlichen<br />
Vordergrundes bildet die Hauptgruppe der großartig gruppierten Darstellung; besonders<br />
trefflich erscheint der anachronistische, römische Hauptmann im Rokokokostüm mit Degen<br />
und zierlichem Stocke, das Haupt mit dem Turban bedeckt, aufgefaßt. Mit feiner<br />
Lichtabtönung öffnet sich über der schmerzbewegt um die Leiche Christi knienden Gruppe<br />
der Himmel zur Darstellung der verklärten Gottheit und Engelschöre. Prächtig erdacht und<br />
modelliert ist eine auf dichtgeballtem, dunklen Gewölbe thronende Engelsgruppe und der<br />
zum Altare mit einem Hostienkelche herniederschwebende Engel. Mit gleicher Vollendung<br />
stellte Amiconi in dem Altargemälde „Die Kreuzigung Christi“ dar. Zu einem überraschenden
Blicke auf die schimmernde, lichtumflossene Pracht der Kirche öffnet sich rückwärts des<br />
Altares die Prälatenloge.<br />
In der nun folgenden Reihe der „Amiconi-Zimmer“ betätigte dieser Künstler aufs<br />
glänzendste seinen großen,<br />
[Bild rechts: Deckengemälde von Amiconi in der Heiligen Kreuzkapelle]<br />
[großes Bild unten: Kaisersaal im Kloster]<br />
32 <strong>Das</strong> <strong>Bayerland</strong> XXV, 2 11. Okt. 1913<br />
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schöpferischen Geist; von Gemach zu Gemach steigert sich zudem die reizvolle Schönheit<br />
der Stukkatur, welche in den entzückend gewählten Motiven den ganzen Ideen- und<br />
Formenreichtum des Rokokos widerspiegelt. Diese Zimmerflucht birgt reiche Schätze an<br />
kunst- und naturhistorischen Sammlungen. Während im großen Saale ein Meisterwerk der<br />
Keramik im Rokokostile das Staunen erweckt und die Stukkatur des Schlafgemachs des<br />
Abtes zu den kunstvollsten aller Räume zählt, ragt das Eustachiuszimmer durch die<br />
herrlichen Decken- und Surportbilder hervor. Im „Salettl“ der Sommerabtei symbolisiert das<br />
Plafondgemälde „<strong>Das</strong> siebente Lebensalter der Welt (Christentum)“, vergoldete<br />
Gipsskulpturen an den Wänden die übrigen sechs Weltalter. In der verblassenden<br />
Herrlichkeit des Fürstenzimmers interessiert als letzte, in drei Stunden fertiggestellte Arbeit<br />
Amiconis das Surport: „Besuch Alexander des Großen bei Diogenes“, während seine erste<br />
Kunstleistung von der Winterabtei in flotter, aber stark weltlich empfundener Darstellung<br />
„Herkules begleitet eine Seele zu Jupiter“ zeigt.<br />
Ganz in die festfrohe Stimmung der Rokokozeit versetzt<br />
[Bild: Kloster-Bibliothek]<br />
der Theatersaal durch seine prächtige Säulenarchitektur und üppige Stuckpracht, durch das<br />
allegorische Deckengemälde: Pallas Athene und Apollo als Schützer der darstellenden Kunst<br />
und mythologische Bilder in Goldtönung in den Nebengalerien. Mit Recht spart die Führung<br />
die zwei glänzendsten Säle auf den Schluß der Besichtigung. In reichstem Festesglanze<br />
prunkt der durch zehn hohe Fenster erhellte Kaisersaal. Ein unendlicher Reichtum<br />
reizvollster Motive ist hier zu einem trotz der riesigen Ausmaße entzückenden Interieur<br />
verwoben. Die rosige Tönung der die Wandflächen gliedernden 32 Säulen tritt diskret aus<br />
der von Goldglanz überfluteten, farbensatten Prachtentfaltung hervor und unendlich reich ist<br />
die Architektur des breit auslaufenden, auf den Säulen ruhenden Gebälkes. In duftigen<br />
Tönen schwelgt das graziöse Stuckzierat der Füllungen und der von sechs Atlanten<br />
gestützten Decke, der Freskenumrahmungen, des Frieses und der Kapitäle. Wahrhaft<br />
betörender Farbenzauber strahlt aus den Decken- und Wandgemälden. In dem großen<br />
Deckenfresko schildert der Künstler die Kaiserkrönung Karls des Großen im Geiste seiner<br />
Zeit mit allem höfischen Gepränge derselben voll farbenglühenden warmen Lebens als<br />
huldigende Allegorie für den großen Herrscher. Unter diesem Gemälde zieren die<br />
Wandflächen die Bildnisse: Papst Gregor VII., Ludwig der Heilige, Taufe Chlodwigs durch<br />
Remigius, während das Sujet des vierten Gemäldes mit der Inschrift: „Scientiae fautori“ nicht<br />
zu enträtseln ist. Zehn Ovalbilder an den Wänden stellen die Kaiser von Otto I. bis Friedrich<br />
II., vier Surports die in die Schar der Heiligen aufgenommenen Kaiserinnen dar. Den
höchsten Schmuck dieses Saales bilden sechzehn zwischen den Säulen stehende, in<br />
vergoldeter Holzschnitzerei ausgeführte Statuen der Kaiser aus dem Hause Habsburg von<br />
11. Okt. 1913 <strong>Das</strong> <strong>Bayerland</strong> XXV, 2 33<br />
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Rudolf I. bis Karl VI. Es sind nicht die kraftvollen, markigen Gestalten, wie sie in<br />
unvergänglicher Schönheit die Hofkirche zu Innsbruck schmücken, aber selbst in der<br />
Auffassung des Rokokogeistes erscheinen sie in feierlich würdiger Haltung und lebensvoller<br />
Charakteristik. Die Ausstattung dieser strahlenden Pracht vollenden liebliche Putten auf den<br />
Gesimsen, vier biblische Reliefs und schwarze Marmorkamine. - Mit allen Mitteln<br />
sinnberückender Rokokokunst ist der Bibliotheksaal ausgestattet. Vierzehn hohe Fenster<br />
lassen in dieses köstliche Juwel eine Fülle von Licht hereinströmen. Überraschend groß und<br />
feierlich ist der Eindruck dieses Thronsaales geistigen Wissens in graziösen Formen und<br />
harmonischer Farbenabtönung. Ein wahrhaft meisterliches Prunkstück unvergänglicher<br />
Raumbildkunst in den Grundtönen Weiß und Gold leuchtet dem Beschauer entgegen. 44<br />
schimmernde Marmorsäulen mit goldglitzernden Basen und Kapitälen, als Träger einer<br />
Galerie, bilden die architektonische Gliederung. In der Stuckverzierung hat der bayerische<br />
Rokokomeister Zimmermann sein höchstes Können entfaltet. Die Plastik des Bildes: Pallas<br />
Athene mit dem Medusenschilde ist bewundernswert. Anmutige Stuckgebilde umrahmen den<br />
künstlerisch vollendeten, in entzückender Farbenfrische leuchtenden Gemäldeschmuck der<br />
Decke. In den Nebenfeldern erscheinen die Heiligen des Benediktinerordens und Engel mit<br />
den Attributen der Künste, Wissenschaften und Musik. <strong>Das</strong> Hauptgemälde stellt in<br />
dramatisch bewegter Handlung die Ankunft des heiligen Benediktus auf Monte Kassino, die<br />
Zerstörung der Apollostatue und Erbauung der Johanneskirche dar. <strong>Das</strong> Stuckzierat<br />
schmücken die Wappenschilder des Abtes Rupert II. und des Konventes. Je vier Engel<br />
halten an der West- und Ostseite Tafeln mit lateinischen, den Zweck des Raumes<br />
erklärenden Inschriften. Die Bücherregale enthalten heute noch 20000 Originalbände aller<br />
Wissenszweige, obwohl ein großer Teil der Bestände nach München wandern mußte.<br />
Mit berechtigtem Stolze konnte Abt Rupert in diesem den Schlußstein seines prunkvollen<br />
Klosterbaues anbringen lassen: „Diesen Saal weihte den Musen zu einem Sitze, der Religion<br />
zu einem Bollwerke und sich zu einem Denkmale Rupert, Abt des Klosters Ottobeuren<br />
1718.“<br />
Eine der gehaltvollsten, sonnigsten Rokokoschöpfungen, ein unvergängliches Denkmal<br />
großartigen monastischen Kunstsinnes ist an dem Beschauer vorübergezogen. Die sorgsam<br />
gebuchten Posten der Baurechnungen geben ein anschauliches Bild einer Epoche, welche<br />
für den deutschen Süden eine Periode nie geahnten künstlerischen Glanzes heraufführte. All<br />
ihre reiche Erfahrung legten die Mönche von Ottobeuren in einem Briefe an den Konvent von<br />
Wessobrunn, als sich auch bei diesem die Baulust mächtig zu regen begann, mit den<br />
Worten nieder: „Wenn ihr das Geld noch zählen könnt, dann tut es ja nicht, wenn ihr es aber<br />
mit Scheffeln messen müßt, könnt ihr es wagen.“<br />
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Ende der Abschrift (Helmut Scharpf, April 2013)<br />
Hinweis: Die hier weggelassenen Bilder finden sich in der pdf des Originalartikels.