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Kindheit und Jugend - Karl Günzel

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<strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong><br />

Aus einem revolutionärem Arbeiterleben<br />

Biographische Skizze<br />

Herausgeber. SED-Kreisleitung Freiberg<br />

Kommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen<br />

Arbeiterbewegung<br />

Bearbeitung: Gen. Dr. Bela Belafi<br />

Gen. Dr. Manfred Hiekel ‘<br />

Gen. Gerhard Hütter<br />

Stadtarchiv Freiberg (Fotos)


Vorwort:<br />

Diese Broschüre erscheint anlässlich des 35. Jahrestages der Vereinigung von<br />

KPD <strong>und</strong><br />

SPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands am 21. April 1946.<br />

Leben <strong>und</strong> Kampf <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong>s waren stets dem Ziel untergeordnet, die Einheit<br />

der<br />

Arbeiterklasse herzustellen <strong>und</strong> getreu dem Vorbild der Arbeiter <strong>und</strong> Bauern<br />

Sowjetrusslands einen Staat der Arbeiter <strong>und</strong> Bauern in Deutschland zu schaffen.<br />

Jeder Schritt seines bewussten politischen Denkens war gekennzeichnet von dem<br />

Bestreben, die Arbeiterklasse als einheitlich handelnde <strong>und</strong> geschlossene Kraft<br />

im Kampf gegen Ausbeutung <strong>und</strong> Krieg zu vereinigen. Das wird besonders<br />

deutlich in seinem politischen Handeln, als der junge Genosse <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> -<br />

soeben als Mitglied der zweiten deutschen Arbeiterdelegation 1926 aus der<br />

Sowjetunion zurückgekehrt — in der Streikleitung des Hüttenarbeiterstreiks<br />

mitarbeitet.<br />

Das setzt sich fort in seiner illegalen Arbeit, als es gilt, die Einheitsfrontpolitik<br />

des Thälmannschen ZK an der Basis des Unterbezirks Freiberg durchzusetzen.<br />

Genosse <strong>Günzel</strong> verliert das Ziel einer geeinten Arbeiterklasse in Deutschland<br />

auch in der finstersten Zeit des Faschismus nicht aus den Augen. Er nutzt dann<br />

insbesondere die Zeit 1945/46 sehr intensiv, um im Unterbezirk Freiberg die<br />

Voraussetzungen für die Vereinigung von KPD <strong>und</strong> SPD zur Sozialistischen<br />

Einheitspartei zu schaffen.<br />

Voller Stolz sehen er <strong>und</strong> seine Genossen am 21. April 1946 ihre Anstrengungen<br />

belohnt.<br />

Mit Zuversicht geht er an die Bewältigung der weiteren Aufgaben, fest davon<br />

überzeugt, dass unter der Führung der SED die Lehren aus der Geschichte der<br />

deutschen Arbeiterbewegung gezogen worden sind. Die Ziele des Aufrufes der<br />

KPD vom 11.Juni 1945 bleiben nach wie vor Hauptinhalt der Tätigkeit <strong>Karl</strong><br />

<strong>Günzel</strong>s.<br />

Das bedeutete damals den weiteren Ausbau der antifaschistisch-demokratischen<br />

Selbstverwaltungsorgane‚ die Weiterführung der demokratischen Bodenreform,<br />

die Bestrafung <strong>und</strong> Enteignung der Naziaktivisten <strong>und</strong> Kriegsverbrecher auf dem<br />

Gebiet der Industrie, die Realisierung der demokratischen Schulreform sowie die<br />

Weiterführung der Demokratisierung des gesamten öffentlichen Lebens.<br />

<strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> hatte als Parteimitglied <strong>und</strong> Aktivist der ersten St<strong>und</strong>e einen<br />

wesentlichen Anteil daran, dass sich in der Bevölkerung der Stadt <strong>und</strong> des<br />

Kreises Freiberg der Gedanke der deutsch-sowjetischen Fre<strong>und</strong>schaft immer<br />

weiter vertiefte. Seine Reisen in die Sowjetunion <strong>und</strong> insbesondere die<br />

fruchtbringende Zusammenarbeit mit den sowjetischen Genossen in der Uniform


der Roten Armee haben bei ihm die Überzeugung vertieft, dass mit der<br />

Gründung der DDR ein Staat entstanden ist, der in der sozialistischen<br />

Völkerfamilie unter Führung der Sowjetunion erfolgreich die historische Mission<br />

der Arbeiterklasse auch in einem Teil Deutschlands verwirklichen kann.<br />

Er hat uns den Staffelstab übergeben. Wir werden weiter auf diesem Weg<br />

voranschreiten. Die Ergebnisse in Vorbereitung des X. Parteitages der<br />

Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands zeigen, dass die Werktätigen in<br />

unseren volkseigenen Betrieben. den wissenschaftlichen Einrichtungen, in der<br />

Landwirtschaft <strong>und</strong> in allen staatlichen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Bereichen bereit<br />

sind, die Beschlüsse von Partei <strong>und</strong> Regierung mit hoher Qualität zu erfüllen.


<strong>Kindheit</strong> <strong>und</strong> <strong>Jugend</strong><br />

Am 29. November 1890 wurde <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> als Sohn eines Ofensetzers <strong>und</strong> einer<br />

Zigarrenarbeiterin in Bräunsdorf im Kreis Freiberg geboren. im gleichen Jahre<br />

brachte die siegreiche Arbeiterklasse das Sozialistengesetz <strong>und</strong> seinen Urheber,<br />

Reichskanzler Otto von Bismarck, zu Fall.<br />

In einem Flugblatt an die <strong>Jugend</strong> schrieb 1958 <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> über seinen Vater:<br />

„Mein Vater war schon zur Zeit des Sozialistengesetzes Mitglied der Partei der<br />

Arbeiterklasse. Damals wurden die Parteimitglieder oft verhöhnt, verlacht,<br />

beschimpft <strong>und</strong> von ihren Arbeitsplätzen entfernt. Das Ziel der Sozialisten<br />

bestand schon damals darin, die Fabrikherren <strong>und</strong> Rittergutsbesitzer als die<br />

Menschen, die den Arbeitsertrag der arbeitenden Bevölkerung verschwendeten<br />

<strong>und</strong> verprassten, fortzujagen, <strong>und</strong> eine bessere Gesellschaftsordnung zu<br />

erkämpfen.“ 1)<br />

<strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> wurde also in einer Zeit geboren, in der die organisierten Arbeiter<br />

Deutschlands einen bedeutsamen politischen Erfolg über die Ausbeuter errungen<br />

hatten.<br />

Von Ostern 1897 bis 1905 besuchte er die Volksschule in Bräunsdorf.<br />

Er sagte selbst über diese Zeit:<br />

„Als Schuljunge musste ich bereits mitarbeiten. Für meine<br />

Laufburschentätigkeit, die ich halbtagsweise durchführte, bekam ich pro Woche<br />

eine Mark.“ 2)<br />

In seiner Familie wurde die Arbeiterzeitung gelesen. Diese wies auf die<br />

schlechten Verhältnisse in der Arbeiterklasse hin. Zur Genüge spürte er diese<br />

Zeit am eigenen Leibe.<br />

Besonders die Proletarierkinder hatten darunter zu leiden.<br />

Trotz dieser schweren Zeit wuchs <strong>Karl</strong> zu einem fröhlichen, selbstbewussten<br />

<strong>Jugend</strong>lichen heran. Er lernte gut in der Schule <strong>und</strong> wurde von seinen Eltern zu<br />

einem klassenbewussten jungen Menschen erzogen.<br />

So auf das Leben vorbereitet, begann der junge <strong>Karl</strong> Ostern 1905 eine vierjährige<br />

Lehrzeit als Dreher- <strong>und</strong> Schlosserlehrling. In der Maschinenfabrik Theodor<br />

Fuchs in Freiberg beendete er Ostern 1909 diese Lehre. Er äußerte sich in dem<br />

bereits erwähnten Flugblatt über diese Zeit:<br />

„Ich bekam als Schlosser- <strong>und</strong> Dreherlehrling pro St<strong>und</strong>e 2/3 Pfennig; also für<br />

einen zehnstündigen Arbeitstag 6,6 Pfennig. Mädchen hatten damals keine<br />

Möglichkeit, einen Beruf zu erlernen. Sie mussten als Dienstmädchen oder Magd<br />

in der Landwirtschaft arbeiten oder als ungelernte Arbeitskraft in die Fabrik<br />

gehen. Der Bauer zahlte für Mädchen bis 16 Jahre 20 Taler im Jahr = 60 Mark.<br />

17- bis 20jährige Mädchen erhielten 30 Taler im Jahr = 90 Mark.


Die Arbeitszeit begann täglich 4.30 Uhr <strong>und</strong> ging bis 19 bzw. 20 Uhr. An einen<br />

freien Sonntag oder an Ferien war überhaupt nicht zu denken. in der Fabrik<br />

wurden die Jungen nur mit Pfennigen abgespeist, auch wenn sie gleiche Arbeit<br />

wie die Erwachsenen leisteten.“ 3)<br />

Diese Beispiele zeigen ganz deutlich, wie schamlos die jungen Menschen damals<br />

ausgebeutet wurden.<br />

Genosse <strong>Günzel</strong> beteiligte sich schon frühzeitig innerhalb der<br />

Sozialdemokratischen Partei am Verkauf von Broschüren, er half mit, Flugblätter<br />

zu verteilen <strong>und</strong> besuchte auch Versammlungen. 1908 gründete er mit anderen -<br />

also noch als Lehrling — den Arbeiterturnverein, Turnerschaft Freiberg.<br />

Gleichzeitig nahm er auch an der politischen Schulung der Arbeiterjugend der<br />

SPD in Freiberg teil.<br />

Die Wanderschaft<br />

Nach Beendigung der Lehrzeit ging <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> auf Wanderschaft. Diese war zu<br />

dieser Zeit typisch für viele Arbeiter.<br />

Zwei Jahre arbeitete er im Kohlenschacht in Gelsenkirchen. Über diese Zeit<br />

berichtet er folgendes:<br />

„Dort sah ich, wie die Kumpel um ihren Lohn betrogen wurden. Acht Kumpel<br />

arbeiteten immer zusammen Sie hatten eine Gedingenummer. Diese wurde an<br />

jeden vollen Kohlenwagen gehängt. Übertage am Schacht wurde die Nummer<br />

von einem Beauftragten der Grubenleitung abgezogen. Nach der Zahl der Wagen<br />

wurde der Monatslohn berechnet.<br />

Der Inhalt eines Wagens betrug 10 Zentner. Der Beauftragte strich jeden Tag<br />

einige Wagen als Mindergewicht. Diese wurden nicht bezahlt, so dass auf diese<br />

raffinierte Weise die Kumpel jeden Monat um einen Teil ihres sowieso<br />

kärglichen Lohnes betrogen wurden.“ 4)<br />

Diese <strong>und</strong> auch andere Ausbeutungsmethoden, die klassenmäßige Erziehung im<br />

Elternhaus sowie das kärgliche Leben in den meisten Arbeiterfamilien<br />

bereicherten seine gewonnenen Erfahrungen in jeder Beziehung. Deshalb war es<br />

für <strong>Karl</strong> folgerichtig, dass er schon im Jahre 1911 in die Partei der Arbeiterklasse<br />

eintrat. Erwähnt werden muss in diesem Zusammenhang, dass man damals erst<br />

mit 21 Jahren Mitglied der Partei werden konnte.<br />

Beginn der organisierten politischen Arbeit<br />

Im Jahre 1912 kehrte <strong>Karl</strong> in seine sächsische Heimat zurück. Bereits 1913 ist er<br />

aktiv im Radfahrerb<strong>und</strong> „Solidarität“ tätig. Es wurden vor allem gemeinsame<br />

Touren unternommen <strong>und</strong> sogenannte „Becherfahren“ ausgetragen, die schon<br />

recht ordentliche Leistungen von den beteiligten Sportlern verlangten.


1917 leitete <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> die <strong>Jugend</strong>arbeit im Arbeiterturnverein Conradsdorf<br />

<strong>und</strong> trug dadurch dazu bei, dass die körperliche Ertüchtigung <strong>und</strong> die<br />

Leibesübungen auch in den Kriegsjahren nichtvöllig zum Erliegen kamen. Durch<br />

sein Wirken war zu verzeichnen, dass der Arbeitersport auch in den folgenden<br />

Jahren in Freiberg aktiv war.<br />

Beruflich arbeitete <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> von 1912 bis 1914 in den Hüttenwerken in<br />

Muldenhütten als Dreher <strong>und</strong> Reparaturschlosser. Bereits im August 1914<br />

musste er Soldat des 1. Weltkrieges werden. Trotz Verw<strong>und</strong>ungen musste er bis<br />

1917 Kriegsdienst leisten.<br />

Erst in diesem Jahr wurde er durch die Hüttenwerke reklamiert; d.h. die<br />

Hüttenwerke forderten ihn für kriegswichtige Arbeiten zurück.<br />

Nach der Novemberrevolution 1918 wurde <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> von den Hüttenarbeitern<br />

in den Betriebsrat der Hütte gewählt. Diese Funktion übte er bis September 1925<br />

aus. In dieser Zeit war er Hauptkassierer des Fabrikarbeiterverbandes, ebenso<br />

Mitglied der Ortsverwaltung <strong>und</strong> Delegierter im Gewerkschaftskartell.<br />

Als am 6. September 1925 der Streik in den Staatlichen Hütten- <strong>und</strong><br />

Blaufarbenwerken Halsbrücke <strong>und</strong> Muldenhütten begann, war auch Genosse<br />

<strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> einer der aktivsten Vertreter der Arbeiterklasse. Er gehörte der<br />

Streikleitung an <strong>und</strong> arbeitete hier eng mit den Mitgliedern der KPD Paul<br />

Beckert, Bernhard Wappler <strong>und</strong> Walter Kerbitz zusammen, die ebenfalls der<br />

Streikleitung angehörten.<br />

Nach Beendigung dieses Streiks im Oktober 1925 war auch <strong>Karl</strong> einer der<br />

gemaßregelten <strong>und</strong> entlassenen Arbeiter.<br />

Genosse <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> hatte sich das Vertrauen seiner Arbeitskollegen erworben.<br />

Er war stets für ihre Interessen eingetreten. Die Ausbeuter jedoch, die Vertreter<br />

der Hüttenverwaltung, sahen in ihm einen „Störenfried“ <strong>und</strong> setzten ihn deshalb<br />

vor die Tür.<br />

Reisen in die Sowjetunion<br />

Seit der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution im Jahre 1917 hatte <strong>Karl</strong><br />

<strong>Günzel</strong> den Wunsch, das erste sozialistische Land der Welt, die Union der<br />

Sozialistischen Sowjetrepubliken, aus eigener Anschauung kennen zu lernen.<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong>e nahm er die Gelegenheit wahr, im Jahre 1926 mit der 2.<br />

Deutschen Arbeiterdelegation in das Land Lenins zu reisen. Freudig <strong>und</strong> mit<br />

großen Erwartungen trat er diese Reise an.<br />

Kein Publikationsorgan des bürgerlichen deutschen Staates informierte die<br />

Bevölkerung über die Errungenschaften der Arbeiter <strong>und</strong> Bauern<br />

Sowjetrusslands. <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> tat es durch sein Auftreten nach der Reise ins<br />

Fre<strong>und</strong>esland mit ehrlicher Überzeugung, weil sich bei ihm längst die Erkenntnis<br />

entwickelt hatte, dass nur die Arbeiterklasse im Bündnis mit der Bauernschaft


<strong>und</strong> allen anderen Werktätigen die Ausbeutung des Menschen durch den<br />

Menschen beseitigen kann.<br />

Wenn bis zum Jahre 1926 bei Genossen <strong>Günzel</strong> diese Erkenntnis theoretisch klar<br />

war, so war seine Reise in den ersten sozialistischen Staat der Welt der<br />

praktische Beweis <strong>und</strong> somit die Bestätigung der Theorie durch die Praxis.<br />

Begeistert berichtete er nach seiner Rückkehr aus dem Fre<strong>und</strong>esland über seine<br />

Eindrücke. Mitglieder seiner Partei, Gewerkschafter <strong>und</strong> Arbeiter erhielten durch<br />

die Berichte des Genossen <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> ein reales Bild über den ersten<br />

sozialistischen Staat der Welt.<br />

Dieses bewusste <strong>und</strong> revolutionäre Auftreten im Zusammenhang mit seiner<br />

Berichterstattung über die sozialistische Sowjetunion <strong>und</strong> seine bis dahin<br />

revolutionäre Entwicklung waren für antikommunistische Funktionäre der SPD<br />

Anlass, ihn aus der Partei auszuschließen. Unser <strong>Karl</strong> ließ sich dadurch nicht von<br />

seiner politisch aktiven Arbeit abbringen.<br />

Schon im Jahre 1927 konnte er mit der dritten deutschen Arbeiterdelegation<br />

erneut seine Anschauungen <strong>und</strong> Erfahrungen über die Sowjetunion an Ort <strong>und</strong><br />

Stelle vertiefen. Von dieser Reise brachte er ein Kampfbanner sowjetischer<br />

Klassenbrüder mit, das er über die Nacht des Faschismus hinwegrettete <strong>und</strong> das<br />

jetzt seinen verdienten Platz im Freiberger Stadt- <strong>und</strong> Bergbaumuseum erhalten<br />

hat.<br />

Die Konsequenz all dieser Erlebnisse <strong>und</strong> Erfahrungen führten dazu, dass <strong>Karl</strong><br />

<strong>Günzel</strong> im November 1927 Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands<br />

wurde. Er war sich darüber klar, dass er nun in der richtigen Reihe stand. Für ihn<br />

gab es keinen Zweifel darüber, ob er die richtigen Schlussfolgerungen aus<br />

seinem bisherigen bewegten Leben gezogen hatte. Für ihn gab es nur eine<br />

Aufgabe, alles zu tun, damit auch in Deutschland ein Staat der Arbeiter <strong>und</strong><br />

Bauern entsteht.<br />

Aus dieser Überzeugung heraus entwickelte sich die Bereitschaft zur Übernahme<br />

von Funktionen in der KPD. Bereits im Januar 1928 wurde er in die Ortsleitung<br />

gewählt, <strong>und</strong> er bekleidete bis 1933 verschiedene Funktionen als Mitglied in der<br />

Unterbezirksleitung.<br />

Über diese Zeit ist in seinem Lebenslauf zu lesen:<br />

„Ab 1929 war ich politischer Leiter, <strong>und</strong> ab 1931 bis 1933 hatte ich den<br />

Literaturvertrieb für den Unterbezirk Freiberg der KPD zu verantworten. In den<br />

Jahren 1929 bis 1933 war ich in der Arbeitslosenbewegung aktiv tätig <strong>und</strong> nahm<br />

an einem Kongress in Chemnitz teil.<br />

Daraufhin wurde ich vom Deutschen Metallarbeiterverband ausgeschlossen.<br />

1926 trat ich der IAH (Internationalen Arbeiterhilfe) bei <strong>und</strong> hatte die Funktion<br />

als Kassierer inne.<br />

Später wurde ich Mitglied der „Roten Hilfe“. 5)


Wir können uns vorstellen, welche umfangreiche Kleinarbeit auf politischem <strong>und</strong><br />

organisatorischem Gebiet durch unseren <strong>Karl</strong> geleistet wurde. Besonders große<br />

Hilfe <strong>und</strong> eine gute Zusammenarbeit ergab sich für ihn aus dem Wirken des<br />

Genossen Max Roscher, der ab 1930 im Unterbezirk Freiberg der KPD<br />

eingesetzt war. Mit ihm gemeinsam kämpfte <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> gegen reformistische<br />

<strong>und</strong> ultralinke Auffassungen im Unterbezirk <strong>und</strong> half damit, einen treu zu Ernst<br />

Thälmann stehenden Kern von Genossen zu entwickeln.<br />

Es galt, auf der Gr<strong>und</strong>lage der „Programmerklärung zur nationalen <strong>und</strong> sozialen<br />

Befreiung des deutschen Volkes“ zu arbeiten, die am 24. August 1930 durch die<br />

„Rote Fahne“ veröffentlicht wurde. Genau so wie Ernst Thälmann vor<br />

Tausenden Zuhörern diese Programmerklärung erläuterte, arbeiteten die<br />

Kommunisten im Unterbezirk Freiberg auf der Gr<strong>und</strong>lage dieser<br />

Programmerklärung, <strong>und</strong> mit an der Spitze stand Genosse <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong>.<br />

Im Auftrage Max Roschers war Genosse <strong>Günzel</strong> oft mit dem Fahrrad im<br />

Arbeitsgebiet Pockau/Lengefeld unterwegs, wo er Ernst Scheffler bei der<br />

Organisation der politischen Arbeit zur Seite stand. Unter anderem beteiligte er<br />

sich aktiv an der Vorbereitung des am 1. Februar in Lengefeld stattgef<strong>und</strong>enen<br />

Einheitskongresses <strong>und</strong> der Verwirklichung des Winterschulungsplanes 1931/32<br />

im Unterbezirk.<br />

In seinem Lebenslauf finden wir wenig Aussagen von ihm über den persönlichen<br />

Einsatz während dieser Zeit. Fest steht aber, dass sich unser <strong>Karl</strong> nicht geschont<br />

hat, wenn es galt, die Forderungen des Thälmann’schen ZK an der Basis<br />

innerhalb der Partei zu verwirklichen. Unermüdlich war er unterwegs, um<br />

falsche <strong>und</strong> feindliche Auffassungen innerhalb <strong>und</strong> außerhalb der Partei zu<br />

verdrängen. Auch für Genossen <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> wurde sichtbar, dass im<br />

Zusammenhang mit dem immer frecheren Auftreten faschistischer Verfechter die<br />

KPD vor kompliziertere Aufgaben gestellt wurde. Immer deutlicher erkannte er,<br />

dass nur durch die Verwirklichung der Aktionseinheit der Arbeiterklasse, die<br />

gerade in dieser Zeit wieder <strong>und</strong> wieder von der Parteiführung gefordert wurde,<br />

eine faschistische Entwicklung in Deutschland verhindert werden konnte.<br />

Das Hauptanliegen der Programmerklärung war die Mobilisierung der<br />

Arbeiterklasse <strong>und</strong> ihrer natürlichen Verbündeten im Kampf gegen die drohende<br />

faschistische Gefahr.<br />

Die Partei konzentrierte sich dabei auf den Kampf gegen die reaktionärsten <strong>und</strong><br />

aggressivsten Kreise des Imperialismus, gegen die Faschisierungspolitik der<br />

Brünningregierung <strong>und</strong> gegen die vom Monopolkapital hochgepäppelte<br />

faschistisch-terroristische Hitlerpartei.<br />

Wir wissen aus der Geschichte, dass es trotz verstärkter Anstrengungen der<br />

Kommunisten nicht gelang, die Machtergreifung des Faschismus zu verhindern.<br />

Unmittelbar danach nahm <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> zusammen mit den Genossen Willi<br />

Appelt, Marschner, Loges, Koch aus Freiberg, den Genossen <strong>Karl</strong> <strong>und</strong> Kurt


Forberger, Alfred Malke aus Brand-Erbisdorf <strong>und</strong> Hermann Scheinpflug aus<br />

Bräunsdorf die illegale Arbeit auf.<br />

Die Partei wurde reorganisiert. Es entstanden fünf Lesezirkel für die „Rote<br />

Fahne“; auch mit der Bündischen <strong>Jugend</strong>, deren Leiter Horst Klinger, wohnhaft<br />

in Freiberg, Hornstraße, war, wurde Verbindung aufgenommen.<br />

Im Jahre 1959 berichtete Genosse <strong>Günzel</strong> vor Pionieren der Oberschule „Johann<br />

Heinrich Pestalozzi“ über seine illegale Arbeit, dass er durch einen ihm<br />

unbekannten Verbindungsmann aus Chemnitz Nachrichten erhalten hat, dass<br />

niemand genau wusste, wer noch zu den illegal Tätigen gehörte. Jeder bekam<br />

Teilaufträge, keiner durfte mehr über alles informiert sein. Einmal saß er im Park<br />

auf der Bank. Neben ihm ein Unbekannter, der Zeitung las. Die Zeitung blieb<br />

liegen <strong>und</strong> darin fand Genosse <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> Nachrichten <strong>und</strong> neue Aufgaben für<br />

die weitere illegale Arbeit.<br />

Gefängnis, Zuchthaus <strong>und</strong> Konzentrationslager<br />

Zwei Jahre lang arbeiteten die Genossen der Unterbezirksleitung der KPD<br />

erfolgreich in der Illegalität.<br />

Wir können uns vorstellen, wie gefährlich diese Tätigkeit war, weil wir heute<br />

wissen, wie brutal die Hitlerfaschisten vor allem gegen die Kommunisten<br />

vorgingen.<br />

Auch unserem Genossen <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> blieb nicht erspart, dass er durch die<br />

Folterstätten des Faschismus gehen musste.<br />

Bereits am 8. Februar 1935 wurde er verhaftet. Das Oberste Landesgericht in<br />

Dresden verurteilte ihn zu 3 1/2 Jahren Zuchthaus wegen „Vorbereitung zum<br />

Hochverrat“.<br />

In seinem Lebenslauf schreibt er:<br />

„Von der ‚Mathilde‘ in Dresden kam ich im Januar 1936 in die Strafanstalt nach<br />

Zwickau, in den ‚Osterstein‘, im Juli 1937 nach dem Emsland-Aschendorfer-<br />

Moor, wo die Strafzeit am 29. August 1938 zu Ende war. Anschließend war ich<br />

in Schutzhaft im Konzentrationslager Buchenwald, <strong>und</strong> zwar bis Mai 1945. Von<br />

den Alliierten wurde ich befreit”)<br />

Kurz <strong>und</strong> bündig, für den Genossen <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> typisch, berichtete er über diese<br />

schwere Zeit. Waren es doch über zehn Jahre seines Lebens, die er hinter<br />

Kerkermauern <strong>und</strong> Stacheldraht verbringen musste. Welche Entbehrungen<br />

musste er auf sich nehmen?<br />

Trennung von der Familie, Entwürdigungen seiner Persönlichkeit durch die<br />

Faschisten, Folter <strong>und</strong> Freiheitsberaubung, Qualen, wie sie sich ein normaler<br />

Mensch nicht vorstellen kann.<br />

Als <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> in Schutzhaft im Konzentrationslager Buchenwald war, starb<br />

sein Vater in Freiberg. An dem Begräbnis seines Vaters durfte auch der


„Häftling“ <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> teilnehmen. Er wurde unter SS-Bewachung an das Grab<br />

seines Vaters geführt. Es war ihm aber verboten, mit seinen Angehörigen zu<br />

sprechen. Was mag er empf<strong>und</strong>en haben. als er seine Frau <strong>und</strong> seinen Sohn<br />

wiedersah, aber nicht mit ihnen sprechen durfte?<br />

Wofür mussten <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> <strong>und</strong> Tausende Kommunisten, Sozialdemokraten,<br />

Gewerkschafter, parteilose Werktätige, Christen <strong>und</strong> andere Bürger diese<br />

Folterstätten des deutschen Faschismus durchlaufen?<br />

Es war die Einsicht, dass durch den Sieg der Großen Sozialistischen<br />

Oktoberrevolution im Jahre 1917 der Menschheit das Tor aufgestoßen wurde für<br />

eine Welt des Friedens, der Demokratie <strong>und</strong> des Fortschritts. Es war die<br />

Erkenntnis, dass die Lehre von Marx, Engels <strong>und</strong> Lenin unbesiegbar ist. Es war<br />

die Überzeugung, dass der Faschismus die Ausgeburt der Menschheit war <strong>und</strong><br />

nur durch den Kampf aller antifaschistischen Kräfte unter Führung der<br />

revolutionären Arbeiterklasse beseitigt werden kann.<br />

Diese Position unseres Genossen <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> war auch mit dafür<br />

ausschlaggebend, dass er im Konzentrationslager Buchenwald, in dem er fast<br />

sieben Jahre seines Lebens verbringen musste, seinen Hass gegen die<br />

Nazibestien noch steigerte. Er kam mit den Bestialitäten des deutschen<br />

Faschismus <strong>und</strong> seiner SS-Henker in unmittelbare Berührung.<br />

Er erlebte mit, wie viele seiner Genossen <strong>und</strong> Kameraden auf das Grausamste<br />

gequält <strong>und</strong> zu Tode gefoltert wurden; insgesamt 56 545 Häftlinge verließen das<br />

Lager nie wieder.<br />

Den aufrechten Kommunisten <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> konnte das nicht abschrecken. Er<br />

setzte auch unter diesen äußerst gefährlichen <strong>und</strong> lebensbedrohenden Umständen<br />

den antifaschistischen Kampf fort <strong>und</strong> wurde Mitglied des illegalen<br />

Lagerkomitees, das den bewaffneten Widerstand <strong>und</strong> die Selbstbefreiung des<br />

Konzentrationslagers vorbereitete.<br />

Am 11. April 1945 war es soweit: Die Lagerinsassen erhoben sich gegen ihre<br />

faschistischen Folterknechte, <strong>und</strong> um 15.15 Uhr wehte die Fahne der Befreiung<br />

über dem Torgebäude. 21 O00 Menschen waren endlich frei! Unter ihnen auch<br />

unser Genosse <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong>.<br />

Wie schreibt er in seinem Lebenslauf: „Von den Alliierten wurde ich befreit!“<br />

Kein Wort über seine aktive Mitarbeit an der Selbstbefreiung. Eine<br />

Bescheidenheit, die ihn sein ganzes Leben lang auszeichnete.<br />

Der Neubeginn bis zur Gründung der DDR<br />

Das faschistische Regime hatte das deutsche Volk in eine bis dahin nicht<br />

gekannte nationale Katastrophe gestürzt <strong>und</strong> ein unvorstellbares ideologisches<br />

<strong>und</strong> materielles Chaos hinterlassen. Die materiellen Trümmer waren sichtbar,<br />

ihre Beseitigung notwendig. Von vielen Menschen jedoch unterschätzt <strong>und</strong> zum


Teil auch gar nicht wahrgenommen, waren die ideologischen Trümmer. Die<br />

Beseitigung eines Trümmerberges oder einer Ruine kann man sehen. Wir sehen<br />

auch, was anstelle des Alten entsteht. Nicht sofort sichtbar sind jedoch<br />

Veränderungen im Bewusstsein der Menschen, weil ihre Handlungen nicht<br />

immer inneren Einsichten entsprechen, sondern darauf gerichtet sind, die<br />

materielle Lebenslage den eigenen Ansichten entsprechend zu gestalten.<br />

<strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> schrieb zur materiellen Situation in Freiberg: „Am Abend des 20.<br />

Mai 1945.<br />

es war der 1. Pfingstfeiertag, kehrte ich nach mehr als zehnjähriger<br />

Freiheitsberaubung aus dem Konzentrationslager Buchenwald wieder heim zu<br />

meiner Familie. Wie hatte sich das Bild unserer Stadt in diesen zehn Jahren<br />

verändert!<br />

Häuser waren zerbombt, die Läden leer, in den Schaufenstern nur Attrappen. Nur<br />

st<strong>und</strong>enweise gab es noch Strom <strong>und</strong> Gas, in den Kellern war kein Brennstoff. Es<br />

gab keine Post. keine Zeitung. Die Eisenbahn fuhr nicht mehr; es war einfach<br />

trostlos. Niemand wusste, wie es weitergehen sollte, 0b es Zweck hatte,<br />

überhaupt noch eine Hand zu rühren.“ 7)<br />

Dabei war Freiberg im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Städten von<br />

größeren Zerstörungen durch Kriegseinwirkungen verschont geblieben.<br />

Produktionsstätten wurden überhaupt nicht vernichtet. Aus diesem Gr<strong>und</strong>e<br />

bestanden für die Wiederaufnahme der Produktion nach dem 8. Mai 1945 relativ<br />

günstige Bedingungen. Bereits am 10. Mai 1945 war an die Bevölkerung<br />

Freibergs ein Aufruf der Genossen der Roten Armee ergangen, die Arbeit in den<br />

Betrieben wieder aufzunehmen.<br />

„An die deutsche Bevölkerung!<br />

Arbeiter, Techniker, Verwaltungsangestellte der Industrie- <strong>und</strong><br />

Kommunalbetriebe!<br />

Setzt in Ruhe Eure Arbeit fort!<br />

Kaufleute, Inhaber von Industrie- <strong>und</strong> Handwerksbetrieben, Angestellte!<br />

Nehmt Euer Gewerbe wieder auf! Versorgt die Bevölkerung reibungslos mit<br />

Lebensmitteln <strong>und</strong> allem, was für das tägliche Leben notwendig ist!“<br />

im Freiberger Erzbergbau begannen am 8. Mai 1945 verantwortungsbewusste<br />

Genossen mit ersten Maßnahmen, um die Zerstörung von Produktivkräften zu<br />

verhindern <strong>und</strong> den Neubeginn der Produktion zu sichern. 8)<br />

Unter der energischen <strong>und</strong> tatkräftigen Leitung des sowjetischen<br />

Stadtkommandanten von Freiberg, des jetzigen Helden der Sowjetunion<br />

Gardeoberst Koschmjak, normalisierte sich das Leben in unserer Stadt<br />

zielstrebig. Der Einfluss der antifaschistisch-demokratischen Kräfte wuchs in


dem Maße, in dem Antifaschisten aus den Konzentrationslagern <strong>und</strong> aus der<br />

Emigration zurückkehrten.<br />

Am 11. Mai 1945 bildete sich ein "Antifa"-Aktionskomitee. 9) Zur gleichen Zeit<br />

entstanden in den Arbeiterwohngebieten antifaschistische Ausschüsse. Sie<br />

nahmen die Regelung von Wohnraumfragen zur Unterbringung von Flüchtlingen<br />

<strong>und</strong> elternlosen Kindern in ihre Hand. Auch die Verteilung von Lebensmitteln<br />

wurde durch solche Ausschüsse durchgeführt. Diese Ausschüsse entstanden ohne<br />

Anweisung, ihre Gründung erfolgte spontan.<br />

Am 18. Mai kam der in Hilbersdorf bei Freiberg gebürtige Genosse Kurt<br />

Tanneberger nach Freiberg. Er gehörte zur „Initiativgruppe Ackermann“. Am 20.<br />

Mai kehrte Genosse <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> nach mehr als zehnjähriger Haft aus dem<br />

Konzentrationslager Buchenwald in seine Heimatstadt zurück. 10)<br />

In einem Brief des Genossen Gardeoberst Koschmjak ist über Genossen <strong>Karl</strong><br />

<strong>Günzel</strong> zu lesen:<br />

„Unter den zurückgekehrten Antifaschisten war der Arbeiter <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong>, der<br />

sich lange Zeit in faschistischen Lagern befand <strong>und</strong> wie durch ein W<strong>und</strong>er dem<br />

Tod entgangen war.<br />

Das war ein Mann mittleren Wuchses, mit willensstarkem Gesichtsausdruck <strong>und</strong><br />

sehr mager — Haut <strong>und</strong> Knochen.<br />

Seine Vergangenheit, seine demokratischen Ansichten, seine Unduldsamkeit<br />

gegenüber dem Faschismus riefen Aufmerksamkeit hervor <strong>und</strong> ich lud ihn zu<br />

einer Unterhaltung zu mir ein.“ 11)<br />

Genosse <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> erinnert sich an diese Zeit:<br />

„Nach einer Woche wurde ich durch die Kommandantur nach dem Rathaus<br />

gerufen, wo ich zunächst als Stadtrat <strong>und</strong> stellvertretender Bürgermeister<br />

eingesetzt wurde. Nach der Verhaftung von Oberbürgermeister Hartenstein<br />

wurde ich als Oberbürgermeister durch die Kommandantur Freiberg eingesetzt.<br />

Die Zusammenarbeit mit den Genossen <strong>und</strong> der Kommandantur war 1945 gut<br />

<strong>und</strong> erfolgreich.“ 12)<br />

Am 2. Juni 1945 erläuterte der damalige Stadtkommandant von Freiberg im<br />

Rathaus die Ziele der Roten Armee <strong>und</strong> bildete die deutsche Verwaltung für die<br />

Stadt Freiberg.<br />

Diese Verwaltung nahm als neuer Rat der Stadt am 4. Juni ihre Arbeit auf.<br />

Ihr gehörten an:<br />

Oberbürgermeister Dr. de Guehery Rechtsanwalt, parteilos<br />

Stellv. d. Obm. <strong>und</strong><br />

verantwortl. für Industrie u.<br />

<strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> Arbeiter,<br />

Mitglied der KPD vor 1933<br />

Handwerk<br />

Handel u. Versorgung Willy Eulitz Gewerbetreibender<br />

SPD vor 1933


Kommunale Betriebe, öff.<br />

Einricht. u. Bauwesen<br />

Kurt Seifert Arbeiter,<br />

Mitglied der KPD vor 1933<br />

Finanzen, Steuern u. andere Woldemar Wagler parteilos bis 1945<br />

Einnahmen<br />

Ges<strong>und</strong>heitswesen Dr. Brigitte Weber parteilos<br />

Kultur, Unterricht <strong>und</strong><br />

Erziehung<br />

Carl Böhme<br />

Lehrer,<br />

Mitglied der SPD vor 1933,<br />

seitdem aus dem<br />

Schuldienst ausgewiesen<br />

Soziale Fürsorge Kurt Tanneberger Mitglied der Initiativgruppe<br />

Ackermann<br />

Dieser Stadtrat entsprach in seiner Zusammensetzung einer antifaschistischdemokratischen<br />

Verwaltung. ln ihm hatten bewährte Antifaschisten wichtige<br />

Funktionen inne. Auch parteilos gebliebene Menschen stellten ihr Wissen <strong>und</strong><br />

ihre Erfahrung dem Neuaufbau zur Verfügung. „Dadurch, dass in den<br />

neugebildeten staatlichen Selbstverwaltungsorganen neben Kommunisten <strong>und</strong><br />

Sozialdemokraten auch Vertreter verschiedener Schichten der Bevölkerung,<br />

darunter bürgerliche Kreise, vertreten waren, trugen diese Selbstverwaltungen<br />

faktisch den Charakter von Koalitionen. Es gelang, einen breiteren Kreis von<br />

Menschen aus anderen werktätigen Schichten zur Mitarbeit am Aufbau der<br />

neuen antifaschistisch-demokratischen Ordnung heranzuziehen <strong>und</strong> sie zu<br />

aktivieren.“ 13)<br />

Am 8. August 1945 übernahm Genosse <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> die Funktion des<br />

Oberbürgermeisters. In einer Niederschrift von ihm „Unser Freiberg vor 15<br />

Jahren“ ist zu lesen:<br />

„Wir waren damals als Stadtverwaltung ein recht gutes Arbeitskollektiv, doch<br />

wir standen praktisch alle vor einem Nichts. Die Besatzungsmacht half uns mit<br />

aller Kraft, das Leben in der Stadt wieder in normale Bahn zu bringen. Noch<br />

erinnere ich mich recht gut der Hiobsbotschaft: Unsere Bäckereien haben nur<br />

noch 3 Tage Brennstoffe zum Brotbacken. In dieser verzweifelten Lage halfen<br />

unsere Bürger der Bergstadt in aufopferungsvoller <strong>und</strong> selbstloser Weise.<br />

Der Bauer Horst Bretschneider, damals Pächter des Stadtgutes, fuhr jede Nacht<br />

von Sonnabend zu Sonntag mit seiner Zugmaschine <strong>und</strong> drei Hängern in das<br />

Bornaer Revier nach Briketts. Die Hänger mussten von ihm selbst beladen<br />

werden.<br />

Gemüse schaffte Helmut Beyer vom Turnhallenkeller aus der Lommatzscher<br />

Pflege heran. Keine Kräfte wurden geschont. Ich denke, wir wissen noch, was<br />

uns damals zum Essen zur Verfügung stand. Natürlich gab es noch eine Reihe<br />

anderer Bürger unserer Stadt, die tatkräftig mit Hand anlegten.


Ich denke dabei an die Unterbringung der Umsiedler, jener unglücklichen<br />

Menschen, die alles verloren hatten.<br />

Nicht zu vergessen ist der damalige Bahnhofskommandant. Unter größten<br />

Schwierigkeiten stellte er einen Güterzug zusammen, besetzte ihn mit einigen<br />

Soldaten, <strong>und</strong> nun konnte das schwarze Gold aus Zwickau <strong>und</strong> Borna in<br />

größeren Mengen geholt werden.<br />

Doch hierzu waren erst noch einige Voraussetzungen zu schaffen. Einige<br />

Angestellte des damaligen Bergamtes hatten die Lage in Zwickau sondiert. Die<br />

Kohlekumpel in Zwickau hatten unter der amerikanischen Besatzung keine<br />

„Stummel“ zum rauchen bekommen. Wir gaben der Begleitmannschaft unseres<br />

Zuges eine beträchtliche Menge Zigarren mit. Die Beschaffung war durchaus<br />

nicht einfach, aber die Kumpel in Zwickau bekamen bei jeder Lohnzahlung eine<br />

Zigarre mit in die Lohntüte <strong>und</strong> unser Kohlezug wurde bevorzugt beladen.“ 14<br />

In einem gemeinsamen Aufruf, unterzeichnet von den Genossen <strong>Günzel</strong> als<br />

Oberbürgermeister der Stadt <strong>und</strong> Titze als Landrat steht geschrieben:<br />

„Das deutsche Volk kann nur von dem leben, was es durch eigene Arbeit<br />

erwirbt. Diese Tatsache muss sich jeder Deutsche vor Augen halten <strong>und</strong> sich<br />

auch der Verpflichtungen bewusst sein, die noch durch die Regelung der<br />

Wiedergutmachungsansprüche an Deutschland gestellt werden. Die Hitler’sche<br />

Erbschaft, die das ganze deutsche Volk zu tragen hat, ist schwer. Die Zukunft ist<br />

aber nicht hoffnungslos. Wurde bisher für die Vernichtung gearbeitet, so ist jetzt<br />

jeder Hammerschlag, jede Maschinenumdrehung <strong>und</strong> jeder Handgriff für den<br />

Neuaufbau der deutschen Volkswirtschaft, für die friedlichen Bedürfnisse <strong>und</strong><br />

die Wohlfahrt des Volkes bestimmt.<br />

Ab 15. August 1945 muß jeder Betrieb laufen. Es ist Pflicht jedes<br />

Betriebsinhabers, alles zu tun, um diesem Befehl Rechnung zu tragen. Wer sich<br />

dazu nicht imstande fühlt, hat das Recht, Eigentümer des Betriebes zu sein,<br />

verwirkt. Solche, vom Eigentümer nicht wieder in Gang gesetzte Betriebe,<br />

werden enteignet <strong>und</strong> in das Eigentum des Volkes überführt. Es darf keine<br />

einsatzfähige Arbeitskraft unbeschäftigt bleiben.“<br />

So hart diese Worte klingen mögen, sie mussten sein, weil die Überlebenden der<br />

faschistischen Diktatur leben mussten <strong>und</strong> wollten. Die Aktivisten der ersten<br />

St<strong>und</strong>e hatten die Notwendigkeit erkannt.<br />

Diese Zeilen zeigen aber auch, welche Bedeutung die antifaschistischdemokratischen<br />

Selbstverwaltungsorgane zu dieser Zeit hatten, obwohl sie noch<br />

im Aufbau waren. Es wird aber auch deutlich, mit weichem Optimismus die<br />

Antifaschisten, wie <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> <strong>und</strong> alle anderen, an den Wiederaufbau <strong>und</strong> an<br />

die Errichtung eines antifaschistisch-demokratischen Staates gingen.<br />

Genosse <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> erinnert sich, welche Rolle <strong>und</strong> Bedeutung die Hilfe der<br />

damaligen Roten Armee hatte.


Er schreibt in einem Presseartikel zum 42. Jahrestag der siegreichen Armee der<br />

Arbeiter <strong>und</strong> Bauern:<br />

„Unvergesslich ist mir die Parade zum 10. Jahrestag der Großen Sozialistischen<br />

Oktoberrevolution auf dem Roten Platz in Moskau. Noch sehe ich vor meinem<br />

geistigen Auge die Abteilung Tscherkessen, die bei Dunkelheit auf ihren Pferden<br />

über den Roten Platz fegte, mit den Hufen der Pferde einen einzigen Feuerstrahl<br />

auf dem Pflaster hinterlassend.<br />

Unter ganz anderen Verhältnissen kam ich 18 Jahre später, im Mai 1945, wieder<br />

mit der Roten Armee in Berührung . . .<br />

Fast unüberwindliche Schwierigkeiten wurden von den Soldaten der Roten<br />

Armee gemeistert.<br />

Ich denke an die Weizenmehlausgabe Ostern 1946 in unserer Stadt. Vier Jahre<br />

standen die sowjetischen Soldaten im Krieg, ihr Land wurde von deutschen<br />

Menschen überfallen, große Teile davon in verbrannte Erde verwandelt <strong>und</strong> ihre<br />

Angehörigen erschlagen <strong>und</strong> nach Deutschland verschleppt. Jetzt mussten die<br />

Soldaten der Sowjetunion den deutschen Menschen helfen, den gleichen, die<br />

ihrem Lande so unermessliches Leid zugefügt hatten.“ 15)<br />

Entscheidend für den Fortgang der Demokratisierung war der Befehl Nr. 2, den<br />

Marschall der Sowjetunion G. K. Shukow als oberster Chef der Sowjetischen<br />

Militärischen Administration am 10. Juni erließ. Dieser Befehl war ein Glied in<br />

der Kette der Maßnahmen, die es den deutschen Antifaschisten <strong>und</strong> ihren<br />

Verbündeten ermöglichten, das gesamte politische, ökonomische <strong>und</strong> kulturelle<br />

Leben in der damaligen sowjetischen Besatzungszone Deutschlands konsequent<br />

zu demokratisieren. 16)<br />

Der Befehl demonstriert proletarischen Internationalismus in Aktion.<br />

In Abschnitt 1 des Befehls Nr. 2 heißt es:<br />

„lm Bereich der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland (befehle ich) die<br />

Schaffung <strong>und</strong> Tätigkeit aller antifaschistischen Parteien zu erlauben, die sich die<br />

endgültige Ausrottung der Reste des Faschismus <strong>und</strong> die Festigung der<br />

demokratischen Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> bürgerlichen Freiheiten in Deutschland zum<br />

Ziel setzen <strong>und</strong> in dieser Richtung die Initiative <strong>und</strong> freie Betätigung der breiten<br />

Massen der Bevölkerung fördern.“ 17)<br />

Bereits am 14. Juni 1945 kamen erstmalig die Vertreter der Freiberger KPD,<br />

SPD <strong>und</strong> des Antifa-Ausschusses zusammen <strong>und</strong> berieten über den Neuaufbau<br />

der Freiberger KPD. Unter den Teilnehmern befanden sich die Genossen Paul<br />

Beckert, <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong>, Alfred Becker, Kurt Seifert, Cari Böhme, Arthur Schulz,<br />

Kurt Tanneberger‚ Kurt Handwerk, Hermann Tempel u. a.<br />

Diese bedeutsame Tagung war getragen vom Willen aller Beteiligten, die Lehren<br />

aus der verhängnisvollen Vergangenheit zu ziehen <strong>und</strong> künftig in einer<br />

einheitlichen, revolutionären Arbeiterpartei gemeinsam zu kämpfen. Die


Gr<strong>und</strong>lage ihrer Zusammenkunft bildete der Aufruf des Zentralkomitees der<br />

Kommunistischen Partei Deutschlands vom 11.Juni 1945.<br />

Die erste Mitgliederversammlung fand am 11. Juli 1945 statt. Ihr folgten noch im<br />

gleichen Monat zwei weitere <strong>und</strong> am 4. August eine Unterbezirkskonferenz. Auf<br />

dieser für die weitere Parteiarbeit wichtigen Konferenz wurde insbesondere<br />

Klarheit über wesentliche Fragen des Weges zu einer einheitlichen Arbeiterpartei<br />

geschaffen. Eine nicht unwesentliche Voraussetzung bestand auch darin, dass<br />

noch im August 1945 in der Stadt Freiberg die SPD-Ortsgruppe gebildet wurde<br />

<strong>und</strong> ein Aktionsausschuss gegründet worden war.<br />

Am 28. August 1945 fanden sich im „Tivoli“ Genossen beider Parteien zu einer<br />

ersten gemeinsamen Veranstaltung zusammen, die zu Ehren der im<br />

faschistischen Konzentrationslager Buchenwald ermordeten Genossen Ernst<br />

Thälmann <strong>und</strong> Rudolf Breitscheid durchgeführt wurde.<br />

Am 29. September 1945 erlebte Freiberg die erste K<strong>und</strong>gebung nach der<br />

Befreiung vom Faschismus auf dem Obermarkt. Mit Ansprachen des Genossen<br />

<strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> (KPD), Oberbürgermeister, <strong>und</strong> des Genossen Paul Müller (SPD)<br />

gedachten Tausende Werktätige, die mit Fahnen <strong>und</strong> Transparenten zum<br />

Stadtzentrum demonstriert waren, der Opfer des Faschismus. Diese<br />

Gedenkk<strong>und</strong>gebung wurde durch das Orchester <strong>und</strong> von Künstlern des<br />

Stadttheaters sowie dem Volkschor eindrucksvoll mitgestaltet.<br />

Am 27. Oktober 1945 fand eine erste gemeinsame Veranstaltung zu Ehren der<br />

Toten des 27. Oktobers 1923 statt. Wieder waren es Tausende Werktätige aus<br />

Freiberger Betrieben, die der Opfer der Reaktion am damaligen Postplatz<br />

gedachten. Nach der Gedenksteineinweihe nahm Oberbürgermeister <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong><br />

die Umbenennung des Platzes in „Platz der Oktoberopfer“ vor. Er sagte in seiner<br />

Gedenkansprache:<br />

„Nie wieder darf es dahin kommen, dass sich die Arbeiter uneinig werden. ln der<br />

Einheitsfront der Arbeiter liegt ihre Kraft. Unser Ziel muss die Einheitspartei der<br />

Arbeiter sein.“ 18)<br />

Damit war auch in Freiberg die Aktionseinheit der Arbeiterparteien lebendige<br />

Wirklichkeit geworden <strong>und</strong> erste Schritte zur einheitlichen Arbeiterpartei waren<br />

getan. Die verantwortlichen Genossen beider Parteien gingen nun an die Arbeit.<br />

ln den Betrieben wurden Betriebsgruppen gebildet. Die Kumpel der<br />

Himmelfahrt-F<strong>und</strong>grube organisierten sich.<br />

Bereits im Dezember 1945 waren 50 Prozent der zirka 150 Mann starken<br />

Belegschaft in der KPD <strong>und</strong> SPD organisiert. In zahlreichen Betrieben des<br />

Kreises schlossen sich die Arbeiter im Freien Deutschen Gewerkschaftsb<strong>und</strong><br />

zusammen.<br />

In einer Pressenotiz ist am 28. Oktober in der „Volksstimme“ zu lesen:<br />

„16 Industrieverbände stehen heute als gewaltige Säulen der großen Organisation<br />

des Freien Deutschen Gewerkschaftsb<strong>und</strong>es. In verhältnismäßig kurzer Zeit


wurde der Mitgliederstand der 1933 zerschlagenen Gewerkschaften<br />

überschritten, so dass wir heute r<strong>und</strong> 10000 gewerkschaftlich organisierte<br />

Schaffende im Freiberger Bezirk zu verzeichnen haben.“ 19)<br />

In der Betriebsgeschichte des VEB Präzisionsmechanik Freiberg „2O0 Jahre<br />

wissenschaftlicher Gerätebau“ finden wir auf Seite 17 folgende Ausführungen:<br />

„Die durch die faschistische Barbarei <strong>und</strong> den Bombenkrieg mutlos gewordene<br />

Bevölkerung, die aus dem Krieg <strong>und</strong> den Gefangenenlagern Heimkehrenden<br />

sahen keinen Ausweg aus dem vorhandenen Chaos.<br />

Aus dem Konzentrationslager heimkehrende Kommunisten zeigten den<br />

Menschen den neuen Weg für eine bessere Zukunft. Sie gaben ihnen Mut <strong>und</strong><br />

Zuversicht für ein gesichertes Leben in Wohlstand <strong>und</strong> Frieden. Nur eine geeinte<br />

Arbeiterklasse konnte den reaktionären Ballast beiseite räumen <strong>und</strong> den<br />

Menschen eine frohe Zukunft sichern.<br />

So nahmen auch in unserem Betrieb Mitglieder der Kommunistischen Partei <strong>und</strong><br />

andere fortschrittliche Arbeiter <strong>und</strong> Arbeiterinnen gemeinsam mit den<br />

sowjetischen Genossen der Roten Armee den Betrieb in die Hand <strong>und</strong> bauten<br />

eine neue Produktion auf.<br />

Die sowjetischen Genossen zeigten den Weg <strong>und</strong> gaben die Maschinen in die<br />

Hände der Arbeiter. Willy Fischer, Arthur Notholt, Hans Becker, Walter Lohse,<br />

Dorle <strong>und</strong> Horst Eckardt, Martin Grätzel, um nur einige zu nennen, waren die<br />

Aktivsten der ersten St<strong>und</strong>e.“ 20)<br />

Es zeigte sich immer deutlicher, dass schon wenige Wochen nach der Befreiung<br />

vom Hitlerfaschismus die Arbeiter Freibergs die Notwendigkeit erkannten, mit<br />

der Produktion zu beginnen.<br />

Die Aktivitäten der Kommunisten, Sozialdemokraten <strong>und</strong> fortschrittlichen<br />

Werktätigen, bei tatkräftiger Unterstützung der sowjetischen Offiziere <strong>und</strong><br />

Soldaten, zahlten sich aus.<br />

In der Betriebsgeschichte des VEB Papiermaschinenwerke Freiberg ist darüber<br />

auf Seite 28 zu lesen:<br />

„Auf Initiative der Stadtverwaltung <strong>und</strong> unter der Leitung des aus dem KZ<br />

zurückgekehrten Genossen <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> als Bürgermeister wurde beschlossen,<br />

im Muldental eine neue Anlage zur Erzeugung von Rohpappe zu errichten. Die<br />

Arbeiten dafür begannen im Dezember 1945. Am 16. Mai 1947 konnte die<br />

Anlage in Betrieb genommen werden.“ 21)<br />

Begonnen wurde im VEB Papiermaschinenwerke mit kleinen Reparaturen an<br />

Fahrzeugen für die Rote Armee. Man baute Kleinhandwagen <strong>und</strong> Küchenherde<br />

für/die Bevölkerung sowie erste landwirtschaftliche Geräte, wie z. B.<br />

Getreideschälmaschinen <strong>und</strong> Walzentrockner.<br />

Immer deutlicher zeichnete sich in der Entwicklung der Stadt <strong>und</strong> des Kreises die<br />

Notwendigkeit ab, dass nur unter Führung einer einheitlichen marxistischleninistischen<br />

Arbeiterpartei die erforderlichen Aufgaben gelöst werden konnten.


Immer bewusster wurde den Mitgliedern beider Arbeiterparteien die Erkenntnis:<br />

Die Vereinigung der beiden Arbeiterparteien ist die wesentliche Voraussetzung<br />

für die Überwindung aller Probleme, die durch die Naziherrschaft entstanden<br />

waren.“<br />

In vielen Betrieben unseres Kreises wurde in gemeinsamen<br />

Mitgliederversammlungen <strong>und</strong> auf anderen Veranstaltungen die Forderung nach<br />

der Vereinigung der beiden Arbeiterparteien gestellt.<br />

Am 8. April 1946 wurde für den Kreis Freiberg symbolisch durch den<br />

Handschlag zwischen den Genossen König (KPD) <strong>und</strong> Müller (SPD) die<br />

Vereinigung der beiden Arbeiterparteien vollzogen.<br />

Wenn Genosse <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> später vor FDJ-Mitgliedern <strong>und</strong> Pionieren auftrat<br />

<strong>und</strong> über den Neubeginn im Jahre 1945 berichtete, hörten wir kein Wort über<br />

seinen eigenen Einsatz <strong>und</strong> seine Entbehrungen.<br />

Er tritt bescheiden zurück hinter andere. damals mitverantwortliche Männer <strong>und</strong><br />

Frauen. Persönliche Aufzeichnungen von ihm weisen aber auch auf seine<br />

Popularität hin.<br />

Er schreibt z. B.:<br />

„Eine große Nervenbelastung waren die großen <strong>und</strong> kleinen Sorgen. Jeder<br />

glaubte, seine Sache sei die schlimmste. Ich wurde oft auf der Straße<br />

angesprochen vor der Haustür mittags <strong>und</strong> abends abgewartet. Die einen wollten<br />

nicht aus ihrer Wohnung die anderen keinen Untermieter, wieder anderen musste<br />

Arbeit zugewiesen werden, sie hatten aber nichts anzuziehen. Sogar um einen<br />

Kleingarten war großer Jammer.<br />

Was gab es für Aufregungen. als verschiedenen Bürgern das Telefon gesperrt<br />

werden musste.“ 22)<br />

Auch solche scheinbaren Kleinigkeiten wurden von ihm ernst genommen <strong>und</strong><br />

auf sachlicher <strong>und</strong> politisch exakter Gr<strong>und</strong>lage geklärt. Bestechend war seine<br />

Einfachheit. Es zeichnete ihn auch aus, dass er als Oberbürgermeister in einer<br />

Dachgeschosswohnung in der Schönlebestraße wohnte.<br />

Unermüdlich setzte sich <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> für die Belange der Bevölkerung von<br />

Freiberg ein.<br />

Unermüdlich war er auch, wenn es galt, die Vereinigung der beiden<br />

Arbeiterparteien zu schaffen.<br />

Der Vereinigungsparteitag am 21. April 1946 war für ihn der Höhepunkt in der<br />

Geschichte der deutschen <strong>und</strong> internationalen Arbeiterbewegung. Unser <strong>Karl</strong> sah<br />

in der Vereinigung der beiden Arbeiterparteien einen wesentlichen<br />

Ausgangspunkt für die weitere Erfüllung der historischen Mission der<br />

Arbeiterklasse auf deutschem Boden. Er erkannte aber auch, dass die Bildung<br />

der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands ein wichtiger Erfolg war.<br />

Zugleich wurde ihm aber auch bewusst, dass es nun darauf ankam, unter<br />

Führung der marxistisch-leninistischen Partei die politische Macht der


Arbeiterklasse in Form der Diktatur des Proletariats zu errichten. Er setzte sich<br />

deshalb z. B. auch für die erfolgreiche Durchführung des Volksentscheides in<br />

Sachsen ein. Hatte er doch erkannt, dass die Arbeiterklasse ihre historische<br />

Mission weiterhin nur erfolgreich vollenden kann, wenn sie auch im Besitz der<br />

Produktionsmittel ist; d. h. wenn die ehemaligen Monopole, Naziverbrecher <strong>und</strong><br />

Großgr<strong>und</strong>besitzer enteignet waren <strong>und</strong> das Volkseigentum an den<br />

Produktionsmitteln entstand. Ihm war aber auch bewusst, dass die Beseitigung<br />

der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen weitere verantwortliche <strong>und</strong><br />

anstrengende Arbeit verlangte. Es galt, die antifaschistisch-demokratischen<br />

Selbstverwaltungsorgane weiter zu festigen. Es ging darum, die ökonomischen<br />

Aufgaben noch besser zum Wohle der Werktätigen zu verwirklichen.<br />

In der Erziehung <strong>und</strong> Bildung mussten ganz neue Aufgaben verwirklicht werden.<br />

Es war aber auch notwendig, die durch die antifaschistisch-demokratische<br />

Umwälzung erreichten Ergebnisse gegen Angriffe konterrevolutionärer Kräfte zu<br />

schützen.<br />

Wieder waren es die Aktivisten der ersten St<strong>und</strong>e — unter ihnen Genosse <strong>Günzel</strong><br />

— die verantwortungsbewusst mit Hilfe <strong>und</strong> Unterstützung der sowjetischen<br />

Kommandantur alle erforderlichen Aufgaben Schritt für Schritt verwirklichten.<br />

Klassenbewusst, konsequent, bescheiden <strong>und</strong> stets Sohn seiner Klasse bleibend,<br />

hatte <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> all’ sein Wissen <strong>und</strong> Können dem Aufbau antifaschistischdemokratischer<br />

Verhältnisse in der Stadt Freiberg zur Verfügung gestellt.<br />

Sein Handeln war gekennzeichnet durch die enge, für damalige Verhältnisse<br />

durchaus nicht verbreitete Fre<strong>und</strong>schaft <strong>und</strong> Achtung zum ersten sozialistischen<br />

Staat der Welt <strong>und</strong> deren Vertreter im Waffenrock.<br />

Ungeachtet seiner durch die langjährige Haft stark geschädigten Ges<strong>und</strong>heit<br />

hatte er Hervorragendes getan, um die Folgen der faschistischen Terrorherrschaft<br />

im Gebiet der Stadt Freiberg überwinden zu helfen.<br />

Unvergessen bleibt sein Anteil an der Vereinigung der beiden deutschen<br />

Arbeiterparteien zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands.<br />

Es spricht für den politischen Realisten <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong>. dass er von sich aus nach<br />

der Bewältigung erster <strong>und</strong> entscheidender Schritte auf dem Wege der<br />

antifaschistisch-demokratischen Umwälzung darum bat, eine andere Funktion<br />

übernehmen zu dürfen. Seine Ges<strong>und</strong>heit war dermaßen angegriffen, dass er den<br />

enormen körperlichen Belastungen in der Funktion des Oberbürgermeisters nicht<br />

mehr gewachsen sein konnte.<br />

S0 übernahm er in Bräunsdorf eine sehr anspruchsvolle Aufgabe bei der<br />

Erziehung <strong>und</strong> Betreuung solcher <strong>Jugend</strong>licher, die der besonderen Hilfe der<br />

Gesellschaft bedurften. Hier konnte Genosse <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> noch einmal seine<br />

großen politischen <strong>und</strong> menschlichen Erfahrungen <strong>und</strong> Qualitäten zum Tragen<br />

bringen. die wir noch heute so an ihm schätzen <strong>und</strong> stets bewahren wollen.


Am 7. Oktober 1949 erlebte <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> — er war damals Wirtschaftsleiter des<br />

Landeserziehungsheimes Bräunsdorf — die Verwirklichung des Traumes der<br />

Besten der deutschen Arbeiterklasse, für dessen Erfüllung auch er, wie viele<br />

andere, ein Leben lang aufopferungsvoll mitgekämpft hatte: die Gründung des<br />

ersten Arbeiter-<strong>und</strong>-Bauern-Staates auf deutschem Boden. Dieser Tag war für<br />

ihn von besonderer Bedeutung, weil er in der Gründung der Deutschen<br />

Demokratischen Republik eines der Ergebnisse sah. wofür er sein kampferfülltes<br />

Leben eingesetzt hatte <strong>und</strong> noch einsetzte.<br />

Genosse <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> schreibt in der „Volksstimme“ vom 22. 2. 60 anlässlich des<br />

42. Jahrestages der siegreichen Armee der Arbeiter <strong>und</strong> Bauern:<br />

„Wir können uns heute glücklich schätzen, in dem Teil Deutschlands zu wohnen.<br />

in unserer Deutschen Demokratischen Republik, der 1945 von der Roten Armee<br />

besetzt wurde. Sie half uns, den Weg zu finden, den Weg zu ebenen. der in die<br />

lichten Höhen des Sozialismus führt.“ 23)<br />

Dafür hatte er gekämpft, dafür arbeitete er bis zu seinem letzten Atemzüge.<br />

In seinen letzten Lebensjahren wandte sich <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> verstärkt der Erziehung<br />

der jungen Generation zu.<br />

Er war oft Gast zu Pioniernachmittagen <strong>und</strong> berichtete den Thälmannpionieren<br />

über seine Erlebnisse <strong>und</strong> Erfahrungen aus der schweren Zeit vor 1945. Er trug<br />

damit wesentlich dazu bei, dass eine neue Generation heranwuchs, die die erste<br />

ausbeutungsfreie Gesellschaftsordnung auf deutschem Boden mit aufbaute.<br />

Er hat durch sein eigenes Wirken einen großen Anteil mit daran. dass wir heute<br />

über 35 Jahre in Frieden leben können <strong>und</strong> die entwickelte sozialistische<br />

Gesellschaft in der Deutschen Demokratischen Republik weiter gestalten.<br />

Im Jahre 1958. 32 Jahre nach seiner ersten UdSSR-Reise. wurde unserem <strong>Karl</strong><br />

die große Freude zuteil, zur Teilnahme an den Feierlichkeiten zum 1. Mai <strong>und</strong> zu<br />

einem anschließenden Erholungsaufenthalt nochmals die Sowjetunion besuchen<br />

zu können. Aus eigenem Augenschein konnte er sich von den bisherigen<br />

Fortschritten überzeugen, die das erste Land des Sozialismus in der Welt trotz<br />

der schrecklichen Verwüstungen des faschistischen Raubkrieges gemacht hatte.<br />

Auf einer Ansichtskarte schreibt er an seine Frau:<br />

„Heute sind wir den zweiten Tag in Batumi, wir bleiben zwei Wochen hier.<br />

Dann geht es über Moskau wieder nach Hause.<br />

Mein Befinden ist ausgezeichnet. Unsere Delegation soll sich ges<strong>und</strong>heitlich<br />

erholen.<br />

In der Gegend von Suchumi, wo wir erst waren, werden die Menschen sehr alt,<br />

bis 155 Jahre.“ 24)<br />

Optimismus spricht aus den wenigen Zeilen. Mit dem gleichen Elan ging er<br />

wiederum daran, auch diese Reise in die UdSSR auszuwerten. Unermüdlich war<br />

er tätig, wenn es galt, den Gedanken der Vertiefung der deutsch-sowjetischen


Fre<strong>und</strong>schaft in die Herzen <strong>und</strong> Hirne insbesondere der jungen Generation zu<br />

tragen.<br />

Die Entbehrungen <strong>und</strong> Strapazen seines kampfreichen Lebens forderten ihren<br />

Tribut:<br />

Am 1 1 . April 1960. fünfzehn Jahre nach seiner Befreiung aus dem<br />

faschistischen Konzentrationslager Buchenwald, vollendete sich sein Leben.<br />

Er wurde am 14. April 1960 unter großer Anteilnahme der Freiberger<br />

Bevölkerung zu Grabe getragen. Seinem eigenen Wunsche entsprechend wurde<br />

die Urne mit den sterblichen Überresten unter dem Denkmal für die<br />

Antifaschisten beigesetzt, das 1945 während seiner Tätigkeit als<br />

Oberbürgermeister errichtet worden war.<br />

Dieses Denkmal befindet sich heute auf dem Ehrenfriedhof der gefallenen<br />

Helden der Sowjetarmee.<br />

Partei <strong>und</strong> Regierung der Deutschen Demokratischen Republik würdigten <strong>und</strong><br />

anerkannten das unermüdliche Wirken unseres Genossen <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> mit<br />

zahlreichen staatlichen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Auszeichnungen. So wurde er in<br />

Würdigung seiner Verdienste beim Aufbau des Sozialismus im Mai 1955 mit<br />

dem „Vaterländischen Verdienstorden“ in Bronze ausgezeichnet.<br />

Genosse <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> war <strong>und</strong> ist uns Vorbild! Seine jederzeit bewiesene<br />

Verb<strong>und</strong>enheit mit der <strong>Jugend</strong> wurde durch unsere Gesellschaft dadurch<br />

gewürdigt. dass die am 1. September 1978 übergebene neugebaute Schule den<br />

Ehrennamen „Polytechnische Oberschule <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong>“ erhalten hat. Und nicht<br />

zuletzt würdigt die <strong>Jugend</strong> der Stadt <strong>und</strong> des Kreises den Genossen <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong><br />

<strong>und</strong> sein Werk, indem <strong>Jugend</strong>brigaden um die Verleihung seines Namens<br />

kämpfen.<br />

Seine begonnene Arbeit zur Erfüllung der historischen Mission der<br />

Arbeiterklasse auf deutschem Boden wird erfolgreich weitergeführt. Die Saat.<br />

die er ausstreute, fiel auf fruchtbaren Boden <strong>und</strong> wird erfolgreich gepflegt <strong>und</strong><br />

gehegt.<br />

Wir ehren <strong>und</strong> würdigen Genossen <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong>, indem wir sein Werk fortsetzen<br />

<strong>und</strong> die entwickelte sozialistische Gesellschaft weiter erfolgreich gestalten.


1) Archiv der SED-Kreisleitung Freiberg<br />

2) ebenda<br />

3) ebenda<br />

4) ebenda<br />

5) Archiv des Rates der Stadt Freiberg<br />

6) Archiv der SED-Kreisleitung Freiberg<br />

7) Archiv der SED-Kreisleitung Freiberg<br />

8) Vgl. Hiekel, Manfred. Dissertationsschrift. Probleme der revolutionären<br />

Umwälzungen im Kreis Freiberg/ Sa. in den Jahren 1945 <strong>und</strong> 1946.<br />

Bergakademie Freiberg. 1974. Seite 51<br />

9) Die F<strong>und</strong>grube. Heft 5/1960. Kulturspiegel des Kreises Freiberg. S. 103/104<br />

10) Hiekel, Manfred. Probleme der revolutionären Umwälzungen. a.a.O. S. 8<br />

11) Archiv der SED-Kreisleitung Freiberg<br />

12) ebenda<br />

13) Vgl. Hiekel, Manfred. Probleme der revolutionären Veränderungen a.a.O. S.<br />

8a<br />

14) Archiv der SED-Kreisleitung Freiberg<br />

15) Archiv der SED-Kreisleitung Freiberg<br />

16) Vgl. 25 Jahre Befreiung, Dietz Verlag Berlin 1970. S 8<br />

17) Vgl. 25 Jahre Befreiung, a.a.O. S. 8<br />

18) Archiv der SED-Kreisleitung Freiberg<br />

19) ebenda<br />

20) ebenda<br />

21) ebenda<br />

22) ebenda<br />

23) ebenda


Abbildung 1: Genosse <strong>Karl</strong> <strong>Günzel</strong> im Mai 1958 zur Kur<br />

in der Sowjetunion<br />

24) Archiv<br />

des Rates<br />

der Stadt<br />

Freiberg

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