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Objektive Zurechnung

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Vorlesung Strafrecht<br />

Allgemeiner Teil I<br />

Handlungsbegriff, Kausalität und<br />

objektive <strong>Zurechnung</strong><br />

Prof. Dr. Dr. Eric<br />

Hilgendorf


I. Handlungslehren<br />

• Jede Strafbarkeit setzt willensgesteuertes<br />

Verhalten voraus (kausaler Handlungsbegriff).<br />

• Die finale Handlungslehre stellt zusätzlich<br />

auf den mit der Handlung verfolgten Zweck<br />

ab (Handeln als "Ausübung von<br />

Zwecktätigkeit"),<br />

2<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Handlungslehren<br />

• während die soziale Handlungslehre<br />

Handeln als sozialerhebliches<br />

willensgesteuertes Verhalten definiert.<br />

• Der Streit ist praktisch kaum relevant.<br />

3<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Handlungslehren<br />

• Keine Handlungen sind Bewegungen, die der<br />

Willenssteuerung entzogen sind.<br />

• Also etwa Reflexbewegungen, Bewegungen<br />

im Schlaf oder Instinktreaktionen.<br />

• Auch durch unwiderstehliche Gewalt (vis<br />

absoluta) erzwungene Körperbewegungen<br />

erfüllen den Handlungsbegriff nicht.<br />

4<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Handlungslehren<br />

• Anders verhält es sich bei<br />

Spontanreaktionen, die noch vom Willen<br />

beherrschbar sind (Schulbeispiel hierfür:<br />

Wespenstich bei Autofahrt),<br />

• sowie bei Handlungen, die in Folge von<br />

willensbeugender Gewalt (vis compulsiva)<br />

ausgeführt werden.<br />

5<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Beispiel: Abgrenzung Handlung -<br />

Nichthandlung<br />

Sachverhalt:<br />

Ehemann A ist ein unruhiger Zeitgenosse. Im<br />

Tiefschlaf wälzt er sich hin und her. Bei einer<br />

schnellen Bewegung im Schlaf schlägt er<br />

seiner Frau B den Arm ins Gesicht.<br />

Strafbarkeit des A gemäß § 223?<br />

6<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Beispiel: Abgrenzung Handlung -<br />

Nichthandlung<br />

I. Tatbestand<br />

<strong>Objektive</strong>r Tatbestand<br />

Bevor die Tatbestandsmerkmale<br />

″körperliche Misshandlung″ und<br />

″Gesundheitsschädigung″ erörtert werden:<br />

Liegt eine Handlung des A vor?<br />

Bei Bewegungen im Schlaf (-)<br />

7<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Beispiel: Abgrenzung Handlung -<br />

Nichthandlung<br />

II.<br />

Ergebnis<br />

A ist nicht strafbar gemäß § 223 wegen<br />

Körperverletzung zum Nachteil der B.<br />

8<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


II. Kausalität<br />

• In vielen Tatbeständen wird der Eintritt eines<br />

bestimmten Erfolgs verlangt, z.B. bei § 223 I<br />

Var. 1 oder bei § 212.<br />

• Eine Strafbarkeit des Handelnden setzt in<br />

diesen Fällen voraus, dass die Handlung für<br />

den Erfolg kausal war.<br />

9<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Kausalität - csqn-Formel<br />

• Eine Handlung ist nach der conditio-sinequa-non-Formel<br />

(csqn-Formel) kausal für<br />

einen bestimmten Erfolg, wenn man sie nicht<br />

hinwegdenken kann, ohne dass der Erfolg (in<br />

seiner "konkreten Gestalt") entfiele.<br />

10<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Bei den unechten<br />

Unterlassungsdelikten<br />

• Bei den unechten Unterlassungsdelikten wird<br />

verlangt, dass der Erfolg ausgeblieben wäre,<br />

wenn die rettende Handlung vorgenommen<br />

worden wäre;<br />

• die Rettungshandlung muss also<br />

"hinzugedacht" werden.<br />

11<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Kausalität - "Äquivalenztheorie"<br />

12<br />

• Nach der csqn-Formel sind alle Ursachen<br />

gleichwertig, weshalb man auch von der<br />

"Äquivalenztheorie" der Kausalität spricht.<br />

• Nach der csqn-Formel ist auf den "Erfolg in<br />

seiner konkreten Gestalt" abzustellen.<br />

• Auf diese Weise lässt sich ein<br />

Kausalzusammenhang auch in den Fällen<br />

bejahen, in denen der Täter den Erfolg nur<br />

modifiziert oder beschleunigt hat.<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


csqn-Formel - Kritik<br />

• Die csqn-Formel wird kritisiert, weil sie<br />

• zu einem infiniten Regress führt (nach ihr sind etwa<br />

auch die Eltern der Mörders kausal für den Tod des<br />

Opfers geworden)<br />

• um überhaupt anwendbar zu sein, einen<br />

empirischen gesetzmäßigen Zusammenhang<br />

zwischen Handlung (oder Unterlassung) und dem<br />

Erfolg schon voraussetzt.<br />

• Sie versagt, wenn eine Ersatzursache für den Erfolg<br />

bereitsteht (Mehrfachkausalität).<br />

13<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Beispiel zur (einfachen) Kausalität<br />

Sachverhalt:<br />

A will seinen Dauerrivalen B umbringen.<br />

Dazu manipuliert er den Motor der<br />

Hochseeyacht des B. In der Mitte des<br />

Atlantik gehen der Motor und die Yacht in<br />

Flammen auf. B kann sich zwar noch ins<br />

Wasser retten, ertrinkt jedoch nach wenigen<br />

Stunden. Strafbarkeit des A gemäß § 212?<br />

14<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Beispiel zur (einfachen) Kausalität<br />

I. Tatbestand<br />

1. <strong>Objektive</strong>r Tatbestand<br />

a) Taterfolg (+)<br />

b) Tathandlung (+)<br />

c) Kausalität nach der conditio sine qua non<br />

Formel:<br />

Ursächlich ist jede Bedingung eines Erfolges, die<br />

nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass<br />

der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.<br />

15<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Beispiel zur (einfachen) Kausalität<br />

2. Subjektiver Tatbestand (+)<br />

II. Rechtswidrigkeit (+)<br />

III. Schuld (+)<br />

IV.<br />

Ergebnis<br />

A ist strafbar wegen Totschlags gemäß § 212 zum<br />

Nachteil des B.<br />

16<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Problematische Fallgruppen<br />

• alternative K. (Mehrfachkausalität)<br />

• kumulative K.,<br />

• hypothetische K.,<br />

• abgebrochene K. (auch „überholende K.),<br />

• des atypischen K.verlaufs<br />

• und des (vorsätzlichen) Eingriffs in einen<br />

bereits angelegten K.verlauf.<br />

17<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Alternative K. bzw. Mehrfachkausalität<br />

• Um die Fälle von Mehrfachkausalität zu<br />

lösen, modifizieren traditionelle Lehre und<br />

Rechtsprechung die csqn-Formel:<br />

• Von mehreren Bedingungen, die zwar<br />

alternativ, nicht aber kumulativ<br />

hinweggedacht werden können, ohne dass<br />

der Erfolg entfiele, ist jede erfolgsursächlich.<br />

18<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Beispiel: Alternative Kausalität oder<br />

Mehrfachkausalität<br />

Sachverhalt:<br />

A und B geben, ohne voneinander zu<br />

wissen, jeweils ein tödliches Gift in den<br />

Kaffee des C. C verstirbt. Strafbarkeit des A<br />

gemäß § 212?<br />

19<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Beispiel: Alternative Kausalität oder<br />

Mehrfachkausalität<br />

I. Tatbestand<br />

1. <strong>Objektive</strong>r Tatbestand<br />

Kausalität nach der conditio sine qua<br />

non Formel: Ursächlich ist jede<br />

Bedingung eines Erfolges, die nicht<br />

hinweggedacht werden kann, ohne<br />

dass der Erfolg in seiner konkreten<br />

Gestalt entfiele.<br />

20<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Beispiel: Alternative Kausalität oder<br />

Mehrfachkausalität<br />

• Problem:<br />

Im obigen Fall kann sowohl die Handlung<br />

des A als auch die Handlung des B<br />

hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg<br />

entfiele, denn je nach Lage würde die<br />

Handlung des anderen den Erfolg<br />

verursachen.<br />

21<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Beispiel: Alternative Kausalität oder<br />

Mehrfachkausalität<br />

• Deshalb Modifikation:<br />

Von mehreren Bedingungen, die zwar<br />

alternativ, aber nicht kumulativ<br />

hinweggedacht werden können, ohne dass<br />

der Erfolg in seiner konkreten Gestalt<br />

entfiele, ist jede erfolgsursächlich.<br />

22<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Beispiel: Alternative Kausalität oder<br />

Mehrfachkausalität<br />

2. Subjektiver Tatbestand (+)<br />

II. Rechtswidrigkeit (+)<br />

III. Schuld (+)<br />

IV. Ergebnis<br />

A ist strafbar wegen Totschlags gemäß §<br />

212 zum Nachteil des C.<br />

23<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Beispiel zur kumulativen Kausalität<br />

Sachverhalt:<br />

A und B geben, ohne voneinander zu<br />

wissen, jeweils ein nicht tödliches Gift in den<br />

Kaffee des C. Erst beide Gifte zusammen<br />

wirken tödlich. C verstirbt. Strafbarkeit des A<br />

gemäß § 212?<br />

24<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Kumulative Kausalität<br />

I. Tatbestand<br />

<strong>Objektive</strong>r Tatbestand<br />

• Die Kausalität nach der conditio sine<br />

qua non Formel liegt problemlos vor,<br />

da keine der Handlungen<br />

hinweggedacht werden kann, ohne dass<br />

der konkrete Erfolg entfiele.<br />

25<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Kumulative Kausalität<br />

• Lehre von der objektiven <strong>Zurechnung</strong>:<br />

Bei eigenverantwortlichem<br />

Dazwischentreten Dritter bzw.<br />

atypischem Kausalverlauf ist der Erfolg<br />

dem Täter nicht zurechenbar.<br />

26<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Kumulative Kausalität<br />

• Wenn man nicht der Lehre von der<br />

objektiven <strong>Zurechnung</strong> folgt:<br />

§16- atypischer Kausalverlauf (Irrtum:<br />

subjektiver Tatbestand !)<br />

• Je nach Auffassung entfällt der objektive<br />

oder der subjektive Tatbestand.<br />

27<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Beispiel: Kumulative Kausalität<br />

28<br />

II. Ergebnis<br />

A ist nicht strafbar gemäß § 212 wegen<br />

Totschlags zum Nachteil des C.<br />

Strafbarkeit des A wegen anderer Delikte?<br />

• Ein Fahrlässigkeitdelikt scheidet aus, da es<br />

an der objektiven Vorhersehbarkeit fehlt.<br />

• Jedoch liegt eine vollendete<br />

Körperverletzung, § 223, vor, wenn A<br />

diesbezüglich mit Vorsatz gehandelt hat.<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Hypothetische Kausalität<br />

Sachverhalt:<br />

Altenpflegerin A reicht dem B zum<br />

Nachmittagskuchen einen vergifteten<br />

Kamillentee. B stirbt an dem Tee. Jedoch<br />

wäre B zum selben Zeitpunkt an einem<br />

unheilbaren Gehirntumor gestorben.<br />

Strafbarkeit der A gemäß § 212?<br />

29<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Hypothetische Kausalität<br />

I. Tatbestand<br />

• Der Erfolg wäre im selben Zeitpunkt<br />

durch eine andere Ursache eingetreten.<br />

• Diese wurde nicht von einem Dritten<br />

hervorgerufen (Unterschied zur<br />

alternativen Kausalität).<br />

30<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Hypothetische Kausalität<br />

• Problem:<br />

Bei Hinwegdenken der Handlung der A<br />

würde der Erfolg nicht entfallen<br />

• Entscheidend ist der konkrete Erfolg.<br />

• Hypothetische Reserveursachen<br />

werden nicht berücksichtigt!<br />

31<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Hypothetische Kausalität<br />

II. Rechtswidrigkeit (+)<br />

III. Schuld (+)<br />

IV.<br />

Ergebnis<br />

A ist strafbar wegen Totschlags gemäß §<br />

212 zum Nachteil des B.<br />

32<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Überholende Kausalität<br />

Sachverhalt:<br />

A will die seit langem geplante Flugreise mit<br />

seinen Kegelbrüdern antreten. Bevor A die<br />

Reise antreten kann, wird er von seiner<br />

geldgierigen Frau C durch ein modifiziertes<br />

Bio-Müsli vergiftet. Der gebuchte<br />

Ferienflieger wäre jedoch wegen einer<br />

Bombe des O sowieso abgestürzt.<br />

Strafbarkeit der C gemäß § 212?<br />

33<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Überholende Kausalität<br />

I. Tatbestand<br />

• Kausalität nach der conditio sine qua<br />

non Formel (+)<br />

• Jedoch wäre der Erfolg auch ohne die<br />

Handlung der C eingetreten.<br />

• Allerdings werden Reserveursachen<br />

nicht berücksichtigt!<br />

34<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Überholende Kausalität<br />

• Kausal ist die Ursache, die den<br />

konkreten Erfolg herbeigeführt hat.<br />

II. Rechtswidrigkeit (+)<br />

III. Schuld (+)<br />

IV.<br />

Ergebnis<br />

C ist strafbar wegen Totschlags gemäß §<br />

212 zum Nachteil des A.<br />

35<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


"Lehre vom gesetzmäßigen<br />

Zusammenhang"<br />

• Die "Lehre vom gesetzmäßigen<br />

Zusammenhang" stellt darauf ab, ob sich der<br />

Erfolg aus einer empirischen<br />

Gesetzmäßigkeit und bestimmten<br />

Antezedensbedingungen herleiten lässt.<br />

• Die csqn-Formel wird von den Vertretern<br />

dieser Lehre lediglich als ein Hilfsmittel<br />

angesehen, um die Kausalität zu bestimmen.<br />

36<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


III. Einschränkungen der csqn-Formel<br />

• Es ist allgemein anerkannt, dass die csqn-<br />

Formel zu weit ist, um den<br />

Kausalzusammenhang allein festzulegen.<br />

• Über die Art der Einschränkung herrscht<br />

allerdings keine Einigkeit.<br />

37<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Adäquanztheorie - Lehre von der<br />

objektiven <strong>Zurechnung</strong><br />

• Nach der Adäquanztheorie ist der<br />

Kausalzusammenhang dann zu verneinen,<br />

wenn der Kausalverlauf vollkommen atypisch<br />

und unvorhersehbar ist.<br />

• Die Lehre von der objektiven <strong>Zurechnung</strong><br />

stellt darauf ab, ob der Täter eine rechtlich<br />

missbilligte Gefahr geschaffen und diese<br />

Gefahr sich im Erfolg verwirklicht hat.<br />

38<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Lehre von der objektiven <strong>Zurechnung</strong><br />

39<br />

• Oft wird diese Lehre noch mit<br />

Normzweckgesichtspunkten verknüpft.<br />

• Eine Variante der Lehre von der objektiven<br />

<strong>Zurechnung</strong> will darauf abstellen, ob der Täter<br />

das Risiko der Erfolgsverwirklichung gesteigert<br />

hat.<br />

• Im Zivilrecht folgt die Rechtsprechung grds. der<br />

Adäquanztheorie. Im Strafrecht versucht sie, die<br />

erforderlichen Korrekturen auf der Ebene von<br />

Vorsatz und Fahrlässigkeit vorzunehmen.<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Beispiel: <strong>Objektive</strong> <strong>Zurechnung</strong><br />

Sachverhalt:<br />

B will seinen Erbonkel A umbringen. Dazu<br />

schickt er ihn bei einem herannahenden<br />

Gewitter auf einen Berg und hofft, dass B<br />

von einem Blitz getroffen wird. Zur großen<br />

Überraschung des B geschieht dies<br />

tatsächlich. Strafbarkeit des B gemäß § 212?<br />

40<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Beispiel: <strong>Objektive</strong> <strong>Zurechnung</strong><br />

I. Tatbestand<br />

• Kausalität nach der conditio sine qua non-<br />

Formel (+)<br />

• Wegen der uferlosen Weite der conditio–<br />

Formel wird die Kausalität durch die Lehre<br />

von der objektiven <strong>Zurechnung</strong><br />

eingeschränkt: Die objektive <strong>Zurechnung</strong><br />

entfällt, wenn das rechtlich relevante<br />

Risiko oder der Risikozusammenhang<br />

fehlen.<br />

41<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Beispiel: <strong>Objektive</strong> <strong>Zurechnung</strong><br />

II.<br />

• Hier:<br />

Die Tat liegt außerhalb des<br />

menschlichen<br />

Beherrschungsvermögens, daher<br />

objektive <strong>Zurechnung</strong> (-)<br />

Ergebnis:<br />

B ist nicht strafbar gemäß § 212 wegen<br />

Totschlags zum Nachteil des A.<br />

42<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


IV. Sonderprobleme<br />

• Besondere Kausal- und <strong>Zurechnung</strong>sprobleme<br />

stellen sich vor allem bei folgenden<br />

Fallgruppen:<br />

• 1. Kollegialentscheidungen (BGHSt 37, 106)<br />

• 2. Psychische Kausalität (z.B. bei § 263)<br />

• 3. Eingriffe Dritter in den Kausalzusammenhang<br />

(dazu gleich mehr)<br />

43<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Sonderprobleme<br />

• 4. Fälle der Risikoverringerung<br />

(Beispiel: Täter lenkt Schlag eines Dritten<br />

vom Kopf auf die Schulter ab)<br />

• 5. Fälle extrem schwacher Kausalzusammenhänge<br />

(z.B. Erbonkel-Fall)<br />

44<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Eingriffe Dritter in den<br />

Kausalzusammenhang<br />

45<br />

• Insbesondere bei freiverantwortlicher<br />

Selbstgefährdung oder Selbstschädigung des<br />

Opfers.<br />

• Der BGH stellt in diesen Fällen auf den<br />

Schutzzweck der (jeweils verwirklichten)<br />

Norm ab<br />

• und erklärt, ein Beteiligter bleibe straffrei,<br />

solange er nicht kraft überlegenen Wissens<br />

das Risiko besser erfasse als der sich<br />

Gefährdende.<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Beispiel: Eigenverantwortliche<br />

Selbstschädigung<br />

Sachverhalt:<br />

Drogendealer A verkauft der Süchtigen B<br />

Heroin. B stirbt wegen eines „goldenen<br />

Schusses“ auf der Bahnhofstoilette.<br />

Strafbarkeit des A wegen § 212?<br />

46<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Beispiel: Eigenverantwortliche<br />

Selbstschädigung<br />

47<br />

I. Tatbestand<br />

• Kausalität nach der conditio sine qua non-<br />

Formel (+)<br />

• Einschränkung der Kausalität über die<br />

Lehre der objektiven <strong>Zurechnung</strong>.<br />

• § 212 schützt vor Eingriffen Dritter,<br />

jedoch endet der Schutzbereich dort, wo<br />

der eigene Verantwortungsbereich des<br />

Betroffenen beginnt.<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Beispiel: Eigenverantwortliche<br />

Selbstschädigung<br />

II.<br />

• Dies gilt nur bezüglich des mit der<br />

Selbstgefährdung zusammenhängenden<br />

Risikos (beachte überlegenes Wissen).<br />

• <strong>Objektive</strong> <strong>Zurechnung</strong> (-)<br />

Ergebnis<br />

A ist nicht strafbar gemäß § 212 wegen<br />

Totschlags zum Nachteil der B.<br />

48<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I


Besten Dank für ihre Aufmerksamkeit!<br />

49<br />

Prof. Dr. Eric Hilgendorf<br />

Grundkurs Strafrecht I

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