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Die Stimme des Herrn IV Man beisst auf Schaumgummi... - iam.or.at

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Franz Reithmayr<br />

<strong>Die</strong> <strong>Stimme</strong> <strong>des</strong> <strong>Herrn</strong> <strong>IV</strong><br />

<strong>Man</strong> <strong>beisst</strong> <strong>auf</strong> <strong>Schaumgummi</strong>...<br />

2003 *<br />

* Entstanden 1986<br />

Schriftenreihe <strong>des</strong> IaM 7


Reithmayr: <strong>Die</strong> <strong>Stimme</strong> <strong>des</strong> <strong>Herrn</strong> III – M<strong>or</strong>bider Ton<br />

Steter Tropfen höhlt den Stein,<br />

so sagte einst ein weiser <strong>Man</strong>n.<br />

Aber der <strong>Schaumgummi</strong>,<br />

der s<strong>auf</strong>t sich höchstens an. 1<br />

Bronner/Qualtinger<br />

<strong>Die</strong> von Max H<strong>or</strong>kheimer und Theod<strong>or</strong> W. Ad<strong>or</strong>no in ihrem amerikanischen Exil gemeinsam<br />

verfaßte Dialektik der Aufklärung ist vielleicht eines der wichtigsten Dokumente der<br />

Philosophie. Philosophie scheitert oft, vielleicht immer; aber nur selten ist dieses Scheitern<br />

so ehrenvoll und ergiebig wie in diesem Falle: und kaum je macht die Beobachtung <strong>des</strong><br />

Scheiterns so wütend und hilflos.<br />

Betrachtet man die Dialektik der Aufklärung (in der Folge: DA) böse, wie ich es mitunter<br />

nicht vermeiden kann, dann muß man sie als eine sprachliche und intellektuelle Pirouette<br />

bezeichnen. Kaum ein zweites Werk dreht sich so behende um sich selbst. Doch was eine<br />

gute Pirouette sein will, das dreht sich sehr schnell, so daß der Zuschauer bald nur noch<br />

huschende Sch<strong>at</strong>ten wahrnimmt, die in Summe etwa den Ort <strong>des</strong> sich Drehenden angeben.<br />

Ich muß mich in meinen Randbemerkungen <strong>auf</strong> Moment<strong>auf</strong>nahmen beschränken und kann<br />

nur hoffen, daß man mir das verzeihen wird, aber wer sich in den Strudel stürzt, um ihn<br />

besser kennenzulernen, wird mit in die Tiefe gerissen.<br />

Eine zweite Warnung: Mein Verhältnis zur DA ist ein hochgradig ambivalentes. Anwechselnd<br />

nominiere ich sie für die Liste der zehn wichtigsten Bücher und für den Altpapoiercontainer.<br />

Ich sehe dieses Verhältnis nicht unbedingt als ein dialektisches, sondern als ein<br />

persönliches, das sich unter anderem durch mangelnde Objektivität auszeichnet. Insofern<br />

versteht sich der v<strong>or</strong>liegende Text auch nicht als eine Einführung in die DA, sondern als<br />

Dokument<strong>at</strong>ion einer Haßliebe.<br />

Seit jeher h<strong>at</strong> Aufklärung im umfassendsten Sinn f<strong>or</strong>tschrittlichen Denkens das<br />

Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herrscher<br />

einzusetzen. 2<br />

Im Grunde enthält bereits dieser eine S<strong>at</strong>z – es ist der erste <strong>des</strong> Haupttextes – den Kern<br />

jener Crux, an der die Aut<strong>or</strong>en verzweifeln. Sie wird uns noch in vielerlei Vari<strong>at</strong>ionen<br />

begegnen. <strong>Die</strong> Aufklärung will den Menschen befreien, dies ist die sicherlich gute Absicht,<br />

mit der sie ins Rennen geht. Doch schon bald stellt sich heraus, daß sie bestenfalls den<br />

St<strong>at</strong>us <strong>des</strong> kleineren Übels für sich beanspruchen darf – und nicht einmal das, wie sich<br />

zeigen wird. Denn sie will auch – ich meine: zuallererst – „die Menschen als Herren<br />

einsetzen“ 3 .<br />

Was sich zunächst <strong>auf</strong> die N<strong>at</strong>ur richtet, schlägt auch <strong>auf</strong> den Menschen zurück und wird<br />

von Ad<strong>or</strong>no später immer wieder als „Objektivierung“ angeprangert: Wo der Mensch Herr ist<br />

<strong>auf</strong>grund seiner Fähigkeiten zur Handhabung, da ist er auch Herr über sich selbst, da<br />

erzeugt er zugleich Knechtschaft. <strong>Die</strong> Herrschaft, die v<strong>or</strong> dem Menschen nicht haltmacht, ist<br />

der Fluch, den Aufklärung <strong>auf</strong> sich lädt. Doch der Reihe nach.<br />

© 2003 by Institut für angewandte Menschenkunde 2


Reithmayr: <strong>Die</strong> <strong>Stimme</strong> <strong>des</strong> <strong>Herrn</strong> III – M<strong>or</strong>bider Ton<br />

Der Versuch ihrer Legitimierung als Befreierin der unterdrückten Massen besteht für die<br />

Aufklärung immer nur darin, anklagend <strong>auf</strong> das zu verweisen, was sie überwunden h<strong>at</strong>,<br />

überwunden haben will, überwunden zu haben v<strong>or</strong>gibt und wohl auch überwunden zu<br />

haben glaubt. <strong>Die</strong>ses – angeblich oder t<strong>at</strong>sächlich – Überwundene nennen<br />

H<strong>or</strong>kheimer/Ad<strong>or</strong>no Mythos bzw. Mythologie.<br />

Über Begriffe kann man immer streiten, aber selbst wenn wir diese Terminologie, die selbst<br />

eminent „<strong>auf</strong>klärerisch“ klingt, akzeptieren, fällt doch eines <strong>auf</strong>: Der geheimnisvolle Tyrann<br />

wird nur recht dürftig beschrieben. Wenn es außerdem heißt: „Auf N<strong>at</strong>urverhältnisse lassen<br />

sich auch die V<strong>or</strong>stellungen der Mythen ohne Rest zurückführen“ 4 (Herv<strong>or</strong>hebung von mir),<br />

scheint es an der Zeit, an die Aut<strong>or</strong>en die Frage zu richten, ob sie denn auch wissen, wovon<br />

sie sprechen. a<br />

<strong>Die</strong> Terminologie der DA – ebenso wie die der Neg<strong>at</strong>iven Dialektik – läßt nur allzudeutlich<br />

erkennen, daß es hier wieder einmal gegen den guten alten Erzfeind jeglichen<br />

f<strong>or</strong>tschrittlichen Denkens geht. Pappkamerad Mythos muß einmal mehr dafür herhalten,<br />

daß die Aufklärung auch t<strong>at</strong>sächlich etwas zu bekämpfen h<strong>at</strong>. Mythos als Inbegriff der<br />

überwundenen Vergangenheit muß für alles das gera<strong>des</strong>tehen, von dem der gute Gott von<br />

Athen, ´<br />

ς, behauptet, er würde es in seinem Reich nicht dulden. a<br />

Eine explizite Definition <strong>des</strong> Mythos-Begriffs gibt es in der DA nicht, wir sind daher <strong>auf</strong><br />

mehrere Nebenbemerkungen angewiesen, wenn wir uns genauere inhaltliche V<strong>or</strong>stellungen<br />

machen wollen. H<strong>or</strong>kheimer/Ad<strong>or</strong>no sprechen synonym von „neuer Barbarei“ 5 , von einem<br />

„Rückfall“ 6 von Aufklärung in Mythologie und von „n<strong>at</strong>ionalistischen, heidnischen und<br />

sonstigen Mythologien“ 7 . Sie sprechen von „falscher Klarheit“ 8 und davon, daß Aufklärung<br />

sich in Mythologie „verstricke“ 9 .<br />

Jeder Zweifel verbietet sich: Mythos bzw. Mythologie weisen hin <strong>auf</strong> Dogm<strong>at</strong>ik, Doktrin,<br />

Intoleranz, Unfreiheit, Unterdrückung, <strong>auf</strong> all das, was die Vernunft nach eigener Aussage<br />

schon längst vom Erdboden hätte tilgen müssen. Der Teufel, der H<strong>or</strong>kheimer/Ad<strong>or</strong>no<br />

geritten haben muß, als sie sich dafür entschieden, alles Schlechte in der Welt unter dem<br />

Begriff Mythos zusammenzufassen, heißt Walter Benjamin.<br />

Benjamin stellt mit kritischem Blick <strong>auf</strong> die Gegenwart fest, daß die Vernunft ihr Pensum<br />

nicht erfüllt h<strong>at</strong>:<br />

Mythisch beherrscht nennt Benjamin auch noch die aktuelle Geschichte; und<br />

zwar nicht etwa, weil sich die Götterlehre der Griechen durchgesetzt hätte,<br />

sondern weil auch in der Moderne der Mensch sich unverändert einer<br />

übermächtigen Wirklichkeit gegenübersieht, weil er die Bedingungen seines<br />

Daseins nicht in der Hand h<strong>at</strong>... 10<br />

Insbesondere im Recht sieht Benjamin eine Nachfolgegestalt der alten Verhältnisse. „Mythos<br />

und Gewalt sind ihm dabei synonyme Begriffe.“ 11 Das h<strong>at</strong> zwei Gründe: Zum ersten beruhen<br />

a <strong>Die</strong>se Frage geht von der V<strong>or</strong>aussetzung aus, daß hier nicht ein unendlich dehnbarer<br />

N<strong>at</strong>urbegriff im Spiel ist, wofür es allerdings nicht den geringsten Hinweis gibt.<br />

© 2003 by Institut für angewandte Menschenkunde 3


Reithmayr: <strong>Die</strong> <strong>Stimme</strong> <strong>des</strong> <strong>Herrn</strong> III – M<strong>or</strong>bider Ton<br />

die Rechtsverhältnisse <strong>auf</strong> Gewalt und nur die Androhung von Gewalt kann die Einhaltung<br />

<strong>des</strong> Rechts garantieren. <strong>Die</strong>s bringt sich auch d<strong>or</strong>t noch zum Ausdruck, wo einem Vertrag<br />

für den Fall der Nichteinhaltung eine Sanktionsklausel angeschlossen wird.<br />

Der zweite Grund ist derjenige, der für die DA und für den späten Ad<strong>or</strong>no im Zentrum der<br />

Kritik steht: Weil und insofern das Recht für alle gelten will, muß es von den<br />

Besonderheiten abstrahieren. Damit verbleibt es im Allgemeinen, das ihm den Blick <strong>auf</strong> die<br />

wahren Verhältnisse verbaut. Der Ad<strong>or</strong>no der Neg<strong>at</strong>ive Dialektik wird später<br />

zusammenfassend sagen:<br />

Recht ist das Urphänomen irr<strong>at</strong>ionaler R<strong>at</strong>ionalität. In ihr wird das f<strong>or</strong>male<br />

Äquivalenzprinzip zur N<strong>or</strong>m, alle schlägt es über den selben Leisten. Solche<br />

Gleichheit, in der die Differenzen untergehen, leistet geheim der Ungleichheit<br />

V<strong>or</strong>schub; nachlebender Mythos inmitten einer nur zum Schein<br />

entmythologisierten Menschheit. 12<br />

So ist auch Benjamins klassisch gew<strong>or</strong>dener S<strong>at</strong>z zu verstehen: „Solange es noch einen<br />

Bettler gibt, solange gibt es noch Mythos.“ 13 b<br />

<strong>Die</strong>sem Mythos steht nicht nur in der Tradition das gegenüber, was sich selbst unter<br />

anderem Aufklärung nennt und als die große Befreierin von idealen und m<strong>at</strong>eriellen Ketten<br />

versteht. Aufklärung wird v<strong>or</strong>erst noch verstanden als Antithese zu Mythologie. Sie soll und<br />

will alles das wiedergutmachen, was diese an den Menschen verbrochen h<strong>at</strong>. Doch so<br />

einfach ist die Sache nicht, denn der v<strong>or</strong>gegaukelte Dualismus ist eben keiner:<br />

Grob ließe sich die erste Abhandlung c in ihrem kritischen Teil <strong>auf</strong> zwei Thesen<br />

sich bringen: schon Mythos ist Aufklärung, und: Aufklärung schlägt in<br />

Mythologie zurück. 14<br />

Beginnen wir mit der ersten These: Schon Mythos ist Aufklärung. Was lange Zeit hindurch<br />

von Philosophen und anderen Logophilen nicht nur angezweifelt, sondern <strong>auf</strong>s Heftigste<br />

bestritten wurde, beginnt im 20. Jahrhundert langsam zu einer vertretbaren Meinung zu<br />

werden. Mythen werden salonfähig, auch jenseits der v<strong>or</strong> allem im Romantizismus geübten<br />

kontempl<strong>at</strong>iven Schau. Aber H<strong>or</strong>kheimer/Ad<strong>or</strong>no gehen weiter: Mythen haben nicht nur<br />

irgendwie mit Aufklärung qua richtigem und vernünftigem Denken zu tun, sie sind sogar<br />

„Produkte der Aufklärung“ 15 , ja mehr als das, „die Mythologie selbst h<strong>at</strong> den endlosen<br />

Prozeß der Aufklärung ins Spiel gesetzt.“ 16<br />

a Ein argument<strong>at</strong>ives Schema, das sich bei der Atomwirtschaft wiederfindet, die<br />

Verzicht <strong>auf</strong> Atomstrom gleichsetzt mit Kerzenlicht und Kaltwasser.<br />

b Im Sinne einer philosophiegeschichtlichen Randbemerkung, die nichts weiter sein<br />

will als Randbemerkung, sei auch noch <strong>auf</strong> eine bemerkenswerte Stelle in Blaise Pascals<br />

Pensées hingewiesen. In einem längeren Abschnitt, der sich wie ein V<strong>or</strong>griff <strong>auf</strong> Benjamin,<br />

H<strong>or</strong>kheimer und Ad<strong>or</strong>no liest und ebenfalls um das Problem der Legitimität von Gesetzen<br />

kreist, finden sich unter anderem folgenden Sätze:<br />

<strong>Die</strong> Gewohnheit schafft alle Gerechtigkeit, und zwar allein darum, weil sie<br />

allgemein anerkannt wird; das ist die mythische Grundlage ihrer Aut<strong>or</strong>ität.<br />

Wer sie <strong>auf</strong> ihr Prinzip zurückführt, zerstört sie<br />

c<br />

Gemeint ist der Haupttext der DA: Begriff der Aufklärung<br />

© 2003 by Institut für angewandte Menschenkunde 4


Reithmayr: <strong>Die</strong> <strong>Stimme</strong> <strong>des</strong> <strong>Herrn</strong> III – M<strong>or</strong>bider Ton<br />

Der Mythos wollte berichten, nennen, den Ursprung sagen: damit aber<br />

darstellen, festhalten, erklären. 17<br />

Damit vollbringt er das Pensum der Aufklärung. Indem er die Welt darstellt und erklärt,<br />

nimmt er die Furcht von den Menschen und setzt sie als Herren ein, h<strong>at</strong> also immer schon<br />

das Ziel der Aufklärung auch erreicht.<br />

Als sprachlich entfaltete Totalität, deren Wahrnehmungsanspruch den älteren<br />

myythischen Glauben, die Volksreligion, herabdrückt, ist der solare,<br />

p<strong>at</strong>riarchale Mythos selbst Aufklärung, mit der die philosophische <strong>auf</strong> einer<br />

Ebene sich messen kann. 18<br />

Alle <strong>auf</strong>klärerischen Mechanismen lassen sich bereits in den Mythen nachweisen.<br />

<strong>Die</strong> Mythen, wie die Tragiker sie v<strong>or</strong>fanden, stehen schon im Zeichen jener<br />

Disziplin und Macht, die Bacon als das Ziel verherrlichte. An die Stelle der<br />

lokalen Geister und Dämonen war der Himmel und seine Hierarchie getreten...<br />

<strong>Die</strong> olympischen Gottheiten sind nicht mehr unmittelbar mit Elementen<br />

identisch, sie bedeuten sie. 19<br />

Wo der Magier noch direkten Umgang mit den N<strong>at</strong>urgewalten h<strong>at</strong>, die ihm als Wesen<br />

gegenübertreten, da vollzieht der Mythos der Hochreligion bereits den ersten Schritt der<br />

Abstraktion und Objektivierung. „<strong>Die</strong> Götter scheiden sich von den Stoffen als deren<br />

Inbegriffe.“ 20<br />

Doch schon der Magier, für den die N<strong>at</strong>ur noch nicht bloße Objektivität ist, legt den<br />

Grundstein: „<strong>Die</strong> Substitution beim Opfer bezeichnet einen Schritt zur diskursiven Logik<br />

hin.“ 21 Das Opfertier stellt bei aller Individualität, die es gegebenenfalls <strong>auf</strong>weisen muß<br />

(bestimmt Eigenschaften), ein beliebiges Exemplar der G<strong>at</strong>tung dar. Doch dadurch, daß es<br />

in Stellvertretung eines Einmaligen zum Opfer geführt wird, bewahrt sich „die Heiligkeit <strong>des</strong><br />

hic et nunc.“ 22<br />

Das hic et nunc fällt ebenso wie das personale Prinzip der Magie bereits dem solaren Mythos<br />

zum Opfer. <strong>Die</strong> chaotische Vielfalt der N<strong>at</strong>urkräfte wird ge<strong>or</strong>dnet und den Göttern<br />

unterw<strong>or</strong>fen, die ihrerseits in den hierarchischen Systems ihren festen Pl<strong>at</strong>z haben, von dem<br />

aus sie ihre Untergebenen kommandieren. Nicht mehr tritt der Magier selbst mit der N<strong>at</strong>ur<br />

in Verbindung, um sie sich wohlwollend zu stimmen (in einem Deal zwischen Gleichen),<br />

sondern der Priester erk<strong>auf</strong>t sch beim <strong>Herrn</strong> der N<strong>at</strong>urwesen deren Geh<strong>or</strong>sam. „<strong>Die</strong><br />

Menschen bezahlen die Vermehrung ihrer Macht mit der Entfremdung von dem, w<strong>or</strong>über sie<br />

die Macht ausüben.“ 23 <strong>Die</strong>se Entfremdung beginnt bereits hier, als erster Schritt zur<br />

umfassenden Objektivierung der N<strong>at</strong>ur. Sie wird vom Gesprächspartner zum<br />

Verhandlungsgegenstand.<br />

Doch all das können erst Annäherungen an den Gehalt der ersten These sein, denn um sie<br />

wirklich zu verstehen, müssen wir uns zunächst mit der (auch umfagsmäßig) gewichtigeren<br />

zweiten auseinandersetzen. Was in der Einleitung noch rel<strong>at</strong>iv harmlos geheißen h<strong>at</strong>te:<br />

Aufklärung schlägt in Mythologie zurück, zeigt sich bei genauerer Betrachtung als einer der<br />

fürchterlichsten Flüche, die je im Namen der Philosophie ausgesprochen wurden.<br />

Das Wissen, das Macht ist, kennt keine Schranken, weder in der Versklavung<br />

der Kre<strong>at</strong>ur noch in der Willfährigkeit gegen die Herren der Welt. 24<br />

© 2003 by Institut für angewandte Menschenkunde 5


Reithmayr: <strong>Die</strong> <strong>Stimme</strong> <strong>des</strong> <strong>Herrn</strong> III – M<strong>or</strong>bider Ton<br />

So heißt es im Anschluß an ein längeres Zit<strong>at</strong> aus Bacons In Praise Of Knowledge, dem<br />

H<strong>or</strong>kheimer/Ad<strong>or</strong>no zweierlei zugestehen: Zum einen eine großartige Einsicht in das Wesen<br />

und die Zukunft der Wissenschaften; und zum zweiten, daß er erkennt, wohin der Hase<br />

läuft: <strong>Die</strong> sich hier anbahnende Ehe zwischen N<strong>at</strong>ur und Verstand ist eine – im<br />

schlimmsten Sinn <strong>des</strong> W<strong>or</strong>tes – p<strong>at</strong>riarchalische. Einzig der Verstand h<strong>at</strong> das Sagen, die<br />

N<strong>at</strong>ur muß bloß geh<strong>or</strong>chen. In dieser Vision einer unterjochten und beherrschten Welt liegt<br />

ebendiese Einsicht. H<strong>or</strong>kheimer/Ad<strong>or</strong>no:<br />

Was die Menschen von der N<strong>at</strong>ur lernen wollen, ist, sie anzuwenden, um sie und<br />

den Menschen vollends zu beherrschen. 25<br />

<strong>Die</strong> Aufklärung darf, sofern sie die Furcht vom Menschen nehmen will, nichts Unbekanntes<br />

dulden. Das Unbekannte wird bekannt gemacht, indem es <strong>auf</strong> Bekanntes zurückgeführt<br />

wird. Soweit ist Aufklärung immer schon, auch in den ersten Anfängen. Doch im Sinne der<br />

besseren Handhabung gilt es, der Vielfalt entgegenzutreten.<br />

<strong>Die</strong> bürgerliche Gesellschaft ist beherrscht vom Äquivalent. Sie macht<br />

ungleichnamiges komparabel, indem sie es <strong>auf</strong> abstrakte Größen reduziert. Der<br />

Aufklärung wird zum Schein, was in Zahlen, zuletzt in der Eins, nicht <strong>auf</strong>geht. 26<br />

<strong>Die</strong> Eins bezeichnet das Ideal der Aufklärung, das eine System, in dem alles seinen ihm<br />

zugewiesenen Pl<strong>at</strong>z h<strong>at</strong>, und aus dem alles abgeleitet werden kann. V<strong>or</strong> den Augen der<br />

Aufklärung wird „die Welt ... zum Chaos und Synthesis zur Rettung.“ 27 <strong>Die</strong> Absage <strong>des</strong><br />

Xenophanes an die Vielzahl von Göttergestalten h<strong>at</strong> hier ebenso seinen Pl<strong>at</strong>z wie der<br />

system<strong>at</strong>ische Trieb Hegels und die Denunzierung der Sprache durch die Logiker. „Was dem<br />

Maß von Berechenbarkeit und Nützlichkeit sich nicht fügen will, gilt der Aufklärung für<br />

verdächtig.“ 28 „Aufklärung ist totalitär.“ 29<br />

<strong>Die</strong> Berechenbarkeit der Welt vernichtet das Wesen der Welt, die Besonderheit.<br />

Vergleichbarkeit geht über in Gleichwertigkeit und schließlich in Gleichheit. <strong>Die</strong>se<br />

Gleichheit ist aber keine, und <strong>des</strong>halb „repressive Egalität“ 30 . „<strong>Die</strong> Abstraktion, das<br />

Werkzeug der Aufklärung, verhält sich zu ihren Objekten ... als Liquid<strong>at</strong>ion.“ 31 „Was anders<br />

wäre, wird gleichgemacht.“ 32<br />

Wo Aufklärung den Mythos als Anthropom<strong>or</strong>phismus entlarvt, der bloß die K<strong>at</strong>eg<strong>or</strong>ien der<br />

Subjekts <strong>auf</strong> die N<strong>at</strong>ur anwendet, da kehrt sie den Spieß um und verwandelt Subjekt in<br />

Objekt, in einen Gegenstand der Herrschaft.<br />

<strong>Die</strong> Aufklärung verhält sich zu den Dingen wie der Dikt<strong>at</strong><strong>or</strong> zu dem Menschen.<br />

Er kennt sie, insofern er sie machen kann. Der <strong>Man</strong>n der Wissenschaften kennt<br />

die Dinge, indem er sie machen kann. 33<br />

Der Aufklärung verschwimmt der Unterschied zwischen Objekt und Subjekt, zwischen<br />

Dingen und Menschen. Ich könnte nahezu beliebige Sätze aus dem Begriff der Aufklärung<br />

herausgreifen, die Tendenz <strong>des</strong> wütenden Angriffs, der schweren V<strong>or</strong>würfe halten sich<br />

durch. Faktum ist, daß d<strong>or</strong>t, wo die Entwicklung von ein wenig Aufklärung zu sehr viel<br />

Aufklärung geschildert wird, wo man also annehmnen sollte, daß die der Furcht ledigen<br />

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Reithmayr: <strong>Die</strong> <strong>Stimme</strong> <strong>des</strong> <strong>Herrn</strong> III – M<strong>or</strong>bider Ton<br />

Menschen ein besseres, freieres Leben führen könnten, daß ebend<strong>or</strong>t nicht anderes als eine<br />

Beschreibung <strong>des</strong> stetigen und un<strong>auf</strong>haltsamen Anwachsens der Tyrranei gegeben wird.<br />

Wer durch die beiden Thesen einmal durchgegangen ist, wer sie verstanden h<strong>at</strong> und sie sich<br />

gegenwärtig hält, der ist nun gerüstet, sich mit der zweiten These wieder an die erste<br />

heranzumachen. Jetzt wird er sie mit anderen Augen betrachten, kann tiefer in sie<br />

eindringen, um sich, solchermaßen gestählt, wieder der zweiten zuzuwenden usw. Das ist<br />

zwar nicht das von H<strong>or</strong>kheimer/Ad<strong>or</strong>no gef<strong>or</strong>derte Prozedere, aber das ist die Situ<strong>at</strong>ion, in<br />

der sich jemand wiederfindet, der – wie ich – die DA mehrmals liest. Es ist durchaus<br />

empfehlenswert, das zu tun, und noch bei der soundsovielten Lektüre findet sich mitunter<br />

ein Gedanke, der zuv<strong>or</strong> nicht warhgenommen wurde. Doch das oftmalige Lesen der DA h<strong>at</strong><br />

einen weiteren Effekt: Heidegger kennt Ähnliches als Spiegel-Spiel, Akustiker kennen es als<br />

Rückkoppelung, und jeder kann es mittels einer Videocamera und eines Bildschirms in der<br />

Variante Bild im Bild im Bild im Bild im Bild reproduzieren. Ach ja, eine Rückkoppelung<br />

hört sich nicht besonders gut an. Und nach ein Ach ja: außer unzähligen, immer kleiner<br />

werdender Bildschirmen, die sich schließlich in einer imaginären Unendlichkeit verlieren,<br />

h<strong>at</strong> der v<strong>or</strong> dem Bildschirm Sitzende nichts, an dem sein Auge sich erfreuen könnte. Und<br />

über die spät-todtnauschen Spiegelfechtereien gibt es nicht viel mehr zu sagen als über<br />

je<strong>des</strong> andere in die Jahre gekommene Spiegelkabinett, das mit halbblindem Inventar von<br />

Kirmes zu Kirmes zieht.<br />

In diesem Sinne ergibt sich folgende Bilanz der DA: Mythologie unterdrückt die Menschen.<br />

Dagegen erhabt sich Aufklärung, um sie von ihrem Joch zu befreien. Aber Aufklärung ist<br />

immer schon Rückfall. Also: Je mehr Aufklärung, um so mehr Tyrannei. Trotzdem: Je<br />

weniger Mythos, um so mehr Freiheit. Obwohl: Je weniger Nicht-Mythos, also Aufklärung,<br />

auch um so mehr Freiheit. Aber trotz allem: Je mehr Aufklärung, um so weniger Mythos.<br />

Und: Je weniger Aufklärung, um so mehr Mythos. In summa: Je mehr Aufklärung, um so<br />

mehr Rückfall, um so mehr Mythos, um so mehr Tyrannei, um so weniger Aufklärung, um<br />

so weniger Rückfall, um so weniger Mythos, um so weniger Tyrannei, um so mehr<br />

Aufklärung, um so mehr Mythos, um so mehr Tyrannei, um so weniger Aufklärung, um so<br />

weniger Mythos, um so weniger Tyrannei, um so mehr Aufklärung, um so mehr Mythos, um<br />

so weniger Aufklärung, um so weniger Mythos, um so mehr Aufklärung...<br />

Das ist Dialektik!<br />

Das ist Dialektik?<br />

<strong>Die</strong> DA ist ein Denkmal der Enttäuschung zweier Männer, die sich von ihrem Ideal verr<strong>at</strong>en<br />

fühlen. <strong>Die</strong>selbe Aufklärung, in deren Namen auch sie angetreten waren zum Kampf gegen<br />

Unrecht und Unterdrückung, stellt sich ihnen nach einer Reihe von Aha-Erlebnissen als<br />

das dar, gegen das sie ursprünglich v<strong>or</strong>gegangen waren. <strong>Die</strong> höchste intellektuelle<br />

Anstrengung nicht nur umsonst, sondern sogar dem Feind zugute kommend. Aufklärung ist<br />

nicht, was sie schien. Ein Engel stürzte.<br />

Aber es ist trotz allem noch die Aufklärung. Mit wahrer Nibelungentreue werfen sich<br />

H<strong>or</strong>kheimer/Ad<strong>or</strong>no in die Schlacht, um Aufklärung v<strong>or</strong> sich selbst zu verteidigen.<br />

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Reithmayr: <strong>Die</strong> <strong>Stimme</strong> <strong>des</strong> <strong>Herrn</strong> III – M<strong>or</strong>bider Ton<br />

Aufklärung ist aber seit Menschengedenken gegen den Mythos. Damit h<strong>at</strong> das Kind einen<br />

Namen, der Feind scheint gebannt. Mit dieser Überzeugung im Rücken machen sich die<br />

Aut<strong>or</strong>en an die Inszenierung einer unfreiwilligen Verwechslungstragikomödie, die<br />

ihresgleichen nicht findet.<br />

Aber so ist die Dialektik eben. Dialektik muß so sein. Aber muß Dialektik sein?<br />

<strong>Die</strong> Kernaussage der DA läßt sich vielleicht ganz einfach, ganz undialektisch f<strong>or</strong>mulieren,<br />

etwa so: Das Anwachsen von N<strong>at</strong>urbeherrschung, das nach dem Willen der Menschen allen<br />

anderen und nach dem Plan der frühen Aufklärer v<strong>or</strong> allem den Unterprivilegierten zugute<br />

kommen sollte, kommt noch in verstärktem Ausmaß den Herrschenden zugute. Kein Ideal<br />

darf zum err<strong>at</strong>ischen Block erstarren, der sich zum Selbstzweck wird, da es sonst Gefahr<br />

läuft, aus Gründen der Selbsterhaltung – also quasi aus Sachzwang – repressiv zu werden,<br />

repressiv werden zu müssen. Wenn dieses Ideal aber ausgerechnet gegen Repression<br />

<strong>auf</strong>tritt, dann führt es sich selbst ad absurdum, dann pervertiert es.<br />

<strong>Die</strong>se Darstellung verkürzt, wie ich gerne gestehe. Sie enthält gerade die wichtigsten<br />

Aussagen nicht, nämlich die Analyse der Mechanismen, den Aufweis der Notwendigkeit<br />

solchen Geschehens. Genau das soll die Dialektik aber ans Licht befördern:<br />

Das Result<strong>at</strong> ist dann ... der gesamte Gedankenprozeß mit allen Behauptungen,<br />

Analysen, Einschränkungen und so f<strong>or</strong>t, in welchem nicht allein die<br />

<strong>auf</strong>getretenen Meinungen, sondern auch die realen Verhältnisse in ihrer<br />

Rel<strong>at</strong>ivität und Vergänglichkeit erkannt werden... 34<br />

Doch auch die Summe der Behauptungen, Analysen, Einschränkungen und so f<strong>or</strong>t könnte<br />

anders f<strong>or</strong>muliert werden. <strong>Die</strong>s würde zwar die sprachliche Schönheit (?) der beiden Thesen<br />

schmälern, weil die Kontrastwirkung verl<strong>or</strong>en ginge, aber ein Verzicht <strong>auf</strong> die kreisende<br />

Bewegung <strong>des</strong> Gedankens ließe sich möglicherweise ein Result<strong>at</strong> erkennen, das nicht immer<br />

schon keines mehr ist, weil es die ihm zugrundeliegende Tautologie wiederholt. Doch ein<br />

Denken, das sich ständig im Kreise bewegt, ist – ich möchte fast sagen: a pri<strong>or</strong>i – dazu<br />

verdammt, früher oder später die Suche nach einem Ausweg als sinnlos abzubrechen. In<br />

dieser Hinsicht erinnert die DA an den Betrunkenen, der sich mehrmals um eine Litfaßsäule<br />

herumtastet und schließlich verzweifelt feststellt: Eingemauert!<br />

Der Mythos (oder die Aufklärung?) ringt mit sich selbst in Gestalt der Aufklärung (oder <strong>des</strong><br />

Mythos?), und wir lesen die Sp<strong>or</strong>tberichterst<strong>at</strong>tung von H<strong>or</strong>kheimer/Ad<strong>or</strong>no, die sich immer<br />

nur um die zentrale Frage Nestroyscher Philosophie dreht: Wer ist stärker? Ich oder ich?<br />

Sei es ein Versehen, sei es ein wohlgeplanter Ausdruck <strong>des</strong>sen, daß auch die DA im Mythos<br />

verhaftet bleibt, jedenfalls fällt noch etwas <strong>auf</strong>. H<strong>or</strong>kheimer/Ad<strong>or</strong>no schreiben über die<br />

Aufklärung:<br />

Als Grund <strong>des</strong> Mythos h<strong>at</strong> sie seit je den Anthropom<strong>or</strong>phismus ... <strong>auf</strong>gefaßt. Das<br />

Übern<strong>at</strong>ürliche, Geister und Dämonen, seien Spiegelbilder der Menschen, die<br />

von N<strong>at</strong>ürlichem sich schrecken lassen. 35<br />

Ob absichtlich oder nicht, jedenfalls bekennen sich H<strong>or</strong>kheimer/Ad<strong>or</strong>no recht deutlich zum<br />

Mythos, denn manche F<strong>or</strong>mulierungen lassen den Eindruck entstehen, in der DA sei die<br />

Rede von spirituellen Wesenheiten, die <strong>auf</strong> der Erde schalten und walten und mit denen die<br />

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Reithmayr: <strong>Die</strong> <strong>Stimme</strong> <strong>des</strong> <strong>Herrn</strong> III – M<strong>or</strong>bider Ton<br />

Menschheit gar nichts zu tun h<strong>at</strong>. Ich meine damit nicht so sehr die unzähligen Stellen, in<br />

denen berichtet wird, was die Aufklärung alles tut oder läßt. Ich meine Sätze wie diese:<br />

Tritt er [der triumphierende Gedanke] willentlich aus seinem kritischen Element<br />

heraus als bloßes Mittel in den <strong>Die</strong>nst eines Bestehenden, so treibt er wider<br />

Willen dazu, das Positive, das er sich erwählte, in ein Neg<strong>at</strong>ives, Zerstörerisches<br />

zu verwandeln. 36<br />

Der Gedanke an einen selbstbewußten Gedanken, der sich – es lebe die Dialektik! –<br />

willentlich wider Willen ist, erschreckt mich. Was nun, wenn mir m<strong>or</strong>gen oder überm<strong>or</strong>gen<br />

ein triumphierender Gedanke begegnet, der aus seinem kritischen Element herausgetreten<br />

ist? Soll ich ihn <strong>auf</strong>f<strong>or</strong>dern, sich schleunigst wieder dahin zu begeben, wo er herkommt?<br />

Wer kommt für den Flurschaden <strong>auf</strong>, den er doch sicherlich hinterläßt, da er doch sein<br />

Positives in ein Neg<strong>at</strong>ives, und was noch schlimmer ist, in ein Zerstörerisches verwandelt<br />

h<strong>at</strong>?<br />

Gedanken mögen frei sein, aber so weit ist meines Wissens ihre Emanzip<strong>at</strong>ion noch nicht<br />

gediehen, daß sie als selbständige Wesen unter uns wandeln. H<strong>or</strong>kheimer/Ad<strong>or</strong>no bewegen<br />

sich nicht selten in einer menschenleeren Welt, die von Gedanken beherrscht wird. a Hinter<br />

jeder Ecke lauern dämonische K<strong>at</strong>eg<strong>or</strong>ien und Ideen, die die umherschweifende Gedanken<br />

hinterrücks anspringen und sich parasitär in ihnen einnisten.<br />

Ich habe gewarnt: Mein Verhältnis zu DA ist ein sonderbares. Aber ich habe auch<br />

v<strong>or</strong>bereitet: Ich weise methodische Eigenheiten <strong>auf</strong>.<br />

a Eine spätmarxistische re-hegelianisierende Konterrevolution, die wieder einmal alles<br />

umkehrt, diesmal eben zurück <strong>auf</strong> den Kopf?<br />

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Reithmayr: <strong>Die</strong> <strong>Stimme</strong> <strong>des</strong> <strong>Herrn</strong> III – M<strong>or</strong>bider Ton<br />

Intermezzo: Das Unbehagen <strong>des</strong> J.A.<br />

Finster war´s, der Mond schien helle,<br />

Schnee lag <strong>auf</strong> der dunklen Flur,<br />

Als ein Auto blitzeschnelle<br />

langsam um die Ecke fuhr.<br />

Drinnen saßen stehend Leute,<br />

schweigend ins Gespräch vertieft,<br />

als ein totgeschoss´ner Hase<br />

<strong>auf</strong> dem Randstein Schlittschuh lief<br />

Kindervers<br />

Das Unbehagen <strong>des</strong> J.A. besteht schon viel länger als meines. Er drückte es bereits zu<br />

einem Zeitpunkt aus, als ich vermutlich gerade die Berechnung einer Rechtecksfläche zu<br />

erlernen versuchte, 1967.<br />

J.A. h<strong>at</strong> mich zur Philosophie gebracht, sinnigerweise dadurch, daß er meine pubertäre<br />

Koketterie mit dem Selbstm<strong>or</strong>d philosophisch untermauerte und eine Schilderung <strong>des</strong><br />

Alterns gab, die schon den etwa Fünfzehnjährigen ein erstes Mal sterben ließ.<br />

Der inzwischen schon lange nicht mehr Fünfzehnjährige, der sich bereits von der bloßen<br />

Verehrung der DA losgemacht h<strong>at</strong>te, fand eines Tages ein Buch seines ersten Lehrers. Und –<br />

nachdem er ihn eine Zeit lang aus den Augen verl<strong>or</strong>en h<strong>at</strong>te – er fand darin seinen Lehrer<br />

wieder, als er sich selbst als Schüler wiedererkannte.<br />

Der Lehrer: J.A., Jean Améry. Das Buch: Widersprüche. 37<br />

<strong>Die</strong> Quäler sind jene Opfer, die dadurch weniger leiden, daß die Gesellschaft sie<br />

im Gequälten sich objektivieren läßt. 38<br />

<strong>Die</strong>ser S<strong>at</strong>z bietet Améry Anlaß, um sich in einem Aufs<strong>at</strong>z mit dem Titel Jargon der Dialektik<br />

mit den zunächst nur sprachlichen, damit aber auch inhaltlichen Verfehlungen<br />

dialektischen Denkens auseinanderzusetzen. <strong>Die</strong> Quäler, deren Opferrolle hier<br />

herv<strong>or</strong>gestrichen werden soll, sind die Männer der SS, die – wie der ehemalige KZ-Insaße<br />

Améry wenig schonungsvoll paraphrasiert – „sich in uns mit Foltereisen ,objektivierten’“ 39 .<br />

Der Inhalt <strong>des</strong> oben wiedergegebenen Aph<strong>or</strong>ismus ist klar: Nicht nur die Juden, die<br />

Rassefremden, die Abartigen, die Unwerten usw., sondern auch die Mitläufer, diejenigen, die<br />

das Regime mit R<strong>at</strong> und v<strong>or</strong> allem mit T<strong>at</strong> unterstützten, seien als Opfer anzusehen. Es<br />

werfen sich hier allerdings Fragen <strong>auf</strong>: Wo ist die Grenze zwischen den „Quäler-Opfern“ und<br />

den „Opfer-Opfern“? Wer sind die Quäler im Gegens<strong>at</strong>z zu den gequälten Qäulern? Wo liegt<br />

der Punkt, an dem – mit Améry zu sprechen – die Teufel auch arme Teufel sind? Gibt es<br />

noch so etwas wie konkrete Schuld, oder liegt diese immer nur bei der Gesellschaft, die sich<br />

doch aus ihren eigenen Opfern zusammensetzt?<br />

<strong>Die</strong> Frage, die Améry in diesem Zusammenhang am meisten interessiert, gleicht derjenigen,<br />

die ich oben an die Aut<strong>or</strong>en der DA richtete: Warum mußte der geschilderte Zusammenhang<br />

unbedingt <strong>auf</strong> eine Weise f<strong>or</strong>muliert werden, die beide Seiten <strong>des</strong> ungleichen Verhältnisses<br />

<strong>auf</strong> einen Begriff bringt? Warum nicht den Henker Henker und den Delinquenten<br />

Delinquent nennen? Was veranlaßt den Aut<strong>or</strong>, nicht ganz einfach von gesellschaftlichem<br />

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Reithmayr: <strong>Die</strong> <strong>Stimme</strong> <strong>des</strong> <strong>Herrn</strong> III – M<strong>or</strong>bider Ton<br />

Druck zu sprechen, dem auch die Quäler unterliegen? Welcher Wahnsinn steht hinter dem<br />

Versuch, einen von der Gesellschaft bedrängten Mörder, der im Namen ebendieser<br />

Gesellschaft m<strong>or</strong>det, und den von ihm Erm<strong>or</strong>deten zumin<strong>des</strong>t sprachlich in einen Topf zu<br />

werfen?<br />

Amérys Verdacht, dem sich anzuschließen, nicht schwerfällt, geht dahin, daß – banal gesagt<br />

– komplizierte Sätze nach mehr klingen. Der Inhalt dieses S<strong>at</strong>zes ist „möglicherweise<br />

richtig“, gewiß aber „sehr un<strong>or</strong>iginell“, wobei weiters die Frage offen bleibt,<br />

inwieweit der gesellschaftliche Druck als Halb-und-halb-Rechtfertigung für<br />

Bestialitäten unsäglichen Ausmaßes evoziert werden darf. Wie dem auch sei: es<br />

wäre sich jedenfalls der Dialektiker als altmodischer Tropf v<strong>or</strong>gekommen, 40<br />

hätte er den S<strong>at</strong>z unter Verzicht <strong>auf</strong> die dialektische Sprachgestaltungsmittel f<strong>or</strong>muliert. Der<br />

zitierte Aut<strong>or</strong> ist ein Opfer(?) <strong>des</strong> Jargons der Dialektik.<br />

Jargon, was ist das? Améry wehrt sich gegen die Gleichsetzung von Jargon und<br />

Fachsprache. Jargon, so sagt er, entsteht nicht aus einer vom Gegenstand oder von der<br />

Methode gef<strong>or</strong>derten Notwendigkeit, sondern ist im Gegens<strong>at</strong>z zu einer hochgradig<br />

durchdefinierten und in ihren Begriffen eindeutig festgelegten Sondersprache ein „regelloses<br />

Sprachspiel“ 41 . Als Hinweis führt Améry an, daß wohl kaum jemals eine hochqualifizierte<br />

Terminologie Eingang in die gesellschaftliche Konvers<strong>at</strong>ion fände, weil jeder, der sich ihrer<br />

bediente, Gefahr liefe, von einem wirklichen Kenner der M<strong>at</strong>erie als „Tiefenschwätzer“ 42<br />

entlarvt zu werden. Der Jargon hingegen nimmt vom Sprecher die Furcht, Blödsinn zu<br />

reden, präziser: Er nimmt dem Sprecher die Furcht, dabei ertappt zu werden.<br />

Wer vom Sein und vom Nichts, von der Reflektiertheit und von der Entfremdung<br />

und der, nun ja: der Dialektik redet, läuft diese Gefahr nicht. Spricht er in einer<br />

Unterhaltung über Existenzphilosophie ausgleitenderweise vom Seienden, das<br />

sich im Sein verbirgt, st<strong>at</strong>t umgekehrt, gilt das gleichviel; mit hoher<br />

Wahrscheinlichkeit darf gerechnet werden, daß der etwa anwesende Philosoph,<br />

st<strong>at</strong>t verächtlich die Achseln zu zucken, sich überlegt, ob ihm selbst nicht diese<br />

Vari<strong>at</strong>ion Heideggers in der Fülle der Liter<strong>at</strong>ur entgangen sei und er darum die<br />

ontologischen Chancen dieser neuen Spielart mit S<strong>or</strong>gfalt zu erwägen habe. 43<br />

Um wieviel mehr muß das gelten für eine Denkweise, die sich nicht scheut, den S<strong>at</strong>z<br />

Schwarz ist Weiß mit der Feststellung zu kommentieren, man sehe hier „die Dialektik am<br />

Werk“.<br />

<strong>Die</strong> Gefahr der Jargonisierung ist gerade in der Philosophie äußerst groß, da es kaum<br />

(kaum?) Begriffe gibt, über deren Inhalt und Bedeutung Konsens besteht. Ein kurzer Blick<br />

in die Geschichte zeigt, daß nicht selten Schüler gerade <strong>auf</strong> den Fehlern und<br />

Mißverständnissen ihrer Lehrer neue Gedankengebäude errichtet, die trotz – oder vielleicht<br />

sogar wegen – ihrer zweifelhaften Abstammung großen Erfolg haben. Jeder Gedanke ist<br />

zumin<strong>des</strong>t implizite schon gedacht, jedem Gedanken läßt sich <strong>des</strong>halb auch eine Heim<strong>at</strong><br />

geben. Irgend jemand war immer schon da, <strong>auf</strong> den man sich berufen kann, so schlimm<br />

kann man gar nicht danebengreifen.<br />

In dieser Situ<strong>at</strong>ion kann die Dialektik leicht immunisierende Wirkung zukommen. Unter<br />

Berufung <strong>auf</strong> sie kann alles als zumin<strong>des</strong>t auch richtig erwiesen werden.<br />

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Reithmayr: <strong>Die</strong> <strong>Stimme</strong> <strong>des</strong> <strong>Herrn</strong> III – M<strong>or</strong>bider Ton<br />

Es gibt keine Disziplin, die so dem tödlichen Eindringen von Unsinn ausgeliefert<br />

wäre wie die Philosophie. Und keine andere Sprache ist so sehr wie die ihre<br />

bedroht von der Jargonisierung. [...] Es gibt ... kaum eine Philosophie, die nicht<br />

Jargon gew<strong>or</strong>den wäre. 44<br />

Améry h<strong>at</strong> bereits einmal <strong>auf</strong> den allerdings recht leicht zu treffenden Heidegger<br />

eingeschlagen. Doch dieser ist es nicht, der ihn beunruhigt.<br />

Der Jargon der Eigentlichkeit h<strong>at</strong> sich als sehr uneigentlich ... erwiesen. <strong>Die</strong><br />

Tiefenschwätzerei solchen Musters versickert. 45<br />

Dafür steht ein anderer Jargon im Begriff, die Sprache <strong>auf</strong>zublähen. <strong>Die</strong>ser ist<br />

nicht reaktionär, im Gegenteil: er gibt sich progressiv bis progressivistisch. Er ist<br />

nicht raunend, sondern schneidend, nicht wuchtig-gewichtig, sondern scharfelegant.<br />

[...] Es ist der Jargon der Dialektik... D<strong>or</strong>t geht es hoch her mit<br />

Reflektiertheit und neg<strong>at</strong>iver Positivität, mit Verdinglichung, unglücklichem<br />

Bewußtsein und Fungibilität. 46<br />

Als Zeugen ruft Améry unter anderem den sicherlich unverdächtigen Herbert Marcuse <strong>auf</strong>.<br />

Als dieser eines Tages befragt wurde, welches Buch seiner Meinung nach geschrieben<br />

werden sollte, antw<strong>or</strong>tete der:<br />

Ich schlage v<strong>or</strong> ein sehr seriöses, Titel „Ganz ohne Dialektik geht die Chose nicht<br />

– Zur P<strong>at</strong>hologie <strong>des</strong> Zeitgeistes“. Damit es kein Wälzer wird, Beschränkung <strong>auf</strong><br />

die letzten fünf Jahre. Kapitel eins: Wie oft ist das W<strong>or</strong>t „dialektisch“ gebraucht<br />

w<strong>or</strong>den? Es genügt, wenn die Zählung bis zu einer Million durchgeführt wird. 47<br />

Was Marcuse hier anspricht, ist ein Phänomen, in dem Améry das deutlichste Symptom für<br />

den Ausbruch <strong>des</strong> Jargons erblickt: Alles wird dialektisch. „<strong>Man</strong> spricht dann nicht mehr<br />

von ,Spannungen’, sondern von ,dialektischen Spannungen’. Ein Gegens<strong>at</strong>z wird zum<br />

dialektischen Gegens<strong>at</strong>z.“ 48<br />

Was ist Dialektik? Unter Berufung <strong>auf</strong> einen <strong>Man</strong>n aus dem dialektischen Lager – Robert<br />

Heiss – hält Améry an seiner Aussage fest, daß sie keine Methode „im Sinne system<strong>at</strong>ischer<br />

wissenschaftlicher Wegbereitung der Erkennntis“ 49 ist (was ihm auch der Ad<strong>or</strong>no der<br />

Neg<strong>at</strong>ive Dialektik bestätigen würde). Darin sieht Améry einen Hauptgrund dafür, daß<br />

Jargondialektik kaum von authentischer Dialektik unterscheidbar ist. Dialektik ist aber<br />

auch nicht – und noch viel weniger – „<strong>auf</strong>findbare Realität“ oder „Eigenschaft der N<strong>at</strong>ur“.<br />

Ich proponiere, im vollen Bewußtsein der V<strong>or</strong>läufigkeit meines V<strong>or</strong>schlags, eine<br />

Definition, die bereits angedeutet war: Dialektik ist eine Allüre <strong>des</strong> Denkens. 50<br />

<strong>Die</strong> Crux besteht nun darin, daß Dialektik<br />

so erschreckend leicht nachahmbar [ist], wobei zur Nachahmung auch<br />

Selbstnachahmung gehört. Nicht selten sehen wir denn authentische<br />

dialektische Denker als Opfer ihres eigenen Jargons, an den sie sich gewöhnt<br />

haben und den sie nun serienmäßig reproduzieren. 51<br />

„Nur eines ist inmitten dialektischer Spiegelfechterei sicher: banal ist der dialektische S<strong>at</strong>z<br />

niemals.“ 52 Hier sieht Améry die Fäden zusammenl<strong>auf</strong>en. Im Verein mit einem S<strong>at</strong>z <strong>des</strong><br />

Großmeisters der Dialektik <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts, Ad<strong>or</strong>nos „Das Banale kann nicht wahr<br />

sein“ 53 , ergibt sich eine Diagnose, die interessanterweise an jene der DA erinnert.<br />

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Reithmayr: <strong>Die</strong> <strong>Stimme</strong> <strong>des</strong> <strong>Herrn</strong> III – M<strong>or</strong>bider Ton<br />

H<strong>or</strong>kheimer/Ad<strong>or</strong>no wollen nach eigenen Angaben in der DA zeigen, daß „die Ursache <strong>des</strong><br />

Rückfalls von Aufklärung in Mythologie ... bei der in Furcht v<strong>or</strong> der Wahrheit erstarrenden<br />

Aufklärung selbst liegt.“ 54 Améry sieht den Grund für den Verfall authentischer Dialektik<br />

zum Jargon in einer „Furcht v<strong>or</strong> der Banalität, die allenthalben Panik erzeugt.“ 55<br />

Den dialektischen Denkern sitzt allerwegen die Furcht v<strong>or</strong> der Banalität im<br />

Nacken – etwa der Banalität, Opfer Opfer und Quäler Quäler sein zu lassen, wie<br />

sie es beide waren, als geschlachtet wurde. 56<br />

Nicht zufällig ist es Ad<strong>or</strong>no, dem Améry die Hauptschuld an der Verbreitung <strong>des</strong> Jargons im<br />

deutschsprachigen Raum zuschreibt, der die „geradezu terr<strong>or</strong>istische Behauptung“ 57<br />

<strong>auf</strong>stellt, wonach das Banale nicht wahr sein kann. Doch Ad<strong>or</strong>no ist nicht allein: Isaak<br />

Babel skandiert: „<strong>Die</strong> Banalität ist die Konterrevolution.“ 58 Und Michael Landmann ruft bei<br />

dem Versuch, den verblichenen Bloch gebührend zu ehren, diesem ins frische Grab nach:<br />

„<strong>Man</strong> hörte von ihm kein banales W<strong>or</strong>t.“ 59 Zweiundneunzig Jahre, und nicht eine Banalität.<br />

Wenn wir uns allerdings v<strong>or</strong> Augen halten, daß das Banale per definitionem auch das<br />

Wahre ist, dasjenige, das – wenn eine Steigerung noch möglich ist – so wahr ist, daß man es<br />

gar nicht erst auszusprechen braucht, weil´s ohnehin jeder weiß, dann wir der<br />

Zusammenhang zwischen einer Dialektik, die sich v<strong>or</strong> dem Allzuwahren im Kreise dreht und<br />

einer Aufklärung, die in Furcht v<strong>or</strong> der Wahrheit erstarrt, noch deutlicher (wobei dieses Bild<br />

sogar das Dynamische der Dialektik wiedergibt).<br />

Demnach wäre also Dialektik spätestens seit Ad<strong>or</strong>no die Krankheit, als deren Heilmittel sie<br />

sich ausgibt. Demnach wäre aber auch Amérys Aufs<strong>at</strong>z im Grunde ein unter anderem auch<br />

<strong>auf</strong> Ad<strong>or</strong>no angewandter Ad<strong>or</strong>no (+H<strong>or</strong>kheimer). Wir können vielleicht sogar so weit gehen<br />

zu fragen, ob und wie sehr die DA ein Bewältigungsversuch und damit ein Eingeständnis<br />

ist. Wir können dann versuchen, die DA als eine autohermeneutische Selbstdarstellung zu<br />

lesen.<br />

Verweilen wir noch kurz bei Ad<strong>or</strong>nos Äußerung über das Banale. Ad<strong>or</strong>nos Begründung,<br />

wonach „[w]as in einem falschen Zustand von allen akzeptiert wird ... v<strong>or</strong> jedem Inhalt<br />

schon sein ideologisches Unwesen [h<strong>at</strong>]“ 60 , kann nicht restlos befriedigen. Améry verweist<br />

<strong>auf</strong> das Alltagsleben als den Ort <strong>des</strong> im engeren Sinne Banalen, und stellt fest, daß d<strong>or</strong>t<br />

Sätze<br />

ständig einer Realitätsprüfung niedrigen Gra<strong>des</strong> unterw<strong>or</strong>fen sind, von einer<br />

Inf<strong>or</strong>m<strong>at</strong>ion über das eben herrschende Wetter bis zur Rechnung im Restaurant.<br />

Das „ideologische Unwesen“ redet hier, wie oft, eben nicht drein und die „Kruste<br />

verdinglichter Meinungen beschirmt“ 61<br />

hier rein gar nichts.<br />

Eine ähnliche Abfuhr erteilt Améry Ad<strong>or</strong>no im Bereich der Wissenschaften, deren Arbeit nun<br />

einmal Banalisierung ist. Abgesehen davon erstreckt sich das Banale auch <strong>auf</strong> dasjenige,<br />

das in einem richtigen Zustand von allen akzeptiert wird. Notgedrungen müßte also jenseits<br />

aller Banalität die Trennung von richtig und falsch bzw. wahr und unwahr hier Pl<strong>at</strong>z finden<br />

– die ihrerseits allerdings höchst banal ist.<br />

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Ulrich Sonnemann definiert Banalität als die „Selbstabsperrung <strong>des</strong> Menschen gegen das<br />

Wahre in der Welt“ 62 . <strong>Die</strong>se Selbstabsperrung legt mittels der von ihr gezogenen Grenzen der<br />

Wahrheit Schranken <strong>auf</strong> und ist daher „Ableugnung <strong>des</strong> Wahren..., ein Angriff <strong>auf</strong> dieses<br />

selbst“ 63 . <strong>Die</strong> weiteren Ausführungen Sonnemanns übersetzt und entblößt Améry wie folgt:<br />

Hier erträgt [die Banalität] sich eben nicht und das Nicht-Ertragen ihrer selbst<br />

läßt sie in der Welt die Rolle <strong>des</strong> Nicht-Ertragens <strong>des</strong> Wahren spielen, w<strong>or</strong>in<br />

zugleich ihre Unerträglichkeit für dieses beschlossen ist. Das ganze aber ist ihr,<br />

der Banalität, Sein. 64<br />

Auch das erinnert an die DA und wirft die Frage <strong>auf</strong>: Ist die Aufklärung so, wie sie d<strong>or</strong>t<br />

beschrieben wird, weil sie genau weiß, daß sie, sofern sie Banalitäten produziert, böse ist?<br />

Weshalb sie es gleich sein läßt?<br />

<strong>Die</strong>se Beispiele erinnern mich stark an die berühmte K<strong>at</strong>ze, die sich in den Schwanz beißt.<br />

Was hier v<strong>or</strong>exerziert wird, wäre aber eher schon ein Fall für´s Panoptikum. <strong>Die</strong>se K<strong>at</strong>ze –<br />

ist es vielleicht gar die nichtv<strong>or</strong>handene schwarze K<strong>at</strong>ze in dem schwarzen Raum, die die<br />

Philosophen suchen, die Theologen finden und die Dialektiker zur Schau stellen? – h<strong>at</strong> so<br />

viele Köpfe und Schwänze, daß nicht genau gesagt werden kann, wer da wen wo<br />

hineinbeißt.<br />

Auch der „v<strong>or</strong>läufig letzte Triumph dialektischen Denkens“ 65 – wie Améry eindeutig<br />

zweideutig die Neg<strong>at</strong>ive Dialektik nennt – sei „durchzogen von Expressionen violenter Anti-<br />

Banalität, in denen sich schließlich Sprache und Denken so sehr <strong>auf</strong>lösen, daß der Leser<br />

am Ende dasteht wie Peer Gynt mit der Zwiebel. 66 “ Ad<strong>or</strong>nos Sprache sei „von sich selbst bis<br />

zur Selbstblendung entzückt“ 67 . An anderer Stelle spricht Améry von „Delirien dialektischer<br />

Glossurgie“ 68 und sagt Ad<strong>or</strong>no „erdrückende, ja nachgerade terr<strong>or</strong>istische Begriffs-<br />

Scholastik“ 69 nach.<br />

Améry richtet eine Empfehlung an alle diejenigen, die dem Jargon bereits verfallen sind oder<br />

im Begriffe stehen, ihm zu verfallen. Er rät ihnen eine „Geistes und Psychotherapie gegen<br />

die Furcht, banal zu werden“ 70 , als Mittel zu einer Wiederentdeckung einer verständlichen<br />

Sprache, die den Leser von der Pflicht enthebt, „im depremierenden Gefühl eigener Blödheit<br />

sein Heil in der Flucht zu suchen.“ 71<br />

Darin sieht Améry die größte Gefahr <strong>des</strong> Jargons. Eine Sprache, die nicht nur<br />

traditionellerweise die der Linken ist, tendiert zur Unverständlichkeit und damit zur<br />

Unwirksamkeit. <strong>Die</strong>se Gedanken muten – heute gelesen, nach ´68, Studentenbewegung und<br />

RAF – nachgerade prophetisch an. Es kann zwar nur vermutet werden, daß eine sprachlich<br />

flexiblere Organis<strong>at</strong>ion als die Rote Armee Fraktion zumin<strong>des</strong>t einigen Menschen hätte<br />

deutlich machen können, w<strong>or</strong>um es überhaupt ging, aber die Erfahrung vergleichbarer<br />

Gruppen weist doch dar<strong>auf</strong> hin, daß eines der Kardinalprobleme <strong>des</strong> deutschen<br />

„Terr<strong>or</strong>ismus“ – <strong>auf</strong> den der Initialaph<strong>or</strong>ismus mit unendlich größerer Berechtigung<br />

angewandt werden könnte – darin bestand, daß sie nicht vermitteln konnten, daß sie nicht<br />

einfach irgendwelche Bun<strong>des</strong>bürger waren, denen sie ans Leben wollten. Keines ihrer<br />

<strong>Man</strong>ifeste war geeignet, auch nur einen kleinen Teil der Arbeiterschaft <strong>auf</strong> die Idee zu<br />

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bringen, daß es sich hier nicht einfach um Massenmörder handelte. Nicht umsonst lautet<br />

nach wie v<strong>or</strong> die gängigste Frage im Hinblick <strong>auf</strong> die RAF: Was wollen die eigentlich? Wer<br />

aber nicht imstande ist, diese Frage selbst so zu beantw<strong>or</strong>ten, daß die Antw<strong>or</strong>t auch<br />

verstanden wird, der muß damit rechnen, daß der Gegner sie beantw<strong>or</strong>tet; wer selbst seine<br />

Botschaft hinter einem kaum durchdringlichen Schleier eines mystifizierenden Jargons<br />

verbirgt, muß sich v<strong>or</strong> Augen halten, daß die Springer-Presse allein durch ihre Sprache einn<br />

uneinholbaren V<strong>or</strong>sprung eingeräumt bekommt.<br />

Wie Améry völlig richtig feststellt, macht eine unverständliche und daher abstoßende<br />

Sprache nicht nur die Bemühungen zunichte, sondern verkehrt die Intention <strong>des</strong><br />

Sprechenden geradezu in ihr Gegenteil. Es ist dies ein Punkt, der ebenfalls bereits in der DA<br />

angesprochen ist, allerdings etwas abstrakter, und, wie könnte es anders sein, ins Gegenteil<br />

gewandt. D<strong>or</strong>t heißt es:<br />

Indem [der herrschende Begriff von Klarheit] das an den T<strong>at</strong>sachen wie den<br />

herrschenden Denkf<strong>or</strong>men ansetzende Denken als dunkle Umständlichkeit, am<br />

liebsten als lan<strong>des</strong>fremd tabuiert, hält er den Geist in immer tieferer Blindheit<br />

gefangen. 72<br />

Dem hält Améry entgegen – man könnte auch sagen: dem stimmt Améry gegen<br />

H<strong>or</strong>kheimer/Ad<strong>or</strong>no zu:<br />

<strong>Die</strong> geistige Gangart der modernen, geschichtlichen Dialektik begreift sich als<br />

ein Unternehmen, gesellschaftliche Prozesse zu erhellen und durch die<br />

Erhellung zugleich auch zu verändern. Wo freilich nicht erhellt, sondern durch<br />

rein verbale Schein-Auflösung von Kontradiktionen verdunkelt wird, unterliegt<br />

der Prozeß gleichfalls einer Beeinflussung: Nur daß er nicht v<strong>or</strong>angetrieben wird,<br />

sondern <strong>auf</strong>gehalten. 73<br />

<strong>Man</strong> könnte anhand dieser beiden Zit<strong>at</strong>e eine neuerliche Dialektik sich entfalten lassen.<br />

Beide sagen dasselbe und doch das Gegenteil. Beide erweisen einander als reaktionär. <strong>Man</strong><br />

könnte an dieser Stelle auch fragen, ob nicht Dialektik vielleicht doch nichts anderes sei als<br />

die V<strong>or</strong>spiegelung von Progreß d<strong>or</strong>t, wo t<strong>at</strong>sächlich Regreß oder zumin<strong>des</strong>t Stillstand<br />

st<strong>at</strong>th<strong>at</strong>. Da ich mich in der Situ<strong>at</strong>ion sehe, diese Fragen <strong>auf</strong>lösen zu sollen, kann ich –<br />

<strong>auf</strong>grund der eben angeführten Fragen – nicht Umhin, Verzicht zu leisten.<br />

Améry vertritt die Meinung, Dialektik sei für den F<strong>or</strong>tschritt der Menschheit unverzichtbar.<br />

Ich stehe dem skeptisch gegenüber, will ihm aber trotzdem – vielleicht sogar eben <strong>des</strong>halb –<br />

das Schlußw<strong>or</strong>t überlassen:<br />

F<strong>or</strong>tschrittliches Denken kann <strong>auf</strong> die dialektische Allüre nicht verzichten; es<br />

kann aber nicht bestehen, wenn die Allüre zur sakralen Pantomime wird. <strong>Die</strong><br />

kritische Aufklärung steht, gesellschaftlich, an einem Punkt, wo sie sich sozial<br />

nur bewähren kann, wenn sie sich sprachlich radikal entschlackt. Anders wird<br />

sie versagen – vielleicht früher und dram<strong>at</strong>ischer, als wir es in unseren<br />

schlimmsten Befürchtungen auszumalen vermögen. 74<br />

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<strong>Man</strong> beißt <strong>auf</strong> <strong>Schaumgummi</strong>... F<strong>or</strong>tsetzung und Ende<br />

Der letzte Abschnitt der DA, betitelt Skizzen und Entwürfe, enthält eine Fülle von kleinen<br />

und noch kleineren Texten, die zum Gutteil unmittelbar an den Haupttext anknüpfen. Mit<br />

zweien dieser Texte will ich mich noch kurz beschäftigen; Der eine wurde schon erwähnt:<br />

Verwandlung der Idee in Herrschaft; der andere trägt den Titel Qand même.<br />

Der erste der beiden Texte knüpft an die Entwicklung an, die vom Brihadaranyaka-<br />

Upanishad zum Ica-Upanishad, von den Kynikern zu den Stoikern und von Johannes dem<br />

Täufer zum Paulinischen Christentum führt. <strong>Die</strong>se Entwicklung wird am Ica-Upanishad<br />

geschildert als „Verr<strong>at</strong> an jugendlichem Radikalismus, an revolutionärer Opposition gegen<br />

die herrschende Wirklichkeit“. 75<br />

Was – um die Them<strong>at</strong>ik aus Indien wieder nach Hellas zurückzuführen – die Kyniker von<br />

den Stoikern unterscheidet, ist ein <strong>Man</strong>gel an Disziplin:<br />

<strong>Die</strong> the<strong>or</strong>etischen und praktischen Systeme solcher Außenseiter der Geschichte<br />

sind jedoch nicht so straff und zentralisiert, sie unterscheiden sich von den<br />

erfolgreichen durch einen Schuß von Anarchie. 76<br />

Es wäre hier anzufragen, wie sich dieser Schuß von Anarchie mit dem Begriff <strong>des</strong> Systems<br />

verträgt, in <strong>des</strong>sen Umkreis er hier gestellt wird. Ist es nicht eine Ap<strong>or</strong>ie, von einem<br />

anarchoiden System zu sprechen? Systeme, wo sie nicht ohnehin geschlossen sind bzw. zu<br />

sein v<strong>or</strong>geben, drängen doch zumin<strong>des</strong>t dar<strong>auf</strong> hin, es zu sein. Es ist kein System denkbar,<br />

das mit dem Anspruch bricht, alle Wirklichkeit zu erfassen. Das System akzeptiert kein<br />

Draußen.<br />

Das trifft sich mit den Ausführungen Ad<strong>or</strong>nos über das System, wie er sie in der Neg<strong>at</strong>ive<br />

Dialektik liefert, und es deckt sich inhaltlich mit den Aussagen <strong>des</strong> Aufs<strong>at</strong>zes über den<br />

Begriff der Aufklärung, nur daß in diesem das System bestenfalls als Anhängsel der<br />

Aufklärung in Erscheinung tritt. Anders, fragend f<strong>or</strong>muliert: Verhält es sich so, daß – von<br />

der Neg<strong>at</strong>ive Dialektik her gesehen – die DA Aufklärung und System verwechselt?<br />

Der Zusammenhang von Aufklärung und System ist bereits in der DA kurz angezogen, wo<br />

es heißt:<br />

Als Sein und Geschehen wird von der Aufklärung v<strong>or</strong>weg nur anerkannt, was<br />

durch Einheit sich fassen läßt; ihr Ideal ist das System, aus dem alles und je<strong>des</strong><br />

folgt. 77<br />

Fragen: Braucht Aufklärung dieses Ideal? Braucht sie überhaupt ein methodisches Ideal?<br />

Ist das System nur das falsche Ideal? Schlagen H<strong>or</strong>kheimer/Ad<strong>or</strong>no den Esel Aufklärung,<br />

während sie doch den falschen Sack System meinen? Ist nicht das Ideal der Aufklärung<br />

vielmehr die Ideallosigkeit, mit Nietzsche zu sprechen: die Götzendämmerung, also ein<br />

mimetisch v<strong>or</strong>geschobenes Pseudoideal gegen alle Ideale? Liegt vielleicht die wahre<br />

Problem<strong>at</strong>ik d<strong>or</strong>t, wo, wie Hegel sagt, die Neg<strong>at</strong>ion ihrerseits negiert wird und umschlägt in<br />

Positivität? Wo nicht mehr Kritik, sondern Affirm<strong>at</strong>ion zum Geschäft der Aufklärer wird?<br />

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Besteht der Rückfall der Aufklärung in Mythologie darin, daß sie sich plötzlich als ein<br />

Positives v<strong>or</strong>findet und daher ihren Untergang nicht mehr wollen kann?<br />

Halten wir v<strong>or</strong>erst nur fest, daß sich auch Ad<strong>or</strong>no ähnliche Fragen gestellt haben dürfte.<br />

Nicht anders verstehe ich die programm<strong>at</strong>ische Aussage zu Beginn der Neg<strong>at</strong>iven Dialektik:<br />

<strong>Die</strong> F<strong>or</strong>mulierung Neg<strong>at</strong>ive Dialektik verstößt gegen die Überlieferung. Dialektik<br />

will bereits bei Pl<strong>at</strong>on, daß durchs Denkmittel der Neg<strong>at</strong>ion ein Positives sich<br />

herstellt; die Figur einer Neg<strong>at</strong>ion der Neg<strong>at</strong>ion benannte das später prägnant.<br />

Das Buch möchte Dialektik vn derlei affirm<strong>at</strong>ivem Wesen befreien... 78<br />

Wenn wir uns nun wieder der Verwandlung der Idee in Herrschaft zuwenden – konkret: dem<br />

daraus zitierten S<strong>at</strong>z über die Außenseiter und die Erfolgreichen –, dann müssen wir die<br />

Frage stellen, was das „erfolgreich“ bedeutet. Im genannten Kontext wird unterschieden<br />

zwischen den Erfolgreichen und – den Kompromißlosen. Allein das zeigt, was Inhalt dieses<br />

Textes ist: Erfolg und Kompromißlosigkeit sind Gegensätze, einander ausschließende<br />

Altern<strong>at</strong>iven. Wer Erfolg will, muß zum Kompromiß bereit sein. Das ist es, was hier<br />

behauptet wird.<br />

Was aber ist Erfolg? Sowohl die von H<strong>or</strong>kheimer/Ad<strong>or</strong>no angeführten Beispiele als auch die<br />

Ausführungen machen deutlich, daß erfolgreich diejenigen Ideen genannt werden, die lange<br />

Zeit über aktuell sind und viele Anhänger gewinnen können. Erfolgreich sind Christentum<br />

und Stoizismus, erfolglos dagegen die Kyniker und der chaotische Johannes.<br />

<strong>Die</strong> Kompromißlosen mochten zur Vereinigung und Kooper<strong>at</strong>ion bereit sein, zum<br />

soliden Bau einer nach unten abgeschlossenen Hierarchie jedoch waren sie<br />

ungeschickt. 79<br />

Ein interessanter S<strong>at</strong>z, der es wert ist, genauer angesehen zu werden. <strong>Die</strong> Kompromißlosen,<br />

so erfahren wir hier, waren ungeschickt. Das kann zweierlei bedeuten: Einerseits waren sie<br />

vielleicht zu dumm und sahen nicht, daß ohne Hierarchie nichts geht; andererseits kann es<br />

sich auch um eine Stilblüte handeln, die aussagen will, daß sie eben keine Hierarchie bauen<br />

wollten.<br />

Beginnen wir beim andererseits und halten wir fest: <strong>Die</strong> Kompromißlosen wollten nicht<br />

innerhalb der eigenen Reihen genau das installieren, wogegen sie <strong>auf</strong>getreten waren. Es ging<br />

ihnen nicht darum, eine etablierte Hierarchie durch eine noch neue und unverbrauchte zu<br />

ersetzen, sie wollten nicht den Teufel mit Beelzebub austreiben. Hegelisch: Sie wollten der<br />

Gefahr einer durch Neg<strong>at</strong>ion in Positivität umschlagenden Neg<strong>at</strong>ion entgehen. Ad<strong>or</strong>nitisch:<br />

Sie wollten den Mechanismus <strong>des</strong> Umschlags der Aufklärung umgehen. Deutsch: <strong>Die</strong><br />

Kompromißlosen waren kompromißlos. Ein unbefriedigen<strong>des</strong> Ergebnis – und trotzdem<br />

vermutlich das richtige.<br />

Sehen wir uns also die zweite Lesart an und gehen wir davon aus, daß das ungeschickt<br />

wörtlich zu nehmen ist, wie auch der S<strong>at</strong>z bestätigt, der im Text folgt:<br />

Weder in ihrer The<strong>or</strong>ie, die der Einheitlichkeit und Konsequenz, noch in ihrer<br />

Praxis, die der stoßkräftigen Zusammenfassung ermangelte, reflektiert ihr<br />

eigenes Sein die Welt, wie sie wirklich war. 80<br />

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Reithmayr: <strong>Die</strong> <strong>Stimme</strong> <strong>des</strong> <strong>Herrn</strong> III – M<strong>or</strong>bider Ton<br />

Auch das kann <strong>auf</strong> zwei Weisen verstanden werden: erstens und im Anschluß an das gerade<br />

beiseitsgelegte Ergebnis: sie waren anders als die anderen; diese Erkenntnis stünde in<br />

keinem Verhältnis zu Aufwand, der betrieben wird, also halten wir uns an die zweite<br />

Möglichkeit: Sie waren weltfremd, soll heißen, es war v<strong>or</strong>herzusehen, daß sie immer nur<br />

einige wenige Exoten bleiben würden, sie h<strong>at</strong>ten sich jegliche Chance zur Expansion im<br />

v<strong>or</strong>hinein genommen.<br />

Was aber, wenn die Kompromißlosen gar nicht v<strong>or</strong>h<strong>at</strong>ten zu expandieren? Was also, wenn<br />

ihre Ungeschicklichkeit nicht Ungeschicklichkeit, sondern mißverstandener Radikalismus<br />

war? Wenn sie sozusagen ungeschickt sein wollten? Auch damit wären wir wieder <strong>auf</strong> die<br />

Aussage zurückgew<strong>or</strong>den, daß die Kompromißlosen eben kompromißlos waren.<br />

Ich unterstelle, daß hier keine Tautologie geliefert werden sollte. Daraus ergibt sich aber,<br />

daß der H<strong>or</strong>kheimer/Ad<strong>or</strong>nosche F<strong>at</strong>alismus sich keine anderen Ideen v<strong>or</strong>stellen kann als<br />

solche, die Macht nur durch neue Macht ersetzen wollen. <strong>Die</strong> Kompromißlosen waren also<br />

wirklich nur zu dumm. Sie erkannten nicht, daß „der Preis fürs Überleben das praktische<br />

Mitmachen“ 81 ist.<br />

Das ergibt folgende zusammenfassende Lösung: Kompromißlosigkeit ist dumm, weil nicht<br />

zielführend, soll heißen: weil nicht Erfolg verheißend, soll weiter heißen: weil nicht das<br />

Überleben sichernd. Eine Idee, die überleben will, kann gar nicht anders als sich mit dem<br />

Bestehenden zu arrangieren, eben „mitzumachen“. Jede Idee sieht sich v<strong>or</strong> die Wahl gestellt,<br />

ob sie kompromißlerisch überleben oder kompromißlos untergehen will.<br />

Das dialektische Postul<strong>at</strong>, es müsse Positives sich herstellen, läßt nicht zu, an einen<br />

Untergang zu denken. <strong>Die</strong> Idee muß <strong>auf</strong>gehoben werden, auch um den Preis, daß sie damit<br />

<strong>auf</strong>gehoben wird. Ad<strong>or</strong>no spricht es oftmals aus: Das Geschäft der Dialektik ist Versöhnung.<br />

Wo diese aber im Hinblick <strong>auf</strong> die allerleletzte Synthesis betrieben wird, da ist erstens kein<br />

Pl<strong>at</strong>z für Kompromißlosigkeit, und zweitens dem Gegner Tür und T<strong>or</strong> geöffnet, dann Das<br />

Ganze ist das Wahre.<br />

Wo H<strong>or</strong>kheimer/Ad<strong>or</strong>no die radikalen Oppositionellen für ihre angebliche<br />

Ungeschicklichkeit schelten, da finden sie für die – wie sie selbst schreiben –<br />

„verräterische“ 82 Spielart <strong>des</strong> Buddhismus die W<strong>or</strong>te: „Der ganze Orden erfreute sich der<br />

Gunst der Herrschenden.“ 83 Damit wirft sich allerdings die Frage <strong>auf</strong>, was es mit einem<br />

solchen Orden <strong>auf</strong> sich haben kann im Sinne der Intention <strong>auf</strong>klärerischen Denkens, <strong>des</strong><br />

Wegs in die Freiheit.<br />

<strong>Die</strong> Beispiele, die H<strong>or</strong>kheimer/Ad<strong>or</strong>no anführen, sind ebenso wie die F<strong>or</strong>mulierungen<br />

Indizien dafür, daß „Idee“ zunächst „kritische Idee“ bedeutet. Kritik kann aber nie und<br />

nimmer dann erfolgreich genannt werden, wenn sie möglichst lange sich durchhält. Zu<br />

behaupten, der Erfolg der Marxschen Gesellschaftskritik bestünde darin, daß sich bis <strong>auf</strong><br />

den heutigen Tag Menschen in ihrem Namen erheben, ist blanker Zynismus, vergleichbar<br />

dem, mit dem die bürgerliche Demokr<strong>at</strong>ie Meinungsfreiheit mit Möglichkeit zur<br />

Veränderung verwechselt und die Freiheit sich darin erschöpfen läßt, seine Unfreiheit laut<br />

auszusprechen.<br />

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Dem halte ich entgegen, daß erfolgreiche Kritik diejenige ist, die schließlich mangels<br />

Kritisierbarem zum Verstummen verurteilt ist. Kritik, die erfolgreich sein will, ist Kritik, die<br />

sich selbst abschaffen will. Ebenso, wie sich gute Medizin nicht in der Heilung möglichst<br />

vieler Krankheiten auszeichnet, sondern dadurch, daß möglichst wenige Krankheiten<br />

<strong>auf</strong>treten, ist der wahre Sinn der Aufklärung der, den sexuelle Aufklärung als einzige sich<br />

erhalten h<strong>at</strong>: den Übergang in eine Praxis, die die Aufklärung hinfällig und überflüssig<br />

macht.<br />

Wenn wir Verwandlung der Idee in Herrschaft konsequent ernstnehmen, müssen wir daraus<br />

fogern, daß es erfolgreiche Ideen, die sich gegen Herrschaft richten, gar nicht geben kann<br />

(erfolgreich hier nicht im Sinne von etabliert, sondern im Sinne von: die ursprüngliche<br />

Intention realisierend). Kritik richtet sich wesentlich gegen die herrschende Wirklichkeit.<br />

Wenn es sich aber t<strong>at</strong>sächlich so verhält, daß der Preis fürs Überleben einer Idee ihre<br />

Verwandlung in Herrschaft ist, so bestünde der Preis für das Überleben einer Idee ihr Tod.<br />

Kritik bestünde demnach nicht nur in der Abschaffung alter, sondern gleichzeitig in der<br />

Install<strong>at</strong>ion neuer Herrschaft. Eine prachtvoll dialektische Entwicklung: die Kritische Idee<br />

ist dann und nur dann erfolgreich, wenn sie keinen Erfolg h<strong>at</strong>.<br />

Kritik, die sich postwendend an die Stelle <strong>des</strong> Angegriffenen und vielleicht sogar<br />

Abgeschafften setzt, ersetzt Herrschaft durch Herrschaft. <strong>Die</strong>s kann nun das kleinere oder<br />

das größere oder gar kein Übel sein. Kleineres wie größeres Übel sind als Übel erneut zu<br />

kritisieren, Herrschaft ohne Übel ist aber undenkbar, wie wir seit Hegel wissen. Wir haben<br />

also die Wahl zwischen einer – vielleicht gar nicht möglichen – Herrschaftsfreiheit und einer<br />

endlosen Abfolge von Kritiken. Politisch f<strong>or</strong>muliert: Anarchie oder permanente Revolution.<br />

Aber wie immer wir die Sache drehen und wenden: In jedem Falle erweist sich die<br />

Verwandlung der Idee in Herrschaft, insofern sie „erfolgreich“ und „überleben“<br />

zusammenbringt, als schlichte Tautologie, die noch weniger aussagt als es ohnehin schon<br />

beim ersten Verdacht nach scheint.<br />

Gegen H<strong>or</strong>kheimer/Ad<strong>or</strong>no bleibt es dabei: <strong>Die</strong> Kompromißlosen waren kompromißlos.<br />

Gegen H<strong>or</strong>kheimer/Ad<strong>or</strong>no führe ich das nicht <strong>auf</strong> ihre Dummheit zurück – sondern <strong>auf</strong><br />

ihre Kompromißlosigkeit.<br />

Wenden wir und nun einem der geheimnisvollsten Texte zu, die dieses – an Geheimnissen<br />

sicherlich nicht arme – Buch enthält: Qand même. Schon der Titel macht stutzig. Quand<br />

même heißt trotzdem. Trotz´ dem! Ist das nicht der Imper<strong>at</strong>iv unseres Jahrhunderts? Ein<br />

Trotzdem in der DA ist eine zweideutige Angelegenheit. Es h<strong>at</strong> seinen Ort wohl irgendwo<br />

zwischen der ästhetischen The<strong>or</strong>ie und dem Strick. Es ist ein – auch das gibt es –<br />

resigniertes Trotzdem.<br />

Zur Überwindung der eigenen Schwere, zur Produktion m<strong>at</strong>erieller und geistiger<br />

Werte sind die Menschen durch äußeren Druck gekommen.<br />

...<br />

Der Schluß, daß Schrecken und Zivilis<strong>at</strong>ion untrennbar sind, den die<br />

Konserv<strong>at</strong>iven gezogen haben, ist wohl begründet. 84<br />

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<strong>Die</strong> Begründung, warum H<strong>or</strong>kheimer/Ad<strong>or</strong>no in dieser Angelegenheit mit den Konserv<strong>at</strong>iven<br />

mitziehen, fehlt ebenso wie die Erklärung, warum Schrecken und Zivilis<strong>at</strong>ion untrennbar<br />

sind.<br />

Ein erster Ausweg – der Pfad <strong>des</strong> Papiertigers – wird sichtlich nur erwähnt, um verw<strong>or</strong>fen zu<br />

werden: „Gespielter Zwang ist ohnmächtig.“ 85 Der letzte Rettungsanker – eine<br />

Unterscheidung zwischen Kultur und Zivilis<strong>at</strong>ion – wird über B<strong>or</strong>d gew<strong>or</strong>fen: „Im Zeichen<br />

<strong>des</strong> Henkers vollzog sich die Entwicklung der Kultur.“ 86 Und mit einer typischen, aber nicht<br />

unabweisbaren Figur fahren sie f<strong>or</strong>t – „die Genesis, die die Vertreibung aus dem Paradies<br />

erzählt, und die Soirées de Petersbourg stimmen darin überein.“ 87<br />

Dem widersprechen heißt aller Wissenschaft, aller Logik ins Gesicht schlagen.<br />

<strong>Man</strong> kann nicht den Schrecken abschaffen und die Zivilis<strong>at</strong>ion übrigbehalten.<br />

Schon jenen zu lockern bedeutet den Beginn der Auflösung. 88<br />

Was mag hier passiert sein? Es fällt schwer, <strong>auf</strong> diese Ausführungen genauer einzugehen,<br />

so sehr verstört die Behauptung, daß „Druck“, „Schrecken“, „Brutalität“, „Strenge“, „blutige<br />

Strafen“ und „Zwang“ notwendig seien, damit die Menschheit nicht in einen bellum omnia<br />

contra omnes zurückfällt (und wenn die Menschheit erst wieder in Barbarei versunken ist,<br />

entspringt dieser Barbarei genügend Brutalität und Schrecken, <strong>auf</strong> daß es wieder <strong>auf</strong>wärts<br />

gehe?). Doch H<strong>or</strong>kheimer/Ad<strong>or</strong>no gehen noch weiter: Dem widersprechen heißt aller<br />

Wissenschaft, aller Logik ins Gesicht schlagen.<br />

Ich wage die Behauptung, daß wohl eher die Aut<strong>or</strong>en die Schläger sind. Der ohnehin eher<br />

dürftige Versuch, die Terr<strong>or</strong>these aus dem Dunkel der Vergangenheit herzuleiten, kann als<br />

gescheitert betrachtet werden:<br />

Der Widerstand der äußeren N<strong>at</strong>ur ... setzt sich innerhalb der Gesellschaft<br />

durch die Klassen f<strong>or</strong>t und wirkt <strong>auf</strong> je<strong>des</strong> Individuum von Kindheit an<br />

[wohlgemerkt, wir sprechen immer noch vom Widerstand der äußeren N<strong>at</strong>ur] als<br />

Härte der Mitmenschen. 89<br />

Etwas sonderbar mutet auch die Aussage an, daß sich der antreibende Widerstand<br />

zunächst im V<strong>at</strong>er inkarniere. Und der Schritt vom Widerstand der N<strong>at</strong>ur – Widerstand,<br />

nicht Druck! – zum Zeichen <strong>des</strong> Henkers, unter dem die Entwicklung der Kultur st<strong>at</strong>tfindet,<br />

scheint doch etwas zu groß ger<strong>at</strong>en.<br />

Es genügt eigentlich ein rel<strong>at</strong>iv kurzer Blick in die Wissenschaftsgeschichte und die<br />

Kulturgeschichte, um die <strong>auf</strong>gestellten Behauptungen zu widerlegen. <strong>Die</strong> Anzahl der<br />

Erfindungen und Entdeckungen, die zufällig gemacht wurden, ist ansehnlich. Das Prinzip<br />

<strong>des</strong> trial and err<strong>or</strong>, das getrost als Ursprung – und als im Experiment immer noch<br />

v<strong>or</strong>handener Hinweis <strong>auf</strong> denselben – bezeichnet werden kann, kann <strong>auf</strong>grund der rein<br />

st<strong>at</strong>istischen Erfolgsaussichten, die es h<strong>at</strong>, bei größerem Druck kaum Anwendung finden.<br />

Angesehen davon gibt uns die Ur- und Frühgeschichte Auskunft darüber, daß die<br />

Menschheit schon damals nicht ums nackte Überleben kämpfte, sondern einfach zufällig<br />

entdeckte Verbesserungen adaptierte. <strong>Die</strong> Menschen waren auch ohne Kenntnisse <strong>des</strong><br />

Ackerbaus nicht vom Aussterben bedroht, sie konnten sich´s allerdings mit <strong>des</strong>sen Hilfe<br />

immens verbessern.<br />

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Des weiteren stellt sich die Frage, wie weit bzw. wie eng hier der Begriff „Zivilis<strong>at</strong>ion“ gefaßt<br />

wird. Nachdem H<strong>or</strong>kheimer/Ad<strong>or</strong>no aber sogar die Genesis als Beleg heranziehen, darf<br />

getrost angenommen werden, daß sie ihr Gesetz gern ab dem homo cromagnensis beginnen<br />

ließen. Das heißt, das Zeichen <strong>des</strong> Henkers erscheint nicht erst in den<br />

Sklavenhaltergesellschaften am H<strong>or</strong>izont der Zivilis<strong>at</strong>ion, sondern in genau jenem Moment,<br />

in dem Stanley Kubrick in 2001 hinter dem schwarzen Monolithen, dem geheimnisvollen<br />

Kulturbringer unbekannter Herkunft, die Sonne der Menschwerdung <strong>auf</strong>gehen läßt.<br />

Wer den Film kennt, wird mir entgegenhalten, daß die relevante Handlung dieser Szene die<br />

Entdeckung ist, daß man einen Knochen als Schlaginstrument benutzen kann, was prompt<br />

dazu führt, daß dem weniger innov<strong>at</strong>iven Mitaffen damit der Schädel eingeschlagen wird,<br />

daß also am Anfang der Menschwerdung ein M<strong>or</strong>d steht, daß der erste Prim<strong>at</strong>, der sich <strong>auf</strong><br />

den Weg zum Menschen macht, dies dadurch tut, daß er die Rolle <strong>des</strong> Henkers einnimmt.<br />

Es ist unbestritten, daß die Aggression in der Geschichte der Menschheit ständig präsent<br />

ist, und die Ethologie bestätigt diesen Stellenwert auch für Prim<strong>at</strong>en. Was<br />

H<strong>or</strong>kheimer/Ad<strong>or</strong>no hier v<strong>or</strong>legen, ist jedoch nicht bloß ein Hinweis <strong>auf</strong> eine stimulierende<br />

Wirkung äußeren Drucks unter der besondern Berücksichtigung der Rolle<br />

zwischenmenschlicher Aggressivität, sondern eine The<strong>or</strong>ie der Unverzichtbarkeit <strong>des</strong><br />

Terr<strong>or</strong>s.<br />

Doch nicht nur aller Wissenschaft, sondern gar aller Logik soll ins Gesicht schlagen, wer die<br />

Rolle von Zwang und Brutalität als deus cre<strong>at</strong><strong>or</strong> civilis<strong>at</strong>ionis nicht anerkennen will. Das<br />

leiten die Aut<strong>or</strong>en offensichtlich aus der T<strong>at</strong>sache ab, daß sie nicht gewillt sind, die<br />

rhet<strong>or</strong>ische Frage zu beantw<strong>or</strong>ten, die sie stellen:<br />

Was könnte die Menschen sonst dazu bringen, sich so zu entfalten..., wenn<br />

nicht die ... Entwicklung, die am äußeren Widerstand sich entzünden muß 90 a<br />

Von dieser in Fragef<strong>or</strong>m v<strong>or</strong>gelegten Prämisse ausgehend, ist es nicht schwer, zum<br />

ausgewiesenen Result<strong>at</strong> zu gelangen. Aber stimmt sie?<br />

<strong>Die</strong> Menschheit macht im spielerischen, also gerade nicht zwanghaften Umgang mit der<br />

Welt die meisten ihrer Entdeckungen. In diesem, gar nicht unter demZeichen <strong>des</strong> Henkers<br />

stehenden, Bereich macht die Menschheit ihre großen Schritte. <strong>Die</strong> Entwicklung der<br />

Menschheit ist nicht ein ständiges Davonl<strong>auf</strong>en v<strong>or</strong> dem drohenden Untergang, sondern ein<br />

beständiges Verbessern der Lebensbedingungen, ein Verbessern allerdings, das unter dem<br />

Zeichen <strong>des</strong> Zufalls noch eher steht als unter dem <strong>des</strong> Henkers.<br />

Warum aber – nach all dem Gesagten – heißt der Text nun gerade quand même? <strong>Die</strong><br />

Antw<strong>or</strong>t gibt der letzte S<strong>at</strong>z, der vielleicht merkwürdigste <strong>des</strong> ganzen Buches. Ich gestehe es<br />

freimütig, ich kann ihn nicht erklären (also auch nicht verstehen). Deshalb gebe ich ihn<br />

unkommentiert wieder. Zunächst aber weisen H<strong>or</strong>kheimer/Ad<strong>or</strong>no dar<strong>auf</strong> hin, daß aus dem<br />

a Erneut: Sobald es etwas konkreter wird, ist von Widerstand die Rede; an den übrigen<br />

Stellen kommen Henker, Zwang und Terr<strong>or</strong> ins Spiel.<br />

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von ihnen Angeführten verschiedene Konsequenzen gezogen werden können, „von der<br />

Anbetung faschistischer Barbarei bis zur Zuflucht zu den Höllenkreisen“ 91 . Dann kommt´s:<br />

Es gibt noch eine weitere: der Logik spotten, wenn sie gegen die Menschheit<br />

ist. 92<br />

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