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Themen der Beiträge: - Flottenschule

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Beilage <strong>der</strong> Tageszeitung Junge Welt vom 01.03.2006<br />

Gedanken zum 50. Jahrestag <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> NVA<br />

<strong>Themen</strong> <strong>der</strong> <strong>Beiträge</strong>:<br />

Kampfauftrag: kein Krieg S. 2<br />

34 Jahre NVA im Überblick S. 3<br />

Die tatsächliche Gefahr aus <strong>der</strong> DDR: Friedensangebote und Abrüstungsvorschläge S. 6<br />

Antifaschist <strong>der</strong> ersten Stunde S. 7<br />

Dokumentiert. »Stets zuverlässige Waffenbrü<strong>der</strong> und treue Verbündete« S. 8<br />

»Kein Grund, sich zu schämen« S. 9<br />

Im Stab <strong>der</strong> Koalitionstruppen S. 12<br />

Die Grün<strong>der</strong>generalität S. 15<br />

Soldat im Dauerstreß S. 17<br />

Feindbil<strong>der</strong> S. 18<br />

Wir trauern um... S. 19<br />

Abgeschrieben S. 20


Kampfauftrag: kein Krieg<br />

Vor 50 Jahren begann die Geschichte <strong>der</strong> ersten Friedensarmee in <strong>der</strong> deutschen<br />

Militärgeschichte. Sie endete unvorhergesehen, aber ebenfalls friedlich, und hinterließ<br />

bemerkenswerte Spuren<br />

Von Peter Rau<br />

Der 1. März – Tag <strong>der</strong> NVA, <strong>der</strong> Nationalen Volksarmee <strong>der</strong> DDR. Lang, lang ist’s her. Aber<br />

lange noch nicht vergessen, denn immerhin haben wenigstens zweieinhalb, wenn nicht gar<br />

drei Millionen DDR-Bürger seinerzeit freiwillig o<strong>der</strong> wehrpflichtgemäß, auf Jahre und<br />

Jahrzehnte hinaus o<strong>der</strong> zeitweise dieser Armee ihr Gesicht gegeben. Was im Jahr 1956<br />

begonnen hatte, endete nach 34 Jahren, sieben Monaten und einem Tag umständehalber, aber<br />

friedlich. Wie sich das für eine Armee des Volkes und des Friedens geziemt. Und wie <strong>der</strong><br />

Untergang jenes Staates, zu dessen Schutz sie einst aufgestellt worden war, ist sie in die<br />

Weltgeschichte eingegangen – als Fußnote.<br />

O<strong>der</strong> auch nicht: Die schußlos obsiegende Bundeswehr mit ihren gestandenen »Staatsbürgern<br />

in Uniform« und »Soldaten in <strong>der</strong> Demokratie«, die die Reste <strong>der</strong> ungeschlagen geschlagenen<br />

Armee übernahmen, hatte für die Angehörigen <strong>der</strong> NVA, nachdem sie am 2. Oktober 1990<br />

auch noch trophäenmäßig <strong>der</strong>en letzten Truppenfahnen eingesackt hatten, ein beson<strong>der</strong>es<br />

Abschiedsgeschenk parat: den Stempel »Gedient in fremden Streitkräften«. Damit ist die<br />

bisher einzige deutsche Armee, die nie fremdes Territorium unter ihre Stiefel genommen und<br />

nie einen Krieg geführt hatte, militärisch kurz und bündig aus <strong>der</strong> deutschen Militärgeschichte<br />

herausmanövriert worden.<br />

Das mag viele <strong>der</strong> so Abgestempelten bitter betroffen machen, es steckt jedoch mehr als nur<br />

ein Körnchen tröstlicher Wahrheit in diesen vier simplen Worten. (Die eventuellen<br />

rentenrechtlichen Konsequenzen, so böse sie im Einzelfall auch sein mögen, muß ich in dem<br />

Zusammenhang mal unbeachtet lassen.) Die Abqualifizierung <strong>der</strong> DDR-Streitkräfte als<br />

»fremde Streitkräfte« durch die Bundesrepublik Deutschland und ihre Bundeswehr beweist<br />

schließlich genaugenommen nur: Sie haben den Charakter dieser Truppe nicht verstanden.<br />

Eine Armee, die keinen Krieg in den Stiefeln hat, die Krieg verhin<strong>der</strong>n will, ist ihnen fremd.<br />

Eine Armee, die einem potentiellen Angreifer auf Militärparaden die Instrumente zeigt und<br />

gewissermaßen mit dem Säbel rasselt, um keine Säbel ziehen zu müssen. Eine Armee, in <strong>der</strong><br />

einfache Arbeiter höchste Kommandostellen bekleiden. Eine Armee, die nicht die<br />

Wehrmachtstradition hochhält. Eine Armee, die von gestandenen Antifaschisten, von Leuten,<br />

die gegen Hitler und Nazideutschland Wi<strong>der</strong>stand leisteten, aufgebaut und in diesem Sinne<br />

fortentwickelt worden ist. Eine Armee, die Feinden von einst Freund und Waffenbru<strong>der</strong> war.<br />

Eine Armee gar, die von einer Partei »instrumentalisiert« wurde, <strong>der</strong>en erster Mann den »Sinn<br />

des Soldatseins im Sozialismus« darin sah »zu verhin<strong>der</strong>n, daß die Waffen sprechen«. Eine<br />

Armee, die auf einen Staat eingeschworen war, <strong>der</strong> Frieden meinte, wenn er Frieden sagte.<br />

Wer eine solche Armee nicht versteht, <strong>der</strong> muß folglich an<strong>der</strong>s gestrickt sein. Wem eine<br />

solche Armee fremd vorkommt, <strong>der</strong> bestätigt damit nur: Alles, was die NVA war, das alles ist<br />

die Bundeswehr nicht. Und da kann einer als »Gedienter in fremden Streitkräften« doch<br />

ziemlich stolz drauf sein. Ich jedenfalls bin es.


34 Jahre NVA im Überblick<br />

Daten und Fakten aus <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Nationalen Volksarmee<br />

- 1956: Knapp ein Jahr nach Einbindung <strong>der</strong> BRD in die NATO und rund zwei Monate nach<br />

Gründung <strong>der</strong> westdeutschen Bundeswehr beschließt die Volkskammer <strong>der</strong> DDR am 18.<br />

Januar mit Zustimmung aller Fraktionen das Gesetz über die Schaffung <strong>der</strong> Nationalen<br />

Volksarmee. Einen Tag später beruft Ministerpräsident Otto Grotewohl Generaloberst Willi<br />

Stoph, zwischen 1952 und 1955 Minister des Innern, zum Verteidigungsminister. Im selben<br />

Monat stimmt das Führungsgremium des Warschauer Vertrages dem Antrag <strong>der</strong> DDR zu,<br />

nach Formierung <strong>der</strong> NVA bewaffnete Kontingente in die Vereinten Streitkräfte <strong>der</strong> am 14.<br />

Mai 1955 gegründeten sozialistischen Militärkoalition einzuglie<strong>der</strong>n. Am 1. März 1956<br />

nehmen Ministerium und die Verwaltungen <strong>der</strong> Teilstreitkräfte ihre Tätigkeit auf. Der Tag gilt<br />

als Gründungsdatum <strong>der</strong> Volksarmee, in <strong>der</strong> zunächst Dienst auf freiwilliger Grundlage<br />

(mindestens zwei Jahre) geleistet wird. Den Grundstock <strong>der</strong> Streitkräfte bilden Angehörige<br />

<strong>der</strong> 1952 geschaffenen Kasernierten Volkspolizei, die im Jahresverlauf aufgelöst wird. Im Juli<br />

wird beschlossen, die vorgesehene Personalstärke von 120 000 Mann auf 90 000 zu<br />

verringern.<br />

- 1959: Im Januar nimmt in Dresden die Militärakademie »Friedrich Engels« ihre Arbeit auf.<br />

Ein Beschluß des SED-Politbüros verpflichtet alle Offiziere und Generale, (ohne Än<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Dienstbezüge) jährlich vier Wochen Dienst als einfache Soldaten in <strong>der</strong> Truppe zu leisten.<br />

Analog dazu sollen Einsätze in <strong>der</strong> Produktion bis zu zwölf Monaten insbeson<strong>der</strong>e die<br />

Volksverbundenheit von Offiziersschülern und Armeeangehörigen ohne<br />

Produktionserfahrungen festigen. Beide Vorhaben werden 1960/1961 wie<strong>der</strong> rückgängig<br />

gemacht.<br />

- 1960: Am 14. Juli übernimmt <strong>der</strong> bisherige 1. Stellvertreter des Ministers und Chef des<br />

Hauptstabes, Generaloberst Heinz Hoffmann ( ab März 1961 Armeegeneral), das Amt des<br />

Verteidigungsministers; Willi Stoph wird Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates.<br />

Im Gedenken an den Kieler Matrosenaufstand von 1918 werden die Seestreitkräfte in<br />

»Volksmarine« umbenannt.<br />

- 1961: Während <strong>der</strong> Sicherung <strong>der</strong> DDR-Staatsgrenzen zu Westberlin und zur BRD werden<br />

Truppen <strong>der</strong> NVA in <strong>der</strong> zweiten Sicherungsstaffel eingesetzt.<br />

- 1962: Am 24. Januar beschließt die Volkskammer das Gesetz über die allgemeine<br />

Wehrpflicht. Der Grundwehrdienst wird darin auf eine Dauer von 18 Monaten festgelegt.<br />

- 1963: Die NVA hat eine Personalstärke von 147 000 erreicht, darunter rund 25 500<br />

Offiziere, 28 900 Unteroffiziere und 92 500 Mannschaften. Mit dem Manöver »Quartett« mit<br />

etwa 40 000 Teilnehmern aus vier Koalitionsarmeen wird im September die erste große<br />

gemeinsame Übung auf DDR-Gebiet, geleitet von Armeegeneral Hoffmann, absolviert.<br />

- 1964: Für die Sommermonate vermerkt die NVA-Chronik den Einsatz von rund 17 000<br />

Armeeangehörigen in <strong>der</strong> Landwirtschaft. In diesem Jahr beginnt die Aufstellung beson<strong>der</strong>er<br />

Baueinheiten, in denen Wehrpflichtige, die aus religiösen Gründen Dienst mit <strong>der</strong> Waffe<br />

ablehnen, einen Ersatzdienst leisten können.<br />

- 1967: Wie alljährlich zum 1. März erhalten weitere Regimenter und Kasernen Ehrennamen,<br />

u. a. den des »Kleinen Trompeters« Fritz Weineck, des KPD-Funktionärs John Schehr und<br />

des antifaschischen Wi<strong>der</strong>standskämpfers Harro Schulze-Boysen. Im Volksmarinestandort


Peenemünde werden auf Anregung <strong>der</strong> FDJ-Zeitung Junge Welt Landungsbooten die Namen<br />

von Angehörigen <strong>der</strong> faschistischen Marine verliehen, die in den letzten Kriegstagen wegen<br />

Befehlsverweigerung und Meuterei hingerichtet worden waren. Ihr Schicksal war von <strong>der</strong><br />

Tageszeitung recherchiert worden.<br />

- 1968: Im August werden im Zusammenhang mit einer Intervention <strong>der</strong> Staaten des<br />

Warschauer Vertrages in <strong>der</strong> CSSR auch Einheiten <strong>der</strong> NVA mobilisiert und in Bereitschaft<br />

versetzt; sie verbleiben jedoch als Sicherungskräfte in ihren Bereitstellungsräumen, ohne die<br />

Grenze zum Nachbarland zu überschreiten.<br />

- 1969: Verteidigungsminister Hoffmann übergibt den Botschaftern <strong>der</strong> DRV und <strong>der</strong> in den<br />

befreiten Gebieten Südvietnams gebildeten Republik eine Solidaritätsspende <strong>der</strong> NVA-<br />

Angehörigen von 2,5 Millionen Mark. Seit Beginn <strong>der</strong> US-Aggression gegen Vietnam beläuft<br />

sich die Gesamtsumme ihrer Spenden damit auf insgesamt mehr als 13 Millionen Mark.<br />

- 1970: In vielen Einheiten wird erstmals die schon Tradition gewordende »Woche <strong>der</strong><br />

Waffenbrü<strong>der</strong>schaft« durchgeführt. Zwischen 23. Februar und 1. März, den Jahrestagen von<br />

Sowjet- und Volksarmee, finden zahlreiche Treffen mit den Gefährten vom »Regiment<br />

nebenan« statt.<br />

- 1971: Den Offiziersschulen <strong>der</strong> NVA und <strong>der</strong> Grenztruppen – sie tragen seit 1964 die<br />

Namen von Ernst Thälmann, Franz Mehring, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg – wird<br />

<strong>der</strong> Status von Hochschulen verliehen; ihre Absolventen erhalten einen entsprechenden<br />

Abschluß. 1983 wird den Offiziershochschulen vom Ministerium für Hoch- und<br />

Fachschulwesen auch das Diplomrecht zuerkannt.<br />

- 1973: Mit einer neuen, vom Nationalen Verteidigungsrat erlassenen Dienstlaufbahnordnung<br />

wird für Militärspezialisten und Berufsunteroffiziere <strong>der</strong> Dienstgrad Fähnrich –<br />

Mindestdienstzeit 15 Jahre – eingeführt. Neu ist auch das Dienstverhältnis für Offiziere auf<br />

Zeit, die nach einjähriger Ausbildung im Range eines Unterleutnants einen zweijährigen<br />

Truppendienst absolvieren.<br />

- 1978: Mit Oberstleutnant Sigmund Jähn, Angehöriger <strong>der</strong> Luftstreitkräfte, startet am 26.<br />

August an <strong>der</strong> Seite des sowjetischen Kosmonauten Waleri Bykowski <strong>der</strong> erste Deutsche zu<br />

einer einwöchigen Mission ins Weltall.<br />

- 1979: Im Januar sind erneut Zehntausende NVA-Angehörige mit rund 3 000 Kfz, Panzern<br />

und Spezialtechnik im Einsatz, um vor allem im Verkehrswesen und in <strong>der</strong> Energiewirtschaft<br />

die Folgen eines extremen Wintereinbruchs zu mil<strong>der</strong>n.<br />

- 1980: Das NVA-Wachregiment, u. a. zuständig für den wöchentlichen Großen Wachaufzug<br />

am Ehrenmal für die Opfer des Faschismus und Militarismus Unter den Linden in Berlin,<br />

erhält den Ehrennamen Friedrich Engels. Im September richtet die NVA mit dem Manöver<br />

»Waffenbrü<strong>der</strong>schaft 80« zehn Jahre nach »Waffenbrü<strong>der</strong>schaft 70« erneut eine vom DDR-<br />

Verteidigungsminister geleitete Übung aus, an <strong>der</strong> Stäbe und Truppen aller Armeen des<br />

Warschauer Vertrages mit etwa 40 000 Mann teilnehmen.<br />

- 1982: Mit Volkskammerbeschluß vom 25. März tritt ein neues Wehrdienstgesetz in Kraft<br />

und an die Stelle des Wehrpflichtgesetzes aus dem Jahr 1962. Es räumt u. a. auch Frauen das<br />

Recht ein, auf freiwilliger Basis Dienst als Soldat auf Zeit o<strong>der</strong> Berufssoldat zu leisten. Neu<br />

eingeführt wird in einer Folgebestimmung über militärische Dienstgrade u. a. <strong>der</strong> Rang eines


Flottenadmirals und eines Marschalls <strong>der</strong> DDR. (Beide Dienstgrade werden jedoch bis zum<br />

Ende <strong>der</strong> DDR nicht vergeben.)<br />

- 1984: Am alljährlichen Empfang des Staatsratsvorsitzenden für die Absolventen <strong>der</strong><br />

Militärakademie »Friedrich Engels« nehmen erstmals auch Offiziere <strong>der</strong> Sowjetarmee teil, die<br />

die höchste militärische Bildungseinrichtung <strong>der</strong> DDR absolviert haben.<br />

- 1985: Für den am 2. Dezember verstorbenen Heinz Hoffmann wird <strong>der</strong> stellvertretende<br />

Minister Generaloberst Heinz Keßler zum Verteidigungsminister berufen und zum<br />

Armeegeneral beför<strong>der</strong>t.<br />

- 1986: Zum 30. Jahr ihres Bestehens kann die am 1. Oktober 1956 gegründete<br />

Armeesportvereinigung Vorwärts darauf verweisen, daß aus ihren Reihen bisher 33<br />

Olympiasieger sowie 123 Welt- und Europameister hervorgegangen sind.<br />

- 1987: Gemäß <strong>der</strong> Vereinbarungen <strong>der</strong> Stockholmer KSZE-Konferenz über vertrauen- und<br />

sicherheitsbildende Maßnahmen in Europa schickt auch die NVA erstmals<br />

Manöverbeobachter in westliche Staaten. Bis Oktober 1988 weilten 250 Beobachter aus 27<br />

Län<strong>der</strong>n zu Truppenübungen in <strong>der</strong> DDR; die NVA entsandte bis zu diesem Zeitpunkt<br />

Offiziere zu insgesamt 40 Übungen, davon 16 in NATO-Staaten.<br />

- 1988: Im Juli verfügt die NVA über eine Gesamtstärke von 173 100 Armeeangehörigen, von<br />

denen 103 000 in den Landstreitkräften, 34 600 Mann in den<br />

Luftstreitkräften/Luftverteidigung und 14 200 in den Seestreitkräften ausgewiesen sind. Zum<br />

Bestand gehören u. a. 3 140 Panzer und 5 900 Schützenpanzer(wagen), 2 435 Geschütze,<br />

Geschoß- und Granatwerfer sowie 80 Startrampen für taktische Raketen; hinzu kommen u. a.<br />

242 Jagd- und 41 Jagdbombenflugzeuge <strong>der</strong> Typen Mig 21, MiG 23 und Su 22 sowie<br />

verschiedene Fla-Raketensysteme.<br />

- 1989: Als Beitrag zu laufenden Verhandlungen über die Reduzierung <strong>der</strong> konventionellen<br />

Streitkräfte und Rüstungen in Europa gibt die DDR – einseitig und ohne Vorbedingungen –<br />

die Verringerung <strong>der</strong> NVA um 10 000 Mann, die Verschrottung bzw. Umrüstung von 600<br />

Panzern zu volkswirtschaftlichen Zwecken sowie die Außerdienststellung von 50<br />

Kampfflugzeugen und die Reduzierung <strong>der</strong> Verteidigungsausgaben um zehn Prozent bekannt.<br />

Im Verlauf <strong>der</strong> Herbstereignisse erklärt Verteidigungsminister Keßler seinen Rücktritt;<br />

Nachfolger wird <strong>der</strong> Chef <strong>der</strong> Volksmarine, Admiral Theodor Hoffmann. In <strong>der</strong> NVA wird<br />

eine grundlegende Militärreform eingeleitet.<br />

- 1990: Nach den Wahlen im März wird <strong>der</strong> ehemalige NVA-Bausoldat Rainer Eppelmann in<br />

<strong>der</strong> CDU-geführten Regierung »Minister für Abrüstung und Verteidigung«; Admiral<br />

Hoffmann erhält dafür den neugeschaffenen Posten »Chef <strong>der</strong> NVA«. Als solcher kann er im<br />

Prinzip aber auch nur zusehen, wie die von <strong>der</strong> BRD gewollte Abwicklung <strong>der</strong> DDR-Armee,<br />

voranschreitet, bis nur noch ein zurechtgestutzter Torso als Aushängeschild für die<br />

sogenannte Armee <strong>der</strong> Einheit übriggeblieben ist und am 2. Oktober 1990 die NVA zu<br />

bestehen aufhört. (jW)


Die tatsächliche Gefahr aus <strong>der</strong> DDR: Friedensangebote und<br />

Abrüstungsvorschläge<br />

Ein Überblick über die Geschichte <strong>der</strong> NVA muß unvollständig bleiben ohne die zahllosen<br />

Vorschläge <strong>der</strong> DDR, die <strong>der</strong> BRD in Sachen Friedenssicherung, Entspannung und Abrüstung<br />

unterbreitet worden sind. Schon lange vor Gründung <strong>der</strong> Volksarmee wurden Appelle zur<br />

Bewahrung bzw. Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong> deutschen Einheit, zur Einhaltung <strong>der</strong> Bestimmungen<br />

des Potsdamer Abkommens, für den Abschluß eines Friedensvertrages o<strong>der</strong> zum Abzug aller<br />

ausländischen Truppen von deutschem Boden ausgesandt. Schon am 30. Januar 1950 schlug<br />

die Volkskammer dem Bundestag vor, die zahlenmäßige Stärke <strong>der</strong> Polizei zu begrenzen und<br />

auf die Schaffung eigener Streitkräfte zu verzichten.<br />

Im selben Jahr wird eine von westdeutschen Friedenskräften angeregte Volksbefragung gegen<br />

die Remilitarisierung in beiden deutschen Staaten von <strong>der</strong> DDR durchgeführt und in <strong>der</strong> BRD<br />

von Staats wegen untersagt.<br />

1954 wurde zum wie<strong>der</strong>holten Mal <strong>der</strong> gegenseitige Verzicht auf den Beitritt zu<br />

Militärbündnissen und eigene Armeen angeregt. Und am selben Tag, an dem die<br />

Volkskammer die Schaffung <strong>der</strong> NVA beschlossen hat, offerierte die DDR-Regierung einen<br />

gegenseitigen Gewaltverzicht. Im Mai 1956 wurde vorgeschlagen, auf die Einführung <strong>der</strong><br />

Wehrpflicht zu verzichten, wenigstens eine Vereinbarung über die Begrenzung <strong>der</strong><br />

Streitkräfte zu treffen und keine Stationierung von Atomwaffen auf deutschem Boden<br />

zuzulassen. Drei Jahre später legte die DDR-Regierung Bundeskanzler Adenauer den<br />

Abschluß eines Nichtangriffspaktes nahe. Wenige Monate später wurde ein acht Punkte<br />

umfassen<strong>der</strong> Vorschlag zu Abrüstung und Verständigung vorgelegt: Dazu gehören u. a.<br />

Verzicht auf jedwede Atomrüstung wie auf die Wehrpflicht, sofortiger Rüstungsstopp,<br />

Beschränkung <strong>der</strong> Streitkräfte, Verbot je<strong>der</strong> Form von Kriegspropaganda und Verzicht auf<br />

territoriale For<strong>der</strong>ungen gegenüber an<strong>der</strong>en Staaten. 1960 folgte ein Vorschlag für allgemeine<br />

und vollständige Abrüstung in Deutschland sowie, auf dem Wege dahin, eines bilateralen<br />

Friedensabkommens für zunächst zehn Jahre.<br />

Auch in den Jahren nach dem 13. August 1961 werden immer wie<strong>der</strong> vergleichbare Angebote<br />

unterbreitet – unannehmbar konnten sie nur für ein Regime sein, das Grenzen in Frage stellt,<br />

Ansprüche auf fremde Gebiete erhebt o<strong>der</strong> eben das eigenen Land sonstwo in <strong>der</strong> Welt<br />

verteidigen möchte. (jW)


Antifaschist <strong>der</strong> ersten Stunde<br />

Heinz Hoffmann stand als DDR-Verteidigungsminister 25 Jahre an <strong>der</strong> Spitze <strong>der</strong> NVA<br />

Von Julian Weber<br />

Haben Sie schon mal einen Minister, noch dazu einen Verteidigungsminister, getroffen, <strong>der</strong><br />

freimütig und öffentlich zugegeben hat, unter gegnerischem Beschuß wie ein Hase ums<br />

nackte Leben gerannt zu sein? Armeegeneral Heinz Hoffmann, in Personalunion DDR-<br />

Minister für Nationale Verteidigung und Chef <strong>der</strong> NVA, war so ein Typ. Seiner Autorität bei<br />

Offizieren wie Soldaten tat das keinen Abbruch, im Gegenteil. Die erwähnte Episode hatte<br />

sich im Juni 1937 an <strong>der</strong> Guadalajara-Front des Krieges in Spanien zugetragen. Es geschah im<br />

Kampf gegen eine Eliteeinheit <strong>der</strong> Franco-Putschisten, die gemeinsam mit faschistischen<br />

Interventionstruppen aus Italien und <strong>der</strong> aus Hitlerdeutschland eingeflogenen Legion Condor -<br />

mit dem späteren Bundeswehridol Werner Möl<strong>der</strong>s o<strong>der</strong> einem Bundeswehrgeneralinspekteur<br />

namens Heinz Trettner zum Beispiel – die demokratisch gewählte Volksfrontregierung<br />

stürzen wollten. Hoffmann, 1910 in einer Mannheimer Arbeiterfamilie geboren, gehörte zu<br />

den Zehntausenden Freiwilligen aus aller Welt, die <strong>der</strong> Republik zu Hilfe kamen. Er nannte<br />

sich damals Roth und war erst im März, aus <strong>der</strong> sowjetischen Emigration kommend, wo er an<br />

<strong>der</strong> Internationalen Leninschule in Moskau gelernt und zuletzt noch in Rjasan eine kurze<br />

militärische Ausbildung absolviert hatte, in Spanien eingetroffen. Nach einem Zwischenspiel<br />

im Ausbildungsbataillon <strong>der</strong> XI. Internationalen Brigade wurde er im Juni als Kommissar des<br />

Hans-Beimler-Bataillons eingesetzt und erhielt nun bei dem Dörfchen Utande seine<br />

Feuertaufe. Nach einem gelungenen Überraschungsangriff mußte das Bataillon angesichts<br />

feindlicher Übermacht den Rückzug antreten. »Ich weiß nicht, ob es an meiner Körpergröße<br />

o<strong>der</strong> an meiner Le<strong>der</strong>kombination lag, die mich als Kommissar kenntlich machte, jedenfalls<br />

merkte ich plötzlich, daß sich das Feuer <strong>der</strong> Faschisten auf mich konzentrierte. Sie schossen<br />

mit MGs. Ich sah es an den dicht hinter- und nebeneinan<strong>der</strong>liegenden Einschlägen um mich<br />

herum. Ich rannte, fiel, stolperte im Zickzack weiter und hatte dabei nur immer den einen<br />

Gedanken: Jetzt haben sie dich! Jetzt ist es aus! Ich lief um mein Leben.«<br />

Er hatte Glück, hier jedenfalls. Nur einen Monat später, während einer Entlastungsoffensive<br />

bei Brunete, wurde er von mehreren Schüssen in Unterleib und Beine schwer verwundet; die<br />

Genesung – zuerst im Lazarett in Spanien, später in einem Pariser Hospital und schließlich in<br />

<strong>der</strong> Sowjetunion – zog sich jahrelang hin. Auch nach dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die<br />

UdSSR war an einen militärischen Einsatz nicht zu denken. Seine Partei, die KPD, <strong>der</strong> er seit<br />

seinem 20. Lebensjahr angehörte, schickte ihn in Absprache mit den sowjetischen Genossen<br />

als Instrukteur in ein Kriegsgefangenenlager. Später arbeitete er als Lehrer an <strong>der</strong> Zentralen<br />

Antifaschule; in einem <strong>der</strong> letzten Lehrgänge zählten auch die in Kriegsgefangenschaft<br />

geratenen Wehrmachtsgenerale Arno von Lenski und Vincenz Müller zu seinen Kursanten ...<br />

Beide gehörten 1956 zur ersten Generalsgeneration <strong>der</strong> NVA. Zu dieser Zeit drückte ihr<br />

früherer Lehrer – <strong>der</strong> bereits 1949, noch vor Gründung <strong>der</strong> DDR, als Vizepräsident <strong>der</strong><br />

Verwaltung des Innern zum Generalinspekteur ernannt worden war und 1952 bis 1955 im<br />

Range eines Generalleutnants an <strong>der</strong> Spitze <strong>der</strong> KVP gestanden hatte – noch bis 1957 an <strong>der</strong><br />

sowjetischen Generalstabsakademie selbst die Schulbank, um das nötige Rüstzeug für<br />

künftige Aufgaben zu erwerben. Zwischen 1957 und 1960 war Hoffmann 1. Stellvertreter des<br />

Verteidigungsministers, ehe er von Willi Stoph das Ministeramt übernahm, das er bis zu<br />

seinem Tod am 2. Dezember 1985 bekleiden sollte.<br />

Und mögen sich heutige Zeitgenossen, die dem Mann zwar durchaus Charisma, lauteren<br />

Charakter und eine umgängliche Art bescheinigen, auch über die oft <strong>der</strong>be Sprache des<br />

Militärs und Klassenkämpfers Hoffmann wie seine »vom Geist des Kalten Krieges getragenen<br />

Reden« (so <strong>der</strong> ehemalige DDR-Militärhistoriker Paul Hei<strong>der</strong> in einer biografischen Skizze)


monieren: Der Minister hatte wohl recht damit, wenn er seine Truppen stets mahnte und<br />

darauf orientierte, besser auf den Kampf vorbereitet zu sein als <strong>der</strong> Gegner, um diesen eben<br />

von kriegerischen Abenteuern abzuhalten. Das jedenfalls läßt sich heute angesichts wenig<br />

friedlicher Zeiten unschwer konstatieren.<br />

Dokumentiert. »Stets zuverlässige Waffenbrü<strong>der</strong> und treue Verbündete«<br />

Wir dokumentieren leicht gekürzt ein Grußschreiben aus Moskau, das an Armeegeneral a. D.<br />

Heinz Keßler und Admiral a. D. Theodor Hoffmann in Berlin/Strausberg adressiert wurde und<br />

anläßlich des 50. Jahrestages <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> Nationalen Volksarmee <strong>der</strong> DDR allen<br />

Veteranen <strong>der</strong> NVA und <strong>der</strong> Volksmarine gilt.<br />

Liebe Freunde!<br />

Wir gratulieren euch herzlich zum 50. Jahrestag <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> NVA <strong>der</strong> DDR! Die<br />

Soldaten <strong>der</strong> Sowjetarmee und <strong>der</strong> GSSD (Gruppe <strong>der</strong> Sowjetischen Streitkräfte in<br />

Deutschland – d. Red.) hatten zuverlässige Waffenbrü<strong>der</strong> und treue Verbündete an ihrer Seite<br />

– die Angehörigen <strong>der</strong> NVA <strong>der</strong> DDR, die Schulter an Schulter mit ihnen ihre Pflicht<br />

erfüllten. (...)<br />

Die NVA erfüllte immer treu ihre Bündnisverpflichtungen und betrachtete es als ihre<br />

vordringliche Aufgabe, hohe Wachsamkeit zu üben und ihre Gefechtsbereitschaft auf dem<br />

erfor<strong>der</strong>lichen Stand zu halten. Dazu trugen die planmäßig im Koalitionsbestand<br />

durchgeführten Übungen und Manöver bei.<br />

Wir denken dabei an die gemeinsamen Übungen Quartett (1963), Oktobersturm (1965),<br />

Waffenbrü<strong>der</strong>schaft (1970 und 1980), Sojus-8l, Sojus-83, Jug-84. (...) Erfahrungsaustausch,<br />

Wettbewerb auf den Truppenübungsplätzen, gemeinsame Gefechtstrainings <strong>der</strong> Bedienungen<br />

und Besatzungen waren Alltag im Leben <strong>der</strong> Soldaten <strong>der</strong> NVA und <strong>der</strong> GSSD. Direkte<br />

Kontakte mit den Waffenbrü<strong>der</strong>n, Bekanntschaften, Gespräche über ihr Leben, ihre<br />

persönlichen Wünsche und Pläne brachten die Soldaten bei<strong>der</strong> Armeen einan<strong>der</strong> näher.<br />

Sie waren sich immer sicher, daß einer sich auf den an<strong>der</strong>en verlassen kann. Gemeinsame<br />

Übungen, Feldlager und Gefechtsschießen bleiben für immer in <strong>der</strong> Erinnerung von<br />

Hun<strong>der</strong>ttausenden unserer Soldaten und Offiziere, die in <strong>der</strong> GSSD ihren Dienst leisteten. (...)<br />

Die herzlichsten Worte des Dankes und <strong>der</strong> Anerkennung für ihre Tapferkeit, treue<br />

Pflichterfülllung und ihren Soldatendienst verdienen die Veteranen <strong>der</strong> NVA, die in <strong>der</strong> ersten<br />

Reihe <strong>der</strong> Verteidiger <strong>der</strong> Westgrenze <strong>der</strong> DDR standen. 50 Jahre NVA sind ein vortrefflicher<br />

Anlaß, die Traditionen <strong>der</strong> Waffenbrü<strong>der</strong>schaft, die Kameradschaft zwischen den Veteranen<br />

<strong>der</strong> NVA und den Veteranen <strong>der</strong> Sowjetarmee zum Wohle des Friedens und <strong>der</strong> Sicherheit <strong>der</strong><br />

Völker weiter zu pflegen. (...)<br />

Mit herzlichem Dank und Hochachtung<br />

Marschall <strong>der</strong> Sowjetunion V.G. Kulikow<br />

Armeegeneral A.I. Gribkow<br />

Armeegeneral W.N.Lobow<br />

Armeegeneral W.M. Schuraljow<br />

Generaloberst M.N. Burlakow


»Kein Grund, sich zu schämen«<br />

Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere <strong>der</strong> NVA können stolz auf das Geleistete sein. Ein<br />

Gespräch mit Armeegeneral a. D. Heinz Keßler<br />

Heinz Keßler, Jg. 1920, desertierte 1941 als Wehrmachtssoldat zur Roten Armee und war<br />

Mitbegrün<strong>der</strong> des Nationalkomitees »Freies Deutschland«. Seit 1950 Angehöriger <strong>der</strong><br />

bewaffneten Organe <strong>der</strong> DDR, 1957 bis 1985 stellvertreten<strong>der</strong> Verteidigungsminister; bis<br />

1967 Chef <strong>der</strong> NVA-Luftstreitkräfte, bis 1978 Chef des Hauptstabes und bis 1985 Chef <strong>der</strong><br />

Politischen Hauptverwaltung <strong>der</strong> NVA. 1985 bis 1989 Minister für Nationale Verteidigung<br />

<strong>der</strong> DDR<br />

- Im Zusammenhang mit dem 50. Jahrestag <strong>der</strong> NVA-Gründung gäbe es einem General <strong>der</strong><br />

ersten Stunde, <strong>der</strong> bis ins Jahr 1989 an führen<strong>der</strong> Stelle die Geschicke <strong>der</strong> DDR-Streitkräfte<br />

mitbestimmt hat, sicher viel mehr Fragen zu stellen, als hier vom Platz her möglich ist.<br />

Zunächst zur Vorgeschichte: War die NVA tatsächlich nur eine Reaktion auf die<br />

Einbeziehung <strong>der</strong> BRD in die NATO (Februar 1955) und die Schaffung <strong>der</strong> Bundeswehr im<br />

November 1955, wie die zeitlichen Abläufe nahelegen? O<strong>der</strong> war die Bundeswehr ihrerseits<br />

nur eine Reaktion auf die Kasernierte Volkspolizei, die ab 1952 formiert und im Westen als<br />

getarnte Armee angesehen wurde?<br />

Was die unmittelbare Vorgeschichte des Volkskammerbeschlusses vom 18. Januar 1956 über<br />

die NVA und dessen konkrete Beratungen angeht, kann ich wenig Authentisches sagen. Ich<br />

weilte gemeinsam mit einigen an<strong>der</strong>en Genossen seit August 1955 zu einem längeren<br />

Lehrgang an <strong>der</strong> Akademie <strong>der</strong> sowjetischen Luftstreitkräfte in Monino bei Moskau.<br />

- Aber erfolgte dieses Studium nicht schon mit Blick auf die Umwandlung <strong>der</strong> KVP in die<br />

NVA?<br />

Sicher. Doch die Nachrichten aus Berlin trafen uns in Monino trotzdem überraschend – selbst<br />

die neuen NVA-Uniformen und Dienstgradabzeichen usw. mußten wir uns erst aus <strong>der</strong><br />

Heimat schicken lassen. Aber <strong>der</strong> Gedanke, daß es zu einem gegebenen Zeitpunkt notwendig<br />

werden könnte, die Kasernierte Volkspolizei in eine reguläre Armee umzuwandeln, war<br />

natürlich schon länger präsent. Der konkrete, den Volkskammerbeschluß vom 18. Januar<br />

1956 auslösende Moment ist aber in <strong>der</strong> Tat nur vor dem Hintergrund des Geschehens in <strong>der</strong><br />

Bundesrepublik zu sehen. Damit ergab sich für die DDR, seit Mai 1955 Mitglied des<br />

Warschauer Vertrages und dessen westlicher Vorposten, eine zusätzliche Verpflichtung,<br />

unseren Teil zum Schutz <strong>der</strong> Staatengemeinschaft beizutragen.<br />

- Hätte dazu die KVP nicht auch ausgereicht? Die war doch immerhin 1952 mit demselben<br />

Anspruch und als Reaktion auf die erkennbar forcierte Remilitarisierung im Westen formiert<br />

worden ...<br />

Ich denke, daß Struktur und Glie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> KVP nicht den Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> sozialistischen<br />

Verteidigungskoalition genügt hätten. Dort wäre eine KVP nicht einpaßbar gewesen.<br />

Zweitens glaube ich, daß man richtigerweise davon ausgegangen ist, nach Aufstellung einer<br />

westdeutschen Armee mit <strong>der</strong> Nationalen Volksarmee beson<strong>der</strong>s auch die Eigenständigkeit<br />

und Souveränität <strong>der</strong> DDR als Teil <strong>der</strong> sozialistischen Staatengemeinschaft zu unterstreichen.<br />

Als sich mit Bildung <strong>der</strong> Bi-, später <strong>der</strong> Trizone und schließlich <strong>der</strong> BRD-Gründung<br />

andeutete, daß dort die alten Kräfte, gestützt auf die neuen westlichen Verbündeten,<br />

darangingen, die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges in Frage zu stellen und zu revidieren


trachteten, wurde in <strong>der</strong> DDR – natürlich noch ohne klare Konturen und feste Vorstellungen –<br />

schon die Möglichkeit mitgedacht, daß einmal eine Zeit kommen könnte, wo es nötig sein<br />

würde, die Schaffung einer eigenen, DDR-spezifischen Armee ins Auge zu fassen.<br />

- Bundeskanzler Adenauer ist selbst von westdeutschen Historikern wie<strong>der</strong>holt vorgeworfen<br />

worden, die Spaltung Deutschlands und die Gründung <strong>der</strong> Bundesrepublik nur betrieben zu<br />

haben, um eine Armee aufstellen zu können – Streitkräfte, die in <strong>der</strong> Tradition und im Geist<br />

<strong>der</strong> faschistischen Wehrmacht die alten Ziele erneut ins Visier nehmen sollten. Fraglos: Die<br />

Bundeswehr ist entscheidend von ehemaligen Wehrmachtsgeneralen und -offizieren geprägt<br />

worden, die ihren alten Träumen nachhingen und »verlorenen Siegen« (Generalfeldmarschall<br />

Manstein) nachtrauerten. Doch auch KVP bzw. NVA haben auf erfahrene<br />

Wehrmachtsoffiziere nicht verzichtet – nicht verzichten wollen o<strong>der</strong> nicht verzichten können?<br />

Dazu muß ich etwas weiter zurückgehen in <strong>der</strong> Geschichte und an die 1943 in <strong>der</strong><br />

Sowjetunion entstandene Bewegung »Freies Deutschland« sowie den neben dem NKFD<br />

gegründeten Bund Deutscher Offiziere erinnern. Hier hatten sich Hun<strong>der</strong>te, ja Tausende<br />

kriegsgefangene Wehrmachtsangehörige zusammengetan, die sich – oft erst nach langen<br />

Diskussionen und inneren Kämpfen – von Hitler abgewandt hatten und von denen viele bereit<br />

waren, mit einer eigenen antifastischen militärischen Formation in den Kampf gegen das<br />

Hitler-Regime zu ziehen.<br />

- Diese Seydlitz-Truppe – benannt nach dem in Stalingrad in Gefangenschaft geratenen<br />

General <strong>der</strong> Artillerie Walther von Seydlitz, <strong>der</strong> Präsident des BDO und Vizepräsident des<br />

NKFD war, kam aber nicht zustande ...<br />

... weil die politische Führung des Nationalkomitees wie die sowjetische Seite es aus<br />

politisch-taktischen Erwägungen heraus ablehnte. Worauf ich jedoch hinauswollte, war etwas<br />

an<strong>der</strong>es: Entscheidend war ihre Abkehr vom Faschismus und ihre Bereitschaft, aktiv etwas für<br />

ein schnelleres Kriegsende zu tun. Sie sind damals aber nie daraufhin angesprochen worden,<br />

ob sie bereit wären, in einem neuen, antifaschistischen Deutschland wie<strong>der</strong> eine Uniform<br />

anzuziehen. Später dann, als es auf <strong>der</strong> Tagesordnung stand, stellten einige von ihnen die<br />

Frage, ob ihre Erfahrungen nicht doch gebraucht würden und von Nutzen sein könnten. So<br />

war es mit den Generalen Arno von Lenski und Vincenz Müller o<strong>der</strong> mit Major Bernhard<br />

Bechler, die ich im NKFD wirklich gut kennengelernt hatte und von daher auch ihre<br />

Motivation beurteilen konnte.<br />

- Aber gerade am Beispiel Müller setzt auch Kritik an. Er war ja schon in <strong>der</strong> KVP Chef des<br />

Hauptstabes, wurde in gleicher Funktion in die NVA übernommen, doch schon 1958 in<br />

Pension geschickt, weil er angeblich als politisch unzuverlässig galt. Der Mohr hatte seine<br />

Schuldigkeit getan ...<br />

Das ist Quatsch. Müller und die wenigen an<strong>der</strong>en Wehrmachtsgenerale waren doch nicht<br />

mehr die jüngsten und hatten von daher natürlich zunehmend Schwierigkeiten mit dem beim<br />

Aufbau einer völlig neuen Armee erfor<strong>der</strong>lichen Arbeitstempo. Und sie hatten bei ihrer<br />

Herkunft und ihrem militärischen Werdegang natürlich auch Probleme, sich auf den<br />

spezifischen Charakter sozialistischer Streitkräfte einzustellen. Gegenbeispiele sind die vielen<br />

jüngeren Wehrmachtsoffiziere, die ihren Platz in unserer Armee gefunden hatten und noch<br />

viele Jahre, auch im Generalsrang, ihren Dienst versahen wie Bechler etwa als Stellvertreter<br />

des Stabschefs o<strong>der</strong> später an <strong>der</strong> Militärakademie. Er wurde erst 1971 pensioniert.


- Eine an<strong>der</strong>e Frage, die das Problem Wehrmacht tangiert, ist <strong>der</strong> NVA-Einsatz im<br />

Zusammenhang mit den Ereignissen 1968 in <strong>der</strong> Tschechoslowakei, in die ja schon einmal<br />

deutsche Soldaten einmarschiert waren.<br />

Definitiv: Die NVA ist nicht in die CSSR einmarschiert! Und das war nach meiner<br />

Erinnerung auch von Anfang an klar, ohne daß es sowjetischerseits etwa Einwände gegen<br />

diese Entscheidung gegeben hat. Die DDR-Führung hat von vornherein erklärt: Wir nehmen<br />

an dieser Sache nicht teil. Wir sorgen lediglich – mit entsprechend dislozierten Verbänden –<br />

auf unserer Seite <strong>der</strong> Grenze dafür, daß da nichts herüberschwappen kann. Das war unsere<br />

Aufgabe, und so wurde es auch realisiert. Zudem hatten wir auch das gleichzeitig in Bayern<br />

angesetzte NATO-Manöver »Schwarzer Löwe« mit im Blick, weil zumindest theoretisch die<br />

Möglichkeit bestand, daß von dort aus in das Geschehen eingegriffen werden könnte. Auch<br />

das war so mit dem Oberkommandierenden <strong>der</strong> Vereinten Streitkräfte, damals Marschall Iwan<br />

Jakubowski, abgestimmt.<br />

- Der Verfassungsauftrag für die Volksarmee war klar bestimmt: Zuverlässiger Schutz <strong>der</strong><br />

Republik und des sozialistischen Aufbaus, Sicherung des Friedens. Wie spiegelte sich das in<br />

<strong>der</strong> Militärdoktrin wi<strong>der</strong>?<br />

Man muß dabei immer im Auge behalten: Die NVA war Armee im Bündnis des Warschauer<br />

Vertrages und stand zudem, gemeinsam mit <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> Sowjetischen Streitkräfte in<br />

Deutschland, an <strong>der</strong> Trennlinie zum NATO-Pakt; sie war also an exponierter Stelle in die<br />

Doktrin <strong>der</strong> verbündeten Staaten und Armeen eingebunden. Hauptauftrag war, die DDR als<br />

Teil <strong>der</strong> sozialistischen Staatengemeinschaft zu schützen – zu verteidigen gegen eine<br />

mögliche Aggression von <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite. Wir hatten keine kriegerischen Absichten, keine<br />

materiellen Ansprüche o<strong>der</strong> territorialen For<strong>der</strong>ungen an irgendein an<strong>der</strong>es Land. Das einzige,<br />

was wir wollten, war, daß man uns in Ruhe und in Frieden unsere antifaschistischdemokratische,<br />

später sozialistische Ordnung gestalten läßt.<br />

- Dennoch gab es 1987 eine Entschärfung <strong>der</strong> Militärdoktrin hin zu einer streng defensiv<br />

ausgerichteten Verteidigung.<br />

Das war kein Bruch. Ich war damals Leiter <strong>der</strong> Kommission, die das für den Politisch<br />

Beratenden Ausschuß ausgearbeitet hat. Im Kern wurde die frühere Formulierung<br />

zurückgenommen, daß wir einen Aggressor auch auf seinem eigenen Territorium schlagen<br />

würden, und noch stärker betont: Wir verteidigen lediglich die Grenzen des Sozialismus. Wir<br />

waren fest entschlossen und haben uns stets von dem Grundsatz leiten lassen, alles dafür zu<br />

tun, daß von deutschem Boden niemals wie<strong>der</strong> Krieg ausgehen kann. Das ist, solange es die<br />

NVA gab, auch nicht geschehen. Trotz mancher Fehler und Schwächen bleibt unterm Strich:<br />

Kein Soldat, kein Unteroffizier, kein Offizier, kein General braucht sich dafür zu schämen, in<br />

dieser Nationalen Volksarmee gedient zu haben.<br />

Das Gespräch führte Peter Rau


Im Stab <strong>der</strong> Koalitionstruppen<br />

Sechs Jahre als NVA-Vertreter im Oberkommando <strong>der</strong> Armeen <strong>der</strong> Staaten des Warschauer<br />

Vertrages in Moskau. Erinnerungen von Oberst a. D. Karl Harms<br />

Karl Harms (Jg. 1935), war von 1952 bis 1990 Angehöriger <strong>der</strong> bewaffneten Organe <strong>der</strong> DDR<br />

und u. a. Flugzeugführer, Stabsoffizier, Absolvent einer sowjetischen Militärakademie,<br />

Lehrstuhlleiter an <strong>der</strong> Militärakademie »Friedrich Engels«, NVA-Vertreter für die Truppen<br />

<strong>der</strong> Luftverteidigung im Stab <strong>der</strong> Vereinten Streitkräfte des Warschauer Vertrages und zuletzt<br />

wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Chef <strong>der</strong> Luftstreitkräfte/Luftverteidigung <strong>der</strong> NVA.<br />

Oberste Instanz des Warschauer Vertrages war <strong>der</strong> Politisch Beratende Ausschuß, dem die<br />

Partei- und Staats- bzw. Regierungschefs <strong>der</strong> Mitgliedslän<strong>der</strong> angehörten. Neben dem<br />

Komitee <strong>der</strong> Verteidigungsminister und dem Militärrat, in dem die Stabschefs <strong>der</strong> Armeen<br />

zusammenarbeiteten, gehörten Oberkommandieren<strong>der</strong> und Stab <strong>der</strong> Vereinten Streitkräfte zu<br />

den wichtigsten Führungs- bzw. Arbeitsorganen <strong>der</strong> sozialistischen Militärkoalition.<br />

Ende 2005 versprach die neue polnische Regierung die Freigabe bisher geheimgehaltener<br />

Dokumente <strong>der</strong> sozialistischen Militärkoalition, die 1955 – sechs Jahre nach dem westlichen<br />

NATO-Bündnis – in Warschau gegründet worden war. Doch die angekündigten<br />

sensationellen Enthüllungen über den kriegslüsternen Militärpakt <strong>der</strong> kommunistischen<br />

Regime sind bisher – wie schon nach Öffnung <strong>der</strong> NVA-Archive – ausgeblieben. Für mich<br />

nicht überraschend, es deckt sich mit meinen Erfahrungen.<br />

Kein preußisches Getue<br />

1978 erhielt ich das Angebot, in Moskau im Stab <strong>der</strong> Vereinten Streitkräfte (VSK) zu<br />

arbeiten. Bislang hatte die NVA im Oberkommando noch keinen Vertreter für Luftstreitkräfte<br />

und Luftverteidigung. Im Januar 1979 war es soweit. In Scheremetjewo angekommen, werden<br />

wir zunächst zu unserem künftigen Domizil gefahren. Der Stab verfügt über eigene<br />

Wohnhäuser. Zwei kleinere befinden sich unweit <strong>der</strong> Moskwa, im Erholungsgebiet<br />

»Serebrjanni Bor«, ein Hochhaus steht im äußersten Norden <strong>der</strong> Stadt. In diesem Hochhaus<br />

beziehe ich mit Frau und Sohn eine Drei-Zimmer-Wohnung. Sie ist mit Möbeln aus <strong>der</strong> DDR<br />

eingerichtet – alles freundlich, hell, zweckmäßig.<br />

Der Dienst beginnt um 9 und endet um 18 Uhr. Samstags ist frei, ein Luxus, den die NVA<br />

damals noch nicht genoß. Zur Dienststelle und zurück werden wir mit Bussen gefahren. Sie<br />

befindet sich am Leningradski Prospekt, rechterhand auf Höhe <strong>der</strong> Metrostation »Aeroport«.<br />

Ein Waldpark, eingegrenzt von einem mächtigen gußeisernen Zaun, die Einfahrt von hohen<br />

Säulen flankiert. Geradeaus ein helles Gebäude im Baustil <strong>der</strong> Stalin-Ära.<br />

Mein neues Arbeitskollektiv, das sind acht sowjetische Offiziere und je ein Offizier <strong>der</strong><br />

Armeen Bulgariens, <strong>der</strong> DDR, Polens, Rumäniens, <strong>der</strong> Tschechoslowakei und Ungarns. Alle<br />

zusammen stellen wir die »Verwaltung Luftverteidigung« dar. An <strong>der</strong> Spitze steht ein<br />

sowjetischer General. Die Einrichtung <strong>der</strong> Arbeitsräume ist spartanisch: keine Aktenschränke,<br />

nur wenige Bürohilfsmittel. Ich werde freundlich begrüßt und prüfend begutachtet. Es gab<br />

bisher noch keinen Deutschen in dieser Verwaltung. Die Spannung löst sich nach dem ersten<br />

Gespräch und dem problemlosen Ubergang zum Du. Der ungarische Vertreter ist ein<br />

ehemaliger Kommilitone von <strong>der</strong> sowjetischen Luftwaffenakademie. In den folgenden Tagen<br />

muß ich mich dann noch offiziell beim Chef des Stabes <strong>der</strong> Vereinten Streitkräfte vorstellen,<br />

damals Armeegeneral Anatoli Gribkow.


Die ersten Eindrücke: Das Verhältnis Vorgesetzte–Unterstellte ist korrekt, aber merklich<br />

lockerer als in <strong>der</strong> NVA. Es fehlt jegliches preußisches Getue, und es wird nur unbedingt<br />

notwendiges Papier produziert. Aber es besteht auch ein akuter Mangel an mo<strong>der</strong>nen<br />

Hilfsmitteln. Allereinfachste Handgriffe, zeitaufwendige, rein mechanische Arbeiten, alles<br />

muß man selbst machen. Man stellte sich bewußt darauf ein, auch unter primitivsten<br />

feldmäßigen Bedingungen, bei zugleich hoher Mobilität arbeiten zu können. Ein Zuviel an<br />

Rechentechnik <strong>der</strong> damaligen Qualität hätte dem wohl im Wege gestanden.<br />

Der Stab war Führungsorgan des Oberkommandierenden <strong>der</strong> Vereinten Streitkräfte sowie<br />

Arbeitsorgan des Komitees <strong>der</strong> Verteidigungsminister und des Militärrates. An <strong>der</strong> Spitze <strong>der</strong><br />

einzelnen Verwaltungen stand in jedem Fall ein sowjetischer General. Neben Verwaltungen<br />

mit Querschnittscharakter – zum Beispiel Gefechtsausbildung, Aufklärung, Pioniertruppen –<br />

gab es solche, die einer Teilstreitkraft entsprachen – zum Beispiel Luftstreitkräfte,<br />

Luftverteidigung, Seestreitkräfte.<br />

Die Anzahl <strong>der</strong> Offiziere einer Nation im Stab entsprach etwa <strong>der</strong> Stärke <strong>der</strong> in die Vereinten<br />

Streitkräfte eingebrachten Truppenkontingente. Zur Wahrung nationaler Interessen gab es<br />

Stellvertreter des Stabschefs aus je<strong>der</strong> Koalitionsarmee. Sie hielten den Direktkontakt mit den<br />

Chefs <strong>der</strong> jeweiligen Generalstäbe. Außerdem waren sie die unmittelbaren Vorgesetzten aller<br />

Offiziere ihrer Armee im Stab. Sie mischten sich nicht in die Angelegenheiten <strong>der</strong> jeweiligen<br />

Verwaltungen ein, es sei denn bei unbedingter Notwendigkeit zur Wahrung nationaler<br />

Interessen.<br />

Sinnvolle Vorherrschaft<br />

Dabei war <strong>der</strong> Stab <strong>der</strong> VSK kein Führungsstab im üblichen Sinne, son<strong>der</strong>n eher eine<br />

Institution zur Planung und Koordinierung ausgewählter militärischer Grundsatzfragen sowie<br />

zur Organisation und Leitung gemeinsamer Ausbildungsmaßnahmen. Der Stab gab allerdings<br />

keine Befehle heraus, son<strong>der</strong>n Empfehlungen (Ausnahme: Direktive für das Ausbildungsjahr).<br />

Die Einsatzplanung für einen Ernstfall gehörte nicht zu seinen Aufgaben. Und um es an dieser<br />

Stelle ganz klar zu sagen: In keiner einzigen Übung, in keinem strategischen Konzept wurde<br />

von einem Präventivschlag ausgegangen o<strong>der</strong> auch nur davon, als erste anzugreifen.<br />

Die Vereinten Streitkräfte verfügten über eine im wesentlichen einheitliche Struktur und<br />

waffentechnische Ausstattung. Die Befehlshaber, Kommandeure und Stäbe aller Armeen<br />

hatten übereinstimmende Auffassungen zur Führung mo<strong>der</strong>ner Operationen und<br />

Gefechtshandlungen. Es existierte eine in ihren Grundzügen überall verbindliche Methodik<br />

<strong>der</strong> operativen und Gefechtsausbildung. Das Oberkommando konnte sich je<strong>der</strong>zeit auf ein<br />

ausgebautes, ständig funktionierendes Führungssystem stützen. In den Armeen waren<br />

einheitliche Regelungen zur Aufrechterhaltung einer ständigen Gefechtsbereitschaft sowie für<br />

die Mobilmachung durchgesetzt. Geringfügige nationale Abweichungen hatten darauf keinen<br />

nennenswerten Einfluß.<br />

Eine wesentliche Beson<strong>der</strong>heit war, daß die Mehrzahl <strong>der</strong> Führungskräfte aus <strong>der</strong><br />

Sowjetarmee kam; sie bildeten das Gros des Bestandes. Ihre Arbeitsgewohnheiten, ihre<br />

militärischen Traditionen und ihre Mentalität bestimmten folglich wesentlich den gesamten<br />

Arbeitsstil. Es gab Bemühungen, zum Beispiel von rumänischer Seite, die Besetzung leiten<strong>der</strong><br />

Funktionen an<strong>der</strong>s zu gestalten, den Offizieren an<strong>der</strong>er Län<strong>der</strong> mehr Verantwortung zu<br />

übertragen. Dieses Problem wurde nicht nur einmal diskutiert. Trotzdem bin ich auch heute


noch davon überzeugt, daß unter den gegebenen Umständen eine sinnvolle Vorherrschaft des<br />

sowjetischen Offiziere unumgänglich war. Sie hatten die besten Direktkontakte zu allen<br />

sowjetischen Stäben und Dienststellen, sie konnten schneller und unbürokratischer<br />

Sachfragen auf dem sogenannten kleinen Dienstweg klären.<br />

Noch ein Wort zu den Sowjetoffizieren: In den vielen Jahren ist mir kein einziger begegnet,<br />

<strong>der</strong> den Krieg als ein Mittel zur Lösung irgendwelcher Probleme ansah. »Um Gottes willen,<br />

nur keinen Krieg!« – das war ohne Zweifel die Einstellung aller, vom Leutnant bis zum<br />

Marschall. Gleichzeitig – und das führte vielleicht zu gewissen Fehleinschätzungen –<br />

zeichnete sich das sowjetische Offizierskorps durch ein hohes Selbstbewußtsein aus. Das<br />

hatte seine historischen Ursachen. Die im Feuer <strong>der</strong> Revolution entstandene Rote Armee<br />

siegte im Bürgerkrieg. Sie trug die Hauptlast des Kampfes gegen Hitlerdeutschland und<br />

konnte trotz furchtbarer Nie<strong>der</strong>lagen in <strong>der</strong> Anfangsperiode des Krieges schließlich den Sieg<br />

erringen. Die Offiziere fühlten sich als die Vertreter einer vorwärtsschreitenden Großmacht,<br />

<strong>der</strong>en Verteidigung nach ihrer tiefsten inneren Überzeugung die gerechteste Sache <strong>der</strong> Welt<br />

war.<br />

Die sachlich-fachliche und meistens auch die menschliche Autorität <strong>der</strong> sowjetischen Chefs<br />

wurde nach meinen Beobachtungen von allen anerkannt. Ein Ärgernis waren zuweilen <strong>der</strong><br />

hohe Geheimhaltungsgrad mancher Dokumente und eine unnötige, für die damaligen<br />

sowjetischen Verhältnisse typische Geheimniskrämerei. Was sich dadurch an Problemen und<br />

Schwierigkeiten ergab, läßt sich am besten am Beispiel zeigen.<br />

Gleich in den ersten Tagen erhielt ich den Auftrag, eine Übersicht zu bestimmten<br />

Sachverhalten <strong>der</strong> Truppen <strong>der</strong> Luftverteidigung <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> zu erarbeiten. Ich war mittendrin,<br />

als ein sowjetischer Offizier mir mitteilte, daß er beauftragt sei, die Arbeit zu übernehmen.<br />

Nach längerem Zögern erklärte er mir im Vertrauen, daß nur sowjetische Offiziere geheime<br />

Dokumente mit Querschnittscharakter erstellen dürften. Ausgangspunkt für diese Festlegung:<br />

eine Beschwerde irgendeiner nationalen Gruppe über die Weitergabe von vertraulichen<br />

Angaben ihrer Armee an Angehörige einer an<strong>der</strong>en Armee. Später stellte ich fest, daß es noch<br />

eine an<strong>der</strong>e Abstufung in dieser Frage gab. Was zum Beispiel ein deutscher Offizier<br />

empfangen durfte, sollte ein rumänischer Offizier nicht zu sehen bekommen. Grund: In <strong>der</strong><br />

entsprechenden Vorschrift war ein Waffensystem erwähnt, welches die rumänische Armee<br />

nicht hatte ...<br />

Im Stab und im Technischen Komitee <strong>der</strong> Vereinten Streitkräfte – insgesamt mehrere hun<strong>der</strong>t<br />

Personen – arbeiteten etwa 20 Offiziere <strong>der</strong> NVA, zahlenmäßig vermutlich die kleinste<br />

nationale Gruppe. Das Verhältnis zu den Offizieren ausnahmslos aller nationalen Gruppen<br />

war kameradschaftlich und in <strong>der</strong> Regel auch herzlich. Wir arbeiteten zusammen, wohnten im<br />

gleichen Haus, unsere Kin<strong>der</strong> waren befreundet. Ich kann mich an keinen Fall nationaler<br />

Überheblichkeit o<strong>der</strong> Spannungen zwischen den Nationen erinnern.<br />

Beson<strong>der</strong>e Erwartungen<br />

Allerdings schien es mir gegenüber den Deutschen eine beson<strong>der</strong>e Erwartungshaltung zu<br />

geben. Die Vergangenheit begleitete uns, ein stiller, unausgesprochener Vorwurf. Haben diese<br />

Deutschen wirklich aus ihrer Geschichte gelernt? Sind sie treue und zuverlässige Partner<br />

gerade auch angesichts <strong>der</strong> zwei Deutschlands? Rückschauend würde ich unsere Einstellung<br />

so beantworten: Wir waren angetreten, die DDR zu schützen und den Frieden zu erhalten. Die<br />

militärische Konfrontation in Europa sahen wir immer als eine Konfrontation von


Gesellschaftssystemen und niemals als eine zwischen den Nationen o<strong>der</strong> den Deutschen.<br />

Allerdings waren wir davon überzeugt, daß beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> BRD die Existenz <strong>der</strong> DDR<br />

mißfiel, <strong>der</strong>en Beseitigung ihr strategisches Fernziel war und die NATO, unter für sie<br />

günstigen Umständen, bereit wäre, dieses Ziel auch mit militärischen Mitteln zu erreichen.<br />

Eine stark ausgeprägte Erwartungshaltung uns gegenüber gab es auch hinsichtlich Exaktheit,<br />

Ordnung und Disziplin. Das war wie ein Mythos, wie ein Fluch, und es fiel uns nicht immer<br />

leicht, dem gerecht zu werden. Auch mir unterliefen Fehler. Dann kam es schon mal vor, daß<br />

mein Chef sagte: »Also von Ihnen hätte ich das nicht erwartet. Die Deutschen sind doch sonst<br />

so exakt und gewissenhaft.« Und das war in keinem Fall ironisch gemeint.<br />

Ich glaube, es war vor allem die Ernsthaftigkeit, mit <strong>der</strong> wir an alle Aufgaben innerhalb <strong>der</strong><br />

Koalition herangingen, die unseren guten Ruf begründete. Aus meiner Moskauer Sicht war<br />

unsere Armee vorbildlich in <strong>der</strong> Umsetzung <strong>der</strong> Empfehlungen des Oberkommandos. Bei<br />

gemeinsamen Übungen o<strong>der</strong> bei Lehrvorführungen, die wir im Interesse <strong>der</strong> Koalition<br />

durchführten, zeigten die NVA-Angehörigen oft hervorragende Leistungen, mit denen wir uns<br />

vor unserem Lehrmeister, eben <strong>der</strong> Sowjetarmee, nicht zu verstecken brauchten.<br />

Die Grün<strong>der</strong>generalität<br />

Von Daniel Christian<br />

Die NVA-Spitzenmilitärs des Jahres 1956: Sie kamen aus Zuchthäusern und KZ, von den<br />

verschiedensten Fronten des Wi<strong>der</strong>standes gegen das Naziregime o<strong>der</strong> von den Antifaschulen<br />

in <strong>der</strong> UdSSR<br />

Mit Generalleutnant Vincenz Müller schied 1958 <strong>der</strong> letzte aus <strong>der</strong> Wehrmacht stammende<br />

General aus <strong>der</strong> NVA. Rund 30 Jahre später verließ sie mit Generalmajor Reinhard Brühl <strong>der</strong><br />

letzte frühere Wehrmachtsoffizier (Leutnant). Von den etwa 350 Generalen, die in den 34<br />

Jahren ihrer Existenz in <strong>der</strong> NVA Dienst taten, hatten insgesamt etwa 30 ihre<br />

Offizierslaufbahn vor 1945 begonnen.<br />

Ulbrichts Helfer: Wehrmachtsoffiziere im Dienste <strong>der</strong> DDR« – »General bei Hitler und<br />

Ulbricht: Vincenz Müller«... Das sind zwei von etlichen Buchtiteln, mit denen versucht wird,<br />

am Antifa-Lack von DDR und ihrer Volksarmee zu kratzen. Jüngst im Fernsehen – im<br />

Dreiteiler »Dienen in <strong>der</strong> NVA« – klang es sinngemäß ganz ähnlich: Wie die Bundeswehr<br />

hätte auch die NVA nicht auf die Erfahrungen <strong>der</strong> Wehrmacht verzichten können.<br />

Nun ja, an <strong>der</strong> Herkunftsgeschichte <strong>der</strong> Bundeswehr läßt sich nichts mehr än<strong>der</strong>n. Von <strong>der</strong>en<br />

38 Generalen <strong>der</strong> ersten Stunde hatten ganze 31 ihre Meriten schon in Hitlers Truppen<br />

erworben; und nicht einer von denen hatte sich seinerzeit zum antifaschistischen Bekenntnis<br />

durchgerungen. Das läßt sich we<strong>der</strong> umschreiben noch weghistorisieren. Also muß<br />

wenigstens die Armee des »Unrechtsregimes« auch in vergleichbare Nähe gerückt werden.


Was mit den publizistisch üblichen Halbwahrheiten nicht allzu schwerfällt, kamen doch 1956<br />

in <strong>der</strong> Tat einige NVA-Generale vor 1945 ebenfalls aus dem Generalskorps. Es waren vier –<br />

vier von rund 30: die drei 1943 bei Stalingrad in Kriegsgefangenschaft geratenen<br />

Generalmajore Otto Korfes, Arno von Lenski und Hans Wulz sowie Generalleutnant Vincenz<br />

Müller, <strong>der</strong> 1944 in Belorußland die Sinnlosigkeit weiteren Kampfes einsah und mit Truppen<br />

des von ihm geführten Armeekorps kapitulierte.<br />

Daß sie alle vier – wie Dutzende weitere Generale in <strong>der</strong> Sowjetunion – sich dem Bund<br />

Deutscher Offiziere und damit <strong>der</strong> antifaschistischen Bewegung »Freies Deutschland«<br />

anschlossen und auf Antifaschulen zu neuen Erkenntnissen durchrangen, wird dabei, wenn<br />

von den Gleichsetzern überhaupt erwähnt, höchstens als Indoktrination abgehakt. (Dem zur<br />

Roten Armee übergelaufenen Wehrmachtssoldaten Heinz Keßler wollte ein eifriger<br />

Oberstaatsanwalt in den 90er Jahren vor einem bundesdeutschen Gericht gar anlasten, damals<br />

mit einem Faschisten-General wie eben Arno von Lenski paktiert zu haben!) Hinzu kamen in<br />

<strong>der</strong> NVA-Grün<strong>der</strong>generalität sechs weitere Wehrmachtsoffiziere: die Majore Bernhard<br />

Bechler und Heinz Zorn, Hauptmann Herrmann Rentzsch, Oberleutnant Heinz Neukirchen<br />

sowie die Leutnante Heinrich Heitsch und Helmut Borufka. Sie waren allesamt aus<br />

sowjetischer Gefangenschaft mit an<strong>der</strong>en als den von den Nazis indoktrinierten<br />

Anschauungen heimgekehrt, zum Teil mit Erfahrungen im Fronteinsatz für das<br />

Nationalkomitee »Freies Deutschland«.<br />

Und die an<strong>der</strong>en 20? Sie hatten in Spanien in den Internationalen Brigaden gekämpft, in <strong>der</strong><br />

Illegalität versucht, Wi<strong>der</strong>stand zu leisten, im KZ gesessen, waren als Kundschafter für die<br />

Rote Armee unterwegs, als Partisanen im Einsatz o<strong>der</strong> wie gesagt in <strong>der</strong> Bewegung »Freies<br />

Deutschland« aktiv.<br />

In Spanien kämpften: Friedrich Dickel, Heinrich Dollwetzel, Heinz Hoffmann, Fritz Johne,<br />

Fritz Köhn, Rudolf Menzel, Ewald Munschke. Johne, Menzel und Köhn gerieten<br />

anschließend in die Fänge <strong>der</strong> Gestapo, saßen bis 1945 ebenso im Zuchthaus o<strong>der</strong> KZ wie<br />

Richard Fischer, Erwin Freyer, Kurt Vogel und Kurt Wagner. Willi Stoph und Waldemar<br />

Verner waren in illegale Arbeit eingebunden, <strong>der</strong> eine in Deutschland, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e in<br />

Dänemark.<br />

UdSSR-Emigrant Rudolf Dölling arbeitete wie Hoffmann an Antifaschulen mit<br />

Kriegsgefangenen. Karl Linke kämpfte mit sowjetischen Partisanen; Wehrmachtsunteroffizier<br />

Felix Scheffler absolvierte wie die Soldaten Heinz Keßler und Paul Blechschmidt<br />

Fronteinsätze für das Nationalkomitee »Freies Deutschland«, und auch die kriegsgefangenen<br />

Soldaten bzw. Unteroffiziere Walter Allenstein, Artur Kunath und Siegfried Weiß hatten<br />

Antifaschulen in <strong>der</strong> UdSSR absolviert.


Soldat im Dauerstreß<br />

Alltagsleben in <strong>der</strong> NVA: Es war hart, es war nervig und zum Teil völlig öde. Aber nicht ohne<br />

Sinn<br />

Von Klaus Fischer<br />

Man hätte seine Tage angenehmer verbringen können. Soldat, vor allem Wehrpflichtiger zu<br />

sein, bedeutete in <strong>der</strong> NVA vieles: allgemeiner Drill, Erlernen des Waffenhandwerkes,<br />

politische Unterrichtung, Wache schieben, exerzieren, putzen und die Zeit totschlagen. Nur<br />

gemütlich war es selten, sieht man von ein paar exotischen Posten in Lagern und Depots ab.<br />

Gewöhnlich ist das Militär nicht zur Erbauung seiner Soldaten da, selbst, wenn sich eine<br />

Truppe Volksarmee nennt. Nicht zu Unrecht übrigens. Doch von einer solchen Erkenntnis<br />

war <strong>der</strong> gemeine Rekrut bei seiner Einberufung weit entfernt. Er kam ihr in den ersten<br />

Wochen und Monaten auch nur mühsam näher. Manchen gelang es nie.<br />

Trotz mancher Unterschiede bei Waffengattungen und Diensten – Wehrpflichtige mußten<br />

zunächst durch den Seelenschred<strong>der</strong> <strong>der</strong> Disziplinierung. Der DDR-Bürger war doch sehr<br />

Zivilist und taugte, systemübergreifend wie je<strong>der</strong> Mensch, nur schwer zum Militärdienst.<br />

Routine. Schon das Wecken um sechs Uhr gestaltete sich für den Neueinberufenen zum<br />

Alptraum: Blökende Alarmsirenen o<strong>der</strong> Trillerpfeifen schreckten ihn aus dem Schlaf.<br />

Unteroffiziere rissen die Türen zu den Schlafräumen auf, brüllten »Aufstehen«, »Nachtruhe<br />

beenden« und »Fertigmachen zum Frühsport«. Fünf Minuten später hasteten Zehntausende<br />

junge Männer zwischen Ostsee und Erzgebirge im Laufschritt übers Kasernengelände. Das<br />

machte wütend, wach, also fit für den Tag als Vaterlandsverteidiger.<br />

Dann hieß es umziehen und ab zum Frühstück: Malzkaffe o<strong>der</strong> Kräutertee. Dazu gab es Brot,<br />

Butter, Marmelade und die berühmten zwei Wurstsorten: Leber- und Teewurst. We<strong>der</strong> satt<br />

noch zufrieden begann <strong>der</strong> Militär-Azubi so seinen Ausbildungstag. Revierreinigen,<br />

Unterricht, Exerzieren, Geländeausbildung, Schießen und Waffen säubern.<br />

Die meisten lernten schnell. Gab <strong>der</strong> Soldat zu verstehen, daß er bereit war, sich <strong>der</strong> Disziplin<br />

unterzuordnen, wurde das Alltagsleben erträglicher. Nach und nach reduzierte sich <strong>der</strong><br />

Brüllpegel auf ein erträgliches Maß – vor allem auch, weil selbst die Unteroffiziere<br />

irgendwann müde wurden. Mit den Wochen und Monaten ging dann ein fast unbemerkter<br />

Wandel im Tagesablauf vor sich. Die Ausbil<strong>der</strong> wurden jovialer, es gab öfter Ausgang (aber<br />

meist nur bis Mitternacht), nachdem man die ersten sechs Wochen überhaupt nicht<br />

rausgekommen war.<br />

Das EK-Wesen (EK stand für Entlassungskandidat) war die Pest – wurde aber unter <strong>der</strong> Hand<br />

wie eine Tradition hochgehalten. Es gab zwischen den Einberufungsjahrgängen zum Teil<br />

erhebliche Spannungen, und das Prahlen mit <strong>der</strong> Tatsache, daß man länger »dabei« war, bot<br />

manchem Gelegenheit, sein Mütchen zu kühlen. Versteckte und offene Tyrannei zwischen<br />

den Wehrpflichtigen trübten die ohnehin nicht beson<strong>der</strong>s angenehme Militärzeit zusätzlich.<br />

Es gibt folglich keinen Anlaß zur nachträglichen Verklärung dieses Dienstes. Aber es gibt<br />

Gründe, warum er notwendig war. Die NVA war zur Verteidigung <strong>der</strong> DDR da, und die hatte<br />

es dringend nötig, geschützt zu werden. Verteidigungsbereitschaft hat jedoch einen großen<br />

Nachteil: Sie muß immer gewährleistet sein. Das bestimmte den NVA-Alltag. Wer fürchten<br />

mußte, je<strong>der</strong>zeit angegriffen zu werden, konnte kein laxes Regime zulassen. Wer dagegen<br />

wußte, ihm droht keine Gefahr, o<strong>der</strong> gar selbst den Zeitpunkt einer militärischen


Auseinan<strong>der</strong>setzung bestimmen wollte, dem ging es besser. Solche Armeen konnten sich wie<br />

die Bundeswehr großzügige Urlaubs- und Ausgangsregelungen leisten, ihre Soldaten kannten<br />

keine Alkoholbeschränkungen, mußten nicht Nacht für Nacht das Kasernenleben ertragen.<br />

Darum haben wir sie oft beneidet.<br />

Feindbil<strong>der</strong><br />

Das letzte Jahr <strong>der</strong> NVA – aus Sicht <strong>der</strong> Bundeswehr<br />

Von Jens Walther<br />

Die Bundeswehr, die so gern von sich behauptet, keine Feindbil<strong>der</strong> zu kennen und zu haben<br />

und folglich auch kein Feindbild NVA, hat wenigstens im Jahr 1990 das glatte Gegenteil<br />

bewiesen und demonstriert. Während die angeblich jahrzehntelang aufs Feindbild<br />

Bundeswehr abonnierte NVA seit dem Herbst 1989 in dieser Hinsicht einseitig abgerüstet<br />

hatte und gegenüber Kontakten zur Bundeswehr höchst aufgeschlossen agierte, taten sich<br />

Bundeswehrführung und Bundesministerium für Verteidigung schwer. »Die NVA bietet<br />

Bru<strong>der</strong>schaft, die Bundeswehr sträubt sich gegen die heftige Umarmung«, hieß es seinerzeit<br />

zum Beispiel im Nachrichtenmagazin Der Spiegel (10/ 1990). Und weiter: »Der NVA-<br />

Offizier, zum Haß auf die aggressiven Imperialisten erzogen, kennt plötzlich keinen Feind<br />

mehr, <strong>der</strong> Bundeswehroffizier, zu Toleranz und Offenheit verpflichtet, muß anhaltenden<br />

Wi<strong>der</strong>stand leisten, weil Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg und Generalinspekteur<br />

Dieter Wellershoff an alten Erlassen (sic!) festhalten.« Mit an<strong>der</strong>en Worten: Die Denkmuster<br />

des Kalten Krieges funktionierten im Westen offenkundig besser ...<br />

Erst im Juni 1990 setzte BRD-Minister Gerhard Stoltenberg eine – zudem streng<br />

reglementierende – Rahmenrichtlinie für Kontakte in Kraft. Und gab seinem neuen, im März<br />

gewählten DDR- Ministerkollegen für Abrüstung und Verteidigung, Rainer Eppelmann,<br />

sofort Kontra. Der hatte im Mai vor den versammelten Kommandeuren <strong>der</strong> ostdeutschen<br />

Streitkräfte nicht nur vollmundig von regelmäßigen Kontakten auf gleicher Augenhöhe<br />

zwischen Vertretern bei<strong>der</strong> deutschen Armeen geredet, son<strong>der</strong>n auch vollmundig versprochen,<br />

daß es auch in einem vereinigten Deutschland auf dem Gebiet <strong>der</strong> dann gewesenen DDR in<br />

Gestalt <strong>der</strong> Nationalen Volksarmee für längere Zeit eine zweite deutsche Armee mit einer<br />

Personalstärke zwischen 50 000 und 70 000 geben wird. Stoltenberg stellte im Juni<br />

unmißverständlich klar: In einem vereinten Deutschland wird es die Nationale Volksarmee<br />

nicht mehr geben, punktum. Propagandistischen Flankenschutz erhielt <strong>der</strong> BRD-Minister<br />

dabei nicht zu knapp. »Auflösen – ohne Rest!« for<strong>der</strong>te die Frankfurter Allgemeine Zeitung.<br />

Und sinngemäß: Wenn die Diktatur fällt, müssen auch ihre Werkzeuge fallen. Die<br />

Staatssicherheit war das erste, die NVA muß folgen. Restlos!


Das traf offenbar den Nerv verunsicherter Bundeswehroffiziere. Mitte August 1990 warnte so<br />

etwa ein höherer Kommandeur davor, selbst junge NVA-Offiziere zu übernehmen. Bei den<br />

älteren standen die Weichen ohnehin auf Entlassung: Zum 30. September wurde befohlen,<br />

alle Berufssoldaten zu entlassen, die 1990 das 50. Lebensjahr vollenden o<strong>der</strong> schon<br />

überschritten haben. Dieser Befehl kam zuständigkeitshalber zwar noch aus dem Ministerium<br />

für Abrüstung und Verteidigung, doch wer tatsächlich dahintersteckte, ist unschwer zu<br />

erahnen. Denn über die damalige Denkweise in <strong>der</strong> Bundeswehrführung besteht kein Zweifel:<br />

In Wirklichkeit hatte sie, wie General Werner von Scheven im nachhinein bestätigte, niemals<br />

eine Vereinigung o<strong>der</strong> Zusammenführung <strong>der</strong> beiden Armeen im Sinn. »Das Ziel hieß<br />

Auflösung und Integration eines kleinen Restbestandes von Berufsoffizieren.«<br />

Vermutlich, um die im September 1990 noch verbliebenen 24 NVA-Generale und -Admirale<br />

bis zuletzt bei <strong>der</strong> Stange zu halten, wurde zu diesem Zeitpunkt die Übernahme von zwölf<br />

Spitzenmilitärs in Aussicht gestellt. Schließlich war aber doch innerhalb weniger Tage<br />

entschieden worden, auch nicht »einige nicht belastete Generale zu übernehmen«. Sie wurden<br />

kurzfristig zum 28. September ins Ministerium nach Strausberg befohlen, um sie mit Wirkung<br />

vom 2. Oktober, 24 Uhr, aus dem aktiven Dienst zu entlassen. Zum selben Zeitpunkt endete<br />

die Geschichte <strong>der</strong> NVA. Wer von den zu diesem Zeitpunkt noch 50 000 Berufs- und<br />

Zeitsoldaten trotz diskriminieren<strong>der</strong> Bedingungen wie Herabstufung im Dienstgrad<br />

weiterbeschäftigt werden wollte, konnte sich auf Probe bewerben; zum Jahresende reduzierte<br />

sich ihre Zahl um die Hälfte.<br />

Wir trauern um...<br />

...Traditionsnamen <strong>der</strong> NVA, die in <strong>der</strong> »Armee <strong>der</strong> Einheit« null Chancen hatten<br />

Als am 2. Oktober 1990 bei <strong>der</strong> NVA das Licht ausging, wurden mit einem Fe<strong>der</strong>strich auch<br />

alle in <strong>der</strong> Volksarmee verliehenen Ehrennamen von Kasernen, Schulen, Regimentern,<br />

Bataillonen und Schiffen auf den Müllhaufen <strong>der</strong> Geschichte beför<strong>der</strong>t: Rund 300 wurden<br />

keiner Bundeswehrehre wert befunden – we<strong>der</strong> <strong>der</strong> Bauernführer aus dem Mittelalter noch <strong>der</strong><br />

Vordenker einer neuen Zeit, we<strong>der</strong> <strong>der</strong> Sozialdemokrat noch <strong>der</strong> jüdische<br />

Wi<strong>der</strong>standskämpfer o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Wehrmachtsdeserteur ... So gut wie keiner wurde<br />

»übernommen«, weil kaum einer von ihnen je in <strong>der</strong> Bundeswehr als traditionsstiftend<br />

angesehen worden war. Gar nicht zu reden von revolutionären Matrosen, Opfern <strong>der</strong><br />

Konterrevolution, Interbrigadisten, Kundschaftern und Partisanen, den kommunistischen<br />

Reichstagsabgeordneten gar o<strong>der</strong> Repräsentanten <strong>der</strong> DDR – die haben in <strong>der</strong> BRD eh<br />

schlechte Karten. Zum Beispiel:<br />

Anton Ackermann, Etkar André, Bernhard Bästlein, Wilhelm Bahnik, Herbert Baum, August<br />

Bebel, Artur Becker, Johann Philipp Becker, Hans Beimler, Nikolai Bersarin, Conrad<br />

Blenkle, Willi Bredel, Rudolf Breitscheid, Ernst Busch; Max Christiansen-Clausen, Hans<br />

Coppi, Erich Correns; Franz Dahlem, Johannes Dieckmann, Georgi Dimitroff, Heinrich<br />

Dorrenbach, Hermann Duncker; Hugo Eberlein, Friedrich Ebert, Rudolf Egelhofer, Friedrich


Engels; Wilhelm Florin, Julius Fucik; Juri Gagarin, Florian Geyer, Klement Gottwald, Otto<br />

Grotewohl; Arvid Harnack, Fritz Heckert, Liselotte Herrmann, Ho Chi Minh, Edwin Hoernle,<br />

Albert Hößler, Walter Husemann; Franz Jacob, Leo Jogiches; Hans Kahle, Heinz Kapelle,<br />

Albin Köbis, Wladimir Komarow, Soja Kosmodemjanskaja; Wolfgang Langhoff, Eugen<br />

Leviné, Karl Liebknecht, Wilhelm Liebknecht, Adolf von Lützow, Rosa Luxemburg; Julian<br />

Marchlewski, Hans Marchwitza, Franz Mehring, Erich Mühsam, Thomas Müntzer; Katja<br />

Nie<strong>der</strong>kirchner, Otto Nuschke; Wilhelm Pieck, Magnus Poser; Sandor Rado, Heinrich Rau,<br />

Max Reichpietsch, Ludwig Renn; Anton Saefkow; John Schehr, Fritz Schmenkel, Ernst<br />

Schneller, Harro Schulze-Boysen, Werner Seelenbin<strong>der</strong>, John Sieg, Friedrich Adolf Sorge,<br />

Richard Sorge, Damdiny Suche-Bator, Ludvik Svoboda, Karol Swierczewski; Ernst<br />

Thälmann; Bodo Uhse; Fritz Weineck, Erich Weinert, Friedrich Wolf, Konrad Wolf; Clara<br />

Zetkin.<br />

Abgeschrieben<br />

Das Bundesministerium <strong>der</strong> Verteidigung zum 50. Jahrestag <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> NVA<br />

Das Bundesministerium <strong>der</strong> Verteidigung hat mit einem Schreiben vom 13. Dezember 2005<br />

an die Standortältesten in den Wehrbereichen zu »Veranstaltungen mit Bezug zum 50.<br />

Jahrestag <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> NVA« Stellung genommen:<br />

In jüngster Zeit sind mehrfach Anfragen o<strong>der</strong> konkrete Planungen bekannt geworde, die eine<br />

Durchführung von Veranstaltungen mit Bezug zum 50. Jahrestag <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> NVA am<br />

1. März in Liegenschaften <strong>der</strong> Bundeswehr zum Ziel hatten.<br />

Die NVA war die Armee des Unrechtsregimes <strong>der</strong> DDR, ihr Auftrag und ihre innere Ordnung<br />

sind unvereinbar mit dem Selbstverständnis <strong>der</strong> Bundeswehr als Streitkräfte in <strong>der</strong><br />

Demokratie und ihrer Soldaten als Staatsbürger in Uniform. Ein ehrendes Andenken an die<br />

NVA durch die Bundeswehr ist daher ausgeschlossen.<br />

Veranstaltungen aus Anlaß <strong>der</strong> Würdigung des 50. Jahrestages <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> NVA sowie<br />

Veranstaltungen, die einen erkennbaren Bezug zu diesem Jahrestag haben o<strong>der</strong> in an<strong>der</strong>er<br />

Weise den Zweck verfolgen, <strong>der</strong> NVA ein ehrendes Andenken zu bewahren, sind daher in<br />

Liegenschaften <strong>der</strong> Bundeswehr untersagt. Entsprechende Anfragen sind grundsätzlich<br />

abzulehnen.<br />

Ich bitte Sie, diesen Erlaß auch Ihnen unterstellten Bereichen zur Kenntnis zu geben.<br />

Im Auftrag<br />

Bermes<br />

Oberst i.G. Klaus Dieter Bermes ist im Kopf des Schreibens als Referatsleiter FO S 4<br />

ausgewiesen

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