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Zwei Kulturen – SchulpädagogInnen und SozialarbeiterInnen im streit

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Ulrich Bartosch<br />

<strong>Zwei</strong> <strong>Kulturen</strong> <strong>–</strong> <strong>SchulpädagogInnen</strong> <strong>und</strong> <strong>SozialarbeiterInnen</strong> <strong>im</strong> <strong>streit</strong>baren<br />

Dialog 1<br />

Ein besonderer Akzent dieses Konzeptes ist sicherlich, dass es die beiden hauptsächlich beteiligten<br />

Gruppen <strong>–</strong> LehrerInnen <strong>und</strong> <strong>SozialarbeiterInnen</strong> <strong>–</strong> bereits innerhalb ihrer Ausbildungsphase<br />

zusammenführt. Aus der Perspektive der Passauer Universität ist das Seminar<br />

ein Bestandteil des Programms zur Lehramtsausbildung. Für die Eichstätter Studierenden<br />

ist ein Angebot innerhalb des Fachhochschulstudienganges Soziale Arbeit. Die Form der<br />

Zusammenführung ist dabei zunächst virtuell. Am Ende des Seminardurchlaufes ist jeweils<br />

eine Präsenzveranstaltung vorgesehen.<br />

Der Ausgangspunkt<br />

Raingard Knauer führt in Anlehnung Karlheinz Th<strong>im</strong>m vier Dilemmata an, die dazu führen,<br />

dass „... vor allem die Schule verstärkt auf die Jugendhilfe zugeht ...“ 2 Der Tenor seiner Argumentation<br />

kann auch für dieses virtuelle Seminarangebot gelten. Wir gehen für unser virtuelles<br />

Seminar davon aus, dass die Schule nicht alleine in der Lage ist, jene Probleme mit<br />

Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen, die in ihrem Kontext entweder entstehen oder auch nur auftauchen,<br />

ausreichend zu bewältigen. Vielmehr droht sie <strong>im</strong> erfolglosen Ringen mit diesen<br />

Problemen für ihre eigentlichen Aufgaben untauglich zu werden. Die Schule bedarf der Sozialen<br />

Arbeit als Partnerin, um Hilfestellungen für die vielfachen Schwierigkeiten von Kindern<br />

<strong>und</strong> Jugendlichen zu entwickeln. Genau besehen ist es nicht zuletzt die Schule selbst,<br />

die Hilfe durch die Soziale Arbeit benötigt.<br />

Vier Überforderungsbereiche der Schulen<br />

Betreuungsdilemma<br />

Sozialisationsdilemma<br />

Bildungsdilemma<br />

Akzeptanzdilemma<br />

1 An dieser Stelle wird in eher allgemeiner Weise auf ein virtuelles Seminarangebot hingewiesen, das <strong>im</strong> Rahmen der virtuellen hochschule<br />

bayern (vhb) entwickelt wird. Das Seminar wird in einer Kooperation der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt mit der<br />

Universität Passau erarbeitet. Auf Eichstätter Seite besteht das Entwicklungsteam zunächst aus Ulrich Bartosch, Anita Maile <strong>und</strong> Christine<br />

Speth an der Fakultät für Soziale Arbeit. In Passau sind vordringlich der Lehrstuhl für Allgemeine Pädagogik, d.h. Guido Pollak, Rudolf<br />

Kammerl <strong>und</strong> Monica Göstl mit der Erstellung des Angebots befasst. Der Projektzeitplan sieht vor, dass das Angebot ab SoSe 2004<br />

<strong>im</strong> Netz der vhb für alle eingeschriebenen Studierenden verfügbar sein wird (Informationen zum Studienprogramm <strong>und</strong> -bedingungen der<br />

vhb sind unter www.vhb.org abrufbar)<br />

2 Raingard Knauer, Jugendhilfe <strong>und</strong> Schule in Bewegung. Oder die Wiederentdeckung eines alten Themas, in: Sozialmagazin, 28. Jg.<br />

5/2003, S. 12-19 (12).


Ob die vier Dilemmata eine erschöpfende Liste der Problemstellungen bilden, soll hier<br />

nicht entschieden werden. Es kann jedoch von einem Betreuungsdilemma gesprochen werden,<br />

in das die Schule gerät, wenn sie kompensatorisch den erhöhten Betreuungsbedarf der<br />

Eltern für ihre Kinder <strong>und</strong> Heranwachsenden befriedigen wollte. „Die wachsende Heterogenität<br />

der Schülerschaft rückt auch für die Schule die Themen Erziehung <strong>und</strong> Unterstützung<br />

bei der Lebensbewältigung ins Visier.“ 3 Damit ist das Sozialisationsdilemma umschrieben.<br />

Das Bildungsdilemma deutet auf die Differenz von Auslese <strong>und</strong> Homogenitätskonzept<br />

gegenüber individuellen Bildungsstrategien. Gerade die leidige PISA-Diskussion<br />

greift hier an. Schließlich hat die Schule einen schweren Stand in der gesamten Diskussion.<br />

Jegliches Versagen der Gesellschaft wird am Ende ihr zugeschrieben. Und die Begeisterung<br />

aller direkt Beteiligten für ihre Schule ist in der Regel auch nicht sehr groß. Das Akzeptanzdilemma<br />

steht also für die generellen <strong>Zwei</strong>fel, dass unsere Schule, so wie sie ist, auch wirklich<br />

bleiben sollte.<br />

Diese Situation wird sowohl ohne Schadenfreude als auch ohne Schuldvermutung angenommen.<br />

Angesichts der „... wenig verheißungsvollen Rahmenbedingungen mutet es...“ <strong>–</strong><br />

so Titus S<strong>im</strong>on <strong>–</strong> „dann anachronistisch oder gar clownesk an, wenn eine ausgebrannte<br />

<strong>und</strong> in Teilen auch demotivierte Lehrerschaft dann all jene Aufgaben zu bewältigen hat, die<br />

von Eltern <strong>und</strong> anderen gesellschaftlichen Instanzen nicht mehr oder nur unzulänglich geleistet<br />

werden können.“ 4 Dies bedeutet aber auch, dass es sich um eine echte Problemlage<br />

auf Seite der Schule handelt. Sie ist aufgerufen, sich neu zu formieren <strong>und</strong> professionelle<br />

Hilfe anzufordern <strong>und</strong> innerhalb ihres Systems auch möglich zu machen. Die Soziale Arbeit<br />

kann <strong>und</strong> will spezielle Hilfe anbieten. Diese Zusammenarbeit ist in verschiedenen Tiefen<br />

vorstellbar. Aber sie wird <strong>–</strong> <strong>im</strong> hier beschriebenen Konzept <strong>–</strong> als eine interprofessionelle<br />

Kooperation gefasst. Kolonisten der einen oder anderen Seite werden also nicht bedient.<br />

Weder spricht sich das Konzept vorschnell für eine sozialpädagogische Schule aus, noch<br />

wird die Soziale Arbeit schlechterdings als Subdisziplin der Pädagogik eingeordnet. Wir<br />

gehen von einer disziplinären, professionellen Perspektive für die gesuchten Lösungsansätze<br />

aus. Dies betrifft auch die Ausweitungen des Betreuungsangebotes der Schule auf eine<br />

ganztägige Struktur. Hier ist <strong>im</strong> Sinne einer Gefahrenwahrnehmung Martin Nörber zuzust<strong>im</strong>men,<br />

wenn er konstatiert, „... dass mit der flächendeckenden Einrichtung von Schulen<br />

mit Betreuungsangeboten eine Situation entsteht, in der die ordnungspolitische Zuständigkeit<br />

der ‚Jugendhilfe für die Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen <strong>und</strong> Tagespflege’<br />

aufgelöst wird“. 5 Zudem bleibt es problematisch, das jetzige Angebot der Schule auf<br />

den ganzen Tag hin auszudehnen, solange es sich als Problemlösungsstrategie nicht wirklich<br />

bewährt. In diesem Sinne argumentiert auch die AGJ: „Das neue Ganztagsangebot ist,<br />

auch wenn es überwiegend am Ort der Schule angesiedelt ist, keine ausschließlich schulische<br />

Einrichtung, zu der von Fall zu Fall andere Personen hinzugezogen werden. Es beruht<br />

auf einem abgest<strong>im</strong>mten, gemeinsam entwickelten Konzept der Kooperation von Schule <strong>und</strong><br />

Jugendhilfe.“ 6 Was übrigens damit noch nicht festgelegt ist, wäre die Best<strong>im</strong>mung des<br />

Ganztagesangebotes als Ganztagsschule. Auch bleibt offen, ob die Ganztagsschule der große<br />

Aufbruch „für den Ausbau des Arbeitsfeldes der Schulsozialarbeit“ sein wird, wie dies<br />

Eva-Maria Stange in ihrer Eröffnungsansprache zum Münchener Kongress voraussieht. 7<br />

Eine begrüßenswerte „schöne Utopie“ wäre sicherlich, „... wenn aus der Zusammenarbeit<br />

3 Knauer, S. 12.<br />

4 Titus S<strong>im</strong>on, Soll Soziale Arbeit die Schule retten?, in: SozialExtra, 27. Jg., Feb, März 2003, S. 6-8 (6).<br />

5 Martin Nörber, Die neuen Hausherren?! Vom „Reperaturbetrieb“ für soziale Problemfälle zum „Bespaßer“ <strong>im</strong> Betreuungsangebot?, in:<br />

Sozialmagazin, 28. Jg. 5/2003, S. 23- 29 (28).<br />

6 Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe (AGJ), Empfehlungen zu den gemeinsamen Herausforderungen von Schule <strong>und</strong> Jugendhilfe bei<br />

der Umsetzung des Investitionsprogramms „Zukunft Bildung <strong>und</strong> Betreuung“, Juni 2003, GEW, Org.Bereich Jugendhilfe <strong>und</strong> Sozialarbeit,<br />

Dok-2003/07/01, [4 S.]<br />

7 Vortrag der GEW-Vorsitzenden Dr. Eva-Maria Stange zur Eröffnung der B<strong>und</strong>esfachtagung „Schulsozialarbeit“ 10./11. Juli an der FH<br />

München, <strong>im</strong> vorliegenden Band.


von Jugendhilfe <strong>und</strong> Schule etwas völlig Neues, eine neue ‚Lernstatt’ entstünde? Oder ein<br />

Labor des Lebens <strong>und</strong> Lernens? ... die Jugendhilfe dafür sorgen würde, dass Kinder <strong>und</strong><br />

Jugendliche zu Wort kommen, ihre Sachen in die Hand nehmen <strong>und</strong> ihre Interessen durchsetzen?<br />

Wenn Partizipation kein Fachbegriff, sondern gelebte Praxis wäre?“ 8<br />

Alle diese Aspekte weisen eben auf eine Schule hin, die in konkreten Schwierigkeiten ist.<br />

Die Jugendsozialarbeit bietet Chancen, diese Schwierigkeiten in einer kooperativen Struktur<br />

zu bearbeiten. „Man würde das Pferd von hinten aufzäumen, wenn wir die Probleme mit<br />

Schülern ausschließlich als deren Probleme deuten“, stellt Karlheinz Th<strong>im</strong>m richtig. 9 Diese<br />

Deutung drängt sich aber vielleicht aber ständig neu auf, wenn das Schülerverhalten in der<br />

Wahrnehmung der LehrerInnen als ‚Belastungsfaktor ganz oben steht’. Lern-, Sozialverhalten<br />

<strong>und</strong> Disziplinprobleme werden von den Befragten als Hauptbelastung eingestuft, vor<br />

Intensität, Quantität <strong>und</strong> Rahmenbedingung des Unterrichts. 10 Die Beteiligten sollten daher<br />

einsehen können, dass Zusammenarbeit nicht nur möglich <strong>und</strong> wünschbar, sondern notwendig<br />

ist.<br />

Unser Ausgangspunkt ist daher:<br />

Die Schule braucht jene Hilfe, die die Soziale Arbeit leisten kann.<br />

Die Idee<br />

Soziale Arbeit in der Schule ist ein interprofessionelles Geschehen, in dem Berufsgruppen<br />

mit unterschiedlicher Professionskultur zusammenarbeiten. In der täglichen Praxis treten<br />

Schwierigkeiten <strong>im</strong> gegenseitigen Verständnis auf. Die Zielsetzungen, Möglichkeiten <strong>und</strong><br />

Strategien von LehrerInnen <strong>und</strong> SozialpädagoInnen unterscheiden sich mitunter erheblich.<br />

Die Kenntnisse über die jeweils andere Profession sind häufig sehr gering. So trägt z. B. die<br />

„Sozialpädagogik“ selbst „...ebenfalls zu Missverständnissen <strong>und</strong> Verkürzungen <strong>im</strong> Verhältnis<br />

zu Schule bei, weil: - die eigene Position <strong>und</strong>eutlich, in der Kontroverse eher beleidigt,<br />

<strong>und</strong> aus dem Verständnis eines ‚David’ gegenüber dem ‚Goliath’ Schule oft defensiv<br />

bleibt; - ihr Bild von Schule oft stark überaltert ist <strong>und</strong> von den eigenen Schulerfahrungen<br />

der Mitarbeiter getragen wird; ihre eigene Funktionsbest<strong>im</strong>mung <strong>im</strong> Verhältnis zu Schule<br />

oft schwammig ist; man weiß eher was man nicht will, während Schule meist klare Erwartungen<br />

an Jugendarbeit hat.“ 11 Tatsächlich sind die Einflussmöglichkeiten sehr ungleich<br />

verteilt. ‚Schule, das ist Sache der Lehrer!’<br />

8 Bernhard Eibeck, Kinder sind sie den ganzen Tag, GEW fordert mehr Ganztagsangebote, in: Erziehung <strong>und</strong> Wissenschaft extra, Zeitschrift<br />

der Bildungsgewerkschaft GEW, 1/2001, (S. 9-10), S. 10.<br />

9 Karlheinz Th<strong>im</strong>m, Lebendigkeit, Wohlsein, Freude... drei Kriterien, um Schulunlust zu vermeiden, in: Erziehung <strong>und</strong> Wissenschaft<br />

extra, Zeitschrift der Bildungsgewerkschaft GEW, 1/2001, S. 7.<br />

10 Gerhard Hüfner, Die Belastungsprofile einzelner Lehrergruppen, BLLV-Befragung: Arbeitsbelastung in Schulen, in: Bayerische Schule,<br />

10/2003, (S. 12-15), S. 12.<br />

11 Ulrich Deinet, Zusammenarbeit von Schule <strong>und</strong> Jugendhilfe, in: Ulrich Deinet (Hrsg.), Kooperation von Jugendhilfe <strong>und</strong> Schule. Ein<br />

Handbuch für die Praxis, Opladen 2001, S. 17.


Welchen Auftrag haben die Professionen?<br />

SozialarbeiterIn<br />

LehrerIn<br />

lt. Bildungsrat<br />

Hilfe<br />

Bildung<br />

Erziehung<br />

Bewertung<br />

Beratung<br />

Schulentwicklung<br />

„<strong>Zwei</strong> <strong>Kulturen</strong> <strong>–</strong> <strong>SchulpädagogInnen</strong> <strong>und</strong> <strong>SozialarbeiterInnen</strong> <strong>im</strong> <strong>streit</strong>baren Dialog“<br />

Prof. Dr. Ulrich Bartosch 10. / 11.07.2003<br />

Wenn Ulrich Deinet von präzisen Vorstellungen auf Seiten der Lehrerschaft spricht, so<br />

trifft das nur einen, verzerrter Aspekt der Realität. Wohl haben die Lehrer bisweilen klare<br />

Anforderungen an die Sozialarbeit in der Schule, aber sie formulieren diese häufig ohne<br />

Kenntnis des professionellen Tätigkeitsspektrums der Sozialen Arbeit. So werden schlicht<br />

Hilferufe ausgestoßen (‚Kümmert Euch mal...“) oder Hilfsdienste ausgelobt („Ich habe keine<br />

Zeit, Sie müssten hier mal individuell fördern...“). 12 Allerdings wird auf die konkrete<br />

Nachfrage hin von den LehrerInnen „Einzelfallhilfe für Kinder in schwierigen Lebenssituationen“<br />

an die erste Stelle gerankt. 13 Es ist gleichzeitig zu vermuten, dass die konkreten<br />

Kenntnisse der LehrerInnen um die methodischen Möglichkeiten des Sozialarbeiters <strong>–</strong> <strong>und</strong><br />

damit die Kooperationserfordernisse <strong>–</strong> nur sehr allgemein geläufig sind. Andersherum haben<br />

die Sozialarbeiter <strong>im</strong>merhin eine konkrete Erfahrung <strong>und</strong> damit Vorstellung von Schule<br />

aus eigener Anschauung. Für eine echte Kooperation reichen beide Voraussetzungslagen<br />

nicht aus. Besonders schwierig scheint es zu werden, wenn beide Seiten sich aus der verfestigten<br />

Position eigener beruflicher Erfahrung <strong>im</strong> wechselseitig eigenen Handlungsfeld zu<br />

positionieren versuchen.<br />

Unsere Idee ist deshalb:<br />

Zukünftige LehrerInnen <strong>und</strong> SozialpädagogInnen sollten sich bereits während ihrer Ausbildung,<br />

d.h. innerhalb ihrer beruflichen Sozialisation, kennen <strong>und</strong> (ein)schätzen lernen.<br />

Die Perspektiven<br />

Generelles Ziel unseres virtuellen Angebots sollte freilich sein, Rüstzeug für eine verbesserte<br />

Praxis der Schulsozialarbeit zu vermitteln. Aber so leicht ist das nicht möglich. Schon<br />

die schwierige Wahl der Begrifflichkeit weist darauf hin: „Schulsozialarbeit“ steht vorwiegend<br />

für eine integrierte Konzeption, die der Schule <strong>und</strong> ihrer Kultur eine dominante Stellung<br />

zuweisen mag. ‚Jugendsozialarbeit an Schulen’ bezeichnet dagegen eher eine Konzeption<br />

deutlicher professioneller Trennung bei gleichzeitiger punktueller Kooperation. Beide<br />

12 Vgl. Wolfgang Habberger, Feurio!!! Feurio!!! Feurio!!!, Obwohl es brennt: Schulsozialarbeit <strong>–</strong> bitte nur auf Abruf, DDS, Zeitschrift<br />

der GEW Landesverband Bayern, Juni 2003, S. 5f.<br />

13 Karl-Heinz Braun/Konstanze Wetzel, Angst ist ein selbstverständlicher „Begleiter“, Erwartungen von SchülerInnen an eine sozialpädagogische<br />

Profilbildung der Schule, in: Sozialextra, 02,03/2003, S. 9-11.


Sichtweisen haben ihre Berechtigung <strong>und</strong> sind nicht zuletzt den unterschiedlichen professionellen<br />

Blickwinkeln selbst geschuldet. Für den Schulpädagogen wirkt Schulsozialarbeit<br />

innerhalb des eigenen schulischen Raumes. Sie ist Bestandteil oder auch Fremdkörper in<br />

der Schule <strong>und</strong> wirkt an der Gestaltung von schulischer Gemeinschaft, von Klassen <strong>und</strong><br />

Schulkultur mit. In diesem Sinne hätte sie sich auch den Aufgaben <strong>und</strong> Funktionen von<br />

Schule unterzuordnen. 14<br />

Ergebnisse aus einer Veranstaltung von<br />

Sozialarbeits- <strong>und</strong> Lehramtsstudenten<br />

zum Thema „Jugendsozialarbeit an<br />

Schulen“ (Juni 2003)<br />

Erwartungen an Sozialarbeiter:<br />

- Beratung (vor allem bei Elternarbeit<br />

- Kooperation (z. B. bei außerschulischen<br />

Betreuung<br />

-Begleitung bei Aktivitäten an der Schule<br />

(z. B. Ausflüge, Schullandhe<strong>im</strong>)<br />

-Anbieten von Seminaren<br />

- starke Präsenz an der Schule<br />

- kein Einfluss in den Bewertungsbereich<br />

<strong>und</strong> in den Bereich des Unterrichtens<br />

Erwartungen an Lehrer:<br />

-Bewusstsein über die Rolle der eigenen<br />

Person<br />

-Vermittlung von Inhalten<br />

- angemessene Leistungsbewertung<br />

- Gr<strong>und</strong>kompetenz <strong>im</strong> Umgang mit<br />

Jugendlichen<br />

-Gruppendynamische Prozesse wahrnehmen<br />

- Kooperationsbereitschaft mit einem<br />

Sozialarbeiter<br />

-Erziehung von eigenständigen<br />

Persönlichkeiten<br />

Für den Sozialarbeiter kann die Schule eines von mehreren parallelen Operationsgebieten<br />

sein. Sein Focus ist auf den Einzelfall gerichtet. 15 Die Schule ist vielleicht nur der Ort, an<br />

dem viele ‚Einzelfälle’ notgedrungen zusammentreffen. Die Entscheidung, ob <strong>und</strong> wie eine<br />

Seite höhere Gewichtung erhalten sollte, ist zunächst eine Angelegenheit der jeweiligen<br />

konkreten Lösung in der konkreten Schule.<br />

Aber beide Perspektiven behalten ihre jeweilige eigenständige Berechtigung. In diesem<br />

Sinne können sie zur Bereicherung der schulischen Entwicklung führen <strong>und</strong> auch konkrete<br />

Entlastung der LehrerInnen erwirken, wie Martin Sekura berichtet: „Die Zusammenarbeit<br />

zwischen der Jugendsozialarbeit <strong>und</strong> den Lehrern kostet Zeit, da <strong>im</strong>mer wieder ein Dialog<br />

notwendig ist <strong>und</strong> Absprachen getroffen werden müssen; sie bringt dem einzelnen Lehrer<br />

aber auch entscheidende Vorteile. So bietet sich durch die Arbeit <strong>im</strong> Team die Möglichkeit<br />

zum fachlichen Austausch <strong>und</strong> zur Reflexion. Die Sozialpädagogik bringt eine zusätzliche<br />

fachliche Perspektive in den Kommunikationsprozess ein. Durch kollegiale Beratung erfah-<br />

14 Siehe hierzu die Zusammenstellung von Stephan Maykus unter Verweis auf Fend, Meyer <strong>und</strong> Forneck. Stephan Maykus: Schulalltagsorientierte<br />

Sozialpädagogik. Begründung <strong>und</strong> Konzeptionalisierung schulbezogener Angebote der Jugendhilfe, Eine theoretischempirische<br />

Best<strong>im</strong>mung von Aufgaben der Jugendhilfe <strong>im</strong> Sozialisationsraum Schule, Frankfurt a.M. u.a. 2001, S. 64.<br />

15 Die deutliche Differenz der professionellen Zielperspektiven kann hier nicht ausführlicher verfolgt werden. Eine Einschätzung von<br />

Fritz Böhle, als Ergebnis einer arbeitssoziologischen Untersuchung, sei beispielhaft vermerkt: „Zugleich besteht aber speziell bei Lehrern/-innen<br />

ein Konflikt zwischen der Methodik der jeweils fachspezifischen Ausbildung einerseits <strong>und</strong> dem Umgang mit den Schülern/-<br />

innen andererseits: Das subjektivierende, erfahrungsgeleitete Handeln erfordert von den Lehrern/-innen Orientierungen, Verhaltensweisen<br />

<strong>und</strong> Kompetenzen, die in der fachspezifischen Ausbildung nicht nur ausgegrenzt, sondern auch als fehlerhaft <strong>und</strong> unwissenschaftlich<br />

gelten.“ Fritz Böhle, Der Lehrer als Prototyp moderner Arbeit, Anforderungen <strong>und</strong> Belastungen bei Lehrern/-innen aus arbeitssoziologischer<br />

Sicht, in: Bayerische Schule,<br />

10/2003, (S. 8-11), S. 10.


en Lehrer emotionale Entlastung. Projekte können gemeinsam geplant werden. Konflikte<br />

zwischen Schülern <strong>und</strong> Lehrern werden entschärft <strong>und</strong> dadurch kann längerfristig eine positive<br />

Auswirkung auf das Kl<strong>im</strong>a der Schule entstehen.“ 16<br />

Die Perspektiven bleiben erhalten:<br />

In unterschiedlichen Blickwinkeln <strong>–</strong>Praktikantin der Sozialen Arbeit <strong>und</strong> ReferendarIn - auf<br />

konkrete Problemstellungen soll die jeweils eigene Professionalität erhalten <strong>und</strong> gestärkt,<br />

eine Vereinheitlichung des Herangehens vermieden werden.<br />

Wie kann eine erfolgreiche Kooperation stattfinden?<br />

Anerkennung der anderen Profession<br />

Eingestehen der Eigenständigkeit des jeweils Anderen<br />

Kooperation an Stellen, an denen es sinnvoll <strong>und</strong> notwendig ist<br />

Zusammenarbeit durch verbindliche Strukturen regeln<br />

Anerkennung der unterschiedlichen Aufgabenbereiche<br />

„<strong>Zwei</strong> <strong>Kulturen</strong> <strong>–</strong> <strong>SchulpädagogInnen</strong> <strong>und</strong> <strong>SozialarbeiterInnen</strong> <strong>im</strong> <strong>streit</strong>baren Dialog“<br />

Prof. Dr. Ulrich Bartosch 10. / 11.07.2003<br />

Die Zielsetzung<br />

Die konkrete Zielsetzung dieses virtuellen Angebotes bleibt der Differenz der Professionen<br />

verpflichtet: Ein LehrerIn ist LehrerIn. Eine SozialpädagogIn bleibt SozialpädagogIn. Hierfür<br />

ist eine Vergewisserung über die je eigenen Möglichkeiten <strong>und</strong> Aufträge nötig: „Die Besinnung<br />

auf ... originär sozialpädagogische Konzepte der Jugendhilfe ist gerade dann wichtig,<br />

wenn sie sich mit der Schule ‚einlässt’, denn die Gefahr der Vereinnahmung für schulische<br />

Interessen <strong>und</strong> Aufgabenstellungen ist groß...“. 17<br />

Was aber beide Professionen innerhalb des „Systems Schule“ zu verändern vermögen, kann<br />

<strong>und</strong> soll <strong>im</strong> Seminar nicht vorweggenommen werden. Allerdings sollen beider Möglichkeiten<br />

miteinander zu kooperieren verbessert werden. Beide sollen soviel voneinander lernen,<br />

dass ihnen die Zusammenarbeit leichter fallen möge. Sie sollen die Möglichkeiten Sozialer<br />

Arbeit in der Schule miteinander erk<strong>und</strong>en <strong>und</strong> die Eckpunkte gemeinsamer Arbeit<br />

best<strong>im</strong>men. Innerhalb des Seminars werden die TeilnehmerInnen also keine Lösungen vorfinden,<br />

sondern Strategien zur gemeinsamen Lösungsfindung ausprobieren können.<br />

16 Martin Sekura, Referat Schulpolitik berichtet: Jugendsozialarbeit an Schulen, Beispiel Luitpoldschule Amberg, in: Oberpfälzer Schule<br />

5/2003, (S. 18f.), S. 18.<br />

17 Hermann Rademacker, Schulsozialarbeit ist <strong>im</strong> Kommen, in: GEW Bayern (Hrsg.): Schule&Sozialarbeit, München 1999, (S.10-22), S.<br />

20.


Wie kann eine erfolgreiche Kooperation stattfinden?<br />

Wissen<br />

Offenheit<br />

Kennen<br />

Vertrauen<br />

Verständnis<br />

schon während der Ausbildung<br />

„<strong>Zwei</strong> <strong>Kulturen</strong> <strong>–</strong> <strong>SchulpädagogInnen</strong> <strong>und</strong> <strong>SozialarbeiterInnen</strong> <strong>im</strong> <strong>streit</strong>baren Dialog“<br />

Prof. Dr. Ulrich Bartosch 10. / 11.07.2003<br />

Unsere Zielsetzung ist somit:<br />

Beide Professionen sollen befähigt werden, gemeinsam eine Konzeption für Schulsozialarbeit<br />

zu entwickeln, die als Rahmen für erfolgreiche Kooperation dienen kann.<br />

Die Module<br />

Wir haben sechs Module konzipiert. Sie bilden die Schrittfolge von der Bestandsaufnahme<br />

der unterschiedlichen Aufgaben von Sozialer Arbeit <strong>und</strong> Schule bis zur gemeinsamen Konzeption:<br />

Modul 1 / Beteiligte Systeme: Bereits durch die Verwendung des Systembegriffs wird die<br />

theoretische Verortung <strong>im</strong> Rahmen der Systemtheorie deutlich. Ohne eine umfangreiche<br />

Einführung in die Systemtheorie leisten zu können, gehen wir von den Voraussetzungen<br />

<strong>und</strong> auch den dazugehörigen Begrifflichkeiten der Systemtheorie aus. Dies erlaubt uns,<br />

Schule <strong>und</strong> Soziale Arbeit als eigenständige Systeme betrachten zu können. So können<br />

Voraussetzungen <strong>und</strong> Möglichkeiten einer professionellen Kooperation analysiert werden.<br />

Ihre funktionale Differenz wird nicht verwischt: „Das Schulsystem in seiner gegenwärtigen<br />

Struktur ist dadurch gekennzeichnet, dass die Funktion der Differenzierung stark, die Funktion<br />

der Integration dagegen schwach gewichtet wird. ...Verfahren <strong>und</strong> Bestrebungen zur<br />

Förderung leistungsschwächerer Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler sowie zur Minderung von Bildungsbenachteiligungen<br />

[stehen] eher am Rande der Aufmerksamkeit. Diese sind <strong>im</strong> Zuge<br />

der funktionalen Ausdifferenzierung weitgehend anderen Systemen, vor allem der Jugendhilfe<br />

übertragen worden. ... Die Jugendhilfe ist ein Subsystem der Sozialen Arbeit. ... Der<br />

Bezugspunkt der Ausdifferenzierung eines Teilsystems ‚Soziale Arbeit’ ist die Erfüllung der<br />

Funktion der Integration.“ 18 Es ist deshalb innerhalb eines Bildungsangebotes von Beginn<br />

an zu vermeiden, dass die Aufgaben aus der ausschließlichen Perspektive eines beteiligten<br />

Systems betrachtet <strong>und</strong> bearbeit werden. Diese Trennung bleibt bestehen. Eine fre<strong>und</strong>liche<br />

oder gar feindliche Übernahme ist für keine Seite vorgesehen.<br />

18 T. Olk/G.-W. Bathke/B. Hartnuß, Jugendhilfe <strong>und</strong> Schule <strong>–</strong> Empirische Bef<strong>und</strong>e <strong>und</strong> theoretische Reflexionen zur Schulsozialarbeit,<br />

Weinhe<strong>im</strong> <strong>und</strong> München 2000, S. 15.


Gemeinsames Seminar von Sozialarbeits- <strong>und</strong><br />

Lehramtsstudenten zum Thema<br />

Jugendsozialarbeit an Schulen<br />

Beteiligte<br />

Systeme<br />

Methoden<br />

Ist-Stand-<br />

Analyse<br />

Ziele Kooperation Konzeption<br />

„<strong>Zwei</strong> <strong>Kulturen</strong> <strong>–</strong> <strong>SchulpädagogInnen</strong> <strong>und</strong> <strong>SozialarbeiterInnen</strong> <strong>im</strong> <strong>streit</strong>baren Dialog“<br />

Prof. Dr. Ulrich Bartosch 10. / 11.07.2003<br />

Modul 2 / Methoden: Sowohl in der Sozialen Arbeit wie auch in der Schulpädagogik haben<br />

Methoden einen hohen Stellenwert. Die klassische Methodentrias der Sozialen Arbeit <strong>–</strong><br />

Einzelfallhilfe, Gruppenarbeit, Gemeinwesensarbeit <strong>–</strong> auf der einen Seite, die Methoden<br />

des Unterrichtens <strong>und</strong> Lernens auf der anderen. Welche erprobten Methoden oder welche<br />

innovativen Entwicklungen könnten in der Jugendsozialarbeit an Schulen/Schulsozialarbeit<br />

zur Anwendung kommen? Im LDV-Leitantrag D8 heißt es z. B. bezüglich Aufgaben <strong>und</strong><br />

Formen: „Schulsozialarbeit hat demnach auch mehr als nur intervenierenden Defizitausgleich<br />

als Aufgabe. Neben Prävention umfasst sie ebenso auch schulergänzende Inhalte.<br />

Ihre konkrete Umsetzung entscheidet jede Einzelschule auf der Gr<strong>und</strong>lage eines eigenen<br />

Pädagogischen Konzepts in eigener Verantwortung. Folgende Formen sind dabei möglich:<br />

a) Schulinterne Angebote ... Projekttage oder <strong>–</strong>wochen, Schülertreffs ... klassenspezifische<br />

oder -übergreifende sozialpädagogische Gruppenarbeit ... Individuelle Angebote ... Beratungsangebote<br />

... Krisenintervention ... Externe Angebote ... stadtteilbezogene Aktivitäten ...<br />

Vermittlung <strong>und</strong> Vernetzung ... Zukunftsorientierte Angebote ...Weiterentwicklung der<br />

Schule ... Übergang von der Schule zur Arbeitswelt...“. 19 Die Antwort auf die Methodenfrage<br />

wird also von den konkreten Bedingungen abhängig bleiben. Aber sie wird auch von der<br />

Kenntnis des Methodenspektrums der beteiligten Professionen abgeleitet werden. So müssen<br />

sich beide Seiten der jeweils eigenen <strong>und</strong> der je anderen Kompetenz vergewissern. Erst<br />

wenn gegenseitige Kenntnis des Leistungsspektrums der Partner vorliegt, können konkrete<br />

Leistungen eingefordert <strong>und</strong> Erwartungen realistisch angepasst werden.<br />

Modul 3 / Ist-Stand Analyse: Die Analyse des Sozialraumes gehört zum festen Repertoire<br />

einer <strong>–</strong> vornehmlich <strong>–</strong> lebensweltorientierten Sozialen Arbeit. Sie ist hierbei von der<br />

Gr<strong>und</strong>annahme geleitet, dass die professionelle Arbeit an den konkreten, empirisch vorfindlichen<br />

Lebensbedingungen der Klientel ausgerichtet sein muss. Weder kann eine soziale<br />

Diagnose von den individuellen Voraussetzungen absehen, noch kann eine soziale Hilfeleistung<br />

die individuellen Bedürfnisse wertend präjudizieren. Im Selbstverständnis einer<br />

freiwillig akzeptierten <strong>und</strong> nachgesuchten Hilfestellung für den Klienten, ist auch die weitgehend<br />

neutrale Position des Sozialarbeiters gegenüber dem Lebensentwurf des Klienten<br />

19 LDV-Leitantrag D8 Schulsozialarbeit, abgedruckt in: Bayerische Schule, 7,8/2003, S. 13f.


eingeschlossen. Soziale Arbeit will also nicht (oder vielleicht nicht <strong>im</strong>mer) zu einem vermeintlich<br />

besseren Leben erziehen, sondern zur eigenständigen Lebensbewältigung <strong>im</strong><br />

Rahmen der gesellschaftlich akzeptierten <strong>und</strong> gegebenen Möglichkeiten verhelfen. Das<br />

gr<strong>und</strong>ständige Angebot der Schule ist weitaus unabhängiger von den konkreten örtlichen<br />

Gegebenheiten, in der diese, eine, konkrete Schule jeweils stattfindet. Schule orientiert sich<br />

an durchschnittlichen Anforderungen für jahrgangsweise identifizierte Gruppen von Kindern<br />

<strong>und</strong> Jugendlichen. Der Unterrichtsinhalt beispielsweise einer Mathematikst<strong>und</strong>e der 8.<br />

Jahrgangsstufe einer Regel-Hauptschule kann ohne Bezug zum sozialen Umfeld der Schule<br />

formuliert werden. Das Unterrichtsgeschehen hingegen wird wahrscheinlich nur durch die<br />

Kenntnisse dieses Umfeldes interpretierbar. Bei der Suche nach Wegen zur Reduzierung<br />

von Gewalt in der Schule unterstreicht z.B. Siegfried Lamnek, dass „... Präventionsprogramme<br />

an der alltäglichen Realität der Jugendlichen ausgerichtet werden [müssen]. Das<br />

bedeutet, dass vor allem die peers, die Bezugspersonen bzw. Identifikationsgruppen in die<br />

präventiven Bemühungen mit einbezogen werden müssen. Die Normen dieser Gruppen zu<br />

kennen, heißt, auch den einzelnen Jugendlichen besser verstehen <strong>und</strong> zwischen seinen <strong>und</strong><br />

den gesellschaftlichen Ansprüchen vermitteln zu können. Ein Jugendlicher darf nicht isoliert<br />

von seiner (Um)Welt betrachtet werden.“ 20 Die Analyse des Sozialraumes in dem die<br />

Schule sich definieren muss, ist also eine wesentliche Voraussetzung für individualisierte<br />

Bildungsperspektiven in einer zunehmend separierten Gesellschaft. Die gemeinsame soziale<br />

Identität muss eben erst erzeugt <strong>und</strong> kann nicht bereits vorausgesetzt werden. Ulrich<br />

Deinet bringt dies auf den Punkt, wenn er sagt: „Der Stadtteil/der Sozialraum ist sowohl für<br />

Schule als auch Jugendarbeit die wesentliche Klammer. So waren ... LehrerInnen <strong>und</strong> Lehrer<br />

sehr überrascht, dass die JugendarbeiterInnen mit Hilfe solcher Methoden detaillierte<br />

Einblicke in die Lebenswelten von Kindern einbringen konnten, die den Lehrerinnen <strong>und</strong><br />

Lehrern meist verborgen sind.“ 21<br />

Modul 4 / Ziele: Auf die Frage an Lehramtsstudierende während eines gemeinsamen Seminars<br />

von Passau <strong>und</strong> Eichstätt, wer dieses Fach studiere, weil er später „erziehen“ wolle,<br />

kam die fast einhellige Antwort, dass dies nicht das Ziel der Berufswahl sei. Für Erziehen<br />

sei fast keine Zeit, da man mit dem Unterrichten schon über die Maßen ausgelastet sei. Den<br />

<strong>–</strong> ebenfalls anwesenden <strong>–</strong> Sozialpädagogik Studierenden wurde deshalb die Aufgabe der<br />

Erziehung zugewiesen. Diese freilich bedankten sich abwehrend <strong>und</strong> stellten fest, dass die<br />

Erziehung zur genuinen Aufgabe der Schule gehöre, die man weder übernehmen dürfe noch<br />

wolle. Zugleich wird in solchen Diskussionen schnell eine beispielhafte Differenz der Problemperspektiven<br />

deutlich. Die Schule versteht sich vielleicht als opt<strong>im</strong>ierte Form der Unterrichtsorganisation<br />

<strong>und</strong> <strong>–</strong>durchführung. Einzelne Schüler sind durchaus in der Lage, dieses<br />

komplexe Geschehen empfindlich zu stören <strong>und</strong> müssen dann als Störfaktoren behandelt<br />

werden. Die Soziale Arbeit sieht womöglich den einzelnen, hilfebedürftigen Schüler, dessen<br />

Hilfebedarf von einer in ‚Klassen’ denkenden Schule weder erkannt noch befriedigt<br />

werden kann. Weitere Akteure, die an der Jugendarbeit an Schulen/Schulsozialarbeit beteiligt<br />

werden können machen die gemeinsame Zielfindung nicht einfacher: Eltern oder Politiker<br />

sind Beispiele. Gemeinsame Zielfindung <strong>und</strong> <strong>–</strong>definition ist aber unbedingte Voraussetzung<br />

für gelungene Kooperation. Die formulierten Ziele bündeln nicht nur die Strategien,<br />

sondern <strong>im</strong>plizieren auch die spätere Überprüfung der Zielerreichung.<br />

Modul 5 / Kooperation: Gemeinsame Ziele in komplexen Organisationen bedürfen der kooperativen<br />

Strategie für die Zielverfolgung. Was vielleicht selbstverständlich erscheint <strong>und</strong><br />

20 Siegfried Lamnek, Das Gewaltpotenzial von SchülerInnen in Bayern, in: GEW Bayern (Hrsg.): Fit to fight?, München 2000, (S. 6-14),<br />

S. 13.<br />

21 Ulrich Deinet, Schule <strong>und</strong> Jugendhilfe haben eigene Bildungsaufträge, Wie sollte eine sozialräumliche Verbindung zwischen Jugendhilfe<br />

<strong>und</strong> Schule aussehen?, in: SozialExtra S. 12-16 (15).


gleich zu Anfang versucht werden könnte, wird nun erst wirklich möglich. Kooperation<br />

kann nur zwischen eigenständigen Partnern realisiert werden. Sie muss auf die Kenntnisse<br />

der Kompetenzen aller Beteiligten gestützt sein. Sie muss von einer gemeinschaftlichen,<br />

verbindlichen Problemanalyse (zumindest in definierten Kooperationssegmenten) ausgehen<br />

<strong>und</strong> formulierte Zielsetzungen verfolgen können. Die KMK <strong>und</strong> die AGJ haben dies deutlich<br />

ausgesprochen: „Eine von beiden Seiten aktiv gestaltete Zusammenarbeit hat die Wahrung<br />

der Eigenständigkeit des jeweils anderen Kooperationspartners zu respektieren. ...<br />

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist es notwendig, gemeinsam Wege der systematisch<br />

organisierten <strong>und</strong> verstetigten Kooperation <strong>–</strong> über eine Definition von Leistungen,<br />

Zielen, Orientierungen <strong>und</strong> Regeln <strong>–</strong> auf der Gr<strong>und</strong>lage der jeweiligen regionalen <strong>und</strong>/oder<br />

lokalen Bedingungen sowie Erfordernisse zu erarbeiten. Dies setzt wechselseitige Kenntnis<br />

über die Aufgaben <strong>und</strong> Arbeitsweisen sowie über Trägerstrukturen, Möglichkeiten <strong>und</strong><br />

Grenzen der Kooperation voraus.“ 22 Die Kooperation zwischen Jugendhilfe <strong>und</strong> Schule<br />

erlaubt nun verschiedene Formen, die in einer gewissen Typisierung entlang der Linie engster<br />

Verschränkung <strong>und</strong> weitgehender Distanz sortiert werden können.<br />

Modul 6 / Konzeption: Mit der Konzeption wird die allgemeine Beschreibung des Konkreten<br />

geleistet. Sie bildet einen gemeinsamen Rahmen, der die einzelnen Faktoren in einen<br />

sinnhaften Zusammenhang bindet. Sie begründet die Zielsetzung <strong>und</strong> die Methodenwahl<br />

gleichermaßen. Die Konzeption ermöglicht professionelles Handeln, indem sie Planung,<br />

Überprüfung, Anpassung erlaubt. Sie diszipliniert die Ausgangsanalyse ebenso wie Sicherstellung<br />

von Qualität. Damit hilft sie, „... die beiden Systeme Jugendhilfe <strong>und</strong> Schule besser<br />

miteinander zu vernetzen. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass auch Aufgaben des jeweils<br />

anderen Systems zum Teil selbst mit wahrzunehmen sind“. 23 Die Entwicklung der Konzeption<br />

ist bereits gestaltend für die Gruppe der beteiligten Akteure. Sie definiert dann auch die<br />

‚vorgedachten’ Spielräume für die berücksichtigten Personen <strong>und</strong> Kooperationspartner <strong>im</strong><br />

Kontext von Jugendarbeit an Schulen/Schulsozialarbeit. Die Konzeption muss koordinierte<br />

Hilfe für die Schule bieten: „Schulen dürfen mit ihren Problemen nicht auf sich allein gestellt<br />

bleiben. Einrichtungen der Jugendhilfe, der medizinischen <strong>und</strong> der psychologischen<br />

Versorgung, der Polizei <strong>und</strong> der Kirchen müssen den Eltern <strong>und</strong> der Schule in einem Netzwerk<br />

zusammenarbeiten. In diesem Zusammenhang sollte Schulsozialarbeit einen festen<br />

Platz an Schulen mit vielen schwierigen Schülerinnen <strong>und</strong> Schülern erhalten.“ 24<br />

Das Lernmanagement-System:<br />

Freilich kann <strong>und</strong> muss Jugendsozialarbeit an Schulen / Schulsozialarbeit jenseits virtueller<br />

Lehr- <strong>und</strong> Lernformen <strong>im</strong> persönlichen Kontakt vermittelt <strong>und</strong> entwickelt werden. Schule<br />

<strong>und</strong> Soziale Arbeit werden ‚face to face’ gestaltet. Wir sind jedoch der Überzeugung, dass<br />

auch <strong>und</strong> gerade dieses Thema auf virtuellem Wege angegangen werden kann. Der virtuelle<br />

Raum ermöglicht uns, die Lernorte der einzelnen Disziplinen leicht <strong>und</strong> unkompliziert zu<br />

verbinden. Er bietet Chancen unterschiedliche Rollen einzunehmen <strong>und</strong> die Inhalte entsprechend<br />

individuell aufzuschließen. Die virtuelle Unterrichts- <strong>und</strong> Kommunikationsform wird<br />

künftig sowohl Schule wie auch Soziale Arbeit zunehmend beeinflussen. Die Einübung der<br />

Lehr- <strong>und</strong> Lernmöglichkeiten auf der Plattform ILF bilden somit eine eigene Ebene der Anforderungen<br />

<strong>und</strong> Erfahrungsmöglichkeiten dieses virtuellen Lehrangebots.<br />

22 Zusammenarbeit von Schule <strong>und</strong> Jugendhilfe. Bericht über gemeinsame Beratungen von Ständiger Konferenz der Kultusminister der<br />

Länder <strong>und</strong> Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe, Gemeinsames Amtsblatt der Ministerien für Bildung, Wissenschaft <strong>und</strong> Weiterbildung<br />

<strong>und</strong> für Kultur, Jugend, Familie <strong>und</strong> Frauen von Rheinland-Pfalz 5/1999.<br />

23 Bericht der Arbeitsgruppe Jugendhilfe <strong>und</strong> Schule (Stand: 29.04.02), Dokumente GEW Hauptvorstand, Organisationsbereich Jugendhilfe<br />

<strong>und</strong> Sozialarbeit, Dok-2002/08/04.<br />

24 Mehr Schulsozialarbeit für Schüler/-innen mit Problemen. Resolution des B<strong>und</strong>esvorstandes des Verbandes Bildung <strong>und</strong> Erziehung<br />

VBE am 16. Mai 2003, abgedruckt in: Bayerische Schule, 7,8/2003, S. 12.


Was das virtuelle Seminar nicht leisten kann<br />

Unser virtuelles Lehrangebot kann weder alle Möglichkeiten sozialer Arbeit <strong>im</strong> Kontext der<br />

Schule erschöpfend behandeln, noch die Gr<strong>und</strong>lagen der Schulpädagogik erschöpfend vermitteln.<br />

Es kann keine endgültigen Rezepte für die beste Jugendsozialarbeit/Schulsozialarbeit<br />

reichen. Es kann die wissenschaftliche Diskussion zu den angeschnittenen<br />

Fragestellungen nicht annähernd umfassend referieren. Es will <strong>und</strong> kann kein Lernprogramm<br />

sein, das die eigene Reflexion ersetzt. Vielmehr will es dafür dienliche Werkzeuge<br />

bereitstellen.<br />

Rezeptologie ist nicht unsere Absicht. Wir halten es mit Janusz Korczak:<br />

„Jedesmal, wenn du ein Buch fortgelegt hast <strong>und</strong> beginnst, den Faden eigener Gedanken zu<br />

spinnen, hat das Buch seinen beabsichtigten Zweck erreicht. Wenn du be<strong>im</strong> schnellen Blättern<br />

nach Vorschriften <strong>und</strong> Rezepten suchen solltest, wenn Du unwillig darüber bist, dass<br />

es nur wenige sind <strong>–</strong> so wisse, wenn Du Ratschläge <strong>und</strong> Hinweise findest: dies ist nicht mit<br />

dem Willen des Autors geschehen, sondern gegen diesen.“ 25<br />

25 Janusz Korczak, Wie man ein Kind lieben soll, Göttingen, 11. Aufl. 1995, S. 1.

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