DIE SENDUNG DES KLEINSTAATS - Commonweb
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Freund und Feind zuweilen noch erreicht, doch nie<br />
übertroffen worden. Das wunderbarste Beispiel aber,<br />
schwerster Gebrechen unerachtet, gab die überwundne<br />
Stadt: die Herrschaft über die Menschen, die verloren<br />
ging, erneuerte sich als Herrschaft über den eigenen<br />
Geist. In Sokrates, in Plato und in Aristoteles ward<br />
die Philosophie Kritik, System und Ordnung. Diese<br />
drei Denker sind, seit den Tagen ihres Wirkens durch<br />
Wort und Schrift, mit einem leicht modifizierten<br />
grossen Wort: «maestri di color che sanno» ... Die<br />
Freiheit und die Grösse von Athen, die vorübergingen,<br />
wurden beerbt von Florenz, vor einem Halbjahrtausend<br />
im späten Mittelalter, als die Arno-Republik an<br />
die Medizäer kam. Da vereinigten ein paar Generationen<br />
den Geist der Jahrhunderte, da gebar der Zeiten<br />
Zwielicht Kinder über Kinder der Zukunft. Da kamen<br />
zur Welt Toscanelli und Vespucci, die in Gedanken und<br />
in Taten das Erdbild entscheidend rundeten. Da rangen<br />
Machiavell und Guicciardini um ein tieferes Geschichtsverständnis.<br />
Da ward durch den Humanismus das Andenken<br />
an das gesamte Altertum erneuert, die Akropolis<br />
ergänzt dirrch die Kuppel des Doms, Phidias<br />
erreicht durch Michelangelo und die antike überboten<br />
durch die moderne Malerei. Da verliehen der Palazzo<br />
Strozzi und die Kapelle der Pazzi dem Gestein ungekannte<br />
Harmonien, folgte auf die göttliche Komödie<br />
Dantes die menschliche Boccaccios, streute die Akademie<br />
Cosimos Keime aller seitherigen Philosophie,<br />
begründete seine Tafel durch die Vereinigung der Macht<br />
mit dem Verdienst die höchste Geselligkeit und meldete<br />
sich alsbald jenes nicht zu übertönende Vergänglichkeitsgefühl<br />
im «Quant e bella giovinezza, che si fugge<br />
tuttavia» ... Und wirklich welkten Kraft und Gesundheit<br />
von Florenz dahin, um aufzuerstehen, vor<br />
hundertfünfzig Jahren, in Weimar. Dort erlebten<br />
deutsche Poesie und Prosa zur Zeit Karl Augusts nie<br />
geschaute Pracht. Es genügte die milde Hand dieses<br />
Fürsten, dem in der Gruft zwei Könige des Worts zur<br />
Seite ruhen, um Deutschland einen Musenhof zu schenken,<br />
den kein Parnass in Schatten stellt. Ich nenne<br />
nicht die kleinen liebenswerten Geister, die zubereitend,<br />
teilnehmend und bewahrend ein Publikum darstellten,<br />
ohne das der Künstler ungern unter uns verweilt. Aber<br />
ich nenne das unsterbliche Dreigestirn, das auf seinem<br />
Höhenflug in Weimar kuhninierte. Johann Gottfried<br />
Herder glaubte so fest an die Geschichte als die Selbstreinigung<br />
der Menschheit und die Gerechtigkeit als ihr<br />
Schwergewicht, dass man sagen möchte, es wisse einer<br />
ohne ihn nur unvollkommen, was unter Humanität<br />
verstanden werden kann. Freilich aber war Herders<br />
Geschichtsdenken in einer so geheimnisvollen Sprache<br />
abgefasst, dass ihr Verständnis auf die Eingeweihten<br />
beschränkt bleiben musste. Dafür gab der Idealismus<br />
Friedrich Schillers der Seele weit über die nationalen<br />
Grenzen hinaus neuen ungeahnten Schwung. Das hängt<br />
auch damit zusammen, dass ihm ein grosses Wort ge-<br />
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