Musterheft "Doppelpunkt" - Insertas
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Heft 10/2013<br />
7. 3. 2013 |Fr. 4.40<br />
DossierAppenzellerland<br />
Dieeigenwilligen<br />
Eidgenossen<br />
Seite19<br />
14 Es gähnt, es reckt, es strecktsich: Bären<br />
undanderes Getier erwachen im Tierpark<br />
Goldau aus demWinterschlaf–und haben<br />
erst einmal gewaltigen Hunger<br />
6 Wohlschmeckend,zartund cholesterinfrei:<br />
DasPferdefleischist besser alsseinRuf<br />
12 VomBankräuberzum Coach:Das ungewöhnliche<br />
Lebendes AndréNormandin
Frischen Wind?<br />
EinObstbauer<br />
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editorial<br />
Widerdie anonymität<br />
LiebeLeserinnenund Leser<br />
Judith Hochstrasser ist<br />
Redaktorin beim «Doppelpunkt».<br />
Ichhabebrieflichabgestimmt, nichtzum ersten Mal, undden<br />
Abstimmungssonntaggetrost verschlafen. Damitumgeheich<br />
auch den Gang zum betontristen Stadthaus, das allzu nette<br />
MorgenfrühLächeln der Urnenwächterinnen und die fleissigen<br />
Unterschriftensammler, die, Geiern<br />
nicht unähnlich, vor der Stadthaustüre<br />
lauern.Ausserdem gehe ichsoauf Nummer<br />
sicher: Ist der Brief abgeschickt,<br />
kann ich die Abstimmung nicht mehr<br />
vergessen.Undtrotzdem:Mirfehltetwas,<br />
wenn ichnicht an dieUrnegehe. Es war<br />
doch jeweilsein erhebendes Gefühl,mit<br />
dem grauen Kuvert in der Hand zum<br />
Stadthauszuspazieren.Jeder konnte sehen,<br />
dass ich meine Verantwortung als<br />
Staatsbürgerin wahrnahm.Und ichfühlte<br />
mich als Teil einer grossen Gemeinschaft,<br />
denn ich war nicht die Einzige, die, noch etwas zerknautscht,<br />
Richtung Stadthaus ging. Ich sah Familien mit<br />
Kleinkindern, ältere Paare, jungeFrauen. Alle in Alltagskluft,<br />
aber doch mitfeierlicher Miene.<br />
«eswar einerhebendes<br />
Gefühl, mitdem grauen<br />
Kuvert in der Hand zum<br />
Stadthaus zu spazieren»<br />
An dieLandsgemeinde in Appenzellgehen dieMenschenfast<br />
alle in Schale, erzählt der Innerrhoder Landammann Carlo<br />
Schmid im Dossier«Appenzellerland» ab Seite19. Dervorausgehende<br />
Gottesdienst, der prozessionsgleiche Aufzug durch<br />
dieHauptgasseund derSchwurwürden derLandsgemeinde<br />
zusätzlich grosse Ernsthaftigkeit verleihen, wie er sagt. Würde<br />
ichimOrtAppenzellwohnen, stelle ichmirvor, dannkönnte<br />
ichden Abstimmungstaggarnichtvergessen.Die Menschen<br />
würden sich schonTagevorhervorbereiten,den Sonntagsstaat<br />
bereitlegen, miteinanderdarüberreden,wannman dieHand<br />
hebenwirdund wann nicht. Spätestenswenndie Prozession<br />
an meinem Haus vorbeiziehen würde, würdeich ausdem Bett<br />
schrecken, mich schnell irgendwie inmein schönstes Kleid<br />
zwängen und der Prozession hinterherhetzen. Allem Stress<br />
zumTrotz würdeich es geniessen, zu spüren,dassich mitbestimmen<br />
kann. Oder wie esCarlo Schmid sagt: «Die Leute<br />
wissen:‹Es geht um uns.›» Eben dieses Wissen,diesesSpüren<br />
bleibt weg, wenn ichbrieflichabstimme. Dann gehe ichunter<br />
in einer anonymen Masse, meine einzelne Stimme scheint<br />
nichtzuzählen. Deswegen werdeich auch in Zukunft wenigstens<br />
abund zu am Abstimmungssonntag andie Urne gehen.<br />
Auch weil es dort manchmal feineGipfeli gratis gibt undweil<br />
die«Geier» mitihren Petitionen,Referendenund Initiativen<br />
eigentlich alle ganz tolle Menschen sind, die sich engagieren<br />
unddie mitbestimmen wollen.Wie ichjaauch.<br />
Judith Hochstrasser<br />
Nr.10/2013<br />
3
Forum<br />
Unsere Leserinnen undLeser äussern<br />
sich zum«Doppelpunkt» –<br />
fürviele istder alte Name mit<br />
lieben Erinnerungen verbunden,<br />
und die Neuerung wird alsZäsur<br />
empfunden,aberauchals ein<br />
Wegindie Zukunftgesehen.<br />
IHRE<br />
MEINUNG IST<br />
GEFRAGT<br />
4<br />
Wirfreuen<br />
uns über jede<br />
Zuschriftan:<br />
Redaktion«Doppelpunkt»<br />
Neuenhoferstrasse 101<br />
5401Baden<br />
redaktion@doppelpunkt.ch<br />
Fürden Inhalt derLeserbriefe<br />
zeichnetder Briefautor oder<br />
die Briefautorin undnicht die<br />
Redaktion verantwortlich. Wir<br />
behalten unsvor,Zuschriften zu<br />
kürzen oder nichtzuveröffentlichen.<br />
Anonyme Zuschriften<br />
wanderninden Papierkorb.<br />
AufWunscherscheint derLeserbriefnur<br />
mitden Initialen.<br />
Nr.10/2013<br />
Bild:sdp<br />
Verständnis undFreude<br />
«Doppelpunkt» –<br />
derNamenswechsel<br />
MitetwaachtJahren,imbeginnenden<br />
Lesealteralso, nahm ich<br />
unsere Wochenzeitung erstmals<br />
bewusstzur Kenntnis.Die Eltern<br />
hatten sieabonniert, siewurde ja<br />
ganz in unsererNähevon derPolygraphischenGesellschaftLaupenBEproduziert.<br />
Dies istnun<br />
wohl siebzigJahreher.Die Eltern<br />
verstarbenfrüh, undfür mich<br />
folgten vieleLehr undWanderjahre.<br />
Erst langenachder Heirat –<br />
es mögen zwanzigJahre hersein –<br />
wurdemir «Leben &Glauben»an<br />
derWohnungstüreerneutangeboten.Wir<br />
warennie eine besonders<br />
religiöseodergar fromme<br />
Familie,und ichmache schon lange<br />
einenklarenUnterschied zwischenfromm<br />
undgläubig.Und<br />
etwa in derZeit, alsmir in aller<br />
Stille,abernichtminderdeutlich,<br />
bewusstwurde, welcheKraft und<br />
welcherNutzeneinem auseinem<br />
festen Glaubenerwachsen kann,<br />
änderte«Leben&Glauben»<br />
letztmals sein Erscheinungsbild:<br />
DerGlaubeerschien im Namen<br />
nichtmehrmit demLeben gleichwertig,<br />
sondernhervorgehoben.<br />
Alldie Zeit schätzte ich dieZeitschriftsehr,<br />
undsie istmir bis<br />
heuteunentbehrlicheBegleiterin<br />
undHilfe in meiner Morgenandacht.<br />
Ichverbindediese gutmit<br />
einerhalbenStunde Yoga,worin<br />
ich voneinem indischen, aber<br />
christlich geprägtenLehrerunterwiesen<br />
bin.<br />
Jetzthaben Sieentschieden,den<br />
Namendes Magazins zu ändern,<br />
wasjaeineechte Zäsurbedeutet.<br />
Selbst wäre ich in keiner Weise<br />
aufeinen solchenWunschgekommen.Ich<br />
kann aber IhreBegründungendafürsehrwohlverstehen<br />
undnachvollziehen.Sehr<br />
froh binich allerdings um Ihre<br />
Versicherung, dass SieamInhalt<br />
wiebisherfesthaltenwollen.<br />
Nach derRückkehrvon einem<br />
AuftragimTessin stelle ich mit<br />
derneuen Nummer fest, dass<br />
dies auch eingehaltenist. MitIhnenhoffe<br />
ich, dass dieStellung<br />
derZeitschrift mitder Änderung<br />
fürdie Zukunftbessergerüstet<br />
ist, undfreue mich somitmit Ihnenauf<br />
den«Doppelpunkt».<br />
Es istmir ein Bedürfnis,Ihnen<br />
undall denander Erscheinung<br />
unseresevangelischenWochenblatts<br />
Beteiligtenfür diegrosse<br />
undwertvolle Arbeit herzlich zu<br />
danken.Und nebenbei will ich<br />
auch danken fürdie Rückkehr der<br />
Rubrik«VonTag zu Tag» zurBetrachtungnur<br />
einer Bibelstelle<br />
fürdie Woche. Ichdenke,dassdie<br />
Änderung vonden Autorengleichermassengeschätzt<br />
wird.(Ich<br />
binauchfroh, dass derWunsch<br />
dazu nichtnur aus demgerne<br />
zumVerweilen geneigtenBernbiet<br />
geäussert wurde…)<br />
Hans Jost<br />
3097Liebefeld<br />
Zu neutralerName<br />
«Doppelpunkt»–<br />
derNamenswechsel<br />
Über dieUmbenennungvon<br />
«Leben &Glauben»bin ich enttäuschtund<br />
traurig. Sicher istes<br />
fürviele Menschen fremdund<br />
unverständlich,wennwir vom<br />
«Leben undGlauben»reden.Gerade<br />
dieses Unverständnisund<br />
dieGespräche,die sich darausergebenkönnen,<br />
sind mirwichtig,<br />
siesindnötig undscheinenmir<br />
sinnvoll! Ichkenne schoneinen<br />
«Doppelpunkt»,denjenigen von<br />
SRF1.Das Radioist einneutrales<br />
«Wesen»; Siebezeichnensich ja<br />
explizit alsevangelisch.Mir istes<br />
wichtig, gerade solche «Reizworte»zugebrauchenund<br />
nicht<br />
durch neutrale zu ersetzen.Ich<br />
kennedas «Leben &Glauben»<br />
seit meiner Kinderzeit–ich empfand<br />
dasHeftals Kind alseher<br />
frömmlerisch undfreue mich deshalb<br />
jede Wochedaran,dass es<br />
nichtmehrindieserWeise daherkommt.<br />
Dass es nun einen derart<br />
«unproblematischen» Namen<br />
trägt, störtmich sehr!<br />
VreniSchaer<br />
8200 Schaffhausen<br />
Wirgratulieren!<br />
Am 7. März darfFrau erika Gloor-<br />
Renold im AltersheimEigenamt<br />
in Lupfigihren 90.Geburtstag<br />
feiern. Zusammen mitihrer<br />
Familie, mitihren Enkeln und<br />
Urenkeln gratulieren wirder<br />
Jubilarin vonHerzenund wünschenihr<br />
alles Gute,Gottes<br />
Segenund gute Gesundheit.<br />
DieRedaktion<br />
Frühlingsglaube<br />
DielindenLüfte sind erwacht,<br />
siesäuselnund weben<br />
Tagund Nacht,<br />
sieschaffen an allen Enden.<br />
OfrischerDuft, oneuer Klang!<br />
Nun, armesHerze,sei nichtbang!<br />
Nun muss sich alles,alles wenden.<br />
DieWeltwirdschöner<br />
mitjedem Tag,<br />
man weissnicht,<br />
wasnochwerdenmag,<br />
dasBlühen will nichtenden.<br />
Es blühtdas fernste,tiefste Tal;<br />
nun, armesHerz, vergiss derQual!<br />
Nun muss sich alles,alles wenden.<br />
Ludwig Uhland<br />
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Inhalt<br />
Religion<br />
10 VonTag zu Tag<br />
12 AndréNormandin:<br />
VomBankräuber zum Coach<br />
Brennpunkt<br />
6 Wehe,wennsich Fleisch<br />
vomPferd verirrt<br />
12<br />
Sind sie sohinterwäldlerischodertun<br />
sie nur<br />
so? Vom appenzellerland<br />
meint man alles<br />
zu kennen.aber dieses<br />
Völkchen hat mehrzu<br />
bieten als drei Sennen,<br />
die das geheimnis ihres<br />
käses nicht verraten<br />
wollen.Und jetzt gehören<br />
die beiden appenzell<br />
seit 500 Jahren zur eidgenossenschaft!ein<br />
dossier<br />
zumJubiläum.<br />
Monatsserie«Erwachen»<br />
14 Tierpark Goldau:Zeitaufzuwachen!<br />
Dossier Appenzellerland<br />
19 Individualität,Integration<br />
undInnovation<br />
Rat&Tat<br />
34 Mosaik<br />
36 Alltag mitKindern:<br />
Solidaritätmit Tieren<br />
38 Tipp-Mix<br />
40 Lösen/Lesen<br />
42 Hören&Sehen /Hingehen<br />
Rubriken<br />
3 Editorial<br />
4 Forum<br />
8 Kreuz&quer<br />
32 Blickpunkt/Sage&schreibe<br />
33 Gesichter derSchweizer Literatur:<br />
Walter MatthiasDiggelmann<br />
44 Litera-Tour<br />
46 Lieber …/Ausblick /Impressum<br />
19<br />
14<br />
36<br />
Der Frühling kommt:<br />
DieBewohner des<br />
tierparksGoldau<br />
gähnen,strecken<br />
sich undstehen auf<br />
–umsich endlich<br />
einmalwiederden<br />
Bauchvollzuschlagen.<br />
FotosTitelseite: Keystone,Natur-und Tierpark Goldau<br />
Nr.10/2013<br />
5
Brennpunkt<br />
Wehe,wennsichFleisch<br />
vomPferd verirrt<br />
Grosswar dieEmpörung,als jüngst publik wurde, dass Tiefkühl-<br />
Burger undFertig-Lasagnenicht nurRindfleisch enthielten–<br />
einEtikettenschwindel. Doch dermediale Aufschreiüberfalsche<br />
Deklarationendecktevieles zu,was eigentlich insBewusstsein der<br />
Öffentlichkeitgehört: lasche Kontrollen, dieAuswüchse derglobalisiertenLebensmittelindustrie–und<br />
einvon Vorurteilenund Widersprüchengeprägtes<br />
Verhältnis zumPferdefleisch. vonRolandErne<br />
Man kann es drehen und wenden,<br />
wie man will: Pferdefleisch<br />
schmeckt gut, ist<br />
gesund und vergleichsweise günstig.<br />
Dennochistesweitherumverpönt,wenn<br />
nicht vielerorts tabu. Der Versuch, die<br />
Gründe für anhaltende Vorbehalte zumindestansatzweisedingfestzumachen,<br />
führt ohne Umweg zu einem Eingeständnis:<br />
Mensch und Pferd verbindet<br />
ein stark emotionales Verhältnis. Das<br />
Pferd, vor der Erfindung des Traktors<br />
eine geschätzte Arbeitskraft, hatbei uns<br />
längst schongleichsam HaustierStatus<br />
–auch wenn die Haltung kaum einmal<br />
denbesonderen VerhältnissenbeiAstrid<br />
Lindgrens Kinderbuchheldin Pippi<br />
Langstrumpf entspricht, deren handzahmer<br />
Apfelschimmel «Kleiner Onkel»<br />
auf der Veranda hausen darf. Fakt ist:<br />
Pferde dienen unsinzwischenvorab als<br />
geschätzte undnicht selten gehätschelte<br />
Reittiere inFreizeit und Sport. Zudem<br />
mag doch kaum eine(r) daran denken,<br />
dass Fohlen oder Elterntieredaund dort<br />
aufziemlichdirektem Wegvon derWeide<br />
oder aus dunklen Ställen inden<br />
Schlachthof gelangen –qualvolle, tierschutzwidrige<br />
Transportstunden inbegriffen.<br />
Und Pferde gelten bei uns, verglichen<br />
mit Rindern und Schweinen,<br />
Schafen und Ziegen, als weit edlere Tiere,<br />
denen wir inder Regel viel Zuwendung<br />
schenken.Aufdem Teller sollen sie<br />
also lieber nicht landen, weil sie uns<br />
schlicht zu nahe stehen.<br />
Päpstliches Pferdefleischverbot<br />
Das war nicht immer so. Schon gar<br />
nicht inder Steinzeit. Und selbst Reitervölker<br />
scheuten sich nicht, ihre Tiereals<br />
Fleischlieferanten zu nutzen. Für ein<br />
Nahrungstabu sorgte im Jahr 732 dann<br />
einVerbotvon PapstGregorIII., das der<br />
Christenheit den Genuss von Pferdefleisch<br />
untersagte. «Denn dieses Tun ist<br />
unrein und verabscheuungswürdig»,<br />
heisst es in einemanBonifatiusgerichte<br />
DieSicht desMetzgers: «Pferdefleischist unglaublichzart, da kommtkeinRindmit»<br />
Wasspricht füreinen Metzgerfür<br />
denGenussvon Pferdefleisch,wie<br />
schätzterdie Enthüllungenüber<br />
denUmgang mitSchlachttieren<br />
ein, wasweiss er selbstüberdie<br />
Herkunft seinesFleisches?Antwortenvon<br />
Kurt Regattieri,der in seinerMetzgerei<br />
im Zürcher Seefeld<br />
auch Pferdefleisch anbietet.<br />
Kurt Regattieri, wurden Sievon<br />
denBerichtenüberskandalöse<br />
Haltungsbedingungen von<br />
SchlachttiereninLateinamerika<br />
oder Kanadaüberrascht?<br />
Nein.Ich habe mich gerade mit<br />
einemKollegenaus Rüti unterhalten,<br />
derschon einmal inArgentinien<br />
war. Da istein Pferdnichts<br />
wert.Vielleichtliegt es an derunsäglichen<br />
Armut, in derdortviele<br />
Menschen hausenmüssen,daran,<br />
dass dieMenschenwenig und<br />
Tierenochweniger geachtet werden.<br />
Übrigens warenschon vor<br />
zwanzigJahren dielangenTiertransporte<br />
ein Thema.<br />
Sieschlachtennun auch<br />
nicht selbst …<br />
Auch wirbeziehen unserFleisch<br />
vorabaus Kanada.Bevor wiruns<br />
2004 fürden Schlachtbetrieb entschieden,haben<br />
wiruns Dokumentationen<br />
angeschaut. Einentscheidendes<br />
Kriterium war, dass die<br />
Transportzeitvom Schlachthof<br />
zumProduzentenweniger alsanderthalb<br />
Stundenbeträgt.Die<br />
Fleischqualitätwar immerhervorragend,<br />
auch daslässt auflange<br />
SichtRückschlüssezu. Alsjetzt<br />
derSkandal aufkam,hattenwir<br />
eine einzige Anfrageeines besorgtenKunden.<br />
Unsere Kunden wissen,<br />
dass wirmehrmalsimJahr<br />
Kontrollen beiden Bauern durchführen<br />
sowievon IPSuisse beiuns<br />
durchführen lassen undgrundsätzlich<br />
dieHerkunftdes Fleisches<br />
deklarieren. IchdarfIhnen aber<br />
sagen: Im Moment geht es mir<br />
garnichtsosehrumdie Kunden –<br />
es geht mirumdie Rösser.<br />
Undwoher kamdas Fleisch<br />
vor2004?<br />
Wirhattenlangevorzügliches<br />
Fleischaus Amerika. Bisdort2003<br />
einGesetzvon 1942 wiederentdecktwurde,<br />
dasden Handel mit<br />
Pferdefleisch verbietet.BinneneinerWoche<br />
warSchluss.Die Folge:<br />
VieleHändler habendie Rösser<br />
nach Mexiko oder Kanada geschafft,was<br />
diebekanntenZuständezur<br />
Folge hatte. Weil wir<br />
plötzlich nichtmehrwussten,<br />
6<br />
Nr.10/2013
GlühendePlädoyersfür den<br />
Genussvon Pferdefleisch über<br />
einer PferdemetzgereiinParis.<br />
KoMMentaR<br />
Der wahreSkandal:<br />
DieMissachtung vonLeben<br />
Er galoppiertseitWochen<br />
durch europäischeMedien,der<br />
Pferdefleischskandal.Der eigentlich<br />
ein Deklarationsskandal<br />
ist. Unddieserwiederum<br />
vonJudithHochstrasser<br />
ten Schreiben. Nichtganzunbedeutend:<br />
In diese Zeitfällt der Sieg Karl Martells<br />
über die Mauren –dank einer überlegenen<br />
Kavallerie. Pferde waren demnach<br />
als Kriegswaffe zuwertvoll geworden,<br />
um aufder Schlachtbank zu enden.<br />
DerVerzehr vonPferdefleischliess sich<br />
gleichwohlnievollendsunterbinden–vor<br />
allemals erschwingliche Fleischkonsumalternative<br />
armer Bevölkerungsschichten.<br />
Trotz im 19. Jahrhundert einsetzender<br />
Liberalisierungsschübe und immer<br />
wieder grassierender Rinderseuchen –<br />
Stichwort BSESkandal –hielt sich die<br />
Nachfrage nach Pferdefleisch jedoch in<br />
Grenzen. Daranhat sich bisheute wenig<br />
woherwir unserFleisch beziehen,<br />
sind wirnach Mexiko ausgewichen,<br />
dieQualitätsschwankungen<br />
warenabersogross,dassich<br />
nichtdahinterstehenkonnte.<br />
Siesagten,Ihr Fleischstammtüberwiegend<br />
ausKanada. HabenSie<br />
auch noch andereBezugsquellen?<br />
Ja.Wir schauen,dass wirPferdefleisch<br />
vonhier bekommen,aus<br />
demZürcher Oberland, ausdem<br />
Luzernischen, aus demAargau.<br />
DerAnteil liegtbei 35 Prozent,<br />
undalleunsereProdukte ausser<br />
Frischfleisch kommen vonheimischenTieren.<br />
geändert. Zu stark wiegen offenbar Vorurteile<br />
wie Armeleutekost und das Gewicht<br />
einer emotionalen Barriere. Zudem:<br />
Washierzulande, in derRomandie<br />
weit eher als inder Deutschschweiz, an<br />
Pferdefleisch dennoch auf den Tisch findet,<br />
stammt mehrheitlich aus Übersee –<br />
als Importware amerikanischer und kanadischer<br />
oder aber argentinischer und<br />
mexikanischer Herkunft. Auch soein<br />
Widerspruch.<br />
LesenSie zumThema auch denBeitrag von<br />
Veronica Bonillaauf Seite36: WasHänschen<br />
nichtlernt –Solidaritätmit Tieren.<br />
Waszeichnet denn<br />
Pferdefleischaus?<br />
Es istzum einen unglaublich zart,<br />
da kommtkeinRindmit.Eshat<br />
einen sehr hohen Eisen und<br />
Eiweissanteil,zudemkeinCholesterin.<br />
Dasspürt manmit derZeit<br />
körperlich;deswegen mögenes<br />
vieleSportler. Nebenbei:Jeder<br />
Tierarzt wird Ihnen sagen, dass<br />
es keinegesündere Nahrungfür<br />
einen Hund gibtals Pferdefleisch.<br />
Sieverkaufen neben anderen<br />
Fleischwaren auch Pferdefleisch.<br />
VorJahren wäre diesnochnicht<br />
möglich gewesen.Warum?<br />
Foto:Keystone<br />
Ichbin ja normaler Metzger. Nur<br />
hatman bis1995inder Schweiz<br />
Pferdefleisch nichtmit anderem<br />
Fleischverkaufen dürfen. Der<br />
Grundist einfach, unddamit sind<br />
wirwiederbeimTabuund niedrigerenStellenwert:<br />
DieMetzger<br />
wolltennichtmit Pferdemetzgern<br />
gleichgestellt sein.Bis heuteist<br />
Pferdefleisch etwa dreissig Prozent<br />
billiger,durch Qualitätund<br />
Geschmack istdas aber in keiner<br />
Weisegerechtfertigt.<br />
Andreas Nentwich<br />
führtzueinem Verschwendungsskandal:Weil<br />
diefalsch<br />
deklariertenProdukte vonGesetzes<br />
wegenaus demAngebot<br />
verschwinden,landensie nun<br />
in Mülleimern. Einzweiter Pferdefleischskandal<br />
trabtinzwischenhinterdem<br />
ersten her.<br />
Unterandereminder Sendung<br />
«Kassensturz» wurden Bilder<br />
des Tierschutzbundes Zürich<br />
über dieHaltungvon Schlachtpferdenauf<br />
demamerikanischen<br />
Kontinentgezeigt: eine sterbende<br />
Stute, ausder derKopfeines<br />
totgeborenen Fohlens ragt,ein<br />
Pferdmit Darmvorfall wegen<br />
unbehandelter Koliken, völlig<br />
verwachsene Hufe undoffene<br />
Wunden.Solche Bildersindsattsambekannt,<br />
vonSchweinefarmeninEuropa,<br />
vonHühnerbatterien<br />
in Asien undnun eben<br />
auch vonPferdefarmen in Kanada,Mexikound<br />
Argentinien.Sie<br />
enthüllen in aller Schärfe:Das LebendieserTiere<br />
istwenig wert.<br />
In Wahrheit istder Skandal die<br />
Missachtungvon Lebewesenund<br />
Leben. Wenn dasfalschdeklarierte<br />
Fleischnun in denMülltonnen<br />
landet,ist dasLeben derTiere<br />
nichteinmalmehrden Genuss<br />
des Verzehrs wert,sondern<br />
schlichtgar nichts mehr.Und<br />
dieAchtungvor denMenschen,<br />
diehungern müssen,wirddamit<br />
völligpervertiert. Es istein Skandal,dassdiese<br />
anonymisierte,<br />
globaleMassenproduktionsmaschinerie<br />
überhauptexistiert.<br />
Da nütztauchdie korrekte Deklaration«Pferdefleisch»nichts.<br />
Nr.10/2013<br />
7
Gesellschaft<br />
Die Drei<br />
Foto:Keystone<br />
SonntagSallianz gegenentScheid<br />
derWirtSchaftSkommiSSion<br />
Die Wirtschaftskommission des<br />
Nationalrats hat beschlossen,<br />
die Sonntagsarbeit imDetailhandel<br />
massiv auszubauen. Damit geht<br />
sie auf eine Motion des Tessiners Fabio<br />
Künftigauchsonntags an derKasse?<br />
DieKirchen sinddagegen.<br />
Chappatte<br />
Abate(FDP) ein, der dieSonntagsarbeit<br />
in grossenWirtschaftsräumenzulassen<br />
will. Die Sonntagsallianz, der auch die<br />
Evangelischen Frauen Schweiz und der<br />
Schweizerische Evangelische Kirchenbund<br />
angehören, kritisiert diesen «fatalen<br />
Entscheid» scharf und fordert den<br />
Nationalratauf,die Vorlageabzulehnen:<br />
Sie höhle «unter dem Deckmäntelchen<br />
der Tourismusförderung» den Arbeitnehmerschutz<br />
aus und sei gesellschaftspolitisch<br />
bedenklich und undemokratisch.DennmitdiesemEntscheid<br />
würde<br />
derSonntagsverkauf «mit einemSchlag<br />
praktisch inder ganzen Schweiz bewilligungsfreimöglich».<br />
Besonders brisant<br />
sei, dass diese «gravierende Neuerung»<br />
per Verordnung durch die Hintertür<br />
eingeführtwerden könne, ohne dassdas<br />
Volk etwaszusagen habe.Die Sonntagsallianz<br />
fordert deshalb, das Verbot der<br />
Sonntagsarbeit im Arbeitsgesetz als<br />
wichtige Errungenschaftzum Wohl der<br />
betroffenen Beschäftigten und der ganzenGesellschaftzurespektieren.<br />
ref.ch<br />
anat Hoffman ist<br />
Präsidentin derOrganisation<br />
«Womenofthe<br />
Wall», wasschon zu<br />
Gefängnisaufenthalten führte.<br />
Denn wennFrauenwie Männer<br />
an derKlagemauereinen Gebetsschal<br />
tragen,lautbeten undaus<br />
derToralesen,ist dasfür dieultraorthodoxe<br />
Aufsichtsbehörde<br />
unbotmässiges Beten, mehrfache<br />
Polizeieinsätzewaren dieFolge.<br />
ZumPurimfest am 25.Februar betetenwiederachtzig<br />
Frauen laut<br />
an derMauer,diesmal ohne<br />
Polizei.<br />
Sein Büchlein<br />
«Indignezvous!»,<br />
«Empört euch!»,<br />
gegenden Niedergang dersozialenGerechtigkeitund<br />
denRaubbauander<br />
Natur wurde2010<br />
zumWelterfolgund mobilisierte<br />
vorallem junge MenscheninMadrid,inNew<br />
York oder in Tunis<br />
zurRebellion gegenungerechte<br />
undundemokratische Verhältnisse.Jetzt<br />
istder Widerstandskämpfer,<br />
Diplomat undSchriftsteller<br />
StéphaneHessel im Alter<br />
von95Jahren gestorben.<br />
Bild:©Chappatte in «LeTemps» (Genf)<br />
8<br />
Nr.10/2013<br />
Undurchsichtiges<br />
in Rom.<br />
Zwei jüdische<br />
DachverbändehattenBundespräsident<br />
UeliMaurer vorgeworfen, er<br />
habe in derBotschaft zumHolocaustgedenktag<br />
vom27. Januar<br />
eineinseitiges und«nur positives»<br />
Bild derSchweiz während<br />
des ZweitenWeltkrieges vermittelt.Nun<br />
hatermit einem Brief<br />
reagiert. Er schreibt darin,eine<br />
Botschaftzum Internationalen<br />
Holocaustgedenktag sei«nicht<br />
dasrichtige Gefäss,umdie Rolle<br />
derSchweiz im ZweitenWeltkriegdifferenziertzudiskutieren».
SPINAS CIVIL VOICES<br />
Wir sehen Enteignungen von Kleinbauernfamilien für die Agrotreibstoff-Produktion.<br />
«Sie kamen mit Bulldozern und Kettensägen. Sie zeigten uns ein Stück Papier und sagten, das Land gehöre ihnen,<br />
wir sollen verschwinden. Unsere Äcker sind jetzt in ihrer Hand.» Emmanuel Ouinsou, Benin, Westafrika<br />
Und handeln: sehen-und-handeln.ch
von tag zu tag<br />
Vonjenem Taganhielten siees<br />
fürbeschlossen,dasssie ihntöten wollten.<br />
Joh11,53<br />
VreniMühlemann ist<br />
Theologin undPublizistin.<br />
E-Mail:<br />
vreni.muehlemann@-<br />
bluewin.ch<br />
Bibeltext:<br />
ZürcherBibel<br />
©Verlagder ZürcherBibel beim<br />
Theologischen Verlag Zürich<br />
10<br />
Nr.10/2013<br />
Sonntag, 10.3.<br />
LesenSie dieseRubrikauch,<br />
weil sie Kraft schöpfen und<br />
Ermutigung tanken möchten?<br />
Nun, dazu ist der Satz,<br />
den wir diese Woche bedenken<br />
wollen, wohl nicht so geeignet.<br />
Esist ein vernichtender<br />
Satz, einer, den esnicht<br />
mehr gebendürfte in unserer<br />
Welt und den es doch tausendfach<br />
gibt. Manchmal<br />
geht es dabei umEhre, oft<br />
geht es um Geld,Macht oder<br />
darum, ein Problem aus der<br />
Welt zuschaffen.Essind nicht<br />
nur Drogendealer und Mafiosi,<br />
die so ungeheuerliche<br />
Beschlüssefassen; auch Politiker,<br />
Richterund Wirtschaftskapitäne<br />
fällen Todesurteile<br />
oder nehmen skrupellos den<br />
Todwehrloser Menschen in<br />
Kauf.Wollenwirdaswirklich<br />
hinnehmen? Habenwir unsere<br />
Möglichkeiten, das Leben<br />
all unserer Mitmenschen zu<br />
ehrenund zu schützen,schon<br />
ausgeschöpft?<br />
Montag,11. 3.<br />
Die,dieden Beschluss,Jesus<br />
zu töten, gefasst haben, hatten<br />
gute Gründe: Hätten sie<br />
es nicht getan, wären wohl<br />
Unruhenentstanden,eshätte<br />
Probleme mitder Besatzungsmacht<br />
gegeben. Auch die<br />
Amerikaner hatten gute<br />
Gründe, Osama bin Laden<br />
hinzurichten; und haben<br />
nicht ehrenwerte Christen<br />
damals mit dem Gedanken<br />
gespielt, Hitler zuerschiessen?<br />
«Liebereinen opfern als<br />
ein ganzes Volk», heisst die<br />
Devise. Die Frage ist nur, ob<br />
ein Volk nicht auch Schaden<br />
nimmt, wenn seinetwegen<br />
Menschenopfergebrachtwerden.Mahatma<br />
Gandhi hatin<br />
Indien einenanderen,gewaltlosen<br />
Weg versucht, und in<br />
Südafrika hat man nach der<br />
Apartheid Versöhnungskommissionen<br />
eingesetzt. Wo<br />
kann ich etwas zur Versöhnung<br />
beitragen? Wiekannich<br />
meinen Teil beisteuern zum<br />
Frieden in meinem kleinen<br />
Umfeld und inder grossen<br />
Welt?Und:Hat nichtauchJesus<br />
sich gerade auf die Seite<br />
derer gestellt, die hätten geopfert<br />
werden sollen?<br />
DienStag,12. 3.<br />
Der Mann, der diesen Beschluss<br />
erwirkt hat, Kaiphas,<br />
wird in der Bibel nicht als<br />
Mörder bezeichnet, sondern<br />
alsProphet.Erhabenicht aus<br />
sich selbst gesprochen, wird<br />
erzählt, sondern geweissagt,<br />
dass Jesus für das Volk sterbensollte.<br />
Mich beeindruckt<br />
diese Sichtweise. Da wird alles<br />
umgedreht: Das Opfer<br />
bleibt nicht Opfer, sondern<br />
wird zu einemMenschen, der<br />
sich für andere hingibt, und<br />
der Täter wird nicht verurteilt,<br />
sondernals einergewürdigt,<br />
der den tieferen Sinn<br />
dieses Geschehens erahnt<br />
underfühlt hat. So eine Sicht<br />
der Dinge ist gefährlich und<br />
könnte schnell menschenverachtend<br />
sein, aber es steckt<br />
auch ganz viel Versöhnung,<br />
ein göttlicher Funke drin,<br />
eine Wahrheit, die man niemandem<br />
aufdrängen kann,<br />
weil sie unmenschlich wäre,<br />
dieabereinegrosseKraftentwickelt,<br />
wenn sie von denen,<br />
diesie betrifft,sogesehen und<br />
gelebt wird.<br />
Mittwoch,13. 3.<br />
Wie mag es Jesus nach diesemBeschlussgegangen<br />
sein?<br />
Die Bibel sagt, erhabe sich<br />
erst einmal in die Wüste zurückgezogen.<br />
Dort wird er<br />
sich mit der neuen Situation<br />
auseinandergesetzt und sich<br />
betend auf das eingelassen<br />
haben, was ihn erwartete.<br />
Wir lesen nichts von Auflehnung,<br />
nichts von Protest,<br />
nichts von Rachegelüsten,<br />
Wutanfällen oder Heulkrämpfen,<br />
nichts von dem,<br />
wie wir normalerweise reagieren,<br />
wenn uns etwas<br />
Schweres trifft.Wir lesenvon<br />
Rückzug,und wirlesen,dass<br />
er –Gottsei Dank!–nichtalles<br />
mit sich alleine ausgemacht<br />
hat, sondern zusammenmit<br />
seinenJüngerninder<br />
Wüstewar.Wenndas Schicksalzuschlägt,dannbrauchen<br />
wirFreunde undAbstand zu<br />
denen, die uns Böses wollen.<br />
Wir brauchen Zeit und Stille<br />
und Wärme –bis wir irgendwann<br />
tief in uns wissen, ob<br />
wirbereitsind, den schweren<br />
Wegauchwirklichzugehen.
Foto:The YorckProject<br />
Giotto di Bondone:Fresken in derArenakapelleinPadua,Szene:Christus vorKaiphas.<br />
DonnerStag,14. 3.<br />
Wiemag es denenergangen<br />
sein,die diesen schrecklichen<br />
Beschluss gefassthaben?Wir<br />
wissen fast nichts darüber.<br />
Nureinmallesen wirdenSatz,<br />
dass es auch unter den Mitgliedern<br />
desHohen Ratesviele<br />
gegeben habe, dieanJesus<br />
geglaubt, aber Angst gehabt<br />
und esnicht gewagt hätten,<br />
dazu zu stehen. Das ist eine<br />
schlimme Situation, wenn<br />
man von etwas überzeugt ist<br />
und esdoch nicht wagt, sich<br />
dazu zu bekennen. So etwas<br />
kann einem schwer zuschaffen<br />
machen. Es geht um die<br />
Frage, ob uns die Anerkennung<br />
der anderensovielwert<br />
ist, dass wir uns selber dabei<br />
verraten. Oder umgekehrt:<br />
Sind wir bereit, um unserer<br />
Authentizität willen eine<br />
schmerzliche Einsamkeit zu<br />
ertragen?Erstwennwir ganz<br />
am Rand sind und ganz auf<br />
uns selbst gestellt, erfahren<br />
wir, was für eine Gotteskraft<br />
in unswohnt.Wer sich nicht<br />
traut, ganz echt zu sein,wird<br />
es niewissen.<br />
Freitag, 15.3.<br />
Nach seiner Wüstenzeit ist<br />
Jesus gestärkt zurückgekommen.<br />
Er hatzueiner tiefen inneren<br />
Sicherheit gefunden,<br />
dieihm dieKraftgegeben hat,<br />
seinen Weg zugehen. Vielleicht<br />
hätte er ausweichen<br />
und fliehen können. Vielleicht<br />
hätteerverhandelnund<br />
kämpfen können. Er hat es<br />
nicht getan. Erhat der unmenschlichen<br />
Vernunft seinerGegneroffenbar<br />
rechtgegeben.<br />
Das ist irritierend.<br />
Aber es machtauchEindruck,<br />
weil es viel Grösse braucht,<br />
seinen Feinden recht zu geben.<br />
Undesbraucht viel Klarheit,das<br />
Eigene auch dann zu<br />
tun, wenndieBosheitanderer<br />
genaudas will.Jesus hatnicht<br />
den Helden gespielt. Erhat<br />
Angstgehabtund sieauchgezeigt.<br />
Er hat sich von Gott<br />
undden Menschen verlassen<br />
gefühlt. Er hat getrauert, gebetet<br />
und zuletzt auch geschrien.<br />
Aber er istseinerBerufung<br />
nichtausgewichen.Er<br />
hat sich Gott ganz ausgeliefert<br />
und anvertraut –selbst<br />
dann noch,als es um sein Leben<br />
ging. Und das hat ergefunden.<br />
SaMStag, 16.3.<br />
Wie reagieren wir, wenn<br />
manuns weghaben will?Was<br />
passiert mit uns, wenn manche<br />
meinen, wir würden stören<br />
und seien immer nur im<br />
Weg? Werden wir wütend<br />
undtrotzig oder verkriechen<br />
wir uns und machen uns unsichtbar?<br />
Beides tut weder<br />
unsnochanderen gut. Besser<br />
wäre es, sorgfältig wahrzunehmen,<br />
was so ein Verdikt<br />
mituns macht. Wenn wirauf<br />
unsere Gefühle achten, anstatt<br />
uns mit denen, die uns<br />
zusetzen, anzulegen, dann<br />
spüren wir schnell, was eigentlich<br />
los ist mit uns, was<br />
wir brauchen und vermissen.<br />
Undwir werden unsdarüber<br />
klar,was wirwollenund was<br />
unswichtig ist. Dann müssen<br />
wir nicht mehr reagieren auf<br />
das, was von aussen kommt,<br />
sondern können selbstverantwortlich<br />
und von innen<br />
heraushandeln.Dannkommt<br />
eine Gotteskraft in uns zum<br />
Tragen, über die wir nur<br />
dankbarstaunen können. n<br />
Nr.10/2013<br />
11
eligion<br />
AndréNormandin<br />
Aufkrummen Wegenzum Ziel<br />
André Normandin ist heute<br />
rundum zufrieden mit seinem<br />
Leben. Begonnen hatte es ganz<br />
anders. Eine Begegnung mit<br />
Gott führte zur Umkehr.<br />
vonMarianneWeymann<br />
Foto:MarianneWeymann<br />
AndréNormandin warinseiner Jugend kriminell–heute ist<br />
er ein angesehenerCoach und Psychotherapeut.<br />
Ein Häuschen mit Garten im Genfer<br />
Vorort Onex. Im grosszügig<br />
ausgebauten Büro hängt ein Abdruck<br />
von Rembrandts «Verlorenem<br />
Sohn». Eine biblische Geschichte,inder<br />
sichderKanadierAndréNormandin(54)<br />
wiedererkennt. Mit gutem Grund: Aus<br />
dem drogenabhängigen jugendlichen<br />
Kriminellen ist ein angesehener Coach<br />
undPsychotherapeut geworden.<br />
Die Startbedingungen hätten ungünstiger<br />
nicht sein können: eine manischdepressive,<br />
alkoholabhängige Mutter,<br />
fünfzehn verschiedene Pflegefamilien,<br />
sexuellerMissbrauch, Alkohol,Drogen.<br />
Mitzwölf beginnt Normandinseine kriminelleKarriere,<br />
vier Jahreverbringt er<br />
in Besserungsanstalten. Besser wird er<br />
dadurchnicht,imGegenteil:«Insolchen<br />
Institutionen lernt man erst, wie man<br />
wirklich kriminellwird»,sagtNormandin.<br />
Ausdem Kleinkriminellen wird ein<br />
mehrfacher Bankräuber, der insgesamt<br />
drei Gefängnisstrafen absitzt.<br />
Die Wende kam am27. August 1980.<br />
Normandin war 22 Jahre alt und lebte<br />
seit einiger Zeit inFlorida. Nun drohte<br />
ihm eine Anklage wegen versuchten<br />
Mordes: Erhatte versucht, Puerto Ricaner,<br />
die ihn geärgert hatten, mit dem<br />
Auto umzufahren. Voraussichtliches<br />
Strafmass: zwölf Jahre. Inder Untersuchungshaft<br />
sprach Normandin ein verzweifeltes<br />
Gebet: «Gott, hol mich hier<br />
raus, undich mache, wasduwillst.»Das<br />
Wunder geschah: DasVerfahren wurde<br />
wegenFormfehlern eingestellt.<br />
EinLeben fürGott<br />
André Normandin hielt Wort und<br />
«übergab sein Leben Gott», wie er sagt.<br />
Er kehrte nach Montreal zurück, fand<br />
Arbeit undwurde Mitglied einerBaptistengemeinde.Fortanwidmete<br />
er sichder<br />
Bekehrung von Jugendlichen, die ähnli<br />
12<br />
Nr.10/2013
che Probleme hatten wie ereinst. Und<br />
dasmitErfolg:«Ichwareiner vonihnen»,<br />
sagt er,«mitmeinerschwarzen Lederjacke,meinem<br />
Pferdeschwanzund meiner<br />
bulligen Schlägerfigur.Auf mich haben<br />
sie gehört.» Daneben studierte erTheologieaneiner<br />
baptistischen Universität.<br />
1984 wurde erordiniert und konnte<br />
seineeigeneGemeindegründen.Aus 25<br />
Gründungsmitgliedern wurden innerhalb<br />
vonzweiJahren200.Fastalles ehemalige<br />
Randständige, denen die Begegnung<br />
mitNormandin zumGlauben und<br />
zu einembesserenLeben verholfenhat.<br />
Seelenrettung istnichtalles<br />
Mit der Zeit wurde die Gemeinde immer<br />
bürgerlicher – und Normandin<br />
wurdeeslangweilig. Neueswarangesagt,<br />
einJahrinIndien. «Dorthat eine Begegnung<br />
mit Mutter Teresa mir zueiner<br />
zweiten Bekehrung verholfen», sagt er.<br />
«Vorher war ich nur evangelikal, ich<br />
wollte Seelen retten unddachte,daswäre<br />
alles. In Indien habe ichgelernt,dassdas<br />
nichtreicht. Dass manauchetwas gegen<br />
die Armut tun muss. Am Anfang war<br />
noch die Frage: Ist das überhaupt sinnvoll?Ist<br />
nichtjedehumanitäreHilfe nur<br />
einTropfen aufdem heissenStein angesichts<br />
derMassen, dieweiterhinnichtgenug<br />
für ein menschenwürdiges Leben<br />
haben?»Die Antwortvon Mutter Teresa<br />
istihm bisheute Leitsatz:«Onebyone.» –<br />
«Jeder einzelne Mensch, dem geholfen<br />
wird, ist wichtig. Es geht nicht darum,<br />
dieganze Welt aufeinmalzuretten.»<br />
Wieder geht es zurück nach Kanada.<br />
Wieder kümmert sich Normandin um<br />
randständige Jugendliche, diesmalauch<br />
in materieller Hinsicht. Er unternimmt<br />
mehrere Europareisen, um Spendengelder<br />
für seine Organisation zu sammeln.<br />
Solernt er den Pfarrer Roland<br />
AndréNormandin:<br />
«InsolchenInstitutionen lerntman erst,<br />
wieman wirklich kriminellwird»<br />
Benz kennen, der ihn 1997 nach Genf<br />
holt. Esist Zeit für die nächste grosse<br />
Veränderung in diesem an Veränderungen<br />
wahrhaftig nicht armen Leben:<br />
den Umzug in dieSchweiz.<br />
Normandin wird Jugendpfarrer, sein<br />
Arbeitgeber ist die Genfer Kantonalkirche,aberdiese<br />
Beziehungist vonkurzer<br />
Dauer. Ist es sein immer noch evangelikalgeprägter<br />
Frömmigkeitsstil oder<br />
sein temperamentvoller Alphatier<br />
Charakter, der inder traditionell zurückhaltendunterkühlten<br />
CalvinStadt<br />
aneckt? Auf alle Fälle ist das Klima in<br />
der Genfer Kirche schon damals deprimierend:<br />
Anhaltende Finanzprobleme<br />
haben1997zur Frühpensionierungvon<br />
22 Pfarrern geführt. Auch für den Rest<br />
gilt:Jeder Pfarrer, der geht,ist eineingespartes<br />
Gehalt. Im Jahr 2000 erkrankt<br />
Normandin anKehlkopfkrebs. Im gleichen<br />
Jahr wird dasArbeitsverhältnis beendet.<br />
Zurückgebliebenist beiNormandin<br />
eine tiefe Enttäuschung über eine<br />
verknöcherte Institution, in der bürokratische<br />
Prozeduren und Kontoauszüge<br />
wichtiger zusein scheinen als der eigentlicheAuftrag.<br />
Also ist wieder ein Neubeginn angesagt:<br />
Normandin wird Direktor einer<br />
christlichen Buchhandlung. Diesmal<br />
scheiterterdaran,dasserzuwenig evangelikalist,zum<br />
Beispiel Bücher über andere<br />
Religionen anbietet. Dazu kommt<br />
nochdieScheidung vonder Frau,mit der<br />
er zwanzigJahre verheiratetgewesen ist.<br />
Alles inallem eine äusserst schwierige<br />
Zeit,inder anderen sicher jederLebensmutabhandengekommenwäre.<br />
AndréNormandin:<br />
«Jeder einzelne Mensch,dem geholfen wird,<br />
istwichtig.Esgehtnicht darum,<br />
dieganze Welt aufeinmalzuretten»<br />
DasPrivileg, lebendig zu sein<br />
Nicht soNormandin. Erlernt bald darauf<br />
seine jetzige Ehefrau kennen und<br />
macht eine Ausbildung zum Psychotherapeuten,Eheberaterund<br />
Coach. Inzwischenläuftdie<br />
Praxissogut,dassernicht<br />
nur davon leben kann, sondern sogar<br />
Klienten ablehnen muss.<br />
Sein Institut heisst «Eleutheria», das<br />
ist das griechische Wort für Freiheit.<br />
Der Name ist Programm: Normandin<br />
kommtesdaraufan, seinen Klienten bei<br />
derBefreiung vonlebensfeindlichen Gewohnheiten,<br />
ideologischen Überzeugungen<br />
undDenkmustern zu helfen.So<br />
wieerselbstsichnachund nachvon seiner<br />
evangelikalen Weltsicht befreit hat.<br />
Immer noch nennt er das, was ihm passiertist,«eine<br />
Begegnungmit Christus».<br />
«Aber andere Menschen würden vielleicht<br />
andereWorte füreineähnlicheErfahrunggebrauchen»,sagter.<br />
André Normandin bedauert keinen<br />
Moment seines Lebens.Nicht diekriminelle<br />
Vergangenheit, nicht die Zeit als<br />
Evangelist, nicht die Krebserkrankung<br />
oder die Scheidung. Ja, vieles war<br />
schmerzhaft.«Aber ohne das alleswäre<br />
ichnicht der,der ichheute bin.»Und auf<br />
das Heute kommt esan, darauf, den gegenwärtigen<br />
Moment zuschätzen. Das<br />
Lebenist gut,wieesist.Und Normandin<br />
istdankbar.Für «das Privileg,lebendig<br />
zu sein».<br />
n<br />
Nr.10/2013<br />
13
MonatsserieMärz<br />
erwachen<br />
1Das grosse<br />
Erwachen im<br />
Tierpark Goldau<br />
2Chronobiologie<br />
–überLangschläfer<br />
undFrühaufsteher<br />
3«Wach auf, der du<br />
schläfst …» –Erweckungsbewegungen<br />
4Frühlingserwachen<br />
in Natur<br />
undGedicht<br />
Erste Frühlingsboten stossen durch die<br />
braune Erde, und die Tiere tapsen aus<br />
ihren Winterlagern. Die Natur erwacht.<br />
Tiere und Pflanzen reagieren auf natürliche<br />
Wecksignale. Den Menschen reissen<br />
Klingeltöne, Musik oder das Radio aus<br />
dem Schlaf und strukturieren damit<br />
seinen Tag-Nacht-Rhythmus. Was<br />
passiert bei Mensch und Tier,<br />
wenn sie erwachen, und legt die<br />
Bekehrung bei Erweckungsbewegungen<br />
Zeugnis eines spirituellen<br />
Erwachens ab? Diesen und anderen<br />
Fragen gehen wir inder<br />
aktuellen Monatsserie nach.<br />
Foto:Fotolia
Zeit aufzuwachen!<br />
Der Frühling kommt auf vier Pfoten. Wenn die Tage wieder<br />
länger werden, erwachen die Tiere langsam aus der Lethargie des<br />
Winters. Auch im Natur- und Tierpark Goldau herrscht Aufbruchsstimmung.<br />
Nach der langen Ruhephase und einer strengen Diät beginnt für<br />
die Parkbewohner das grosse Fressen –denn der nächste Winter kommt bestimmt.<br />
Foto:Fotolia<br />
vonSabineSchaller<br />
EineisigerWindwehtdurchdenNatur und<br />
Tierpark Goldau.Anden Bäumen biegen<br />
sich dieÄste, im Gehege beim Eingangbewegtsich<br />
aufeiner Holzplattformeingrosseshaariges<br />
Bündel nervös hin und her. Die Waschbärenstecken<br />
ihre Köpfezusammenund kuscheln<br />
sich enganeinander. Es istdas letzte Aufbäumen<br />
des Winters, bevor der Frühling ins Land zieht<br />
und die Waschbären ihre Winterruhe beenden.<br />
Wenn dieTemperaturenwiederkletternund die<br />
Tage länger werden,klingeltihr biologischerWecker.«In<br />
derRegel sind sieEndeFebruar wieder<br />
aktiver. EntscheidendistaberdieUmgebungstemperatur»,<br />
sagt Martin Wehrle, Tierarzt im Tierpark<br />
Goldau.<br />
Das Nachbargehege ist vorübergehend unbewohnt.<br />
DieMurmeltiere lassen sich Zeit.Erstim<br />
Aprilmelden sich dieLangschläferzurück. Unter<br />
den scharfen Augender Bartgeiermachensie gegenwärtig<br />
imKeller der Greifvogelzuchtstation<br />
ihrenWinterschlaf. Eine schmaleWendeltreppe<br />
führt hinunter indas Untergeschoss, wo die siebenNager<br />
in zwei verschlossenen Kisten im Heu<br />
schlafen. Sie unterbrechen den Winterschlummer<br />
nur gelegentlich, umden Schlafplatz zu<br />
wechseln –imZeitlupentempo tapsen die Murmeltiere<br />
dann von einer Kiste indie andere. Ihr<br />
Organismus ist auf Sparflamme geschaltet. Jede<br />
Energieverschwendung gilt estunlichst zu vermeiden.<br />
Voreinigen Jahren beklagte derTierparkbereits<br />
zum zweiten Mal den Verlust des gesamten Bestandesder<br />
Murmeltiere. «Der Tierpark Goldau<br />
ist ineinem Bergsturzgebiet angesiedelt. Wir<br />
nehmen an,dassunterirdische Wassereinbrüche<br />
dieTiere im Schlaf überrascht haben»,sagtMartinWehrle.<br />
Seitdemsetzt maninGoldauauf die<br />
künstlicheÜberwinterung.Für dieMurmeltiere,<br />
dieimSeptemberaus ihremGehegegenommen<br />
undumquartiertwerden,ändertsichnichts.«Der<br />
Vorgangistgenauderselbewie inderNatur», sagt<br />
Wehrle.<br />
Wenn der innereWeckerklingelt<br />
In den Alpen kriechen die Murmeltiere inder<br />
Regel imApril aus ihrem Schlafkessel andie<br />
Oberfläche, wenn keineoder nurnocheinezarte<br />
ausgelaugt: Der Igel<br />
Wenn sich derIgelzwischenMitte<br />
März undAnfangApril, wenn<br />
dieTemperaturen nichtmehrunterzehnGradfallen,entrollt,<br />
ist<br />
er ziemlich abgespannt. Kein<br />
Wunder,hat er doch dreissigProzent<br />
seines Körpergewichts verloren.<br />
DerAufwachvorgang zieht<br />
sich über mehrereStundenhinweg.<br />
Muskelzitternund dieAktivierungder<br />
Fettreserven fördern<br />
dieDurchblutungund erzeugen<br />
Wärme. DieKörpertemperatur<br />
steigtvon rund 5auf 36 Grad,<br />
unddie Atmung normalisiertsich.<br />
Jetztbeginnen fürden Stachelritterdie<br />
Futtersucheund dieVorbereitungauf<br />
diePaarungszeit.<br />
Foto:Keystone<br />
Nr.10/2013<br />
15
Spätzünder:Der Siebenschläfer<br />
Er machtseinemNamen alle<br />
Ehre:Der Siebenschläferist der<br />
Letzte,der nach sieben Monaten<br />
derLethargie im Maiaus seinem<br />
Winterlagerkriecht.Die Aussentemperatur<br />
kümmertihn dabei<br />
nicht–erverlässtsich ganz auf<br />
dieinnereUhr.Die langeAuszeit<br />
hatihren Preis: Biszum Winter<br />
muss er sich sputen.Unvermittelt<br />
machtersich aufdie Suchenach<br />
Blättern,Knospenund mitVorliebe<br />
nach Vorräten in Häusern, in<br />
denen sich dergewiefteKletterer<br />
oftauch<br />
gleich für<br />
denSommer<br />
einrichtet. Einbesonderer<br />
Wettlauf gegendie<br />
Zeitwartetauf dieJungen.<br />
Wenn diekleinen Knäuel<br />
zwischen Ende Juli undAnfang<br />
September aufdie Welt kommen,<br />
wiegen sieknappzweiGramm.<br />
Um denWinterzuüberleben,<br />
müssen siebis Ende September<br />
ein Körpergewichtvon rund<br />
siebzigGramm erreichen.<br />
Foto:Keystone<br />
Schneedeckeliegt unddie Naturihren Futtertellerneu<br />
anrichtet. Gleichzeitig wird auch im Kälteraum<br />
desTierparks wieder geschäftigesLeben<br />
einkehren. ÄussereWecksignale benötigen diese<br />
Murmeltierenicht.«Es istdie innere Uhr, dieihnen<br />
inErinnerung ruft, dass Aufwachzeit ist»,<br />
sagtMartin Wehrle.Der Körper schüttet Hormone<br />
ausund regtdamitdie Fettverbrennungan. So<br />
wird zwarWärmefreiund dieKörpertemperatur<br />
steigt, aber gleichzeitig gehen die Reserven zur<br />
Neige. DieTiere benötigen Nahrungsnachschub<br />
undkommeninBewegung.<br />
Im Gegensatz etwa zuden Waschbären, die<br />
währendder Winterruhe dieKörpertemperatur<br />
kaum senken, braucht das Murmeltier eine<br />
Weile, um aus dem Tiefschlaf der letzten sechs<br />
Monate aufzuwachen. Kein Wunder, denn «der<br />
Stoffwechsel ist während dieser Zeit auf ein Minimum<br />
reduziert», sagt Wehrle. «Der Organismus<br />
vollbringt Höchstleistungen, um sich den<br />
veränderten Bedingungen anzupassen.» Ein<br />
Muskelzittern setzt ein. Es unterstützt die Wärmeproduktion<br />
undsorgt dafür, dass derKörper<br />
von 5bis 6Grad langsam wieder die 39Grad<br />
Betriebstemperatur erreicht. Die Herzfrequenz<br />
steigert sich von 30 auf 300 Schläge pro Minute,<br />
mehr Blut wird durchdie Gefässegepumpt,und<br />
dieAtmungnormalisiertsich.<br />
«Die Energie kehrt zurück und die Aktivität<br />
nimmt zu», sagt Martin Wehrle. Selbst das Gehirn<br />
überlebt den komatösen Zustand schadlos.<br />
Unddas,obwohldie Durchblutung währenddes<br />
Winterschlafs stark gedrosselt ist und das Hirn<br />
mitweniger Sauerstoffversorgtwird. Aufdie Frage,<br />
weshalb es nichts von seiner Leistungsfähigkeit<br />
verliert, hat die Wissenschaft bisher keine<br />
schlüssigen Antworten gefunden. Wahrscheinlich<br />
verhalte es sich ähnlich wie im Schlaf, vermutetWehrle:<br />
«Das Hirn muss nichtdenken und<br />
arbeiten und benötigt deshalb nicht soviel Sauerstoff<br />
und Glukose wie imWachzustand. Die<br />
Hirnströme sind wie die restlichen Funktionen<br />
desKörpers extrem heruntergefahren.»<br />
DieSyrischeBraunbärinFränzi nimmt’sgemütlich. Siebeendetihre<br />
partielleWinterruhe Ende Februar.<br />
16<br />
Nr.10/2013<br />
Foto:Naturund Tierpark Goldau<br />
Bärenmögen’s individuell<br />
Während die Waschbären langsam ihre Frühjahrsmüdigkeit<br />
abstreifen,herrschtbei denSyrischen<br />
Braunbären beinahe schon wieder Normalbetrieb.<br />
Takis und Tarko, die fünfjährigen<br />
Zwillingsbrüder, halten sowieso gar nichts von<br />
einerausgedehnten Winterpause. «Natürlich ist<br />
auch ihr Futter und damit die körperliche Aktivität<br />
reduziert. Aber obwohl esdie beiden gemächlicher<br />
angehen lassen, sind sie ziemlich<br />
agil», sagt der Tierarzt. Das ist nicht ungewöhn
Beiden Waschbären folgt aufdie Winterruhe gleichdie Paarungszeit.<br />
Foto:Keystone<br />
lich.Auchinder freien Wildbahn verzichten BärenmanchmalaufdieWinterruhe,«zumBeispiel<br />
in Slowenien, wo diekalte Jahreszeit nichtmehr<br />
sokalt unddasNahrungsangebotvorhanden ist»,<br />
sagt Wehrle.Bärendame Fränzi hatsichfür den<br />
Weg zwischen Askese und Ausschweifung entschieden.<br />
Sie sucht sich morgens Futter zusammen<br />
und zieht sich dann inihr Winterlager zurück.Die<br />
Einzige, dieden Müssiggang wähltund<br />
die gesamte Frostzeit in der Box des Bärengeheges<br />
verbringt, ist die 21jährige Evi.Ende Februar<br />
stellt auch sieihreWinterdiätein.<br />
Im Tierpark bereitet mansichauf dasgrosseErwachen<br />
vor: «Bald riecht und duftet esüberall<br />
nachFrühling. DieKnospen werden treiben, die<br />
Blätter wachsen, die Tiere gehen auf Nahrungssuche,<br />
und die Vögel zwitschern», sagt Martin<br />
Wehrle.Geküsst vonden ersten Sonnenstrahlen<br />
beginnt fürdie Tieredie stressigsteZeitdes Jahres.<br />
Der nächste Winter kommt bestimmt, und<br />
nurwer sichgenügend Fettreserven anfuttert,hat<br />
Chancen, diesen zu überleben. DieMurmeltiere<br />
verlierendurch diestrenge Diät biszur HälfteihresKörpergewichts,<br />
beiEvi,der SyrischenBraun<br />
Kaltblütig:Der Grasfrosch<br />
Wechselwarme Tierewie die<br />
FröschekönnenihreKörpertemperatur<br />
nichtselberregulieren.<br />
Im Winter sinktsie biszum Gefrierpunktund<br />
darunter. Grasfröscheetwakönnenübereinen<br />
kurzen Zeitraum beibis zu minus<br />
fünf Grad überleben. Glycerinin<br />
derKörperflüssigkeitverhindert,<br />
dass sich EiskristalleimBlutbildenund<br />
derFroschstirbt. Mehr<br />
alsdie Winterschläfer undruher<br />
sind sieauf dieerstenSonnenstrahlen<br />
im Frühling angewiesen,<br />
um ihren Stoffwechsel wieder<br />
anzukurbelnund dieWinterstarrezubeenden.<br />
In derRegel<br />
kommen sieimMärzaus ihren<br />
Schlamm oderErdlöchern,um<br />
sich zu sonnen.Dann beginntdie<br />
grosse Wanderungzuden LaichplätzenanBächen<br />
oder Tümpeln,<br />
wo dieWeibchen ihre Eier<br />
ablegen.<br />
Foto:Keystone<br />
Nr.10/2013<br />
17
Wenn die Murmeltiere im Aprilerwachen,bleiben ihnen nurwenige<br />
Monate,umdie überlebenswichtigenWinterfettreserven aufzubauen.<br />
Foto:Naturund Tierpark Goldau<br />
Foto:Keystone<br />
Wachgekitzelt:<br />
Der Marienkäfer<br />
Wiebei denFröschenwirkt<br />
Glycerininder<br />
Körperflüssigkeit<br />
des Marienkäfers<br />
in derkaltenJahreszeit<br />
alsnatürliches<br />
Frostschutzmittel.<br />
Derwechselwarme<br />
MarienkäferwirdimFrühjahr<br />
vonder Sonneaus<br />
derWinterstarre wachgekitzelt.<br />
Er überwintert<br />
unterLaub, Moos,unter<br />
SteinenoderBaumrinden–und<br />
immerin<br />
grossenGruppen.Das<br />
hateinen entscheidendenVorteil:Wenndie<br />
Glückskäfer im Frühling<br />
erwachen, können sie<br />
sich, ohne wertvolleZeit<br />
zu verschwenden, unverzüglich<br />
paaren.<br />
18<br />
Nr.10/2013<br />
bärin, sind es rund zwanzig Kilo, nachdem sie<br />
vonNovemberbisFebruartäglichnureinbiszwei<br />
Äpfelverspeist hat. Nach der Schonkostschlagen<br />
sich alle kräftigden Magenvoll, futternPflanzen,<br />
Kräuterund Gräser.«Es wird gefressen, wasdas<br />
Zeug hält.Die Tierestopfen sich dieBacken voll,<br />
undinsbesondereimVerlaufedesSommerskann<br />
manförmlichsehen,wie sieanGewicht zulegen»,<br />
sagt Wehrle.<br />
Wettlauf gegendie Zeit<br />
Im Waschbärengehege heultderweil dieMotorsäge<br />
auf. Routiniert führtder Tierpfleger dieKettensäge<br />
durchdas Holz,bis derStammteil ausgehöhlt<br />
ist. Ineinigen Wochen finden hier die<br />
WaschbärwelpeneinengeschütztenUnterschlupf.<br />
«Fürmanche Tierewie dieWaschbärenfolgtnach<br />
der ausgedehnten Ruhephase gleich die Paarungszeit»,<br />
sagt Tierarzt Wehrle. Der meiste<br />
Nachwuchskämpft sich zwischenMärzund Mai<br />
aus dem Mutterleib ins Leben –mit Ausnahme<br />
derBärenjungen,die bereitsimDezember, noch<br />
währendder Winterruhe,geboren werden.<br />
Im Vorteil sind jetzt die Männchen, die auch<br />
nach dem Winter noch über ausreichend Reserven<br />
verfügen. Der Liebestanz ist anstrengend:<br />
Das Territorium muss verteidigt und das Weibchen<br />
angelockt werden –das kostet Kraft. «Die<br />
Natur kennt keine Gnade. Nur die Stärksten<br />
überleben und pflanzen sich fort.» Wenn die<br />
Waschbärenjungen nacheiner Tragzeit vonrund<br />
65 Tagen auf die Welt kommen, sind sie –blind,<br />
taub, zirka 65 bis 75Gramm leicht und nur mit<br />
einemgelblichenFlaumüberzogen–demSchicksal<br />
ausgesetzt. Es geht buchstäblich ums nackte<br />
Überleben. Knapp sechs Monate bleiben ihnen<br />
und ihren Eltern, umsich für den Winter fit zu<br />
machen undsichein dickes Fettpolsteranzufressen.<br />
Wenn im Tierpark Goldau der Frühling erwacht,<br />
sind die Tiere bereits wieder auf Winter<br />
eingestellt.<br />
n
Dossier appenzellerlanD<br />
Ein«Heft<br />
im Heft»<br />
zumHerausnehmen.<br />
Individualität,Integrationund<br />
Innovation:<br />
diebeidenAppenzell<br />
500Jahre nach<br />
demBeitrittzur<br />
Eidgenossenschaft.<br />
vonRuedi Haenni<br />
Welewäg…<br />
Foto:FotografieAndreas Butz
konservativ<br />
Dossier appenzellerlanD<br />
frei<br />
«Wie soll mansicheiner Region annähern,von<br />
widerspenstig<br />
stur<br />
eigenständig<br />
wehrhaft<br />
Nein, sieverraten dasGeheimnis<br />
der Kräutersulz nicht. Auch<br />
wenn Uwe Ochsenknecht sie<br />
noch so treuherzig anblickt oder mit<br />
schweren Geldkoffern lockt. Seit nunmehr<br />
zehn Jahren prägen und festigen<br />
die schweigsamen Sennen der Käsewerbung<br />
das Bild des Appenzellerlands in<br />
der Restschweiz: ein knorriges, leicht<br />
verschrobenes Völklein, das sich von<br />
nichts undniemandem ausder Reserve<br />
locken lässt und mit «Chüelibroscht»<br />
und rotem «Liibli» beobachtet, wie die<br />
seltsame Welt an ihmvorbeizieht.<br />
«Es ist natürlich ein Bild, das wir zum<br />
Teil auch ganz bewusst pflegen», sagt<br />
Carlo Schmid, seit 1984 und noch bis<br />
Ende April Landammann von AppenzellInnerrhoden,<br />
underkannsichdabei<br />
ein Schmunzeln nicht verkneifen. «Gemessen<br />
an derBevölkerungszahlhaben<br />
wir eine unglaubliche Präsenz in der<br />
Schweiz – ‹Appenzell› ist eine sehr<br />
starke Marke.»<br />
AufnachWald<br />
Brauchtum, Blässund Berewegge–die<br />
süffigen Schlagzeilen sind schnellgefunden,<br />
wenn esumdas Appenzellerland<br />
geht.Wie also soll mansichdieserRegion<br />
annähern, von der man ohnehin<br />
schon alles zu wissen glaubt? Die ein<br />
Kommentatorschon vorfünfzig Jahren<br />
als«Hochburg desEigenwillens» betitelte?<br />
Dieser Voralpenfestung der Konservativen,<br />
die den EWR mit Zweidrittelmehr<br />
verwarf und die AntiMinarett<br />
Initiative mit71,4Prozent (AI, Schweizer<br />
«Rekord»)beziehungsweise 63,7 Prozent<br />
(AR) annahm?<br />
20<br />
Nr.10/2013<br />
appenzellInnerrhoden<br />
einwohner: 15 789<br />
Fläche: 173km 2<br />
Hauptort:<br />
Appenzell<br />
Da alle Wege insAppenzellerland über<br />
den Kanton St. Gallen führen (aus Appenzeller<br />
Sicht bekanntlich der Kuhfladen,<br />
der das Goldstück umgibt), besteigenwirinderOlmastadt<br />
dieseit2006zu<br />
den AppenzellerBahnengehörende Trogenerbahnund<br />
lassen dieoftzitierteHügellandschaft<br />
an uns vorbeiziehen. Ein<br />
Postauto bringt uns schliesslich nach<br />
Wald AR –844 Einwohner, sechs Wirtshäuser,<br />
die Poststelle auch hier inzwischen<br />
imDorfladen. 1999 sorgte Wald<br />
europaweit fürSchlagzeilen, alses–man<br />
stelle sich vor: ein Appenzeller Dorf! –<br />
als erste Deutschschweizer Gemeinde<br />
den ausländischen Einwohnern das<br />
Stimm undWahlrecht zugestand,und<br />
dies mit ansehnlichen 71Prozent Ja<br />
Stimmen. Grundlagedafür wardie revidierte<br />
Kantonsverfassung von 1995, in<br />
der Ausserrhoden –als erster Deutschschweizer<br />
Kanton –diese Möglichkeit<br />
explizit vorsah.<br />
Vorzwei Jahren zeichnete der Verein<br />
«Second@s Plus» Wald als «ausländerfreundlichste<br />
Gemeinde der Schweiz»<br />
aus. Honoriert wurden damit Integrationsbemühungen<br />
wie etwa die relativ<br />
grosszügige Einbürgerungspraxis oder<br />
die Tatsache, dass der Chor Wald auch<br />
Liedgutaus den Einwanderungsländern<br />
in sein Repertoire aufgenommenhat.JakobEgli,<br />
Gemeindepräsident(undselbst<br />
ein «Zugezogener» aus dem Rheintal),<br />
freut sich über die Auszeichnung –die<br />
Gemeinde hatte sich auch aktiv darum<br />
beworben. Er ist jedoch weit davon entfernt,<br />
Wald als Vorzeigegemeinde zu<br />
idealisieren: «Letztlich beantragt nicht<br />
einmal die Hälfte der berechtigten Ausländer<br />
dasStimmund Wahlrecht–was<br />
aber auch etwa der Stimmbeteiligung<br />
der Schweizer entspricht.» Immerhin<br />
schaffte 2002 ein Niederländer den<br />
Sprung in den Gemeinderat –inzwischenist<br />
er jedoch ausdem Gremiumzurückgetreten<br />
undSchweizer geworden.<br />
VonFötzeln undFlaggen<br />
In den alltäglichen Kontakten zwischen<br />
Einheimischen und Ausländern<br />
dominiertentspanntePragmatik:«Wenn<br />
man gemeinsam in der Beiz sitzt, sagt<br />
manjanicht ‹Grüezi, Herr Ausländer›»,<br />
sagtJakobEgli.DieGrundhaltunginder<br />
Gemeinde seizweifelloseineoffene,aber<br />
«bei uns leben auch Leute, die Mühe<br />
haben mit den Zuwanderern». Michele<br />
Maddalena, ein Süditaliener, der vor<br />
fünfzigJahrennachWaldkam,erinnert
heitsliebend<br />
derman ohnehinschon alleszuwissenglaubt?»<br />
stolz<br />
eigensinnig<br />
sich denn auch daran, dass man früher<br />
«hinter vorgehaltener Hand» durchaus<br />
von«fremdenFötzeln»gesprochenhabe.<br />
Heute kann esjedoch auch schon mal<br />
vorkommen, dass Gemeindepräsident<br />
Egli von der Bosnierin Luzija Bozic Rados<br />
gerügt wird, weil an seinem Haus<br />
am 1. August keine Schweizer Flagge<br />
hängt.<br />
appenzellausserrhoden<br />
einwohner: 53 562<br />
Fläche: 243km 2<br />
Hauptorte:<br />
Herisau, Trogen<br />
DieParteiunabhängigen<br />
Beim Abschied weist uns Jakob Egli<br />
noch auf eine Tatsache hin, die mit ein<br />
Grund dafür sein könnte, dass Wald<br />
dann und wann seinen eigenen Weg<br />
geht: ImGemeinderat sind alle Mitgliederparteilos.Andererseits–diesist<br />
für<br />
die beiden Appenzell gar nicht so untypisch:SoistimAusserrhoder<br />
Kantonsrat<br />
nach wie vor rund ein Drittel der<br />
Mitglieder parteiunabhängig, und in<br />
Innerrhoden wird die Parteizugehörigkeit<br />
der Grossratsmitglieder gar nicht<br />
erst genannt. Carlo Schmid: «Ein Innerrhoderist<br />
Innerrhoder, undParteien<br />
interessieren ihn eigentlich gar nicht.»<br />
Schmid selbst ist erst dann indie CVP<br />
eingetreten, als er in den Ständerat gewähltwurde:«Jeder,<br />
der im Kanton hart<br />
parteipolitisch politisiert, ist ein fremdgesteuerterTorpedo<br />
–und dasmerktder<br />
Innerrhoder.» Entsprechend sei es beispielsweise<br />
für die SVP und die SP<br />
schwer, inInnerrhoden Fuss zu fassen,<br />
weil sie kaum innerkantonale Themen<br />
aufbringenkönnten.<br />
Und die «relativ grosse Eigenständigkeit»<br />
der Ratsmitglieder (Website<br />
www.ai.ch) spiegelt letztlich einen<br />
grundlegenden Charakterzug der ganzen<br />
Region wider: Ineiner Landschaft,<br />
dieauchheute noch über weiteStrecken<br />
so aussieht,als wärendie einzelnenWeilerund<br />
Gehöfte unlängst demsagenhaften<br />
Säntisriesen ausdem löchrigenSack<br />
gepurzelt, hat sich über die Jahre eine<br />
Gesellschaft herangebildet, inder Individualität,<br />
Eigensinn und eine gewisse<br />
Skepsis gegenüber allem Fremden eine<br />
zentrale Rolle spielten.Zentrum desLebens<br />
war der Familienkern; «Freundesbeziehungen<br />
waren kaum üblich in der<br />
appenzellischenGesellschaftsstruktur»,<br />
sagt etwa Agathe Nisple,Kulturvermittlerin<br />
aus Appenzell, die sich unter anderem<br />
intensiv mit der Geschichte der<br />
Region auseinandergesetzt hat. Die Erinnerung<br />
an siegreiche Schlachten in<br />
den Appenzellerkriegen des frühen<br />
15. Jahrhunderts, aber auch schwärme<br />
500Jahre im Bund,<br />
416Jahre getrennt<br />
Vor500 Jahren,am17. Dezember1513,<br />
wurdedas Land Appenzell<br />
als13. Kanton in diealte<br />
Eidgenossenschaftaufgenommen.<br />
Dieschon damalsals eigensinnig<br />
undunberechenbar<br />
geltendenAppenzeller befreitensich<br />
damit endgültigvon<br />
derHerrschaftder mächtigen<br />
Fürstabtei St.Gallen(derName<br />
«Appenzell»leitetsich ab von<br />
«abbatis cella»,«Gutsbesitz<br />
des Abtes»). Zuvorhattensie<br />
sich in denAppenzellerkriegen<br />
des frühen15. Jahrhunderts<br />
(Schlachtenbei Vögelinsegg<br />
1403 undamStoss 1405)bereitseinegewisse<br />
Autonomie<br />
erkämpft.<br />
SchonimLaufe des 16.Jahrhundertszeitigtedie<br />
Reformation<br />
auch in AppenzellihreFolgen.<br />
1525 entschieddie Landsgemeinde,dassjedeKirchhöri<br />
selbst<br />
über ihre Glaubenszugehörigkeit<br />
entscheidendürfe –die<br />
westlichenund nördlichenGebiete<br />
(die «äusseren Rhoden»)<br />
traten sodann zumneuen Glaubenüber.<br />
GegenEndedes Jahrhundertsforciertenjedoch<br />
dieinneren Rhoden–unter anderemmit<br />
einem Militärbündnismit<br />
Spanien –ihreRekatholisierungsversuche,was<br />
zu<br />
erhöhten Spannungenführte.<br />
UntereidgenössischerVermittlungentschieden<br />
sich dieAppenzellerschliesslich<br />
1597 zur<br />
Landteilung. DerGrenzverlauf<br />
zwischen denbeidenKantonen<br />
bliebjedochmancherorts weiterhin<br />
unscharf undwurde erst<br />
1870 endgültigbereinigt.<br />
Foto:Keystone<br />
Nr.10/2013 21
Dossier appenzellerlanD<br />
Foto:Martina Basista,Appenzeller MedienhausAG<br />
DasAppenzellerland alsPostkartensujet:Alpfahrt mitGeissen,Kühenund derfestlichen Sennentrachtmit rotem «Liibli»<br />
und gelben Kniehosen(«di Geele»).<br />
rische Beschreibungen früher Beobachterwie<br />
etwa Johann GottfriedEbel(«Gebirgsvölker<br />
der Schweiz», 1798) kultivierten<br />
das Bild eines wehrhaften und<br />
widerspenstigen Menschenschlags, das<br />
bisheute nachwirkt.<br />
VomBauernkanton zumMix<br />
«Als ich 1984 Landammann wurde»,<br />
sagt Carlo Schmid, «war rund ein Viertelder<br />
ErwerbstätigenBauern.»Und die<br />
Bauern hätten zumindest den Kanton<br />
Innerrhoden entscheidend geprägt:<br />
«AufgrundseinerTätigkeit in derNatur<br />
ist der Bauer allem Neuen gegenüber<br />
sehrzurückhaltend.Ichhabedaherauch<br />
schon gesagt, wir sind ein Kanton der<br />
verpassten Möglichkeiten», so Carlo<br />
Schmid. «Andererseits ist der Bauer extrem<br />
zuverlässig und solid, und wenn<br />
manseinZutrauen hat, istertreu. Diese<br />
GrundmustersindimKantonnochheute<br />
erkennbar.»<br />
Istalsodie Landwirtschaftimmer noch<br />
daswirtschaftlicheRückgratder beiden<br />
Appenzell? Mitnichten, sagt Markus<br />
Walt, Leiter des Innerrhoder Amts für<br />
Wirtschaft: «Auch bei uns findet eine<br />
Verschiebung vom ersten zum dritten<br />
Sektor statt–derzeit sind nochsechzehn<br />
22<br />
Nr.10/2013<br />
Prozent der Beschäftigten in der LandundForstwirtschafttätig.»<br />
Dies istzwar<br />
immer noch das Vierfache des schweizerischen<br />
Mittels, aber die kantonale<br />
Wirtschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten<br />
stark aufgefächert. Ein «Mix<br />
verschiedener Branchen» präge heute<br />
die Appenzeller Wirtschaft, erzählen<br />
Walt und seine Ausserrhoder AmtskolleginKarin<br />
Jung übereinstimmend.Wobei<br />
die Facetten leicht unterschiedlich<br />
sind:InInnerrhoden istheute –neben der<br />
Landwirtschaft–derTourismus einwichtigerWirtschaftszweig<br />
geworden, undder<br />
LebensmittelbereichweistmitderMineralquelle<br />
Gontenbad, der Brauerei Locher,<br />
dem Appenzeller Alpenbitter und natürlich<br />
dem Käse weit über die KantonsgrenzenhinausbekannteMarken<br />
auf.<br />
InAusserrhoden wiederumnimmtdas<br />
Gesundheitswesen eine gewichtige Rolle<br />
ein –die Tätigkeit der Naturheiler beispielsweise<br />
ist sogar per Verfassung gestützt.Auchdie<br />
klassische Industriemit<br />
Unternehmen wie dem ElektrotechnikkonzernHuber<br />
+Suhneroder derinder<br />
Messtechniktätigen MetrohmAG(beide<br />
in Herisau) ist für den Kanton prägend.<br />
«Ausserrhoden gehörte zuden ersten<br />
Kantonen, die eine Industrialisierung<br />
erlebt haben»,sagtKarin Jung –Vorreiterinwardamals<br />
dieTextilindustrie,die<br />
auch heutenochpräsent ist.<br />
GrenzenamRand<br />
Die Arbeitslosenquoten liegen mit<br />
1,7 Prozent (AI) und 1,8 Prozent (AR)<br />
halb so hoch wie der Schweizer Durchschnitt,<br />
das frei verfügbare Einkommen<br />
gehörtinbeidenKantonenzuden höchsten<br />
der Schweiz –also eine rundum paradiesische<br />
Situation? «Die schlechte<br />
VerkehrsanbindunglimitiertdasWachstum<br />
als Wohn und Wirtschaftsstandort»,sagtMarkusWalt,<br />
undKarin Jung<br />
ergänzt: «Je peripherer man gelegen ist,<br />
destoschwieriger ist es, gute Fach und<br />
Führungskräfte zufinden. Ausserdem<br />
habenwir aufgrund der Topografierelativwenig<br />
guterschlossenes Bauland.»<br />
Als «grosse Herausforderung» sehen<br />
Walt und Jung den sogenannten Braindrain,<br />
die Abwanderung junger Hochschulabsolventen<br />
aus der Region. «InnerrhodenweistmitrundsiebzigProzent<br />
diehöchste BraindrainRateder Schweiz<br />
auf», sagt Markus Walt; Ausserrhoden<br />
liegtmit rund fünfzigProzent nurwenig<br />
dahinter. Mit gezielten Informationsanlässen<br />
und Impulsprogrammen ver
Foto:zVg<br />
DasAppenzellerland alsIndustriestandort:Ein Mitarbeiter derArcolor in WaldstattARwartetamFarbmischer,bis die (einem Zahnrad<br />
ähnelnde)Dissolverscheibeabgetropftist.<br />
sucht man hier Gegensteuer zu geben.<br />
Hinter allem stehe jedoch das Ziel, die<br />
Attraktivität der beiden Kantone als<br />
Werkplatz insgesamt aufrechtzuerhalten<br />
–und weil gute Luftund grüneWiesen<br />
dazu allein nicht genügen, haben<br />
beideKantone schonvor rund sechs Jahren<br />
die Unternehmenssteuersätze markant<br />
gesenkt. Die Massnahme zeitigte<br />
Erfolg: Inden letzten Jahren hat nicht<br />
zuletzt die Zahl der Firmen, die im<br />
(Hoch)Technologiebereichtätigsind,in<br />
beiden Kantonen zugenommen.<br />
Farbefür dieWelt<br />
«Wir habeneigentlichschon vordieser<br />
Steuersenkung entschieden, anunserem<br />
Standort zu bleiben», sagt Jörg Müller,<br />
Geschäftsführer des Druckfarbenherstellers<br />
Arcolor inWaldstatt AR. Die<br />
1996 gegründete Firma beschäftigt heute<br />
63 Mitarbeiter, dazu kommt eine<br />
Tochterfirma mit 5Angestellten in China.<br />
Arcolor ist weltweiter Marktführer<br />
im Dekordruckbereich, dieFarbenkommen<br />
unter anderem bei Möbeloberflächen<br />
oder bei Laminatfussböden zum<br />
Einsatz. «Als wir 2003 erweitern mussten,<br />
spielten wir auch Szenarien mit einem<br />
Umzug nach Polen oder China<br />
durch–imDekordruckexportieren wir<br />
ohnehin zuhundert Prozent ins Ausland.»<br />
Die Nachteile und Risiken seien<br />
dabei aber weit grösser gewesen als die<br />
Vorteile,sagtMüller: «Ausserrhoden ist<br />
ein kleiner, unternehmensfreundlicher<br />
Kanton –man kennt dieBehörden, und<br />
dieBehördenkennendie Firmen.»<br />
Dieperiphere Lage seinie einProblem<br />
gewesen: «Da wir die ganze Welt bedienen,<br />
spielt es keineRolle mehr,obwir in<br />
WaldstattoderinZürichsind.»Viele ihrerFachkräfte<br />
müssedie Arcolorsowieso<br />
in Deutschland rekrutieren, weil in<br />
der Schweiz die entsprechenden Ausbildungen<br />
gar nicht angeboten würden,<br />
sagtMüller.«FürDeutscheistdieSchweiz<br />
als Land attraktiv –ob sie jetzt in der<br />
Nähe von St. Gallen oder von Zürich<br />
wohnen, macht für sie keinen Unterschied.»<br />
IminternationalenWettbewerb<br />
setztdie Arcolorden Vorteilder «Swissness»gezielt<br />
ein: «Mit dem Appenzeller<br />
Hintergrund geht das besonders gut,<br />
weilhier dieTraditionen gelebt werden.»<br />
Brauchtum–mit oder ohne<br />
Ein Satz, der vermutlich wie Musik in<br />
den Ohrenunseres nächsten Gastgebers<br />
klingt: Walter Frick ist Kurator des<br />
Brauchtumsmuseums inUrnäsch, vielseitiger<br />
Volksmusiker undMitglieddes<br />
WaisenhausSchuppels, einer Gruppe<br />
vonSilvesterchläusen,die jedesJahram<br />
31.Dezemberund am 13.Januar(neuer<br />
undalter Silvester) mitSchellen, Rollen<br />
undZäuerlidasJahrbegrüsst.Undinder<br />
Tat: «Das Appenzeller Brauchtum lebt»,<br />
sagt Frickmit Überzeugung. «Das zeigt<br />
sich allein schon daran, dass wir keine<br />
Nachwuchsproblemekennen.»<br />
GidioHosestosszuAschermittwochin<br />
Herisau und Waldstatt, Alpfahrten im<br />
Mai und im Herbst, das Räuchle zu<br />
Weihnacht und Neujahr, die diversen<br />
Stobeten im Alpstein, die Fronleichnamsprozessionen<br />
in Innerrhoden,<br />
Viehschauen, Chlausezüüg undSennenbälle<br />
–der Appenzeller Brauchtumskalender<br />
ist reich gefüllt. Letztes Jahr<br />
liesseineGruppejungerMännerinHerisausogar<br />
«das Bloch» wieder aufleben<br />
–imGegensatz zumübrigen Kanton lag<br />
dieser Brauch,bei demein Baumstamm<br />
durch die Strassen gezogen wird, im<br />
Kantonshauptort während 99Jahren<br />
brach. «Eine Supersache», sagt Walter<br />
Frick, «eswar eindrücklich,wie allesherausgeputzt<br />
und bis ins Detail durchstudiert<br />
war.»<br />
Nr.10/2013 23
Dossier appenzellerlanD<br />
Das Appenzeller Brauchtum habe<br />
«eine Riesenentwicklung» durchgemacht,<br />
wenn man die letzten 100, 200<br />
Jahrebetrachte:«Im 19.Jahrhunderthatten<br />
dieSilvesterchläuseofteinfach Lumpenan–einen<br />
Sack über den Kopf,zwei<br />
Löcher rausgeschnitten, fertig», sagt<br />
Walter Frick. Dannzumalgab es nurdie<br />
«wüsten» Chläuse –die «schönen», bei<br />
denen heutzutage Tausende vonArbeitsstunden<br />
undFranken allein in diekunstvolleGestaltungder<br />
«Haube»investiert<br />
werden,sinderstum1880herum aufgetaucht.<br />
Aber auch heute noch wird an<br />
Details gefeilt, etwa bei der bekannten<br />
Sennentracht mitdem roten Gilet(«Liibli»)<br />
und den gelben Hosen: «Unlängst<br />
sah ich einen, dessen ‹Chüelibroscht›<br />
statt von drei Schellenkühen von einer<br />
Streichmusik geziert wurde», sagt Walter<br />
Frick. Erhabe zweimal hinsehen<br />
müssen,als er es bemerkthatte:«Dä het<br />
huereMuet!»<br />
Auch dieMusik–fürFrickohnehindie<br />
Basis allen Appenzeller Brauchtums –<br />
habe sich «umSchuhlängen entwickelt»;<br />
heutegebeessoviele qualitativ gute Appenzeller<br />
Musiken wie kaum je zuvor.<br />
«Letztlich lebt dasBrauchtum, weilesvon<br />
innenherauskommt.Der Bubwürde an<br />
derAlpfahrtmit seinemSenntumdurchs<br />
Dorf laufen, obesZuschauer hat oder<br />
nicht. Undwir würden an Silvesterchlausengehen,obesTouristenhatodernicht.»<br />
GesundesFieber<br />
«AufkleinemRaum‹ischchoge villos›»,<br />
sagt denn auch Thomas Rickenmann<br />
über das Appenzellerland. Der Wattwilerist<br />
einerjener «Zuschauer», dieesein<br />
wenig genauer wissen wollten: Schon<br />
zwei Filme hat er über das Appenzellerland<br />
gedreht–den ersten 2008 über das<br />
Leben auf der Fälenalp («Die Schönheiten<br />
des Alpsteins»), den nächsten 2011<br />
über das Silvesterchlausen. Rasch habe<br />
das «Chlausenfieber» auch ihn gepackt,<br />
sagt Rickenmann:«Es istschon speziell,<br />
wie viel Energie man inetwas stecken<br />
kann, das man dann nur zwei Mal im<br />
Jahr braucht.» Obwohl die Silvesterchläusestets<br />
eingrosses Geheimnisum<br />
ihre Hauben machen,seien sie–nachanfänglicher<br />
Vorsicht –erstaunlich offen<br />
gewesen: «Wennich maleinen Samstag<br />
nicht gekommen bin, haben sie mich<br />
schonvermisst. Nach einerWeile gehört<br />
manwirklichdazu.»<br />
24<br />
Nr.10/2013<br />
Foto:AppenzellerlandTourismus AI /swissimage.ch /MarcHutter<br />
Politiktrifft Traditiontrifft Liturgie:<br />
dieLandsgemeindeinAppenzell Innerrhoden.<br />
«Offenheit» und«dazugehören»–zwei<br />
Stichworte, die auch Agathe Nisple von<br />
jeherumgetrieben haben. Obwohl sieeigentlich<br />
ihr ganzes Leben in Appenzell<br />
verbracht hat, obwohl sie seit vierzehn<br />
Jahren in der lokalen «Feuerschaukommission»<br />
(etwa: Baukommission) tätig<br />
ist, obwohl sie die Geschichte der Region<br />
kennt wie nur wenige Einheimische,<br />
fällt esder Kulturvermittlerin –«Kind<br />
nichtappenzellischerEltern»,alsoletztlich<br />
eine «Zugezogene» –noch heute<br />
nichtganzeinfach zu sagen: «Ich binAppenzellerin.»<br />
Das ganze appenzellische<br />
Brauchtum, von der Tracht bis zur Bauernmalerei,<br />
ist für sie zwar «eine wunderbare<br />
Geschichte», aber eben auch<br />
eine,«dieins 19.Jahrhundert gehört».<br />
Schellen im Hausgang<br />
In der Tat erlebte das Appenzellerland<br />
des19. Jahrhunderts eine wirtschaftliche<br />
Hochblüte, die ersten Kurtouristen kamenindie<br />
Region –und gleichzeitig war
das bäuerliche Handwerk von der Senntumsmalerei<br />
über die Handstickerei bis<br />
zur Weissküferei auf einem Höhepunkt.<br />
«Aber eswar eine angewandte Kultur»,<br />
sagt Agathe Nisple,«manhat dieGeräte<br />
weitgehend auch im Alltagsleben benützt.»Dassdie<br />
dekorativen Kunstwerke<br />
auch bei den Besuchern auf Anklang<br />
stiessen, nahmen die Appenzeller lediglich<br />
wohlwollendzurKenntnis.«Danach<br />
hatsichdas Bauernwesennatürlich weiterentwickelt»,sagtNisple–auchinden<br />
Appenzeller Ställen löste die Melkmaschine<br />
diealthergebrachten Kübelab.<br />
Und inden schwierigen Kriegs und<br />
Nachkriegsjahrenwar das,was wirheute<br />
als«AppenzellerBrauchtum»kennen,<br />
praktischinexistent.Dochinden 1960er<br />
Jahren setzte dieReprise ein, dieAlltagsgegenstände<br />
voneinst wurden flugs zur<br />
«Tradition»(v)erklärt. «Man hateinfach<br />
all das, was man im19. Jahrhundert gemachthatte,neu<br />
aufgelegt»,sagtNisple.<br />
Neue Schnitzereienwurden angefertigt,<br />
neue Schellen geschmiedet – «jedes<br />
Dorfhaus hatte in den siebziger Jahren<br />
drei solcherSchellenimHausgang,nicht<br />
mehr nur der Bauer, der sie auch wirklich<br />
aufdie Alpgetragenhatte».<br />
Rundherumseiwenig RaumfürNeues<br />
geblieben, sagt Nisple,und natürlichsei<br />
das wirtschaftlich schwache Appenzell<br />
Fortsetzung aufSeite 28.<br />
Nr.10/2013 25
Dossier appenzellerlanD<br />
Foto:Andreas Nentwich<br />
Alt-Bundesrat Hans-Rudolf Merz vordem «SchwarzenHaus», einer derältesten<br />
Stoffdruckereien derSchweiz,Keimzelleder Herisauer Textilindustrie.<br />
Spazieren<br />
im Weltdorf<br />
26<br />
Nr.10/2013<br />
Alt-Bundesrat Hans-Rudolf Merz<br />
zeigt sein Herisau.<br />
vonAndreasNentwich<br />
Nun müsse der Besucher ihm<br />
aber auch sagen, was ergenau<br />
von ihm wolle. «Ich möchte,<br />
dass Sie mir Ihr Herisau zeigen, alles,<br />
was Ihnen wichtig ist!» HansRudolf<br />
Merz,geboren 1942 in Herisauund zeitlebens<br />
hier wohnhaft, sitztamSteuer seinesMercedes.<br />
Am Bahnhof Gossau hat<br />
er mich abgeholt,esist Anfang Februar,<br />
ein trüber Tag, der Wind schneidet ins<br />
Gesicht. Nunnickt er.Und erzähltdann<br />
dieSagevom Riesen Säntis undseinem<br />
Sack mitdem Loch,aus demdie Häuser<br />
purzelten,hinunterauf diegrünenMatten<br />
des Appenzellerlandes. So entstanden<br />
die Streusiedlungen, mit ihnen die<br />
Blickdistanz,der Eigensinnund dasZusammengehörigkeitsgefühlvon<br />
solchen,<br />
die sich gegenseitig nicht dreinreden –<br />
Siedlungsformwurde Mentalität.«Aber<br />
dieStadt?» –«Stadtgibtesnicht,Herisau<br />
istdas Dorf.Einmalkam einervon aussen,<br />
der wollte esunbedingt zur Stadt<br />
machen, das ist ihm nicht bekommen.»<br />
Vielleicht, weil die Appenzeller auch<br />
dort,wosie sich verwalten undgeschäften,<br />
das Gefühl behalten wollen, freie<br />
Bauern zu sein?<br />
«Grüezimitenand! Herr Merz!»<br />
Zu der Frage kommt es nicht mehr,<br />
denn wir haben den Dorfplatz erreicht,<br />
den er mir zeigen möchte. Hier sei er<br />
schon als Kind auf dem Schulweg mit<br />
den vier zentralenAspekten von«Gesellschaft»<br />
konfrontiert worden. Er deutet<br />
mitdem Finger in dievierHimmelsrichtungen<br />
und sagt: «Regierung, Kulturdirektion,<br />
Kirche, Bank.» Erfährt den<br />
Bilderfries unter dem Dach des Regierungsgebäudes<br />
ab–die Wappen von<br />
Hundwil, Trogen, Motive aus der Bauernkultur,<br />
dieLandsgemeinde.Ersucht<br />
nach Wörtern, die das massvoll Extravagante<br />
der Architektur des weiss verschindelten<br />
Hauses erfassen,indem die<br />
Kulturdirektion untergebrachtist.Etwas<br />
schwingt mitineinem kurzen Moment<br />
der Ausdrucksnot,Respekt,Zärtlichkeit<br />
fast,HansRudolf Merz liebtdie Künste.
Hans-rudolfMerz:<br />
«stadt gibt es nicht, Herisauist dasDorf. einmal kameiner<br />
vonaussen, derwollteesunbedingt zurstadt machen,<br />
dasist ihmnicht bekommen»<br />
«Dort sehen Sie die protestantische Kirche.<br />
In dieser Kirche wurde ich getauft,<br />
getraut, wurden meine Söhne konfirmiert,<br />
fand dieFeier alsBundesrat statt,<br />
als Bundespräsident –und wenn alles<br />
normal läuft,wirdauchdie Abdankung<br />
hier stattfinden.» («Grüezi mitenand!<br />
Herr Merz!» –«Voilà!» –«Herr Merz!»)<br />
«Und dasistdieKantonalbank.Gewesen.<br />
Jetzt ist’s die UBS. Ich war jaPräsident<br />
dieser Kantonalbank, sie war pleite, als<br />
icheintrat.Ichmusste sieverkaufen –ein<br />
schmerzhafter Entscheid, der den Kanton<br />
sehr geschüttelt hat. Daging ein<br />
Stück Identität verloren, absolut.» Wir<br />
steigen wieder indenWagen.Aufdiesen<br />
Platzhätte mich auch jederandereHerisauergeführt–umvom<br />
Einmaligen und<br />
Unverwechselbaren zusprechen, vom<br />
schönen Früher und von heutigen<br />
Bausünden, vom AltBundesrat natürlich<br />
auch. Dieser selbst jedoch schaut<br />
durchalles Lokale hindurch aufdas pulsierende<br />
Herz dessen, was für ihn ein<br />
Gemeinwesen ausmacht. Seine Heimatliebeist<br />
nichtdenkmalpflegerisch, nicht<br />
romantisch, nichtkleinstädtisch–sieist<br />
politisch.DasHerisau,daservondiesem<br />
Platz her entfaltet, ist eine Kapitale aus<br />
dem Baukasten des Riesen Säntis, mit<br />
allen Funktionen, die notwendig sind,<br />
um aus Einzelnen Gesellschaft werden<br />
zu lassen.<br />
Sport, Militär, Wirtschaft<br />
Weiterfahrt. Vorbei an derKaserne,in<br />
der HansRudolf Merz die Rekrutenschule<br />
absolviert hat, aufden Parkplatz<br />
des1973eröffneten Sportzentrums. Gebaut<br />
vonihm,könnteman sagen, wenn<br />
derSportbegeisterteauchnochMonarch<br />
wäre. Viel fehlt nicht –zum Gebauthaben.<br />
DasZentrum wardie Vision des<br />
gerade Dreissigjährigen, der zu jener<br />
Zeit schoneineführendeKraftwar,nicht<br />
nurimDorfund im Eishockeyverband,<br />
sondern, alsGeschäftsführerdes Industrievereins<br />
Appenzell Ausserrhoden,<br />
auch im Halbkanton. AmAnfang allerdings,<br />
so erzählt ernun, stand die Eingebung<br />
eines Kasernenverwalters: Warum<br />
nichtauf diegeplanteEinstellhalle<br />
für Militärfahrzeuge etwas Schönes<br />
draufsetzen, eine Kunsteisbahn? Das<br />
habe «den führenden Kräften» damals<br />
eingeleuchtet, und kaum war die Sache<br />
beschlossen, sprudelten neue Ideen:<br />
Schwimmbecken, Turnhallen, Sauna,<br />
Restaurant.JemehrZwecke, destomehr<br />
Zustimmung. «Ich war vom ersten Tag<br />
an Präsidentdes Betriebes, habe dieLeute<br />
angestellt, die Anlagen inBetrieb genommen<br />
und 1974 auch die Eishockey<br />
Europameisterschaften organisiert. Das<br />
Turnier ist sehr gut herausgekommen,<br />
50 000 Zuschauer, am Schlusshatten die<br />
Schweden gegen die Russen gewonnen.<br />
Es wareineganztolle Zeit fürHerisau.»<br />
Sportzentrum,Kaserne,Dorfplatz.<br />
«Nun zeigeich Ihnen noch denvierten<br />
Schauplatz, der mir etwas bedeutet!»<br />
Wir fahren dem Glattbach entlang, an<br />
dem die alten Gewerbebetriebe liegen,<br />
zu Huber+Suhner, Kabelsysteme,Kommunikationskomponenten,<br />
«das Flaggschiff»,<br />
sagt er, «der appenzellischen<br />
Industrie». Achtzehn Jahre sei erim<br />
Verwaltungsrat gewesen, zehn Jahrebei<br />
CilanderTextilveredelunggleichnebenan.Wir<br />
halten,ich darf einFotomachen<br />
und spüre die Bewegung, innere Verbundenheit<br />
bis heute bei dem Wirtschaftsmann.<br />
HansRudolf Merz,der Sparfuchsund<br />
Modernisierer, weicht nicht aus, wenn<br />
die Verlustbilanz zu benennen ist. «Innerrhoden?Die<br />
habennocheineLandsgemeinde.<br />
Wir haben sie abgeschafft<br />
nach dem Kantonalbankdebakel. Die<br />
haben noch eine eigene Zeitung, eine<br />
eigeneBrauerei, wirhaben dasallesnicht<br />
mehr.» –«Trinken die Ausserrhoder<br />
St.GalleroderInnerrhoder Bier?» –«Ja,<br />
wahrscheinlich beides. Ichbin kein Biertrinker.»<br />
Er lacht. Unterschiede zwischenden<br />
Halbkantonen seiennatürlich<br />
da, nicht mehr so sehr wegen der Religion<br />
selbst als wegen der durch sie geschaffenen<br />
unterschiedlichen Traditionen.<br />
Aber nein, man verstehe sich gut.<br />
Indes: «InAppenzell Innerrhoden müsste<br />
ich als Protestant kein Verkaufsgeschäfteröffnen.»<br />
Er ist, seiner Bündnerfleischberühmtheit<br />
zum Trotz, ein ernster Mann, mit<br />
Humor begabt, aber ihn nicht suchend.<br />
Wer ihn an seinem Ort erlebt, hat den<br />
Eindruck,dasserweiss,wasihmzusteht,<br />
darüberhinausaberganzuneitel ist. Er<br />
grüsst ernst und nachdrücklich, gern<br />
auch, wie mir scheint, als Erster. Ein<br />
Wink über die Strasse zum Postboten,<br />
ein Tipp zum Busfahrer, den er kennt.<br />
Auffallende Höflichkeit in den kleinen<br />
Gesten.<br />
Lebenslinien, Schnittstellen<br />
Auf der Höhe, vorm Altersheim Dreilinden,<br />
der Panoramablick auf seine<br />
Polis. HansRudolf Merz zeigt mir die<br />
berühmte Psychiatrie, sprichtüberHermann<br />
Rorschach, einen Pionier der<br />
Persönlichkeitsforschung, der hier den<br />
Rorschachtest entwickelt hat. Und über<br />
den schmalen Wanderer mit Gilet und<br />
Strohhut, den er als Schulbub von fern<br />
verehrte: Robert Walser. Hier, wowir<br />
stehen,ist er auch oft vorbeigekommen.<br />
Merz fährt Walsers Spazierwege rund<br />
um Herisau mit dem Finger ab. «Dort,<br />
links, sehen Sie das kleine Hügelchen?<br />
Da lag ertot im Schnee. Und dort –sehenSie<br />
den Friedhof?Rechtsdavon die<br />
Bäume–dahabeich den Herzstillstand<br />
bekommen.Ichwaralsopraktischschon<br />
aufdem Friedhof.» VomFriedhof insBezirksspital<br />
–«da»–und weiter mitdem<br />
Helikopter nachSt. Gallen.<br />
Spital,Altenheime, Psychiatrie, Schule,<br />
Kaserne,Zeughaus,die beiden Fabriken:<br />
Mitspieler allesamt auf der Bühne Herisau,<br />
dem Regierungsdorf, jaWeltdorf<br />
dank Walser,Rorschach undKommunikationskomponenten.<br />
Sein glücklicher<br />
Bewohner neben mir hätte eserfunden,<br />
wenn es nicht fast schon fertig gewesen<br />
wäre.<br />
Nr.10/2013 27
Dossier appenzellerlanD<br />
auch lange kein Ort gewesen, in dem<br />
zeitgenössische Kunst hätte wachsen<br />
können.AucheinCarl August Liner, der<br />
sich 1907 in Appenzell niedergelassen<br />
hatte und dem das Dorf 1998 ein Museum<br />
widmete, hatte nicht das Ziel,<br />
die Moderne in die Region zubringen,<br />
sondernwollteschlichtals «Malerfürst»<br />
(Nisple) in schöner Umgebung leben.<br />
Also machte sich Nisple mit Gleichgesinnten<br />
auf, «das Jahrhundert nicht<br />
durchdie Traditionbesetzenzulassen»<br />
–sie entdeckte etwa die SchwarzWeiss<br />
Bilder von Emil Grubenmann neu und<br />
förderte mit ihrer Stiftung Kunstschaffendeverschiedenster<br />
Couleur.<br />
Und sagt heute: «Es ist wirklich angenehm,hierzuleben.»<br />
Gerade diejungen<br />
Appenzellerinnen undAppenzeller würden<br />
viel lockerer undweniger reglementiert<br />
mit der Tradition umgehen als die<br />
Generationen vor ihnen –als Beispiel<br />
nennt Nisple etwa die Fotografien von<br />
LuziaBroger, dieeinen frischenBlickauf<br />
die urappenzellische Tradition der<br />
Trachten gefundenhat:«Daswäre früher<br />
ein Sakrileg gewesen. Heute ist die Tradition<br />
jedoch nicht mehr sorichtungsweisendwie<br />
einst;geradeinden letzten<br />
zehn Jahren hatsichvielverändert.»<br />
Frauen im Ring<br />
VeränderunginAppenzell –daist der<br />
Weg nicht mehr allzu weit zum ominösen<br />
Thema Frauenstimmrecht. Kurz rekapituliert:InAusserrhoden<br />
wurdedieses<br />
1989 –mit mehr als umstrittenem<br />
Mehr –ander Landsgemeinde angenommen,was<br />
mitdazuführte, dass diese<br />
acht Jahre später ander Urne abgeschafftwurde.Die<br />
InnerrhoderMänner<br />
lehnten das Frauenstimmrecht noch<br />
1990 im Ring ab, bis am 27. November<br />
desselben Jahres schliesslich das Bundesgericht<br />
einMachtwortsprach.<br />
Agathe Nisple gehörte im Vorfeld natürlich<br />
zuden Befürworterinnen, aber<br />
sie relativiert auch das SchwarzWeiss<br />
Klischee von den sturen Appenzeller<br />
«Grinden»und ihrenunterjochten Frauen:«DieFrauwarinInnerrhoden<br />
immer<br />
sehrgeschätzt,nichtzuletzt,weilsie sich<br />
–vom 19. Jahrhundert bis zum Ersten<br />
Weltkrieg –mit der häuslichen Handstickerei<br />
eine starke wirtschaftliche<br />
28<br />
Nr.10/2013<br />
Position in der Familie erarbeitet hatte.<br />
DieFrauenverdienten oft mehr Geld als<br />
ihre Männer undverwalteten zu Hause<br />
dieFinanzen. Da konnte manessichleisten,<br />
den Mann zur Landsgemeinde zu<br />
schicken –man hatihm vorher schongesagt,was<br />
er stimmensoll.»<br />
Die Einführung des Frauenstimmrechts<br />
sei aber letztlich überfällig gewesen–dies<br />
habe sich nichtzuletzt an der<br />
ersten gemischten Landsgemeinde im<br />
Folgejahr gezeigt: «Ich hatte ein Spiessrutenlaufen<br />
befürchtet», sagt Agathe<br />
Nisple,«aber es war, alsobwir schonimmer<br />
dabei gewesen wären.» Auch für<br />
Landammann Carlo Schmid war diese<br />
Landsgemeinde «das grosse Erlebnis»:<br />
«Wir stimmten über zwei Initiativenzur<br />
Abschaffungder Landsgemeindeab. Die<br />
Frauen unddie Jungen kameninhellen<br />
Scharen, habendie Initiativen‹obenabegchauft›–undseither<br />
istdaskeinThema<br />
mehr.»<br />
Hand undHerzerhoben<br />
DieLandsgemeinde lebe heutestärker<br />
denn je, sagt Schmid: «Gerade die jungen<br />
Männer und Frauen kommen fast<br />
alle in Schale,als ob sieaneineHochzeit<br />
gehen würden.» Trotz aller rechtsstaatlichen<br />
Vorbehalte bleibt Schmid denn<br />
auch ein überzeugter Verfechter der<br />
Landsgemeinde: «Sie ist extrem effizient–innerhalbvon<br />
ein, zwei Stundenist<br />
manpolitischwiederfür einJahr‹putzt<br />
und gstrählet›.» Das eigentliche Geheimnis<br />
der Landsgemeinde sei jedoch<br />
dieVerbindungzwischenPolitik undLiturgie:Der<br />
vorausgehendeGottesdienst,<br />
der feierliche, prozessionsgleiche Aufzug<br />
durch die Hauptgasse, der Schwur<br />
mit der Anrufung Gottes –«das alles<br />
verleiht derLandsgemeinde eine grosse<br />
Ernsthaftigkeit, diedie Leute, sagenwir,<br />
erhebt», sagt CarloSchmid. «Eswirdihnenbewusst:‹Es<br />
geht um uns.›» Agathe<br />
Nisple pflichtet bei: «Man bezeugt mit<br />
den Händen eine Haltung–dasist auch<br />
eine persönlicheHerausforderung.»<br />
DieKlostermauerals Grenze<br />
Die Beibehaltung der Landsgemeinde<br />
in Innerrhoden beziehungsweise ihre<br />
Abschaffung inAusserrhoden ist nicht<br />
das Einzige, was die beiden Appenzell<br />
heute unterscheidet. Gerade Ausserrhoden<br />
musste in den letzten Jahren einige<br />
schmerzliche Verluste hinnehmen–die<br />
Kantonalbank pleite, die Zeitung ins<br />
«St. Galler Tagblatt»integriert, dieBrauerei<br />
geschlossen. DerAppenzeller Kabarettist<br />
Simon Enzler sagt denn auch:<br />
«Höhen und Tiefen machen das Wesen<br />
der Appenzeller aus –genauso, wie Höhen<br />
und Tiefen auch ihre Landschaft<br />
ausmachen.» Über 400 Jahre sind die<br />
beiden Appenzell nun getrennt –und<br />
eine solangeZeithinterlässtihreSpuren.<br />
«Was unsdannzumal getrennt hat»,sagt<br />
CarloSchmid,«dasistGeschichte.»Aber<br />
natürlich habe man sich seither auseinandergelebt<br />
–nicht zuletztentlang der<br />
konfessionellen Trennlinie zwischen<br />
demkatholischenInnerund demreformierten<br />
Ausserrhoden.<br />
Gleichsamphysischspürbarwird diese<br />
Trennlinie beider nächsten Station, dem<br />
Kloster Wonnenstein bei Teufen AR –<br />
wie das Kloster Grimmenstein bei Walzenhausenbildeteseineinnerrhodische<br />
Exklave auf ausserrhodischem Boden.<br />
«Alles Verwaltungsmässige, was das innere<br />
Gelände des Klosters betrifft, läuft<br />
über Appenzell», sagt Schwester Scholastika,<br />
die seit fast fünfzig Jahren hier<br />
lebt, «wenn jedoch ausserhalb der Klostermauern<br />
etwas gebaut werden muss,<br />
wenden wiruns an dieAusserrhoderBehörde.»DasExklavendaseinhabejedoch<br />
keinenegativen Auswirkungen.SchwesterScholastika<br />
wünschtsichdennauch<br />
fürdas Appenzellerland, «dasswir auch<br />
weiterhin friedlich miteinander leben<br />
und gut miteinander auskommen. Eigentlich<br />
möchte ichnochmehrKontakt<br />
zu Ausserrhoden haben, um ein Bindegliedseinzukönnen.»<br />
Miteinander nebeneinander<br />
In derTat scheintdas Miteinanderder<br />
beiden Kantoneheute besser dennjezu<br />
funktionieren –die Jubiläumsfeierlichkeiten<br />
wurden gemeinsamgeplant (dies<br />
warnicht immerso),und «die beiden Regierungen<br />
kommen inder Regel wirklich<br />
gut miteinander aus», sagt Carlo<br />
Schmid. Brauchtumsexperte Walter<br />
Frick erinnert daran, dass gerade die<br />
Jungen ohne viel Federlesens in den jeweils<br />
anderen Kanton in den Ausgang
«Wirklich<br />
angenehm,<br />
hier zu leben»<br />
agathe nisple,<br />
Kulturvermittlerin<br />
«Auf kleinem<br />
Raum ‹isch<br />
chogevil los›»<br />
Thomasrickenmann,<br />
Filmer<br />
«‹Appenzell›ist eine<br />
sehr starke Marke»<br />
Carloschmid, landammann ai<br />
«Eifach esoloo»<br />
Walter Frick, Brauchtumsexperte<br />
Foto:FotografieAndreas Butz
Dossier appenzellerlanD<br />
beiden Polizeikorpsversandeteletztlich<br />
in denTälerndes Alpsteins: «Wir hätten<br />
das Ausserrhoder Recht übernehmen<br />
müssen», sagt Carlo Schmid, «und was<br />
man dem Schweizer von Brüssel aus<br />
nichtzumuten kann,sollman auch dem<br />
Innerrhodervon Ausserrhoden nichtzumuten.»<br />
Und sokommt es, dass die beiden<br />
Appenzellnachwie vorbeispielsweise<br />
je eine eigeneTourismusorganisation<br />
und eine eigene Wirtschaftsförderung<br />
unterhalten.Karin Jung vomAusserrhoderAmt<br />
fürWirtschaft räumtzwarein,<br />
dass eine Zusammenlegung «betriebswirtschaftlich<br />
auf jeden Fall sinnvoll»<br />
wäre, politisch aber sei ein solches Vorhabenchancenlos:<br />
«Dawachsen mirvorhergraue<br />
Haare.»<br />
Foto:Luzia Broger<br />
Frischer Blickauf traditionelleTracht: ein «Täfelimeedl», fotografiertvon<br />
LuziaBroger. An feierlichen Prozessionen,unteranderem an Fronleichnam<br />
(«Ösehegottstag»),tragendie «Täfelimeedle»inAppenzell Innerrhoden<br />
Holztafeln mitden fünfzehn Geheimnissen desRosenkranzes.<br />
gingen,und ohnehinhättenInnerrhoder<br />
undAusserrhoderMusikanten vonjeher<br />
gemeinsam musiziert. Seit Längerem<br />
stört sich auch niemand mehr daran,<br />
wenn beispielsweise eine Innerrhoderin<br />
einen Ausserrhoder heiraten möchte –<br />
«früher hätte es ihr die Mutter noch<br />
schwer gemacht», sagtWalterFrick.Und<br />
UrsKeller, Fensterfabrikant ausHerisau,<br />
bestätigt, dass es fürihn längst kein Problem<br />
mehr sei, AufträgeimNachbarkanton<br />
zukriegen: «Innerrhoden verzeichnetseitJahreneineregeBautätigkeit–da<br />
wäre es sogarfür dasstarkeInnerrhoder<br />
Baugewerbe nicht mehr möglich, alle<br />
Aufträgeselbstauszuführen.»<br />
AlsoallesFriede,Freude,Berewegge im<br />
Appenzellerland? Nicht ganz, denn gewisse<br />
Überbleibsel alter Differenzen<br />
30<br />
Nr.10/2013<br />
geistern auch heutenochinden Köpfen<br />
herum: «Kürzlich haben wir mit unseremJodlerklubinder<br />
UrnäscherKirche<br />
dieJodlermesse ‹Senns Gebet› vonDölf<br />
Mettler aufgeführt», sagt Walter Frick.<br />
«Darin kommtauchein Betruf vor, den<br />
wir mit vorgehaltenem ‹Becher› singen.<br />
Nach dem Konzert sagten einige Leute<br />
zu mir, einkatholischerBetrufineiner<br />
reformierten Kirche wäre früher nicht<br />
denkbar gewesen.»<br />
Undwenn’swirklichans Eingemachte<br />
geht,sindAIund AR«nachwie vorzwei<br />
Kantone», wie alle Gesprächspartner<br />
unisono bestätigen. Unverdächtige Institutionen<br />
wie das Veterinäramt oder<br />
das Lebensmittelinspektorat konnten<br />
zwarproblemlosfusioniertwerden,aber<br />
dieeinst geplante Zusammenlegung der<br />
«Eifacheso loo»<br />
Getrennt marschieren, dieZusammenarbeit,<br />
wonötig, pflegen, und gegenseitig<br />
dann und wann ein wenig sticheln –<br />
diebeidenAppenzellhabensichmitdem<br />
Status quo bestens arrangiert. Entsprechend<br />
ist es denn auch müssig, sie mit<br />
dem Thema der Wiedervereinigung zu<br />
belästigen;jedeDiskussiondarüberhat<br />
eine kürzereLebenszeitals eine Flasche<br />
Quöllfrisch vor einem Wanderer nach<br />
dem Aufstieg auf den Säntis. «Ich finde<br />
die ganze Fusioniererei schade», sagt<br />
etwa Walter Frick, «dagehtvielkaputt.»<br />
Mankomme ja miteinander klar,daher<br />
möglichst «eifach eso loo». Für Carlo<br />
Schmid müsste derAnstoss«vonunten,<br />
nicht seitens der Behörden» kommen –<br />
und dasei «im Moment gar nichts» zu<br />
spüren.<br />
Die restliche (Ost)Schweiz mag dies<br />
verstehen oder nicht, mag gar die Wiedervereinigung<br />
weiterhin hartnäckig<br />
anmahnen –«dieAppenzeller habenjedoch<br />
nie Bedürfnisse von fremden Leuten<br />
befriedigt», so fasst Agathe Nisple<br />
die Stimmungslage zusammen. Es<br />
scheint, alsseien dieAppenzeller finster<br />
entschlossen,auchkünftigdas eine oder<br />
andere Geheimniszupflegen–nicht nur<br />
dasder Kräutersulz.<br />
Mitarbeit:JudithHochstrasser,<br />
AndreasNentwich, Sabine Schaller,<br />
Thomas Schnelling
DasAppenzellerland<br />
zumLesen,<br />
Schauenund Erleben<br />
Foto:Keystone<br />
AgatheNisple:<br />
Reiseführer appenzell.<br />
AppenzellerVerlag, Herisau2001. 160Seiten,<br />
Fr.34.–. ISBN 9783858823120.<br />
Eine trotzdes handlichenFormatsreichhaltige<br />
Schriftüberdas Dorf Appenzell und den<br />
Kanton Appenzell Innerrhoden –inklusive<br />
umfassenderAufarbeitungvon Geschichte,<br />
Brauchtumund (Volks-)Kunst.<br />
Thomas Rickenmann:<br />
Silvesterchlausen.<br />
«ExtraMileFilms» 2011.DVD,<br />
Laufzeit98Minuten.Zum Spezialpreis<br />
vonFr. 25.– (statt Fr.29.–).<br />
Wiedas «gesündesteFieber» derWeltdie<br />
Ausserrhoder Silvesterchläuse dasganze Jahr<br />
über in Atem hält –und wievielihnen die einzigartige<br />
Atmosphäre desChlausenswertist.<br />
Daniel Gaberell(Hrsg.):<br />
appenzellerland.<br />
Appenzeller Verlag,Herisau 2012.<br />
144Seiten, Fr.58.–. ISBN 9783858826435.<br />
EinwunderschönerBildband, unteranderem<br />
mitFotografienvon AndreasButz–einige<br />
davonzieren auch denvorangegangenen<br />
Beitrag–,mit 25 Porträts vonAppenzellerinnenund<br />
Appenzellernsowiemit Texten unter<br />
anderem vonHans-Rudolf Merz,Dorothee<br />
Elmigerund AgatheNisple.<br />
Thomas Rickenmann:<br />
Schönheitendes alpsteins.<br />
«ExtraMileFilms» 2008.DVD,Laufzeit<br />
106Minuten.Zum Spezialpreis<br />
vonFr. 25.– (statt Fr.29.–).<br />
«Wellness fürs Gemüt» –ein «Heimatfilm<br />
derstillen Art» über dasLeben dreier aussergewöhnlicher<br />
Appenzellerinnen undAppenzeller<br />
aufder Fälenalp.<br />
Zeitzeugnisse–appenzeller<br />
Geschichten in Wort undBild.<br />
AppenzellerVerlag,Herisau 2013.<br />
296 Seiten,Fr. 50.–. ISBN 9783858826466.<br />
Dasoffizielle Buch zumJubiläum –<br />
mit120 Appenzeller Persönlichkeiten, bedeutenden<br />
Ereignissen undfaszinierendenBesonderheitender<br />
appenzellischenGeschichte.<br />
Sieheauchwww.zeitzeugnisse.ch.<br />
«Wir faIaRn»–<br />
Veranstaltungen<br />
im Jubiläumsjahr<br />
8. März<br />
16 Uhr:Offizielle Eröffnungsfeierinder<br />
evangelischenKircheHeiden, anschliessend<br />
Apéround Feuerwerk(Beginn 19.15Uhr).<br />
ab 24.Mai<br />
«Ledi–die Wanderbühne» geht aufReisen–<br />
undzeigtbis zum6.Oktober verschiedene<br />
kulturelle Beiträge zu denThemenBündnis<br />
undKomplizenschaft.Standorte:Herisau,<br />
Appenzell, Urnäsch, Gais,Teufenund Oberegg.<br />
3. Julibis 24.august<br />
Festspiel «Der dreizehnteOrt»<br />
aufdem Landsgemeindeplatz in Hundwil.<br />
Text:PaulSteinmann,Musik: NoldiAlder,<br />
Regie: LilianaHeimberg.<br />
www.derdreizehnteort.ch<br />
1. august<br />
Volksfeierninden verschiedenen<br />
Gemeindenund Bezirken.<br />
25.oktober<br />
OffiziellerJubiläumstag<br />
in Herisauund Appenzell.<br />
allgemeine Informationen<br />
www.arai500.ch<br />
AppenzellerlandTourismus AI:<br />
Tel. 071788 96 41<br />
AppenzellerlandTourismus AR:<br />
Tel. 071898 33 00<br />
Leserservice Alle Bücher undFilme liefernwir Ihnen portofrei nach Hause.<br />
Gerne nehmen wirIhreBestellung unterder Gratis-tel.-nr. 0800553377entgegen.<br />
Nr.10/2013 31
Sage<br />
& schreibe<br />
Wirbegrüsstenuns in denachtziger<br />
Jahrenmit einemHandschlag.Wenn<br />
wiresüberhaupt angebrachtfanden,<br />
dasGegenüber zu berühren.Distanz<br />
warHöflichkeit, Nähe waranstössig.<br />
Die Einzige,der ichabund zu einen<br />
Abschiedskussgab,war meineMutter.<br />
Unddann fand ich mich plötzlich<br />
unterTheaterleuten wieder.Hier<br />
schien es Brauch zu sein,sich miteinemWangenkuss<br />
zu begrüssen.Jedenfalls<br />
fand ich dasschön, undes<br />
warnichts alsfolgerichtig, dass wir<br />
unsein Jahrspäterschon mitzwei<br />
Küssen verabschiedetenodergrüssten.<br />
In denneunziger Jahren kamder<br />
dritte Kuss dazu.Und weil derrituelle<br />
AustauschdieserdreifachenZärtlichkeit<br />
einegewisse Zeitund Technik<br />
beanspruchte,war es logisch, dass<br />
allmählich Umarmungen daraus<br />
wurden.Dennheute,stelleich fest,<br />
befinde ich mich im Zeitalter der<br />
Umarmungen.Umarmungen in der<br />
Öffentlichkeit, wohlverstanden!Beim<br />
fussballerischen Torjubel machtman<br />
dasschon länger,aberjetzt herztman<br />
sich unterden Augen aller aufBahnhöfen,<br />
in Gaststätten, aufder Strasse<br />
undsogaranZusammenkünften<br />
derVerwandtschaft. KörperlicheNähe<br />
zu zeigenist nichtmehrtabu. Wird in<br />
einer Castingshowjemandabgewählt:<br />
tröstende Umarmungen vonallen<br />
Beteiligten. Wird jemandindie nächste<br />
KochshowRunde befördert,jauchzende<br />
Umarmungenallenthalben.Ich<br />
freuemich aufdie Bilder, wo sich verfeindete<br />
Generäle in denArmen liegen.<br />
Nureines frageich mich:Warum<br />
istesblossso, dass gerade dann keine<br />
Umarmung zurVerfügung steht,<br />
wennich,aus demFernsehsessel<br />
aufstehend,dringendeinebräuchte?<br />
32<br />
Paul Steinmann ist<br />
Autorund Regisseur.<br />
Nr.10/2013<br />
Foto:Keystone<br />
Blickpunkt<br />
Wieder einmal versinkt Belfastineinem Fahnenmeer.Junge Männer ausdem<br />
lagerder pro-britischen loyalisten ziehen wieschon ihre väterund grossväter<br />
aufdie strasse, um Flagge zu zeigen.Hochhaltensie dassymboldes vereinigten<br />
Königreichsgrossbritannien undnordirland.ein wenigverlegenwirkt hingegen<br />
derteenagerimblauen Kapuzenpulli,verlorenseinBlick,die Händefestgekrallt<br />
an einernationalflagge wieaus seinen träumen: Dasroteschrägkreuzdes irischen<br />
schutzpatronsst. patrickist ausgespart.stattdessen prangendaraufdieselben<br />
symbolewie bis1973auf deroffiziellen nordirischenFlagge. es isteineBotschaft<br />
ohne Worte, unddochist sieunmissverständlich.Die komplexe gesellschaftliche<br />
realität scheinthierplatz aufeinem kleinenstück stoff zu finden. Dieeinen verbinden<br />
damitKontinuität,Werte undloyalität,für dieanderen istessinnbild<br />
einesimperialistischen systems. Diesmallegte dieentscheidung, diebritische<br />
Fahnenur noch an ausgewähltentagen zu hissen,einelunte anspulverfass. Das<br />
zeigteinmalmehr, wiefragil derFriedeist,der dieprotestantenund Katholiken<br />
in nordirland seit demKarfreitagsabkommen von1998vereint. Sabine Schaller
Gesichter<br />
derSchweizer<br />
Literatur<br />
Eine Serie<br />
vonCharlesLinsmayer<br />
Walter Matthias<br />
Diggelmann<br />
1927–1979<br />
Foto:zVg<br />
In einer Zürcher Nacht des Jahres<br />
1947 erzählte Walter Matthias Diggelmann<br />
einem Studenten sein Leben.<br />
VonseinerGeburtam5.Juli1927in<br />
einemHeimfür ledige Mütter berichtete<br />
er, von der Bündner Armeleutekindheit<br />
eines Verschupften, von der Flucht ins<br />
Dritte Reich, derKonfrontation mitBomben,<br />
Gefängnis und Terror –und vom<br />
vergeblichen Versuch, nach 1945 inder<br />
Schweizjemandzuwerden.«Wieundwas<br />
du erzählst,beweist,dassduein Dichter<br />
bist», folgertederStudent,undschon tags<br />
daraufgingDiggelmannhinundliessauf<br />
derIdentitätskarte «Hilfsarbeiter»durch<br />
«Schriftsteller»ersetzen. Dies,obwohler<br />
Walter matthias diggelmann<br />
im originalton<br />
«Einig mitDir:Der Künstler soll<br />
Künstler sein.Ersollmalen,bildhauern,komponieren,musizieren,<br />
erzählen etc. Uneinigmit Dir: Die<br />
Künstler sind so weniglebensnotwendig,wie<br />
es dieMenschheit insgesamt<br />
ist. Ichscheisseauf das<br />
Œuvrevon Matisse, wenn icham<br />
Verreckenbin,wenndie Nazismeine<br />
Freundeaufhängen. Dann greife<br />
ichzur Pistole. Übrigens brauchtes<br />
fürdas Tunder Künstler weder<br />
eine Begründung noch eine Rechtfertigung.<br />
DerKünstlerkünstlert so<br />
oder so.» (Am9.Juli 1970 an GottfriedHonegger.<br />
Aus: «Da, dasbin<br />
ich. Selbstzeugnisse undBriefe»,<br />
WerkeBand6,herausgegeben<br />
vonKlara Obermüller,Edition 8,<br />
Zürich 2006.)<br />
eigentlich nicht Schriftsteller, sondern<br />
«nureingeachteterBürger»seinesLandes<br />
hattewerden wollen:«Aber ichbaute darauf,dassmeine<br />
Geschichte starkgenug<br />
sein würde, dass ich damit auskommen<br />
würde, einLeben lang.»<br />
Siebzehn unveröffentlichte Romane<br />
schriebDiggelmann, oftmals vomSchriftstellervereinunterstützt,bis<br />
1954.Dann<br />
gelang es ihm, inzwischenals Angestellter<br />
des Militärflugplatzes Dübendorf<br />
bürgerlich integriert,fürden FliegerRoman«MitF51überfällig»<br />
einenVerlag<br />
zu finden. «Meine Person ist Bundesbeamter<br />
auf der DMP», meldete erErwin<br />
Heimannstolz,«undschreibtmehrund<br />
besser denn je, ist glücklich verheiratet<br />
und kann auf jegliche Unterstützung<br />
verzichten.»<br />
Dasgingabernur so langegut,bis sein<br />
Vertrauen indie schweizerische Gesellschafterschüttert<br />
wurdeund er 1959 als<br />
Texter beider PublicRelationsAgentur<br />
Farner Einblick indieManipulierbarkeit<br />
der öffentlichen Meinung bekam. «Das<br />
Verhör desHarryWind», derRoman, der<br />
ihmden Durchbruch alsErzählerbrachte,<br />
deckte 1962 die Manipulationen der<br />
FarnerLeute auf. Undauch«DieHinterlassenschaft»,das<br />
Buch,mit demDiggelmann1965<br />
–nochvor A.A.Häslers«Das<br />
Boot istvoll» –die SchweizerAsylpolitik<br />
der Jahre 1933 bis 1945 anden Pranger<br />
stellte, basierte auf Material aus jener<br />
TexterTätigkeit. Das Buch war formal<br />
nichtunbedingtgeglückt,und dieGleichsetzung<br />
des Antisemitismus der Kriegsjahre<br />
mit dem Antikommunismus von<br />
1956 überzeugte nur wenige. Zudem beging<br />
Diggelmann den Fehler, in der<br />
DDRAusgabeKorrekturen imSinneder<br />
dortigen Machthaber zuzulassen.Eswar<br />
Kalter Krieg, und die Häme auf den<br />
Mann, der den Mythos der humanen<br />
Schweiz inFrage gestellt und sich dann<br />
selbst als Verräter entpuppt hatte, fiel<br />
mörderisch aus und führte letztlich zu<br />
dem, wasReniMertensund Walter Marti<br />
1973 in einem erschütternden Filmporträt<br />
evozierten: «Die Selbstzerstörung<br />
desWalterMatthiasDiggelmann».<br />
Sodass es schon fast ein Wunder ist,<br />
dass ausder Hölleder Verzweiflung, der<br />
Einsamkeit unddes AlkoholismusEnde<br />
der siebziger Jahre jener Geschichtenerzähler<br />
herausstieg, der –befreit vom<br />
ideologischenBallast undvon derSucht,<br />
sich beweisen zumüssen –einfach nur<br />
noch erzählte,wundervollstimmig,souverän<br />
und glaubwürdig erzählte. In<br />
«Aber den Kirschbaum, den gibt es», in<br />
«Filippinis Garten» und sogar noch in<br />
demberührenden Tagebuch «Schatten»,<br />
dasder Krebskrankevor seinem Todam<br />
29. November 1979 Klara Obermüller<br />
diktierte –der Partnerinder letzten Jahre,<br />
die ihm sein Selbstbewusstsein zurückgegeben<br />
hatte. Sodass der geheime<br />
Wunsch,den er 1952 ganz beiläufig in einemBriefanSSVSekretärFranzBeidler<br />
formuliert hatte, am Ende doch noch in<br />
Erfüllungging: «Ich möchte immersprechen<br />
können,nicht widersprechen. Mir<br />
istalles heilig,was lebt.»<br />
n<br />
Bibliografie<br />
Beider Edition8inZürich ist<br />
eine sechsbändigeDiggelmann<br />
Werkausgabeerhältlich,die in<br />
Band6unter anderemauch<br />
Diggelmanns Briefe umfasst.<br />
Nr.10/2013<br />
33
Rat&Tat<br />
DieSchweiz entdecken<br />
DerWitz<br />
aufdem Weg<br />
Kleines<br />
Religionsquiz<br />
DasDogma derUnfehlbarkeit<br />
desPapstes gilt seit …?<br />
• 476<br />
• 1414<br />
• 1870<br />
Antwort: DasErste Vatikanische Konzilvon 1870<br />
warbestimmtvon derDebatte um diepäpstliche<br />
Unfehlbarkeit, diedortals Dogma feierlich<br />
beschlossenwurde undinder Folgeinder Schweiz<br />
zur Abspaltung derChristkatholiken führte.<br />
Es heisst, die Appenzeller hätten<br />
denSchalkimNacken (siehe auch<br />
Seite19bis 31). SeitHundertenvon<br />
Jahren werden Witze imLand hinterden<br />
sieben Bergen voneiner Generation<br />
zur nächsten überliefert.<br />
Ruedi Rohner war ein populärer<br />
Witzeerzähler, und Kabarettisten<br />
wie Simon Enzler und der «Witz-<br />
Slam»–ein dichterischer Vortragswettbewerb<br />
–führten denAppenzeller<br />
Humor schliesslich in die<br />
Moderne. Achtzig «listig-träfe»<br />
Müsterchen dieser langen Tradition<br />
findensich aufdem Witzweg<br />
von Heiden nach Walzenhausen.<br />
Bevor Sie die 8,5 Kilometer unter<br />
die Füsse nehmen, lohnt sich ein<br />
kurzer Spaziergang durch das Biedermeierdorf<br />
Heiden mit seinen<br />
elegant-schlichten Gebäuden. Am<br />
BahnhofundimTourismusbüroist<br />
speziell fürKinderder Erlebnisrucksack<br />
fürFr. 15.– zu kaufen,mit vielen<br />
Überraschungen für unterwegs<br />
(in Walzenhausen im Swiss<br />
Dreams Hotel erhältlich). DerWitzweg-ProspektfürdieganzeFamilie<br />
wird im Tourismusbüro gratis abgegeben.Los<br />
geht’sauf demDorfplatz.DiehumoristischeExkursion<br />
führtinrunddreiStundenüberdie<br />
Ortschaften Wolfhalden, Klus,<br />
Sonder, Schiben und Hostet nach<br />
Walzenhausen.EswartenAngriffe<br />
aufdie Lachmuskeln, grüneHügellandschaften<br />
und ein prächtiger<br />
Panoramablick aufden Bodensee,<br />
auf Süddeutschland und die Bregenzer<br />
Bucht. Zahlreiche Restaurantsund<br />
Gasthöfe ladendazuein,<br />
die Appenzeller Küche kennenzulernen.<br />
Tipp: VonMai bisSeptemberlässt<br />
sich der Witzweg mit einer Erlebnisrundfahrt<br />
verbinden: von Walzenhausen<br />
mit der Zahnradbahn<br />
nach Rheineck.InRheineckweiter<br />
mit dem Schiff über den Alten<br />
Rheinund denBodenseenach Rorschach.Anschliessend<br />
geht es mit<br />
den Appenzeller Bahnen zurück<br />
nach Heiden.<br />
Anreise: Bahn:bis Bahnhof St.Gallen.<br />
Mit dem Postauto nach Heiden.<br />
Oder bis Bahnhof Rorschach-<br />
Hafen und mit der Zahnradbahn<br />
nach Heiden. Auto: A1Richtung<br />
St.Gallen, AusfahrtSt.Gallen-Neudorf/Heiden.<br />
Informationen: Tel. 071898 33 00,<br />
www.appenzellerland.ch.<br />
34<br />
Nr.10/2013
Mosaik<br />
WusstenSie,dass…<br />
... es in Tokiodurchschnittlichjedenvierten Tagein Erdbeben gibt?<br />
... derZebrastreifen,der aufdem Beatles-Album<br />
«Abbey Road»abgebildetist,2010unter<br />
Denkmalschutzgestelltwurde?<br />
... derAlkoholgehalt vonOrangensaftzwischen<br />
0,07 und0,3 Volumenprozent beträgt?<br />
FürSie<br />
entdeckt<br />
ErfüllterRuhestand<br />
Tiere<br />
suchen<br />
einZuhause<br />
Nach der Pensionwartenim<br />
Übermass vorhandene Zeit und<br />
viele Fragen, zumBeispiel zur<br />
Freizeitgestaltung,zur Finanzierung<br />
oder zurWohnform.Der<br />
neue Beobachter-Ratgeber bietetviele<br />
Praxistipps,Checklisten und einen grossen<br />
Serviceteil zumThema. Erlebnisberichte<br />
erzählen hautnah vonChancen und<br />
MöglichkeitenimRuhestand.<br />
Beobachter-Ratgeber:<br />
Glücklich pensioniert –sogelingts!<br />
Beobachter-Buchverlag,Zürich 2013.<br />
208Seiten,Fr. 38.–.<br />
ISBN 978-3-85569-654-3.<br />
Jede Wochestellenwir Ihnen hier einTier<br />
vor, daseinen neuenBesitzersucht.<br />
Ricks<br />
Bilderrätsel<br />
Waszeigt dieses Bild?<br />
DieAuflösung<br />
gibt es nächsteWoche.<br />
Rasse: Labrador-Mischling<br />
Geschlecht: männlich, kastriert<br />
Alter: zweijährig<br />
RickshateinenlangenWegaus Spanienzurückgelegt<br />
und sucht nun in der Schweiz<br />
Familienanschluss. Erist anhänglich und<br />
versteht sich gutmit Artgenossen.Erhört<br />
bereits auf die Kommandos «Sitz!» und<br />
«Platz!» undkann Pfötchen geben,aberder<br />
BesucheinerHundeschulewirdempfohlen.<br />
Fotos: zVg, Keystone,Fotolia,Appenzellerland TourismusAR<br />
LÖSUNG<br />
DERVORWOCHE:<br />
Im letzten Heft<br />
war die Chinesische<br />
Mauerzusehen.<br />
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Tierwaisenhaus<br />
Zürichstrasse<br />
8185 Winkel<br />
Tel. 044844 50 50<br />
www.tierambulanz-verein.ch<br />
Nr.10/2013<br />
35
Rat&Tat<br />
Alltag mitKindern<br />
VeronicaBonilla Gurzelerdenktüber Wege nach, den<br />
Alltag mitKindern heiter und gelassenzumeistern.<br />
WasHänschen nichtlernt –<br />
Solidaritätmit Tieren<br />
36<br />
Nr.10/2013<br />
Wer entsetzt sich nicht über Massentierhaltung<br />
undorganisierteTierquälerei? Jetztsindeswieder<br />
einmal dieHühnerund erstmals diePferde(Näheres<br />
dazu auch im«Brennpunkt» auf den Seiten 6<br />
und7). Ändern wird sich jedoch wenig, solange wir<br />
Konsumenten mitspielen. Fest steht: Wir dürfen<br />
Nahrung nicht länger aus unserem moralischen<br />
System heraushalten. Die Fleischfrage ist eine erzieherischegeworden.<br />
Es fingdamit an,dassich den Bestseller«Tiere<br />
essen» von Jonathan Safran Foer las. Darin beschreibt<br />
der Amerikaner, wie ersich Zutritt zu<br />
Ställen und Tierfarmen verschaffte, weil er wissenwollte,<br />
wiedie Tiereleben,die unsernähren.<br />
Foer trifft Szenen des Grauens an: Schwer verwundete,<br />
halb tote,mit Medikamenten halbwegs<br />
amLebengehalteneTiere drängelnsich inviel zu<br />
kleinen Boxen ohne Tageslicht, ohne Auslauf,<br />
fern eines tierwürdigen Daseins. Die Tiere dienen<br />
nur dem einen Zweck: Geschlachtet, ausgebeint<br />
und sauber verpackt ins Kühlregal des Supermarktszugelangen,<br />
umdaraufzuwarten,von<br />
uns Konsumenten möglichst billig gekauft, gebraten,gekocht<br />
undverspeist zu werden.<br />
DasKindinseinemWiderspruch<br />
Diese Bilder vor dem inneren Auge blickte ich<br />
mitdem äusseren aufdie knusprig gegrillten Pouletflügeli,<br />
eins der Lieblingsessen meiner Kinder.<br />
Das Grosi hatte sie für uns zum Mittagessen zubereitet.<br />
Und spontan verkündete ich: «Ich glaube,ich<br />
werdeVegetarierin, ausSolidarität mitallenTieren.»ZweiSekunden<br />
lang waresstill am<br />
Tisch. Dann sagtemeindamalsdreizehnjähriger<br />
Sohnmitleichtpanischem Unterton:«Mam, aber<br />
ichbrauche Fleisch!»<br />
Erstaunlich eigentlich. Er, der als Fünfjähriger<br />
in Südamerika seineheiss geliebte Sopa de Pollo,<br />
dieihm seineAbuelitazum Geburtstag gekocht<br />
hatte, verweigerte. Blossweilerzugeschauthatte,<br />
wie Grossmutter und Tante dem über Wochen<br />
gemästeten und jetzt verzweifelt gackernden<br />
Huhn die Kehle durchschnitten. Das Blut ins<br />
Spülbecken laufen liessen. Die Federn aus dem<br />
leblosen Körper rupften. Die Innereien ineine<br />
Schale legten und das Poulet in Stücke teilten.<br />
Jahre später verwarf der gleiche Sohn auch den<br />
Plan, sich eine eigene Angelrute zuzulegen, obwohl<br />
ihmdas Fischenansichindie Wiegegelegt<br />
war. Er brachteesnicht übersHerz, diegefangenenFische<br />
zu töten.<br />
RomantischeWerbelügen<br />
Eine leidenschaftliche Diskussion entbrannte<br />
nunamMittagstisch. DasGrosi,das in den vierziger<br />
Jahren auf einem Emmentaler Bauernhof<br />
grossgeworden war, wo jedesJahrein Schweingeschlachtet<br />
undzuSchmalz,Wurst,Voressenund<br />
Koteletts verarbeitet wurde, schüttelte missbilligend<br />
den Kopf, befürchtete Eisenmangel und<br />
merktean,nicht überallwürdendieTiereschlecht<br />
gehalten.Mirschien,als fühlten sich alle angegriffenvon<br />
meiner Fleischabsageund wollten sich beziehungsweiseihren<br />
Fleischkonsumverteidigen.<br />
Zugegeben, Jonathan Foer beschreibt die Massentierhaltung<br />
in den USA; wir dürfen die berechtigte<br />
Hoffnung haben, dass die Schweizer<br />
Fleischproduzenten die Würde des Tiers etwas<br />
mehr achten beziehungsweisedurch strengeTierschutzgesetze<br />
dazu verpflichtet werden, sie zu<br />
achten. Doch auch inSchweizer Mastbetrieben<br />
ist das Tier nichts anderes als ein Fleischproduzent,<br />
sein Leben keine Bauernhofidylle, wie uns<br />
die Bilder von rosigen Schweinen und blitzblanken<br />
HühnernimgrünenGras, welche dieFleischverpackungen<br />
zieren, glauben machen wollen.<br />
Diese Bilder sind manipulativ und entsprechen<br />
nicht den Tatsachen. Ausserdem wird ein beträchtlicher<br />
Teil des inder Schweiz konsumier
Beratung<br />
Foto:Keystone<br />
So,wennüberhaupt,<br />
sähenwir es gerne:<br />
der Metzgermit dem<br />
persönlichbekannten<br />
Schwein,hierbei einer<br />
Metzgete.<br />
«Bildungwäre, mit<br />
unserenKindern nicht<br />
nurnostalgischeBauernhöfe<br />
zu besuchen,sondern<br />
auch Schweinezüchter<br />
und Güggelifarmenzu<br />
besichtigen»<br />
ten Fleisches importiert. Die Informationen am<br />
Randedes neuesten Pferdefleischskandalshaben<br />
wieder einmal gezeigt, wie grausam anderswo<br />
mitden Tieren umgegangen wird.<br />
Zeit,dasswir dieAugen öffnen<br />
In 1. Mose 1,28 steht: «Seidfruchtbar undmehrt<br />
euch undfüllt dieErdeund machtsie euch untertanundherrscht<br />
überdieFischeimMeerundüber<br />
die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier,das<br />
aufErden kriecht.»Damit istjedochmit<br />
Sicherheit nicht gemeint, dass wir die Erde ausbeuten,die<br />
Tierequälendürfen. Ja,beimFleischessengehtesweniger<br />
umLebenund Tod,sondern<br />
zuallererstumQuälenoderNichtquälen.<br />
Bildung wäre deshalb, mit unseren Kindern<br />
nicht nur nostalgische Bauernhöfe zubesuchen<br />
und AgritourismoFerien zu machen, sondern<br />
auchSchweinezuchtbetriebeund Güggelifarmen<br />
zu besichtigen. Wir sollten Einblick und Auskunft<br />
fordern. Damitwir unsein lebendiges Bild<br />
davon machen können, woher die Hamburger<br />
und ChickenNuggets auf unseren Tellern kommen.<br />
VorOrt können wirentscheiden,obdie Tiere<br />
eintierwürdigesDaseinfristen oder nicht.<br />
Wer Schlachthöfe und FleischverarbeitungsbetriebebesuchtundeinfühlendesHerzhat,kommt<br />
jedoch unweigerlich zum Schluss: Esist falsch,<br />
was wir derzeit machen. Sogar die Landwirte<br />
selbst hassen dieses System. Buchautor Foer berichtet,<br />
dass er fast keinen Bauern getroffenhabe,<br />
der esnicht am liebsten wieder auf dieselbe Art<br />
machen würde wie sein Grossvater –oder gar<br />
nicht. DieMassentierhaltung füllt blossdie Kassen<br />
der Beteiligten und befriedigt unsere Gier<br />
nach dem täglichen Stück Fleisch. Und ist zu allemÜbelauchnochökologischerUnsinn.<br />
«Wirkönnen dieNahrung nichtmehrlängeraus<br />
unseremmoralischenSystem heraushalten», sagt<br />
Foer. Unsere Ethik, obchristlich oder nicht, fordert<br />
verantwortungsbewussten Konsum. Ganz<br />
besondersunsereKinder müssen wissen,wie unsere<br />
Nahrungsmittel produziertwerden,dennsie<br />
sind dieEntscheidungsträger der Zukunft.Obsie<br />
aufFleischverzichten,müssensie selber entscheiden.<br />
Anlass zuDiskussionen darüber liefert die<br />
Fleischindustrie selbst immerwieder.<br />
Unser Mittagsgespräch über den Fleischkonsum<br />
endete mit dem Vorsatz, inZukunft nur<br />
noch Fleischvon Tieren zu kaufen,die einglückliches<br />
Leben hatten. Inden folgenden Wochen<br />
wanderte das MultipackWienerli–20 Stückfür<br />
sagenhafte6.75Franken –immer malwiederin<br />
dieCoopoderMigrostruhezurück.Zunehmend<br />
schaue ich doch, ob das Fleisch wenigstens aus<br />
derSchweiz kommt. Immeröftergibtesbei uns<br />
dann fürs gleiche Geld statt zwanzig nur noch<br />
sechs Wienerli oder garkeine.<br />
Veronica BonillaGurzelerist Redaktorin<br />
bei«wireltern».<br />
Nr.10/2013<br />
37
Rat&Tat<br />
Rechtstipp<br />
Reiseannulliert<br />
Wirhaben vorMonateneineNilschifffahrtüberWeihnachten<br />
gebucht. Nunhat der Reiseveranstalterdie<br />
Reiseaufgrundder<br />
instabilen Lage in Ägyptenannulliert.<br />
Manhat unszwareinegleichwertigeErsatzreiseangeboten,<br />
aber an den Ortenwaren wirschon.<br />
Können wirdas Geld zurückfordern?<br />
H. B. ausG.<br />
Nach Pauschalreisegesetz gilt für<br />
denAusfall einerReise auspolitischenGründen<br />
Folgendes:Annulliertder<br />
Veranstalterdie Reise vor<br />
demAbreisetermin auseinem nicht<br />
vomKonsumenten zu vertretenden<br />
Umstand, so hatder Konsument<br />
denAnspruch auf eine andere Reise.<br />
Istdiese günstiger, muss der<br />
Veranstalterden Preisunterschied<br />
zurückzahlen. Wenn Siesichnicht<br />
füreineandereReise entscheiden,<br />
haben Siedas Rechtauf schnellstmöglicheRückerstattung<br />
aller vorausbezahltenBeträge.<br />
Ansprüche<br />
auf Schadenersatzbestehennicht,<br />
wenn dieAnnullierung auf höhere<br />
Gewalt zurückzuführen ist.<br />
Regula Heinzelmann<br />
Frisch ausdem Garten<br />
DieArbeitenfür eine ertragreicheGemüseerntebeginnenfrüh:Bereits<br />
im März ist<br />
Aussaatzeitfür einige kälteunempfindliche<br />
Gemüsesorten,andere kann manauf der<br />
Fensterbankanziehen. vonSabineSchaller<br />
Vorbereitung Freilandbeete: Der letzte Frost ist vorbei, der<br />
Boden getrocknet–Gartenerde mitHarke auflockernund umgraben.Mit<br />
biologischemDünger, idealerweise Kompostaus<br />
demGarten,anreichern.<br />
Vorbereitung Frühbeete: Gewächshäuser sind imFachgeschäft<br />
erhältlich. Sonnige und geschützte Standorte mit Ost<br />
WestAusrichtung wählen. Temperaturen sollten 25 Grad<br />
nicht übersteigen. Temperaturschwankungen durch Lüften,<br />
Schattierenoder Abdecken mitIsolationsmaterialausgleichen.<br />
Anzuchtauf der Fensterbank: Schalenvon sechs bisachtZentimeter<br />
Durchmesser verwenden. Mit Aussaaterde auffüllen.<br />
Alternative zur Erde aus dem Gartencenter: Kompost, Sand<br />
und Torf zugleichen Teilen mischen, bei 200 Grad im Backofen<br />
sterilisieren. DieErdewirddadurch keimfrei.Schalen an<br />
sonnigem Fensterplatzaufstellen.<br />
Aussaat: Samenvon Dunkelkeimern, beispielsweise Feldsalat,<br />
nachAusstreuen mitErdebedecken.Samenvon Lichtkeimern,<br />
etwa Basilikumoder Sellerie,auf Erde streuenund nurleicht<br />
andrücken.Vorsichtiggiessen.<br />
Foto:Keystone<br />
Freiland oder Frühbeet?<br />
aussaatimFreiland: Karotten,Radieschen, Spinat, Schwarzwurzel,<br />
Spinat, Bohnen,Erbsen, Feldsalat, Zwiebeln,Petersilie, Schnittlauch.<br />
aussaatimFrühbeet: Tomaten, Sellerie,Broccoli, Blumenkohl,<br />
Fenchel,Paprika,Kohlrabi, Aubergine,Kopfsalat,Wirsing,<br />
Thymian, Basilikum.<br />
38<br />
Nr.10/2013
Tipp-Mix<br />
Gutgeplant,<br />
halb gespart<br />
Einlangersehnter Urlaub oder einneuer<br />
Fernseher–mit einemdetaillierten Budgetlässt<br />
sich dieHaushaltskassefür die<br />
Erfüllung kleinerodergrösserer Wünsche<br />
aufbessern.<br />
vonSabineSchaller<br />
Foto:Keystone<br />
Wohnen, Energie,Steuernund Versicherungen:<br />
Dafür geben die Schweizer<br />
am meisten Geld aus. Gemäss der Erhebung<br />
des Haushaltsbudgets 2010 verfügt ein<br />
Haushalt über ein mittleres Einkommen von<br />
rund 6835 Franken.NachAbzug sämtlicher Ausgaben<br />
bleiben zirka 1170 Franken. Der Kontostand<br />
amEnde des Monats offenbart zwar, wie<br />
viel Geld weggeflossenist,abernicht unbedingt,<br />
wohin. EinBudgetplansorgt fürAbhilfe.Mit einer<br />
detaillierten Auflistung von Ausgaben und<br />
Einnahmenbehältman dieKontrolle über dieeigenen<br />
Finanzen, und der Sparstrumpf lässt sich<br />
gezieltfüttern.<br />
Der erste Schritt zum eigenen Haushaltsbudget<br />
erfolgt mit der Erfassung der monatlichen Fixkosten.<br />
Jelückenloser die Aufstellung regelmässiger<br />
Zahlungsverpflichtungen ist (Miete, Nebenkosten,<br />
Fernsehgebühren, Kredite, Strom<br />
oder Telefonie), destogenauer lässtsichermitteln,<br />
wie viel imAlltag zur Verfügung steht und wo<br />
Sparpotenzial brachliegt. Mit den Mustervorlagenvon<br />
derBudgetberatungSchweiz können die<br />
einzelnenPosten bequeminvorgefertigte Tabellen<br />
eingetragen werden (www.budgetberatung.ch<br />
oder unter Tel. 062 849 42 45 jeweils dienstags<br />
13–16 Uhr). Die Dachorganisation von 37regionalen<br />
Budgetberatungsstellen bietet auf ihrer<br />
Webseite zudem Budgetbeispiele für Familien,<br />
Alleinerziehende,Paare oder Kinder.<br />
In einem zweiten Schritt werden die variablen<br />
Budgetposten eingetragen (Lebensmittel, Freizeit,<br />
Coiffeur oder Kleider). Für Pensionierte<br />
lohnt essich, langfristig Auslagen, die nun wegfallen,<br />
zum Beispiel die Kosten für das MittagessenimBüro,<br />
anderenPosten wieReisengutzuschreiben.<br />
DamitstelltsichschnelleinSpareffekt<br />
für die Finanzierung neuer Hobbys ein. Ausserdemempfiehltessich,<br />
eine Reservefür allfällige<br />
Krankheitskosten anzulegen.<br />
Spartipps<br />
einkaufen:<br />
•EineEinkaufslisteerstellen<br />
undausschliesslich kaufen,<br />
wasauf derListe steht.<br />
•Der Kauf vonsaisongerechtemObstund<br />
Gemüseschont<br />
dieGeldbörse.<br />
•Vor demEinkaufen etwasKleinesessen<br />
–mit vollem Magen<br />
fälltesleichter, denkulinarischenVerlockungen<br />
zu widerstehen.<br />
•Die preiswertenProdukte steheninder<br />
Regelunten im Regal.<br />
•Nachdem KochenReste einfrierenoderamnächstenTag<br />
zur<br />
Arbeit mitnehmen.<br />
•BeimEinkaufenimInternet<br />
bedenken,dasszusätzlich zu<br />
denVersand auch Zollkosten<br />
anfallen können.<br />
Versicherungen:<br />
Schweizertendieren zurÜberversicherung.<br />
Prüfen,obZusatz<br />
Währendder ersten drei Monate nachder Erstellung<br />
desBudgets sollten dievariablenKosten genaunotiert<br />
werden.Dadurch erhält manein Gefühl<br />
fürdie Ausgaben,kauftbewusster ein, und<br />
es können kleinere Budgetkorrekturen vorgenommen<br />
werden.<br />
n<br />
versicherungennotwendig sind.<br />
Istdie Reiseannulationsoder<br />
Reisegepäckversicherunginder<br />
Hausratversicherungoderim<br />
Schutzbrief bereitsenthalten?<br />
KurzeVertragsdauer erleichtert<br />
denWechsel zu einemkostengünstigeren<br />
Angebot.<br />
telefonie:<br />
Eine SMSist billigerals kurze<br />
Telefongespräche.Prüfen, welcherHandyvertragbeziehungsweiseanbieterambestenzu<br />
denpersönlichen Telefongewohnheitenpasst.<br />
Steuern:<br />
Auswärtige Betreuungvon Kindern,selbstgetragene<br />
Krankheitskosten<br />
(wennsie fünf Prozent<br />
vomNettoeinkommenübersteigen),offeneRechnungenamJahresende<br />
undBeiträgeindie Säule<br />
3a sind abzugsberechtigt.<br />
Nr.10/2013<br />
39
Rat&Tat<br />
Lösen<br />
März-Preisrätsel<br />
Wollen Sieanunserer Verlosungteilnehmen?<br />
Dann schreibenSie dasLösungswort<br />
aufeinePostkarte undsenden<br />
diesebis zum20. März 2013 an:<br />
CatMedienaG<br />
Preisrätsel März<br />
neuenhoferstrasse 101<br />
5401Baden<br />
Siekönnenauchganz einfach<br />
perSMS teilnehmen. SendenSie<br />
eineSMS mitdem Inhalt SM220,<br />
Lösungswort, name,adresse an<br />
dieNummer 9234 (z.B.SM220,<br />
Voegelinsegg,Max Muster,Häuserstrasse50,<br />
9999 Ebenda).<br />
Eine SMSkostetFr. 1.–.<br />
Siekönnenauchonline<br />
teilnehmen–<br />
dieAdresse findenSie aufSeite 4.<br />
Die Gewinnerinnen undGewinner werden ausgelost<br />
unddirektbenachrichtigt.Der Rechtswegist ausgeschlossen.<br />
Über denWettbewerb wird keine<br />
Korrespondenz geführt.<br />
auflösung Februar-Preisrätsel<br />
DasLösungswort unseresFebruar<br />
Preisrätsels heisst «Centovalli».<br />
Eine BritaKüchenarmatur im Wertvon<br />
Fr.499.– hatgewonnen:<br />
Hansruedi LöffelAerne,Biel<br />
Herzliche Gratulation!<br />
Lösung RätselNr. 9<br />
■ A ■<br />
■ A N<br />
■ P L ■ F A F ■ ■ ■<br />
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40<br />
Nr.10/2013
Rat&Tat<br />
Lesen<br />
Am Baumstamm erkenntman dieLärche<br />
Am Kiosk<br />
«White Dwarf»,Games<br />
Workshop Deutschland<br />
GmbH,monatlich, Fr.14.–.<br />
Worum geht’s?<br />
(Auf dieGefahr hin, dass<br />
«Vilitchder Verfluchte» nun<br />
den Bannstrahl desTodesauf<br />
unsniederfahrenlässt:)Um<br />
Zeugsfür Männer, diegern<br />
mitschauderhaften Kunststoffpüppchen<br />
Krieg spielen.<br />
EinDrittel desWalliserHolzvorrats stammt vonder Lärche –<br />
undgerade dieLandschaft um SaasFee istgeprägt vondiesem<br />
Baum,dessen Nadelwerk so filigranist wieihr Wesenzäh.<br />
Dieses Buch setzt der Lärche einDenkmal –allem voranmit<br />
fabelhaftenFotos vonThomas Andenmatten. Dazu gesellen<br />
sich literarische,heitere, aber auch nachdenkliche TextesowieEinblicke<br />
insSchaffen vonHolzverarbeitern, Förstern,<br />
Schreinern undSchindelmachern. Vonjedem verkauften<br />
Exemplar gehenfünfFranken an dieSchweizer Berghilfe.<br />
RuediHaenni<br />
Luzius Theler:Lärchengoldund Gletscherweiss.<br />
Weber-Verlag,Gwatt 2012.<br />
120Seiten, Fr.49.–. ISBN978-3-906033-12-9.<br />
Anspruch<br />
Humor<br />
Spannung<br />
Gestaltung<br />
Ein Beispielaus demHeft?<br />
Über die«Mutalith-Wandelbestie»:<br />
«ein Prachtstück<br />
der Mutation und desWahnsinns,<br />
der dasChaos in all<br />
seinem Ruhm zeigt».<br />
Originellster Artikel?<br />
Bericht ausdem «White<br />
Dwarf»-Hobbyraum:<br />
«Manchmalbrauchtman einfach<br />
einegrosse Kanone.»<br />
Wasfreut denLeser?<br />
«Andrew hateinen Grossteil<br />
dieses Monats mitder Bemalungneuer<br />
Bausätze für<br />
seineArmee der Krieger<br />
desChaos verbracht.»<br />
Zweimal gelesen?<br />
«Zum Beispiel hatteesbestimmt<br />
maleinen Kopf;doch<br />
dieserwurde durch den Vortexeingesaugt<br />
und alsein<br />
Haufen schleimigerTentakel<br />
wieder ausgespien.» (Uääh.)<br />
Wasbleibt?<br />
«GanzGlumhofwar inzwischenein<br />
Schauplatzdes<br />
Todes.»<br />
Im Netz<br />
Anspruch<br />
Humor<br />
Spannung<br />
Gestaltung<br />
Kostbarkeitenaus Papier<br />
KleineSchuledes Islams<br />
In einfachenWortenwirdindiesemBuchder Islamerklärt.<br />
Dabeihelfeninerster Liniedie Bilder der IllustratorinAlexandra<br />
Klobouk, diedem Leserauchmal einLächeln entlocken.Soillustriert<br />
Kloboukbeispielsweise erlaubte undunerlaubte<br />
Praktikenwährend der PilgerfahrtnachMekka mit<br />
einerFliegenklatsche undeiner Fliege –dennFliegen zu tötenist<br />
erlaubt! DiebeidenislamischenAutorinnenbemühen<br />
sich,einen liberalenund frischenBlick aufden Islamzuwerfen,<br />
undsie weichenkritischenThemen –Schächten,Ehrenmorde,<br />
Fundamentalismus, KopftuchDebatte –nicht aus.<br />
Vorallem aber betonensie dieweltoffene Seitedes Islams,<br />
denn Forschung undLehre seienimislamischenDenkenfrei.<br />
Schliesslich heisse es schonimKoran:«Wolltihr denn nicht<br />
nachdenken?»<br />
Judith Hochstrasser<br />
LamyaKaddor,RabeyaMüller: DerIslam.<br />
FürKinderund Erwachsene.<br />
Verlag C. H. Beck,München 2012.<br />
175Seiten, Fr.31.90.ISBN978-3-406-64016-2.<br />
Die Weiterentwicklung desScherenschnitts: Wie<br />
Kirchenfenster schauensie aus,die filigranenOrnamentstrukturen<br />
aus Papier, dieder amerikanischeKünstlerEric<br />
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aus einemPapierstapellasert.<br />
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Nr.10/2013<br />
41
Rat&Tat<br />
Hören&Sehen<br />
Tv-Tippder Woche<br />
«GottesWerk<br />
undTeufels Beitrag»<br />
«Gottes Werk undTeufels Beitrag».USA 1999.Regie:Lasse Hallström.<br />
Mit TobeyMaguire, Charlize Theron undMichael Caine.<br />
Sonntag, 10.März, 22.15Uhr,SRF 2.<br />
Maine(USA) in den1930erJahren.<br />
Homer Wells verbringt seine ganze<br />
Kindheit im Waisenhaus Saint<br />
Cloud. Mit den Jahren entwickelt<br />
sich zwischen ihmund demLeiter,<br />
Doktor Wilbur Larch, eine tiefeBindung.<br />
Larch bringt ihm alles fürs<br />
Lebenbei undweiht ihnindie Geheimnisseder<br />
Medizin ein. Homer<br />
assistiert jedoch nur ungern bei<br />
den Abtreibungen, die Larch angesichts<br />
der Not der Frauen und<br />
des traurigen Schicksals der unerwünschten<br />
Kinder für gerechtfertigthält.<br />
Alssichihm daher die<br />
Gelegenheit bietet, das Waisen-<br />
haus zu verlassen, ergreift ersie<br />
undfolgt Wallyund Candy, einem<br />
jungen Paar, indie Welt hinaus.<br />
Bald freundetersichauf derApfelfarm,dieCandysElterngehört,mit<br />
einem schwarzen Erntehelfer an<br />
undbeginnteineleidenschaftliche<br />
Affäre mitCandy.Abernochwährend<br />
Homervon einerglücklichen<br />
Zukunftträumt, wird er vonseiner<br />
Vergangenheit eingeholt. Gelungene<br />
Literaturverfilmung basierend<br />
auf dem Roman «The Cider<br />
HouseRules»von John Irving.<br />
radio<br />
SAMSTAG, 9. 3.<br />
>Zwischenhalt<br />
Mitden Glockender ev.-ref. Kirche<br />
St.AntoniFR. 18.30Uhr,Radio SRF1.<br />
SONNTAG, 10.3.<br />
>Röm.-kath. Predigt<br />
MitPeter Spichtig, Dominikanerpater<br />
aus Freiburg. 9.30 Uhr,<br />
RadioSRF 2.<br />
>Ev.-ref.Predigt<br />
MitRuedi Heinzer,Pfarrer in Spiez.<br />
9.45 Uhr, RadioSRF 2.<br />
DieInhalte derSendungen<br />
«Perspektiven» und«Sakral-vokal»<br />
warenbei Redaktionsschluss<br />
noch nichtbekannt.<br />
Fernsehen<br />
FREITAG, 8. 3.<br />
>Das Kind,das Jesushiess<br />
Im Jahr 0der Christenheit kämpftedas Römische Reich um seinenMachterhalt.WelcheAuswirkungenhattendiepolitischen<br />
Wirren aufdas LebenJesuund seiner Familie? Dokumentation<br />
über eine spannungsgeladene Zeit. 12 Uhr, 3sat.<br />
>TohebasGeheimnis<br />
Indemsie ihre TöchterzuJungen machen,könnenafghanische Mütter demStigma entgehen,keine<br />
Söhnegeborenzuhaben.Für unzähligeMädchen istdaher derständigeWechsel zwischen denGeschlechternund<br />
Identitäten,das permanente –von derGesellschaftgeduldete –VersteckspielAlltag.<br />
18.25Uhr,Arte.<br />
SAMSTAG, 9. 3.<br />
>Fenster zumSonntag<br />
«Was würdemichdavonüberzeugen,dass esGotttatsächlichgibt?» DerTheologe SiegfriedZimmerstellt<br />
seinen Glaubenpermanent aufden Prüfstand–und will damitden<br />
Menschen eine Chance bieten, selbst diepositiven Überraschungen des christlichen<br />
Glaubenszuentdecken. 17.30Uhr,SRF 2.<br />
>Wortzum Sonntag<br />
MitFlorianFlohr, Kommunikationsbeauftragter derKatholischenKircheLuzern. 20 Uhr, SRF1.<br />
Foto:ZDF /JensPeter Behrend<br />
SONNTAG, 10.3.<br />
>SternstundeReligion<br />
Am 19.Märzwirder85Jahrealt –HansKüng, derstreitbareSchweizer Theologe.Für<br />
vieleGläubigeist er einSymboldafür,dassauchimKatholizismus Unabhängigkeit<br />
undeigeneWegemöglich sind. 10 Uhr, SRF1.<br />
DIENSTAG,12. 3.<br />
>Die Festung<br />
Flüchtlinge aus allerHerrenLändern warten in Vallorbe,ineinem dergrossen Schweizer Empfangszentrenfür<br />
Asylsuchende, aufihr weiteres Schicksal. Eine Dokumentationüberdas Lebenaneinem<br />
Ort, wo Menschen täglichmit einerAbschiebung rechnenmüssen. 21.50Uhr,3sat.<br />
42<br />
Nr.10/2013
Rat&Tat<br />
Hingehen<br />
redakTionsTipp<br />
«The Gospel accordingtothe othermary»<br />
sehensWerT<br />
Im Rahmen des«Lucerne FestivalzuOstern» (16. bis24. März)stehtam20. März um 19.30Uhr eine Schweizer<br />
Erstaufführung aufdem Programm:Das Orchester LosAngeles Philharmonic undder LosAngeles Master<br />
Choraleunter derLeitung vonGustavo Dudamel (Bild) führen dasOratorium «The Gospel Accordingto<br />
theOther Mary»(«Das Evangeliumnach deranderen Maria»)desamerikanischen KomponistenJohnAdams<br />
(* 1947)auf –ein zeitgenössisches Werk,das «den rhythmischenDrive derMinimal Musicmit derüppigen<br />
Harmonik undden weiten Melodiebögen derSpätromantikvereint»(Programmtext). Aussergewöhnlichist<br />
auch derInhalt–Adams undder Regisseur PeterSellars erzählen diePassionsgeschichte aus derSichtdes<br />
auferweckten Lazarusund seiner Schwestern MariaMagdalena undMartha.<br />
Infosund Vorverkauf unterwww.lucernefestival.choderunter Tel. 041226 44 80.<br />
DasKonzert wirdausserdem am 31.Märzauf RadioSRF 2ausgestrahlt.<br />
und ausserdem…<br />
«erdbeeren im Winter»<br />
AlsEinkaufsparadies angelegt<br />
–mit «FashionStore»,<br />
MultimediaAbteilung<br />
undLebensmittelladen –<br />
zeigtdie neue Ausstellung<br />
des Naturmuseums<br />
Solothurn, wiegross der<br />
Handlungsspielraum der<br />
Konsumentinnen undKonsumenten<br />
fürden Klimaschutz<br />
ist. Noch biszum<br />
25.August (Montag<br />
geschlossen),Infos unter<br />
www.naturmuseumso.ch<br />
oder unter<br />
Tel. 032622 70 21.<br />
Leuenberg-Konkordie<br />
Vorträge undGesprächeüberdie<br />
innerevangelische Ökumene–eine<br />
LeuenbergTagung am 16.März<br />
ab 14 Uhr zumJubiläum«40 Jahre<br />
LeuenbergKonkordie».TagungsbeitragFr.<br />
110.–,Infos undAnmeldungunter<br />
www.leuenberg.ch<br />
oder unterTel.061 9561212.<br />
«LunaCalante»<br />
Im Vorfelddes Winzerfests vom<br />
Spätsommerwerdenam9.Märzab<br />
18 Uhr rund 3400 MeterTrockenmauern<br />
entlangder Rebberge von<br />
Thal beleuchtet.Weitere Informationenunter<br />
www.winzerfest<br />
2013.ch.<br />
Giardina 2013<br />
Im fünfzehntenJahrihres Bestehens<br />
widmet sich dieGartenmesse<br />
Giardina(MesseZürich, 13.bis<br />
17.März) denThemen«Aktivität<br />
im Garten» und«Bodenbeläge».<br />
Infosunter www.giardina.choder<br />
unterTel.058 2065000.<br />
«Rex Gloriae»<br />
KirchlicheTradition trifft moderne<br />
Klangkonstruktionen: Mitihremneuen<br />
Werk «Rex Gloriae»<br />
sind «Die Priester» am 12.Märzin<br />
derSt.LaurenzenKirche St.Gallenund<br />
am 13.Märzinder Stadtkirche<br />
Olten zu Gast. Tickets<br />
unterTel.0900325 325<br />
(Fr. 1.19/Min.).<br />
«ein-Klang»<br />
Musikvon Raselli,Mozartund<br />
vonDohnanyi–aufgeführtvon<br />
jungenMusikerinnen undMusikern.<br />
10.März, 17 Uhr,ViaCordis<br />
Haus St.DorotheainFlüeliRanft,<br />
Infosunter www.viacordis.ch<br />
oder unterTel.041 6605045.<br />
RondòVeneziano<br />
Perücken, Perlenund poppige<br />
Klassik–Rondò Veneziano gastieren<br />
am 15.MärzinBern, am<br />
16.MärzinBasel undam17. März<br />
in Zürich.Tickets unter<br />
Tel. 0900 800800 (Fr. 1.19/Min.).<br />
Johannes-Passion<br />
DasBachcollegium Zürich führt<br />
BachsJohannesPassion als«sakrale<br />
Installation»,ergänzt vontheatralischenElementen,auf<br />
–am<br />
15.und 16.Märzum19.30 Uhrim<br />
Grossmünster Zürich.Infos undVorverkaufunter<br />
Tel. 079209 81 81.<br />
MusikimPredigerchor<br />
Kammermusikvon GeorgFriedrich<br />
Händelund Alfred Knüsel –<br />
am 13.Märzum12.15 Uhr im Predigerchor<br />
(Lesesaalder Musikabteilungder<br />
ZentralbibliothekZürich).<br />
Reservationenunter Tel.<br />
044268 31 00.<br />
Benefizkonzert fürBlinde<br />
DieMusikschuleZollikonspielt<br />
Melodien ausKlassik,Pop und<br />
Jazz –der Erlös des Abends<br />
kommtdem Blindenwohnheim<br />
Mühlehalde in Zürichzugute.<br />
15.März, 18.30Uhr,Gemeindesaal<br />
Zollikon. Tickets unter<br />
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«alexandre Joly /<br />
Robert Müller»<br />
Dialogewie Natur vs.Künstlichkeit<br />
oder Stille vs.Klang<br />
stehen im Zentrumder<br />
Arbeiten des GenfersAlexandre<br />
Joly (* 1977). Seine<br />
Werkesindnochbis zum<br />
5. MaiimKunsthaus Langenthal<br />
zu sehen–zusammen<br />
mitPlastiken vonRobert<br />
Müller (1920–2003).<br />
Montag undDienstag<br />
geschlossen, Infosunter<br />
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Tel. 062922 60 55.<br />
Nr.10/2013<br />
43
litera-tour<br />
Hugo Marti:<br />
EinJahresring 4/21<br />
Foto:Keystone<br />
In derletzten Folge: Rolf undder «Spielmann»Jenssitzenimmer<br />
noch im Lehrerhaus<br />
zusammen. Jens redet Rolf ins Gewissen<br />
–erkönne Dagny nicht von sich<br />
fernhalten, da er ja mitihr verlobtsei,sie<br />
habe nun«alle Rechte». Doch alsJensdas<br />
Verlobtseingar miteiner Fessel vergleicht,<br />
wird Rolf wütend undwirftJensvor,sein<br />
Geigenspiel lasse den Mädchen «die Beine<br />
beim Tanzen einschlafen».<br />
Mehr vonHugoMarti<br />
«Ein Jahresring»ist gedruckt<br />
greifbar im 583seitigen Hugo<br />
MartiLesebuch«DieTagesind<br />
mirwie ein Traum»,Reprinted<br />
by HuberNr. 20.Esenthältalle<br />
Prosatexte des Autors undeine<br />
MartiBiografievon Charles<br />
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0800 55 33 77 entgegen.<br />
Rolf geht an dem Alten vorbei zum<br />
Fenster. Erlässt ihn dastehen, verwirrt,<br />
zerschmettert, vernichtet. Erdreht sich<br />
nichtum, wieihm Jens bittend, flehend<br />
dieHände hinhält: «Sehen Sieher,sehen<br />
Sieauf dieseFinger, Herr Kandidat.Können<br />
solche Hände noch Geige spielen?<br />
SehenSie dieseRisse vonder Kälteund<br />
von den Holzsplittern, mit dem harten<br />
Schmutz darinnen? Fühlen Sie, wie<br />
steif.»Erhältihm dieHände eine Weile<br />
hin, dann wendet er sich langsam weg,<br />
hebt beider Türe dieSägeauf,fasst nach<br />
derKlinke. «Ja, ichstehe da draussen im<br />
Schuppen,und es schneit, undwennich<br />
nicht sägen und sägen würde, was die<br />
Kräftehergeben, so würdeich erfrieren.<br />
Ich habe keine Handschuhe, Herr Kandidat.»<br />
Rolfkommtlangsamaufihnzu.«Ja,ich<br />
meinejanicht –eswar nichtsogemeint,<br />
Jens.» Doch nochmals bleibt er stehen,<br />
heftiger inder Stimme: «Aber warum<br />
gehstdudaherum undhältstgrosseReden<br />
voll –vollVerachtungfür unsandere?<br />
All dein Künstlertum, was ist das<br />
denn?»<br />
DeralteMannsieht ihnfurchtlos und<br />
treuherzig an.Ersagtganzeinfach:«Nur<br />
derWimpel, Herr Kandidat,nur derfarbige<br />
Fetzen am geborstenen Mast. Die<br />
Ladung istversunken,ich weiss. Tausende<br />
von Dampfschiffen fahren breit und<br />
sicher daher, miteinem undzweiSchornsteinen;<br />
aber hohe Masten und farbige<br />
Wimpel zuoberst, das ist aus der Mode<br />
gekommen,das istnur noch ganz selten,<br />
ichweiss.Wenneinmalsoein gutgepanzerter<br />
Schiffsrumpf, soein grossartiger<br />
Dampfbootsbauch auf den treibenden<br />
Mastbaum fährt, da knickt er in Splitter<br />
auseinander, denn erist morsch geworden,<br />
solange hat erauf den Wellen herumgetrieben.<br />
Ichweiss,ich weiss.»<br />
Seine Hand zuckt von der Türklinke<br />
weg. DieTürewirdvon aussen geöffnet,<br />
heftig und doch angstvoll. In der Kälte,<br />
die schwallbreit hereinströmt, steht ein<br />
Frauenwesen inPelzmantel und Pelzmütze,<br />
steht Dagny. Sie hält die Tür in<br />
der Hand, schaut auf den alten Jens,<br />
schaut auf Rolf, der näher beim Lichte<br />
steht. Ihre Augen sind wie Vögel, wenn<br />
die Wellen hochgehen und die Winde<br />
zwischendenKlippendesFjordshinund<br />
herjagen:Sie sind ruhelos, aber sicher.<br />
Da klemmt deralteJensseine Säge festerunter<br />
den Armund verbeugt sich tief<br />
vorDagny.InzweiSchritten isteranihr<br />
vorbei und hat die Türe hinter sich ins<br />
Schlossgezogen.<br />
Dagnys Arme fallen am Körper herunter.<br />
IhrKopfsinkt langsamnachvorne.<br />
Rolf tut einen Schritt gegen sie hin,<br />
bleibt wieder stehen.«Du kommst also –.<br />
Du bist also doch gekommen.»<br />
Sieantwortetnicht.Erlegtseinenrechten<br />
ArmumihreSchultern undküsst sie<br />
auf die Stirne, die kalt ist wie der frühe<br />
Winterabend. Siewendetsichleichtvon<br />
ihm weg, nun weint sie leise, und plötzlich<br />
wirft sie sich ihm an die Brust, die<br />
Händevor sich gefaltet undden Kopf gesenkt.<br />
IhrMundstammelt: «Ich wusste<br />
ja –ich wusste esja so gut–.» SeineArme<br />
müssen siehalten;seine Finger streichen<br />
über ihr Gesicht. Ersieht von ihr weg<br />
und murmelt: «Willst du nicht versuchen,ein<br />
wenigruhiger zu sein?Dagny,<br />
weinedochnicht.»<br />
Sieweint nichtmehr. Sielächelt,wie sie<br />
den Kopf hebt: «Ich wusste ja, dass du<br />
mich nicht wegweisen würdest.» Sie<br />
sieht ihn von der Seite her an. «Du verzeihst<br />
mir, Rolf? Sieh, duwolltest nicht<br />
zu mirkommen–dakam ichzudir.»<br />
Rolf löst seinen Arm von ihr, lässt sie<br />
stehen undgehtzum Fenster.Sie schaut<br />
ihmnach, folgtihm,ergreiftseineschlaff<br />
herabhängendeHand.<br />
«Rolf, ichkam zu dir–.Duhastesnicht<br />
leicht mitmir,ich weisseswohl. HabGeduld.»<br />
Rolf schweigt; er lässt ihr die<br />
Hand. Sie senkt wieder den Kopf, und<br />
44<br />
Nr.10/2013
ihre Schultern zucken. Langsam öffnet<br />
sieden Mantel.<br />
Da wendet sich Rolfihr zu undhilftihr<br />
ausdem Pelz.«Willst du –gib auch deine<br />
Mütze.» Sie neigt den Kopf vor ihm,<br />
er streift die Mütze von ihren Haaren,<br />
legt siezum Mantel aufs Sofa undbleibt<br />
beim Tische stehen.<br />
Dagny nähert sich ihm langsam, unsicher<br />
lächelnd,und wiesie vorihm steht,<br />
beugt sie spielend ihren Kopf auf seine<br />
Schulter herab. «Esist so stillinunserm<br />
grossen, grauen Haus. Ich kenne jedes<br />
Geräusch, jede Diele, die knarrt, jedes<br />
Fenster,das im Winderüttelt.Bei dir, in<br />
deiner Stube, istnochsovielesfremd für<br />
mich. Ich bin gerne hier. Welch guten<br />
Gedanken du hattest, mir zuschreiben,<br />
du wollestnicht zu mirkommen. Ichlas<br />
zwischenden Zeilen.» Sielacht in seine<br />
Schulter hinein, die er unwillig emporreisst.«Bist<br />
du nichtfroh, Liebster,dass<br />
ichzwischenden Zeilen las?»<br />
Rolf spricht über sie hinweg, in die<br />
Dunkelheit hinaus: «Stand wirklich<br />
das–das zwischenden Zeilen?Ich hätte<br />
etwas anderes herausgelesen. Jeder<br />
Mensch –nein, aber manche Frau,manches<br />
Mädchen hätte sicher etwas ganz<br />
andereszwischenden Zeilen gefunden.»<br />
NunbegegnensichihreAugen;sie sind<br />
ganz nahe.Dagny hatblankeAugen,die<br />
nichts verraten.Rolfzieht dieBrauenzusammen.«Standdennnicht<br />
indem Brief,<br />
dass ich dich heute nicht zusehen wünsche,nicht<br />
sehenkönne –nicht wolle?»<br />
Aus dem kurzen Schweigen hebt sich<br />
Dagnys Stimme demütig: «Nein. Es<br />
stand darin, dumüssest arbeiten und<br />
fändest keine Zeit, zumir zu kommen.<br />
Hier –.»IhreHandgreift nachdem Mantel;<br />
einBlatt Papier knittert.<br />
Rolfhältsie am Arme fest.«Ja,aber–.»<br />
Dagny fährt rasch weiter, und Tränen<br />
treten ihrindie Augen: «Ich dachte mir,<br />
ich wolle gehen, zu dir gehen und dich<br />
mitten in der Arbeit überraschen, dich<br />
vielleicht herausreissen, stören,jastören<br />
–und daswar wohl nichtrecht gedacht–,<br />
oder doch still indeiner Stube sitzen,<br />
währendduarbeitest,zugegen sein,nur<br />
da sein undmanchmalauf dich schauen.<br />
Ich –ich ahnte doch nicht, dass ich so<br />
unwillkommen sein würde. Ich ahnte<br />
doch nicht,dass –dassdumichgarnicht<br />
brauchen könntest,nicht einmal meine<br />
Anwesenheitertragenkönntest, dass ich<br />
dirzur Last fiele.»<br />
«Duhastgar nichtgearbeitet,<br />
ichweiss es, Rolf.Esist garnicht so,<br />
dass du arbeiten wolltest»<br />
Nun zieht Rolf ihr feuchtes Gesicht<br />
näherzusich: «Abernein, Dagny, es ist<br />
ja –duirrst –.»<br />
Doch sie entwindet sich seinen Händen:«Nein,ich<br />
irre mich nicht. Nein,ich<br />
gehe nun.Arbeite,arbeiteweiter.Ichwill<br />
ja nichtstören.»Schon greiftihreHand<br />
nachdem Mantel.<br />
Rolfsagtgereizt:«Stören–!Als ob deine<br />
leibliche Anwesenheit mich stören<br />
würde. Es istdochganzetwas anderes.»<br />
Sieblicktrasch auf. «Ganzetwas anderes–sagst<br />
du nun? Aber im Briefe –?»<br />
Er zischt:«Zwischenden Zeilen –?»<br />
Sie wirft den Mantel wieder hin. «Du<br />
hast gar nicht gearbeitet, ich weiss es,<br />
Rolf. Es istgar nichtso, dass du arbeiten<br />
wolltest.»<br />
«Doch, es istso.»<br />
«Jedenfalls, du tatest es nicht.»<br />
Er lachtbitter: «Nein!»<br />
«Nein. Du sassest und schwatztest mit<br />
dem alten Jens. Ummit diesem Narren,<br />
diesem –diesemJensschwatzen zu können,<br />
schriebstdumirden Brief?Deshalb<br />
konntest du nichtkommen. KeineZeit!<br />
Arbeiten!Gottweiss,was ihreuchzusagen<br />
hattet, dass du deshalb mich nicht<br />
besuchen –mich nicht einmal hier dulden<br />
kannst.»<br />
Rolfsagtruhig:«Esistauchnichtgenau<br />
so. Jens blieb hier –ich behielt ihn hier,<br />
weil ich nicht arbeitete. Aber arbeiten<br />
wollte ich. Wollte ich–hörst du?Als ich<br />
sah, dass nichts daraus werden würde,<br />
bat ich ihn, hierzubleiben und mir Gesellschaftzuleisten.Sowar<br />
es.»<br />
Hohn flackert in Dagnys Stimme.<br />
«Mich zubitten –mir zu erlauben, dir<br />
Gesellschaft zuleisten, daran dachtest<br />
du nicht.» Nach einer Weile: «Arbeiten,<br />
sagst du.» Sie geht zum Tisch. «Hier liegenBücher.<br />
DeineArbeit,davonerzählst<br />
du mir nie. Ich weiss gar nichts davon.<br />
Wo istsie?Hier?»<br />
Sie reisst die Schieblade hervor; ihre<br />
Finger beginneninden Papieren zu kramen.<br />
Rolfsteht plötzlichneben ihr, hält<br />
eisern fest ihr Handgelenk, dass sie aufschreit.<br />
Er sagt nur: «Lass das. Lass meine Arbeit<br />
in Frieden.»<br />
Dagny sieht ihn gross an, weicht zurück,setztsich<br />
aufs Sofa.IhreStimmeist<br />
tonlos. «In Frieden –ja. Du bittest um<br />
Frieden fürsie.» Jähaberfährtsieempor.<br />
«Hätte ich sie hier in meinen Händen,<br />
jetzt zwischen meinen Fingern gehabt –<br />
zerrissen hätteich sie. Du weisst es wohl.<br />
Ichkenne sienicht,ich soll sienicht kennen.<br />
Nichts lieferst du miraus.» Wieder<br />
dämpftsichihreStimme. «Erinnerst du<br />
dichdaran, alswirinderStadt waren, im<br />
Theater?Einmal, eineinzigesMalwaren<br />
wirdort.»<br />
«Du wolltest kein zweites Mal hingehen.»<br />
«Nein, nichtdas.Erinnerst du dich?»<br />
Rolfs Antwortzögert. «Ja.»<br />
«Vor uns, links vor dir sass ein Mädchen.Erinnerst<br />
du dich?»<br />
«Ja.»<br />
«Dukanntestsie,ihrgrüssteteuch,aber<br />
du wolltest sie mir nicht vorstellen. Du<br />
sprachst nicht von ihr. Du schwiegst<br />
blosslange.Erinnerstdu dichanalldas?»<br />
«Ja, aber daswar doch –.»<br />
Dagnyschlägt mitder flachen,runden<br />
Hand leicht auf den Tisch. «Nein, so<br />
wares.»<br />
Eine Weilesteht Rolfnochda, siehtin<br />
ihr fragendes Gesicht, in ihre blanken<br />
Augen, aufdiese heischendeHand,dann<br />
wendet er sich weg, geht in die Dunkelheit.Esbleibtstill.<br />
Fortsetzungfolgt …<br />
Nr.10/2013<br />
45
Ausblick<br />
Foto:Marlene vonArx<br />
Lieber<br />
Stefan<br />
An dieser Stelle diskutieren<br />
der reformierte PfarrerLukas<br />
Mettleraus Neuhausen<br />
am Rheinfall (links)und der<br />
katholische Altersheimseelsorger<br />
Stefan O. Hochstrasser<br />
ausEmmenbrücke<br />
über Gott,ihren Alltag in<br />
der Seelsorge undüber das<br />
Geschehen in dieser Welt.<br />
Im nächsten Heftfinden Sie<br />
folgende Themen:<br />
46<br />
Charisma undGeld<br />
Hierzulande werden siemit Skepsis betrachtet,<br />
in den USAgehören siezum religiösenLeben:<br />
voncharismatischenPfarrern geleiteteunabhängige<br />
evangelikale Grosskirchen mitTausenden<br />
vonGottesdienstbesuchern und Zehntausenden<br />
vonFernsehzuschauern.Vor zwei Jahren machte<br />
einevon ihnenKonkurs.Ist dieZeitder amerikanischenMegakirchen<br />
abgelaufen?<br />
• Reichtumbedeutetfür siesoziale Verantwortung:Ellen Ringier, dieGattin<br />
vonVerleger MichaelRingier,im«Interviewdes Monats».<br />
• EinAltersheimhinterGittern:ImZentralgefängnisLenzburg<br />
gibt es dieersteAbteilung fürSenioren.<br />
• Eule oderLerche? Wie leichtoderschwer uns<br />
dasAufwachen fällt, hängtvon den Genenab.<br />
Nr.10/2013<br />
DenFrühlingerlebeich,wennich einenSchritt<br />
vormeine Haustürsetze.Daliegt noch Schnee von<br />
gestern. Allesscheint kahl undabgestorben.Wenn<br />
ichaberumdie Ecke schaue,entdecke ichauf der<br />
SonnenseiteSchneeglöckchen unddie ersten Spitzen<br />
vonOsterglocken.<br />
Genausoerlebeich Kirche in unsererGemeinde.<br />
Sie istalles andere alsinvollerBlüte.Auf den ersten<br />
Blick istdanicht viel vonAufbruch zu sehen. Aber<br />
beim genauenHinblicken sind da ganz vielekleine<br />
Blütenzuentdecken. Da istzum Beispiel jemand,<br />
derseitWochenSonntag fürSonntag jemanden<br />
im Rollstuhlzum Gottesdienst begleitetund diesem<br />
Menschen somit eine grosse Freudebereitet. Da ist<br />
dieältere Frau,die sonstfür sichlebtund plötzlich<br />
in einerRunde davonerzählt,wie sieimletzten Jahr<br />
durch einGebet vonihrer schweren Krankheit geheiltworden<br />
ist. Da istdie junge Frau,die in ihrer<br />
Freizeit regelmässigKrankenbesuchemacht.ZudiesenFrühlingsbotengehörtauchdie<br />
wunderbareZusammenarbeit<br />
mit derkatholischenKirchevor Ort.<br />
Überall,woMenschenaufwachen undimSinne<br />
desAuferstandenen wirken,wächstLeben,wird<br />
Frühlingspürbar, wenn auch oft erst unscheinbar.<br />
Istder FrühlinginEurer Pfarreischon weiter<br />
fortgeschritten?<br />
Herzlich grüsst Dich Lukas<br />
Impressum<br />
«Doppelpunkt»<br />
DasevangelischeWochenmagazin<br />
88.Jahrgang<br />
www.doppelpunkt.ch<br />
Herausgeberin: CATMedien AG,<br />
Neuenhoferstrasse101,5401Baden<br />
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Fax056 2032299<br />
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(mw)<br />
Redaktion: Regina Müller (mü),<br />
Gabrielle Boller (gb),SabineSchaller<br />
(ssf), RolandErne (rer), Andreas<br />
Nentwich (an),Thomas Schnelling<br />
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E-Mail:<br />
redaktion@doppelpunkt.ch<br />
Regelmässige Mitarbeiter/-innen:<br />
Christina Ausder Au,Michael<br />
Bangert, Christoph Peter Baumann,<br />
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Bonilla,Christian Bühler,Werner<br />
Catrina,DorotheeDegenZimmermann,RenataEgliGerber,<br />
Ludwig<br />
Hesse, StefanHochstrasser, Christoph<br />
Hürlimann, JosefImbach, Pressebüro<br />
Kohlenberg,Käthi La Roche, Marius<br />
Leutenegger, Reinhold Meier,Lukas<br />
Mettler, VreniMühlemann,Christiane<br />
Schittny,Simea Schwab,Pressebüro<br />
Seegrund, Christoph Sigrist, Lukas<br />
Spinner,MarianneVogel Kopp,Anna<br />
Wegelin,MatthiasZeindler,Hedi<br />
Zogg,MetaZweifel<br />
Fotoagentur: Keystone<br />
Korrektorat: Kathrin Freund<br />
DTP/Grafik: Sabine Schumann<br />
Druck: AVDGoldach<br />
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5401Baden,Tel.056 2032400,<br />
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haftet derVerlag nicht.<br />
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Manuskripte, Fotosund<br />
IllustrationenkeineGewähr.<br />
ISSN 10133704
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Reduktion Reise 1und 9 –30.–<br />
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Frühling 1: 07.04.–11.04. 3: 21.04.–25.04. 5: 12.05.–16.05.<br />
2: 14.04.–18.04. 4: 28.04.–02.05.<br />
Herbst 6: 15.09.–19.09. 8: 29.09.–03.10. Internet<br />
7: 22.09.–26.09. 9: 06.10.–10.10. Buchungscode: hcinq<br />
■ Traumhafte Amalfiküste<br />
■ 4Übernachtungen auf der Sorrentinischen Halbinsel<br />
■ Fakultativ: Tagesausflug auf die Insel Capri<br />
Ihr Reiseprogramm<br />
Italienische Klassiker<br />
1. Tag: Schweiz –Perugia.<br />
2. Tag: Besuch des Wallfahrtsort Assisi und der mittelalterlichen Stadt Perugia.<br />
3. Tag: Weiterreise nach Neapel. Stadtbesichtigung, Abends Ankunft an der Amalfiküste.<br />
4. Tag: Fakultativer Ausflug mit dem Schiff auf die weltberühmte Insel Capri.<br />
5. Tag: Tagesausflug entlang der Amalfiküste mit Besuch vonSorrento und Amalfi.<br />
6. Tag: Besichtigung der Stadtruine Pompeij und Fahrt zum Vulkan Vesuv.<br />
7. Tag: Individueller Aufenthalt im Kloster Montecassino, am Abend erreichen wir<br />
Chianciano Terme.<br />
8. Tag: Chianciano Terme–Schweiz.<br />
ProPerson in Fr. Katalog-Preis Sofort-Preis<br />
8Tage inklusiveHalbpension 940.– 845.–<br />
Reduktion Reise 9 –50.–<br />
Reisedaten Samstag–Samstag<br />
Frühling 1: 13.04.–20.04. 3: 04.05.–11.05.<br />
2: 27.04.–04.05. 4: 11.05.–18.05.<br />
Herbst 5: 07.09.–14.09. 7: 21.09.–28.09. 9: 05.10.–12.10.<br />
6: 14.09.–21.09. 8: 28.09.–05.10.<br />
Côte d’Azur &Blumenriviera<br />
■ Gutes Mittelklasshotel Torino, Diano Marina<br />
■ Côte d’Azur mit Nizza und Cannes<br />
■ Fakultativ: Genua, Portofino und Sta. Margherita<br />
RABATT-TAGE<br />
Do 21.–Sa 23.März2013,09:30–16 Uhr<br />
Twerenbold-Ferienmesse<br />
Dieses Jahr wieder in unserem neuen<br />
Reiseterminal in Baden-Rütihof<br />
Profitieren Sie von:<br />
■ Sonderangeboten<br />
■ Länderpräsentationen<br />
■ Unterhaltungsprogramm<br />
■ Gratis-Bus zurMesse*<br />
■ Gratis-Mittagessen<br />
beiBuchung einer Reise<br />
*onlinebuchenunter www.twerenbold.ch<br />
795.–<br />
Internet Buchungscode: hamal<br />
545.–<br />
5Tage<br />
ab Fr.<br />
Ihr Reiseprogramm<br />
1. Tag: Schweiz–Aosta–Diano Marina.<br />
2. Tag: Fakultativer Ausflug Seefahrerstadt Genua mit edlen Prachtstrassen und prunkvollen<br />
Palästen. Nachmittags Bootsfahrt ab Sta. Margherita zum romantischen<br />
Portofino mit individuellem Aufenthalt.<br />
3. Tag: Panoramafahrt entlang den berühmten Corniches ins Fürstentum Monaco<br />
mit Besuch der Altstadt und des sehenswerten Botanischen Gartens.<br />
4. Tag: Das quirlige Nizza mit verwinkelter Altstadt und das mondäne Cannes prägen<br />
den heutigen Tag.<br />
5. Tag: Diano Marina–Schweiz.<br />
ProPerson in Fr. Katalog-Preis Sofort-Preis<br />
5Tage inklusiveHalbpension 635.– 575.–<br />
Reduktion Reise 1–2, 8–9 –30.–<br />
Reisedaten Sonntag–Donnerstag<br />
Frühling 1: 24.03.–28.03. 2: 14.04.–18.04. 3: 28.04.–02.05.<br />
4: 05.05.–09.05. 5: 19.05.–23.05.<br />
Herbst 6: 15.09.–19.09. 7: 22.09.–26.09. 8: 29.09.–03.10.<br />
9: 13.10.–17.10. Internet Buchungscode: hcote<br />
Reisekomfort<br />
■ Busreise mit modernem Komfortklasse-Bus<br />
Abfahrtsorte Burgdorf,Basel, Aarau, Baden-Rütihof ,Zürich-Flughafen ,<br />
Winterthur,Wil ,Arth-Goldau (nur Reisen Cinque Terreund Amalfi)<br />
Nicht inbegriffen<br />
Zuschläge für Einzelzimmer,FakultativeAusflüge, Annullationsschutz<br />
Auftragspauschale Fr.20.– proPerson. Entfällt bei Buchung über www.twerenbold.ch<br />
Verlangen Sie das Detailprogramm!<br />
■ SOFORT-PREISE ca. 50 %der Sitzebuchbar bis max. 1Monat vorAbreise<br />
■ Bei starker Nachfrage:Verkauf zum KATALOG-PREIS.<br />
Jetzt buchen: 056 484 8484oder www.twerenbold.ch<br />
Twerenbold Reisen AG ·ImSteiacher 1·5406 Baden